Perry Rhodan 3162: Der Kammerpage der Kosmokratin - Christian Montillon - E-Book

Perry Rhodan 3162: Der Kammerpage der Kosmokratin E-Book

Christian Montillon

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Beschreibung

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. Was das genau bedeutet, weiß noch keiner. Die Völker der Galaxis beschließen unter dem Druck der Gefahr und der Erkenntnis ihrer eigenen Bedürfnisse, sich enger zusammenzuschließen. Aber Ziel des Chaoporters ist eine Installation der Kosmokraten: In deren Auftrag errichten die Yodoren eine Kosmozitadelle. Atlan erhält Zutritt zu dieser Baustelle und begegnet Erantoar. Er ist DER KAMMERPAGE DER KOSMOKRATIN ...

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Seitenzahl: 173

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Nr. 3162

Der Kammerpage

der Kosmokratin

In Mu Sargais Diensten – das Treffen mit einem Auserwählten

Christian Montillon

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1. Früher: Jenseits der Kälte

Zwischenspiel: Gegenwart

2. Früher: Wissbegierde

Zwischenspiel: Gegenwart

3. Früher: Telepathisch verbunden

Zwischenspiel: Gegenwart

4. Früher: Tiefe und Tiefen

Zwischenspiel: Gegenwart

5. Früher: Sextadim-Camouflage

Zwischenspiel: Gegenwart

6. Früher: Erkenntnis

Zwischenspiel: Gegenwart

Epilog

Journal

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.

Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.

Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu.

Was das genau bedeutet, weiß noch keiner. Die Völker der Galaxis beschließen unter dem Druck der Gefahr und der Erkenntnis ihrer eigenen Bedürfnisse, sich enger zusammenzuschließen. Aber Ziel des Chaoporters ist eine Installation der Kosmokraten: In deren Auftrag errichten die Yodoren eine Kosmozitadelle. Atlan erhält Zutritt zu dieser Baustelle und begegnet Erantoar. Er ist DER KAMMERPAGE DER KOSMOKRATIN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Erantoar – Der Kammerpage angelt. Und wartet.

Atlan – Der Arkonide folgt einer Einladung.

Iwán/Iwa Mulholland – Es fasziniert und ist fasziniert.

Der Kammerherr – Der Meister des Kammerpagen ist weniger auskunftsfreudig als erhofft.

Der Hafenmeister

Prolog

Ich angele.

Eine extrem langweilige Tätigkeit, aber ich muss zugeben, der Fisch – am offenen Lagerfeuer gebraten – entwickelt einen exzellenten Duft und Geschmack.

Außerdem bin ich überzeugt, dass meine Herrin genau das von mir wünscht: dass ich angele. Und wenn Mu Sargai, die Wunderbare, mir einen Auftrag erteilt, erfülle ich ihn. Ich bin ihr Kammerpage, ihr Wunsch ist mir Befehl.

Eines Tages, sobald ich meine Augen für immer schließen darf, hoffe ich darauf, dass sie mich zu sich holt, hinter die Materiequellen. Es muss herrlich dort sein, jenseits dieses alltäglichen Elends, der Kämpfe und der Unsicherheit. Ohne die Merkwürdigkeiten dieses Universums, die andere Wunder nennen.

Ich hebe den Blick.

Blitze zucken, ein Sturm tobt im Trichter. Ein Tier heult in der Ferne, vielleicht einhundert Meter über mir oder noch weitaus höher. Ich sehe etwas im Wind flattern, die Flügel blau und schwarz und gelb. Den Himmel erkenne ich nicht.

Aber ich harre aus, so lange, bis meine Aufgabe erfüllt sein wird, die die Kosmokratin in meine treuen Hände gelegt hat. Ich habe gerufen, schon vor Tagen, und mein Ruf ist weitergeleitet worden. Ich bin auf die Empfänger der Botschaft gespannt. Atlan, einen Arkoniden ... einen relativ Unsterblichen und auf besondere Weise einer von Mu Sargais Auserwählten. Und Mulholland, ein ... interessantes Exemplar der Spezies, die sich auf den Planeten Terra zurückverfolgen lässt.

Ich versuche zu verstehen, welches Gefühl in mir tobt, wenn ich an diese beiden denke. Neid? Ärger? Freude? Hass? Ehrfurcht? Eine Mixtur aus all dem und noch weitaus mehr?

Das Leben in den Niederungen ist eine Qual, nur erträglich durch meine Berufung in Mu Sargais Dienste.

Sholtoss, der Ort, an dem ich angele und warte, ist ein schrecklicher Planet. Ein Ort, wie dafür geschaffen, das Elend zu verlängern.

1.

Früher: Jenseits der Kälte

Ich spürte die Dehnung im Hals, als ich tief durchatmete. Die eiskalte Luft erfrischte mich. Ein belebendes Gefühl. Die Haut verfärbte sich schnell in der niedrigen Umgebungstemperatur.

Ich sah mich um. Wie von Lika Asano versprochen, hatte die Versetzung aus der Kobaltblauen Walze problemlos funktioniert. Nur an eines hatte der alte Yakonto nicht gedacht – überall lag Schnee, und meine Kleider waren alles andere als dick. Oder hatte er sehr wohl daran gedacht, es aber verschwiegen? War es seine Art von Rache dafür, dass er den Testflug der werftfrischen Walze ins Brakolasystem hatte lenken müssen, um mich abzusetzen?

Was soll ich dort?, hatte er mich gefragt. Nur deinetwegen kann ich den Kurs nicht frei bestimmen, weil du mich ausgerechnet dorthin zwingst! Weißt du überhaupt, wie selten eine neue Kobaltblaue Walze fertiggestellt wird? Weißt du, dass es so gut wie nie vorkommt, dass ein Yakonto einen Testflug leiten darf? Und weißt du, dass das vielleicht die einzige Gelegenheit in meinem Leben ist?

Die korrekten Antworten auf die drei letzten Fragen lauteten: Nein. Nein. Und nein. Aber ich hatte geschwiegen, in der Annahme, dass er das gar nicht hören wollte; ihm ging es nur darum, zu jammern und sich zu beklagen. Ein Verhalten, das ich bei vielen sogenannten Intelligenzwesen beobachtet hatte: Sie suhlen sich darin, wie schlecht es ihnen doch geht. So war es gekommen, dass ich ihn ohne ein weiteres Wort in seinem knallbunten mobilen Inspektionswürfel zurückgelassen hatte.

Und nun stand ich an der Nordspitze des einzigen Kontinents des vierten Planeten im Brakolasystem und fror.

Ein massiges sechsbeiniges Wesen mit grauem Zottelfell zog eine Spur durch den Schnee. Eine Wolke von Fliegen umschwirrte die herauspendelnde Zunge. Wahrscheinlich suchten sie die Körperwärme.

»Meine Herrin schickt mich!«, sprach ich ins Leere.

Es gab keine Reaktion.

»Und du solltest froh sein, Lika Asano, dass du einen Teil dazu beitragen konntest, einen von Mu Sargais Aufträgen zu erfüllen!« Natürlich hörte er mich nicht. Die Kobaltblaue Walze stand einige Zehntausend Kilometer entfernt, falls sie nicht bereits wieder beschleunigte.

Ich war auf mich allein gestellt.

Das Wesen drehte den Kopf zu mir und starrte mich aus vier Augen trübsinnig an, ehe es ein Grunzen von sich gab und weitertrottete.

Immerhin, dachte ich, greift es mich nicht an.

Dieser Gedanke lenkte meine Überlegungen an den seltsamsten Punkt dieser Mission: Ich hatte den Planeten vollkommen ungeschützt betreten. Kein Schutzanzug, keine Waffen, keine Technologie. Diese Bedingung war ein eindeutiger Teil der WEISUNG.

Nur gab es leider keinerlei Erklärung, wie es von diesem Ort aus weitergehen sollte. Ich wusste nur eins – ich fühlte mich nicht wohl. Für eine derartige Kälte waren Irosganten einfach nicht gemacht.

Ich ging bis zu dem Punkt, wo der Boden steil zum Meer hin abfiel. Wegen der Schneedecke konnte ich die Abbruchkante nicht klar sehen und blieb lieber einige Schritte zurück. Mindestens 50 Meter tiefer krachten die Wellen gegen Felsen und versprühten Gischt. Ein Absturz wäre gleichbedeutend mit meinem sicheren Tod.

Halb hatte ich gehofft, dort unten etwas zu entdecken, das mir weiterhalf; etwas außer dieser rauen und zerstörerischen Naturschönheit. Etwas, das mir zeigte, was als Nächstes geschehen sollte und was auf diesem Planeten auf mich wartete. Aber nein – es gab weder eine hoch technisierte Plattform noch ein sonstiges Refugium.

Immerhin gab es eine Ausnahme von der Regel, dass ich keine Technologie mit mir führen durfte – die Scheibe der WEISUNG war erlaubt. Also nahm ich sie aus meiner Gürteltasche und legte sie auf meinen flachen Handteller.

Ein Luftstoß wehte Schnee in mein Gesicht, ich wischte ihn mit einer beiläufigen Bewegung weg. Dabei gelangte etwas in mein mittleres Auge und brannte; ich blinzelte mehrmals und hielt es eine Zeit lang geschlossen, bis der Schmerz nachließ.

Ich aktivierte die Scheibe, obwohl ich kaum hoffte, beim nunmehr 17. Abspielen könnte ich ein Detail entdecken, das mir bislang entgangen war.

Ein Holopanorama baute sich zuerst in der Luft vor meinem Kopf auf und wuchs von dort rund um mich.

Mit einem Mal glaubte ich, im Grünen Festsaal zu stehen, jenem Ort, an dem Mu Sargai einst geboren worden war. Natürlich war es nur eine von vielen Legenden – denn wie könnte es den definierten Geburtsort einer Kosmokratin geben? Doch mir gefiel diese Geschichte seit jeher. In manchen Dingen kam es auf das Herz an, auf das Gefühl, und nicht darauf, was die Logik diktierte.

Eines der zahllosen Rätsel des Grünen Festsaals war seine Namensgebung. Bei meinem ersten Besuch dort war er blau gewesen, später gelb, himmelrot und einmal derart bunt, dass ich keine Bezeichnung dafür fand. Nur grün hatte ich ihn noch nie erlebt. Ich hatte geglaubt, es handelte sich um einen Übersetzungsfehler aus der Sprache der Mächtigen, aber all meinen Nachforschungen zufolge – und ich hatte mir dafür viel Zeit gelassen, über Jahrzehnte hinweg – lag kein derartiger Fehler vor.

Sah man von der Farbe ab, präsentierte sich der Festsaal stets gleich. Im weiten Raum wanderten spiralige Metallkonstruktionen umher. Sobald man sie berührte und sich gegen sie lehnte, blieben sie stehen und formten sich zu einer passenden Sitzgelegenheit. Ich hatte Arachnoide darauf sitzen sehen, Insektoide, tonnenförmige Exzentriker und sogar formlose Plasmawesen. Ich selbst jedoch hatte mich nie niedergelassen, denn es erschien mir wie ein Sakrileg, es mir an einem solchen Ort bequem zu machen.

Aus der wellenförmigen Decke, die mal zehn, mal 20 Meter über mir lag, ragten lichterfüllte Stäbe, die den Raum mit Helligkeit und Schatteninseln füllten. Aus den Zonen der Dunkelheit drangen die üblichen, sinnverwirrenden Melodien.

In der Luft lag der Geruch einer köstlichen Mahlzeit; köstlich für jedes Wesen, das den Grünen Festsaal betrat. Ich hatte einst einen Käferartigen gesprochen, der von wunderbarem Verwesungsduft sprach, während mich die herbste Fleischcremespeise lockte.

Und nun, in der Schneewüste des vierten Planeten des Brakolasystems, roch ich wieder jenes herrliche Aroma. Oder war es nur die Erinnerung an meine Besuche in dem echten Festsaal, die meine Sinne täuschte? Schließlich stand ich nur inmitten einer holografischen Nachbildung!

Eines jedoch bewirkte das Panorama ganz objektiv – die Eiseskälte meiner schneebedeckten Umgebung wich einer angenehmen Wärme wie von einem der wallenden Feuerseen meines Heimatplaneten. Meine Haut verlor die Kältefärbung, ich fühlte eine rieselnde, tanzende Entspannung auf dem Rücken.

»Erantoar«, sprach mich die Yodorin in der Aufzeichnung an, »ich überbringe dir eine Nachricht. Mu Sargai hat eine WEISUNG für dich.« Mit diesen Worten trat sie hinter einer der Metallkonstruktionen hervor – genau wie die 16 Male vorher, die ich die Botschaft abgespielt hatte.

Das vage arachnoide Wesen ging auf vier Beinen und streckte mir ebenso viele Arme entgegen. Die Finger bewegten sich unablässig. Die Linsenaugen glänzten wie geschliffene Türkise. Der Körper war in bunte, metallisch schimmernde Folien gewickelt. Sie nutzte die Sprache ihres Volkes, das Yod, das ich vor mehr als 100 Jahren in mühsamem Selbststudium gelernt hatte; eines der schwierigsten Idiome, die ich mir bislang angeeignet hatte.

Illustration: Swen Papenbrock

Ich vermutete, dass ich diese Yodorin kannte, ganz sicher war ich mir jedoch nicht. Auch nach all der Zeit fiel es mir schwer, Angehörige dieses Volkes voneinander zu unterscheiden.

Das Holopanorama reagierte auf meinen Standort; die Aufzeichnung der Yodorin wandte sich mir genau zu. »Die Kosmokratin ruft dich in einen neuen Dienst. Geh zum Brakolasystem, zum vierten Planeten.« Danach nannte sie exakte Koordinaten an der Nordspitze des Kontinents, an der ich nun stand, und teilte die Bedingung mit, dass ich nur ein einziges Stück Technologie mit mir führen durfte – eben die Scheibe der WEISUNG. »Dich erwartet eine bedeutungsvolle Aufgabe, der nächste Abschnitt deines Lebens.«

»Was soll ich dort tun?«, hatte ich beim ersten Ansehen gefragt, wohl wissend, dass das Panorama auf solche naheliegenden Fragen selbstverständlich reagieren konnte und nun bei jedem weiteren Aufruf erneut reagierte.

»Du bist berufen, Erantoar«, sagte sie und fügte etwas hinzu, das meine Frage zwar nicht beantwortete, das aber ...

... nun, es beantwortete sie doch, auf eine Weise, wie nur höhere Mächte und deren Abgesandte antworten können: »Mu Sargai sieht dich.«

Damit erlosch das Panorama.

Kein neues Detail, keine versteckte Botschaft, die nun erst, vor Ort, Sinn ergab. Nur die Kälte, die erneut meine Haut verfärbte.

Mir blieb also vorläufig nur eines – ich musste abwarten.

Oder?

Was erwartete Mu Sargai von mir? Geduldiges Ausharren in widrigen Umständen? Die Alternative wäre ein aktives Erforschen meiner Umgebung, um aus eigener Kraft den nächsten Schritt gehen zu können.

Beides erschien mir gleichermaßen logisch, und während Lika Asano als typischer Yakonto Wahrscheinlichkeiten errechnet hätte, entschied ich mich für einen anderen Weg. Wie hatte ich vorhin noch gedacht? Manchmal kam es eben nicht auf die Logik an, sondern auf das Herz. Und das diktierte mir, nicht einfach abzuwarten.

Ich stapfte los, folgte der Spur, die das Tier im Schnee hinterlassen hatte. Wo es herkam, gab es womöglich etwas; eine Höhle, Wärme, irgendetwas. Außerdem fiel es mir leichter, mich in diesem bereits ausgetretenen Pfad zu bewegen, und die eine Richtung war ehrlich gesagt so gut wie die andere, solange es keinerlei Hinweise auf ein mögliches Ziel gab.

Die Spur führte immer weiter geradeaus, stets in der Nähe der Abbruchkante entlang. Irgendwann, als mir die Beine wehtaten, blickte ich zurück. Mein Volk ist nicht gerade berühmt dafür, körperlich besonders ausdauernd zu sein, und ich bilde da keine Ausnahme. Dennoch hatte ich schätzungsweise fünf Tzsasok zurückgelegt. Eine beachtliche Leistung, aber – das musste ich zugeben – ebenso ein beachtlicher Unsinn, denn die Aktion hatte mich von den vorgegebenen Koordinaten weggeführt.

Ich drehte mich um und stapfte zurück.

Wieder an meinem Ankunftsort angekommen, blieb ich stehen und schaute mich um. Diesmal rief ich das Holo der WEISUNG nicht in der Hoffnung auf, einen bislang unentdeckten Hinweis zu entdecken, sondern schlicht deshalb, weil es vorhin die Umgebungskälte vertrieben und die Temperatur im Grünen Festsaal simuliert hatte.

Tatsächlich fühlte ich bald die angenehme Wärme.

Doch das half mir nur für den Augenblick weiter. Ehe aufs Neue die Yodorin das Wort ergreifen konnte, eilte ich zu ihr; ich kannte ja den Ort, wo sie auftauchte. »Ich bin hier!«, rief ich. »Und wenn Mu Sargai mich sieht, soll sie mir ein Zeichen geben.«

»So läuft das nicht«, sagte die Yodorin zu meiner Überraschung.

Offenbar war es mir gelungen, den Ablauf in eine andere Richtung zu lenken. »Ach nein?«, fragte ich.

»Nein.« Keine sehr hilfreiche Antwort.

»Was soll ich tun?«

»Hab Geduld.«

»Aber es ist kalt!« Der Einwand kam mir selbst lächerlich und unbedeutend vor; immerhin verkniff ich mir ein Und ich habe Hunger!

Mir schien es, als musterte sie mich eiskalt aus den vier edelsteinartigen Augen. »Hab Geduld!«, wiederholte sie, das Holo erlosch, und die Kälte kehrte zurück.

*

Also übte ich mich in Geduld. Was blieb mir anderes übrig?

Ich bewegte mich, lief hin und her, um – so gut es ging – dem Schnee und den eisigen Temperaturen zu trotzen.

Tat ich das Richtige? Wenn das von mir erwartet wurde, ergab wenigstens die Weisung, auf jegliche Technologie zu verzichten, einen Sinn. Schon mit einem einfachen Raumanzug könnte ich es mir bequem und warm machen. Ganz offensichtlich war aber exakt das nicht erwünscht.

Meine Müdigkeit nahm zu. Ich fragte mich, wie lange ich wohl wach bleiben konnte. Und ob ich überleben würde, falls ich einschliefe. Musste ich inmitten der Schneemassen nicht erfrieren und würde dann nie wieder aufwachen?

Hab Geduld!, dachte ich. Und: Mu Sargai sieht dich. Hatte sie Spaß daran, zuzusehen, wie ich erfror?

Nein!

Niemals!

Als ich versuchte, meine Finger zu bewegen, konnte ich sie nicht mehr krümmen. Sie schmerzten nicht, es war eher, als wären sie nicht vorhanden. Meine Haut war bleicher als je zuvor.

Ich erfror.

Ich wollte laufen, aber meine Beine knickten ein. Mit dem Gesicht fiel ich in den Schnee.

Der Gedanke an Widerstand regte sich irgendwo tief in mir, vorrangig jedoch empfand ich nur Gleichgültigkeit. Welch eine verlockende Vorstellung, einfach zu schlafen!

Wenigstens ...

... wenigstens ein ...

... ein bisschen.

Nur kurz, nur ...

*

»Ich weiß nicht, ob du es wert bist«, sagte eine Stimme.

Ich öffnete die Augen. Kein Schnee. Dafür lag ich inmitten eines grünen Raumes und amüsierte mich darüber, dass wenigstens in meinem letzten, tödlichen Traum der Festsaal die richtige Farbe aufwies.

Nur befand ich mich erstens nicht im Festsaal und – zweitens – träumte nicht.

»Bleib liegen!«, forderte die Stimme.

Den Sprecher sah ich nicht. Dafür wurde ich immer wacher, mein Verstand kehrte aus einem trägen, dunklen Sumpf zurück. Ich lag bequem auf einer weichen Unterlage. Die Decke lag etwa drei, vielleicht sogar vier Meter über mir. Ein Geflecht aus dünnen Rohren und Kabeln in allerlei Farben zog sich darüber. Manche leuchteten und erhellten den Raum.

Wobei ... nein! Ich blinzelte. Tatsächlich, ich hatte mich getäuscht. Es handelte sich nicht um Kabel, sondern um lange, wurmartige Wesen, die auf der Decke krochen und ihre Leiber bogen. Wann immer sie einander berührten, blitzte die Lumineszenz auf.

Ich sah mich um. An den Wänden reihten sich einfache Metallschränke, sämtlich geschlossen. Ich lag auf einer Pritsche oder einem Bett, etwa einen halben Meter hoch, und versuchte, mich aufzurichten.

Etwas legte sich auf meine Schulter und drückte mich zurück. »Warte noch ein wenig.«

Also stand der Unbekannte – die Stimme klang eindeutig männlich – hinter mir. Ich drehte den Kopf.

»Du bist ein Sorgore!«, entfuhr es mir.

Selbstverständlich hatte ich nie einen Angehörigen dieses Volkes getroffen, aber ich kannte Aufzeichnungen von legendären Kosmokratendienern wie Carfesch, Lissaro oder Inkadye. Einmal, so hieß es, habe Carfesch sogar meine Heimatwelt besucht. Ich ging stets davon aus, dass es sich dabei nur um eine Legende handelte, doch man wusste ja nie, und es war ein schönes Gefühl, sich vorzustellen, wie ...

»Und du bist ein Irosgant«, riss mich der Sorgore aus den Gedanken. »Wobei es wenig über uns aussagt, welchem Volk wir entstammen. Weder du noch ich haben für unsere Herkunft etwas geleistet oder sie uns ausgesucht.«

Mir kamen ungefähr ein Dutzend Fragen in den Sinn, und ich entschied mich für: »Wo bin ich, und wieso hast du mich gerettet? Das ... das hast du doch?«

»Es stimmt also, was man über die Irosganten sagt.«

»Was sagt man denn?«

»Dass sie neugierig sind.«

»Ohne meine Neugierde«, sagte ich selbstbewusst, »wäre ich nie so weit gekommen.«

»Wie weit denn?«

Bis in einen Raum mit einem Sorgoren, dachte ich. »Bis in die Dienste der Kosmokratin Mu Sargai.«

Der Sorgore gab ein leise knisterndes Geräusch von sich. Sein Körperbau war der eines Humanoiden. Selbst wenn ich mich hinstellte, wäre er immer noch ein ganzes Stück größer als ich. Seine Haut bestand aus strohfarbenen, achteckigen Plättchen – oder überdeckten diese Plättchen seine eigentliche Haut? Im breiten Kinn saß eine lippenlose Mundöffnung. Die Augen standen weit hervor, wie rötlich strahlende Kugeln seitlich am Kopf. Eine Nase gab es nicht, stattdessen bedeckte feines organisches Gewebe eine Atemöffnung; dieses Gewebe hatte auch das Knistern von sich gegeben, es zitterte leicht beim Atmen.

Da er nichts sagte, ergänzte ich: »Mu Sargai hat mir eine WEISUNG zukommen lassen und mich auf diesen Planeten geschickt.«

»Da irrst du dich. Es war nicht Mu Sargai.«

Die Worte verletzten mich wie eine Klinge.

»Sie steht nicht in direktem Kontakt mit all ihren Dienern«, fuhr der Sorgore fort. »Sie ist erhaben, weit entfernt und überall. Die Botschaft stammte von ihrem Kammerherrn.«

Nun, da sich endlich seine Hand von meiner Schulter zurückzog, setzte ich mich ruckartig auf. Ich ließ die Beine seitlich von der Pritsche hängen. »Von dir?«, fragte ich.

»Von mir.«

»Wieso hast du mich in die Einsamkeit geschickt? In die Kälte? Was soll ich hier?«

»Neugierde«, sagte er nur.

Ich stand auf. Meine Beine drohten nachzugeben, aber ich fand die Kraft, auf den Füßen zu bleiben. »Du kannst mich nicht einfach hierherzitieren und mich fast sterben lassen!«

»Da irrst du dich. Ich kann, denn ich habe es getan.«

»Dann schuldest du mir Erklärungen.«

»Ich schulde dir gar nichts. Ich bin der Kammerherr der Kosmokratin Mu Sargai!«

»Das gibt dir aber nicht die Erlaubnis ...« Ich brach ab und schwieg. Doch. Das gab ihm die Erlaubnis. Und wer war ich, um über seine Methoden zu richten? Ich entschuldigte mich für meine Worte, und obwohl ich ahnte, dass er mich erneut für meine Wissbegierde tadeln würde, fragte ich: »Was bedeutet es? Was ist deine Aufgabe als Mu Sargais Kammerherr? Hast du Zutritt zu ihr? Kannst du sie sprechen? Hast du sie jemals gesehen?«

»Finde es heraus!«, forderte der Sorgore mich auf.

»Wie?«

»Ich bin Mu Sargais Kammerherr. Sei du mein Diener, im Rang unter mir. Sei ihr Kammerpage.«

Nun gaben meine Beine doch noch nach. Ich setzte mich im letzten Moment, ehe ich gestürzt wäre. Jeder Ärger war verflogen, und alle Fragen hatten ihre Bedeutung verloren.

Zwischenspiel: Gegenwart

Die Erinnerung an mein erstes Treffen mit Spateese ist hell und weckt die Wärme großer Freude in mir.

Ja, damals hatten sämtliche Fragen ihre Bedeutung verloren, aber mit der Zeit waren sie zurückgekehrt und hatten an mir genagt, in mir gefressen, mich aufgezehrt. Wie lange hatte es allein gedauert, bis Spateese mir auch nur seinen Namen nannte. Und so vieles weiß ich immer noch nicht über ihn. Er behält die meisten Geheimnisse für sich, und trotzdem hat er mich auf einen erstaunlichen Weg geführt.