Perry Rhodan 3280: Die knöcherne Stadt - Christian Montillon - E-Book

Perry Rhodan 3280: Die knöcherne Stadt E-Book

Christian Montillon

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Beschreibung

Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Vielleicht kann Perry Rhodan, der als erster Mensch auf Außerirdische gestoßen ist, endlich sein großes Ziel erreichen: Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Milchstraße – das Geisteswesen ist in Fragmente zersplittert worden, die sich an verschiedenen Stellen im Kosmos befinden. Eines dieser Refugien wurde bereits von dem Raumschiff TEZEMDIA und seiner Besatzung entführt. Während Perry Rhodan sich an die Verfolgung macht, ist Gucky in der Galaxis Wolf-Lundmark-Melotte auf der Suche nach einem anderen Fragment. Auf einer Eiswelt stößt er auf DIE KNÖCHERNE STADT ...

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Seitenzahl: 168

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Nr. 3280

Die knöcherne Stadt

In der Eishölle – er ist Botschafter der Kosmokarawane

Christian Montillon

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Das halbe Universum

1. Von Transrezeptoren und Imkerhüten

2. Dem Ende entgegen

3. Einen Unsterblichen retten

4. Am Rande des Abgrunds

5. Medice cura te ipsum

6. Der Fuchs lauert

7. Fachwissen

8. Zu spät

9. Finale in der Knochenstadt

10. Ein Haluter und eine Puppe

Epilog: Das Leben, die Freude und der Rest von alldem

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr.

Vielleicht kann Perry Rhodan, der als erster Mensch auf Außerirdische gestoßen ist, endlich sein großes Ziel erreichen: Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien.

Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.

Doch ES weilt nicht mehr in der Milchstraße – das Geisteswesen ist in Fragmente zersplittert worden, die sich an verschiedenen Stellen im Kosmos befinden. Eines dieser Refugien wurde bereits von dem Raumschiff TEZEMDIA und seiner Besatzung entführt.

Während Perry Rhodan sich an die Verfolgung macht, ist Gucky in der Galaxis Wolf-Lundmark-Melotte auf der Suche nach einem anderen Fragment. Auf einer Eiswelt stößt er auf DIE KNÖCHERNE STADT ...

Die Hauptpersonen des Romans

Gucky – Der Mausbiber bezahlt mit Leben.

Bouner Haad – Der Haluter erweist sich immer wieder als Trumpf.

Jamelle Halloran – Die Wissenschaftlerin begegnet dem Tod.

Salud Chu und Maxine Golden

Prolog

Das halbe Universum

Ich bin schon lange hier. Mein letztes Gespräch liegt Jahrhunderte zurück. Damals sagte ich dem Besucher, dass ich für diesen sehr speziellen Ort zuständig sei. Und das bereits für exakt die Hälfte der Zeit, seit er gegründet wurde.

Oder, anders gesagt, ich fühle mich, als lastete das Gewicht des halben Universums auf meinen Schultern.

Wie praktisch, dass ich die Form dieser Schultern verändern kann! Ich moduliere sie, je nachdem, wem ich gegenüberstehe, passe mich den Gesprächspartnern an. Natürlich gibt es dabei Grenzen, denn ich verdanke nicht etwa irgendwelcher Zauberei meine Existenz, sondern einer weit fortgeschrittenen, ausgefeilten Technologie. Wer mich aufsucht, soll sich geborgen und sicher fühlen.

Es fühlt sich eigenartig an, über den letzten Besucher nachzudenken. Ich kann mich kaum an ihn erinnern. Es war ein Insektoid – ohne Schultern, übrigens –, wenn ich mich nicht irre. Sobald ich die Augen schließe, kommt mir ein schillernder, roter Rückenpanzer in den Sinn, über den sich kreuz und quer dünne, bunte Stoffstreifen spannen. Die Stimme war dumpf und von einem tiefen, dröhnenden Basston unterlegt, der zwischen den Worten vibrierte. Sie klang schön, von einer einzigartigen Harmonie getragen. Ich vermisse sie.

Die meiste Zeit verbringe ich in dieser Halle und schlafe, wobei ich nicht sicher bin, ob es sich tatsächlich um Schlaf handelt. Vielleicht ... nun, vielleicht schalte ich mich auch ab.

Wer oder was ich genau bin, konnte ich nie ergründen. Das was in diesem Gedankengang erschreckt mich zutiefst. Ich will kein bloßes Ding sein, keine Maschine, egal, wie ausgefeilt und wunderbar ich gebaut worden wäre, falls es zutrifft.

Auf solche eigenartigen Gedanken kommt man wohl, wenn nichts um einen herum geschieht und man ständig um sich selbst kreist, wenn immer wieder dieselben Routinen durchlaufen werden.

Um mich abzulenken, mache ich mich auf den Weg, die Halle zu verlassen. Das letzte Mal liegt Jahrzehnte zurück.

Es ist kalt dort draußen in der vereinsamten Stadt, ich friere und sehe meinen Atem als Wolke davonziehen.

Dass ich überhaupt friere und atme, zeigt doch, dass ich lebendig bin. Oder? Ich habe mir bereits tausendmal den Kopf darüber zerbrochen. Es könnte sich ebenso gut um eine Simulation handeln, die mir einprogrammiert worden ist, damit ...

Ja, warum? Um mich zu täuschen? Sicher nicht. Wenn, dann eher, um meinen Besuchern das Gefühl zu geben, jemand habe sie erwartet. Jemand, und nicht nur etwas.

Ich setze mich auf einen Knochen und fahre mit den Fingern über die Oberfläche. Das Material fühlt sich morsch und porös an. Es fasziniert mich, dass es einmal gelebt hat oder doch Teil eines Lebewesens gewesen ist. Ich denke darüber nach, ein paar Minuten, Stunden, vielleicht Tage; Zeitspannen einzuschätzen, fällt mir immer schwer, ich verliere leicht den Überblick.

Nur in der Gesamtheit bin ich mir sicher: Ich trage bereits halb so lange die Verantwortung für diesen Ort, wie er existiert.

Seit einer halben Ewigkeit.

Als ich damals die Aufgabe übernommen habe, kannte ich die Geschichte dieses Ortes und wusste, wann der Übergang in Betrieb genommen worden war. Ich erinnere mich an mein Erstaunen darüber, wie lange es ihn bereits gab. Hätte man mir gesagt, dass ich ab diesem Moment noch einmal dieselbe Zeitspanne hier verbringen würde, hätte ich es nicht für möglich gehalten. Ein Dutzend Jahre, ja sicher, vielleicht sogar hundert oder tausend, aber ...

... aber die Wirklichkeit hat all das überholt. Sowohl diesen Ort als auch mich gibt es nach wie vor.

Ich stehe wieder auf und gehe durch die Stadt, durch die gewaltige Kaverne mit den leeren und toten Gebäuden. Ich stampfe immer weiter voran, setze einen Fuß vor den anderen, bis ich den Himmel sehe und umgeben bin von der ewigen, eiskalten Landschaft.

Plötzlich entdecke ich etwas, weit über mir, das normalerweise nicht an diesen Ort gehört. Ich greife in meine Tasche, hole ein kleines Gerät heraus und rufe Daten ab. Das Ergebnis ist eindeutig: Ein Raumschiff nähert sich der Planetenoberfläche. Nein, nicht nur eines.

Was das bedeutet, ist mir klar. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde ich Besuch erhalten, und es liegt an mir, zu entscheiden, ob ich sie weiterschicke an den Ort, den sie eigentlich suchen.

Aufregung erfasst mich. Es ist begeisternd, endlich wieder meiner Bestimmung folgen zu können. Oder, um in dem Bild zu bleiben, das mir nicht mehr aus dem Sinn geht: Die Last des halben Universums fühlt sich plötzlich viel leichter an.

*

Ich überlege, was die beste Vorbereitung wäre, als mir eine Bewegung auffällt, gar nicht weit weg. Etwas schiebt sich durch die Schneedecke über jenem Hang, der östlich der Knochenstadt aufragt. Ich betrachte es genauer. Die Art, wie sich dort ein kleiner Hügel bildet, der vorwärtsdrängt; wie es manchmal stoppt; wie dann ein wenig Schnee beiseite geschleudert wird und für einen Sekundenbruchteil – so kurz, dass man glauben könnte, es handelte sich um eine Täuschung – ein graues, haariges Bein zu sehen ist. Kein Zweifel, dort nähert sich eine Schneespinne, und zwar ein außergewöhnlich großes Exemplar.

Derlei Ärger kann ich nicht gebrauchen.

Ich wende mich ab, was mir gar nicht leichtfällt, weil der Anblick zugegebenermaßen faszinierend ist. Schneespinnen in dieser Größe sind nahezu nie anzutreffen, man sieht sie die letzten Jahrtausende nur noch sehr selten, im Gegensatz zu den Eisspinnen. Der Entwicklungszyklus dieser Art ist extrem eigenwillig. Es braucht exakte Temperaturverschiebungen, damit Leben in die zuvor jahrzehntelang ruhenden Eier kommt.

Ich gehe zurück zur Kaverne der knöchernen Stadt. Die Spinne wird weiterziehen, wenn sie bemerkt, dass ich verschwunden bin. Falls ich überhaupt ihr Ziel war. Ebenso gut könnte es sich um einen Zufall handeln. Zwar wittern diese Tiere Nahrung aus großer Entfernung, aber ...

Ich stocke in Gedanken und in der Bewegung. Nur wenige Meter vor mir ertönt ein Knacken und Schaben. Eine Eissäule, die mich weit überragt, zerplatzt. Eisbrocken krachen auf und schlittern auf mich zu. Sie stoßen eine zweite Säule an, es knackt, und sie kippt ebenfalls, zerbirst beim Aufprall.

Die Spinne ist da. Sie hat vor ihrem Angriff für Ablenkung gesorgt. Ich höre das Klackern ihrer Mandibeln, als sie sich auf mich stürzt. Ich sehe peitschende Beine und einen ledrigen, schlaffen, eingesunkenen Unterleib. Das Tier ist ausgehungert, hat lange keine Nahrung zu sich nehmen können. Das bedeutet, dass es schwach ist.

Den Beinen weiche ich mit einer schnellen Bewegung aus. Sie fallen auf das Eis, die Spitzen bohren sich hinein. Splitter zischen zu allen Seiten weg. Ich werfe mich herum und trete zu. Mein Fuß durchstößt eines der Beine. Es gibt einen hässlichen Laut, und die Extremitäten der Spinne zucken und wirbeln. Eines ihrer Beine reißt mich von den Füßen.

Die Cheliceren rasen heran. Fast erwischen sie mich am Arm. Das Gift wäre tödlich. Ich bäume mich auf, warte auf den richtigen Moment und stoße in die Höhe. Meine Arme bohren sich in den Leib. Ich fühle schleimige Wärme. Ein stinkendes Etwas klatscht mir auf den Oberkörper. Das Tier zuckt und gibt schabende Laute von sich, überall ist hastige Bewegung. Ich ziehe die Hände zurück, die immer noch im Körper der Spinne stecken. Zwischen den Fingern halte ich etwas Langes, Pulsierendes und zerreiße es.

Das Tier windet sich, dann knicken die Beine ein, und alles bleibt reglos.

Ich ekele mich vor der warmen Masse auf meinem Körper, aber zugleich wird mir klar, dass ich mich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt habe. Manchmal muss man sich überwinden und Hindernisse beiseiteschaffen, um die nächste Aufgabe zu erfüllen.

Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da Besucher auf dem Planeten eingetroffen sind. Wie lange sie wohl brauchen werden, um mich zu finden? Ob nur einer kommen wird oder eine ganze Gruppe?

Ich packe den Spinnenkörper an einem der reglosen Beine und ziehe ihn weg. So etwas Hässliches soll nicht bei der Stadt bleiben. Nach ein paar Hundert Metern entzünde ich den Körper. Solang er brennt, sinkt er in das Eis ein, bis das Schmelzwasser ihn löscht. In der Nacht wird Schnee fallen und alles bedecken. Schon morgen erinnert dann nichts mehr an diesen kleinen, bedeutungslosen Zwischenfall.

Ich gehe zurück in meine Halle und warte. Wenn die Ankömmlinge von mir wissen, kommen sie gewiss bald. Oder müssen sie suchen?

Wie auch immer, dass

1.

Von Transrezeptoren und Imkerhüten

»Elendes Chaos«, wisperte Gucky der Xenotechnik-Spezialistin Jamelle Halloran zu. »Wie soll ein armer Multimutant wie ich da bloß den Überblick behalten, um uns allen den Hintern zu retten?«

»Immer eins nach dem anderen, Gucky«, sagte Jamelle. »Immer eins nach dem anderen.« Ihr Tonfall klang leicht beschwörend, oder so, als sagte sie ein Mantra für sich selbst auf. Und tatsächlich kam es ein drittes Mal: »Immer eins nach dem anderen.«

Illustration: Swen Papenbrock

Eben hatten sie noch kämpfen müssen; die Vrochonen und ihre Stabroboter hatten Gucky, Jamelle Halloran und den Haluter Bouner Haad angegriffen. Dann war dieses holografische Etwas aufgetaucht, die dreidimensionale Würfelprojektion eines vierdimensionalen Tesserakts. Ein fremdes Wesen war in dem Gebilde materialisiert. Und dieser Neuankömmling wurde von Sekunde zu Sekunde stofflicher, realer, im körperlichen Sinn greifbarer, ebenso wie das Gestänge des Würfels rund um ihn.

Im Groben war das Wesen humanoid, mit leicht transparenter Haut, durch die sich Adern, Knochen und Organe abzeichneten; der Oberkörper blieb gänzlich unverhüllt, über den Beinen gab es eine Art Kleidung, allerdings war diese ebenfalls durchsichtig.

Der Fremde hatte sich als Shandasar Parpandum vorgestellt – ein Tasspare, der die Funktion eines Kundschafters der Kosmokarawane SHARIKAL erfüllte. Die wiederum eine Wegbegleiterin der Vagantin NADALEE sei und gekommen, um ES zu retten.

Das waren viele Informationen in wenigen Worten gewesen – nicht, dass Gucky damit irgendetwas anfangen konnte. So kosmisch das alles klang, es konnte ebenso gut das Gebrabbel eines Hochstaplers oder Wahnsinnigen sein.

Eines jedoch ging dem Mausbiber nicht aus dem Sinn. Der Tasspare und seine Kosmokarawane wollten ES retten?

Vor wem?

Und wie?

Es gab eine Menge Fragen zu klären. Aber wie hatte Jamelle es so schön ausgedrückt? Immer eins nach dem anderen.

Gerade wollte Gucky das Wort ergreifen, als Shandasar Parpandum aus dem Würfelgebilde trat. Die dicken, goldenen Stangen ließen ausreichend Platz. Sobald beide Füße auf dem Boden außerhalb standen, sagte der Tasspare: »Ich bitte darum, die Integrität des Transrezeptors zu respektieren.«

Klar, dachte Gucky. Noch ein neuer Begriff. »Du redest von ... dem da?«, fragte er und deutete auf das Würfelgestänge.

Shandasar Parpandum wandte sich ihm zu, kam einen Schritt näher, beugte leicht die Knie und den Oberkörper. Dabei ertönte ein leises Klingeln; es kam von verhornten Hautschuppen, die den Schulterbereich verdeckten. Auf dem unbehaarten Kopf saß ein eigenartiger Hut; ein breitkrempiges Etwas, von dem ein Netz baumelte. Es weckte in Gucky die Assoziation an einen Imkerhut, wie er ihn von Terra kannte.

Mit Perry Rhodans Sohn Michael, als dieser noch ein Junge war, hatte Gucky etwa zwei Jahre lang geimkert – Michael war ganz verrückt nach Bienen gewesen. Und erst recht auf den Honig. Löwenzahn, erinnerte sich der Mausbiber mit einem Stich von Wehmut, der in dieser Situation gänzlich unpassend war. Mike hat am liebsten den Löwenzahnhonig gegessen.

Als sich Parpandums Kopf nur noch knapp oberhalb von demjenigen des Mausbibers befand, blinzelte der Tasspare. Die großen Augen hatten goldene Iriden. Die Nase war flach, die Lippen violett. Ein biologisches Band zog sich um den Schädel, Gucky vermutete, dass es den Ohren entsprach.

»Das da«, sagte Shandasar Parpandum und äffte dabei Guckys flapsigen Tonfall nach, »ist der Transrezeptor, ja. Seine Funktion ist offensichtlich, nicht wahr? Und bitte, respektiert ihn. Ihr alle!«

Bei den letzten Worten richtete er sich wieder auf, der Blick huschte durch den Raum, ging rasch über Guckys beide Begleiter hinweg und blieb bei den Vrochonen hängen. »Keine Gewalt, bitte. Keine ... Schüsse.«

So angenehm seine Stimme klang, das letzte Wort wirkte angewidert. Er hob die rechte Hand; sie hatte sechs Finger, wobei die beiden äußeren als Daumen ausgebildet waren. Damit tippte er die Krempe des Imkerhuts an und strich darüber. Es sah gedankenverloren aus.

Die Vrochonen verharrten still, ihre Stabroboter ebenso. Ob sie sich wohl dasselbe fragten wie Gucky – nämlich, ob die Worte, so höflich sie formuliert waren, eigentlich eine Warnung darstellten, sich der Maschine besser nicht zu nähern, weil sie sich zu wehren wusste? Oder überinterpretierte Gucky es? Der Tasspare konnte ebenso gut bluffen. Womöglich gehörten derlei Äußerungen auch lediglich zum Brauchtum seines Volkes.

Gucky versuchte, die Gedanken des Fremden zu lesen. Im ersten Augenblick meinte er, es würde gelingen, völlig unkompliziert und unproblematisch, aber er irrte sich. Da war etwas, das er hatte sehen können, doch sobald er sich darauf konzentrierte, verschwand es wie hinter dichtem Nebel. Gucky war quasi blind. Und Nebel, das wurde ihm rasch klar, war nicht der passende Vergleich.

Erneut wagte er einen Versuch und fand diesmal von vorneherein nichts. Seine Erfahrung lehrte ihn, dass der Neuankömmling nicht mentalstabilisiert war, denn das hätte sich vertraut angefühlt. Damit ging er tagtäglich um. Der Mausbiber konnte es nicht konkret benennen, aber er zweifelte keine Sekunde daran, dass es eine andere Ursache gab. Etwas, das er so noch nie erlebt hatte.

Er lenkte seine Aufmerksamkeit weg und blitzartig wieder zurück.

Kein Nebel – ja, das war die falsche Assoziation. Ein Netz fing seine tastenden Psi-Kräfte ab ... ein dichtes Imkernetz.

Der Hut!

Das Bewusstsein des Tassparen war mit dem eigenartigen Hut verschränkt und dadurch vor einem telepathischen Zugriff geschützt.

Ob Shandasar Parpandum aufgefallen war, was Gucky versucht hatte? Jedenfalls zeigte der Fremde keinerlei Reaktion.

»Ich möchte mit dir reden«, erklang eine harte, befehlsgewohnte Stimme. Der Mausbiber erkannte sie sofort. Protoch war in den Raum gekommen, der Anführer der hiesigen Vrochonen.

Und damit, das war Gucky augenblicklich klar, verkomplizierte sich die Lage noch weiter.

*

Gucky, Jamelle Halloran und Bouner Haad befanden sich auf der Eiswelt Amboriand in der Galaxis Wolf-Lundmark-Melotte. Sie verfolgten die Spur eines Fragments der Superintelligenz ES – und das hatte sie in einen uralten, bislang verschollenen Posbiraumer verschlagen, der tief im Eis des Planeten begraben lag. In der BOX-11 hatten sie zuletzt einen Sextadimsender zerstört, ehe der Tesserakt mit dem Tassparen aufgetaucht war. Aber Gucky und seine beiden Begleiter waren nicht allein in das Schiff vorgedrungen. Einer ihrer Hauptgegner vor Ort war Protoch, der soeben mit einigen anderen Vrochonen und weiteren Kampfrobotern die Halle betrat.

Protoch ignorierte Gucky und die anderen. Er ging zu Shandasar Parpandum. Für einen Vrochonen war er mit knapp anderthalb Meter ungewöhnlich groß. Wie alle seiner Art war er ein dünner, fast knochiger Humanoide; die Augen dunkel, die Hände sechsfingrig.

»Ich heiße dich in dieser Galaxis willkommen, edler Tasspare«, sagte er. »Auch deine Kosmokarawane wird willkommen sein. Ich bin Protoch, ein Vrochone. Mein Volk zählt sich zum großen Wohltäter Kmossen, dem in den Schatten. Ich bin über deine Ankunft erfreut. Du hast erwähnt, dass deine Karawane hier ist, um ES zu retten. Das ist auch unser Anliegen – und darum bekämpfen wir die Feinde von ES, die Terraner und ihre Verbündeten.« Beiläufig wies er mit den knochigen Fingern in Richtung von Gucky und seinen beiden Begleitern. »Deine Ankunft hat einen solchen Kampf dankenswerterweise unterbrochen.«

Der Mausbiber wechselte einen schnellen Blick mit Bouner Haad. »Wir warten ab«, schlug dieser mit erstaunlich leiser Stimme vor – ein Haluterflüstern, wie man es selten hörte.

Gucky klopfte unruhig mit dem Schwanz auf den Boden, widersprach jedoch nicht. Zwar drängte es ihn, Protochs Lügen richtigzustellen, aber es konnte sich als klug erweisen, zunächst Shandasar Parpandums Reaktion abzuwarten und die allgemeine Entwicklung zu beobachten.

»Erzähl mir mehr über diese Feinde der Superintelligenz ES!«, forderte der Tasspare. Er ging die wenigen Schritte zurück zu dem Gestänge der Transportvorrichtung, die er als Transrezeptor bezeichnet hatte. Die zwölf goldenen Stangen, die die äußeren Kanten bildeten, waren Guckys Schätzung nach knapp vier Meter lang und armdick. Ob sich Parpandum dort wohl sicherer fühlte?

»Selbstverständlich«, sagte Protoch dienstbeflissen. »Die Terraner und ihre Verbündeten haben einen Stoßtrupp gegen ES gebildet – eine kleine, aber schlagkräftige, dabei strategisch gut geführte Streitmacht. Ihr Ziel ist die endgültige Vernichtung der Superintelligenz.«

Gucky wollte protestieren, doch ein Blick von Bouner Haad hielt ihn davon ab: Warten wir kurz ab. Das mochte stimmen – je klarer die Lügen auf dem Tisch lagen, umso deutlicher konnte man sie mit der Wahrheit zerstören.

»Diese Streitmacht«, fuhr Protoch fort, »hat sich selbst den Namen Club der Lichtträger gegeben.«

Nun hatten sie lange genug gewartet, entschied Gucky spontan, als der Zorn dank dieser neuen Frechheit überkochte. »Er lügt! Er verdreht die Dinge, indem er die Wahrheit auf den Kopf stellt. Der Club der Lichtträger ist ...«

»Arbeitet er etwa nicht gegen ES?«, fiel Protoch ihm ins Wort.

»Es ist eine Gruppe, die ...«

»Seid still!«, forderte Shandasar Parpandum. »Alle! Eines will ich klarstellen: Als Wegbereiter der Kosmokarawane bin ich nicht an kleinlichen Streitereien interessiert.«

Erneut versuchte Gucky, die Gedanken des Fremden zu lesen; wieder scheiterte er an dem Imkernetz. Früher oder später würde jemand diesem Phänomen einen griffigeren, wissenschaftlicheren Namen geben, aber der Mausbiber fand es überaus passend.

»Ihr werdet mir nun beide erklären, was dieser Club der Lichtträger ist. Nacheinander. Beginne!« Parpandum deutete auf Jamelle Halloran, die bislang geschwiegen hatte. Vielleicht hatte es dem Fremden imponiert, dass sie sich in die ihm verhassten Streitereien nicht eingemischt hatte.

»Wir Terraner unterstützen ES«, sagte die Xenotechnik-Spezialistin. »Wir versuchen, die Fragmente der Superintelligenz zu sammeln und sie erneut entstehen zu lassen. Der Club der Lichtträger, über den wir nur wenig wissen, sabotiert diese Bemühungen.«

Der Tasspare hob beide Hände vor den Brustkorb und legte die Finger übereinander. »Gut. Nun du, Protoch!«

»Sie verdreht die Tatsachen. Die Terraner geben diese Ziele offiziell vor, aber tatsächlich arbeiten sie an der völligen Vernichtung von ES. Der Club der Lichtträger ist eine Geheimorganisation in Diensten der Terraner, mit der sie ihre wahren Ziele zu erfüllen hoffen. Die Terraner sind eine undankbare Zivilisation. ES war ihr Gönner, doch sie haben sich abgewandt. Du willst einen Beweis? Sieh selbst! Die Terraner und ihre Verbündeten sind vor Ort durch diese drei Individuen vertreten. Was haben sie zuletzt getan? Den Sextadimsender zerstört, mit dem wir Vrochonen um Hilfe gerufen haben, damit ES gerettet werden kann. Deswegen bist du hier, Shandasar Parpandum, nicht wahr? Weil du den Hilferuf gehört hast?«

Der Tasspare legte eine Hand an eine der seitlichen Stangen des Transrezeptors. Wenn Gucky sich nicht täuschte, erklang in diesem Moment ein leises Summen. Vielleicht aktivierte er die transmitterartige Fähigkeit des Gebildes. »Warum versucht ihr Vrochonen, ES zu retten? Was liegt euch an der Superintelligenz?«