Plötzlich Fee - Winternacht - Julie Kagawa - E-Book
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Plötzlich Fee - Winternacht E-Book

Julie Kagawa

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Beschreibung

Der zweite Band der Feen-Saga: Willkommen im eisigen Reich der Winterkönigin

So richtig hat Meghan noch nie irgendwo dazugehört: Halb Mensch, halb Feenprinzessin steht sie immer zwischen den Welten. Während sich im Feenland Nimmernie ein Krieg zwischen Oberons Sommerhof und dem Reich der Winterkönigin Mab anbahnt, spitzt sich Meghans Lage zu: Als Gefangene des Winterreichs in all seinem eiskalten, trügerischen Glanz sieht sie das Unheil in seinem ganzen Ausmaß heraufziehen, kann aber nichts unternehmen. Ihre magischen Fähigkeiten scheinen mit jedem Tag zu schwinden, und niemand glaubt ihr, dass die gefährlichen Eisernen Feen, Geschöpfe von unglaublicher Macht, längst darauf lauern, Nimmernie zu unterjochen. Denn keiner hat die dunklen Feen, die selbst Mabs Grausamkeit in den Schatten stellen, je gesehen. Nur Meghan – und Ash, der Winterprinz, dem Meghan ihr Herz schenkte und der sie verlassen hat …

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Seitenzahl: 619

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Julie Kagawa

Plötzlich Fee

WINTERNACHT

Julie Kagawa

Plötzlich Fee

WINTERNACHT

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Charlotte Lungstraß

Impressum

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen. Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel The Iron Daughter

bei Harlequin Teen, Ontario.

Copyright © 2010 by Julie Kagawa

Copyright © 2011 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Redaktion: Luitgard Distel

Herstellung: Mariam En Nazer

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN 978-3-641-06615-4V002

www.heyne-fliegt.de

Für Nick, meine Inspiration

Erster Teil

Der Winterhof

Der Eiserne König stand vor mir, prachtvoll und wunderschön. Sein silbernes Haar wehte um seine Schultern wie ein ungebändigter Wasserfall. Sein langer, schwarzer Mantel bauschte sich hinter ihm und betonte noch das blasse, kantige Gesicht mit der durchscheinenden Haut, unter der die blaugrünen Venen glühten. In der Tiefe seiner schwarzen Augen zuckten Blitze und die stählernen Tentakel, die entlang seiner Wirbelsäule und an seinen Schulterblättern entsprangen, legten sich um ihn wie glänzende Flügel. Einem Racheengel gleich schwebte er auf mich zu und streckte mit einem sanften, traurigen Lächeln die Hand nach mir aus.

Sobald ich einen Schritt machte, um ihm entgegenzutreten, schlangen sich die Kabel sanft um mich und zogen mich zu ihm. »Meghan Chase«, murmelte Machina und fuhr mit einer Hand durch meine Haare. Schaudernd ließ ich die Arme hängen, während die Tentakel zärtlich über meine Haut glitten. »Du bist gekommen. Was wünschst du?«

Ich runzelte die Stirn. Was wollte ich? Warum war ich hergekommen? »Mein Bruder«, antwortete ich, als es mir wieder einfiel. »Du hast meinen Bruder Ethan entführt, um mich hierherzulocken. Ich will ihn zurückhaben.«

»Nein.« Machina schüttelte den Kopf und kam noch näher. »Du bist nicht wegen deines Bruders gekommen, Meghan Chase. Und auch nicht wegen des Dunklen Prinzen, den du zu lieben glaubst. Du bist nur aus einem einzigen Grund hier. Macht.«

In meinem Schädel pochte es und ich versuchte, vor ihm zurückzuweichen, aber die Kabel hielten mich fest. »Nein«, murmelte ich, während ich weiter gegen das eiserne Netz ankämpfte. »Das … das stimmt nicht. So war es nicht.«

»Dann zeig es mir.« Machina breitete einladend die Arme aus. »Wie sollte es denn eigentlich ablaufen? Wozu bist du hergekommen? Was wolltest du tun? Zeig es mir, Meghan Chase.«

»Nein!«

»Zeig es mir!«

Plötzlich pulsierte etwas in meiner Hand – der kraftvolle Herzschlag des Hexenholzpfeils. Mit einem Schrei riss ich den Arm hoch und trieb Machina das angespitzte Ende in die Brust; so tief, dass der Pfeil sich in sein Herz bohrte.

Taumelnd wich Machina zurück und starrte mich völlig entsetzt an. Doch jetzt war er nicht mehr Machina, sondern ein Feenprinz mit nachtschwarzem Haar und hellen Silberaugen. Schlank und gefährlich, ganz in Schwarz gekleidet, fasste er nach dem Schwert an seinem Gürtel, bevor er erkannte, dass es zu spät war. Er schwankte, kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben, und ich unterdrückte einen Schrei.

»Meghan«, hauchte Ash. Ein schmales Rinnsal Blut quoll ihm zwischen den Lippen hervor. Seine Hände umfassten den Pfeil in seiner Brust und er fiel auf die Knie. Flehend sah er mich an. »Warum?«

Zitternd hob ich die Hände und sah, dass sie rot glänzten und mir eine Flüssigkeit über die Arme lief und zu Boden tropfte. Unter der feuchten Schicht wanden sich Dinge unter meiner Haut und versuchten, sich an die Oberfläche zu bohren wie gierige Blutegel. Irgendwo in den Tiefen meines Bewusstseins war mir klar, dass ich eigentlich entsetzt, erschrocken und extrem angewidert sein müsste. Aber das war ich nicht. Ich fühlte mich mächtig – mächtig und stark, als würde elektrischer Strom durch meinen Körper fließen, als könnte ich alles tun, was ich wollte, und niemand könnte mich aufhalten.

Ich sah hinab auf den Dunklen Prinzen und verzog beim Anblick dieser jämmerlichen Gestalt verächtlich die Lippen. Hatte ich wirklich einmal einen solchen Schwächling geliebt?

»Meghan.« Ash kniete vor mir und das Leben floss nach und nach aus seinem Körper, obwohl er darum kämpfte, es festzuhalten. Einen kurzen Moment lang bewunderte ich diese Hartnäckigkeit, aber sie würde ihn auch nicht retten. »Was ist mit deinem Bruder?«, flehte er. »Und deiner Familie? Sie warten darauf, dass du nach Hause kommst.«

Aus meinem Rücken und meinen Schultern entrollten sich metallene Kabel und breiteten sich um mich wie glitzernde Flügel. Wieder sah ich hinunter auf den Dunklen Prinzen, der hilflos vor mir kniete, und ich schenkte ihm ein nachsichtiges Lächeln.

»Ich bin zu Hause.«

Die Kabel stießen blitzschnell herab, bohrten sich in die Brust des Feenprinzen und nagelten ihn am Boden fest. Ash zuckte und öffnete den Mund zu einem stummen Schrei, bevor sein Kopf nach hinten fiel und er in tausend Stücke zersprang wie ein Kristall, der auf Beton aufschlägt.

Umgeben von den funkelnden Überresten des Dunklen Prinzen legte ich den Kopf in den Nacken und lachte – mein Lachen verwandelte sich in einen rauen Schrei, als ich aus dem Schlaf hochschreckte.

Mein Name ist Meghan Chase.

Ich bin jetzt schon eine ganze Weile im Palast der Winterfeen. Wie lange genau? Keine Ahnung. Die Zeit vergeht hier irgendwie anders. Während ich im Nimmernie festsitze, dreht sich die Außenwelt, die Welt der Sterblichen, ohne mich weiter. Falls ich jemals hier rauskomme und es zurück nach Hause schaffe, muss ich vielleicht feststellen, dass hundert Jahre vergangen sind, während ich weg war, wie bei Dornröschen, mit dem Unterschied, dass meine Familie und Freunde dann schon lange tot sind.

Ich versuche, nicht zu oft darüber nachzudenken, aber manchmal verfalle ich einfach in diese Grübeleien.

In meinem Zimmer war es kalt. Hier war es immer kalt. Mir war immer kalt. Nicht einmal die saphirblauen Flammen im Kamin reichten aus, um die ständige Kälte zu vertreiben. Die Wände und Decken bestanden aus blickdichtem, rauchigem Eis. Selbst am Kronleuchter hingen Tausende von Eiszapfen. An diesem Abend trug ich eine Trainingshose, Handschuhe, einen dicken Pullover und eine Wollmütze, aber das war nicht genug. Vor meinem Fenster glitzerte die unterirdische Stadt der Winterfeen in ihrem eisigen Glanz. Dunkle Gestalten hüpften und flatterten in den Schatten und zeigten Klauen, Zähne und Flügel. Zitternd sah ich zum Himmel hinauf. Die Decke der gigantischen Höhle war zu weit entfernt, um sie in der Dunkelheit erkennen zu können, aber Tausende winziger Lichter – Kugeln aus Feenfeuer oder Feen selbst – funkelten wie Sterne am Himmel.

Es klopfte an meiner Tür.

Ich rief nicht Herein. Dass das nicht empfehlenswert war, hatte ich bereits gelernt. Das hier war der Dunkle Hof und jemanden in sein Zimmer einzuladen, war eine wirklich, wirklich blöde Idee. Ich konnte sie mir nicht ganz vom Hals halten, aber die Feen stellten sklavisch Regeln über alles andere und ihre Königin hatte befohlen, dass ich nicht belästigt werden durfte, außer auf eigenen Wunsch.

Und wenn ich sie hereinbat, könnte das als ein solcher Wunsch gedeutet werden.

Ich durchquerte umhüllt von den Dampfwolken meines Atems das Zimmer und öffnete die Tür einen Spaltbreit.

Eine geschmeidige schwarze Katze saß auf dem Boden, den Schwanz um ihre Pfoten gelegt, und sah mit durchdringenden gelben Augen zu mir hoch. Bevor ich den Mund aufmachen konnte, fauchte sie und schoss wie ein schwarzer Schatten durch den offenen Spalt.

»Hey!«

Ich wirbelte herum, doch die Katze war nicht länger eine Katze. Stattdessen stand dort die Púca Tiaothin und grinste mich mit funkelnden Fangzähnen an. War ja klar, dass es eine Púca sein würde – sie befolgten keinerlei gesellschaftliche Regeln. Genau genommen schien es ihnen sogar einen Riesenspaß zu machen, sie zu brechen.

Zwischen ihren Dreadlocks lugten pelzige Ohren hervor, die immer wieder mal zuckten. Sie trug eine knallbunte Jacke, besetzt mit Glasedelsteinen und Nieten, zerfetzte Jeans und Kampfstiefel. Im Gegensatz zu den Feen des Lichten Hofes bevorzugten die Dunklen Feen die Kleidung der Sterblichen. Ob das eine offene Provokation des Lichten Hofes darstellen sollte oder ob sie so unter Menschen weniger auffallen wollten, war mir nicht ganz klar.

»Was willst du?«, fragte ich wachsam. Tiaothin hatte von dem Moment an, als ich an den Hof gebracht wurde, ein lebhaftes Interesse an mir gezeigt. Der Grund dafür war wohl die unstillbare Neugier einer Púca. Wir hatten uns ein paarmal unterhalten, aber ich würde sie nicht gerade als Freundin bezeichnen. Die Art, wie sie mich anstarrte, ohne zu blinzeln – als würde sie abwägen, ob ich zu ihrer nächsten Mahlzeit taugte –, machte mich immer ziemlich nervös.

Die Púca fauchte und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Du bist noch nicht so weit«, stellte sie fauchend fest und musterte mich skeptisch. »Beeil dich. Beeil dich und zieh dich um. Wir sollten los. Schnell.«

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Tiaothin war noch nie leicht zu verstehen gewesen, da sie so rasch von einem Thema zum nächsten sprang, dass man ihr nur schwer folgen konnte. »Wohin denn?«, fragte ich, worauf sie kicherte.

»Zur Königin«, schnurrte Tiaothin und zuckte mit den Ohren. »Die Königin verlangt nach dir.«

Mein Magen zog sich zusammen. Seit ich mit Ash an den Winterhof gekommen war, hatte ich mich vor diesem Augenblick gefürchtet. Bei unserer Ankunft im Palast hatte die Königin mich mit einem raubtierhaften Lächeln gemustert und mich dann mit dem Kommentar entlassen, dass sie unter vier Augen mit ihrem Sohn zu sprechen wünsche, aber bald nach mir schicken würde. Natürlich war »bald« im Feenland ein sehr dehnbarer Begriff und so hatte ich seitdem wie auf glühenden Kohlen gesessen und darauf gewartet, dass Mab sich an mich erinnerte.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch Ash zum letzten Mal gesehen.

Bei dem Gedanken an Ash flatterten Schmetterlinge in meinem Bauch und ich erinnerte mich daran, wie viel sich geändert hatte. Als ich auf der Suche nach meinem entführten Bruder das erste Mal ins Feenland gekommen war, war Ash mein Feind gewesen – der kühle, gefährliche Sohn von Mab, der Königin des Dunklen Hofes. Als zwischen den beiden Höfen Krieg auszubrechen drohte, schickte Mab Ash los, um mich gefangen zu nehmen, da sie hoffte, mich als Druckmittel gegen meinen Vater, König Oberon, einsetzen zu können. Doch da ich meinen Bruder retten wollte, ging ich in meiner Notlage einen Handel mit dem Winterprinzen ein: Wenn er mir half, Ethan zu befreien, würde ich widerstandslos mit ihm an den Dunklen Hof kommen. Zu diesem Zeitpunkt war es ein Akt der Verzweiflung. Ich brauchte jede Hilfe, die ich kriegen konnte, um dem Eisernen König entgegenzutreten und meinen Bruder zu retten. Doch irgendwann, während wir uns durch dieses verfluchte Ödland aus Staub und Eisen schlugen und ich Ash dabei zusehen musste, wie er gegen dieses Reich ankämpfte, das sein innerstes Wesen vergiftete, erkannte ich, dass ich mich in ihn verliebt hatte.

Ash hatte mich dorthin gebracht, aber seine Begegnung mit Machina hätte er beinahe nicht überlebt. Der König der Eisernen Feen war unfassbar stark, fast unbesiegbar. Doch entgegen allen Erwartungen gelang es mir irgendwie, Machina zu besiegen, meinen Bruder zu retten und ihn nach Hause zu bringen.

Ash kam noch in derselben Nacht, um mich zu holen, wie wir es vereinbart hatten. Es war an der Zeit, dass ich meinen Teil der Abmachung erfüllte. Also verließ ich erneut meine Familie und folgte Ash nach Tir Na Nog, ins Land des Winters.

Es war kalt auf der Reise durch Tir Na Nog, dunkel und furchterregend. Selbst mit dem Winterprinzen an meiner Seite war das Feenland nach wie vor wild und nicht besonders gastfreundlich, besonders gegenüber Menschen. Ash war der perfekte Bodyguard – gefährlich, wachsam und Schutz bietend –, aber manchmal wirkte er seltsam distanziert und abgelenkt. Je weiter wir in das Winterreich vordrangen, desto mehr zog er sich zurück und verschloss sich vor mir und der Welt. Und er weigerte sich, mir den Grund dafür zu nennen.

In der letzten Nacht unserer Reise wurden wir angegriffen. Ein riesiger Wolf, von Oberon geschickt, spürte uns auf, um Ash zu töten und mich an den Sommerhof zurückzubringen. Wir konnten ihm entkommen. Aber Ash war verwundet worden, als er gegen die Kreatur kämpfte, und deshalb suchten wir Zuflucht in einer verlassenen Eishöhle, um uns auszuruhen und seine Wunden zu versorgen.

Er schwieg, während ich den behelfsmäßigen Verband um seinen Arm wickelte, aber ich spürte seinen Blick auf mir, als ich ihn verknotete. Ich ließ seinen Arm los, sah auf und direkt in seine silbrigen Augen. Ash blinzelte bedächtig und musterte mich mit diesem Blick, der verriet, dass er mich zu verstehen versuchte. Ich wartete ab und hoffte, dass er mir endlich einen gewissen Einblick in seine plötzliche Unnahbarkeit gewähren würde.

»Warum bist du nicht weggelaufen?«, fragte er schließlich leise. »Wenn dieses Ding mich getötet hätte, hättest du nicht mit mir nach Tir Na Nog kommen müssen. Du wärst frei gewesen.«

Ich sah ihn böse an.

»Ich habe unserem Handel genauso zugestimmt wie du«, murmelte ich und zog mit einem heftigen Ruck den Knoten des Verbands fest, aber Ash ächzte nicht einmal. Jetzt kochte ich vor Wut und funkelte ihn zornig an. »Was denn, hast du gedacht, nur weil ich ein Mensch bin, würde ich mich drücken? Ich wusste, worauf ich mich einlasse, und ich werde meinen Teil unserer Vereinbarung erfüllen, egal, was passiert. Und wenn du glaubst, ich würde dich einfach zurücklassen, nur damit ich Mab nicht gegenübertreten muss, kennst du mich kein bisschen.«

»Gerade weil du ein Mensch bist«, fuhr Ash mit derselben ruhigen Stimme fort und hielt meinem Blick stand, »hast du eine taktisch günstige Gelegenheit verstreichen lassen. Eine Winterfee an deiner Stelle wäre nicht geblieben. Sie lassen nicht zu, dass ihre Gefühle ihnen in die Quere kommen. Wenn du am Winterhof überleben willst, musst du anfangen, so zu denken wie sie.«

»Tja, ich bin aber nicht wie sie.« Ich stand auf und wich einen Schritt zurück, wobei ich krampfhaft versuchte, das schmerzhafte Gefühl des Verrats zu ignorieren, auch wenn mir bereits bescheuerte Tränen der Wut in die Augen stiegen. »Ich bin keine Winterfee. Ich bin ein Mensch, mit menschlichen Gefühlen. Und wenn du glaubst, dass ich mich dafür entschuldige, vergiss es. Ich kann meine Gefühle nicht so einfach ausblenden wie du.«

Ich wirbelte herum und wollte beleidigt davonstiefeln, doch Ash erhob sich blitzartig und packte mich von hinten an den Oberarmen. Ich erstarrte, drückte die Knie durch und hielt mich kerzengerade, da es keinen Sinn gehabt hätte, gegen seinen Griff anzukämpfen. Selbst verwundet und blutend war er viel stärker als ich.

»Ich wollte nicht undankbar erscheinen«, flüsterte er mir ins Ohr und gegen meinen Willen meldeten sich wieder die Schmetterlinge in meinem Bauch. »Ich wollte dir nur etwas klarmachen. Die Angehörigen des Winterhofes sehen die Schwachen als Beute an. So sind sie nun mal. Sie werden versuchen, dich in Stücke zu reißen, sowohl körperlich als auch emotional, und ich werde nicht immer da sein können, um dich zu beschützen.«

Ich begann zu zittern und mein Ärger verflog, während meine eigenen Zweifel und Ängste zurückkehrten. Ash seufzte und ich spürte, wie er seine Stirn an meinen Hinterkopf lehnte und sein Atem meinen Nacken streifte. »Ich will das nicht tun«, gab er leise und gequält zu. »Ich will nicht mit ansehen müssen, was sie alles mit dir anstellen werden. Eine Sommerfee hat am Winterhof so gut wie keine Chance. Aber ich habe geschworen, dich zurückzubringen, und ich bin an dieses Versprechen gebunden.« Er hob den Kopf, umklammerte fast schmerzhaft meine Schultern und fuhr mit einer Stimme fort, die nicht nur wesentlich tiefer, sondern auch grimmig und kalt klang: »Deswegen musst du stärker sein als sie. Du darfst nie nachlassen in deiner Wachsamkeit, egal, was kommt. Sie werden dich in die Falle locken wollen, mit Spielen und schönen Worten. Und dann werden sie es genießen, wie du leidest. Lass sie nicht an dich ran. Und vertraue niemandem.« Er hielt inne und fügte dann noch leiser hinzu: »Nicht einmal mir.«

»Dir werde ich immer vertrauen«, flüsterte ich, ohne nachzudenken.

Sofort wurde sein Griff härter und er drehte mich fast gewaltsam zu sich herum. »Nein«, widersprach er, seine Augen zu Schlitzen verengt. »Das darfst du nicht. Ich bin dein Feind, Meghan. Das darfst du niemals vergessen. Wenn Mab mir befiehlt, dich vor dem gesamten Hofstaat zu töten, ist es meine Pflicht, dem nachzukommen. Wenn sie Rowan oder Sage befiehlt, dich langsam aufzuschlitzen und dafür zu sorgen, dass du in jeder Sekunde Höllenqualen leidest, wird von mir erwartet, daneben zu stehen und sie gewähren zu lassen. Verstehst du das? Meine Gefühle für dich sind am Winterhof ohne Bedeutung. Sommer und Winter werden sich immer feindlich gegenüberstehen und daran wird sich nie etwas ändern.«

Ich wusste, dass ich eigentlich Angst vor ihm haben sollte. Schließlich war er ein Prinz des Dunklen Hofes und hatte soeben unmissverständlich erklärt, dass er mich töten würde, wenn Mab es ihm befahl. Aber er hatte auch zugegeben, dass er Gefühle für mich hatte – Gefühle, die dort keine Bedeutung hatten, aber trotzdem kribbelte es in meinem Bauch, als ich es hörte. Vielleicht war ich ja naiv, aber ich konnte nicht glauben, dass Ash mir absichtlich wehtun würde, nicht mal, wenn wir am Winterhof waren. Nicht, wenn er mich so ansah wie jetzt, wo sich Zerrissenheit und Ärger in seinen Silberaugen spiegelten.

Er starrte mich noch einen Moment an, dann seufzte er. »Du hast kein Wort von dem, was ich gesagt habe, verstanden, oder?«, murmelte er und schloss die Augen.

»Ich habe keine Angst«, erklärte ich, was eine Lüge war: Ich hatte Todesangst vor Mab und dem Dunklen Hof, der mich am Ende dieser Reise erwartete. Aber solange Ash da war, würde mir nichts geschehen.

»Du bist so verdammt dickköpfig«, murmelte Ash und fuhr sich frustriert mit der Hand durch sein Haar. »Und ich habe keine Ahnung, wie ich dich beschützen soll, wenn du keinerlei Selbsterhaltungstrieb zeigst.«

Ich stellte mich dicht vor ihn und legte eine Hand auf seine Brust, so dass ich seinen Herzschlag unter dem Hemd spüren konnte. »Ich vertraue dir«, sagte ich und stellte mich auf die Zehenspitzen, bis unsere Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. Langsam ließ ich meine Finger zu seinem Bauch hinuntergleiten. »Ich weiß, dass du einen Weg finden wirst.«

Sein Atem stockte und er musterte mich sehnsüchtig. »Du spielst mit dem Feuer, ist dir das klar?«

»Das ist ziemlich schräg, wenn man bedenkt, dass du ein Eisprin…« Ich kam nicht weiter, denn Ash beugte sich vor und küsste mich. Ich schlang ihm die Arme um den Nacken, während er seine Hände um meinen Bauch legte, und für einige Augenblicke konnte mir die Kälte nichts anhaben.

Am nächsten Morgen war er wieder distanziert und unnahbar und sprach kaum mit mir, ganz egal, wie oft ich es versuchte. Am Abend erreichten wir den unterirdischen Palast des Winterhofes, wo mich Mab fast augenblicklich entließ. Ein Diener brachte mich in mein Quartier und ich hockte mich in das kleine, kalte Zimmer und wartete darauf, dass Ash mich aufsuchen würde.

Doch er kam nach seiner Besprechung mit der Königin nicht zu mir, und nachdem ich ein paar Stunden gewartet hatte, wagte ich mich schließlich in die Gänge des Palastes hinaus, um nach ihm zu suchen. Bei dieser Gelegenheit stieß ich auf Tiaothin, oder besser gesagt, sie stieß auf mich, und zwar in der Bibliothek, wo ich mit einem Riesen Verstecken spielte, während er mich durch die Regalreihen jagte. Nachdem sie den Riesen losgeworden war, informierte sie mich darüber, dass Prinz Ash sich nicht mehr im Palast aufhielt und niemand wusste, wann er zurückkommen würde.

»Aber so ist Ash nun einmal«, erklärte sie und grinste mich von einem Bücherregal herab an. »Er ist fast nie bei Hofe. Da erhascht man mal einen kleinen Blick auf ihn und puff – schon ist er wieder für ein paar Monate verschwunden.«

Warum sollte Ash einfach so verschwinden?, fragte ich mich gerade zum hunderttausendsten Mal. Er hätte mir wenigstens sagen können, wohin er geht und wann er zurückkommen will. Er hätte mich nicht so in der Luft hängen lassen brauchen.

Es sei denn, er ging mir absichtlich aus dem Weg. Es sei denn, all das, was er gesagt hatte – unser Kuss, die Gefühle, die sich in seinen Augen und in seiner Stimme spiegelten –, bedeutete ihm nichts. Vielleicht hatte er das alles nur getan, um mich ohne Probleme zum Winterhof zu bringen.

»Du wirst noch zu spät kommen«, schnurrte Tiaothin und brachte mich damit zurück in die Gegenwart, wo sie mich mit glühenden Katzenaugen musterte. »Mab wartet nicht gern.«

»Klar«, erwiderte ich schwach und schüttelte die finsteren Gedanken ab. Ups, richtig. Ich habe ja eine Audienz bei der Winterkönigin. »Gib mir nur eine Minute, um mich umzuziehen.« Ich wartete, doch als Tiaothin sich nicht rührte, sah ich sie finster an. »Äh, wie wär’s bitte mit etwas Privatsphäre?«

Tiaothin kicherte und verwandelte sich in einer fließenden Bewegung in eine zottelige schwarze Ziege, die auf allen vier Hufen aus dem Zimmer hüpfte. Ich schloss die Tür und lehnte mich dagegen, während mein Herz heftig pochte. Mab wollte mich sehen. Die Königin des Dunklen Hofes schickte endlich nach mir. Zitternd stieß ich mich von der Tür ab und trat zu meiner Frisierkommode mit dem Eisspiegel.

Mein Spiegelbild starrte mir entgegen, durch die Sprünge im Eis leicht verzerrt. Es gab immer noch Momente, in denen ich mich selbst nicht erkannte. Meine glatten blonden Haare wirkten in dem gedämpften Licht des Raumes fast silbern und meine Augen schienen viel zu groß für mein Gesicht zu sein. Außerdem waren da noch andere Dinge, tausend kleine Details, die ich nicht genau benennen konnte, die mir aber sagten, dass ich kein Mensch war, sondern etwas, wovor man sich fürchten sollte. Und natürlich war da der offensichtlichste Unterschied: Spitze Ohren ragten an den Seiten meines Kopfes auf, eine schreiend deutliche Erinnerung daran, wie anormal ich war.

Ich wandte den Blick von meinem Spiegelbild ab und sah hinunter auf meine Kleidung. Sie war zwar warm und bequem, aber ich war ziemlich sicher, dass es keine gute Idee war, der Königin des Dunklen Hofes in Jogginghose und Schlabberpulli entgegenzutreten.

Na toll. Ich soll in fünf Minuten vor der Königin der Winterfeen erscheinen. Was soll ich nur anziehen?

Ich schloss meine Augen, versuchte den Schein um mich zu sammeln und über meine Kleidung zu legen. Nichts. Der enorme Kraftstrom, aus dem ich geschöpft hatte, während ich gegen den Eisernen König kämpfte, schien versiegt zu sein, und zwar so radikal, dass ich nicht einmal mehr eine simple Illusion erschaffen konnte. Und das lag bestimmt nicht daran, dass ich es nicht genug versuchte. Ich musste an die Lehrstunden denken, die ich von Grimalkin erhalten hatte, einem Feenkater, den ich auf meiner ersten Reise ins Nimmernie getroffen hatte.

Ich hatte versucht, unsichtbar zu werden, Schuhe schweben zu lassen und Feenfeuer zu erschaffen. Alles Reinfälle. Ich konnte den Schein nicht einmal mehr spüren, obwohl ich wusste, dass er überall war. Der Schein wird von Emotionen gespeist, und je wilder und leidenschaftlicher die Emotionen sind – Wut, Lust, Liebe –, desto leichter kann man sich ihrer bedienen. Doch jetzt hatte ich keinen Zugriff mehr darauf. Anscheinend war ich wieder die gewöhnliche, nicht magische Meghan Chase von früher. Mit spitzen Ohren.

Es war seltsam: Jahrelang hatte ich nicht einmal gewusst, dass ich zur Hälfte eine Fee war. Erst vor ein paar Monaten, an meinem sechzehnten Geburtstag, hatte mein bester Freund Robbie mir enthüllt, dass er selbst Robin Goodfellow war, der berüchtigte Puck aus Shakespeares Sommernachtstraum. Mein kleiner Bruder Ethan war von Feen entführt worden und ich musste ihn retten. Ach ja, und nebenbei stellte sich heraus, dass ich die halb menschliche Tochter von König Oberon war, dem Herrscher der Sommerfeen. Es dauerte eine Weile, bis ich mich daran gewöhnt hatte – sowohl an die Tatsache, dass ich eine Halbfee war, als auch daran, dass ich die Magie der Feen, den Schein, nutzen und damit zaubern konnte. Nicht dass ich besonders gut darin war – ich war sogar grottenschlecht, was Grimalkin ziemlich irritierte –, aber darum ging es gar nicht. Früher hatte ich nicht mal an Feen geglaubt, doch jetzt, da meine Magie verschwunden war, fühlte es sich an, als würde ein Teil von mir fehlen.

Seufzend zog ich eine Kommodenschublade heraus und schlüpfte in eine Jeans und ein weißes Shirt, über das ich schnell noch einen langen schwarzen Mantel warf, bevor ich erfror. Kurz überlegte ich, ob ich etwas Schickeres anziehen sollte, so etwas wie ein Abendkleid. Doch dann entschied ich mich dagegen. Am Dunklen Hof war formelle Kleidung verpönt. Meine Überlebenschancen standen besser, wenn ich versuchte, mich anzupassen.

Als ich die Tür öffnete, starrte mich Tiaothin – nicht länger Ziege oder Katze – kurz an und grinste dann dreckig. »Hier entlang«, fauchte sie und trat rückwärts in einen eisigen Korridor. Ihre gelben Augen schienen körperlos in der Dunkelheit zu schweben. »Die Königin erwartet dich.«

Ich folgte Tiaothin durch gewundene dunkle Gänge und versuchte ganz bewusst nur geradeaus zu schauen. Doch aus den Augenwinkeln bemerkte ich trotzdem die alptraumhaften Gestalten, die den Dunklen Hof bevölkerten.

Hinter einer Tür hockte wie eine riesige Spinne ein dürrer Schwarzer Mann, dessen fahles, ausgemergeltes Gesicht mich durch den Türspalt musterte. Ein gewaltiger schwarzer Hund mit glühenden Augen folgte uns völlig lautlos durch die Gänge, bis Tiaothin ihn anfauchte und er sich verzog. Zwei Kobolde und ein Dunkerwichtel mit seinem typischen Haifischgebiss drückten sich in einer Ecke herum und spielten mit Würfeln aus Zähnen und winzigen Knochen. Als ich vorbeiging, brach gerade ein Streit aus, wobei die Kobolde auf den Dunkerwichtel zeigten und schrill »Betrüger, Betrüger!« kreischten. Ich sah mich nicht um, doch hinter mir ertönte ein Schrei und dann das durchdringende Geräusch von brechenden Knochen. Schaudernd folgte ich Tiaothin um eine Ecke.

Hier endete der Gang und weitete sich zu einem gewaltigen Raum, an dessen Decke Eiszapfen hingen wie funkelnde Kronleuchter. Irrwische und Kugeln aus Feenfeuer schwebten zwischen ihnen und ließen Lichtblitze über Wände und Boden zucken. Der Boden war mit Eis bedeckt und in Nebel gehüllt. Mein Atem bildete Dampfwolken, als ich den Raum betrat. Die Decke wurde von Eissäulen getragen, die wie durchsichtige Kristalle glitzerten und noch mehr zu der blendenden, verwirrenden Mischung aus Licht und Farben beitrugen. Lockende, schnelle Musik hallte durch den Raum, gespielt von einer Gruppe Menschen auf einer Bühne in einer der Ecken. Die Musiker bearbeiteten mit glasigen Augen ihre Instrumente und waren erschreckend dünn. Ihre Haare waren lang und verfilzt, als hätten sie sie seit Jahren nicht geschnitten. Und trotzdem schienen sie nicht beunruhigt oder unglücklich zu sein, sondern spielten ihre Instrumente mit zombieartigem Eifer, offensichtlich blind gegenüber ihrem nicht menschlichen Publikum.

Dutzende Dunkle Feen hielten sich in dem Raum auf, jede ein Wesen, das einem Alptraum entsprungen zu sein schien. Oger und Dunkerwichtel, Kobolde und Wassergeister, Gnome, Púcas und Feen, für die mir keine Bezeichnung einfiel, schlenderten durch die flackernde Dunkelheit.

Schnell suchte ich den Raum nach zerzaustem, schwarzem Haar und hellen Silberaugen ab. Meine Hoffnung schwand. Er war nicht hier.

Auf der anderen Seite des Raums schwebte ein Thron aus Eis in der Luft, der in blendender Helligkeit erstrahlte. Und auf diesem Thron saß, mächtig und unbezwingbar wie ein Gletscher, Mab, die Königin des Dunklen Hofes.

Die Winterkönigin sah schlicht und einfach umwerfend aus. An Oberons Hof hatte ich sie neben ihrer größten Rivalin gesehen, der Sommerkönigin Titania, die ebenfalls wunderschön war, aber eher auf die Art einer bösartigen High-Society-Lady. Auch Titania hasste mich, weil ich Oberons Tochter war, und hatte einmal versucht, mich in einen Hirsch zu verwandeln – sie war also nicht gerade meine beste Freundin. Und obwohl sie in jeder Hinsicht das krasse Gegenteil voneinander waren, waren beide Königinnen unglaublich mächtig. Titania war ein Sommersturm: schön, tödlich und immer bereit, jemanden mit einem Blitz zu zerschmettern, wenn er sie reizte. Mab hingegen war der kälteste aller Wintertage, wenn alles reglos und tot war, erstarrt vor Angst vor dem gnadenlosen Eis, das die Welt schon früher getötet hatte und es jederzeit wieder konnte.

Die Königin saß entspannt auf ihrem Thron, umgeben von mehreren adeligen Feen – den Sidhe –, die teure moderne Kleidung trugen, zum Beispiel makellose weiße Businesskostüme und Nadelstreifenanzüge von Armani. Als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, an Oberons Hof, hatte Mab ein schwarzes Kleid aus fließendem Stoff getragen, das sich wie lebendige Schatten bewegt hatte. Heute war sie ganz in Weiß gekleidet: weißer Hosenanzug, grau schimmernder Nagellack und elfenbeinfarbene Pumps. Ihre dunklen Haare waren auf ihrem Kopf zu einer eleganten Frisur festgesteckt. Plötzlich sahen ihre schwarzen Augen, die so unergründlich waren wie eine sternenlose Nacht, auf und entdeckten mich, woraufhin sich ihre bläulichen Lippen zu einem trägen Lächeln verzogen.

Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Den Feen sind die Menschen ziemlich egal. Menschen sind nichts weiter als Spielzeuge, die benutzt und dann weggeworfen werden. Diese Einstellung herrschte sowohl am Lichten wie auch am Dunklen Hof. Und auch wenn ich eine Halbfee und Oberons Tochter war, hier war ich ganz allein am Hof der Erzfeinde meines Vaters. Wenn ich Mab reizte, wer weiß, was die Königin tun würde. Vielleicht würde sie mich in ein weißes Kaninchen verwandeln und die Kobolde auf mich hetzen, obwohl das mehr Titanias Stil zu sein schien. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Mab sich etwas ausdenken würde, was um ein Vielfaches schrecklicher und grausamer wäre, und das machte mir echt Angst.

Tiaothin glitt zwischen den vielen Dunklen Feen hindurch, die sie kaum beachteten. Der Großteil ihrer Aufmerksamkeit richtete sich auf mich, während ich der Púca mit klopfendem Herzen folgte. Sie musterten mich hungrig, grinsten gierig und folgten mir mit Blicken, die ich im Nacken spürte, während ich mich darauf konzentrierte, mit erhobenem Kopf möglichst selbstsicher weiterzugehen. Nichts zieht ein Feenwesen so stark an wie Angst. Einer der adeligen Sidhe, dessen Gesicht nur aus Kanten zu bestehen schien, fing meinen Blick auf und lächelte, worauf sich mein Herz schmerzhaft zusammenzog. Er erinnerte mich an Ash, der nicht hier war, der mich an diesem Hof voller Monster allein gelassen hatte.

Je näher wir der Winterkönigin kamen, umso spürbarer wurde die Kälte, die von ihr ausging. Bald war die Luft so kalt, dass jeder Atemzug schmerzte. Tiaothin blieb am Fuß des Throns stehen und verbeugte sich. Ich folgte ihrem Beispiel, auch wenn es schwierig war, dabei mein Zähneklappern zu unterdrücken. Die Dunklen Feen scharten sich hinter uns und ihr Atem und ihre murmelnden Stimmen verursachten mir Gänsehaut.

»Meghan Chase.« Die raue Stimme der Königin hallte über die Versammlung hinweg und sorgte dafür, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Tiaothin schlich davon und verschwand in der Menge, so dass ich endgültig allein war. »Wie nett von dir, dich zu uns zu gesellen.«

»Es ist mir eine Ehre, hier zu sein, Eure Hoheit«, erwiderte ich und zwang meine Stimme unter Einsatz meiner gesamten Willenskraft, nicht zu zittern. Ein wenig vibrierte sie trotzdem und das kam nicht nur von der Kälte.

Mab lächelte belustigt, lehnte sich zurück und musterte mich mit ihren ausdruckslosen schwarzen Augen. Ein paar Herzschläge lang herrschte vollkommene Stille.

»Nun.« Die Königin klopfte mit ihren Nägeln rhythmisch auf ihre Armlehne, was mich zusammenzucken ließ. »Da wären wir. Du musst dich ja für sehr gerissen halten, Tochter des Oberon.«

»Verzeiht, Hoheit?«, stammelte ich und spürte, wie sich eine eisige Faust um mein Herz schloss. Das fing gar nicht gut an, kein bisschen.

»Bis jetzt nicht«, fuhr Mab fort und schenkte mir ein geduldiges Lächeln. »Und wohl auch in Zukunft nicht, da solltest du dir besser nichts vormachen.« Sie lehnte sich vor und sah plötzlich so unmenschlich aus, dass ich gegen den Drang ankämpfen musste, schreiend aus dem Thronsaal zu rennen. »Ich habe von deinen Eskapaden gehört, Meghan Chase«, erklärte die Königin mit rauer Stimme und kniff die Augen zusammen. »Dachtest du, ich würde es nicht herausfinden? Du hast einen Prinzen des Dunklen Hofes durch einen Trick dazu gebracht, dir in das Eiserne Reich zu folgen. Du hast ihn dazu gebracht, für dich gegen deine Feinde zu kämpfen. Du hast ihn an einen Vertrag gebunden, der ihn fast umgebracht hätte. Beinahe hätte ich meinen kostbaren Jungen für immer verloren, und das deinetwegen. Was denkst du, wie ich mich dabei fühle?«

Mabs Lächeln wurde immer bedrohlicher und mein Magen krampfte sich vor Angst zusammen. Was konnte sie mir alles antun? Mich in Eis einschließen? Mich von innen heraus einfrieren? Mein Blut abkühlen, so dass ich nie wieder Wärme spüren würde, ganz egal, was ich anhatte oder wie heiß es um mich herum war? Ich begann zu zittern, doch da bemerkte ich einen leichten Schimmer um mich herum wie Hitzewellen und erkannte plötzlich, dass Mab die Luft mit Schein vollpumpte, um meine Gefühle zu manipulieren und dafür zu sorgen, dass ich mir die schlimmsten Szenarien ausmalte. So musste sie mir gar nicht drohen, indem sie etwas sagte. Ich schaffte es auch ganz allein ziemlich gut, mich in Angst und Schrecken zu versetzen.

Abgelenkt fragte ich mich in einem lichten Moment, ob Ash dasselbe mit mir gemacht und meine Gefühle manipuliert hatte, damit ich mich in ihn verliebte. Wenn Mab das konnte, verfügten ihre Söhne sicher über das gleiche Talent. Waren meine Gefühle für Ash echt oder nur irgendein künstlich geschaffener Zauber?

Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um dir darüber den Kopf zu zerbrechen, Meghan!

Mab starrte mich an, um meine Reaktion einzuschätzen. Ich zitterte immer noch vor Angst, aber ein Teil von mir wusste, was die Königin tat. Wenn ich jetzt durchdrehte und um Gnade bettelte, wäre ich an einen Feenvertrag gebunden, noch ehe mir bewusst würde, was geschehen war. Versprechen wurden unter den Feen tödlich ernst genommen und ich würde mich von Mab bestimmt nicht dazu zwingen lassen, etwas zu schwören, was ich sofort bereuen würde.

Verstohlen holte ich Luft, um meine Gedanken zu ordnen, damit ich nicht losheulte wie eine Zweijährige, wenn ich der Königin der Winterfeen antwortete.

»Vergebt mir, Königin Mab«, begann ich und wählte meine Worte mit Bedacht. »Ich wollte weder Euch noch den Euren schaden. Ich brauchte Ashs Hilfe, um meinen Bruder vor dem Eisernen König zu retten.«

Bei der Erwähnung des Eisernen Königs kam Bewegung in die Dunklen Feen hinter mir. Sie brummten und knurrten und sahen sich wachsam um. Ich spürte, wie sich Fell aufstellte, Zähne gefletscht und Krallen ausgefahren wurden. Für normale Feenwesen war Eisen ein tödliches Gift, das ihnen ihre Magie entzog und ihr Fleisch verbrannte. Ein ganzes Königreich aus Eisen war eine grauenhafte, furchteinflößende Vorstellung für sie; ein Feenherrscher, der als Eiserner König bezeichnet wurde, die reinste Blasphemie. Mich durchzuckte die befriedigende Erkenntnis, dass die Eisernen Feen so was wie die Schwarzen Männer der Feenwelt geworden waren, und ich musste mir ein rachsüchtiges Lächeln verkneifen.

»Ich würde dich eine Lügnerin nennen, Mädchen«, erwiderte Mab ruhig, während sich das Knurren und Murmeln hinter mir langsam legte, »wenn ich nicht von meinem Sohn dasselbe gehört hätte. Sei versichert, dass die Gefolgsleute des Eisernen Königs keinerlei Bedrohung für uns darstellen. Genau in diesem Moment sind Ash und seine Brüder dabei, unser Reich nach diesen Eisernen Feen abzusuchen. Falls sich diese Abscheulichkeiten innerhalb unserer Grenzen aufhalten, werden wir sie jagen und vernichten.«

Ich spürte eine Welle der Erleichterung in mir aufsteigen, die allerdings nichts mit Mabs Versicherungen zu tun hatte. Ash war da draußen. Es gab einen Grund, warum er nicht bei Hofe war.

»Und trotzdem …« Mab warf mir einen Blick zu, bei dem sich mir der Magen umdrehte. »Trotzdem stellt sich mir unausweichlich die Frage, wie du überleben konntest. Möglicherweise hat sich das Sommerreich ja mit den Eisernen Feen verbündet und sie spinnen gemeinsam Intrigen gegen den Winterhof. Das wäre doch schrecklich amüsant, oder nicht, Meghan Chase?«

»Nein«, erwiderte ich leise. Vor meinem inneren Auge sah ich wieder den Eisernen König, wie er zurückwich, nachdem ich ihm den Pfeil in die Brust gerammt hatte, und musste meine Hände zu Fäusten ballen, damit sie nicht zitterten. Ich konnte immer noch sehen, wie Machina sich vor Schmerzen wand, und spürte, wie etwas Kaltes wie eine Schlange unter meine Haut kroch. »Der Eiserne König wollte das Sommerreich genauso zerstören wie den Winterhof. Aber jetzt ist er tot. Ich habe ihn getötet.«

Mab kniff ihre Augen zu schwarzen Schlitzen zusammen. »Und du denkst wirklich, ich würde glauben, dass du – ein halber Mensch und im Grunde genommen völlig machtlos – es geschafft hast, den Eisernen König zu töten?«

»Glaub ihr ruhig«, ertönte da eine Stimme, bei der mein Magen Purzelbäume schlug und mein Herz bis zum Hals klopfte. »Ich war dabei. Ich habe gesehen, was passiert ist.«

Ein Murmeln erhob sich, während sich die Menge der Dunklen Feen teilte. Ich konnte mich nicht rühren. Wie angewurzelt stand ich da und beobachtete mit klopfendem Herzen, wie Prinz Ash mit gefährlich geschmeidigen Bewegungen in den Saal schlenderte.

Ich zitterte und mein Magen verlegte sich von Purzelbäumen auf Rückwärtssaltos. Ash sah so aus wie immer, eine finstere Schönheit in Schwarz und Grau, wobei seine blasse Haut in scharfem Kontrast zu seinen Haaren und seiner Kleidung stand. Sein Schwert hing an seiner Seite und die Scheide leuchtete blauschwarz, als wolle sie die eisige Aura der Waffe wiedergeben.

Ich war so erleichtert, ihn zu sehen. Lächelnd machte ich einen Schritt auf ihn zu, blieb aber abrupt stehen, als ich seinen kalten Blick auffing. Verwirrt hielt ich inne. Vielleicht erkannte er mich ja nicht. Ich begegnete seinem Blick und wartete darauf, dass seine Miene auftauen und er mir dieses schmale Lächeln schenken würde, das ich so unwiderstehlich fand. Vergeblich. Seine kalten Augen streiften mich mit einem kurzen abschätzigen Blick, bevor er um mich herumging und vor seine Königin trat. Ich war geschockt und tief verletzt. Vielleicht spielte er ja wegen der Königin den Coolen, aber zumindest Hallo hätte er doch sagen können. Ich machte mir eine gedankliche Notiz, ihn später deswegen anzumotzen, wenn wir allein waren.

»Prinz Ash«, schnurrte Mab, als Ash sich vor ihrem Thron auf ein Knie sinken ließ. »Du bist zurückgekehrt. Begleiten deine Brüder dich?«

Ash hob den Kopf, doch eine weitere Stimme kam ihm zuvor.

»Unser jüngster Bruder ist unserer Gegenwart beinahe schon entflohen, so eilig hatte er es, zu dir zurückzukehren, Königin Mab«, sagte die helle, klare Stimme hinter mir. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich vermuten, dass er nicht in unserem Beisein mit dir sprechen wollte.«

Ash richtete sich mit angestrengt ausdrucksloser Miene auf, während zwei weitere Männer den Saal betraten, was zur Folge hatte, dass die Feen wie Vögel auseinanderflatterten. Genau wie Ash trugen sie lange, schmale Schwerter an der Seite und bewegten sich mit der mühelosen Eleganz des Adels.

Der Erste – der auch gesprochen hatte – ähnelte Ash in Größe und Statur: schlank, geschmeidig und gefährlich. Er hatte ein schmales, spitzes Gesicht und schwarze Haare, die ihm wie Stacheln vom Kopf abstanden. Hinter ihm bauschte sich ein weißer Trenchcoat und in einem seiner spitzen Ohren funkelte ein goldener Stecker. Im Vorbeigehen traf sein Blick mich, wobei seine eisblauen Augen funkelten wie Diamantsplitter und seine Lippen sich zu einem trägen Lächeln verzogen.

Der zweite Bruder war größer als seine Geschwister, eher schmal als schlank und trug die langen, schwarzen Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, der ihm bis zur Hüfte reichte. Ihm folgte ein großer, grauer Wolf, dessen schmale Augen wachsam umherschweiften.

»Rowan.« Mab lächelte den ersten Prinzen an, während sich die beiden vor ihr verbeugten, wie Ash es getan hatte. »Sage. Endlich sind meine Jungen alle wieder zu Hause. Welche Neuigkeiten bringt ihr mir? Habt ihr diese Eisernen Feen innerhalb unserer Grenzen gefunden? Bringt ihr mir ihre giftigen kleinen Herzen?«

»Meine Königin.« Jetzt sprach der größte der drei, der älteste Bruder Sage. »Wir haben Tir Na Nog von Grenze zu Grenze abgesucht, von den Eisigen Ebenen bis zum Gefrorenen Sumpf und bis zum Scherbenmeer. Wir haben keine Spur dieser Eisernen Feen entdeckt, von denen unser Bruder berichtet hat.«

»Bringt einen zu der Frage, ob unser geliebter Bruder Ash vielleicht ein wenig übertrieben hat«, meldete sich Rowan und seine Stimme passte zu dem spöttischen Grinsen in seinem Gesicht. »Immerhin scheinen sich die ›Legionen von Eisernen Feen‹ in Luft aufgelöst zu haben.«

Ash starrte Rowan zornig an, sah aber sofort wieder gelangweilt aus, während ich spürte, wie ich rot vor Wut wurde.

»Er sagt die Wahrheit«, platzte ich heraus und spürte dabei die Blicke des gesamten Hofes auf mir. »Die Eisernen Feen sind real und sie sind immer noch da draußen. Und wenn ihr sie nicht ernst nehmt, werdet ihr tot sein, bevor ihr realisiert, was eigentlich los ist.«

Rowan lächelte mich mit zusammengekniffenen Augen an. Es wirkte gefährlich. »Und warum sollte es Oberons Halbbluttochter kümmern, ob der Winterhof lebt oder stirbt?«

»Genug.« Mabs raue Stimme hallte durch den Saal. Sie erhob sich und wedelte mit der Hand in Richtung der Feen, die sich hinter uns versammelt hatten. »Raus mit euch. Verschwindet, und zwar alle. Ich will allein mit meinen Söhnen sprechen.«

Die Menge zerstreute sich und verließ schleichend, stampfend und gleitend den Thronsaal. Ich zögerte und versuchte Ashs Blick aufzufangen, weil ich nicht sicher war, ob ich an diesem Gespräch teilnehmen sollte. Immerhin wusste ich auch über die Eisernen Feen Bescheid. Es gelang mir tatsächlich, seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, aber der Winterprinz starrte mich nur gelangweilt und feindselig aus zusammengekniffenen Augen an.

»Hast du die Königin nicht gehört, Missgeburt?«, fragte er kalt und mein Herz krampfte sich zu einem winzigen Ball zusammen. Ich starrte ihn mit offenem Mund an und wollte einfach nicht glauben, dass Ash tatsächlich so mit mir sprach, doch er fuhr mit gnadenloser Verachtung fort: »Du bist hier nicht willkommen. Verschwinde.«

Ich spürte, wie Tränen der Wut mir in den Augen brannten, und trat einen Schritt auf ihn zu. »Ash …«

Mit funkelnden Augen schenkte er mir einen Blick voll puren Abscheus. »Für dich immer noch Prinz Ash oder Eure Hoheit, Missgeburt. Und ich kann mich nicht erinnern, dir erlaubt zu haben, mit mir zu sprechen. Vergiss das besser nicht wieder, denn das nächste Mal werde ich dich mit meinem Schwert daran erinnern, wo dein Platz ist.« Er wandte sich ab und entließ mich mit einer lässigen, kalten Geste.

Rowan kicherte und Mab beobachtete mich von ihrem Thron aus mit kühler Belustigung.

Mir schnürte sich die Kehle zu und hinter meinen Augen baute sich eine Flut auf, die hervorzubrechen drohte. Zitternd biss ich mir auf die Lippe und drängte die Tränen zurück. Ich würde nicht weinen. Nicht jetzt. Nicht hier vor Mab und Rowan und Sage. Sie warteten ja nur darauf. Das konnte ich in ihren Mienen lesen, während sie mich erwartungsvoll musterten. Wenn ich überleben wollte, durfte ich am Dunklen Hof keine Schwäche zeigen.

Ganz besonders jetzt nicht, wo Ash zu einem der Monster mutiert war.

Mit so viel Würde, wie ich aufbringen konnte, verbeugte ich mich vor Königin Mab. »Dann entschuldigt mich bitte, Eure Hoheit«, sagte ich und meine Stimme zitterte nur ganz leicht. »Ich will Euch und Eure Söhne nicht länger belästigen.«

Mab nickte und Rowan machte eine spöttische, völlig übertriebene Verbeugung vor mir. Ash und Sage ignorierten mich komplett.

Ich drehte mich auf dem Absatz um und verließ mit hoch erhobenem Haupt den Thronsaal, doch bei jedem Schritt brach mir das Herz.

Eine Proklamation

Als ich aufwachte, war es hell im Zimmer und kalte Lichtstrahlen fielen durch das Fenster. Mein Gesicht fühlte sich heiß und verklebt an und mein Kopfkissen war feucht. Einen wundervollen Moment lang erinnerte ich mich nicht an die Ereignisse vom Abend zuvor. Dann kehrte die Erinnerung wie eine schwarze Welle zurück.

Wieder drohte ich in Tränen auszubrechen und versteckte meinen Kopf unter der Bettdecke. Den Großteil der Nacht hatte ich damit verbracht, in mein Kissen zu weinen, das Gesicht fest in den Stoff gedrückt, damit mein Schluchzen so weit gedämpft wurde, dass die Feen im Korridor es nicht hören konnten.

Ashs grausame Worte waren wie ein Stich mitten ins Herz. Selbst jetzt konnte ich immer noch nicht fassen, wie er sich im Thronsaal benommen hatte. Als wäre ich nur Dreck unter seinen Schuhen, als würde er mich wahrhaft verabscheuen. Ich hatte so sehr gehofft und mich danach gesehnt, dass er zurückkäme, und jetzt waren diese Gefühle wie ein verbogener Nagel in meinem Inneren. Ich fühlte mich hintergangen, als wäre alles, was wir auf unserer Reise zum Eisernen König miteinander geteilt hatten, nur eine Farce, ein taktisches Manöver gewesen, das der verschlagene Eisprinz durchgezogen hatte, damit ich ihm an den Dunklen Hof folgte. Oder vielleicht hatte er auch einfach genug von mir und war weitergezogen. Ein weiteres Beispiel dafür, wie unberechenbar und unsensibel die Feen sein konnten.

In diesem Moment absoluter Einsamkeit und Verwirrung wünschte ich mir, Puck wäre hier. Puck mit seiner Sorglosigkeit und seinem ansteckenden Grinsen, der immer wusste, was er sagen musste, um mich wieder zum Lachen zu bringen. Als Mensch war Robbie Goodfell mein Nachbar und bester Freund gewesen; wir hatten alles miteinander geteilt, alles zusammen gemacht. Und dann stellte sich heraus, dass Robbie Goodfell eigentlich Robin Goodfellow war, der berüchtigte Puck aus Shakespeares Sommernachtstraum, und dass er von Oberon den Befehl erhalten hatte, mich vor der Feenwelt zu bewahren. Er widersetzte sich seinem König, als er mich für die Suche nach Ethan ins Nimmernie brachte, und dann noch einmal, als ich vom Lichten Hof floh und Oberon mir Puck hinterherschickte, um mich zurückzuholen. Er musste für seine Loyalität einen hohen Preis zahlen, als er schließlich in einem Kampf gegen Machinas Leutnant Virus angeschossen und fast getötet wurde. Wir waren gezwungen, ihn zurückzulassen, tief im Inneren des Baumes einer Dryade, wo er von seinen Verletzungen genesen sollte. Was diese Entscheidung anging, fühlte ich mich immer noch schuldig. Bei der Erinnerung daran stiegen mir erneut Tränen in die Augen. Puck konnte einfach nicht tot sein. Dafür vermisste ich ihn viel zu sehr.

Ein heftiges Klopfen an der Tür ließ mich aufschrecken. »Meghaaan«, hörte ich die singende Stimme von der Púca Tiaothin. »Auufwaaachen. Ich weiß, dass du da drin bist. Mach die Tüüür aaauuuf.«

»Geh weg«, schrie ich und wischte mir über die Augen. »Ich werde nicht rauskommen, klar? Ich fühle mich nicht so besonders.«

Natürlich stachelte sie das nur weiter an. Das Klopfen wurde zu einem Kratzen, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellten, und ihre Stimme wurde lauter und drängender. Da ich wusste, dass sie notfalls den ganzen Tag kratzend und nörgelnd da sitzen würde, sprang ich aus dem Bett, stampfte quer durchs Zimmer und riss die Tür auf.

»Was ist denn?«, knurrte ich.

Die Púca musterte blinzelnd meine zerknautschten Klamotten, die Tränenspuren auf meinem Gesicht und meine angeschwollene, laufende Nase. Ihre Lippen verzogen sich zu einem wissenden Lächeln, das mich noch wütender machte. Wenn sie nur gekommen war, um mich zu ärgern, konnte sie gleich wieder verschwinden. Ich trat einen Schritt zurück, um ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen, als sie schon ins Zimmer schoss und elegant auf mein Bett sprang.

»Hey! Verdammt, Tiaothin! Verzieh dich!« Meine Proteste wurden einfach ignoriert, stattdessen sprang die Púca fröhlich auf dem Bett herum und riss mit ihren scharfen Krallen Löcher in die Decke.

»Meghan ist verliihiiebt«, sang die Púca und mir blieb fast das Herz stehen. »Meghan ist verliihiiebt. Meghan und Ash gehen in den Wald …«

»Halt die Klappe, Tiaothin!« Ich knallte die Tür zu und ging mit einem finsteren Blick zu ihr rüber.

Die Púca kicherte, hörte auf herumzuhopsen und ließ sich im Schneidersitz auf meinem Kissen nieder. Ihre grüngoldenen Augen funkelten schelmisch.

»Ich bin nicht in Ash verliebt«, erklärte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. »Hast du nicht mitgekriegt, wie er mit mir geredet hat? Als wäre ich der letzte Dreck. Ash ist ein herzloser, arroganter Mistkerl. Ich hasse ihn.«

»Lügnerin«, erwiderte die Púca. »Lügner, Lügner, lügnerischer Mensch. Ich habe gesehen, wie du ihn angestarrt hast, als er reinkam. Diesen Blick kenne ich. Dich hat’s voll erwischt.« Tiaothin zuckte kichernd mit einem Ohr, während ich mich wand. Dann grinste sie so breit, dass man ihr gesamtes Gebiss sehen konnte. »Ist wirklich nicht deine Schuld. Ash wirkt einfach so auf die Leute. Kein dummer Sterblicher kann ihn ansehen und sich nicht Hals über Kopf in ihn verlieben. Was meinst du denn, wie viele Herzen er schon gebrochen hat?«

Das zog mich noch weiter runter. Ich hatte gedacht, ich wäre etwas Besonderes. Dass Ash etwas für mich empfand, wenigstens ein kleines bisschen. Jetzt wurde mir klar, dass ich wohl nur ein weiteres Mädchen in einer langen Reihe von Menschen war, die so blöd gewesen waren, sich in ihn zu verlieben.

Tiaothin lehnte sich gähnend in meine Kissen zurück. »Ich sage dir das, damit du nicht deine Zeit damit vergeudest, dem Unerreichbaren nachzujagen«, schnurrte sie und sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. »Außerdem ist Ash in eine andere verliebt«, fuhr sie fort. »Schon seit ewigen Zeiten. Er hat sie nie vergessen.«

»Ariella«, flüsterte ich.

Sie wirkte überrascht. »Er hat dir von ihr erzählt? Wow. Tja, dann sollte dir eigentlich klar sein, dass Ash sich niemals in ein unscheinbares, halb menschliches Mädchen verlieben würde. Immerhin war Ariella die schönste Sidhe am gesamten Winterhof. Er würde niemals ihr Andenken verraten, selbst wenn das Gesetz keine Rolle spielen würde. Du kennst doch das Gesetz, oder?«

Ich hatte keine Ahnung von irgendeinem Gesetz und es war mir auch egal. Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Púca wollte, dass ich sie danach fragte, aber diesen Gefallen würde ich ihr nicht tun. Doch Tiaothin schien fest entschlossen, es mir trotzdem zu erzählen, denn sie fuhr naserümpfend fort: »Du bist Sommer«, erklärte sie abfällig. »Wir sind Winter. Es verstößt gegen das Gesetz, dass die beiden Seiten sich miteinander einlassen. Es passiert zwar nicht oft, aber hin und wieder verliebt sich eine durchgedrehte Sommerfee in einen aus dem Winterreich oder andersrum. Das bringt nur Probleme – Sommer und Winter sind einfach nicht füreinander bestimmt. Wenn sie erwischt werden, verlangen die Herrscher, dass sie ihrer Liebe unverzüglich abschwören. Wenn sie sich weigern, werden sie bis in alle Ewigkeit in die Menschenwelt verbannt, damit sie ihre blasphemische Beziehung an einem Ort fortsetzen können, wo die Hofstaaten es nicht mit ansehen müssen … falls sie nicht auf der Stelle hingerichtet werden.« Sie fixierte mich mit ihrem stechenden Blick. »Du siehst also, Ash würde seine Königin und sein Reich niemals wegen eines Menschen verraten. Es ist also das Beste, wenn du ihn dir aus dem Kopf schlägst. Vielleicht suchst du dir einfach einen blöden sterblichen Jungen, wenn du wieder in der Menschenwelt bist – falls Mab dich jemals gehen lässt.«

Inzwischen ging es mir so miserabel, dass ich nicht einmal mehr den Mund aufmachen konnte, weil nichts als Schluchzen oder Schreie herausgekommen wären. Meine Kehle brannte und meine Augen schwollen zu. Ich musste hier raus, weg von Tiaothins brutalen Wahrheiten, bevor ich in Stücke zersprang.

Ich biss mir auf die Lippe, um die Tränen zurückzuhalten, drehte mich um und rannte in die Korridore des Dunklen Hofes hinaus.

Fast wäre ich über einen Kobold gestolpert, der zischend seine Fangzähne bleckte, die im Halbdunkeln schimmerten. Hastig murmelte ich eine Entschuldigung und lief weiter. Eine große Frau in einem geisterhaften, weißen Kleid schwebte durch den Gang und ich bog schnell in einen anderen Korridor ab, bevor ihre roten, geschwollenen Augen mich entdeckten.

Ich musste hier raus. Nach draußen, an die klare, kalte Luft, und wenigstens ein paar Minuten allein sein, bevor ich völlig durchdrehte. In den dunklen Korridoren und überfüllten Hallen des Palastes wurde ich klaustrophobisch. Tiaothin hatte mir einmal den Weg nach draußen gezeigt – eine große Doppeltür, die auf der einen Seite mit einem lachenden Gesicht verziert war, auf der anderen Seite mit einer furchtbaren Fratze. Ich hatte allein wieder nach ihr gesucht, sie aber nie gefunden. Inzwischen hatte ich den Verdacht, dass Mab sie mit einem Zauber belegt hatte, um sie vor mir zu verbergen. Oder vielleicht spielten die Türen auch auf grausame Art Verstecken mit mir – im Feenland machten Türen das manchmal. Es war frustrierend: Von meinem Zimmerfenster aus konnte ich die funkelnde, schneebedeckte Stadt sehen, aber ich konnte sie nie erreichen.

Plötzlich klapperte etwas hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich eine Gruppe Dunkerwichtel, die durch den Korridor auf mich zukam. In ihren irren gelben Augen funkelten Hunger und Gier. Bis jetzt hatten sie mich noch nicht entdeckt, aber wenn sie es taten, wäre ich allein und ungeschützt, weit weg von der Sicherheit meines Zimmers, und Dunkerwichtel waren immer hungrig. Angst packte mich. Panisch bog ich um eine Ecke …

Und da war sie, am anderen Ende einer vereisten Halle. Die Doppeltür mit dem lachenden Gesicht und der Fratze, die mich gleichzeitig zu verspotten und zu bedrohen schienen. Jetzt, wo ich sie endlich gefunden hatte, zögerte ich. Würde ich wieder hereinkommen können, wenn ich einmal rausging? Jenseits des Palastes erstreckte sich die verwinkelte, furchteinflößende Stadt der Winterfeen. Wenn ich nicht wieder reinkam, würde ich erfrieren – oder Schlimmeres.

Hinter mir ertönte ein freudiger Schrei. Die Dunkerwichtel hatten mich entdeckt.

Ich lief los und versuchte auf den bunten Fliesen, die aus purem Eis zu bestehen schienen, nicht auszurutschen. Ein spindeldürrer Butler im schwarzen Anzug musterte mich ausdruckslos, als ich auf ihn zuschlitterte. Lange graue Haare fielen ihm bis auf die Schultern. Riesige runde Augen, die wie Spiegel glänzten, starrten mich an. Ich beachtete ihn nicht weiter, packte die Klinke des lachenden Gesichts und zog daran, doch die Tür rührte sich nicht.

»Möchten Sie ausgehen, Miss Chase?«, fragte der Butler und neigte seinen Eierkopf.

»Nur ein wenig«, keuchte ich, während ich weiter an der Tür zerrte, die nun frustrierenderweise auch noch anfing, mich auszulachen. Da ich schon wesentlich seltsamere Dinge erlebt hatte, zuckte ich nicht zusammen und schrie auch nicht, aber es machte mich wütend. »Ich bin bald zurück, versprochen.« Jetzt mischte sich das johlende Gelächter der Dunkerwichtel unter das Grölen der Tür, was wie der entscheidende Stoß für mich war. »Verdammt, geh auf, du blödes Mistding!«

Der Butler seufzte. »Sie beleidigen die falsche Tür, Miss Chase.« Er schob seinen Arm an mir vorbei und zog an der Fratzentür, die mir einen finsteren Blick zuwarf, als sie sich quietschend öffnete. »Bitte seien Sie umsichtig bei Ihrer Exkursion«, sagte der Butler gestelzt. »Ihre Majestät wäre höchst ungehalten, falls Sie … ähm … weglaufen sollten. Was Sie sicherlich nicht tun würden. Der Schutz Ihrer Majestät ist das Einzige, was verhindert, dass Sie erfrieren oder verspeist werden.«

Ein eisiger Luftschwall fuhr durch die Eingangshalle. Die Landschaft hinter der Tür war finster und kalt. Mit einem letzten Blick auf die Dunkerwichtel, die mich aus den Schatten mit strahlendem Haifischgrinsen beobachteten, trat ich zitternd hinaus in den Schnee.

Es war so kalt, dass ich fast auf der Stelle umgekehrt wäre. Mein kondensierter Atem hing in der Luft und kleine Eiswirbel strichen über meine Haut, bis sie kribbelte und brannte. Vor mir erstreckte sich ein unberührter, verschneiter Hof, dessen Bäume, Blumen, Statuen und Brunnen mit glasklarem Eis bedeckt waren. Riesige zerklüftete Kristalle, einige sogar größer als ich, ragten aus dem Boden und streckten sich dem Himmel entgegen. Auf dem Rand eines Brunnenbeckens saß eine Gruppe von Feen. Sie waren alle in funkelndes Weiß gekleidet und ihre langen blauen Haare fielen ihnen offen über den Rücken. Als sie mich sahen, kicherten sie hinter vorgehaltener Hand und erhoben sich. Ihre Fingernägel schimmerten in der Dämmerung bläulich.

Ich ging in die andere Richtung, stapfte durch den knirschenden Schnee und hinterließ tiefe Stiefelabdrücke. Früher hätte ich mich vielleicht gewundert, wie es unter der Erde schneien konnte, doch ich hatte schon lange akzeptiert, dass die Dinge im Feenland eigentlich nie logisch waren. Natürlich hatte ich keine Ahnung, wo ich hinlief, aber Bewegung war jetzt besser als stillzustehen.

»Was glaubst du, wo du gerade hingehst, Missgeburt?«

Schnee wirbelte auf, biss mich ins Gesicht und blendete mich. Als der Sturm sich legte, standen die vier Feenmädchen, die gerade am Brunnen gesessen hatten, um mich herum. Groß, grazil und wunderschön, mit blasser Haut und glänzendem, kobaltblauem Haar, umkreisten sie mich wie ein Rudel Wölfe, während sich ihre frostigen vollen Lippen zu einem hässlichen Grinsen verzogen.

»Ooh, Schneebeere, du hattest Recht«, sagte eine von ihnen und rümpfte die Nase, als hätte sie etwas Ekliges gerochen. »Sie stinkt tatsächlich wie ein totes Schwein im Sommer. Ich weiß nicht, wie Mab das aushält.«

Ich ballte die Fäuste, versuchte aber, ruhig zu bleiben. Für so eine Nummer war ich gerade absolut nicht in der Stimmung. Gott, das ist ja genau wie auf der Highschool. Hört das denn nie auf? Verdammt nochmal, das sind uralte Feenwesen und sie führen sich auf wie die Cheerleader an meiner Schule.

Die Größte der Gruppe, eine gertenschlanke Fee, deren blaue Haare von giftgrünen Strähnchen durchsetzt waren, musterte mich aus kalten blauen Augen und kam mir so nah, dass ich mich bedrängt fühlte. Als ich trotzdem nicht zurückwich, kniff sie die Augen zusammen. Vor einem Jahr hätte ich vielleicht noch mild gelächelt, genickt und allem zugestimmt, was sie sagten, nur damit sie mich in Ruhe ließen. Mittlerweile lagen die Dinge anders. Diese Mädchen waren nicht das Schrecklichste, was mir je begegnet war. Bei Weitem nicht.

»Kann ich euch irgendwie helfen?«, fragte ich so ruhig wie möglich.

Sie lächelte. Es war kein nettes Lächeln. »Ich bin nur neugierig, wie eine Missgeburt wie du es geschafft hat, einfach so davonzukommen, nachdem sie mit Prinz Ash wie eine Gleichgestellte gesprochen hat.« Angewidert verzog sie die Lippen und rümpfte die Nase. »Wenn ich Mab wäre, hätte ich dir die Kehle zugefroren, allein weil du ihn angesehen hast.«

»Tja, bist du aber nicht«, erwiderte ich und sah ihr direkt in die Augen. »Und da ich hier Gast bin, denke ich, dass sie es nicht gutheißen würde, wenn ihr irgendetwas gegen mich ausheckt. Also, warum tun wir uns nicht gegenseitig einen Gefallen und tun so, als würde die andere nicht existieren? Das würde eine Menge Probleme lösen.«

»Du kapierst es einfach nicht, was, Missgeburt?« Schneebeere richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und starrte über ihre perfekte Nase hinweg auf mich herab. »Meinen Prinzen anzusehen, gilt als kriegerischer Akt. Bei dem Gedanken daran, dass du es gewagt hast, mit ihm zu sprechen, dreht sich mir der Magen um. Du scheinst nicht zu begreifen, dass du ihn anwiderst, wie es ja auch richtig ist – mit deinem verdorbenen Sommerblut und deinem Menschengestank. Und dagegen sollten wir etwas unternehmen, nicht wahr?«

Mein Prinz? Redete sie etwa von Ash? Ich starrte sie fassungslos an und hätte gern etwas Dummes gesagt wie: Witzig, er hat dich nie erwähnt. Doch auch wenn sie sich aufführte wie ein verzogenes, fieses, reiches Mädchen von meiner alten Schule – die Art, wie sich ihre Augen verdunkelten, bis die Pupillen nicht mehr zu erkennen waren, erinnerte mich daran, dass sie immer noch eine Fee war.

»Also.« Schneebeere trat einen Schritt zurück und schenkte mir ein herablassendes Lächeln. »Wir werden Folgendes tun: Du, Missgeburt, wirst versprechen, dass du meinen Schnuckel Ash nie wieder ansehen wirst, nicht einmal flüchtig. Brichst du dieses Versprechen, darf ich dir deine ungehorsamen Augen ausreißen und mir eine Kette daraus machen. Das scheint mir ein fairer Handel, oder?«

Der Rest der Mädchen kicherte und irgendwie klang es gierig, hungrig, als wollten sie mich bei lebendigem Leib fressen. Ich hätte ihr sagen können, dass sie sich keine Gedanken zu machen brauchte. Ich hätte ihr sagen können, dass Ash mich hasste und keine Drohungen nötig waren, damit ich mich von ihm fernhielt. Hätte ich. Stattdessen richtete ich mich auf, sah ihr direkt in die Augen und fragte: »Und was, wenn ich nicht darauf eingehe?«

Stille. Ich spürte, wie die Luft noch kälter wurde, und bereitete mich auf einen Ausbruch vor. Ein Teil von mir wusste, dass es dämlich war, mit einem Feenwesen Streit anzufangen. Wahrscheinlich bekam ich jetzt einen Arschtritt oder wurde verflucht oder sonst etwas Fieses. Aber es war mir egal. Ich hatte es satt, herumgeschubst zu werden, hatte es satt, auf die Toilette zu rennen, um mir dort die Augen auszuheulen. Wenn dieses Miststück von einer Fee Streit wollte, nur zu. Ich konnte auch meine Krallen ausfahren.

»Na, wenn das nicht nach Spaß aussieht.« Eine sanfte, selbstbewusste Stimme durchbrach die Stille, nur eine Sekunde, bevor die Hölle losgebrochen wäre. Wir zuckten alle zusammen, als sich eine schlanke Gestalt ganz in Weiß mit wehendem Mantel aus dem Schnee materialisierte. Sein spitzes Gesicht glühte quasi vor arroganter Belustigung.

»Prinz Rowan!«