Plötzlich Fee - Julie Kagawa - E-Book
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Plötzlich Fee E-Book

Julie Kagawa

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Beschreibung

Eiskalt, wunderschön und gefährlich – Julie Kagawas Feen ziehen dich in ihren Bann!

Schon immer hatte Meghan das Gefühl, dass irgendetwas in ihrem Leben nicht stimmt. Aber als sie an ihrem sechzehnten Geburtstag einen geheimnisvollen Jungen entdeckt, der sie aus der Ferne beobachtet, muss sie erkennen, dass ein besonderes Schicksal auf sie wartet. Doch nie hätte sie geahnt, was wirklich dahintersteckt: Sie ist die Tochter des sagenumwobenen Feenkönigs, und nun gerät sie zwischen die Fronten eines magischen Krieges. Wie weit ist Meghan bereit zu gehen, um ihre Freunde, ihre Familie und ihre Liebe zu retten?

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Seitenzahl: 2642

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Das Buch

Schon immer hatte Meghan das Gefühl, dass in ihrem Leben etwas nicht stimmt. Als sie sechzehn wird, erfährt sie die schockierende Nachricht: Sie ist die Tochter des sagenumwobenen Feenkönigs Oberon, und nun gerät sie zwischen die Fronten eines magischen Krieges. Wie weit ist Meghan bereit zu gehen, um ihre Freunde, ihre Familie und ihre Liebe zu retten?

Erstmals alle vier »Plötzlich Fee«-Romane in einem Band – enthält »Sommernacht«, »Winternacht«, »Frühlingsnacht« und »Herbstnacht«

Die Autorin

Schon in ihrer Kindheit gehörte Julie Kagawas große Leidenschaft dem Schreiben. Nach Stationen als Buchhändlerin und Hundetrainerin machte sie ihr Interesse zum Beruf. Mit ihren Fantasy-Serien »Plötzlich Fee« und »Plötzlich Prinz« wurde sie rasch zur internationalen Bestsellerautorin. Nach mehreren anderen Romanen kehrt sie mit »Plötzlich Rebell« in ihre bekannteste Fantasy-Welt zurück. Julie Kagawa lebt mit ihrem Mann in Louisville, Kentucky.

Julie Kagawa

Die Saga in einem Band

Übersetzt von Charlotte Lungstrass-Kapfer

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgaben: THE IRON FEY: THE IRON KING (1), THE IRON DAUGHTER (2), THE IRON QUEEN (3), THE IRON KNIGHT (4)Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 10/2021

Copyright © 2010, 2011 by Julie Kagawa

Copyright © 2021 dieser Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

unter Verwendung von Shutterstock.com

(nikiteev_konstantin, Montreeboy, mamita)

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27669-0V001

www.heyne.de

Inhalt

SOMMERNACHT

WINTERNACHT

HERBSTNACHT

FRÜHLINGSNACHT

DAS GEHEIMNIS VON NIMMERNIE

SOMMERNACHT

ERSTER TEIL

Der Geist im Computer

Vor zehn Jahren an meinem sechsten Geburtstag verschwand mein Vater.

Nein, er ist nicht abgehauen. Das würde ja bedeuten, dass er seine Koffer gepackt hätte, dass Schubladen plötzlich leer gewesen wären und dass ich von ihm, wenn auch verspätet, Geburtstagskarten mit einem Zehndollarschein darin bekommen hätte. Abhauen würde auch bedeuten, dass er mit Mom und mir nicht mehr glücklich gewesen wäre oder dass er irgendwo anders eine neue Liebe gefunden hätte. So war es aber nicht. Und er ist auch nicht gestorben, denn davon hätten wir gehört. Es gab keinen Autounfall, keine Leiche, keine Polizisten, die am Tatort eines grausamen Mordes herumgestanden hätten.

Es geschah in aller Stille.

An meinem sechsten Geburtstag nahm mein Vater mich mit in den Park, was damals einer meiner Lieblingsplätze war. Es war ein verschwiegener kleiner Park mitten im Nirgendwo, mit einem Pfad für Jogger und einem trüben grünen Teich, der von Nadelbäumen umgeben war. Wir standen am Ufer und fütterten die Enten, als plötzlich auf dem Parkplatz hinter dem Hügel die Glocke eines Eiswagens bimmelte. Ich bettelte meinen Dad an, mir ein Eis zu kaufen. Er lachte, gab mir ein paar Scheine und ließ mich zu dem Wagen laufen.

Da habe ich ihn das letzte Mal gesehen.

Als die Polizei später die Gegend absuchte, entdeckten sie am Ufer seine Schuhe, sonst nichts. Sie haben Taucher in den Teich geschickt, aber der war kaum drei Meter tief, und auf dem Grund fanden sie nur Zweige und Schlamm. Mein Vater war spurlos verschwunden.

Noch Monate später hatte ich immer wieder diesen Albtraum, in dem ich oben auf dem Hügel stand, hinunterschaute und sah, wie mein Vater in den Teich watete. Sobald das Wasser über seinem Kopf zusammenschlug, hörte ich das Lied des Eiswagens im Hintergrund – eine schleppende, unheimliche Melodie mit einem Text, den ich nicht richtig verstehen konnte. Jedes Mal, wenn ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren, wachte ich auf.

Kurz nachdem mein Vater verschwunden war, zog meine Mutter mit mir in ein winziges Nest mitten in den Sümpfen von Louisiana. Mom sagte, sie wolle »ganz neu anfangen«, aber tief in mir drin wusste ich immer, dass sie vor irgendetwas davonlief. Es sollte allerdings noch zehn Jahre dauern, bis ich herausfand, wovor.

Mein Name ist Meghan Chase.

In weniger als vierundzwanzig Stunden werde ich sechzehn Jahre alt.

Sweet Sixteen. Das hat etwas Magisches. Mit sechzehn werden Mädchen angeblich zu Prinzessinnen, verlieben sich, gehen auf Bälle und all so was. Unzählige Geschichten, Lieder und Gedichte wurden über dieses wundervolle Alter geschrieben, in dem ein Mädchen seine wahre Liebe findet, die Sterne nur für sie leuchten und der umwerfend gut aussehende Prinz mit ihr in den Sonnenuntergang reitet.

Ich glaubte nicht, dass es bei mir so laufen würde.

Am Tag vor meinem Geburtstag wachte ich auf, stellte mich unter die Dusche und wühlte dann in meinem Kleiderschrank, um etwas zum Anziehen zu finden. Normalerweise hätte ich mir das nächstbeste, halbwegs saubere Teil geschnappt, das auf dem Boden herumlag, aber heute war ein besonderer Tag. Heute war der Tag, an dem Scott Waldron mich endlich bemerken würde. Ich wollte perfekt aussehen.

Allerdings war die Abteilung für angesagte Klamotten in meinem Schrank hoffnungslos unterbesetzt. Während andere Mädchen stundenlang heulend vor ihrem Kleiderschrank verbrachten, weil sie sich nicht entscheiden konnten, was sie anziehen sollten, gab es in meinem lediglich drei Kategorien: Klamotten von der Wohlfahrt, Sachen aus dem Secondhandladen und Arbeitskleidung.

Ich wünschte, wir wären nicht so arm. Ich weiß ja, dass Schweinezucht nicht gerade ein glamouröser Job ist, aber man sollte doch meinen, dass Mom es sich leisten könnte, mir wenigstens eine schicke Jeans zu kaufen. Angewidert starrte ich in meinen spärlich bestückten Kleiderschrank. Na ja, ich schätze, ich werde Scott einfach mit meinem natürlichen Charme und meiner Anmut umhauen müssen, vorausgesetzt, ich mache mich vor ihm nicht total zum Idioten.

Schließlich entschied ich mich für eine Cargohose, ein neutrales grünes T-Shirt und mein einziges ausgelatschtes Paar Sneakers. Dann zog ich noch schnell die Bürste durch meine weißblonden Haare. Meine Haare waren glatt und sehr fein und gerade mal wieder dabei, dämlich um meinen Kopf zu schweben, sodass ich aussah, als hätte ich in eine Steckdose gefasst. Ich band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen und lief nach unten.

Mein Stiefvater Luke saß am Tisch, trank Kaffee und blätterte in der jämmerlichen Lokalzeitung, die sich mehr wie die Klatschkolumne unserer Highschool las und nicht wie eine wirkliche Nachrichtenquelle. »Pattersons Kuh wirft fünfbeiniges Kalb«, sprang mir die Schlagzeile von der Titelseite entgegen, den Rest könnt ihr euch denken.

Mein vierjähriger Halbbruder Ethan saß auf dem Schoß seines Vaters, aß eine Apfeltasche und krümelte Lukes Overall voll. Mit einem Arm umklammerte er sein Lieblingsstofftier Floppy, einen Hasen, und versuchte immer wieder, ihm etwas von seinem Frühstück abzugeben. Das Gesicht des Hasen war mit Krümeln und Stücken der Fruchtfüllung übersät.

Ethan war ein süßes Kind. Auf seinem Kopf ringelten sich die braunen Locken seines Vaters, aber genau wie ich hatte er die großen blauen Augen unserer Mutter geerbt. Er war eines dieser Kleinkinder, bei denen alte Damen stehen blieben und entzückte Laute ausstießen und denen Wildfremde von der anderen Straßenseite aus grinsend zuwinkten. Mom und Luke waren völlig verrückt nach ihrem kleinen Liebling, aber Gott sei Dank schien ihm das nicht zu schaden.

»Wo ist Mom?«, fragte ich, als ich in die Küche kam.

Während ich die Schranktüren aufriss und unter den Cornflakespackungen nach denen suchte, die ich mochte, fragte ich mich, ob Mom daran gedacht hatte, welche für mich zu kaufen. Natürlich nicht. Nur fades Müsli und diese widerlichen Marshmallow-Cornflakes für Ethan. War es denn wirklich so schwierig, an die Cheerios zu denken?

Luke ignorierte mich und schlürfte seinen Kaffee. Ethan kaute auf seiner Apfeltasche herum und nieste auf den Ärmel seines Vaters.

Ich schlug die Schranktüren mit einem deutlichen Knall zu. »Wo ist Mom?«, fragte ich wieder, diesmal etwas lauter.

Luke fuhr ruckartig hoch und sah mich endlich an. In seinen trägen braunen Augen, die stark an die einer Kuh erinnerten, spiegelte sich milde Überraschung.

»Oh, hallo Meg«, sagte er ruhig. »Ich habe gar nicht gehört, wie du hereingekommen bist. Was hast du gesagt?«

Seufzend wiederholte ich die Frage zum dritten Mal.

»Sie hat einen Termin mit einigen Damen von der Kirche«, murmelte Luke und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. »Das wird ein paar Stunden dauern, du musst also den Bus nehmen.«

Ich nahm immer den Bus. Ich wollte Mom eigentlich nur daran erinnern, dass sie an diesem Wochenende mit mir zur Führerscheinstelle fahren sollte, damit ich meinen Führerschein auf Probe bekam. Luke war ein hoffnungsloser Fall. Ich konnte ihm etwas vierzehn Mal sagen, er vergaß es trotzdem wieder, sobald ich den Raum verlassen hatte. Es war nicht so, dass Luke gemein war oder bösartig – oder gar dumm. Er liebte Ethan abgöttisch, und Mom schien mit ihm wirklich glücklich zu sein. Aber jedes Mal, wenn ich mit meinem Stiefvater sprach, sah er mich so überrascht an, als hätte er völlig vergessen, dass ich auch in diesem Haus lebte.

Ich nahm mir einen Bagel aus der Schachtel auf dem Kühlschrank und kaute genervt darauf herum, während ich gleichzeitig die Uhr im Auge behielt. Beau, unser Deutscher Schäferhund, kam herein und legte seinen großen Kopf auf mein Knie. Ich kraulte ihn hinter den Ohren, bis er selig schnaufte. Wenigstens der Hund wusste meine Anwesenheit zu schätzen.

Luke stand auf und setzte Ethan sanft auf seinen Stuhl. »Alles klar, mein Großer«, meinte er und drückte Ethan einen Kuss auf den Scheitel. »Dad muss jetzt den Abfluss im Bad reparieren, also bleib schön hier sitzen und sei brav. Wenn ich fertig bin, gehen wir die Schweine füttern, okay?«

»’kay«, zwitscherte Ethan und wackelte mit seinen strammen Beinchen. »Floppy will sehen, ob Miss Daisy schon ihre Babys hat.«

Lukes Lächeln war so ekelhaft stolz, dass mir ganz schlecht wurde.

»Hey, Luke«, sagte ich, als er gerade gehen wollte. »Rate mal, was morgen ist.«

»Mm?« Er drehte sich nicht einmal um. »Keine Ahnung, Meg. Wenn du für morgen etwas geplant hast, besprich das mit deiner Mutter.« Er schnippte mit den Fingern, und sofort ließ Beau mich stehen und folgte ihm.

Ihre Schritte verklangen auf der Treppe, und ich blieb allein mit meinem Halbbruder zurück.

Ethan strampelte mit den Beinen und musterte mich bedeutungsvoll, wie er es oft tat. »Ich weiß es«, verkündete er leise und legte seine Apfeltasche auf den Tisch. »Morgen ist dein Geburtstag, stimmt’s? Floppy hat es mir erzählt, und ich habe mich dran erinnert.«

»Stimmt«, murmelte ich, drehte mich um und warf den Bagel in den Mülleimer. Bevor er hineinfiel, schlug er mit einem satten Geräusch gegen die Wand und hinterließ dort einen Fettfleck. Ich grinste und beschloss, den Fleck nicht wegzumachen.

»Floppy wünscht dir alles Gute zum Vor-Geburtstag.«

»Sag Floppy Danke.« Ich wuschelte Ethan durchs Haar und verließ die Küche. Jetzt war ich wirklich sauer. War ja klar. Mom und Luke würden meinen Geburtstag morgen völlig vergessen. Ich würde keine Karte kriegen, keinen Kuchen, nicht einmal ein »Happy Birthday« von irgendwem. Außer von dem blöden Stoffhasen meines kleinen Bruders. Wie erbärmlich war das?

Zurück in meinem Zimmer schnappte ich mir meine Bücher, Hausaufgaben, Sportsachen und den iPod, für den ich ein ganzes Jahr lang gespart hatte, auch wenn Luke diese »nutzlosen, hirnlosen Elektronikspielereien« verabscheute. Wie es sich für einen echten Hinterwäldler gehörte, hegte mein Stiefvater ein tiefes Misstrauen und eine starke Abneigung gegen alles, was einem das Leben erleichterte. Handys? – Keine Chance, wir hatten doch einen soliden Festnetzanschluss. Computerspiele? – Werkzeuge des Teufels, die aus Kindern Verbrecher und Serienkiller machten. Wieder und wieder hatte ich Mom angebettelt, mir einen Laptop für die Schule zu kaufen, aber Luke beharrte darauf, dass sein uralter, monströser PC gut genug für ihn sei und damit auch gut genug für die ganze Familie. War ja egal, dass es mit dem analogen Modem eine Ewigkeit dauerte, sich einzuwählen. Ich meine, wer hatte heutzutage noch ein analoges Modem?

Ein Blick auf die Uhr ließ mich fluchen. Der Bus würde bald kommen, und ich musste bis zur Hauptstraße noch gute zehn Minuten laufen. Ich warf einen Blick aus dem Fenster auf die dicken grauen Regenwolken am Himmel und schnappte mir auch noch eine Jacke. Und wünschte nicht zum ersten Mal, wir würden näher an der Stadt wohnen.

Ich schwöre, wenn ich erst mal meinen Führerschein und ein Auto habe, sieht mich dieses Haus nie wieder.

»Meggie?« Ethan stand im Türrahmen und drückte sich seinen Hasen unters Kinn. Seine blauen Augen musterten mich traurig. »Kann ich heute mit dir mitkommen?«

»Was?« Ich schlüpfte in meine Jacke und sah mich suchend nach meinem Rucksack um. »Nein, Ethan. Ich gehe zur Schule. Die Schule für große Kinder – Hosenscheißer verboten.«

Als ich mich abwandte, schlangen sich zwei kleine Arme um mein Bein. Ich stützte mich mit einer Hand an der Wand ab, um nicht umzufallen, und sah genervt auf meinen Halbbruder hinab. Ethan klammerte sich an mich, sah zu mir hoch und schob entschlossen das Kinn vor. »Bitte!«, flehte er. »Ich werde auch ganz brav sein, versprochen. Nimm mich mit, nur heute!«

Seufzend bückte ich mich und nahm ihn hoch. »Was ist denn los, Zwerg?«, fragte ich ihn und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. Mom würde sie bald wieder schneiden müssen, sie sahen schon aus wie ein Vogelnest. »Du bist heute Morgen furchtbar anhänglich. Was ist denn?«

»Angst«, murmelte Ethan und versteckte sein Gesicht an meinem Hals.

»Du hast Angst?«

Er schüttelte den Kopf. »Floppy hat Angst.«

»Und wovor hat Floppy Angst?«

»Vor dem Mann im Schrank.«

Ich spürte, wie mir ein leichter Schauer über den Rücken lief. Manchmal war Ethan so still und ernst. Man vergaß dabei fast, dass er erst vier war. Doch er hatte immer noch die Ängste eines Kindes, vor Monstern unter dem Bett und dem Schwarzen Mann im Schrank. In Ethans Welt konnten Stofftiere sprechen, winkten unsichtbare Männer ihm aus den Büschen zu und kratzten unheimliche Kreaturen mit ihren langen Krallen über sein Fenster. Mit seinen Geschichten von Monstern und dem Schwarzen Mann ging er nur selten zu Mom oder Luke. Seit er laufen konnte, kam er damit zu mir.

Ich seufzte, weil ich wusste, was er erwartete. Er wollte, dass ich raufging und nachschaute, um ihm dann zu versichern, dass in seinem Kleiderschrank oder unter seinem Bett nichts lauerte. Aus genau diesem Grund hatte ich eine Taschenlampe auf seiner Kommode deponiert.

Draußen zuckte ein Blitz, und Donner grollte in der Ferne. Ich fuhr zusammen. Der Weg zum Bus würde nicht gerade angenehm werden.

Verdammt, ich habe keine Zeit für diesen Mist.

Ethan rückte ein Stück von mir ab und sah mich mit flehenden Augen an.

Ich seufzte noch einmal. »Also schön«, murmelte ich und setzte ihn ab. »Dann schauen wir eben nach den Monstern.«

Schweigend folgte er mir die Treppe hinauf und beobachtete angespannt, wie ich die Taschenlampe nahm, mich auf die Knie fallen ließ und unter das Bett leuchtete.

»Keine Monster«, verkündete ich und erhob mich. Dann ging ich zum Kleiderschrank und riss die Tür auf, während Ethan zwischen meinen Beinen hindurchspähte.

»Hier sind auch keine Monster. Meinst du, du kommst jetzt klar?«

Er nickte und schenkte mir ein dünnes Lächeln. Ich wollte gerade die Tür schließen, als ich in einer Ecke einen seltsamen grauen Hut entdeckte. Er war oben rund, hatte eine umlaufende Krempe und ein rotes Band: eine Melone.

Seltsam. Wie kam der hierher?

Als ich mich aufrichtete und umdrehen wollte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Ein Schatten verschwand hinter der Zimmertür, und fahle Augen beobachteten mich durch den Türspalt. Ich drehte ruckartig den Kopf, aber natürlich war da nichts.

Mann, jetzt hat Ethan es geschafft, dass ich auch schon Monster sehe. Ich muss aufhören, mir spätnachts Horrorstreifen reinzuziehen.

Als direkt über uns ein heftiger Donner krachte, zuckte ich zusammen. Dann klatschten dicke Regentropfen gegen die Scheiben. Ich hetzte an Ethan vorbei, rannte aus dem Haus und sprintete die Einfahrt hinunter.

Als ich an der Bushaltestelle ankam, war ich klatschnass. Der Frühlingsregen war zwar nicht mehr eisig, aber immer noch kalt genug, um verdammt unangenehm zu sein. Ich verschränkte die Arme und stellte mich unter eine moosbewachsene Zypresse, um dort auf den Bus zu warten.

Wo bleibt denn Robbie?, fragte ich mich und spähte die Straße hinunter. Normalerweise ist er um diese Zeit doch schon da. Vielleicht hat er keine Lust, nass zu werden, und ist daheimgeblieben. Schnaubend verdrehte ich die Augen. Wieder mal Schule schwänzen, was? Faulpelz! Ich wünschte, ich könnte das bringen.

Wenn ich nur ein Auto hätte. Ich kannte welche, die bekamen von ihren Eltern zum sechzehnten Geburtstag eines geschenkt. Ich konnte mich schon glücklich schätzen, wenn ich einen Kuchen kriegte. Die meisten in meiner Klasse hatten bereits einen Führerschein und konnten allein in Klubs und zu Partys und so fahren. Ich stand dann immer dumm da – die Hinterwäldlerin, die niemand einlud.

Bis auf Robbie, korrigierte ich mich mit einem kleinen gedanklichen Achselzucken. Robbie wird wenigstensdran denken. Ich frage mich, was er diesmal für meinen Geburtstag plant. Ich könnte fast drauf wetten, dass es etwas Seltsames oder total Irres sein würde. Letztes Jahr hatte er mich aus dem Haus geschmuggelt, und wir hatten im Wald ein Mitternachtspicknick veranstaltet. Es war seltsam: Ich konnte mich noch genau an das kleine Tal mit dem Teich und den Glühwürmchen erinnern, die überall herumschwirrten. Doch obwohl ich seitdem unzählige Male den Wald hinter unserem Haus durchstreift hatte, hatte ich die Stelle nie wiedergefunden.

In den Büschen hinter mir raschelte etwas. Ein Opossum, ein Reh oder vielleicht sogar ein Fuchs, der Schutz vor dem Regen suchte. Die Tiere hier draußen waren so dreist, dass es schon an Dummheit grenzte, und hatten kaum Angst vor den Menschen. Hätten wir Beau nicht, Moms Gemüsegarten wäre längst ein Büfett für Kaninchen und Rehe, und die ortsansässige Waschbärenfamilie würde sich aus unseren Schränken bedienen.

Ein Ast knackte, diesmal viel näher. Ich trat unbehaglich auf der Stelle, weigerte mich jedoch, mich wegen eines blöden Eichhörnchens oder Waschbären umzudrehen. Ich war schließlich nicht wie diese aufgeblasene Tussi Angie, Miss Perfect Cheerleader, die schon ausflippte, wenn sie eine Maus im Käfig oder einen Fleck auf ihrer Markenjeans entdeckte. Ich habe Heu gemacht, Ratten getötet und Schweine durch knietiefen Matsch getrieben. Wilde Tiere machten mir keine Angst.

Trotzdem starrte ich angestrengt die Straße hinunter in der Hoffnung, dass der Bus bald um die Ecke bog. Vielleicht lag es am Regen oder an meiner kranken Vorstellungskraft, aber der Wald wirkte wie die Kulisse von Blair Witch Project.

Hier draußen gibt es keine Wölfe oder Serienkiller, ermahnte ich mich. Spar dir die Paranoia.

Plötzlich war es um mich herum totenstill. Zitternd lehnte ich mich gegen den Baum und versuchte, den Bus durch meinen bloßen Willen herbeizuzwingen. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich war nicht allein. Vorsichtig hob ich den Kopf und spähte durch die Nadeln über mir. Auf einem Ast hockte ein riesiger schwarzer Vogel. Seine Federn hatte er aufgeplustert, um sich vor dem Regen zu schützen, doch er saß völlig regungslos da, wie eine Statue. Während ich ihn anstarrte, drehte er plötzlich den Kopf und erwiderte meinen Blick. Seine Augen waren grün wie farbiges Glas.

Und dann schob sich eine Hand um den Baum herum und packte mich.

Ich schrie auf und machte einen Satz. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Ich wirbelte herum und wollte weglaufen. Durch meinen Kopf schossen Gedanken an Vergewaltiger, Mörder und Leatherface aus dem Kettensägenmassaker.

Hinter mir ertönte lautes Gelächter.

Robbie Goodfell, mein nächster Nachbar – was bedeutete, dass er fast drei Kilometer weit weg wohnte – lehnte lässig am Baumstamm und keuchte vor Lachen. Er war groß und schlaksig und trug zerschlissene Jeans und ein altes T-Shirt. Er hielt inne, musterte mein bleiches Gesicht und prustete wieder los. Seine roten Haare, die normalerweise wild vom Kopf abstanden, hingen ihm nass in die Stirn, seine Kleidung klebte an seiner Haut, was noch betonte, wie schmal und knochig er war – so als würden seine Gliedmaßen nicht richtig zusammenpassen. Doch völlig durchnässt und mit Zweigen, Blättern und Schlamm bedeckt zu sein schien ihn nicht weiter zu stören. Es gab nur wenig, was Robbie störte.

»Verdammt, Robbie!«, fauchte ich, stapfte zu ihm rüber und trat nach ihm.

Er wich aus und stolperte auf die Straße. Sein Gesicht war knallrot vor Lachen.

»Das war nicht witzig, du Idiot. Ich hätte fast einen Herzinfarkt gekriegt!«

»T-tut mir leid, Prinzessin«, keuchte Robbie und griff sich ans Herz, während er nach Luft schnappte. »Das war einfach zu gut.« Er gab einen letzten Gluckser von sich, dann richtete er sich auf, wobei er sich den Bauch hielt. »Mann, das war echt beeindruckend. Du bist fast einen Meter hoch gesprungen. Was hast du denn geglaubt, wer ich bin? Leatherface, oder was?«

»Natürlich nicht, Blödmann.« Ich wandte mich schnaubend ab, damit er nicht sah, wie rot ich geworden war. »Und ich habe dir gesagt, du sollst aufhören, mich so zu nennen! Ich bin keine zehn mehr.«

»Geht klar, Prinzessin.«

Ich verdrehte die Augen. »Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du ungefähr so reif bist wie ein Vierjähriger?«

Er lachte fröhlich. »Das sagt die Richtige. Ich bin nicht die ganze Nacht wach geblieben und habe das Licht angelassen, nachdem ich das Kettensägenmassaker geschaut hatte. Dabei hatte ich dich gewarnt.« Er verzog das Gesicht zu einer grotesken Grimasse und wankte mit ausgestreckten Armen auf mich zu. »Huhuuu, pass auf, hier kommt Leatherface.«

Mürrisch trat ich in eine Pfütze und bespritzte ihn mit Wasser. Lachend spritzte er zurück. Als ein paar Minuten später der Bus neben uns hielt, waren wir beide so verdreckt und tropfnass, dass der Busfahrer sagte, wir sollten uns ganz nach hinten setzen.

»Was machst du heute nach der Schule?«, fragte Robbie, als wir auf der hintersten Bank kauerten. Um uns herum saßen andere Schüler und unterhielten sich, rissen Witze, lachten und ignorierten uns. »Hast du Lust auf einen Kaffee? Oder wir könnten uns ins Kino schleichen und uns einen Film ansehen.«

»Heute nicht, Rob«, erwiderte ich, während ich versuchte, mein T-Shirt auszuwringen. Jetzt, wo es vorbei war, bereute ich unsere kleine Schlammschlacht. Ich würde in Scotts Augen aussehen wie ein Wesen aus dem Sumpf. »Du musst dich heute mal ohne mich reinschleichen. Ich gebe nach der Schule noch Nachhilfe.«

Robbies grüne Augen wurden schmal. »Du gibst Nachhilfe? Wem denn?«

In meinem Magen kribbelte es, und ich versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. »Scott Waldron.«

»Was?« Angewidert verzog Robbie die Lippen. »Mr. Suspensorium? Will er denn, dass du ihm das Lesen beibringst?«

Ich blickte ihn strafend an. »Nur weil er der Kapitän des Footballteams ist, musst du dich nicht gleich wie ein Idiot aufführen. Oder bist du etwa eifersüchtig?«

»Oh, klar, das ist es«, erklärte Robbie höhnisch. »Ich wollte schon immer den IQ eines Steins haben. Nein, warte mal. Das wäre ja eine Beleidigung für den Stein.«

Er schnaubte abfällig. »Ich fasse es nicht, du stehst also auf Mr. Suspensorium. Dabei hättest du etwas viel Besseres verdient, Prinzessin.«

»Nenn mich nicht so.« Ich wandte mich ab, damit er nicht mitkriegte, dass ich knallrot geworden war. »Es ist ja nur eine Nachhilfestunde und nicht so, als hätte er mich zum Abschlussball eingeladen. Mann!«

»Genau.« Robbie klang wenig überzeugt. »Und das wird er auch nicht, aber du hoffst, dass er es tut. Gib’s zu. Du bist genauso scharf auf ihn wie die ganzen hohlköpfigen Cheerleader.«

»Und wenn es so wäre?«, fauchte ich und fuhr zu ihm herum. »Das geht dich einen feuchten Dreck an, Rob. Was interessiert es dich überhaupt?«

Er wurde ziemlich still und murmelte nur irgendetwas Unverständliches. Ich drehte ihm wieder den Rücken zu und starrte aus dem Fenster. Mir war egal, was Robbie dachte. Heute Nachmittag würde Scott Waldron für eine glückselige Stunde mir ganz allein gehören, und das würde ich mir von niemandem kaputt machen lassen.

Der Unterricht zog sich. Die Lehrer brabbelten unverständliches Zeug, und die Uhren schienen rückwärts zu laufen. Der Nachmittag verging im Schneckentempo, ich nahm ihn nur wie durch einen nebelhaften Schleier wahr. Endlich, endlich verkündete der Gong das Ende der letzten Stunde und befreite mich von der nervtötenden Folter von X ist gleich Y.

Heute ist es so weit, sagte ich mir, während ich mich durch die überfüllten Gänge schob, wobei ich mich immer am Rand der lärmenden Menge hielt. Nasse Sneakers quietschten über die Fliesen, und eine widerwärtige Mischung aus Schweiß, Rauch und Körpergerüchen hing schwer in der Luft. Ein nervöses Kribbeln breitete sich in mir aus. Du schaffst das. Bloß nicht drüber nachdenken. Geh einfach rein und bring es hinter dich.

Ich wich einigen Schülern aus, arbeitete mich den Gang entlang und spähte schließlich in den Computerraum.

Da war er. Er saß an einem der Tische, beide Füße auf einen anderen Stuhl gestützt. Scott Waldron, Kapitän des Footballteams. Der umwerfende Scott, König der Schule. Er trug seine rot-weiße Teamjacke, die seine breite Brust betonte, und seine dichten dunkelblonden Haare streiften gerade so seinen Kragen.

Mein Herz raste. Eine ganze Stunde in einem Raum mit Scott Waldron und niemand, der uns stört.

Normalerweise kam ich nicht einmal in die Nähe von Scott. Entweder schwänzelten Angie und ihre Cheerleader-Groupies um ihn herum, oder seine Footballkumpels umringten ihn. Außer uns waren noch ein paar andere Schüler im Computerraum, aber das waren Nerds und Streber und damit so minderwertig, dass Scott sie nicht einmal wahrnahm. Die Sportler und Cheerleader würden sich niemals hier drin erwischen lassen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.

Ich holte tief Luft und ging hinein.

Er sah nicht auf, als ich neben ihm stehen blieb. Stattdessen hing er in seinem Stuhl, die Füße hochgestellt und den Kopf in den Nacken gelegt, und tat so, als würde er einen imaginären Ball durch den Raum werfen. Ich räusperte mich. – Nichts. Ich räusperte mich etwas lauter. – Immer noch nichts.

Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, stellte mich vor ihn hin und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. Endlich richteten sich seine kaffeebraunen Augen auf mich. Einen Moment lang schien er erschrocken zu sein. Dann zog er lässig eine Augenbraue hoch, als käme er einfach nicht darauf, warum ich mit ihm reden wollte.

Oh-oh. Sag was, Meg. Irgendwas Intelligentes.

»Ähm …«, stammelte ich. »Hi. Ich bin Meghan. Ich sitze hinter dir. Also, im Computerkurs.« Er starrte mich immer noch völlig ausdruckslos an, und ich spürte, wie ich rot wurde. »Äh … ich schaue mir eigentlich nicht viel Sport an, aber ich finde, du bist ein fantastischer Quarterback – auch wenn ich noch nicht viele gesehen habe, na ja, eigentlich nur dich, bisher. Aber du scheinst echt Ahnung von dem zu haben, was du da tust. Weißt du, ich sehe mir alle eure Spiele an. Für gewöhnlich sitze ich immer ganz hinten, deshalb hast du mich wahrscheinlich noch nie bemerkt.«

O Gott. Halt die Klappe, Meg. Halt sofort die Klappe. Ich presste die Lippen fest zusammen, um mein unablässiges Geplapper zu stoppen, und hätte mich am liebsten in irgendeinem Loch verkrochen, um zu sterben. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, als ich dieser Sache zustimmte? Es war immer noch besser, unsichtbar zu sein, als sich zum totalen Vollidioten zu machen, besonders vor Scott.

Er blinzelte träge, richtete sich auf und zog sich die Kopfhörer aus den Ohren. »Tut mir leid, Süße«, sagte er gedehnt mit seiner wundervollen tiefen Stimme. »Konnte dich nicht hören.« Er musterte mich eingehend und grinste dann. »Sollst du mir Nachhilfe geben?«

»Äh, ja.« Ich richtete mich auf und kratzte den letzten Rest meiner Würde zusammen. »Ich bin Meghan. Mr. Sanders hat mich gebeten, dir bei deinem Computerprojekt zu helfen.«

Er grinste mich an. »Bist du nicht diese Bauerntussi, die draußen im Sumpf lebt? Weißt du überhaupt, was ein Computer ist?«

Meine Wangen brannten, und mein Magen krampfte sich zu einem harten, kleinen Ball zusammen. Okay, ich hatte keinen tollen Computer zu Hause. Deswegen verbrachte ich ja auch den Großteil meiner Nachmittage hier im Computerraum, um meine Hausaufgaben zu machen oder einfach nur im Internet zu surfen. Genau genommen hoffte ich, in ein paar Jahren auf eine technische Universität gehen zu können. Programmieren und Webdesign flogen mir einfach zu. Verdammt, ich wusste, wie man mit einem Computer umging.

Doch im Angesicht von Scotts Kritik konnte ich nur stammeln: »J-ja, schon. Ich meine, ich weiß eine Menge.« Er sah mich zweifelnd an, und ich spürte, wie sich mein verletzter Stolz aufbäumte. Ich musste ihm einfach beweisen, dass ich nicht das zurückgebliebene Landei war, für das er mich hielt. »Okay, ich werde es dir beweisen«, erklärte ich und zog die Tastatur, die auf dem Tisch lag, zu mir heran.

Da passierte etwas Seltsames.

Ich hatte die Tasten noch gar nicht berührt, da leuchtete der Bildschirm auf. Während meine Finger noch zögernd über den Tasten schwebten, erschienen bereits Wörter auf dem Bildschirm.

Meghan Chase. Wir sehen dich. Wir kommen dich holen.

Ich erstarrte. Es erschienen immer mehr Wörter, aber immer nur diese drei Sätze, die sich ständig wiederholten. Meghan Chase. Wir sehen dich. Wir kommen dich holen. Meghan Chase wir sehen dich wir kommen dich holen. Meghan Chase wir sehen dich wir kommen dich holen … wieder und wieder, bis der ganze Bildschirm voll war.

Scott lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und starrte erst mich an, dann den Bildschirm. »Was soll das?«, fragte er missmutig. »Was zum Teufel machst du da, du Freak?«

Ich schob ihn zur Seite, schüttelte die Maus, hämmerte auf die Escape-Taste ein und drückte Strg-Alt-Entf, um den endlosen Wortstrom abzubrechen. Nichts davon half.

Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, kamen keine neuen Wörter mehr. Der Bildschirm wurde für einen Moment schwarz. Dann erschien in riesigen Buchstaben eine andere Botschaft auf dem Schirm.

SCOTTWALDRONBEOBACHTETANDEREJUNGSUNTERDERDUSCHE. LOL.

Ich keuchte. Die Botschaft erschien auch auf allen anderen Monitoren und sprang durch den Raum, ohne dass ich sie hätte aufhalten können. Die Schüler an den anderen Tischen schienen einen Moment lang geschockt zu sein und hielten inne, dann zeigten sie mit dem Finger auf uns und lachten.

Ich spürte Scotts Blick wie ein Messer im Rücken. Ängstlich drehte ich mich um. Er starrte mich tatsächlich an. Seine Brust hob und senkte sich angestrengt. Vor Wut oder Scham war sein Gesicht knallrot angelaufen, und er zeigte mit einem Finger in meine Richtung.

»Findest du das witzig, Sumpfhuhn? Hä? Warte nur ab. Ich werde dir zeigen, was witzig ist. Du hast dir gerade dein eigenes Grab geschaufelt, du Miststück!«

Er stürmte aus dem Raum, verfolgt von einer Welle lauten Gelächters. Einige der anderen grinsten mich an, applaudierten und reckten triumphierend die Daumen nach oben. Einer zwinkerte mir sogar verschwörerisch zu.

Ich bekam weiche Knie und ließ mich auf einen Stuhl fallen. Verständnislos starrte ich auf den Monitor, der sich plötzlich abschaltete. Die anstößige Nachricht erlosch, doch es war bereits zu spät. Mein Magen rebellierte, und meine Augen brannten.

Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Ich bin tot. Ich bin so was von tot. Das war’s, Meghan, Game over. Ob Mom mich wohl auf ein Internat in Kanada wechseln lässt?

Ein feines Kichern drang in meine trübseligen Gedanken, und ich hob den Kopf.

Oben auf dem Monitor kauerte etwas. Vor dem hellen Fenster zeichnete sich die dunkle Silhouette eines winzigen missgestalteten Dings ab. Es war dürr, hatte lange dünne Arme und riesige Fledermausohren. Schmale grüne Augen musterten mich über den Tisch hinweg, und in ihnen blitzte Intelligenz. Das Ding grinste, wobei es zwei Reihen spitzer Zähne entblößte, die neonblau leuchteten, bevor es wie ein Bild auf einem Computerbildschirm verschwand.

Ich saß einen Moment lang einfach nur da und starrte auf die Stelle, wo ich das Wesen gesehen hatte, während meine Gedanken rotierten.

Okay. Großartig. Nicht nur, dass Scott mich jetzt hasst, nein, ich habe auch noch Halluzinationen. Meghan Chase erlitt einen Tag vor ihrem sechzehnten Geburtstag einen Nervenzusammenbruch. Schickt mich einfach direkt in die Klapse, ich überlebe hier an dieser Schule sowieso keinen einzigen Tag mehr.

Mühsam stemmte ich mich hoch und schlurfte wie ein Zombie auf den Flur hinaus.

Robbie wartete an den Schließfächern auf mich, in jeder Hand eine Limoflasche. »Hey, Prinzessin«, begrüßte er mich, als ich an ihm vorbeiwankte, »du bist aber früh dran. Wie ist denn deine Nachhilfe gelaufen?«

»Nenn mich nicht so«, murmelte ich und knallte meine Stirn gegen mein Schließfach. »Die Nachhilfe ist fantastisch gelaufen. Bitte bring mich jetzt um.«

»So gut also?« Er warf mir die Cola light zu, die ich gerade noch auffing, und drehte den Deckel seiner Kräuterlimonade auf, die aus dem Flaschenhals schäumte. Ich konnte das Grinsen in seiner Stimme hören. »Tja, ich schätze, ich könnte jetzt antworten: ›Ich hab’s dir gleich gesagt‹ …«

Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, der ihn verstummen lassen sollte.

Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. »… aber das werde ich nicht tun.« Er verzog die Lippen und versuchte nicht zu grinsen. »Weil … es falsch wäre.«

»Was machst du überhaupt hier?«, wollte ich wissen. »Die Busse sind doch alle längst weg. Bist du etwa wie so ein gruseliger Stalker um den Computerraum herumgeschlichen?«

Rob räusperte sich vernehmlich und nahm einen tiefen Schluck von seiner Limo. »Hey, ich habe mich gefragt, was du morgen an deinem Geburtstag so vorhast«, meinte er dann strahlend.

Mich in meinem Zimmer verstecken und mir die Bettdecke über den Kopf ziehen, dachte ich, aber ich zuckte nur die Schultern und riss meinen rostigen Spind auf. »Keine Ahnung. Ist auch egal. Ich habe nichts Bestimmtes geplant.« Ich packte meine Bücher, stopfte sie in meinen Rucksack und schmiss die Spindtür zu. »Warum?«

Robbie schenkte mir dieses Lächeln, das mich immer nervös machte – ein Lächeln, das sich über sein ganzes Gesicht zog, sodass sich seine Augen zu grünen Schlitzen verengten. »Ich habe noch eine Flasche Champagner, die ich mal aus dem Weinkeller stibitzt habe«, flüsterte er und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. »Wie wäre es, wenn ich morgen bei dir vorbeikomme? Dann könnten wir deinen Geburtstag angemessen feiern.«

Ich hatte noch nie Champagner getrunken. Einmal hatte ich an Lukes Bier genippt und gedacht, ich müsste kotzen. Mom brachte manchmal Wein im Tetrapack mit, der war gar nicht so schlimm, aber eigentlich trank ich kaum Alkohol.

Aber was soll’s? Du wirst schließlich nur einmal sechzehn, oder? »Sicher«, sagte ich und zuckte resigniert mit den Schultern. »Klingt gut. Schließlich kann ich genauso gut mit einem Paukenschlag untergehen.«

Er legte den Kopf schief und musterte mich prüfend. »Alles okay mit dir, Prinzessin?«

Was sollte ich ihm sagen? Dass der Kapitän des Footballteams, auf den ich seit zwei Jahren insgeheim stand, es auf mich abgesehen hatte – und zwar nicht im positiven Sinne? Dass mir hinter jeder Ecke Monster aufzulauern schienen? Oder dass die Schulcomputer entweder gehackt worden waren oder von Geistern besessen? Ja, klar. Vom größten Witzbold der Schule hatte ich bestimmt kein Mitleid zu erwarten. So wie ich Robbie kannte, würde er das alles für einen grandiosen Witz halten und mir auch noch dazu gratulieren. Wenn ich ihn nicht so gut kennen würde, hätte ich vielleicht sogar geglaubt, dass er das Ganze eingefädelt hatte. So schenkte ich ihm nur ein müdes Lächeln und nickte. »Mir geht’s gut. Wir sehen uns dann morgen, Robbie.«

»Bis dann, Prinzessin.«

Mom verspätete sich mal wieder. Die Nachhilfe hätte nur eine Stunde dauern sollen, aber ich hockte noch eine gute halbe Stunde länger im Nieselregen an der Straße, dachte über mein erbärmliches Leben nach und schaute zu, wie Autos ein- und ausparkten. Endlich bog ihr blauer Kombi um die Ecke und kam neben mir zum Stehen. Der Beifahrersitz wurde von Einkaufstüten und Zeitungen blockiert, also schlüpfte ich hinten rein.

»Meg, du bist ja klatschnass!«, rief meine Mutter aus, nachdem sie einen Blick in den Rückspiegel geworfen hatte. »So kannst du dich nicht auf den Sitz setzen – leg ein Handtuch unter oder so. Hast du denn keinen Schirm dabeigehabt?«

Auch schön, dich zu sehen, Mom, dachte ich, während ich missmutig eine Zeitung vom Boden aufhob und auf den Sitz legte. Kein »Wie war dein Tag?«, oder »Tut mir leid, dass ich so spät komme.« Ich hätte einfach die blöde Nachhilfestunde mit Scott sausen lassen und den Bus nehmen sollen.

Schweigend fuhren wir dahin.

Früher hatten die Leute mir immer erzählt, ich würde wie sie aussehen – also, bevor Ethan kam und das ganze Scheinwerferlicht für sich beanspruchte. Bis heute weiß ich nicht, wo sie diese Ähnlichkeit sahen. Mom gehört zu den Frauen, die dafür geboren zu sein scheinen, Hosenanzüge und Pumps zu tragen. Ich bevorzuge weite Cargohosen und Sneakers. Moms Gesicht wird von ihren dicken goldblonden Locken umrahmt; mein Haar ist schnurgerade, fein und fast silbern, wenn das Licht im richtigen Winkel darauffällt. Sie wirkt königlich, elegant und ist schlank; ich bin einfach nur knochig.

Mom hätte jeden heiraten können – einen Filmstar, einen reichen Geschäftsmann –, aber sie nahm Luke den Schweinebauern und seine schäbige kleine Farm draußen im Sumpf. Was mich daran erinnerte …

»Hey, Mom, vergiss nicht, dass du mich am Wochenende zur Führerscheinstelle fahren musst.«

»O Meg.« Mom seufzte. »Ich weiß nicht. Ich habe dieses Wochenende jede Menge zu tun, und dein Vater will, dass ich ihm dabei helfe, die Scheune zu reparieren. Vielleicht nächste Woche.«

»Mom, du hast es versprochen!«

»Bitte, Meghan. Es war ein langer Tag.« Mom seufzte wieder und musterte mich im Rückspiegel. Ihre Augen waren gerötet und ihre Wimperntusche verschmiert. Unruhig rutschte ich auf meinem Sitz herum. Hatte Mom etwa geweint?

»Was ist los?«, fragte ich vorsichtig.

Sie zögerte. »Zu Hause hat es … einen Unfall gegeben«, setzte sie an, und beim Klang ihrer Stimme wurde mir ganz anders. »Dein Vater musste Ethan heute Nachmittag ins Krankenhaus bringen.« Sie hielt erneut inne, blinzelte hektisch und holte krampfhaft Luft. »Beau hat ihn angefallen.«

»Was?« Mein Aufschrei ließ sie zusammenzucken. Unser Schäferhund sollte Ethan angefallen haben? »Geht es Ethan gut?«, fragte ich und spürte, wie sich mein Magen vor Angst verkrampfte.

»Ja.« Mom lächelte erschöpft. »Er ist ziemlich durch den Wind, aber Gott sei Dank hat er keine ernsten Verletzungen.«

Ich seufzte erleichtert auf. »Wie ist das passiert?«, fragte ich, weil ich immer noch nicht glauben konnte, dass unser Hund tatsächlich ein Familienmitglied angegriffen haben sollte. Beau liebte Ethan abgöttisch. Er wurde ja schon unruhig, wenn einer von uns nur mit meinem Halbbruder schimpfte. Ich hatte beobachtet, wie Ethan Beau am Fell, an den Ohren und am Schwanz gezogen hatte und die einzige Reaktion des Hundes gewesen war, dass er ihn ableckte. Ich hatte gesehen, wie Beau Ethans Ärmel geschnappt und den Kleinen vorsichtig von der Auffahrt gezogen hatte. Unser Schäferhund war ja vielleicht der Schrecken aller Eichhörnchen und Rehe, aber er hatte bisher bei keinem aus der Familie auch nur die Zähne gefletscht. »Warum ist Beau so durchgedreht?«

Mom schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Luke hat gesehen, wie Beau die Treppe raufgerannt ist, und dann hat er gehört, wie Ethan geschrien hat. Als er in sein Zimmer kam, hat der Hund Ethan über den Boden geschleift. Sein Gesicht war böse zerkratzt, und er hatte Bissspuren am Arm.«

Mir gefror das Blut in den Adern. Ich stellte mir vor, wie Ethan angefallen wurde – seine schreckliche Angst, als sich unser bis dahin so zuverlässiger Schäferhund auf ihn stürzte. Es war kaum zu glauben. Wie eine Szene aus einem Horrorfilm. Ich wusste, dass Mom genauso fassungslos war wie ich. Sie hatte Beau blind vertraut.

An der Art, wie sie die Lippen zusammenpresste, erkannte ich jedoch, dass Mom mir noch etwas verschwieg. Da war etwas, was sie mir nicht sagen wollte, und ich befürchtete, bereits zu wissen, was es war.

»Was passiert jetzt mit Beau?«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und bei dem Anblick rutschte mir das Herz in die Hose.

»Wir können einen so gefährlichen Hund nicht frei herumlaufen lassen, Meg«, erklärte sie, und ihr Ton bettelte um Verständnis. »Falls Ethan fragt, sag ihm, wir hätten ein neues Zuhause für Beau gefunden.« Sie holte tief Luft und umklammerte das Lenkrad, ohne mich anzusehen. »Es geht um die Sicherheit der Familie, Meghan. Gib nicht deinem Vater die Schuld. Aber nachdem Luke mit Ethan aus dem Krankenhaus zurückgekommen ist, hat er Beau ins Tierheim gebracht.«

Klingelton des Grauens

Die Stimmung beim Abendessen war angespannt. Ich war wütend auf meine Eltern: auf Luke, weil er es getan hatte, und auf Mom, weil sie es ihm erlaubt hatte. Deshalb weigerte ich mich, mit ihnen zu sprechen.

Mom und Luke unterhielten sich über sinnloses, triviales Zeug. Ethan saß schweigend da und klammerte sich an Floppy. Es war ein seltsames Gefühl, ohne Beau, der um den Tisch schlich und nach Krümeln Ausschau hielt, wie er es sonst immer getan hatte. Ich stand so bald wie möglich auf und ging auf mein Zimmer, wobei ich die Tür möglichst laut hinter mir zuschlug.

Ich ließ mich aufs Bett fallen und dachte an die vielen Male, die Beau sich hier neben mir zusammengerollt hatte, an die beruhigende Wärme seines Körpers. Er hatte nie irgendwas von irgendwem gefordert, sondern war zufrieden gewesen, einfach dabei zu sein und sich vergewissern zu dürfen, dass seine Schützlinge in Sicherheit waren. Jetzt war er weg, und das Haus schien leerer ohne ihn.

Ich wollte mit jemandem reden. Am liebsten hätte ich Robbie angerufen und mich bei ihm darüber ausgekotzt, wie unfair das alles war. Aber seine Eltern – die offenbar noch rückständiger waren als meine – hatten kein Telefon und auch keinen Computer. So etwas nenne ich finsteres Mittelalter.

Robbie und ich verabredeten uns normalerweise in der Schule. Manchmal tauchte er auch einfach unter meinem Fenster auf, nachdem er die drei Kilometer zu unserem Haus gelaufen war. Das war einfach absolut nervig und gehörte zu den Dingen, die ich ändern würde, sobald ich ein eigenes Auto hatte. Mom und Luke konnten mich ja hier nicht ewig einsperren. Vielleicht sollte ich demnächst einfach zwei Handys für Robbie und mich kaufen, egal was Luke davon hielt. Diese ganze Geschichte von wegen »teuflische Technologie« war langsam echt nicht mehr lustig.

Ich würde das morgen mit Robbie besprechen.

Da klopfte es leise an meiner Tür, und Ethan steckte den Kopf herein.

»Hallo, Zwerg.« Ich setzte mich auf und wischte mir ein paar Tränen ab. Ein Pflaster mit Dinosauriern klebte auf seiner Stirn, und am rechten Arm trug er einen Verband. »Was ist los?«

»Mommy und Daddy haben Beau weggegeben.« Seine Unterlippe zitterte, und er bekam Schluckauf. Dann wischte er sich mit Floppys Fell über die Augen.

Ich seufzte und klopfte neben mir aufs Bett. »Sie mussten das machen«, erklärte ich ihm, während er aufs Bett kletterte und sich samt Hasen in meinen Schoß kuschelte. »Sie wollten nicht, dass Beau dich noch mal beißt. Sie hatten Angst, dass er dir wehtun könnte.«

»Beau hat mich nicht gebissen.« Ethan starrte mich mit großen, tränenverschmierten Augen an. Ich las Angst in seinem Blick und ein Wissen, das weit über sein Alter hinausging. »Beau hat mir nicht wehgetan«, beharrte er. »Beau hat versucht, mich vor dem Mann im Schrank zu retten.«

Schon wieder das Monster? Ich seufzte und wollte es als Unsinn abtun, aber ein Teil von mir zögerte. Was, wenn Ethan recht hatte? Ich hatte heute auch seltsame Dinge gesehen. Was, wenn … Was, wenn Beau Ethan wirklich vor etwas Schrecklichem, Grauenhaftem beschützt hatte …?

Nein! Ich schüttelte den Kopf. Das war doch lächerlich! In ein paar Stunden würde ich sechzehn sein und damit viel zu alt, um an Monster zu glauben. Außerdem war es höchste Zeit, dass auch Ethan erwachsen wurde. Er war ein cleveres Kind, und ich hatte es langsam satt, dass er immer Fantasieprodukte wie den Schwarzen Mann dafür verantwortlich machte, wenn mal etwas schiefging.

»Ethan.« Wieder seufzte ich, doch ich versuchte, nicht zu schroff zu sein. Wenn ich zu streng war, würde er wahrscheinlich anfangen zu heulen, und nach allem, was er heute durchgemacht hatte, wollte ich ihn nicht noch mehr durcheinanderbringen. Trotzdem war jetzt das Maß voll. »In deinem Schrank sind keine Monster, Ethan. So etwas wie Monster gibt es nicht, okay?«

»Gibt es wohl!« Er runzelte die Stirn und stemmte die Füße in meine Tagesdecke. »Ich hab sie gesehen. Und sie haben mit mir gesprochen. Sie haben gesagt, der König will mich sehen.« Er zeigte auf den Arm mit dem Verband. »Hier hat mich der Mann aus dem Schrank gepackt. Er hat mich unters Bett gezogen, doch dann ist Beau gekommen und hat ihn verjagt.«

Offensichtlich würde ich es nicht schaffen, seine Meinung zu ändern. Und ich hatte jetzt wirklich keine Lust auf einen Trotzanfall in meinem Zimmer. »Okay, schon gut«, lenkte ich ein und nahm ihn in den Arm. »Gehen wir mal davon aus, dich hat heute wirklich etwas anderes angegriffen als Beau. Warum erzählst du es nicht Mom und Luke?«

»Das sind doch Erwachsene«, erwiderte Ethan, als wäre damit alles klar. »Sie würden mir nicht glauben. Sie können die Monster nicht sehen.« Er seufzte und schaute mich mit einer Ernsthaftigkeit an, die ich noch bei keinem anderen Kind gesehen hatte. »Aber Floppy sagt, du kannst sie sehen. Wenn du dich genug anstrengst. Floppy sagt, du kannst durch den Nebel und den Schein sehen.«

»Durch den was und den was?«

»Ethan?« Vor der Tür erklang Moms Stimme, und dann erschien sie im Türrahmen. »Bist du hier drin?« Als sie uns beide entdeckte, blinzelte sie hektisch und lächelte unsicher. Ich erwiderte ihren Blick mit versteinerter Miene.

Mom ignorierte mich einfach. »Zeit fürs Bett, Ethan. Es war ein langer Tag, Liebling.« Sie streckte die Hand aus. Ethan hüpfte vom Bett und stapfte durchs Zimmer, wobei er den Hasen hinter sich herzog.

»Kann ich bei dir und Daddy schlafen?«, fragte er mit leiser, ängstlicher Stimme.

»Oh, ich denke schon. Aber nur heute Nacht, okay?«

»’kay.«

Ihre Stimmen entfernten sich, und ich schloss mit einem Tritt die Zimmertür.

In dieser Nacht hatte ich einen seltsamen Traum: Ich wachte auf, und Ethans Stoffhase Floppy saß am Fußende meines Bettes. Im Traum sprach der Hase mit mir, und seine Worte waren schwerwiegend und erschreckend. Er wollte mich warnen oder mir helfen. Ich glaube, ich gab ihm sogar irgendein Versprechen. Doch am nächsten Morgen konnte ich mich an nicht mehr viel erinnern.

Das Prasseln des Regens auf dem Dach weckte mich. Mein Geburtstag schien ein kalter, ekliger und nasser Tag zu werden.

Einen Moment lang spürte ich etwas schwer auf meiner Seele lasten, auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum ich so deprimiert war. Dann erinnerte ich mich wieder an alles, was am Vortag passiert war, und stöhnte.

Happy Birthday für mich, dachte ich und zog die Decke über den Kopf. Den Rest der Woche bleibe ich im Bett, vielen Dank auch.

»Meghan?« Moms Stimme drang durch die Tür, dann klopfte sie leise. »Es wird langsam Zeit. Bist du schon wach?«

Ich ignorierte sie und wickelte die Decke enger um mich. Wut stieg in mir auf, als ich daran dachte, dass der arme Beau ins Tierheim geschafft worden war. Mom wusste, dass ich sauer auf sie war, doch sie konnte ruhig noch eine Weile in ihren Schuldgefühlen schmoren. Ich war noch nicht bereit, ihr zu vergeben und einfach weiterzumachen wie bisher.

»Steh auf, Meghan, sonst verpasst du noch den Bus!« Mom streckte den Kopf ins Zimmer. Sie klang völlig sachlich, und ich schnaubte empört. So viel zum Thema Versöhnung.

»Ich gehe heute nicht in die Schule«, brummte ich unter meiner Decke. »Mir geht’s nicht gut. Ich glaube, ich habe Grippe.«

»Krank? An deinem Geburtstag? Wie blöd.«

Mom trat jetzt ins Zimmer, und ich beobachtete sie durch einen Spalt zwischen Bettdecke und Laken. Sie hatte daran gedacht?

»Wirklich schade«, fuhr Mom fort und verschränkte grinsend die Arme vor der Brust. »Eigentlich wollte ich heute nach der Schule mit dir zur Führerscheinstelle fahren, aber wenn du krank bist …«

Ruckartig richtete ich mich auf. »Wirklich? Äh … na ja, ich glaube, so schlecht geht’s mir gar nicht. Ich nehme einfach ein paar Aspirin oder so.«

»Habe ich’s mir doch gedacht.« Mom schüttelte den Kopf, als ich aus dem Bett sprang. »Ich muss deinem Vater heute Nachmittag helfen, die Scheune zu reparieren, deshalb kann ich dich nicht abholen. Aber sobald du zu Hause bist, fahren wir zusammen zur Führerscheinstelle. Ist das ein gutes Geburtstagsgeschenk?«

Ich hörte kaum noch zu. Ich war zu sehr damit beschäftigt, durchs Zimmer zu rennen, mir Klamotten zu schnappen und meine Sachen zu packen. Je schneller ich den Schultag hinter mich brachte, desto besser.

Ich war gerade dabei, meine Hausaufgaben in den Rucksack zu stopfen, als die Tür ein zweites Mal aufging.

Ethan spähte herein. Er hielt die Hände hinter dem Rücken und lächelte schüchtern, aber auch erwartungsvoll.

Ich zwinkerte ihm zu und warf meine Haare zurück. »Was willst du, Zwerg?«

Noch immer grinsend trat er einen Schritt vor und streckte mir ein gefaltetes Blatt Papier entgegen. Vorne drauf prangte ein leuchtendes Wachsmalkreidebild: Über einem kleinen Haus, aus dessen Schornstein Rauch aufstieg, schwebte eine lachende Sonne.

»Alles Gute zum Geburtstag, Meggie«, sagte er und war sehr zufrieden mit sich. »Siehst du, ich hab’s nicht vergessen!«

Lächelnd nahm ich ihm die selbst gemachte Karte ab und klappte sie auf. Von der Innenseite strahlte mir eine einfache Wachsmalkreideversion unserer Familie entgegen: Mom und Luke, Ethan und ich Hand in Hand als Strichmännchen und ein vierbeiniges Etwas, das wohl Beau sein sollte. Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals, und mir standen Tränen in den Augen.

»Gefällt sie dir?«, fragte Ethan, der mich gespannt ansah.

»Und wie!« Ich wuschelte ihm durch die Haare. »Vielen Dank. Warum hängst du sie nicht an den Kühlschrank, damit jeder sehen kann, was du für ein großer Künstler bist?«

Grinsend flitzte er davon, wobei er stolz die Karte umklammerte. Bei diesem Anblick fühlte ich mich gleich etwas besser. Vielleicht würde der Tag ja doch nicht so schrecklich werden.

»Dann holst du also heute mit deiner Mom deinen Führerschein?«, fragte Robbie, während der Bus auf den Schulparkplatz einbog. »Wie cool! Dann können wir endlich mit dem Auto in die Stadt und ins Kino fahren. Wir sind nicht mehr auf den Bus angewiesen und müssen auch nicht mehr auf deinem Minifernseher alte VHS-Videos schauen.«

»Es ist nur der Führerschein auf Probe, Rob.« Ich nahm meinen Rucksack, während der Bus holpernd zum Stehen kam. »Das ist noch nicht der endgültige. So wie ich meine Mom kenne, dauert es noch mal sechzehn Jahre, bis ich das Auto allein fahren darf. Wahrscheinlich wird Ethan früher seinen Führerschein kriegen als ich.«

Beim Gedanken an meinen Halbbruder lief es mir plötzlich kalt den Rücken runter, als mir seine Worte vom Vorabend einfielen: Floppy sagt, du kannst durch den Nebel und den Schein sehen.

Von dem Stoffhasen mal abgesehen hatte ich keine Ahnung, wovon er da gesprochen hatte.

Als ich aus dem Bus stieg, löste sich eine vertraute Gestalt aus einer größeren Gruppe und kam auf mich zu. Scott. Mir drehte sich der Magen um, und ich hielt Ausschau nach einem möglichen Fluchtweg. Aber bevor ich in der Menge untertauchen konnte, hatte er mich schon erreicht und baute sich vor mir auf.

»Hey.« Seine tiefe Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. Obwohl ich völlig verängstigt war, fand ich ihn trotzdem immer noch umwerfend, mit dem feuchten blonden Haar, das ihm in wilden Locken in die Stirn fiel.

Aus irgendeinem Grund schien er heute nervös zu sein, denn er fuhr sich mehrmals mit der Hand durch die Haare und sah sich um. »Ähm …« Er zögerte, dann kniff er die Augen zusammen. »Wie heißt du noch mal?«

»Meghan«, flüsterte ich.

»Oh, ja.« Er trat noch näher, sah kurz zu seinen Freunden rüber und senkte dann die Stimme: »Hör mal, ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich dich gestern so mies behandelt habe. Das war nicht in Ordnung. Tut mir leid.«

Im ersten Moment verstand ich gar nicht, was er sagte. Ich hatte Drohungen, Spott und Beschuldigungen erwartet. Die Erleichterung breitete sich in meinem Bauch aus wie ein großer Ballon, als seine Worte endlich zu mir durchgedrungen waren. »Oh«, stammelte ich und spürte, wie ich rot wurde. »Das ist schon okay, vergiss es einfach.«

»Kann ich nicht«, murmelte er. »Du gehst mir seit gestern nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe mich aufgeführt wie ein Vollidiot, und das würde ich gern wiedergutmachen. Willst du …« Er unterbrach sich, kaute auf seiner Unterlippe herum und platzte dann damit heraus: »Willst du heute zusammen mit mir Mittag essen?«

Mein Herz raste. Schmetterlinge flatterten völlig irre in meinem Bauch herum, und es kam mir vor, als würde ich drei Zentimeter über dem Boden schweben. Meine Stimme war so wackelig, dass ich es kaum schaffte, ein atemloses »Klar« herauszubringen.

Scott grinste breit und zeigte seine strahlend weißen Zähne, dann zwinkerte er mir zu. »Hey, Leute! Hier drüben!«

Einer von Scotts Footballkumpels, der in unserer Nähe stand, hielt eine Handykamera hoch und richtete die Linse auf uns. »Wo ist das Vögelchen?«

Bevor ich begriff, was passierte, hatte Scott mir schon einen Arm um die Schultern gelegt und mich an sich gezogen. Völlig überrumpelt sah ich zu ihm auf, während mir fast das Herz aus der Brust sprang. Er lächelte strahlend in die Kamera, während ich nur dämlich glotzte.

»Danke, Meg«, sagte Scott und löste sich von mir. »Wir sehen uns beim Mittagessen.« Er grinste, zwinkerte mir noch einmal zu und trabte in Richtung Schulgebäude davon. Der Fotograf spurtete kichernd hinter ihm her und ließ mich völlig benommen und verwirrt auf dem Parkplatz stehen.

Einen Moment stand ich einfach nur da und starrte wie ein Idiot vor mich hin, während meine Klassenkameraden um mich herumströmten. Dann überzog ein fettes Grinsen mein Gesicht, ich stieß einen Freudenschrei aus und machte einen Luftsprung. Scott Waldron wollte sich mit mir treffen! Er wollte mit mir, mit mir ganz allein in der Cafeteria zu Mittag essen. Vielleicht wendete sich das Blatt jetzt endlich. Vielleicht war das der Beginn des besten Geburtstags, den ich je hatte.

Während sich der Regen wie ein silberner Vorhang über den Parkplatz schob, spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Ich drehte mich um und entdeckte Robbie, der ein paar Schritte entfernt stand und mich über die Menge hinweg ansah. Durch den Regen glänzten seine Augen in einem abartig hellen Grün. Während das Wasser auf den Beton prasselte und die Schüler hastig ins Gebäude flüchteten, glaubte ich so etwas wie einen Schatten auf seinem Gesicht zu sehen: eine lange Schnauze, schräg stehende schmale Augen und eine zwischen spitzen Reißzähnen heraushängende Zunge. Mein Magen krampfte sich vor Angst zusammen. Ich blinzelte, und Robbie war plötzlich wieder ganz er selbst – normal, grinsend und völlig unbekümmert, obwohl er gerade durchnässt wurde.

Wie ich übrigens auch.

Mit einem kleinen Quietschen hechtete ich unter das Vordach und schob mich ins Schulgebäude. Robbie folgte mir lachend und zog mich an den nassen Haaren, bis ich ihm eine scheuerte.

Während der ersten Stunde musste ich immer wieder zu Robbie hinüberschauen und nach diesem unheimlichen raubtierhaften Schatten in seinem Gesicht suchen. Ich fragte mich, ob ich vielleicht verrückt wurde. Das brachte mir jedoch nichts weiter ein als einen steifen Hals und einen gereizten Kommentar meines Englischlehrers, der meinte, ich solle besser aufpassen, statt Jungs anzustarren.

Als der Gong zur Mittagspause ertönte, sprang ich sofort auf. Mein Puls raste. In der Cafeteria wartete Scott auf mich. Ich schnappte mir meine Bücher, stopfte sie in den Rucksack, wirbelte herum – und stieß fast mit Robbie zusammen, der direkt hinter mir stand.

Ich schrie auf. »Rob, wenn du damit nicht aufhörst, werde ich dir eine verpassen! Und jetzt schieb ab. Ich muss wohin.«

»Geh nicht«, sagte er ruhig und klang dabei todernst.

Überrascht musterte ich ihn. Sein ewig freches Grinsen war verschwunden, und er wirkte entschlossen. Der Ausdruck in seinen Augen war fast schon beängstigend.

»Das wird übel enden, das spüre ich. Mr. Suspensorium hat irgendwas vor. Er und seine Kumpels waren ziemlich lange in der Jahrbuchredaktion, nachdem er mit dir geredet hat. Das gefällt mir nicht. Versprich mir, dass du da nicht hingehst.«

Ich wich zurück. »Hast du uns etwa belauscht?«, fragte ich missmutig. »Was ist nur mit dir los? Schon mal was von Privatsphäre gehört?«

»Waldron interessiert sich nicht für dich.« Robbie verschränkte die Arme vor der Brust, als wollte er mich herausfordern, ihm zu widersprechen. »Er wird dir das Herz brechen, Prinzessin. Vertrau mir. Ich kenne genug von diesen Typen, um das zu wissen.«

In mir stieg heiße Wut auf. Wut darüber, dass er es wagte, seine Nase in meine Angelegenheiten zu stecken. Wut darüber, dass er vielleicht recht haben könnte. »Noch mal, Rob: Das geht dich nichts an!«, fauchte ich, woraufhin er erstaunt die Augenbrauen hob. »Ich kann sehr gut allein auf mich aufpassen, okay? Also hör auf, dich einzumischen, wenn es nicht erwünscht ist.«

Kurz flackerte Schmerz in seinen Augen auf, verschwand aber schnell wieder. »Na schön, Prinzessin.« Er grinste und hob beschwichtigend die Hände. »Mach dir nicht gleich ins königliche Hemd. Vergiss, was ich gesagt habe.«

»Das werde ich.« Ich reckte das Kinn und stolzierte aus dem Raum, ohne mich noch einmal umzusehen.

Schuldgefühle nagten bereits an mir, während ich mich durch die Gänge Richtung Cafeteria schob. Es tat mir leid, dass ich Robbie so angefahren hatte. Aber manchmal übertrieb er es einfach mit seinem Großen-Bruder-Getue. Doch so war Robbie schon immer gewesen. Mit Argusaugen und überbesorgt hatte er stets auf mich achtgegeben, als wäre das sein Job. Ich konnte mich nicht erinnern, wann wir uns zum ersten Mal begegnet waren. Es kam mir vor, als wäre er einfach schon immer da gewesen.

In der Cafeteria war es laut und durch den Regen draußen ziemlich dämmrig. Ich blieb an der Tür stehen und hielt nach Scott Ausschau. Schließlich entdeckte ich ihn an einem Tisch mitten im Raum, zusammen mit den Cheerleadern und den Footballtypen. Ich zögerte. Ich konnte nicht einfach zu diesem Tisch marschieren und mich dazusetzen. Angie Whitmond und ihre Cheerleader-Truppe würden mich in Stücke reißen.

Da sah Scott auf und entdeckte mich. Ein lässiges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Das verstand ich als Einladung und schob mich zwischen den Tischen hindurch, um zu ihm zu gelangen. Er zog sein iPhone heraus, drückte eine Taste und sah mich zufrieden grinsend aus halb geschlossenen Augen an.

In meiner Nähe klingelte ein Handy.

Ich zuckte kurz zusammen, ging aber weiter. Hinter mir hörte ich ein Keuchen, gefolgt von hysterischem Gekicher. Und dann ein Gespräch im Flüsterton, bei dem man sofort dachte, die Leute redeten über einen. Ich spürte die Blicke im Rücken, doch ich versuchte sie zu ignorieren und ging weiter durch den Saal.

Ein zweites Handy klingelte.

Und ein drittes.

Das Getuschel und Gelächter breitete sich jetzt in Windeseile aus. Irgendwie fühlte ich mich schrecklich bloßgestellt, als wäre ein Scheinwerfer auf mich gerichtet. Das Gelächter konnte doch nichts mit mir zu tun haben, oder? Ich sah, wie einige Leute auf mich zeigten, während sie miteinander flüsterten, und wieder versuchte ich, sie zu ignorieren. Scotts Tisch war nur noch ein paar Schritte entfernt.

»Hey, Knackarsch!« Eine Hand landete auf meinem Hintern, und ich schrie auf. Ich wirbelte herum und starrte Dan Ottoman wütend an, einen blonden, pickeligen Klarinettenspieler aus dem Schulorchester. Er warf mir lüsterne Blicke zu und zwinkerte anzüglich. »Hätte dich nie für so ein Flittchen gehalten, Kleines«, sagte er und machte einen auf Charmebolzen, was mich aber eher an eine dreckige Version von Kermit dem Frosch erinnerte. »Komm doch irgendwann mal im Orchester vorbei. Ich habe da eine Flöte, die du blasen könntest.«

»Wovon redest du?«, fauchte ich, aber er lachte nur und hielt mir sein Handy hin.

Zuerst war das Display schwarz. Aber dann tauchten grellgelbe Buchstaben auf. Was haben Meghan Chase und ein kaltes Bier gemeinsam?, las ich. Ich keuchte. Da verschwanden die Buchstaben, und ein Bild erschien. Von mir. Von mir und Scott auf dem Parkplatz. Er hatte den Arm um mich gelegt und grinste breit. Aber jetzt war ich – mir fiel die Kinnlade runter – splitternackt und glotzte aus leeren Augen dämlich zu ihm hoch. Offenbar hatte er mit Photoshop gearbeitet: Mein »Körper« war abartig dünn und konturlos wie der einer Puppe und meine Brust so flach wie bei einer Zwölfjährigen. Ich erstarrte, und mein Herz setzte kurz aus, als der zweite Teil der Nachricht auf dem Display erschien.

Sie prickelt und ist leicht zu haben!

Mir wurde schlecht, und das Blut stieg mir in den Kopf. Entsetzt warf ich einen Blick hinüber zu Scott, nur um zu sehen, wie die Leute an seinem Tisch vor Lachen brüllten und mit dem Finger auf mich zeigten. Überall in der Cafeteria klingelten jetzt Handys, und das Gelächter schlug wie eine Welle über mir zusammen. Ich begann zu zittern, und meine Augen brannten.