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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu. Während Rhodan dem Chaoporter nacheilt, versucht er, mehr über dieses Gebilde herauszufinden und hat über den Quintarchen Farbaud bereits tiefe Einblicke erhalten. Farbaud indessen ist längst wieder an Bord von FENERIK – ebenfalls wie Anzu Gotjian, die ein neues Leben beginnt. Sie wird DIE MEISTERSCHÜLERIN ...
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Nr. 3179
Die Meisterschülerin
In der Schule der Sextadim-Kanoniere – sie besucht das Quintardom
Christian Montillon
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1. Von einer Schnecke und einer Universität
2. In der Domäne der toten Quintarchin
3. Zerbrochen und mit neuem Ziel
4. Konkurrenz belebt das Geschäft
5. Angekommen
6. Chaotarchisches Studentenleben
7. Tatsachen
8. Die Geschichte eines Armes
9. Kreis/rot/fingerartig
10. Anzu wird geboren
11. Freundinnen
12. Historia des Todes
13. Das Tarlanar
14. Im Augenblick des Todes (1)
Epilog: Im Augenblick des Todes (2)
Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung Gharsische Standarte
Impressum
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2072 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem Jahr 5659 nach Christus. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.
Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien endlich erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.
Doch entwickelt sich in der kleinen Galaxis Cassiopeia offensichtlich eine neue Gefahr. Dort ist FENERIK gestrandet, ein sogenannter Chaoporter. Nachdem Perry Rhodan und seine Gefährten versucht haben, gegen die Machtmittel dieses Raumgefährts vorzugehen, bahnt sich eine unerwartete Entwicklung an: FENERIK stürzt auf die Milchstraße zu.
Während Rhodan dem Chaoporter nacheilt, versucht er, mehr über dieses Gebilde herauszufinden und hat über den Quintarchen Farbaud bereits tiefe Einblicke erhalten. Farbaud indessen ist längst wieder an Bord von FENERIK – ebenfalls wie Anzu Gotjian, die ein neues Leben beginnt. Sie wird DIE MEISTERSCHÜLERIN ...
Anzu Gotjian – Sie begrüßt neue Herausforderungen.
Farbaud – Der Quintarch begrüßt eine Tote.
Osh'gemta – Die Ausbilderin begrüßt einen Neuankömmling.
Tenagei
Durch Gewalt lässt sich niemand für die Tugend begeistern.
(Rahel Varnhagen von Ense, 1771–1833)
Prolog
Die Quintarchin ist tot! Es lebe die Quintarchin!
So tönten die Rufe durch die gesamte Domäne, meist im Umfeld der Trauerkarawane. Ja, das klang gut ... doch es war leichter gesagt als getan.
Farbaud saß auf der obersten Kante des höchsten Kristallgebäudes in ganz Kavykir und ließ die Beine baumeln. Der Boden lag etwa 250 Meter tiefer, schätzte er, und bei einem Sturz gäbe es genügend scharfkantige Verästelungen, dass man längst tot wäre, zerschnitten und blutig, ehe man unten aufschlüge. Man. Er selbstverständlich nicht. Aber selbst ein Quintarch genoss keine echte Unsterblichkeit, wie die Trauerkarawane jedem Lebewesen in Kavykir deutlich vor Augen hielt.
Ach, Schaschnar!
Schaschnar, die im Felsen!
Lange möge ihr Name im Gedächtnis bleiben, lange möge die Trauerkarawane sie beschreien!
Sie war schon seit einer Ewigkeit Quintarchin gewesen, ehe Farbaud in diesen Rang erhoben worden war. Ihn sich erkämpft hatte. Oder verdient. Welche Beschreibung zutraf, galt unter den Mächtigen im Chaoporter gemeinhin als Interpretationssache.
Farbaud hatte Schaschnar stets als ein auf ihre ganz eigene Art anmutiges Wesen empfunden, aber auch das ließ sich unterschiedlich beurteilen. Zu Lebzeiten war sie, wie passend, immer wie ein Felsen aufgetreten:
Langsam, jedoch beständig.
Unnachgiebig, jedoch stabil.
Störrisch, jedoch entschlossen.
»Die Quintarchin ist tot!«, tönte es gerade wieder aus dem Akustikfeld eines Trauerroboters, so laut, dass die Worte bis zur Spitze des Kristallgebäudes in die Höhe schwebten. »Es lebe die Quintarchin!«
Einige Kejis vollführten vor dem Leichnam die trägen Bewegungen des steinernen Balletts. Wenn sich Farbaud nicht täuschte, bewegte sich soeben ein Flügel um eine Winzigkeit. Oder flatterte nur eine schwarze Feder im Hitzewind?
Die Menge, die das Leichenfahrzeug begleitete, teilte sich in mehrere Lager. Die einen jammerten und klagten, andere schwiegen, dritte tobten ausgelassen. Diese riefen laut und kräftig, jene leise und traurig, dann wieder langsam und feierlich wie ein Trauerlied.
Da sich die Lager vermischten und nicht alle Bereitschaft zeigten, sonstige Haltungen zu akzeptieren, brachen stets aufs Neue Kämpfe aus. Die Trauerroboter schlichteten meist, doch da und dort eskalierte die Situation, und soeben rammten die Sänften einer kompletten Munuam-Meute einen Roboter, stießen ihn um, zerquetschten ihn zwischen sich. Im letzten Moment aktivierte die Maschine ihre Waffen. Ein Laserimpuls zerschnitt nicht nur einen Munuam, sondern tötete auch einen Künstler aus dem Reigen des Keji-Balletts.
Das steinerne Fahrzeug mit der Leiche der Quintarchin, das Gannalath, rollte unbeirrt weiter. Der Tänzer, der nun nie mehr seine träge Bewegung zu einem Ende bringen würde, fiel vor das Gefährt. Von ihm blieb kaum etwas außer einem eingewalzten Fleck, nachdem die Karawane weitergezogen war.
Farbaud blieb nicht viel Zeit. Er musste bald diese Domäne verlassen und sich wieder um das Problem kümmern, das mit den Namen Alaska Saedelaere und Gry O'Shannon gut umschrieben war. Er sprang in die Tiefe, aktivierte die Flugfunktion seines Anzugs und landete sanft direkt neben dem traurigen Überrest.
Der Anblick brachte ihn ins Nachdenken.
Es musste ein Ersatz gefunden werden für Schaschnar, die im Felsen. Der Ruf der Menge – Es lebe die Quintarchin! – erschien ihm wie Hohn ... denn exakt das war eben das Problem. Es gab keine lückenlose Nachfolge, und der Chaoporter benötigte mindestens genau diese, und das schnell.
Sonst blieb am Ende von all den ungezählten Milliarden Bewohnern und – ein unvorstellbarer Gedanke – von FENERIK selbst nicht mehr als das:
1.
Von einer Schnecke und einer Universität
Es sah ekelhaft aus, erschreckend und bizarr, aber die Berührung fühlte sich sanft an. Trotzdem lief Anzu Gotjian ein Schauder über den Rücken.
Reiß dich zusammen!, dachte sie. Es würde bald schlimmer werden als das. Wahrscheinlich viel schlimmer.
»Guten Tag«, sagte sie.
Vielleicht nicht gerade die intelligenteste oder passendste aller möglichen Äußerungen, aber ... nun, was sollte man sagen, wenn man einem vage schneckenartigen Geschöpf gegenüberstand, aus dessen Seite ein sehr menschlich anmutender Arm ragte?
Die Hand am Ende des Armes war schlank, sie wirkte feminin, zerbrechlich, gepflegt; die Haut hell, die Finger elegant gebogen, die Nägel kurz. Offenbar gab es in diesem kleinen Fluggerät, mitten im Chaoporter FENERIK, im Herzen des Feindeslandes, eine hervorragende Manikürestation. Zumindest für Schnecken.
Bei diesem Gedanken unterdrückte Anzu ein nervöses Lachen, denn das wäre wohl noch unpassender als eine pseudo-höfliche Begrüßungsfloskel.
Das Wesen antwortete nicht.
Oder doch?
War dieses Bild, das plötzlich über dem schleimigen Schneckenkopf auftauchte, eine Antwort? Was stellte es dar? Ein dunkler, leicht s-förmig gebogener Strich mit einer Verdickung am oberen Ende – neben einem kleinen, hellen Kreis.
So weit, so gut, das ließ sich klar erkennen, aber Anzu änderte die Frage, die sie an sich selbst richtete: Stellte das überhaupt etwas dar? War es Ausdruck einer Sprache, ein Versuch zu kommunizieren ... oder drückte es vielleicht aus, dass diese Schneckenkreatur soeben eine humanoide Frau fraß – und Anzu die nächste Position auf der Speisekarte bildete?
Willkommen im Chaoporter, dachte sie. Wo Träume wahr werden! Nur, dass es sich dabei um Albträume handelte.
Am Ende des Schneckenleibs saßen zwei dickere Fühler oder kleine Tentakel. Auch aus der Rückseite des gut zwei Meter langen Körpers ragte ein Aufsatz, fast wie eine Blume. Ja, auf seine Art war dieses Geschöpf schön, zweifellos, gerade dank der kräftigen, lila Umrandung.
Aber der Arm ...
... dieser Arm! Je genauer Anzu hinsah, umso mehr drehte sich ihr der Magen um. Den Blick abzuwenden, gelang ihr jedoch nicht, der Anblick war auf eine morbide Weise zu faszinierend.
»Fürchte dich nicht«, ertönte plötzlich eine Stimme, gesprochen in gutem, nahezu akzentfreien Interkosmo. Nur gab es keinen erkennbaren Sprecher dazu.
»Wenn ich wüsste, dass ich nicht gleich gefressen werde, könnte ich diese Empfehlung leichter umsetzen«, sagte Anzu.
»Gefressen?« Ein kurzes, abgehacktes Lachen. »Welch absonderliche Idee!«
Anzu deutete auf den Arm, der aus dem Scheckenleib ragte. »Ach?«
Sie hörte Schrittgeräusche hinter sich und drehte sich um.
Zum ersten Mal nahm sie ihre Umgebung richtig wahr; bislang war ihr Blick von der grotesken Schnecken-Arm-Kreatur gebannt worden. Der bizarre Anblick des lila gemusterten Kriechtiers, aus dem ein humanoider Arm hing, hatte sie zu sehr gefangen genommen.
Falls ihr Zeitgefühl sie nicht trog, hatte sich Anzu vor etwa zwei Minuten von ihren Begleitern getrennt. Der Quintarch Farbaud hatte drei Personen aus der RAS TSCHUBAI entführt – Alaska Saedelaere, Gry O'Shannon und sie selbst. Kaum im Chaoporter angekommen, hatte Farbaud dafür gesorgt, dass Anzu abgeholt wurde, von diesem kleinen Fluggerät, in dem sie sich nun aufhielt. Sie hatte gehört, wie sich das Eingangsschott hinter ihr geschlossen hatte, und bislang hatte sie als einziges Lebewesen an Bord das Schneckenwesen gesehen.
Nun trat ein Gharse auf sie zu. Er kam aus einem engen Korridor, der sich sehr steil nach oben bog; ein unmöglicher Winkel, um darin zu laufen. Aber wiederum zu wenig steil, um als Antigravschacht durchzugehen, der üblicherweise senkrecht aufragte.
Weil dieser Korridor und das ganze Schiff für eine Schnecke gebaut sind, begriff Anzu, um an den Wänden hinaufzukriechen.
Der Gedanke löste wieder einen Hauch von Ekel aus, eine Abscheu, die sie unwillkürlich die Hände zu Fäusten ballen ließ. Sie konnte Schnecken nicht leiden, und schon gar nicht solche, die Humanoide fraßen. Oder eben nicht, wenn sie dem Gharsen Glauben schenken wollte.
Trotzdem – hätte nicht ein hübsches Spinnenwesen auf sie warten können, mit acht klebrigen Beinen? Ihretwegen wäre auch ein intelligenter Kaktus mit giftigen Stacheln in Ordnung gewesen ... nur nicht das dort!
Aber zurück zur nüchternen Analyse: Dass die Wände aus glattem, mattsilbrigem Metall bestanden, passte gut zu ihrer Vermutung, dass dieses Schiff für Wesen errichtet worden war, die ebenso gut an den Wänden haften konnten wie auf dem Boden. Das galt für den Korridor wie für den Hauptraum, für den Untergrund, die Decke – für alles, wenn Anzu es genau nahm.
Dem Auge bot sich wenig Abwechslung.
Der Gharse setzte mit einem leise klackenden Geräusch auf. Er trug einen Raumanzug. Er war fast drei Meter groß, musste sich leicht ducken. Grundlegend humanoid, wirkte er wie alle Gharsen etwas verzerrt, als blickte man sie durch einen Hohlspiegel an. Die überlangen Beine nahmen zwei Drittel der Gesamtgröße ein. Silbrig-blaues Fell bedeckte den Körper, auch den ovalen Kopf.
»Niemand hat vor, dich zu fressen«, versicherte er.
»Diese Zusicherung kann ich übrigens aus vollem Herzen zurückgeben.« Anzu zeigte ein schmallippiges Lächeln. »Damit wären zumindest die grundlegenden Regeln der Höflichkeit erfüllt. Schauen wir mal, wie es weitergeht.«
»Ich vermute, das sollte eine humorvolle Äußerung sein?«
»Wenn du meinst«, sagte Anzu.
Der Gharse musterte sie, die Pupillen weiteten sich etwas. »Hm, hom«, machte er gedehnt. »Vergessen wir es. Farbaud, der im Glanz, hat uns einiges über dich berichtet und uns gebeten, sich um dich zu kümmern.«
»Euch?«
Der Gharse verneigte sich leicht und deutete auf das Schneckenwesen. »Genauer gesagt hat sich der wohlgeehrte Quintarch – lange möge er hofhalten, lange möge sein Schimmer den Weg erhellen – natürlich an Osh'gemta gewandt. Sie heißt dich an Bord dieses Schiffes willkommen.«
Illustration: Dirk Schulz
»Tut sie das, ja?« Anzu drehte sich der Kreatur zu. »Tust du das?«
»Sie kann dir nicht antworten«, sagte der Gharse. »Zumindest nicht auf eine Weise, die du schon verstehen könntest. Du wirst es lernen.«
Wieder entstand ein kleines, holografisch projiziertes Bild über dem Schneckenleib, in der Nähe der Kopftentakel: ein Dreieck, nein, eine Pyramide, vor deren Spitze verschiedenfarbige Punkte tanzten.
»Osh'gemta ist froh, dich zu sehen, und gespannt darauf, ob du Farbauds Vorab-Lob tatsächlich verdienst.«
»Und das siehst du hier?« Anzu deutete auf das Bild, das bereits wieder erlosch.
»Aber ja. Ash'sharal kommunizieren nie verbal. Ich stehe bereits lange in Osh'gemtas Diensten und habe gelernt, ihre Bildsprache exakt zu deuten.«
»Wie ist dein Name?«, fragte Anzu.
»Es ist überaus freundlich von dir, das zu fragen«, antwortete der Gharse, »doch mein Name tut nichts zur Sache.«
»Einverstanden. Meiner hingegen schon.« Sie straffte ihre Haltung. »Ich bin Anzu Gotjian.«
»Ich weiß.«
»Ach?«
*
Der Gharse bat, Osh'gemta zu folgen. Erst Sekunden später setzte sich das Schneckenwesen – die Ash'sharal – in Bewegung, sodass sich Anzu unwillkürlich fragte, was zuerst gewesen war, Osh'gemtas Wille oder der Hinweis des Gharsen.
Es ging erfreulicherweise nicht so langsam voran, wie von Anzu befürchtet. Den Vergleich mit einer terranischen Schnecke durfte sie offenbar nicht überstrapazieren. Tatsächlich bewegte sich Osh'gemta schnell und gewandt durch den Raum.
Es sah auf unbestimmte Weise elegant aus.
Trotzdem eklig, dachte Anzu halb trotzig.
Osh'gemta schob sich in den aufwärts führenden Korridor, glitt dort über die rechte Seitenwand.
Anzu sah skeptisch nach oben. »Ich glaube kaum, dass ich ...«
»Es ist für viele zu steil, ja«, fiel der Gharse ihr ins Wort. »Nicht, dass es häufig Besuch gäbe in diesem Beiboot. Du gestattest, dass ich dir helfe? Ich habe gelernt, an Bord zu manövrieren.« Er streckte ihr die Arme entgegen.
»Nur zu«, sagte Anzu schicksalsergeben.
Er umfasste sie, sie hing in seinem Griff, er kippte nach vorne, aber ehe sie stürzten, hoben sie ab. Der Raumanzug des Gharsen schleppte sie hinauf. Dabei bewegte er sich geschickt durch eine enge Kurve, zog seitlich weiter und trug seinen Gast.
Die Ash'sharal war ebenso schnell. Anzu sah sie auf einmal über sich, an der Decke kriechend.
So erreichten sie einen etwas größeren Raum, der sich gleichsam spartanisch präsentierte. An der gegenüberliegenden Wand gab es eine Mulde im Boden, weit genug, dass Osh'gemta komplett hineinkriechen konnte. Was sie auch tat. Nur noch die obere Hälfte ihres Körpers war zu sehen. Der Arm lag waagrecht abgestreckt, die Fingerspitzen tackerten einen raschen Rhythmus. Eine Ader pulsierte auf dem Handrücken, sie wirkte seltsam gelb in der blassen Haut.
Ein Symbol erschien auf die inzwischen bekannte Weise über den Kopftentakeln – ein roter Stern, von dem sich eine Zacke ablöste und vom Hauptgebilde entfernte.
»Osh'gemta wird starten«, übersetzte der Gharse.
»Gut. Und noch besser, wenn du mich loslassen würdest.«
»Entschuldige. Natürlich.« Er tat, wie ihm geheißen, und stellte Anzu ab.
»Wohin fliegen wir?«, fragte Anzu. »Du hast gesagt, dies wäre ein Beiboot. Kehren wir zum Mutterschiff zurück? Aber wir bleiben im Chaoporter, oder?«
»So viele Fragen.«
»Hättest du sie nicht, wärest du an meiner Stelle?«
»Das weiß ich nicht. Ich war noch nie in deiner Situation.«
Phantasie schien nicht sein Ding zu sein. Andererseits war Anzu auch noch nie in seiner Lage gewesen, worüber sie froh war.
Kurz erschien ein schwarzes Wirbeln über der Ash'sharal, in dem ein roter Punkt entstand, der sich zu einer Linie ausformte.
»Hm«, machte der Gharse, dem das nicht entging. »Osh'gemta teilt dir mit, dass dieses Beiboot zu einer Chaos-Bake gehört. Chaos-Baken dienen als Lotsen für FENERIK. Es sind die typischen Raumschiffe der Ash'sharal. Wenn du sie dir vorstellen willst – sie gleichen einem roten Stern.«
Anzu erinnerte sich an das Symbol über dem Schneckenwesen – ja, das schien durchaus logisch, falls es sich dabei um eine vereinfachende Darstellung der realen Form handelte.
»Die Gestaltung ist«, fuhr der Gharse fort, »nicht sehr phantasievoll.«
Und das sagte ausgerechnet er!
»Dieses Beiboot bildet eine Spitze unserer heimatlichen Chaos-Bake«, sagte er. »Und um deine andere Frage zu beantworten – nein, wir fliegen nicht dorthin zurück. Osh'gemta bringt dich wegen Farbauds Empfehlung zum Quintardom.«
»Aha«, sagte Anzu. Davon hatte sie nie gehört. Als der Gharse schwieg, weil er ihre Aufforderung offenbar nicht verstand, ergänzte sie: »Und was ist dieses Quintardom?«
»Deine Zukunft. Die Universität, an der du zur Sextadim-Kanonierin ausgebildet wirst. Falls es dir gelingt. Nur wenige schließen das Quintardom erfolgreich ab. Farbaud mag in höchsten Tönen von dir singen, aber Osh'gemta ist skeptisch.«
»Und sie kann das einschätzen?«
»Das will ich meinen. Sie ist die beste Ausbilderin, die das Quintardom je gesehen hat. Sie hat einige legendäre Sextadim-Kanoniere hervorgebracht. Wer weiß, vielleicht gesellst du dich in diesen Reigen.«
»Traust du es mir zu?«
»Das tut nichts zur Sache.«
Seine Bescheidenheit ging ihr auf die Nerven. »Und was glaubst du?«
»Nichts. Es gibt keine Basis für eine Vermutung, solange ich dich nicht besser kenne.«
Dem konnte Anzu nicht widersprechen. Sie zögerte, wechselte dann das Thema. »Wann starten wir?«
»Wir sind längst unterwegs.«
Anzu hatte nichts gespürt. Die Absorber dieses Beiboots arbeiteten offenbar perfekt.
2.
In der Domäne der toten Quintarchin
Tenagei entsann sich – es war lange her, als sie der Wunsch überkam, die Beste zu sein.
Die Meisterschülerin.
Osh'gemta hatte ihren Ehrgeiz bald erkannt – sie war eine raffinierte, mit allen Wassern gewaschene Ausbilderin. Sie sah Neulinge an und konnte sie nach Sekunden einschätzen. Natürlich blieb sie äußerlich stets ungerührt; so waren sie eben, die Ash'sharal mit ihrem kriechenden Schneckenleib und ihrer völlig undeutbaren Mimik. Falls sie überhaupt so etwas wie Mimik hatten. Was das anging, war sich Tenagei nach wie vor nicht sicher.
Sonst jedoch war sie sich nahezu aller Dinge sicher. Zum Beispiel ihres Status als Meisterschülerin, den sie sich nach acht Jahren im Quintardom erkämpft hatte und den sie inzwischen einen ebenso langen Zeitraum innehatte.
Bald!
Bald würde sie Phase fünf durchlaufen und das Quintardom als Sextadim-Kanonierin verlassen. Und zwar als die beste Kanonierin seit Ewigkeiten.
Sie wollte, dass sich Legenden um ihren Namen rankten. Dass man sich noch in Generationen an sie erinnerte.
Dass man in den Gängen des Quintardoms Dinge erzählte wie: »Heute haben wir vom Dritten Tenagei-Manöver an der Sextadim-Kanone gehört! Sie hat die Mannschaft eines gegnerischen Schiffs so gezielt psychisch punktiert, dass ein einfacher Koch nicht nur für den völligen Untergang gesorgt, sondern außerdem vier weitere Einheiten ins Verderben gerissen hat.«
Und dass sich bei den Zuhörern solche Begeisterung und Faszination ausbereitete, dass es nur noch einen Wunsch gab – so zu sein wie Tenagei.
Dass sie in Sprichwörtern vorkam.
Sie kauerte unter der ausladenden Krone eines Wirlag-Baumes und hielt mit den Flügeln ihren Leib umschlungen. Nun schob sie die angenehmen Gedanken beiseite, entfaltete die Flügel und stand auf.