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4000 Jahre in der Zukunft ... Wir befinden uns in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie ein Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst. Perry Rhodan – der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat – wird noch immer von der Vision angetrieben, die ihn seit seiner ersten Begegnung mit Außerirdischen erfüllt: ein partnerschaftliches Miteinander aller Völker der Milchstraße zu erreichen. Aber seit geraumer Zeit hat er diesen Plan erweitert: Das »Projekt von San« soll auch die freundschaftlichen Kontakte zu anderen Sterneninseln und ihren Bewohnern intensivieren. Ein wichtiges Hilfsmittel dazu ist der PHOENIX. Doch der Jungfernflug des PHOENIX gerät zum Desaster: Die bisher im Verborgenen lauernde Shrell fordert von Perry Rhodan, mit dem PHOENIX in ihre Heimat zu fliegen und dort einen finsteren Usurpator zu töten: ausgerechnet Rhodans ältesten Freund, Reginald Bull. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, zündet sie dreimal ein »Brennendes Nichts«. Werden diese nicht gelöscht, werden sie nach vier Jahren die Erde und den Mond auflösen. Bevor Shrell die Milchstraße verlässt, will sie sich noch eines Problems entledigen. Dies ist DER CONDUIT ...
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Nr. 3303
Der Conduit
Hilfe für einen Terraner – die einzige Rettung führt in den Tod
Christian Montillon
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1. An Bord der ELDA-RON: Ein Opfer der Stille
2. An Bord der ELDA-RON: Der amputierte Mausbiber
3. Terrania: Ein bizarrer Plan
4. Verbindung (1): In der ELDA-RON
5. »Komm und hol uns!«
6. Aus der Asche
Epilog
Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung San-Klipper Prototyp PHOENIX
Impressum
4000 Jahre in der Zukunft ...
Wir befinden uns in der Mitte des 23. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung.
Die Menschen leben in Frieden und Freiheit. Von der Erde aus haben sie ein Netz aus Handelsbeziehungen und Bündnissen geschlossen, das zahlreiche Planeten in der Milchstraße umfasst.
Perry Rhodan – der Mann, der die Menschheit zu den Sternen geführt hat – wird noch immer von der Vision angetrieben, die ihn seit seiner ersten Begegnung mit Außerirdischen erfüllt: ein partnerschaftliches Miteinander aller Völker der Milchstraße zu erreichen. Aber seit geraumer Zeit hat er diesen Plan erweitert: Das »Projekt von San« soll auch die freundschaftlichen Kontakte zu anderen Sterneninseln und ihren Bewohnern intensivieren. Ein wichtiges Hilfsmittel dazu ist der PHOENIX.
Doch der Jungfernflug des PHOENIX gerät zum Desaster: Die bisher im Verborgenen lauernde Shrell fordert von Perry Rhodan, mit dem PHOENIX in ihre Heimat zu fliegen und dort einen finsteren Usurpator zu töten: ausgerechnet Rhodans ältesten Freund, Reginald Bull. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, zündet sie dreimal ein »Brennendes Nichts«. Werden diese nicht gelöscht, werden sie nach vier Jahren die Erde und den Mond auflösen. Bevor Shrell die Milchstraße verlässt, will sie sich noch eines Problems entledigen. Dies ist DER CONDUIT ...
Gucky und Sichu Dorksteiger – Der Ilt und die Ator tauchen auf und verschwinden.
Shrell und Atlan
Manche zerbrechen in Gefangenschaft.
Andere nutzen sie,
zum Guten oder zum Bösen.
– Sotho Tal Ker zugeschrieben –
Prolog
Perry Rhodan wusste, worauf es hinauslaufen würde. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er es von Anfang an gewusst – seit Shrell die Katastrophen ausgelöst und ihre bizarre Forderung gestellt hatte.
Töte Reginald Bull, sonst wird Terra untergehen!
Das war ein starkes Stück gewesen, eine entsetzliche Forderung. Aber die Tatsache, dass sich ungreifbare kugelförmige Zonen aus Nichts unaufhaltsam durch Terrania-City, Neu-Atlantis und Luna fraßen und während ihres Wachstums alles schluckten, verlieh ihr auf ebenso entsetzliche Weise Nachdruck.
Töte Reginald Bull, sonst wird Terra untergehen!
Das war der Kern von Shrells Befehl, und sie hatte die Koordinaten des Ortes, an dem Bully angeblich zu finden war, gleich mitgeliefert. Es gab keine Nachrichten mehr von Bully, seit er sich vor fast zweihundert Jahren im neutralisierten Chaoporter FENERIK auf den Weg in unbekannte Fernen gemacht hatte. Perry Rhodan hätte sich gewünscht, von seinem ältesten Freund nach so langer Zeit nicht ausgerechnet auf diese Weise zu hören.
Töte Reginald Bull, sonst wird Terra untergehen!
Shrells Informationen zufolge hielt sich Perry Rhodans bester Freund in 238 Millionen Lichtjahren Entfernung auf. Eigentlich zu weit, um dorthin zu reisen. Bis der Prototyp einer neuen, winzigen Schiffsklasse angekündigt worden war: der PHOENIX. Und selbst diesen hatte Shrell auf bislang nicht durchschaubare Weise aufwerten müssen, um diese Strecke zu bewältigen.
Und darum, das war Perry Rhodan von Anfang an klar gewesen, würde er mit dieser Nussschale auf die weite Reise gehen, nur begleitet von einer Handvoll Leuten. Es würde eng werden während der Reise, für die sie etwa ein Jahr einplanen mussten. Ein Jahr, in dem die Anomalien weitere Teile von Terra und Luna fraßen. Ein Jahr, an dessen Ende er Bully finden und töten musste.
Was er nicht tun würde.
Oder doch?
Nein, sagte er sich. Niemals.
Dann sah er vor seinem geistigen Auge die gewaltigen Kugeln aus Nichts, die seine Heimat fraßen, und ihm war klar: Wenn er selbst derjenige wäre, der sterben müsste, um Terra zu retten, würde er es tun. Er würde nicht zulassen, dass seine Freunde es taten, aber er würde einen Weg finden, an ihrer Stelle freiwillig in den Tod zu gehen.
Töte Reginald Bull.
Sonst wird Terra untergehen.
1.
An Bord der ELDA-RON: Ein Opfer der Stille
»Du könntest einfach so entkommen, nicht wahr?«, fragte Cameron Rioz.
Er starrte Shrell an, seine Entführerin; diese schlanke, humanoide, dunkle Gestalt, über die er vor allem eines wusste: Er hasste sie abgrundtief. Mehr, als er jemals jemanden gehasst hatte. Wobei Hass nie sein Ding gewesen war, sogar wenn er sehr selbstkritisch mit sich umging.
Shrell saß seit etlichen Minuten mit geschlossenen Augen im übergroßen Kommandantensessel in der Zentrale ihres Schiffes ELDA-RON. Im Metallboden und den Wänden lag ein feines Muster, wie gewebt. Kabel und Rohre verliefen unter der Decke; manches wirkte wie nach Zerstörungen auf fast primitive Weise zusammengeflickt.
Holos zeigten die Umgebung des Schiffes – das freie Weltall, in dem in der Ferne die winzigen Lichtpunkte von Sternen schillerten. Nur in einem war ein Teil der heimischen Sonne zu sehen, ein kleines, grelles Bogenstück des gewaltigen Feuerballs, von dem gerade eine Protuberanz abging. Im Holo wirkte sie eher unscheinbar, tatsächlich hatte sie einen größeren Durchmesser als die Erde.
Auf Camerons Worte hin öffnete Shrell langsam die Augen. Sie waren tiefrot, ein fast leuchtender Kontrast zu der schwarzen Gesichtshaut und der ebenfalls schwarzen Kleidung.
In einer Aufwallung kindischen Zorns hoffte Cam, dass er sie geweckt hatte. Vielleicht kannte ihre Art, die Leun, ja Kopfschmerzen, wenn man sie aus dem Schlaf riss. Mit etwas Glück handelte es sich um hämmernde, mörderische Kopfschmerzen.
»Du meinst, ob ich den Terranern und ihren Schiffen entkommen könnte?« Sie lachte. »Sicher. Es wäre kein Problem, aus diesem Sonnensystem zu fliegen, und sie könnten mich auf keinen Fall aufhalten. Es ist zwar ärgerlich, dass mein Schattenschirm immer noch von Aussetzern geplagt wird, aber ...«
»Und warum bist du dann noch hier?«, fiel Cameron ihr ins Wort. Er hörte sie nicht gerne reden. Nein, mehr noch: Er hasste es, ihr zuzuhören, und das umso mehr, weil sie ihn dazu zwang.
Sie gönnte ihm immer nur wenige Minuten Privatsphäre hinter undurchsichtigen Energiefeldern, damit er wenigstens nicht vor ihr auf die Toilette gehen musste – das war alles. Und während er sich erleichterte, das wusste er genau, wachten ein paar kleine, schwebende Roboter über ihn. Alles andere als entspannend. Aber das war eines der geringsten Probleme auf einer ziemlich langen Liste.
Meistens zwang sie ihn, in ihrer Gegenwart zu bleiben; auch sie selbst nutzte nur zu seltenen Gelegenheiten vergleichbare undurchsichtige Felder, die sie auch akustisch isolierte. Ständig umgaben Cameron energetische Kraftfelder, die er nicht überwinden, austricksen oder desaktivieren konnte. Er hatte es versucht, mehr als einmal. Ihm blieb ein gewisser Bewegungsspielraum, aber er konnte sich nie mehr als ein paar Schritte von Shrell entfernen. Als zusätzliche Absicherung gab es die Roboter. Wahrscheinlich würden sie ihn sofort narkotisieren – oder Schlimmeres –, falls er die Energiefelder eben doch überwand.
»Sag es mir, Shrell«, setzte er neu an, als sie nicht reagierte. »Warum haust du nicht einfach ab?«
Sie verzog den Mund. Das sollte wohl ein Lächeln sein. »Es ist unklug zu gehen, wenn man noch etwas zu erledigen hat.«
»Und zwar? Komm schon, rede mit mir! Ich bin seit zwei Tagen unablässig bei dir und ...«
»Und deswegen sind wir noch lange keine Freunde, Cameron Rioz.«
Nun war er es, der lächelte, und ein wenig fühlte er sich, als würde er in diesem Augenblick zu seinem alten Leben zurückfinden, zur alten Coolness als Cam-Cam, der Trividder, auf dessen neuesten Auftritt die Fans warteten.
»Freunde?« Die Vorstellung bedrückte ihn. »Darauf lege ich keinerlei Wert. Im Gegenteil. Ich bin nicht freiwillig hier. Wenn du meine Gegenwart leid bist, kann ich jederzeit dir und der ELDA-RON den Rücken kehren.«
»Du bist ein eigenartiges Wesen«, sagte sie.
»Ach? Dieses Kompliment gebe ich gerne zurück. Sind alle Leun so wie du?«
»Wie ich? Sicher nicht.«
»Warst du die ganze Zeit über in der ELDA-RON? Wie lange stand das Schiff bereits auf dem Raumhafen, ehe du aktiv geworden bist? Jahrzehnte? Warum hast du so lange gewartet?«
Natürlich wusste er genau, wie lange das Geisterschiff auf Terra geparkt hatte; er hatte eine Reportage darüber bringen und das eine oder andere Interview mit einigen Verwaltungsleuten führen wollen – was wurde wann und wie routinemäßig untersucht, wie wurden die Gebühren verbucht, wer hat wann das Schiff betreten, um Bürokratie zu erledigen ... solche Dinge. Cam wollte Shrell nun mit genau solchen Fragen überfluten, damit ihr unbeabsichtigt vielleicht die eine oder andere echte Information herausrutschte, die sie sonst nicht gegeben hätte.
»Wir sind nicht hier, um über mich zu reden«, sagte Shrell zu seiner Enttäuschung.
»Sondern?«
»Warte ab! Warum so ungeduldig?«
Weil er seit zwei Tagen in diesem Schiff festsaß und an Shrells Gegenwart gefesselt war wie eine lächerliche Marionette? Weil das Monster Shrell, das auf Terra so viele getötet hatte, unter anderem seine Freundin und seine Eltern, hier herumsaß und so tat, als wäre es irgendwie ... menschlich? Weil er keine Ahnung hatte, worauf all das hinauslaufen sollte?
»Vielleicht wäre es besser, du würdest mich einfach umbringen«, sagte er. »Hemmungen kennst du in dieser Hinsicht ja offenbar nicht.«
»Wenn ich dich hätte umbringen wollen, wärst du längst tot.« Sie stand auf; eine glatte, geschmeidige Bewegung. »Du bist viel zu wertvoll, Cameron Rioz.«
»Deswegen?«, fragte er und hielt seinen Armstumpf hoch.
Dort hatte er das Brennende Nichts berührt und seine Hand verloren. Es war eine schreckliche Amputation gewesen – wenn der Schmerz auch nur für wenige Sekunden angedauert hatte, ohne Blut und Wunde. Seitdem quälten ihn aber immer wieder Phantomschmerzen.
Eigentlich hätte Cam in gleichen Augenblick verpuffen müssen, in dem er das Brennende Nichts berührte: sich restlos auflösen, wie alle anderen, die dieser entsetzlichen Anomalie nahe gekommen waren. Einfach weg, von einem Moment auf den nächsten. Stattdessen war der Stumpf zurückgeblieben, und das hatte ihn zu einem sogenannten Conduiten werden lassen. Warum er nur die Hand verloren und überlebt hatte, wusste er nicht.
Jedenfalls hörte er seitdem unablässig ... etwas aus dem Brennenden Nichts. Stimmen. Sirenengesang. Es zerrte an seinen Nerven und trug nicht gerade dazu bei, dass er souveräner agieren konnte. Seit sie sich weiter von Terra und Luna entfernt hatten, war dieser unablässige Chor leiser geworden, aber verstummt war er nie. Ebenso wenig wie der Misston, den er seit der Begegnung mit dem zweiten Conduiten – Bonnifer – hörte und den dieser erzeugte. Wie immer das konkret vor sich ging und welche verdammten Überraschungen auf ihn warten mochten.
Was immer mit ihm geschehen war und weshalb die Anomalie ihn nicht getötet hatte – es machte ihn für Shrell wertvoll. Unwiderstehlich. Nur dass er nicht wusste, wieso. Weil er nahezu nichts wusste.
Und genau darin lag das Problem.
Darin, und in der Tatsache, dass er von einer skrupellosen Massenmörderin auf ihr Schiff entführt worden war und diese ihn zum Nichtstun in ihrer Gegenwart zwang.
Shrell stieß einen leisen Ton aus. Offenbar passte ihr etwas ganz und gar nicht.
Gut so!
»Was ist?«, fragte er in scheinheilig besorgtem Tonfall.
Sie zeigte sich ungewöhnlich offen: »Ein neuer Ausfall des Schattenschirms. Kein echtes Problem.«
Shrell wandte sich den Kontrollen zu und übernahm die Steuerung, setzte das Schiff in Bewegung. Die ELDA-RON beschleunigte und jagte zwischen von drei Seiten nahezu gleichzeitig heranrasenden terranischen Kugelraumern hindurch, die das Feuer eröffneten. Ohne in echte Gefahr gekommen zu sein, ging die ELDA-RON in eine nur eine einzige Sekunde andauernde Überlichtetappe. Sie standen nun in Höhe der Uranusbahn, gar nicht weit entfernt von dem gewaltigen Gasriesen, der sich ihnen scheinbar gemächlich näherte.
Illustration: Swen Papenbrock
»Der Schirm ist wieder aktiv«, sagte Shrell zufrieden. »Kein Problem.«
»Schade«, ätzte Cam. Er hielt seine Wut nur mit Mühe im Zaum. Und plötzlich wurde ihm etwas klar. Es war still – wunderbar still. Der Sirenengesang des Brennenden Nichts war so weit weg, dass er ihn kaum noch hörte. Fast konnte er ihn komplett ausblenden, wie ein fernes Hintergrundrauschen am Meer.
Es erleichterte ihn, und er kam sich vor, als könnte er klarer denken als seit jenem Zeitpunkt, in dem sich sein ganzes Leben in diesen entsetzlichen Albtraum verwandelt hatte. Eine gefühlte Ewigkeit nur, das war ihm klar; tatsächlich hatte er noch vor weniger als einer Woche ein normales Leben geführt. Was man eben so normal nannte. Mit einem Hobby, das er liebte. Mit Eltern. Und einer Freundin.
Bei dem Gedanken daran fühlte er Übelkeit in sich aufsteigen. »Ich mache dir einen Vorschlag«, sagte er.
Shrell zeigte keine Reaktion. Weder antwortete sie, noch sah sie ihn auch nur an.
»Ich habe es satt, tatenlos hinter diesen Energiefeldern festzuhängen. Du sagst mir, was du im Solsystem noch zu erledigen hast, und ich helfe dir dabei.«
»Auch wenn ich deine Hilfe weder brauche, noch du irgendetwas dazu beitragen kannst – du sollst es hören.«
Cameron versuchte, seine Überraschung über ihre Offenheit zu verbergen. Nur keine Reaktion zeigen, die sie aus ihrer plötzlichen Redefreundlichkeit reißen könnte.
»Es geht um Bonnifer. Er darf nicht in terranischer Gefangenschaft bleiben. Nicht nur, dass er all die Jahre dafür gesorgt hat, dass in der ELDA-RON alles funktioniert, zum Teil unter ... erschwerten Bedingungen. Nein, ein Conduit in den Händen der Gegner gefährdet außerdem meinen Plan.«
»Warum?«
»Cameron, Cameron. Man streckt dir den kleinen Finger hin, und du willst gleich die ganze Hand. Sagt ihr nicht so, ihr Terraner? Ihr habt eigentümliche Redewendungen. Ich glaube, ich müsste noch tausend Jahre auf eurer Welt bleiben, um alle einmal gehört zu haben.«
»Dann befrei ihn, damit das Elend ein Ende hat«, provozierte Cameron. »Oder bist du nicht mächtig genug?«
»Mächtig ...«, wiederholte sie gelassen, lehnte sich im Sessel zurück und schloss die Augen. »Was ist schon mächtig?«
*
Cam dachte über Shrells Worte nach – wie sollte man eine derart unbestimmte und pseudophilosophische Äußerung interpretieren? Das wäre schon bei einer Terranerin schwierig gewesen, bei einem Fremdwesen aus einem völlig unbekannten Kulturkreis erst recht. Während er noch versuchte, eine Antwort zu formulieren, stand sie auf.
»Sieh dir das an«, sagte sie. Mit einer schnellen Bewegung hob sie den Arm und wischte durch die Luft. Ein neues Holo formte sich. Es zeigte zwei Kugelraumer, die vor dem schwarzen Hintergrund des Weltraums flogen. Wenige Sterne leuchteten im Hintergrund. »Sie nähern sich uns.«
»Und?«, fragte Cameron.
»Sie orten mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Sie suchen, und zwar ganz gezielt.«
»Uns?« Cam verkniff sich ein Lächeln. »Die ELDA-RON?« Er beschloss, es mit einer erneuten Provokation zu versuchen. »Machen wir uns nichts vor – du gibst dich überlegen, aber wir sind auch nicht schlecht. Wir sind erfindungsreich. Perry Rhodan und ungefähr eine Million andere kluge Leute werden jeden Trick anwenden, um dein Schiff zu finden. Bei jeder Sichtung, bei jedem Flackern deines Schirms haben sie Daten gesammelt. Sie passen die Suchmethoden an. Sie werden irgendeine Hintergrundstrahlung deines Schutzschirms anmessen.« Er winkte ab. »Keine Ahnung, was es da alles gibt, ich bin weder Techniker noch Hyperphysiker, aber ich bin sicher, dass ...«
»Dass was?«, fiel Shrell ihm ins Wort. »Dass sie uns finden können?« Sie klang nicht im Geringsten unsicher, und das wiederum versetzte Cams ohnehin geschauspielerter Selbstsicherheit einen gewaltigen Schlag. »Träum weiter, Cameron!«
Die beiden Kugelraumer kamen näher. Sie flogen im Kriechtempo. Folgten sie tatsächlich einer Spur? Oder handelte es sich um einen reinen Zufall, weil es Tausende solcher Suchkommandos gab? Es konnte sogar sein, dass diese Aktion überhaupt nicht mit der ELDA-RON in Verbindung stand.
Dennoch wollte Cam die Hoffnung nicht aufgeben. Es wäre wie ein Schlag mitten in Shrells überhebliches Gesicht. Er konnte gar nicht in Worte fassen, wie sehr er es ihr gönnen würde.
Die Schiffe stoppten.
»Wie weit sind sie entfernt?«, fragte Cam, denn das Holo blieb derlei Daten schuldig.
»Hunderttausend Kilometer«, antwortete sie.
Das klang verdammt viel, war aber im All eine vernachlässigbare Entfernung. Wenn die beiden Kugelraumer wieder Fahrt aufnahmen und sich weiter näherten, wäre das ein Beweis dafür, dass sie irgendetwas orten konnten.
Cams Herz schlug rascher. Wie würde Shrell reagieren, falls es tatsächlich dazu käme? Eine weitere Flucht, eine neue kurze Überlichtetappe? Diese Methode verlor in genau dem Augenblick jeden Sinn, wenn die ELDA-RON tatsächlich aufgespürt werden konnte. Also stellte sich die Frage, über welche Bordwaffen das Schiff verfügte. Konnte Shrell die beiden Raumer angreifen und womöglich in einem Blitzangriff zerstören? Skrupel kannte sie in dieser Hinsicht wohl kaum – nicht nach den Katastrophen, die sie auf Terra und Luna ausgelöst hatte.
Cams linke Handfläche wurde feucht. Er merkte es erst, als ihm bewusst wurde, dass er mit den Fingern am Armstumpf nestelte. Er ärgerte sich, Shrell dieses Zeichen seiner äußeren Nervosität gegeben zu haben.
Die beiden Kugelraumer starteten.
Und entfernten sich.
Shrell lachte.
Und zum ersten Mal seit zwei Tagen verließ sie den Raum, ohne Cam durch die Fesselfelder dazu zu zwingen, sie zu begleiten.
*
Sie kam nach wenigen Minuten zurück, und sie trug zumindest teilweise andere Kleidung – wieder tiefschwarz, aber nun lagen ihre Hände frei und wurden nicht wie der Rest des Körpers von dem knallengen Anzug bedeckt. Die Haut war tiefschwarz, genau wie die ihres Gesichtes.
Die rechte Hand jedoch musste sie irgendwann verloren haben. Sie trug eine Prothese, eine metallene Robothand.
Konnte das Zufall sein? Auch Cameron selbst hatte eine Hand verloren, als er das Brennende Nichts berührt hatte – die Phantomschmerzen erinnerten ihn jede einzelne Sekunde daran. War es Shrell einst genauso ergangen? Oder gab es eine andere Erklärung für diese bizarre Übereinstimmung?
Cam versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Shrell ging mit keinem Wort darauf ein, und sie schien auch nicht speziell auf seine Reaktion zu achten. Vielleicht war es für sie so selbstverständlich, dass sie keinen Gedanken daran verschwendet hatte.
»Nun, da klar ist, dass du in der ELDA-RON sicher bist, wiederhole ich mein Angebot«, sagte Cameron. »Ich helfe dir, Bonnifer zu befreien.« Was er natürlich nicht tun würde. Er hoffte, dass er im Zuge einer möglichen Aktion, wie immer diese aussehen würde, auf sich aufmerksam machen konnte. Fliehen konnte.
»Verkauf mich nicht für dumm«, sagte sie kalt.
»Wieso ...«