Politische Körper - Jule Govrin - E-Book

Politische Körper E-Book

Jule Govrin

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Beschreibung

Wie verwundbar unsere Körper sind, verdrängen wir im Alltag, wo wir nur können. Doch die Pandemie hat uns diesen Umstand schmerzhaft ins Gedächtnis gerufen: Wird schon das Ein- und Ausatmen zur Gefahr, erscheint jedes Miteinander bedrohlich. Zugleich wird sicht- und mehr noch spürbar, wie sehr wir auf Begegnungen und Berührungen angewiesen sind. So tritt eine Ambivalenz zutage, die zum philosophischen Ausgangspunkt für Jule Govrins Nachdenken über Körper und Politik wird: Verletzbar zu sein vereint alle Körper, in unserer Körperlichkeit scheint damit ein Moment radikaler Gleichheit auf. Doch Gegenwart und Geschichte sind von Mechanismen bestimmt, die darauf abzielen, Körper ungleich zu machen. Govrins aufwühlender Essay lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie politische Bilder und ökonomische Praktiken Körper formen. Zugleich eröffnet dieser Blick Aussichten auf einen Universalismus von unten, wie er sich in aktuellen feministischen Protestbewegungen abzeichnet. Ausgehend von der Erkenntnis, dass unsere Körper durch einander verwundbar und voneinander abhängig sind, wird die Sorge um sie zum Dreh- und Angelpunkt globaler Solidarität.

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Jule Govrin

Politische Körper

Von Sorge und Solidarität

Fröhliche Wissenschaft 206

Inhalt

Vorwort

1. Produktive Körper

2. Egalitäre Körper

3. Pandemische Körper

4. Solidarische Körper

Schlussbemerkungen

Anmerkungen

Dank

Vorwort

Die Pandemie eröffnet einen neuen Kreislauf an Körperbildern, die verstören. In Schlachthäusern schuftende Körper, die sich in Kälte und Kontakt infizieren. Von Schutzkleidung umhüllte Körper, die isolierte Körper auf Intensivstationen versorgen. Menschen mit Masken – auf den Straßen, in Supermärkten und S-Bahnen. Lastwagen in Bergamo, die Leichen wegbringen. Menschen in langer Schlange vor dem Krankenhaus in Manaus, Sauerstoffflaschen auf dem Arm, für ihre um Atem ringenden Angehörigen. Scharen von Menschen, die aus indischen Städten strömen, arbeitslos in ihre Dörfer wandern. Menschen ohne Obdach, in markierten Parzellen auf einem Parkplatz in den USA, im Hintergrund ein leeres Hotel. Diese Bilder zeugen von Verzweiflung und Vereinzelung, Schutzlosigkeit und Gefährdung. Sorgenlos sind die wenigsten. Die Mehrheit lebt in der Misere. Dennoch ist diese Masse an Körpern, die die Welt bevölkern, von Unterschieden durchzogen, die ins Gewicht fallen. Obwohl ausnahmslos alle Körper vom Virus bedroht werden, macht es im Zweifel einen lebensentscheidenden Unterschied, ob man unter den Lasten des Lockdowns leidet, während man im warmen Wohnzimmer verweilt, oder der Ansteckungsgefahr ausgesetzt ist, weil man in der Pflege arbeitet oder Pakete austrägt; ob man bloß ein zerklüftetes Zelt oder ein festes Zuhause hat; ob man in diesem Zuhause vereinsamt oder ob es im Miteinander der Körper einengt, ob es Schutz bietet oder der Gewalt aussetzt; ob man der affektiven und körperlichen Sorge bitter bedarf oder ob man bis in die tiefe Erschöpfung hinein Sorge für andere trägt.

Die Raumordnung, die sich in der Coronakrise auftut, macht die vorherrschende Vereinzelung und Verelendung von Körpern sichtbar. Im grellgleißenden Schein der Pandemie treten die alten Ordnungsmuster zutage, die Körper ungleich machen. Zugleich wird in der Pandemie Körperlichkeit in anderen Weisen erfahrbar. Der Virus wirft uns auf unsere geteilte Verwundbarkeit zurück. Die Pandemie zeigt auf, wie sehr unsere Körper voneinander abhängen, sodass die Sorge um sie uns alle angeht. In all seiner Bedrohlichkeit vermittelt der Virus, wie der Schutz der anderen Körper den Schutz des eigenen Körpers bedingt. Verwundbarkeit, so der Ausgangspunkt dieses Buches, lässt sich als Modus einer grundlegenden Gleichheit zwischen Körpern verstehen. Als körperliche Wesen bedürfen wir fortwährend der affektiven und physischen Fürsorge. Diese Bedingung menschlichen Daseins geht uns im pandemischen Leben gründlich unter die Haut: Die Körper der anderen gefährden uns gesundheitlich, wenn sie uns zu nahe rücken – und wir gefährden die anderen. Wir sind dazu angehalten, uns einander vom Leib zu halten. Gleichsam erleben wir unsere Abhängigkeit nicht allein als Gefährdung, wir erleben sie ebenso in der Sehnsucht nach Nähe. Die Pandemie lässt uns auf eindringliche Weise erfahren, wie sehr wir auf andere angewiesen sind, um die Lasten des Alltags zu stemmen, um unsere kranken Körper zu versorgen. Diese Grundbedingung der Sorgebedürftigkeit steht im Widerspruch dazu, wie Körper ungleich gemacht werden. Das verdeutlicht der pandemische Moment ebenfalls, den die Menschheit seit zwei Jahren erlebt: einen Moment, in dem sich nur wenige vor Ansteckung schützen können, in dem Sorgearbeit noch stärker denen aufgeladen wird, die sie ohnehin zu großen Teilen tragen, in dem private Profitinteressen globalen Gesundheitsschutz verhindern. Diejenigen, die ihr Leben bereits unter prekären Bedingungen bestreiten, werden in der pandemischen Lage am stärksten belastet. Diese zugespitzte Situation macht sichtbar, dass Verwundbarkeit sowohl mit Gleichheit als auch mit Ungleichheit zusammenhängt. Verwundbarkeit scheint allen Körpern eigen zu sein – in dieser Allgemeinheit zeigen sich Anzeichen von Gleichheit. Als Grundbedingung von Verkörperung verstanden, deutet Verwundbarkeit auf eine Idee von Gleichheit hin, die aus der Verbundenheit ebenjener Körper herrührt. Doch Verwundbarkeit besteht ebenso im Besonderen – in der konkreten, körperlichen Erfahrung, verwundbar zu sein und verwundet zu werden. Diese erlebte, erlittene Verwundbarkeit ist ungleich verteilt. Wie lässt sich Verwundbarkeit als Gleichheit denken, ohne zu verschleiern, in welch ungleichem Ausmaße Körper unterschiedlich verwundbar gemacht und verwundet werden? Welche widerständigen Praktiken, welche solidarischen Gefüge wenden sich gegen diese ungleiche Verteilung von Verwundbarkeit? Wo und wie äußern sich Anzeichen eines Universalismus von unten, der von den Körpern ausgeht?

Diesen federführenden Fragen folgend, widmet sich das erste Kapitel den Genealogien politischer Körper, die bis in die Gegenwart geleiten. Das zweite Kapitel geht dem Gedanken einer Gleichheit zwischen Körpern nach. Das dritte Kapitel untersucht die Ungleichmachung von Körpern in Zeiten der Pandemie. Das vierte Kapitel begibt sich schließlich auf die Suche nach Spuren eines Universalismus von unten.

1. Produktive Körper

Die Pandemie stößt uns darauf, dass Körper zutiefst politisch sind. Sie bilden nicht bloß Instrument und Zielobjekt von Politik, ihnen wohnt eine eigene Form des Politischen inne. Zunächst dienen Körper als Metaphern der Macht. Die Geschichte ist reich an Bildbeispielen, angefangen bei den königlichen Körpern, welche gegenüber ihren Untertanen räumlich höhergestellt wurden, um diese vom Thron aus zu überragen. Darin zeigt sich eine erste Dimension der politischen Körper: die Dimension der Repräsentation. Körpermetaphern der Macht beschränken sich nicht auf königliche Körper, auch moderne Politiker:innen setzen ihre Körper als Zeichen der Autorität in Szene. Erinnert sei an die aufmerksamkeitsheischenden Aufnahmen von Wladimir Putin, mit entblößtem Oberkörper auf dem Rücken eines Pferdes. Solch eine Selbstdarstellung soll militärische Härte demonstrieren, eine Härte, die zumindest bei Putin keine reine Pose bleibt, sondern sich in der Brutalität des Angriffskriegs auf die Ukraine zeigt. Das Beispiel seines Selbstbildnisses als berittener Krieger bezeugt, wie Vorstellungen von politischer Souveränität mit Vorstellungen von Maskulinität verbunden sind. Demgegenüber stechen Körper hervor, die nicht den traditionellen Vorstellungen von Macht entsprechen, nicht mit ihren Insignien ausgestattet sind.1 Nimmt man das Beispiel von Angela Merkel, tritt eine andere, vor ihrem Amtsantritt unbekannte Verkörperung von Autorität zutage. Gerade weil Merkel nicht althergebrachten Assoziationen von Autorität entspricht, wurde ihr Körper als solcher in zahlreichen Schlagzeilen kommentiert. »Wieviel Dekolleté darf eine Kanzlerin zeigen?«, fragt die Welt 2008.2 2015 bezeichnet sie dagegen der Cicero als »Dame ohne Unterleib«.3 Mal bemängelte man sie wegen zu viel, mal wegen zu wenig Weiblichkeit. Ob nun die Medien einen Weiblichkeitsüberschuss oder -mangel monieren, sie behandeln Merkels Körper besonders, weil er nicht den maskulinen Normen politischer Autorität entspricht. Ihr Körper wird exponiert, im Gegensatz zu den altbekannten, anzugtragenden Körpern von Merkels männlichen Kollegen, deren Körperlichkeit unkommentiert bleibt. Darin deutet sich an, dass Körper durch soziale, symbolische Einschreibungen ungleich gemacht werden.

Dies führt unmittelbar zur zweiten Dimension der politischen Körper: die Dimension der Ungleichmachung. Sie entfaltet sich in den symbolischen Einschreibungen von Differenz, die wiederum die materiellen Bedingungen beeinflussen, unter denen Menschen leben. Diejenigen, die dem Traditionsbild von Macht und Autorität entsprechen – die Päpste und Bischöfe, die Könige und Fürsten, die Politiker und Präsidenten –, sind zwar in ihren Körpern allgegenwärtig, derweilen werden sie nicht auf diese reduziert. Vielmehr spricht man ihnen Charisma, Stärke und Klugheit zu. Dagegen werden andere auf ihre Körper beschränkt, man spricht ihnen die Befähigung ab, Vernunft und politische Autorität zu verkörpern, wofür man auf vermeintliche körperliche Besonderheiten verweist. So besagt ein langlebiges Vorurteil, Frauen seien von Natur aus zu nervenschwach und emotional für das harte Geschäft der Politik. Dahingegen werden Schwarze Männer oft noch auf ein rassistisches Klischeebild aggressiver, animalischer Maskulinität beschränkt, das ihnen Vernunftvermögen abspricht. Auch wenn diese Zuschreibungen verschiedentlich verfahren, wird eines deutlich: Aufgrund der Differenzen, die in Körper eingeschrieben werden, wird die Anerkennung als politisches Subjekt gewährt oder verweigert. Das bezeugen Geschichten der Geschlechterpolitiken und der rassistischen Gesetzgebungen, Formen der Ungleichmachung von Körpern, die bis in die Gegenwart fortbestehen.

Diese Ordnung der Ungleichheit ist eng mit der dritten Dimension der politischen Körper verbunden: die Dimension der Produktivkraft. Ökonomie bildet, bündig gefasst, eine Organisation von Körpern durch Körper. Politik zielt darauf ab, Körper so zu regieren, dass deren Arbeitskraft eingespannt und eingeplant werden kann. Michel Foucault bezeichnet diese Regierung von Körpern als Biopolitik.4 Sie greift tief in die Empfindungen von Einzelnen ein. Wenn die Familienpolitik eine höhere Geburtenrate fordert und steuerliche Anreize setzt, damit Besserverdienende Nachwuchs bekommen, wirkt die Politik feinstofflich auf das Leben von Individuen ein. Obwohl sie auf den Gesamtkörper der Gesellschaft abzielt, gelingt es der Biopolitik, das subjektive Erleben zu beeinflussen, den Bezug zu sich selbst und zum eigenen Körper.

Dadurch scheint die vierte Dimension der politischen Körper auf: die Dimension der Affekte. Unser persönliches Empfinden, unsere affektiven Wahrnehmungsweisen und körperlichen Handlungsmuster sind unauflöslich in herrschende Vorstellungen eingebunden. Sie bringen diese hervor und werden von ihnen hervorgebracht. Hierbei spielen die Dimensionen der Repräsentation und Ungleichmachung hinein: Körper, die von Differenzen markiert sind, bewegen sich anders in sozialen Räumen, als es Körper tun, die den Normen entsprechen. Während sich die einen beständig bedroht fühlen müssen, können sich andere in aller Selbstverständlichkeit bewegen. Erfahrungen der Bedrohung und Selbstverständlichkeit sind ungleich verteilt. Allein dieser Umstand verweist darauf, wie eng soziale und politische Ordnungen mit Affekten und Körpern verbunden sind. Das Dasein von Menschen, ihr unweigerlich soziales Sein, entfaltet sich inmitten affektiver Dynamiken, die niemals rein privat oder individuell sind, weil sie sich stets innerhalb dieser Ordnungen abspielen.5 Anders ausgedrückt: Affekte äußern sich körperlich und sie sind politisch.

Diese beiläufigen Beispiele beleuchten die vier Dimensionen von politischen Körpern: Repräsentation, Ungleichmachung, Produktivkraft und Affekte. Sie bieten Orientierungshilfen, um das weitverzweigte Verhältnis von Körpern und Politik zu verstehen. Das Nahverhältnis von Physischem und Politischem lässt sich außerdem besser begreifen, wenn man aus der Gegenwart hinaustritt und durch ihre Geschichten streift. Politische Ideengeschichte und die Geschichten politischer Körper sind ineinander verflochten. Bei aller Beständigkeit verändern sich die Vorstellungswelten des Politischen unaufhaltsam, genauso wie sich die Wahrnehmungsweisen des Körperlichen wandeln. Körperlichkeit wird geschichtlich bedingt gelebt. Wie wir unseren Körper empfinden, ist von den materiellen Verhältnissen genauso wie von den Wissensregimen der jeweiligen Zeit bestimmt. Besonders medizinisches Wissen beeinflusst die körperliche Wahrnehmung, die sich mit den Wissensdiskursen weiterentwickelt. In der Medizingeschichte nahm man lange an, Organe würden wandern, und glaubte, die Gesundheit sei von Körpersäften bestimmt – Vorstellungen, die uns heutzutage abstrus anmuten, damals allerdings die leibliche Selbstwahrnehmung der Patient:innen prägten.6 Genauso schreiben sich politische Körperbilder in die physischen und affektiven Wahrnehmungsmuster ein. Sie disziplinieren uns und spornen uns zur Selbstkontrolle an. In subtilen Spielweisen vermitteln sie uns soziale Normen, die wir verinnerlichen. Somit prägen sie, welche Körper wir als fremd und feindlich empfinden und welchen Körpern wir uns nah fühlen. So schreibt sich die Ungleichheit in unsere Selbst- und Weltwahrnehmung ein.

Es scheint so, als hätten sich soziale Hierarchien und politische Herrschaftsverhältnisse derart hinterlistig und hartnäckig in unseren Körpern eingenistet, dass jeglicher Ausweg versperrt ist. Doch durch die Geschichten der niedergerungenen und unterworfenen Körper ziehen sich auch Geschichten der Sorge und Solidarität, des Aufbegehrens und der Aufstände. In ihnen zeigt sich Gleichheit nicht allein als Ideal, sondern als praktisches Bestreben, Körper egalitär zu behandeln. Diese Widerstandsgeschichten und Wandlungsmomente werfen die Frage auf, wie solche egalitären Körperpraktiken entstehen. Gesucht wird kein fernes Ideal, sondern solidarisch gelebte Gleichheit in der Gegenwart. Solidarische Praktiken setzen bei den bestehenden Verhältnissen an, die Körper ungleich machen. Um Gleichheit zwischen Körpern zu begreifen, muss man also bei ihrer Ungleichmachung beginnen. Dazu dient dieses Kapitel, das eine Genealogie politischer Körper skizziert. Beim Streifzug durch die politischen Körpergeschichten stehen vier Wegetappen an: erstens die Körpermetaphern der body politic, zweitens Aufklärungsideen des Körpers als Privateigentum, drittens Biopolitiken und das Kräftespiel der Körper und viertens Verkörperungen von Herrschaft und Wissen. Die body politic beschreibt, wie Körper als Machtmetaphern dienen. Nachdem die body politic das politische Denken im Mittelalter beherrscht, kommt im frühaufklärerischen Denken des 17. Jahrhunderts die Idee des Körpers als Privateigentum auf. Im 18. Jahrhundert bildet sich eine Regierung von Körpern heraus, die das körperliche Kräftespiel kapitalistisch kalkuliert. Fortan stehen die Zeiten im Zeichen der produktiven Körper.

body politic: Körpermetaphern der Macht

Der Körper ist buchstäblich die naheliegendste Metapher, um menschliches Miteinander zu symbolisieren. So verschieden Menschen voneinander sind, sind sie doch alle verkörperte Wesen. Ihre Wahrnehmung der Welt und ihr Denken entwickeln sich von ihrem Körper aus. Schon die Unterscheidung von oben und unten, den beiden Richtungen von Herrschaft und Unterwerfung, rühren von unserer körperlichen Orientierung als aufrechtgehende Wesen in der Welt her. Deshalb ist wenig verwunderlich, dass Körpermetaphern scharenweise die politischen Vorstellungswelten bevölkern. Das Oberhaupt. Der Staatskörper. Der Gesellschaftskörper. Der Volkskörper. Die Körperschaft. Das Organigramm. Die Organisation. Die altbekannten Begriffe des politischen Lebens leiten sich aus dem Körperlichen ab. Dass die angeführten Begriffe vorrangig zum Vokabular der europäischen Moderne gehören, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Körper quer durch die Geschichte und Kulturen als Metaphern für politische Gemeinschaften dienen, für Herrschaft und Souveränität sowie ihre Ordnungssysteme, die in »Kategorien des Körperlichen ausgedrückt, gedeutet und legitimiert« werden.7 Die »Politik hat sich schon immer des Körpers als dem Medium ihrer Repräsentation bemächtigt«,8 halten Paula Diehl und Gertrud Koch fest. Ein berühmtes Beispiel bietet die body politic als Körpermetapher für die politische Einheit einer Gemeinschaft und ihrer Ordnung.9 Der Souverän wird meist durch den Kopf symbolisiert, als sprichwörtliches Oberhaupt, das die Körperglieder dirigiert. Bisweilen dienen auch Herz oder Bauch als Machtzentren des Körpers, die als symbolischer Sitz der Autorität ausgemacht werden. Eines der ältesten Beispiele bildet eine Fabel des Äsop aus dem 6. Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung, die die Gemeinschaftsordnung als bauchregierte Körpereinheit beschreibt.10 Auch in der Philosophie der griechischen Antike findet der Körper seinen Platz im politischen Denken. Platon und Aristoteles vergleichen das Wohlergehen von Staat und Gemeinschaft mit dem Gesundheitszustand eines Körpers, dessen Glieder und Organe die Ordnung der Polis widerspiegeln.11 In Platons Metaphysik erscheint der gesamte Kosmos als Universalkörper, der alle Einzelkörper vereint.12 In der stoischen Philosophie im ersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung führen Cicero und Seneca die Metapher des Körpers als kosmologisches Organisationsmodell fort.13 Bemerkenswert ist die Rolle des Atems, des πνεῦμα oder Pneuma. Der Atem wird als Atemseele aufgefasst, die Körper erschafft und ergreift, ein Gedanke, der auf Aristoteles zurückgeht.14 Der Atem, der alle vereint und verbindet, ist universell, er erschafft Gleichheit zwischen den Einzelkörpern. Trotz dieses egalitären Einschlags ist in der Idee des Kosmos Ungleichheit angelegt, sind doch die Einzelkörper in festen, sozialen Stellungen geordnet.15

In der christlichen Geistesgeschichte weht die Idee des Pneumas als Atemseele in die Vorstellung des Heiligen Geistes hinein, der sich als sakraler Atem Gottes bewegt.16 Göttlichkeit nimmt eine dreifaltige Form von Körperlichkeit an, eben als Atemseele des Heiligen Geists, aber auch als unsterbliche Gottesgestalt des Vaters und als dessen sterblicher Gottessohn. Dieses magische Denken bringt die Figur des Doppelkörpers hervor, der sich in einen symbolischen und einen leiblichen Anteil aufspaltet. Erstmals findet sich diese Figur in den Schriften des Apostels Paulus, der als Begründer der christlichen Kirche bekannt wird. Als sterblicher Spross eines heiligen Vaters gilt Jesus den frühen Christ:innen als menschlich und verwundbar und gleichsam als göttlich und unsterblich. Diese frühchristliche Sichtweise spricht Jesus zu, neben seinem menschlichen Körper einen symbolischen Körper zu besitzen. Der Apostel verleiht dem Körper Jesu eine sakrale Aura, ohne dass dieser seine Sterblichkeit abstreift. Sein sakraler Körper stiftet die christliche Gemeinschaft. In diesem Bündnis aus Sakralkörper und Glaubensgemeinschaft bildet die Kirche den symbolischen Körper Jesu, sodass die Gemeinschaft der Gläubigen als Einheitskörper erscheint, dessen Kopf und Oberhaupt Jesus und später sein Stellvertreter, der Papst, ist.17 Im Laufe der Jahrhunderte überträgt sich die christologische body politic auf königliche Körper.18 In den mittelalterlichen Vorstellungswelten einer »politischen Magie«19 wird der königliche Doppelkörper zum Sinnbild der Macht. Weil Souveränität heilig sein soll, lädt man den Körper des Königs mit sakraler Symbolkraft auf.20 Mithin macht die mittelalterliche body politic den monarchischen Körper zur machtvollen Metapher, um dessen Gottesgesandtheit und heilige Souveränität zu untermauern. Die Fülle an Beispielen ist berauschend, darunter bisweilen bizarr anmutende Praktiken: Bei Begräbnissen von Königskörpern nahm manchmal eine Effigie den Platz des Königs ein, eine lebensgroße Puppe, meist aus Wachs modelliert, die in die Gewänder des Monarchen gekleidet war.21 Während man die irdischen Überreste des Königs beerdigte, soll sein symbolischer Körper unsterblich sein, weshalb er nicht mit dem leiblichen Körper verschwinden durfte. In den Bilderwelten des body politic zeichnet sich die Dimension der Repräsentation ab, schließlich zielen sie darauf, den Körper des Souveräns bildlich zu überhöhen und seine Macht symbolisch zu betonen. Ferner fungiert der Körper als Metapher für die Gemeinschaftsorganisation, die den einzelnen Gliedern ihre soziale Stellung zuweist. Diese Ordnung soll sich organisch zusammensetzen, gemäß einem Körper in seiner Komposition aus Gliedern und Organen. Der Kopf als Oberhaupt oder das Herz als höhergestelltes Organ zeigen Autorität an, in Entsprechung dazu stellen die tieferliegenden Körperpartien die niederste soziale Stellung dar: die Gruppe des Fußvolks, die in Lehnsherrschaft die Felder bestellten, deren Körper in der Schlacht als buchstäbliche Bauernopfer dienen. In der mittelalterlichen Körpermetaphorik wird Herrschaft folglich zweifach legitimiert: erstens wird die Herrschaft des Königs durch dessen sakralen Körper geheiligt, zweitens wird die feudale Ständeordnung als organische, gottgegebene Gemeinschaft begründet. Nicht zuletzt weist die body politic auf die affektiven Wirkungsweisen von Macht hin, auf das Spektakel um den königlichen Körper, dessen symbolische Überhöhung seine Souveränität beschwört. Mit aller Macht soll das Spektakel der Souveränität in die gebeugten Körper, in die Gefühle und Gedanken der Untertanen einsickern. Dabei richtet sich das Schauspiel nicht allein auf das Publikum des Volks. Es erfasst sämtliche Beteiligten, nicht zuletzt den monarchischen Protagonisten selbst. Denkt man jedoch an das Märchen des Kaisers, der keine Kleider trägt, enthüllen sich solche Souveränitätsspektakel als überaus brüchige Bühnenbilder der Macht. Der Kaiser wähnt sich gut gekleidet, indessen schreitet er nackt durch die Straßen. Seine Kleidung ist reines Fantasiewerk, ersonnen von zwei Betrügern, die um die maßlosen Modewünsche des Monarchen wissen. Diese Illusion wird von allen getragen, bis ein Kind auf der Straße, das in der Menge den Schaulauf des Souveräns mitverfolgt, das Offenkundige laut ausspricht: Der Kaiser trägt ja keine Kleider. Das Märchen erzählt davon, wie der Mythos der Macht in sich zusammenfallen kann, allein aufgrund eines laut geäußerten Zweifels.22

Die Figur des königlichen Doppelkörpers verschwand mit dem Ende der Monarchien – sinnbildlich gesprochen gipfelte sie 1793 in der Figur des geköpften Königs im Nachspiel der Französischen Revolution. Die Körpermetapher der organischen Einheit von Volk und Staatswesen aber lebt fort, wenn auch in säkularer Gestalt. Im 19. Jahrhundert nahmen die Sprachen des Rechts und der neu entstehenden Sozialwissenschaften die Begriffe der Organisation und des Organismus auf, um staatliche und gesellschaftliche Strukturen und Prozesse zu beschreiben.23 In diesem und im nachfolgenden 20. Jahrhundert erfuhren diese organischen Ordnungsmetaphern Aufwind durch sozialdarwinistische Diskurse, die Gemeinschaft als schicksals- und naturgegebene Ordnung betrachteten, in der sich aufgrund der ›natürlichen Auslese‹ das Recht des Stärkeren durchsetze.24 Der nationalsozialistische Kampfbegriff des Volkskörpers, der durch ›Rassenhygiene‹ rein gehalten werden soll, verdeutlicht, wie stark diese body politic im Zeichen von Selektion und Zucht steht:25 Der Volkskörper muss ›gesund‹ und vital sein – in dem nationalsozialistischen Leitbild zeigen sich bereits seine antisemitischen, ableistischen und rassistischen Züge. Die Vorstellung des Arischen ist von Reinheitsphantasmen geprägt. Diese Reinheit erschien beständig bedroht von inneren und äußeren Feinden des Volkskörpers, also allen, die man als nichtarisch ausmachte, weil sie jüdisch, behindert, homosexuell, Sinti oder Roma, nicht weiß, arm, osteuropäisch waren. In diesen Reinheitsphantasmen kommt die Metapher einer sozialen Immunisierung zum Zuge: Der ›Volkskörper‹ soll sich gegen das Fremde immunisieren.26 Diese Wendung der body politic zum ›Volkskörper‹ verdeutlicht, zu welchen tödlichen Verwerfungen Vorstellungen einer geschlossenen, organischen Gemeinschaft führen können.

Angesichts dessen, dass große Teile der Moderne von dem Modell der Demokratie bestimmt sind, stellen solche autoritären Formen der body politic nicht den Regelfall dar. Doch die machtvolle Bildsprache der body politic setzt sich auch in Formen fort, die die demokratischen Vorstellungswelten durchdringen. Der Doppelkörper der body politic begründet symbolische Ordnungen von höhergestellten, souveränen Körpern und unterworfenen, prekären Körpern. Die souveränen Körper erscheinen als politische Subjekte, die gleichsam entkörpert erscheinen. Wie ist dieses seltsame Entkörpertsein der souveränen Körper zu begreifen? Der Körper des Königs teilte sich in seiner Verdoppelung auf. Im Vordergrund der politischen Bühne steht sein symbolischer Körper, indessen tritt sein leiblicher Körper in den Hintergrund. Schließlich sind seine Souveränität, seine Amtswürde und Autorität im symbolischen Körper geborgen, wodurch die Aufmerksamkeit von seinem leiblichen Körper weggelenkt wird. Diese Dynamik schreibt sich nach dem Sturz der Monarchien in den Körpern der Politiker und Amtsträger fort und reichen bis in die Körperlichkeit des Bürgers hinein. Auch sie werden ein Stück weit physisch entkörpert, sobald ihre symbolische Macht zunimmt. Dergestalt treten sie die Nachfolge des königlichen Doppelkörpers an.27 Solche symbolischen Körperordnungen bauen darauf auf, dass andere Körper aus den Sphären der Macht ausgegrenzt werden: Frauen, Arme, Kranke, Kolonialisierte, Perverse. Sie bilden die Körpermassen, von denen die neu aufkommende Wirtschaftsordnung des Kapitals zehrt, die sie in nutzbare und nutzlose Körper sortiert. Diese Ungleichmachung begründet sich am Beginn der Moderne. Ihre Tiefenstrukturen ziehen sich, trotz aller geschichtlichen Wandlungen, bis in die Gegenwart. Als zu Beginn der Aufklärung die Gleichheit aller ausgerufen wurde, entstanden zeitgleich neue Formen der Ungleichmachung, die sich an Körperkategorien ausrichten. Bürgerliche Männer wurden zu politischen Subjekten, sie wurden mit einem symbolischen Überschuss versehen, der sie zu seltsam entkörperten Wesen der Souveränität machte. Dahingegen unterstellte man denen, die man aus der Politik ausschloss, einen Überschuss an Leiblichkeit und Natur: den feminisierten, rassifizierten, perversen, prekären Körpern. Auf Basis der neuen Wissenschaft der Biologie bemühte man sich, sie als naturnahe Geschöpfe zu bestimmen, nicht ausreichend vernunftfähig, um sie als vollwertige politische Subjekte anzuerkennen. Diese Ungleichmachung von Körpern zeichnet sich in den widerspruchreichen Wandlungswegen der body politic ab, vom mittelalterlichen Königskörper zum modernen Staatskörper.

Körper als Kraftmaschinen, Körper als Privateigentum

Am Anfang der Ideengeschichte des Kapitals steht die Mär des Körpers als Privateigentum. Diese Idee lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückver folgen. Die englischen Aufklärungsphilosophen Thomas Hobbes und John Locke entwarfen in ihren Werken einen Naturzustand, um die natürlichen Anlagen des Menschen auszumachen. Allerdings zeugen die fabulierten Urszenen mehr von Vorannahmen und Vorurteilen ihrer gesellschaftlichen Gegenwart als von der Frühgeschichte der Menschheit. Dadurch treten in ihnen die Denkmuster der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft zutage, die zwar allen Körpern gleiches Recht zuspricht, sie aber in eine Ordnung der Ungleichheit zwängt.

Hobbes nimmt an, dass alle Körper an Kraft und Fähigkeit grundsätzlich gleich sind.28 Im Naturzustand befinden sich diese in Vereinzelung. Sie sind einerseits von Begierden, andererseits von Furcht angetrieben. Da sie in ihrem Streben nach Selbsterhaltung in Konflikt geraten, bekämpfen sie einander. Einer will ein Stück Boden bearbeiten, eine andere es ihm gewaltvoll entreißen. Der Naturzustand ist ein Kriegszustand.29 Um die Eigentumsverhältnisse zu regeln und die einander bekämpfenden Körper zum friedlichen Zusammenleben zu zwingen, bedarf es eines Souveräns, der die Einzelkörper in einer politischen Ordnung, dem Staatskörper, vereint.30 Dazu merkt Gundula Ludwig an, dass Hobbes aus der Verwundbarkeit der Körper auf »die Notwendigkeit der Unterwerfung unter den Souverän« schließt. Damit begründet er eine »Argumentationslinie, die bis in die Gegenwart das Verständnis von politischer Ordnung prägt«, denn für Hobbes liegt das Bestreben des Souveräns, des Leviathans, darin, »Sicherheit und Schutz der Körper zu gewährleisten«.31 Er leitet also »aus der Vulnerabilität der ›leiblichen Körper‹ die Notwendigkeit der Unterwerfung unter den Souverän ab«.32 Zwar wird Hobbes der prinzipiellen Verwundbarkeit gewahr, die alle Körper teilen, doch er sieht darin bloß die Bedrohlichkeit, die sie füreinander bergen. Aus der Verwundbarkeit der materiellen Körper erwächst für ihn die Notwendigkeit, sich der Souveränität unterzuordnen und die eigenen Rechte an diese zu delegieren.33 Der symbolische Körper des Leviathans steht als body politic für die imaginäre Einheit des Staats ein. Die Körper, die sich ihm unterwerfen, schulden ihm unbedingten Gehorsam, sonst droht der erneute Ausbruch des Krieges aller gegen alle. Der Souverän soll das Eigentum der Einzelnen sichern. Anstatt die Abhängigkeit aller zum Anlass zu nehmen, um gegenseitige Sorge und Schutz in die Mitte der Gesellschaft zu stellen, reagiert Hobbes also auf diese grundlegende Verwundbarkeit mit einer Verrechtlichung des Eigentums. Die Menschen sollen sich in den Mauern ihrer Besitztümer einpanzern. Die Antwort auf die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass die Menschen sich nicht mehr aus Gründen der Selbsterhaltung wechselseitig bedrohen, liegt für ihn nicht in einer Gesellschaft, die Subsistenzmittel so verteilt, dass alle genug haben. Stattdessen sollen diejenigen, die über Eigentum verfügen, vor denen geschützt werden, die mittellos sind. Hobbes’ Entwurf einer rechtlich geregelten Eigentümergesellschaft verkennt, dass eine solche Gesellschaft Verwundbarkeit nicht verschwinden lässt, sondern ganz im Gegenteil eine ungleiche Verteilung von Verwundbarkeit hervorbringt.

Hobbes ersinnt eine atomistische Gesellschaft. Die Körper selbst sollen im Schutzabstand des Eigentums voneinander vereinzelt werden. Sein mechanistisches Weltbild von Einzelkörpern, die sich im Raum bewegen, aneinanderstoßen und einander hinderlich werden, ist prägend für seine Sicht auf das Soziale als Ansammlung atomisierter Körper. Während Hobbes der Verwundbarkeit mit Vereinzelung begegnet, die durch die Rechtsinstitution des Eigentums gesichert wird, bestimmt Judith Butler Verwundbarkeit als Modus von Körpern, enteignet zu sein.34 Weil Menschen einander unweigerlich bedürfen, können sie niemals vollends autonom über ihre Körper verfügen. Die soziale Verfasstheit ihrer Körper führt dazu, dass diese stets miteinander verbunden sind und sich nicht wie abgetrenntes Eigentum verwalten lassen. Butlers Beobachtung legt deshalb Formen der Vergesellschaftung nahe, die auf Gemeinwohl anstelle von Privateigentum abzielen und sich an den Bedürfnissen aller ausrichten. Dagegen ist der Weg, den Hobbes einschlägt, wesentlich autoritärer. Er ist außerdem ein Weg der Ungleichmachung. Wie gesehen, geht Hobbes zwar durchaus von der Gleichheit aller Körper aus und räumt ihnen das Recht auf freie Bewegung und Selbsterhaltung ein,35 doch steht die Gesellschaftsvorstellung, die seinen Betrachtungen zugrunde liegt, im Zeichen des Besitzindividualismus.36 In ihr hat noch jeder Gegenstand, schreibt Andreas Gehrlach, »eine Art unsichtbare Eigentumsmarkierung, kein Ding existiert ohne Eigentümer«.37 Diese Eigentumsordnung beschränkt sich aber nicht auf Dinge, sie ergreift die Körper selbst, die in ihrer Kraft aufscheinen, der Kraft zum Arbeiten, die sie warenförmig veräußern. Körper werden zu kleinen Kraftmaschinen, deren Arbeit und Produktivität bemessen wird.

Dieser Zug zeichnet sich noch stärker in John Lockes Schriften ab, einem Vordenker der liberalen Tradition. Bei ihm erscheint der eigene Körper zuvorderst als Eigentum: »[J]eder Mensch [hat] ein Eigentum an seiner eigenen Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können wir sagen, im eigentlichen Sinne sein Eigentum.«38 Zwar bestätigt auch Locke eine Gleichheit der Körper, die gleiches Recht auf Selbstbestimmung einfordert. Jedoch befördert seine Kopplung von Körper und Eigentum eine Gesellschaft der Ungleichen. Obwohl er allen Menschen die Anlage der Vernunft zuspricht, betrachtet er Besitzlose nicht als vollwertige Rechtssubjekte. Arbeiter:innen gelten ihm als verdorben und unfähig, ein »streng vernunftgemäßes Leben« zu führen.39 Neben solch einer Unterscheidung zwischen »proletarischen und bürgerlichen Körpern« werden rassifizierte Körper von der Position des privilegierten Eigentümer-Subjekts ferngehalten.40 Da die Menschen in den Kolonien den Boden nicht gemäß dem europäischen Eigentumsrecht begrenzen, betrachtet Locke ihr Land als brachliegend, weshalb es enteignet werden kann. Mithin legitimiert er Landraub und erklärt die dort lebenden Menschen zu Recht- und Besitzlosen.41