Praxisbuch Online-Coaching - Cora Besser-Siegmund - E-Book

Praxisbuch Online-Coaching E-Book

Cora Besser-Siegmund

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Beschreibung

Praxistipps fürs Coaching jenseits der Präsenz Nicht zuletzt durch Corona wurden Coachs gezwungen, Alternativen zum klassischen Coaching-Prozess mit Coach und Coachee im selben Raum zu entwickeln. Coaching online, haben sich viele gefragt – geht das überhaupt? Erfolgreiche Kommunikation zwischen Coach und Coachee funktioniert auch in der digitalen Welt. Die Erfolge lassen sich ins Alltagsleben transferieren, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht. Wichtig ist, dass die Beteiligten ihre neurobiologischen und emotionalen Fähigkeiten auch online einsetzen. Die benötigten Neuro-Ressourcen muss niemand lernen oder trainieren: Augenbewegungen wecken bei jedem Menschen emotionale Ressourcen und Aufmerksamkeit für Neues; Bewegung unterstützt erfolgreiches Denken; die bewusste Nutzung des Tastsinns ermöglicht ein ganzheitliches, agiles „Berührt-Sein“. Dieses Know-how kann auch beim Online-Coaching mit bewährten Methoden verknüpft werden: mit kognitivem Gedankenmanagement, Achtsamkeitsinterventionen, Klopftechniken, Hypnose, Aufstellungsarbeit, Timeline-Coaching, NLP und systemischen Ansätzen. Neben diesen inhaltlichen Voraussetzungen erläutert das Buch, wie die IT am besten funktioniert, und gibt Tipps für das technische Gelingen von erfolgreichen Online-Coachings.

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Seitenzahl: 289

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Cora Besser-Siegmund, Harry Siegmund, Lola Siegmund & Mario LandgrafPraxisbuch Online-Coaching

Über dieses Buch

Praxistipps für das Coaching jenseits der Präsenz 

Nicht zuletzt durch Corona wurden Coachs gezwungen, Alternativen zum klassischen Coaching-Prozess mit Coach und Coachee im selben Raum zu entwickeln. Coaching online, haben sich viele gefragt – geht das überhaupt? Erfolgreiche Kommunikation zwischen Coach und Coachee funktioniert auch in der digitalen Welt. Wichtig ist, dass die Beteiligten ihre neurobiologischen und emotionalen Fähigkeiten auch online einsetzen. Die dafür benötigten NeuroRessourcen muss niemand lernen oder trainieren: aktive Augenbewegungen, die bewusste Nutzung des Tastsinns oder die Bewegung des Körpers im Raum sind Faktoren, die auch beim Online-Coaching mit bewährten Methoden verknüpft werden können. 

Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von spezifischen Maßnahmen, die erfolgreiche Coachings am Bildschirm erleichtern. Neben solchen inhaltlichen Voraussetzungen finden sich in diesem Buch auch umfassende Praxistipps zu Technik, Software und Vermarktung guter Online-Coachings.

Cora Besser-Siegmund, Lola & Harry Siegmund haben zahlreiche Coaching-Standardwerke geschrieben und leiten gemeinsam das Besser-Siegmund Institut in Hamburg, wo sie maßgeschneiderte Interventionen für ihre Klienten und Kunden entwickeln.http://www.besser-siegmund.de.

Mario Landgraf, Studium der Wirtschaftsinformatik (Master of Science), Mental-Coach, Wingwave-Coach und -Trainer, IT- und Ausbildungsmanager.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2021

Coverfoto: © Deagreez – istockphoto.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2021

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0185-4

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0196-0 (EPUB), 978-3-7495-0198-4 (PDF), 978-3-7495-0197-7 (EPUB für Kindle).

1. Einleitung: „Being in Touch“

Schon seit vielen Jahren gibt es als Alternative zum Präsenz-Coaching die Möglichkeit des Online-Coachings, bei dem sich Coach und Kunde trotz geografischer Distanz persönlich live treffen, um über die individuellen Themen des Coachees zu kommunizieren. Obwohl Online-Coaching viele Vorteile bietet und die Coaching-Kunden laut Coaching-Forschung sogar recht zufrieden mit den Effekten sind (Möller, Greif, & Scholl, 2018), bevorzugen nach wie vor die meisten Menschen Präsenz-Coaching – wir Autoren sprechen hier auch vom 37-Grad-Effekt –, denn nur bei der Präsenzbegegnung kommen Menschen sich so nah, dass sie die Wärme des Mitmenschen spüren können oder könnten.

Auch wenn es nur der Handschlag ist – die Haptik-Forschung zeigt mit beeindruckenden Ergebnissen die positive psychische Wirkung von gegenseitigen „Hautverformungen“ in der Kommunikation, wie es der Haptik-Forscher Martin Grundwald humorvoll beschreibt. Auch nur flüchtige zwischenmenschliche Berührungen bringen in der Neurobiologie unter anderem das „Sozial-Hormon“ Oxytocin zum Sprudeln, was das allgemeine Wohlgefühl des Menschen unterstützt. Es hemmt die Ausschüttung des Hormons Cortisol und wirkt daher unter anderem stressreduzierend. Kein Wunder also, dass viele Coaching-Kunden – wenn sie die Wahl haben – intuitiv lieber anreisen als den Monitor einzuschalten, wenn sie mit dem Coach ihres Vertrauens persönliche Themen bearbeiten möchten!

Doch das Auftauchen des Corona-Virus blockierte in 2020 schlagartig und nachhaltig den Zugang zu den „Oxytocin-Duschen“ und weiteren wohltuenden Nebenwirkungen der Präsenz-Begegnung in Coaching, Therapie, Ausbildung und im Privatleben. Von heute auf morgen erforderte „Social Distancing“ Online-Treffen für fast alle Kontakte – was viele Menschen zunächst auch mit den technischen und psychologischen Grenzen des Internets konfrontierte. Mal ist es nur ein subjektives „Fremdeln“ mit der Digitalisierung des Alltags, dann sind Verbindungen überlastet oder die Begegnungsplattformen zeigen technische Defizite, wie beispielsweise eine unzulängliche Datensicherheit oder Probleme bei den Zahlungsmodalitäten.

Wir Autoren arbeiten seit vielen Jahren mit der Kurzzeit-Methode wingwave-Coaching. Es gibt heute mehrere Tausend wingwave-Coaches in über vierzig Ländern – von daher waren wir schon zur Überbrückung der geografischen Entfernungen mit Online-Coachings und Online-Supervisionen vertraut und hatten im Lauf der Jahre eine Reihe von Online-Coaching-Interventionen entwickelt und erprobt. So konnten wir unsere Coaching-Methoden zunehmend als ressourcenstärkende Online-Events oder auch mit App-gestützten Coachings nach und nach digitalisieren. Auf dieser Grundlage war es uns möglich, im Frühjahr 2020 gleich zu Beginn der Corona-Krise in kurzer Zeit mehrere Hundert wingwave-Coaches in verschiedenen Ländern mit unserem Know-how über unsere Form des Online-Coachings auszubilden. Da der Coach beim wingwave vor allem Emotionscoaching einsetzt, um Erfolge bei dem Coachee zu erzielen, ist es uns ein besonderes Anliegen, auch beim Online-Kontakt die multimodale Veränderungskraft der Emotionen eines Menschen zu nutzen – auch in Verbindung mit kognitiven Prozessen auf dem Weg zum Ziel.

Denn auch online gilt: „Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann das Klima auf dem anderen Kontinent ändern.“ Dafür steht das „wing“. Diese minimalen, aber punktgenauen „Flügelschläge“ sind im Coaching vor allem emotionale Ressourcen, die kreative „Brainwaves“ bei den Klienten auslösen. Dieser Begriff heißt auf Deutsch „Geistesblitz“, „tolle Idee“. Dafür steht das „wave“ im Methodennamen. Der Untertitel der wingwave-Methode lautet im ersten Basisbuch von 2001 „EMDR im Coaching“, daher kommt in diesem Buch auch viel Know-how aus dem EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) – wie beispielsweise die NeuroRessource „Augenbewegungen“ zum Tragen.

Vor allem zeigen wir in diesem Buch die Möglichkeiten, wie wir den „37-Grad-Effekt“ auch in die zweidimensionale Online-Begegnung einfließen lassen können, so dass der Coaching-Kunde auch online nicht nur kognitive, sondern auch körperliche, neurologisch ganzheitlich spürbare Impulse für die Vertiefung der Coaching-Erfahrung erlebt. Dabei helfen uns Erkenntnisse aus der Gehirnforschung über Lernprozesse, bei denen alle fünf Sinne mit einem Lern- oder Veränderungsprozess „online“ geschaltet werden können. Da beim Online-Coaching zunächst nur die Sinnesmodalitäten „Sehen“ und „Hören“ aktiv sind, benötigen wir für die Verankerung von Coaching-Effekten im neurobiologischen Gesamterleben auch Formate, die aus dem zweidimensionalen Bildschirmerleben eine dreidimensionale Erlebnisqualität für den Coaching-Kunden „zaubern“ können. Vor allem diese dreidimensionale Wirkung einer Coaching-Intervention und damit die Resonanz im Körpererleben ermöglicht dem Coaching Kunden eine agile Umsetzung der Coaching-Impulse. So entsteht das Erlebnis des ganzheitlichen „Berührt-Seins“ aus dem körperlichen Ressourcen-Erleben des Coachee heraus: „Being in Touch“.

Jedes Coaching kann enorm von dem Wissen profitieren, dass das menschliche Gehirn über den Tastsinn beständig weitaus mehr Reize geschickt bekommt als über das Sehen, Hören, Riechen und Schmecken. Der Haptik-Forscher Martin Grunwald geht laut seinen Forschungen und Recherchen von nahezu 900 Millionen Rezeptoren des Tastsinns aus. Hingegen werden die visuellen Rezeptoren pro Auge von ihm auf 130 Millionen reizleitende Zellen geschätzt, das auditive System enthält pro Ohr 20.000 Rezeptoren und die Zunge habe ca. 2.000 Geschmacksknospen mit jeweils zehn bis 50 Rezeptorzellen (Grunwald, 2017).

Die Einbeziehung der körperlichen Ressourcen geschieht dann auch beim Online-Coaching nicht nur über die Ansprache des Großhirns als „Sitz des Verstandes“, sondern beispielsweise über eine gezielte Einbeziehung eines Bereichs im Mittelhirn, der als entscheidender Koordinator der Sinne für ein ganzheitliches Reaktionsvermögen unserer Neurobiologie verantwortlich ist: Es handelt sich um den paarig angelegten „Colliculus superior“, der hereinkommende Einzelreize in komplexe Handlungsimpulse verwandelt. Nicht umsonst ist der Colliculus superior für IT-Forscher auch das entscheidende vorbildhafte Modell für die Robotertechnik und die Entwicklung von intelligenten technischen Assistenzsystemen, die rasant auf hereinkommende Reize reagieren (Bauer, 2015). Und entsprechend wichtig ist bei allen Coachings nicht nur der „Empfang“ eines Coachings, sondern die zielführenden Denk- und Handlungsfähigkeiten des Coachee aus seinen inneren Impulsen heraus als Ergebnis von gelungenen Interventionen. Die NeuroRessource „Colliculus superior“ ist nur ein Beispiel für die Online-Schaltung von neuronalen Möglichkeiten durch ein Online-Coaching. In diesem Buch zeigen wir noch viele weitere solcher Beispiele.

Weiterhin stellen wir für den 37-Grad-Effekt des „Berührt-Werdens“ auch die Möglichkeiten von online-basierten Resilienz-Coachings vor: Dazu gehören die Vagus-Stimulation für eine emotionale Balance, pulssenkende Musikkompositionen, die gezielte Nutzung von ressourcen-aktivierenden Augenbewegungen sowie die App-gestützte Überleitung des Online-Coachings in ein wirkungsvolles Selbstcoaching. Und wir vermitteln, wie der Coach die positiven Effekte von bewährten Verfahren wie Hypnose, kognitiver Verhaltensmodifikation und systemischen Ansätzen im Online-Coaching für alle Sinne des Coachingkunden und damit für „every little cell“ aktivieren kann. So wird eine optimale Neuro-Agilität des Coachee angesprochen, damit er oder sie auch in überraschenden Lebens- und Leistungsmomenten flexibel und kreativ reagieren kann.

Ab und zu geben wir im Buch Tipps zum Thema „Humanonline“, die das Online-Setting mit dem Fokus auf die Kapazitäten des Menschen über die der involvierten Geräte hinaus ergänzen: mit Motorik, Einbeziehung der Umgebung über den Monitorrand hinaus, der Initiierung von Körpererlebnissen. Mancher Leser könnte denken: Muss man denn wirklich so viel „Schnickschnack“ in eine vernünftige Unterhaltung einweben – ist das nicht vielleicht auch übertrieben spielerisch? Die Antwort: Gerade wenn es spielerisch zugeht, fühlen sich die meisten Menschen am wohlsten, sie können besser lernen und sowohl im privaten Kontext als auch im Berufsleben besser mit schwierigen Situationen umgehen. Das fanden der Psychologie-Professor René Proyer und sein Team in einer Untersuchung über das Persönlichkeitsmerkmal „Playfulness“ – Verspieltheit – heraus (Proyer, 2020). Playfulness kann laut Proyer auch trainiert werden und steigert das subjektive positive Erleben, daher ist es sehr sinnvoll, dieses Element generell in zielführende Coachingprozesse mit einzubeziehen.

Last but not least: Das Buch beschäftigt sich auch mit allen wesentlichen technischen Aspekten des Online-Coachings, zu denen wir viele Tipps und Erfahrungswerte vorstellen. Da geht es um die Auswahl des geeigneten Online-Tools, technische Themen während der Übertragung, Rechts- und Vertragsfragen, Fragen der Datensicherheit, Möglichkeiten der Bezahlung, Aufzeichnungen von Online-Sitzungen, das Angebot von Kursen, Seminaren oder Ausbildungen für größere Gruppen und um Qualitätsmanagement und Möglichkeiten des Internetmarketings.

2. Wahrnehmungsfilter und neurobiologische Aspekte: Zu den Unterschieden von Präsenz- und Online-Coaching

Wir zeigen in diesem Buch eine Reihe von Coaching-Prozessen mit verschiedenen Methoden, die online sehr gut durchzuführen sind. Die Präsentation der verschiedenen Interventionsmöglichkeiten bei unterschiedlichen Coaching-Themen erfolgt dann in der Mitte des Buchs, ebenso wie die Beschreibungen relevanter Coaching-Phasen wie Zieldefinition, Ablauf, Integration in den Alltag.

Zuvor werden wir noch beschreiben, wie wir eine Reihe von „NeuroRessourcen“ in das Online-Coaching einweben, damit auch ein Online-Coaching keinesfalls nur ein Monitor-Erlebnis, sondern – wie schon gesagt – eine optimale ganzheitliche Erfahrung für alle Sinnesqualitäten des Coaching-Kunden bieten kann. Mit dem Wort „NeuroRessourcen“ meinen wir, dass jeder Mensch per se bereits angeborene neurobiologische Möglichkeiten als Ressourcen mit ins Coaching bringt – die Coaching-Kunst besteht darin, sie auch in der Online-Begegnung von „offline“ in „online“ umzuschalten. Das sind übrigens nicht nur IT-Vokabeln, sondern auch gängige Begriffe im Rahmen der Gehirnforschung.

Wir arbeiten beim Thema „Wahrnehmungsfilter“ mit dem Qualitätsbegriff „Humanonline-Faktor“, denn ein wichtiges Wirkelement bei Coaching und Therapie ist und bleibt die persönliche Wellenlänge zwischen zwei Menschen, um damit die „Einschaltung“ von NeuroRessourcen überhaupt zu ermöglichen. In der Therapie nennt man diesen Wirkfaktor die „Therapeutische Allianz“ (Grawe, 2004) und im Coaching spricht man vom „Arbeitsbündnis“ (Roth & Ryba, 2017) oder von der „Coaching-Allianz“ (Möller, Greif, & Scholl, 2018). Auch ein Gespräch in der Präsenzsituation muss idealerweise „Humanonline“ verlaufen, damit es zu einer realen Umsetzung der Themen im Denken und Handeln des Coachee kommen kann. Man denke als Negativbeispiel nur an den Schüler, der eine ganze Stunde seinem Lehrer zugehört hat – ohne ein Wort zu behalten. Da gab es zwar eine Informationsdarbietung, aber keinen wirksamen Humanonline-Faktor, der den „Datenfluss zwischen den Gehirnen“ erst möglich gemacht hätte. „Die Reaktion des Gesprächspartners ist der Sinn der Kommunikation“, sagt der NLP-Mitbegründer John Grinder – und weiter sinngemäß: „Ich habe noch lange nicht kommuniziert, wenn ich etwas gesagt oder geschrieben habe, die Kommunikation hat erst stattgefunden, wenn mein Kommunikationspartner meine Botschaft verstanden hat und sie im Denken und Handeln umsetzt“ (Grinder & Bandler, 2010). Die Lehrer-Schüler-Kommunikation ist also erst gelungen, wenn die Schüler die Informationen nicht nur gelernt haben, sondern auch aktiv in ihrem Handlungsrepertoire ausleben.

Zwar haben sich erwachsene Coaching-Kunden aus eigener Motivation zum Coaching entschlossen und sind von daher schon motiviert, die Anregungen aus dem Coaching aufzunehmen. Aber auch hier hängt der Coaching-Erfolg davon ab, dass die menschliche Ebene online schaltet. „Humanonline“ gilt also als wichtiger Erfolgsfaktor für die Umsetzung von Coaching-Impulsen sowohl für Präsenz- als auch für Online-Coachings. „Plötzlich blieb ich nicht mehr stumm, als es wieder zu Spannungen kam, sondern ich konnte beim Meeting schlagfertig mitdiskutieren – die passenden Worte kamen mir einfach so über die Lippen!“ Dieses Feedback eines Coaching-Kunden beschreibt das gelungene Ergebnis eines „Humanonline“-Coachings, hier transportiert der Coachee das Coaching-Ergebnis in das konkrete Denken und Handeln seines Wirkungsfeldes. Was dieser Coachee beschreibt, ist eine aktive „Neuro-Agilität“: Im entscheidenden Moment fielen diesem Coachee plötzlich die passenden Worte ein, er blieb flexibel und kreativ. Diesen optimalen Realisierungseffekt im „echten Leben“ sollten Online- und Präsenz-Coaching gleichermaßen auslösen können.

2.1 Being in Touch – der Mensch als Wirkfaktor im Coaching

Der wichtigste Unterschied zwischen Präsenz- und Online-Coaching ist offensichtlich: Die beteiligten Menschen können sich physisch gegenseitig nicht berühren. Nicht mit den Händen, nicht mit dem „Ellenbogen-Corona-Gruß“, man kann sich gegenseitig kein Taschentuch reichen, dem Gegenüber kein Glas Wasser einschenken oder ein Papier zur Unterschrift herüberreichen. Es fällt also nicht nur die Berührung, sondern auch ein Stück weit die zwischenmenschlich mögliche Motorik aus, was einen wichtigen Bereich unseres Reaktionsvermögens hemmt: die Muskulatur. Schon kleine Kinder verstehen intuitiv, dass sie mit den Kindern im Monitor nicht herumtoben können, sie bleiben automatisch „vor der Glotze“ still sitzen. Obwohl sie menschliche „Action“ beobachten, ist die Muskelresonanz des Kindes „offline“. Deswegen ist auch die Versuchung so groß, lebhafte Kinder vor den Fernseher zu setzen, damit sie mal für eine halbe Stunde ruhig sind.

Auch eine weitere NeuroRessource kann durch eine Monitor-Begegnung leiden: der angeborene Impuls, Mitmenschen als vorbildhaftes Lernmodell zu erleben, was ebenfalls ein sehr nützlicher Coaching-Faktor sein kann. Viele Menschen suchen sich ein Coaching oder einen Coach aus, weil sie die Person inspirierend finden: Vielleicht strahlt der Coach Gelassenheit, Humor oder Entschlossenheit aus und wird so zum geeigneten Lernmodell für das Gegenüber. Die meisten Coaching-Kunden sind schon lange keine Babys mehr, aber dennoch machen wissenschaftliche Erkenntnisse über „Baby-TV“ nachdenklich: Eine Reihe von Studien zeigt, dass Kinder Sprache weitaus besser lernen und in Intelligenztests besser abschneiden, wenn sie Sprache durch ihre Mitmenschen und nicht über den Bildschirm erleben (Müller & Schwarz, 2019). „Vorlesen hilft beim Erkennen von Lauten und Wörtern“, heißt es auch in einem Artikel der Ärztezeitung zu diesem Thema (Müller, 2007). Und es wird ein Vortrag des Gehirnforschers Manfred Spitzer wiedergegeben: „Die Kinder waren neun bis zwölf Monate alt – eine Zeit, in der sie lernen, Wörter und Laute zu unterscheiden. Die Kinder bekamen mehrmals pro Woche Geschichten auf Chinesisch vorgelesen. Nach zwei Monaten konnten die Kinder in speziellen Tests chinesische Laute ähnlich gut unterscheiden wie Kinder, die bei chinesischen Eltern aufwachsen. In zwei anderen Gruppen wurden den Kindern dagegen Videos gezeigt, wie jemand die chinesischen Geschichten vorlas, oder es wurden Audiokassetten vorgespielt. Das Ergebnis: In beiden Gruppen hatten die Kinder nach zwei Monaten nichts gelernt. Sie konnten chinesische Laute genauso wenig erkennen wie Kinder, die nie ein Wort chinesisch gehört hatten.“

Spitzers Fazit: Für diesen sprachlichen Lerneffekt benötigen die Babys die reale Präsenz des anderen Menschen. Anscheinend ist der Lernreiz, also das Bedürfnis, mit dem Gegenüber „mitzuschwingen“ im dreidimensionalen Erleben intensiver als die Impulse, die von einer eingegrenzten „sprechenden“ Bildfläche oder Tonquelle kommen. Wie schon erwähnt: Erwachsene sind von ihren kognitiven Möglichkeiten her viel differenzierter als Kleinkinder. Gerade in der Corona-Zeit gelang es vielen Studenten und Schülern, per Online-Kommunikation zu lernen und sogar gute Schul- und Prüfungsnoten zu erzielen. Aber viele dieser jungen Menschen waren dann doch erleichtert, als sie sich wieder in der Schule, in Ausbildung oder Studium mit ihren Mitmenschen treffen und von präsenten Dozenten und Lehrern unterrichtet werden konnten.

 HUMANONLINE-TIPP

Austausch von Vertrauenszeichen

Auf der ganzen Welt begrüßen sich die Menschen nicht nur mit Worten, sondern vor allem mit Berührungen und / oder mit gleichgeschalteter Motorik: Verneigung, Kopfnicken, Händeschütteln, Küsschen, sogar Nasenberührung. Diese Rituale sind sehr wichtig, um auf der unbewussten Ebene ein Vertrauen zum Gegenüber aufzubauen, denn „von Natur aus“ ist der Mensch ein ängstliches Fluchtwesen und eher ambivalent, wenn ein Mitmensch auftaucht – das könnte ja auch schief gehen. Zumindest in der Steinzeit war es so.

Für das Gefühl von sozialer Sicherheit benötigen wir daher ein kleines Vertrauenszeichen, um in Verbindung gehen zu können und dabei wirken Signale über den Tastsinn besonders gut. Bleibt dieses „Humanonline-Manöver“ aus, verstehen Menschen zwar, was das Gegenüber sagt, aber sie verspüren kaum Impulse, dem Inhalt zu trauen, ihn ernst zu nehmen oder gar umzusetzen – vor allem, wenn Mimik und Gestik, also der motorische Ausdruck, inkongruent herüberkommen (Merhabian, 2007). Gerade auch Begrüßungsrituale, die über eine gleichgeschaltete Motorik und Hautkontakt laufen, können eine erstaunliche zwischenmenschliche Wirkung haben. So berichtet Martin Grunwald in seinem Buch Homo hapticus, dass wir auch beim Körperkontakt hoch sensibel auf die gefühlte Temperatur reagieren und es daher zu Redewendungen kommt wie jemand habe ein „warmes Herz“ oder zeige die „kalte Schulter“ (Grunwald, 2017). Das „Hinfühlen“ beim ersten Kontakt entspringt offensichtlich dem Bedürfnis der Mitmenschen, auch haptische Informationen von seinem Gegenüber aufzunehmen, um ihn mit allen Sinnen „erfassen“ zu können.

Abbildung 1: „Wärmeaustausch“

„Berührungen regulieren Beziehungen, sie sind biochemischer Klebstoff“, sagt Grunwald dazu in einem Interview in der Zeitschrift Spiegel (Grunwald & Maeck, 2020) . Daher ist es sinnvoll, auch online eine „Wärmeschwingung“ mit „motorischer Gleichschaltung“ vorzunehmen. Wir sagen einfach zu unseren Coaching-Kunden: „Lassen Sie uns kurz die Hände am Monitor aneinander halten, um zur Begrüßung ein bisschen Wärme auszutauschen.“ Das kommt in der Regel sehr gut an – und sei es nur deshalb, weil beide Gesprächspartner kurz gemeinsam über das Ritual lachen können. Der Effekt erfolgt über ein einfaches Prinzip: Wörter lösen Körperreaktionen aus. Denken Sie nur an das Wort „Wurzelspitzenresektion“, schon ziehen sich ein paar Muskeln zusammen. Umgekehrt funktioniert dies auch im Positiven: Allein schon das Wort „Wärme“ löst den Muskeltonus, vertieft den Atem, die Gefäße öffnen sich – und einem wird vielleicht wirklich ein kleines bisschen wärmer.

Weiterhin sprechen wir beim Online-Coaching die Situation auch einfach immer an: „Wie geht es Ihnen mit dem Kontakt? Ist alles ok, auch wenn wir uns jetzt über die Monitore treffen? Vielleicht beginnen wir unser Treffen mit einem kleinen ‚Wärmeaustausch‘ …“ usw. Das hat schon die Mini-Wirkung eines Autogenen Trainings – AT –, bei dem ja die Körpertemperatur messbar ansteigt (Schulz, 2020).

2.2 Emotionen und Muskulatur, unser „Erfolgsorgan“

Vor allem im Ausbildungskontext zeigen sich schnell die Grenzen der Online-Inspiration: Es gibt einfach Tätigkeiten wie in der Heilkunde oder Handwerkskunst, die Auszubildende oder Studenten lieber mit einem präsenten Menschen an ihrer Seite erlernen: operieren, das Erlernen eines Musikinstruments, einen Stuhl tischlern – einfach, weil dann die motorische Umsetzung leichter fällt. Was haben diese Beispiele mit Coaching zu tun? Coaching bedeutet nicht in erster Linie ein gemeinsames Gespräch, sondern hat als Event zum Ziel, dass die Coachees nach dem Coaching ihre Potenziale im Denken und Handeln und vor allem im richtigen Moment punktgenau und reaktionsfreudig umsetzen können – ganz im Sinne der Aussage von Grinder, dass die Reaktion auf ein Gespräch den eigentlichen Sinn der Kommunikation ausmacht.

Die meisten Coachingziele benötigen für eine erfolgreiche Umsetzung motorische Komponenten: Kommunizieren, Präsentieren, Schreiben, sportliche Performance, sogar Lernen fällt in Kombination mit Motorik und auch in präsenter Gegenwart eines „motorischen“ Menschen leichter. Man denke nur an das Beispiel mit den vorgelesenen chinesischen Geschichten.

So reicht es nicht aus, dass wir im Coaching theoretisch erörtern, wie ein Redner auf kritische Fragen des Publikums reagieren könnte. Wichtig ist, dass der Coaching-Kunde dann auch während der Rede „im echten Leben“ schlagfertig, geistesgegenwärtig, entschlossen oder gar humorvoll auf kritische Fragen reagieren kann – vor allem auch mit nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten wie Mimik, Gestik und Tonfall. Es geht dabei um die emotionale Stabilität, die es dem Gehirn des Coachee erlaubt, im entscheidenden Moment mit den Kapazitäten des präfrontalen Cortex und mit möglichst wenig blockierenden Emotionen agil zu arbeiten. Emotionen werden vom limbischen System organisiert. Sie können leistungsfördernd wirken oder das Großhirn, also den präfrontalen Cortex, durch „limbischen Nebel“ ungünstig beinträchtigen. Deswegen heißt es ja beispielsweise im Volksmund auch: „Die Wut ist verraucht.“ Der präfrontale Cortex – abgekürzt PFC – erlaubt unter günstigen emotionalen Bedingungen die Bereitstellung unserer kognitiven Potenziale und vor allem den optimalen „Flow“ unserer Feinmotorik – das ist besonders wichtig für alle Sportarten und auch für das Sprechen, den berühmten „Wortfluss“. Denn Sprechen ist das komplizierteste Muskel-Programm, welches das Gehirn organisiert – keinesfalls Golfen, Samba-Tanzen oder Stricken.

Deshalb werden erfolgreiche Gespräche auch gern beim Gehen geführt – man denke da an wichtige Begegnungen zwischen Politikern. Nicht umsonst fragen sich Menschen gegenseitig: „Geht’s gut?“ Ist die Muskulatur mobil, kommen auch die Worte leichter über die Zunge, fällt auch der Golfschlag präziser aus. Daher nennt man die Muskulatur auch „Erfolgsorgan“. Es gibt eine Fülle von Studien, die auf einen engen Zusammenhang zwischen kognitiven Leistungen und physischer Bewegung bei Menschen jeden Alters hinweisen. Der Gehirnforscher Gerd Kempermann widmet sich seit Jahren diesem Thema und sagt u. a. in einem Interview in der Zeitschrift Wirtschaftswoche: „Dass der Zusammenhang von Denken und Motorik fundamental wichtig ist für unser Leben ist, wissen wir schon aus dem Alltag: Dass wir uns geistig und körperlich erfrischt fühlen durch eine Wanderung, dass Schüler im Gehen Vokabeln lernen, dass Schauspieler ihre Texte hin und her laufend memorieren – das spricht für sich.“ (Kempermann & Schwarz, 2018)

 HUMANONLINE-TIPP

Ein optimales Online-Setting bezieht motorische Ausdrucksmöglichkeiten und somit motorisches Raumerleben im Coaching mit ein. So bitten wir unsere Coaching-Kunden, vor der Online-Session die Webcam so auszurichten, dass Coach und Coachee auch zusammen aufstehen können – beispielsweise, wenn es darum geht, eine Rede, eine Präsentation oder gar eine sportliche Bewegung vorzubereiten, bei der der Coachee später im Performance-Kontext tatsächlich stehen und / oder sich bewegen wird. Auch im Sitzen ist es wichtig, dass die Coaching-Partner nicht nur ihre Gesichter, sondern auch die Motorik von Schultern, Armen und Händen sehen können. Bestimmte Armbewegungen gehen beispielsweise mit Emotionsresonanzen einher. So konnte der Psychologe Johannes Michalak in einer Bewegungsstudie zeigen, dass motorische Muster – auch in den Armen – die Wahrnehmungsfilter eines Menschen beeinflussen. Beim „Happy Walking“ schwingen die Arme ganz deutlich viel weiter hin und zurück, beim „depressiven Gehen“ hängen die Arme und schwingen kaum. Die schwingenden Arme gehen signifikant mit einer deutliche Steigerung der selektiven Wahrnehmung und auch der Merkfähigkeit für Positives einher (Michalak, 2014). Es wurde zwar insgesamt „fröhliches Gehen“ untersucht, aber dazu gehört dann – wie gesagt – auch eindeutig die Schulter- und Armmotorik eines Menschen.

Aus diesem Grund verstärken wir beim Online-Coaching immer wieder spontan gezeigte Bewegungen, die in die ressourcevolle Richtung gehen. Sagt beispielweise ein Coachee: „Das ist eine gute Idee!“ und bewegt dazu die Arme, bitten wir ihn oder sie, diese Armbewegung im Zusammenhang mit dem Satz zu wiederholen. Als nächsten Schritt denkt der Coachee dann an eine zukünftige Situation, in der er oder sie die Idee umsetzen wird und wiederholt dabei den Satz, kombiniert mit der Armmotorik. So wird der Satz mit dem Muskelgedächtnis und damit mit einer Körperaktivität verknüpft. Auf diese Weise verstärken wir den gesamten positiven Sinneseindruck mit einem Maximum an Sinnesreizen – zumindest im Online-Kontext.

Abbildung 2: Humanonline – die Motorik mit einbeziehen

2.3 Räumliches Erleben und die Bedeutung des peripheren Gesichtsfeldes

Augenbewegungen im wachen Zustand organisieren permanent unser Raumerleben – auch über weite Distanzen hinweg. Man spricht hier vom „Gesichtsfeld“ oder auch vom peripheren Erleben, wenn wir an den Seitenrändern des Gesichtsfeldes Bewegungen orten. So kann horizontal ein Blickfeld von bis zu 270 Grad (!) abgedeckt werden (Spomedial, Gesichtsfeld und peripheres Sehen, 2009). Auf jeden Fall umfasst das Gesichtsfeld bei jedem Menschen mindestens einen Radius von über 180 Grad. Wir können demnach sogar noch visuell wahrnehmen, was hinter unsere Ohren passiert. Diese Wahrnehmungskapazität weit in die Peripherie hinein ist natürlich eine wichtige Wahrnehmungsressource für Leistungssportler, denn die müssen sich ständig vergegenwärtigen, wo auf dem Spielfeld gerade die Spieler sowohl der eigenen als auch der Gegenmannschaft herumlaufen und -gleiten.

Abbildung 3: Gesichtsfeld und peripheres Sehen (Spomedial, Ruhr-Uni Bochum)

Die Augenmotorik – wir sprechen auch von „Okulomotorik“ – macht es grundsätzlich möglich, dass wir uns möglichst sicher und reaktionsfähig durch unsere Umwelt bewegen können – das war für unsere Vorfahren für das Überleben in der Natur sehr wichtig. Ein Monitor bietet kein optimales Raumerleben, die „Action“ spielt sich auf einem viel zu kleinen, durch den Monitor-Rahmen begrenzten Raum ab und reicht möglicherweise als visueller Anreiz für das Starten sinnvoller Veränderungsprozesse nicht aus. In EEG-Untersuchungen konnte beispielsweise gezeigt werden, dass wache Augenbewegungen günstige Wahrnehmungsaktivitäten im präfrontalen Cortex auslösen – anders als beim fixierten Blick (Heger, 2017). Dazu passt der Ausspruch des bekannten, 2005 verstorbenen Psychotherapieforschers Klaus Grawe im Zusammenhang mit seinem Begriff „Neuropsychotherapie“: „Psychotherapie wirkt, wenn sie wirkt, darüber, dass sie das Gehirn verändert“ (Grawe, 2004). Dieser Ausspruch gilt mit Sicherheit auch für Coachings oder Lernen allgemein. Und beim Online-Coaching verführt ein Monitor vielleicht dazu, dass die Augen sich viel zu lange in der Mitte des Gesichtsfeldes aufhalten und so die präfrontalen Kapazitäten gehemmt werden könnten.

Seit 2001 gibt es die Methode wingwave-Coaching. Diverse Studien an Hochschulen und Universitäten konnten die stressreduzierende und leistungsfördernde Wirkung von wingwave belegen. Hier arbeiten Coach und Coachee mit so genannten „wachen REM-Phasen“, also mit gezielt eingesetzten Augenbewegungen. Man kennt dieses Vorgehen schon seit Jahrzehnten im klinischen Bereich unter dem Methodennamen „EMDR – Eye Movement Desensitization and Reprocessing“. Wegen der sehr guten, vielfach bewiesenen Wirkung vor allem bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen genießt EMDR weltweit wissenschaftliches Ansehen und ist im deutschsprachigen Raum von den Kostenträgern als psychotherapeutisches Regelverfahren anerkannt. Man spricht beim EMDR vom „adaptiven Informationsserarbeitungssystem“ – auf Englisch: adaptive information processing – AIP. AIP beschreibt, dass die Neurobiologie eines Menschen ein gut funktionierendes System für die Informationsverarbeitung der täglichen Erlebnisse betreibt, AIP ist also auch eine NeuroRessource. Unter anderem sind die nächtlichen Traumphasen, in denen sich die Augen des Schläfers schnell hin und her bewegen, ein Bestandteil des AIP.

Abbildung 4: „Wach“ durchgeführte Augenbewegungen – der Coach führt mit winkenden Bewegungen den Blick der Klienten hin und her.

Die in der Abbildung gezeigten schnellen Augenbewegungen sorgen laut neuester Gehirnforschung für eine erhöhte „Konnektivität“ zwischen verschiedenen Gehirnbereichen. Sie regen also eine gute Zusammenarbeit zwischen den neuronalen Netzwerken im Gehirn an und sorgen auch für eine bessere neuronale Schaltung zwischen den Gehirnhälften, wie uns die Psychologin und Gehirnforscherin Rebekka Schröder im Gespräch erläuterte. Bei langsamen Augenbewegungen, welche Rebekka Schröder gezielt beforschte, gibt es den gleichen Effekt (Schröder & et al., 2020).

Weil die Augenbewegungen eines Menschen eine entscheidende Rolle bei der Informationsverarbeitung und der Ausrichtung unserer Wahrnehmungsfilter auf die uns umgebende Welt spielen, können wir dieses Know-how auch sinnvoll beim Online-Coaching nutzen.

Sekundenschnelle Sakkaden für den „Open Mind“-Effekt

Wie gesagt: Grundsätzlich haben wache Augenbewegungen mit unserer Orientierung im dreidimensionalen Raum zu tun. Sie scannen in der Regel unser Gesichtsfeld ab und ermöglichen so unsere Orientierung sowie zielgerichtete Handlungsmöglichkeiten in Resonanz mit der Außenwelt. Dabei dienen sehr kurze schnelle Augenbewegungen, die man auch Sakkaden nennt, im Wachzustand auch der Neuorientierung, also der Suche nach neuen Wahrnehmungspunkten, auf die sich die Aufmerksamkeit konzentrieren kann (Zimmermann, 2014). Das bedeutet aber auch, dass sich die Fixation von der vorherigen Orientierung löst. Das gelingt besonders gut, wenn sich die Augen möglichst weit nach links und rechts bewegen, denn die weit außen im Gesichtsfeld registrierten Reize erwecken unsere maximale Aufmerksamkeit: „Die Peripherie wird gegenüber dem Netzhautzentrum bei der Informationsverarbeitung bevorzugt behandelt. Taucht z. B. in der Peripherie plötzlich ein Objekt oder eine Bewegung auf, wird die zentrale Wahrnehmung zugunsten der Informationen aus der Peripherie unterdrückt, und die Aufmerksamkeit wird auf das neue Detail gelenkt“ (Spomedial, Zusammenspiel zwischen fovealer und peripherer Wahrnehmung, 2009).

Und das ist natürlich der große Nutzen, wenn man beim wingwave-Coaching oder beim EMDR einen Klienten bittet, an eine Stress-Erinnerung zu denken und dann schnelle Sakkaden mit möglichst weit ausgerichteten Augenbewegungen einsetzt – die sinnliche Fixierung auf einen problematischen Inhalt wird so schneller aufgelöst und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Coachee Neues entdeckt, was z. B. auch ein weiterführender Gedanke sein kann. Während der schnellen Augenbewegungen im Wachzustand ist der Mensch, physiologisch betrachtet, eigentlich blind, es werden keine visuellen Eindrücke gespeichert. Man nennt dieses Phänomen auch „Change Blindness“.

Auch beim Lesen setzt das Gehirn schnelle, kurze Augenbewegungen ein. Das Auge des Lesers springt von Buchstabe zu Buchstabe, wobei es einige Buchstaben einfach ausblendet. Nur ein paar Buchstaben reichen aus, damit das Gehirn ein Wort intuitiv erfassen kann. Deshalb fallen den meisten Menschen beim Lesen auch keine Rechtschreibfehler auf, es geht ja mehr um das Textverständnis. Die Fähigkeit des Gehirns, mit der Wahrnehmung vereinzelter Buchstaben ein Wort auf Basis der Sakkaden-Leistung unserer Augen sofort zu erkennen, geht so weit, dass wir sogar diesen Text verstehen:

„Gmäeß eneir Sutide eneir elgnihcesn Uvinisterät ist es nchit witihcg, in wlecehr Rneflogheie die Bstachuebn in eneim Wrot snid, das ezniige was wcthiig ist, ist, dass der estre und der leztte Bstabchue an der ritihcegn Pstoiion snid. Der Rset knan ein ttoaelr Bsinöldn sien, tedztorm knan man ihn onhe Pemoblre lseen. Das ist so, wiel wir nciht jeedn Bstachuebn enzelin leesn, snderon das Wrot als gseatems.“ (Schneider, 2014)

Dieser Text kursiert in verschiedenen Varianten seit vielen Jahren im Internet und ist ein faszinierendes Beispiel über die Leistungsfähigkeit unserer Wahrnehmungskapazitäten. Interessant ist auch, dass der Autor der Internet-Seite „Fehler-Haft“ – er ist professioneller Lektor – hier noch ergänzt: „Deshalb sind Tippfehler übrigens auch kein Zeichen für mangelnde Rechtschreibkenntnisse: Je geübter ein Schreiber im Lesen ist, desto häufiger wird er eigene Tippfehler übersehen.“ (Schneider, 2014)

Beim Online-Coaching setzen wir die Sakkaden keinesfalls zeitlich derartig intensiv wie beim Präsenz-Coaching ein und der Coach „winkt“ dabei auch nicht, wie in der Abbildung gezeigt. Wir nutzen die Sakkaden so, wie sie ohnehin unzählige Male am Tag stattfinden. Wir bitten also nur darum, dass der Coachee die Augen so schnell wie möglich drei bis fünf Sekunden hin und her bewegt, das triggert bei jedem Menschen einen plötzlich einsetzenden tiefen Atemzug, wenn sich die Fixierung dann löst. Diesen Effekt der Sekunden-Sakkaden nennen wir „Open Mind“, denn nach dieser Fixierungslösung und dem Aktivieren des präfrontalen Cortex kann der Coaching-Kunde seine Wahrnehmung besonders aufmerksam auf neue Erlebnisse lenken – seien es Gesprächsthemen, Lerninhalte oder Körperwahrnehmungen. Und die Gehirnforschung hat gezeigt, dass schon die kurzen Mini-Sakkaden ebenfalls die Gehirn-Konnektivität, also die gute neuronale Zusammenarbeit verschiedener Gehirnbereiche, deutlich intensivieren (Koba & al., 2021).

Diese kurze „Open Mind“-Intervention ist beim Online-Coaching besonders sinnvoll, weil das Monitor-Setting ja den lebhaften, nach allen Seiten schweifenden Blick eher blockiert. Beim Lesen ist diese optische Begrenzung auch ein Thema, deshalb gilt auch schon seit Jahren der empirisch belegte Zusammenhang zwischen vielem Lesen und Kurzsichtigkeit bei jungen Menschen wissenschaftlich als belegt. Das erläutern wir später noch näher.

Man kann die Sekunden-Sakkaden auch sehr gut als „Separator“ nutzen, um einen Menschen inhaltlich und psychophysiologisch aus einem Thema „herauszuholen“, bevor man mit ihm einem neuen Coaching-Step beginnt, beispielsweise mit einer Intervention.

 HUMANONLINE-TIPP

Sekunden-Sakkaden als „Open Mind Helper“

Eine Coaching-Sitzung verläuft häufig in mehreren Phasen. Beispielsweise besprechen Coach und Coachee eingangs die in der Session anstehenden Themen, dann geht die Sitzung vielleicht in eine Interventionsphase über: Timeline-Arbeit, Aufstellung des inneren Teams, Screen-Techniken, Video-Feedback, um nur einige Beispiele zu nennen. Hier kann man die sekundenschnellen „Open Mind“-Sakkaden folgendermaßen einsetzen:

Coach und Coachee besprechen ein Thema und das damit verbundene Coaching-ZielSekunden-Sakkaden als „Separator“ bzw. „Open Mind Helper“Beginn einer Intervention

Wenn es einem Coaching-Kunden schwer fällt, sich von einem Gedanken oder einer inneren Vorstellung zu lösen, bieten die Sekunden-Sakkaden ebenfalls eine gute Unterstützung im Prozess. Nach spätestens zehn Sekunden reagiert der Coachee auf die Sekunden-Sakkaden mit einem tiefen Atemzug – dann kann die Coachin oder der Coach schnell intervenieren und fragen: „Wo im Körper nehmen Sie wahr, dass Ihnen dieser Atemzug gut tut?“ Das ist eine Implizit-Frage aus dem Hypno-Coaching, welche die Wahrnehmung dann schnell auf Ressourcen lenken kann. Wir stellen später noch Hypno-Interventionen für Coaching-Themen vor, aber an dieser Stelle beschreiben wir schon kurz den Effekt der impliziten Fragetechnik. Wenn gefragt wird: „Tut Ihnen der Atemzug gut?“, provozieren wir, dass der Coaching-Kunde entweder mit „Ja“ oder leider auch mit „Nein“ antwortet. Unterstellen wir aber schon mit der Frage, dass der Atemzug „sowieso“ gut tut, entsteht beim Coachee eine ausschließlich „positive Wahlfreiheit“: Er oder sie kann jetzt nur noch entscheiden, wo im Körper die „little cell“ ist, die jetzt gute Energien verbreitet, aber dass es diese Resonanzzelle gibt, wird vorausgesetzt.

Später erklären wir noch im Kapitel „Vagus-Coaching“, warum wache Augenbewegungen so schnell und zuverlässig einen Resilienz-Effekt – also einen tiefen Atemzug – beim Coaching-Kunden bewirken können.

2.4 Die weltweite Zunahme von Kurzsichtigkeit – und die Gegenmaßnahmen

Interessant ist bei diesem Thema ein Exkurs zum Phänomen der Kurzsichtigkeit bei jungen Menschen, das weltweit in den letzten Jahren zugenommen hat. Das medizinische Fachwort heißt „Myopie“ und Frank Schaeffel, Professor im Bereich der Augenheilkunde für die „Neurobiologie des Auges“, verweist in einem seiner Artikel auf den vielzitierten Begriff „myopia boom“ (Schaeffel, 2019). Es gibt einen weltweit mehrfach bewiesenen Zusammenhang zwischen „Länge der Ausbildung“ und Kurzsichtigkeit, wobei sowohl jahrelanges Lesen als auch die Rolle von Smartphones als Auslöser von Kurzsichtigkeit genannt werden. In vielen asiatischen Ländern haben die Bildungsbehörden bereits Gegenmaßnahmen in die Schulen und die Familien gebracht, mit deutlichem Erfolg: Die Kurzsichtigkeit von Kindern und Jugendlichen ging dadurch in einigen asiatischen Ländern – wie beispielsweise Taiwan – in den letzten Jahren messbar zurück.

In zahlreichen Studien wurde weltweit nachgewiesen, dass vor allem durch kürzeren Aufenthalt im Freien und Mangel an Tageslichtexposition die Entwicklung von Myopie ansteigt. Daher sind dies die wichtigsten Gegenmaßnahmen:

Täglich mindestens zwei Stunden Aufenthalt im Freien, um den Augen räumliches Wahrnehmen im gesamten Gesichtsfeld bei natürlichem Tageslicht zu ermöglichen.

Möglichst alle 30 Minuten eine Unterbrechung des „fovealen“, in die Mitte gerichteten Blicks beim Lesen und bei der Beschäftigung mit Inhalten an Monitoren, wozu natürlich auch Fernseher und Smartphone gehören. Hier gilt weltweit die 30:10 Regel: Nach dreißig Minuten fokussierter Blickwahrnehmung sollten die Augen für zehn Minuten „schweifen“, optimal wäre, dass der Mensch sich zur Abwechslung im Freien bewegt. Das kann man in einer Coaching-Session, die ja mindestens 50 Minuten dauert, so konkret nicht umsetzen, dennoch ist nach 30 Minuten Kontakt ein Open Mind Helper wie Sekunden-Sakkaden oder einfach nur gemeinsames Aufstehen vor der Kamera unter Einbeziehung der Peripherie des Gesichtsfelds sinnvoll.

Genügend Abstand zum Lesestoff und zu den Monitoren

Ausreichend umgebendes Licht vor allem beim Lesen – Monitore sind ja meistens beleuchtet. Aber auch das Monitorlicht leistet nicht die Effekte, die vom Tageslicht ausgehen. Tageslicht sorgt nachweislich für einen Dopamin-Kick auf der Netzhaut und beugt interessanterweise der Kurzsichtigkeit vor. Die Kurzsichtigkeit beruht nämlich auf einem unnatürlich verlängerten Längenwachstum des Augapfels – und Dopamin wirkt sich hemmend auf dieses Längenwachstum aus.

Es wurden sogar für die Prävention schon Brillengestelle mit Sensoren für die Messung von Leseabstand, Helligkeit und Lesedauer entwickelt, um Kinder beim Erlernen „gesunder Augenbenutzung“ zu unterstützen.

An dieser Stelle sei noch die Beobachtung von Lehrern erwähnt, die darüber berichten, dass Kinder im Sportunterricht immer weniger rückwärts laufen können. Zum Rückwärtslaufen gehört auch die Orientierung des Körpererlebens im Raum und es wird diskutiert, ob zu wenig körperliche Bewegung im Freien und zu viel „Starren“ auf viereckige Informationsträger, die viel kleiner als unser angeborenes Gesichtsfeld sind, hierfür die Ursache sein könnten.

2.5 Räumliches Erleben beim Online-Coaching: Open Mind Helper

Wenn man um die Bedeutung des Gesichtsfelds und der Augenbewegungen weiß, ist es relativ einfach, dieses Know-how im Online-Coaching einzusetzen. Vor allem informieren wir unsere Coaching-Kunden darüber und beschreiben, warum wir bei der Online-Begegnung auch gezielt „dreidimensionale“ Erlebnisse wie Bewegung und die Einbeziehung eines möglichst großen Gesichtsfelds einsetzen. Weiterhin erwähnen wir auch kurz die Erkenntnisse über den „myopia boom“ und begründen auch damit den wiederholten Einsatz von Phasen bewusstem Raumerlebens.