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Sie finden die verschollene Dunkelwelt - und die verlorenen Kinder der Erde Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen. Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Seine Angehörigen behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang, den Weltenbrand der Galaxis. Der terranische Abenteurer Viccor Bughassidow ist an Bord seines Raumschiffs KRUSENSTERN unterwegs. Auf der Suche nach einem Heilmittel gegen die "Posbi-Paranoia" begegnet er den zurückgezogen lebenden Eyleshioni und findet die Fährte eines Planeten, der vor unfassbaren zwanzig Millionen Jahren das Solsystem verlassen hat: MEDUSA ...
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Seitenzahl: 154
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Nr. 2827
Medusa
Sie finden die verschollene Dunkelwelt – und die verlorenen Kinder der Erde
Christian Montillon
Auf der Erde schreibt man das Jahr 1518 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Menschen haben mit der Liga Freier Terraner ein großes Sternenreich in der Milchstraße errichtet; sie leben in Frieden mit den meisten bekannten Zivilisationen.
Doch wirklich frei ist niemand. Die Milchstraße wird vom Atopischen Tribunal kontrolliert. Seine Angehörigen behaupten, nur seine Herrschaft verhindere den Untergang, den Weltenbrand der Galaxis.
Der terranische Abenteurer Viccor Bughassidow ist an Bord seines Raumschiffs KRUSENSTERN unterwegs. Auf der Suche nach einem Heilmittel gegen die »Posbi-Paranoia« begegnet er den zurückgezogen lebenden Eyleshioni und findet die Fährte eines Planeten, der vor unfassbaren zwanzig Millionen Jahren das Solsystem verlassen hat: MEDUSA ...
Viccor Bughassidow – Der Multimilliardär und Abenteurer glaubt sich am Ende seiner Suche.
Jatin – Die Leibärztin Bughassidows betritt den Boden einer Dunkelwelt.
Marian Yonder – Der Kommandant der KRUSENSTERN bangt um das Leben seiner Tochter.
Voyc Lutreccer
»Medusa zu suchen, hat mein Leben verändert.
Medusa zu finden, hat mir die Erfüllung geschenkt.«
(Eintrag in Viccor Bughassidows Holotagebuch, später gelöscht)
Prolog
»Wenn ich groß bin, will ich einer der Unsterblichen werden.«
Auch mit seinen sechs Jahren wusste Viccor Bughassidow, dass das so nicht funktionierte. Was Estanilo-12 da sagte, war Unsinn, und dass er ein Freund war, änderte daran auch nichts.
»Und du?«, fragte Estanilo-12.
»Hm?«
»Was willst du werden, Viccor?«
»Archäologe.«
»Was willst du werden?«
»Weißt du noch nicht mal, was ein Archäologe ist?«
Estanilo-12 verschränkte die vier Arme vor der Brust. Das sah ulkig aus. Irgendwo über ihnen im dichten Blätterdach der Bäume keckerten Affen, als fänden sie das ebenfalls lustig. Im ständigen Surren und Streichen der Rhea-Zikaden war es fast nicht zu hören.
»Klar weiß ich das!«, sagte Estanilo-12. »Aber ausgerechnet du, Viccor? Warum willst du im Staub rumkriechen und altes Zeug suchen? Du bist doch reich!«
»Eben drum!« Mit dem Geld seiner Familie konnte er sich alles kaufen, aber nicht alte, verschollene Schätze. Wenn er die fand, war es seine eigene Leistung, nicht die seiner Vorfahren!
Eine Weile schwiegen die beiden Kinder und schnitzten an ihren Holzstöcken. Viccor war dabei nicht sonderlich geschickt, aber Estanilo-12 zauberte mit vier Klingen gleichzeitig gruslige Gesichter aus dem Holz. Er behauptete, dass so die Sternenhelden seines Volkes aussähen: die ersten Staniden, die vor zwölf Dutzend Generationen ins All aufgebrochen waren.
Viccors Messer rutschte ab. Er schnitt sich in den Daumen, fluchte und steckte den Finger in den Mund. Das Blut schmeckte süßlich und metallisch.
»Pass bloß auf!«, sagte Estanilo-12. »Sonst lockst du noch die Mücken an.«
Als ob es hier draußen nicht schon genug von den elenden Mistviechern gab! »Glaubsu, es machmir Spaß, michu schneidn?«, nuschelte er mit dem Daumen im Mund.
Wieder schwiegen sie.
»Aber Archälog... Ar...«, stotterte Estanilo-12 schließlich, »also, Archäologen sind komische kleine Männer, die nicht von dieser Welt sind!«
Wütend sprang Viccor auf seinen Freund zu, ließ das Schnitzmesser fallen und tippte ihm gegen eine der Nasen. »Ich bin nicht komisch und klein!«
Nicht von dieser Welt – diese Vorstellung hingegen gefiel ihm durchaus. Er wollte ganz bestimmt nicht auf Rhea versauern, wie es ihm seine superreichen Eltern vormachten. Das war zu langweilig! Nein, er würde sich ein eigenes Raumschiff kaufen, ein verrücktes und außergewöhnliches, und damit alte Schätze überall in der Galaxis suchen.
Vor allem irgendetwas Tolles, etwas Legendäres, das viele finden wollten und das keiner schaffte! Die Leute würden noch in zehntausend Jahren sagen, wenn sie vor einer riesigen Aufgabe standen: Ich werde den Viccor Bughassidow machen! Das sollte in Zukunft so viel heißen wie: Ich vollbringe das Unmögliche! Diesen Satz hatte er vor einer Woche in einer Trivid-Show gehört, und darüber hatte er lange nachgedacht. Ich vollbringe das Unmögliche! Das klang super.
Estanilo-12 schniefte. Seine Glubschaugen sahen aus, als müsste er gleich losheulen. Außerdem rieb er über die eine Nase. Die war offenbar sehr empfindlich.
»Komm!«, sagte Viccor, um ihn aufzumuntern. »Gehen wir nach Hause und essen was.«
Kurz darauf sausten sie mit dem Robotgleiter über den Urwaldwipfeln dahin. Der Autopilot funktionierte zuverlässig wie jedes Mal, das war Hightech vom Feinsten.
Nach dem Urwald folgten die Ebene, der Strand und der große See, bis endlich das riesige Anwesen von Viccors Familie in Sicht kam. Die Brückenhäuser der Stadt funkelten im Licht der untergehenden Sonne. Vereinzelt zogen Shuttles ihre Bahn wie träge Insekten.
Der Gleiter landete, die Kinder rannten übermütig ins Haus. Keiner der beiden dachte mehr daran, dass sie sich fast gestritten hätten.
Wie immer, wenn Estanilo-12 zu Besuch im Kontor der Bughassidows war, staunte er über den Prunk.
Direkt neben dem Eingang stand die mit Hyperkristallen gespickte Statue von Viccors Urururururgroßvater Anatol Bughassidow. Die Anzahl der Urs kannte er genau. Anatol war der Erste in der Familie gewesen, der richtig viel Geld gehortet hatte. Bestimmt tausend Mal hatte er sich das anhören müssen: Anatol hat es gemacht wie unsere Vorfahren damals auf Terra, in Russland! Die gehörten auch zu den Superreichen!
Seine Eltern waren irre stolz auf diesen Urahnen und vor allem darauf, dass sie ihre Familie bis in dieses sogenannte Russland zurückverfolgen konnten, obwohl Terra zwischenzeitlich entvölkert worden und durchs Universum gereist war.
Ja, und?
Viccor wäre lieber ins All geflogen, um sich alte Hinterlassenschaften, Ruinen von untergegangenen Zivilisationen und abgestürzte antike Raumschiffswracks anzuschauen! Wäre das nicht super, in einem alten Sporenschiff herumzulaufen oder auf Laires Ebene zu sitzen und die Beine ins All baumeln zu lassen?
»Ihr habt's so toll hier!«, rief Estanilo-12 und starrte auf die siganesischen Riesengoldteppiche.
»Hm«, machte Viccor. Er fand es eher langweilig. Und was nützten tolle Teppiche, wenn sie so wertvoll waren, dass es Prallfelder rundum gab und man keinen Fuß darauf setzen konnte?
Auf Teppichen musste man herumlaufen oder sich in den weichen Flor legen und eine Dokumentation über die Rätsel der Galaxis ansehen können. Es war einfach lächerlich, nur davor zu stehen und dabei entzückte Laute von sich zu geben! Wenn sie das Ding wenigstens an die Wand gehängt hätten. Aber nein, es musste auf dem Boden herumliegen und unnötig Platz wegnehmen.
Viccor wollte Abenteuer erleben, und irgendwann, das wusste er, würde er das auch! Vielleicht flog er mit dem terranischen Superschiff SOL in unbekannte Fernen. Beratender Astro-Archäologe Viccor B. sollte auf dem Schild an seiner Uniform stehen, mit großen roten Buchstaben, und wenn sie in irgendeinem antiken Labyrinth eines lange ausgestorbenen außerirdischen Volkes gefangen waren, würde er Perry Rhodan und Gucky erklären, wie sie alle wieder nach draußen kamen! Denn Wissen über vergangene Kulturen war wichtig. Das begriffen nur die wenigsten.
Einige Stunden später lag Viccor auf seinem Bett und schaute in die Dunkelheit. Estanilo-12 war geblieben und schnarchte blubbernd auf seiner Wasserpritsche. Immer wenn er eines seiner vielen Beine bewegte, gluckerte sie.
Der Jüngste der ehrwürdigen Familie Bughassidow hingegen konnte nicht schlafen. Er dachte an die Rätsel und Abenteuer, die dort draußen im Weltall auf ihn warteten.
All diese Millionen leuchtende Punkte in der Schwärze waren Sonnen! Und jede hatte eine Geschichte zu erzählen und ein Geheimnis zu verbergen.
Ein mentaler Schwaden
Die KRUSENSTERN fiel zurück in den Normalraum.
»Zielkoordinaten erreicht«, sagte Kommandant Marian Yonder.
»Endlich«, flüsterte Viccor Bughassidow. Dabei ging es ihm nicht nur um den siebentägigen Flug von Terra an diesen entlegenen Ort der Galaxis ... sondern darum, dass seine jahrelange Suche in den nächsten Stunden möglicherweise ein Ende fand. Seine Besessenheit davon, das verlorene Stück des Solsystems zu entdecken: Medusa, den Planeten, der einst zum Sonnensystem der Terraner gehört hatte.
Bughassidow tastete nach Jatins Hand. Die Bordärztin stand neben ihm in der Zentrale seines Schiffs. Sie ließ die Berührung zu, stieß aber gleichzeitig in einem kaum hörbaren Laut die Luft aus.
Man musste sie gut kennen, um darin Verblüffung wahrzunehmen. Wahrscheinlich, dachte Bughassidow, würde es keiner außer mir bemerken. Marian vielleicht.
Dass sie über diese zur Schau gestellte Nähe verblüfft war, wunderte ihn allerdings nicht. In der Öffentlichkeit spielten sie üblicherweise eher mit den Erwartungen der Besatzung. Die Wetten, ob Bughassidow und Jatin nun ein Paar waren oder nicht, wogten immer wieder hin und her. Sie beide amüsierten sich darüber. Ihm genügte es zu wissen, dass sie zusammengehörten, auf eine spezielle, erfreuliche Weise.
Er schüttelte die Gedanken ab. Es spielte momentan keine Rolle. Nicht wenn die Chance bestand, Medusa mit eigenen Augen zu sehen.
Wann baute sich endlich das Umgebungsholo auf? Wieso arbeiteten die Orter der KRUSENSTERN so langsam? Er wollte wissen, wie es dort draußen aussah!
In der Bughassidow-Kaverne auf dem Jupitermond Europa hatte er vor einer Woche nach jahrelanger Forschung mithilfe seiner Erkenntnisse bei den Eyleshioni einige Geheimnisse gelüftet und so die ungefähren Koordinaten ermittelt, an denen sich die verschollene Welt Medusa befinden musste.
Das größte Rätsel des Solsystems, dachte er. Die Aufgabe meines Lebens. Sie war fast erfüllt. Er fühlte sich, als könne er den Planeten bereits greifen.
Aber noch sah er nichts.
»Schon als Kind habe ich von diesem Augenblick geträumt, Jatin«, sagte er. »Ich war mir sicher, dass ich die großen Geheimnisse des Kosmos aufklären kann!«
Sie lachte, aber es klang geschauspielert. Wahrscheinlich war sie von der Situation genauso ergriffen wie er. »Als Kind«, meinte sie, »dachtest du bestimmt, du wirst das allergrößte Rätsel überhaupt lösen.«
»Für mich«, stellte Bughassidow klar, »ist Medusa das größte Rätsel. Die Geschichte des Heimatsystems der Terraner muss neu geschrieben oder besser ergänzt werden. Weil ich den verschollenen Planeten gefunden habe, der vor Jahrmillionen noch zum Solsystem gehört hat. Diese Mission wird mein Leben verändern. Es erfüllen.«
Mein Kindheitstraum wird wahr.
Ihre Hand löste sich von seiner. »Du bist zu jung, um schon jetzt deinen Höhepunkt zu feiern. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Vor dir liegt noch Großes.«
Er überlegte, was er antworten sollte, doch ein Holo baute sich funkensprühend auf und nahm ihm die Not, etwas zu erwidern. Das dreidimensionale Abbild zeigte ein Stück Weltraum – einen winzigen Teil des ewigen Vakuums, der allgegenwärtigen schwarzen Leere. Nur ferne Sterne funkelten darin. Kein Objekt in Reichweite der Nahortung ... und schon gar kein Planet.
»Die Massetastung liefert bislang kein Ergebnis«, stellte Marian Yonder überflüssigerweise fest. Nach einer kurzen Weile gestattete er sich einen in der Zentrale ungewohnt privaten Tonfall: »Wir finden Medusa, Viccor! Bald! Die Koordinaten haben uns nur annähernd ans Ziel gebracht. Es wäre ein Wunder gewesen, sofort fündig zu werden!«
Bughassidow nickte nur.
Ein Wunder.
Sie waren an diesen Ort gekommen, um es wahr zu machen. Nichts konnte ihn davon abbringen. Es mochten Horden von Tiuphoren auftauchen oder tausend kosmische Rätsel und Gefahren – er würde dafür sorgen, dass die KRUSENSTERN keinen Millimeter zurückwich!
»Es war doch klar, dass uns der Planet nicht einfach so in den Schoß fällt«, fuhr Kommandant Yonder fort. »Die Ziquama kannten nur den ungefähren Ort, an dem Medusa wieder materialisieren würde.« Oder Sheheena, wie der Planet in der zwanzig Millionen Jahre zurückliegenden Vergangenheit genannt worden war.
»Und jetzt?«, fragte Jatin.
Bughassidow rieb sich die Hände. »Wir suchen weiter. Drehen jeden Stein um und graben tiefer!«
Am liebsten hätte er genau das getan: Werkzeug in die Hand genommen und sich höchstpersönlich durch alle Schichten aus Erde und Zeit gewühlt, die das Geheimnis noch verbargen. In einer realen Ausgrabungsstätte wäre es so gelaufen. Aber im Weltall gab es andere Regeln. Er musste sich auf die Technologie der KRUSENSTERN verlassen, die den Raum im Umkreis von einigen Lichtjahren absuchte.
Damit sollte sich ein Objekt mit der Masse eines ganzen Planeten finden lassen.
Falls es sich tatsächlich in der Nähe befand.
Medusa war in grauer Vergangenheit mithilfe der phantastischen Möglichkeiten einer sogenannten Purpur-Teufe versetzt worden und hatte eine Reise durch Raum und Zeit angetreten. Nun musste der Planet eine Dunkelwelt sein, ohne das Licht der heimatlichen Sonne, etwa 38.000 Lichtjahre von Sol und damit dem Ursprungsort entfernt, 36.500 Lichtjahre oberhalb der Milchstraßenhauptebene im Halo.
Die Frage war, wann Medusa wieder materialisiert war und wie lange sich der Planet deshalb inzwischen vom Ort seines Auftauchens fortbewegt hatte. Es konnten Jahrhunderttausende sein ... Jahrmillionen ... oder nahezu jede andere denkbare Zeitspanne.
Mit einem Mal kam ihm ein Gedanke, so erschreckend, dass er ihn bislang wohl verdrängt hatte, obwohl er nahelag. Was, wenn Medusa bisher nicht materialisiert war? Wenn die Purpur-Teufe den Planeten noch weiter in die Zukunft geschickt hatte?
Er wollte nicht darüber nachdenken. Alles war Spekulation. »Wir schicken Sonden aus!«, befahl er.
»Tut das«, sagte Jatin. »Ich ziehe mich ins Labor zurück.«
»Aber du ...«
»Ich werde die Balpirol-Proteindirigenten weiter untersuchen. Wir haben das Problem der Posbi-Paranoia noch nicht gelöst, Viccor! Und das müssen wir, wenn wir die KRUSENSTERN ganz unter Kontrolle bekommen wollen.« Sie wandte sich ab. »Deine Suche in allen Ehren, aber ich gehe einer handfesten Aufgabe nach. Die Posbis an Bord zu heilen muss Priorität genießen, sonst wartet eine böse Überraschung auf uns. Und wir dürfen nicht vergessen, dass es prominente Gefangene an Bord gibt.«
»Du redest von Voyc Lutreccer und Meechyl? Sie können ...«
»Sie könnten uns mehr über das Posbi-Virus verraten«, fiel Jatin ihm ins Wort. »Sie haben daran mitgewirkt!«
»Schweigen sie weiterhin?«, fragte Bughassidow.
Jatin nickte. »Und sie werden nach allem, was passiert ist, garantiert nicht kooperieren.« Sie wandte sich ab, ging einige Schritte Richtung Ausgang. »Es sei denn, wir zwingen sie dazu. Denk mal darüber nach«, empfahl sie, ehe sie aus der Zentrale eilte.
Kurz sah Bughassidow ihr hinterher.
Natürlich musste Jatin ihre Forschungen fortführen, aber sie konnte ihm nichts vormachen. Sie verschanzte sich nicht nur darum in ihrem Labor. Sie floh auch. Vor der Erinnerung an das Implantat der Eyleshioni, das sie kontrolliert hatte und das vor allem Voyc Lutreccer mitverantwortet hatte.
Bughassidow konnte ihr deshalb nicht einmal einen Vorwurf machen. Im Prinzip handelte er genauso, indem er Zuflucht in seiner Arbeit suchte.
Er musste sich damit auseinandersetzen.
Musste mit Jatin sprechen.
Und mit den Gefangenen.
Später.
*
Die Sonden fanden nichts. Weder in den ersten Stunden noch in den beiden Tagen danach.
Viccor Bughassidow blieb in der Zentrale, bis er vor Müdigkeit fast zusammenbrach, gönnte sich viel zu wenig Schlaf, schlang ein kleines Frühstück und eine viel zu große Portion Aufputschmittel hinunter und eilte zurück zu seinem Beobachtungsplatz. Nur um zu erfahren, dass sich nichts geändert hatte, und um eine neue Schicht zu beginnen.
Irgendwann tauchten Madox Freeman und Madox Parzinger in der Zentrale auf ... oder das Duo Madox und Madox, wie viele sie seit Kurzem nannten. Die Bezeichnung konkurrierte noch mit dem doppelten Madox, den Teile der Besatzung auch in Erwägung zogen. Dass sie denselben Vornamen trugen, forderte zu derlei mehr oder weniger intelligenten Wortspielen geradezu heraus.
Die beiden Soldaten konnte Bughassidow momentan gar nicht gebrauchen und hätte sie am liebsten des Raums verwiesen. Aber er riss sich zusammen. Ihm war klar, dass er seinen Druck und seine Frustration nicht unkontrolliert weitergeben durfte.
Freeman und Parzinger waren an Bord gekommen, als Bughassidow mit Cai Cheung, der Solaren Premier, verhandelt hatte. Sie hatte ihnen den Auftrag erteilt, mit der KRUSENSTERN offiziell nach Medusa zu suchen.
Die beiden galten als Wachhunde und Helfer zugleich. Es fiel Bughassidow nicht leicht, ihre Rolle korrekt einzuschätzen, zumal sie nicht allein an Bord der KRUSENSTERN gekommen waren. Sie kommandierten eine Raumlandeeinheit der LFT, die aus einer Hundertschaft Raumlandesoldaten und Kampfrobotern bestand.
»Was wollt ihr?«, fragte Bughassidow bemüht höflich.
»Dir einen Lagebericht geben, was die Gefangenen angeht.«
»Ich höre, auch wenn ich anderes zu tun habe.« Hoffentlich war die Botschaft dahinter deutlich genug: Fasst euch kurz!
»Eigentlich«, sagte Madox Freeman, »gibt es nichts Neues zu berichten. Sowohl der Eyleshion Voyc Lutreccer als auch die Anoree Meechyl verhalten sich still. Sie scheinen sich in ihre Situation gefügt zu haben.«
Bughassidow konnte Freemans Eigenart, die Dinge allzu korrekt auszudrücken, nicht leiden. Er hielt es für einen typisch militärischen Spleen. »Ich weiß, welchen Völkern die Gefangenen angehören«, sagte er süffisant. »Aber wenn alles ruhig ist, warum ...«
»Weil wir an diese Ruhe nicht glauben«, unterbrach Madox Parzinger. »Die beiden spielen die Ergebenen lediglich. Sie planen einen Ausbruch.«
»Kümmert euch darum, dass das nicht passiert!«, forderte Bughassidow. »Details könnt ihr mit Kommandant Yonder absprechen.«
»Du bist dir bewusst, dass wir nicht deine Feinde sind?«, fragte Freeman. Die Art, wie er die Lippen verzog, sollte wohl ein Lächeln darstellen.
Bughassidow lächelte zurück. »Sicher. Sonst wärt ihr die Gefangenen.«
Madox und Madox wechselten einen raschen Blick. Sie sahen aus, als wollten sie noch etwas sagen, schwiegen aber und verließen die Zentrale.
Marian Yonder ging zu Bughassidow. »Du bist gereizt.«
»Seit wann bist du nebenbei Kosmopsychologe?«
»Ich bin dein Freund, das sollte genügen. Und als solcher sage ich dir, dass du Ruhe brauchst. Sobald wir Medusa finden, werden wir dich informieren. Geh schlafen, Viccor! Sprich dich mit Jatin aus oder ...«
»Was ich mit Jatin tue oder nicht tue, ist meine Sache!« Die Worte kamen schärfer, als Bughassidow es eigentlich wollte.
Yonder grinste. »Sicher. Und jetzt ruh dich aus.«
*
Nach einer weiteren unruhigen Nacht verwandelte sich das ursprüngliche Hochgefühl am 13. Mai 1518 NGZ schleichend in Frustration. Die Wände der Zentrale schienen auf Bughassidow zuzukriechen und ihn zerquetschen zu wollen. Er hatte das Gefühl, er müsste sie sprengen und das All eigenhändig nach Medusa durchsuchen.
Dieselbe Frustration spiegelte sich in Marian Yonders Mimik. »Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen, dass ...«
»Welchen Tatsachen?«, fiel Bughassidow seinem Freund ins Wort. »Es kann keine Rede sein von irgendwelchen Tatsachen!«
Yonder lächelte mild. »Ich weiß, was Medusa dir bedeutet. Es ist deine Lebensaufgabe, der du dich mit absoluter Hingabe widmest. Und an deiner Stelle würde ich ...«
»Du hattest auch eine Vision, Marian. Du wolltest deinen eigenen Posbi erschaffen. Immer wieder hast du daran gearbeitet. An ihm. An ihr. Und jetzt, da sie fertig ist, wie fühlst du dich? Bereust du irgendeine Sekunde, die du investiert hast?«
»Sieh dir Amaya an«, sagte Yonder. »Was könnte ich bereuen, all meine Energie in sie gesteckt zu haben?«
»Amaya Yonder«, murmelte Bughassidow. »Nennt sie sich nicht selbst so? Mit deinem Nachnamen. Was ist sie für dich?«
»Sie ist ... meine ... mein ...« Er stockte.
»Dein Geschöpf?«, schlug Viccor vor. »Deine Tochter?«
»Sie ist Vollkommenheit, auf ihre Art.« Marian Yonder lächelte kaum merklich. »Vielleicht verstehst du, was sie mir bedeutet, wenn ich es so ausdrücke. Sie ist für mich das, was für dich Medusa sein wird, wenn du den Planeten betrittst. Perfektion.«