Preisgeld - Myron Bolitar ermittelt - Harlan Coben - E-Book

Preisgeld - Myron Bolitar ermittelt E-Book

Harlan Coben

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Beschreibung

Als der Sohn der beiden langjährigen Golf-Profis Jack und Linda Coldren entführt wird, wenden sich die verzweifelten Eltern an den Sportagenten Myron Bolitar. Denn dieser hat sich in der Branche mittlerweile einen guten Namen als Ermittler in vertrakten Kriminalfällen gemacht. Myron begibt sich sofort auf die Suche nach dem verschwundenen Jungen. Doch seine Arbeit wird deutlich dadurch erschwert, dass Jack kurz davor steht, die US Open zu gewinnen. Bald wird offensichtlich, dass die Entführer es auf mehr als das Lösegeld abgesehen haben – und dass es nicht nur das Leben des jungen Chad Coldren ist, um das sich Myron Bolitar Sorgen machen muss ...

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Buch

Der Sohn der beiden Golfprofis Jack und Linda Coldren wird entführt. Ein gemeinsamer Freund empfiehlt ihnen Myron Bolitars Dienste – Sportagent und mittlerweile im Nebenberuf durchaus erfolgreicher Privatermittler. Die verzweifelten Eltern engagieren ihn nicht nur, als besonderen Anreiz für Myron versprechen sie zudem, sofort bei seiner Sportagentur zu unterzeichnen, wenn er ihren Sohn Chad wohlbehalten zurückbringt.

Ein verlockendes Angebot. Denn Jack Coldren steht gerade ganz knapp vor dem größten Erfolg seiner Karriere – dem Gewinn der prestigeträchtigen U.S. Open. Wobei gerade das den Fall von Anfang an schwierig macht. Myron wird misstrauisch: Handelt es sich bei Chads Verschwinden wirklich um eine Entführung? Oder ist alles nur ein groß angelegter Schwindel, um für möglichst viel Publicity zu sorgen?

Doch Myrons Zweifel scheinen erst einmal unbegründet: Die Entführer melden sich. Allerdings mit Forderungen, die über ein normales Lösegeld weit hinausgehen. Und die nicht nur die Beziehung zwischen Jack und Linda auf eine harte Probe stellen …

Weitere Informationen zu Harlan Coben sowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.

HARLAN COBEN

Preisgeld

Myron Bolitar ermittelt

Thriller

Deutsch von Gunnar Kwisinski und Friedo Leschke

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Back Spin« bei Dell Publishing, a division of Bantam Doubleday Dell Publishing Group, Inc., New York.

Deutsche Erstveröffentlichung Januar 2017

Wilhelm Goldmann Verlag, München

Copyright © der Originalausgabe 1997

by Harlan Coben

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Anja Lademacher

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Covermotive: FinePic®, München

Th ∙ Herstellung: Str.

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-17844-4 V005

www.goldmann-verlag.de

Für die Armstrongs,

die besten Schwiegereltern der Welt,

Jack und Nancy

Molly, Jane, Eliza, Sara, John und Kate

Danke für alles, Anne

1

Myron Bolitar blickte mit seinem Papp-Periskop über die erdrückende Menge lächerlich gekleideter Zuschauer. Er versuchte sich zu erinnern, wann er das letzte Mal ein Papp-Periskop benutzt hatte, und vor seinen Augen flackerten Bilder von Sammelmarken auf Cap’n Crunch Frühstücksflocken auf wie Kopfschmerzen auslösende Sonnenflecken.

Im mehrfach gespiegelten Bild beobachtete Myron einen Mann in Knickerbocker – Herrgott noch mal, Knickerbocker –, der neben einer kleinen weißen Kugel stand. Die lächerlich gekleideten Zuschauer murmelten aufgeregt. Myron unterdrückte ein Gähnen. Der Mann in Knickerbocker beugte sich vor. Die lächerlich gekleideten Zuschauer drängten sich nach vorne und verfielen dann in ein unheimliches Schweigen. Es entstand eine so reine Stille, als würden selbst die Bäume, die Sträucher und die perfekt geschnittenen Grashalme kollektiv den Atem anhalten.

Dann schlug der knickerbockrige Mann die weiße Kugel mit einem Stock.

Wieder setzte ein gleichmäßiges Hintergrundmurmeln ein, dessen Lautstärke mit der Flugbahn des Balles anstieg. Einzelne Worte waren vernehmbar. Dann Sätze. »Schöner Golfschlag.« »Super Golfschlag.« »Wunderbarer Golfschlag.« »Wirklich feiner Golfschlag.« Immer wieder Golfschlag, als könnte man es sonst mit einem Boxschlag verwechseln oder – wie Myron in der brennenden Sonne in den Sinn kam – mit einem Hitzschlag.

»Mr. Bolitar?«

Myron nahm das Periskop vom Auge. Er war versucht, »Periskop einfahren« zu rufen, fürchtete aber, dass man das hier im vornehmen, snobistischen Merion Golf Club als unreif empfinden könnte. Besonders während der U. S. Open. Er blickte auf einen rotgesichtigen Mann um die siebzig hinunter.

»Ihre Hose«, sagte Myron.

»Wie bitte?«

»Sie haben Angst, von einem Golfwagen überfahren zu werden, stimmt’s?«

Die Orange- und Gelbtöne waren nur wenig greller als die einer berstenden Supernova. Fairerweise musste man aber sagen, dass die Kleidung des Mannes dennoch nicht besonders herausstach. Die meisten Menschen in der Menge sahen aus, als hätten sie sich nach dem Aufwachen überlegt, welche ihrer Kleidungstücke sich beißen würden mit, sagen wir, praktisch allem in der freien Welt. Orange- und Grüntöne, wie sie sonst nur in den geschmacklosesten Leuchtreklamen Verwendung fanden, zierten hier viele. Auch Gelb- und ein paar seltsame Lilatöne waren recht stark vertreten, meist gemeinsam, wie eine Farbkombination, die die Cheerleadergruppe einer Highschool im Mittleren Westen abgelehnt hatte. Es wirkte fast, als würden die Menschen in Gegenwart dieser gottgegebenen Schönheit alles in ihrer Macht Stehende tun, dem etwas entgegenzusetzen. Vielleicht handelte es sich hier aber auch um einen anderen Mechanismus. Vielleicht hatte diese hässliche Kleidung ja eine praktische Funktion. Vielleicht stammte dieses Verhalten schon aus grauer Vorzeit, als noch wilde Tiere herumstreunten und Golfer sich so gekleidet hatten, um sie abzuschrecken.

Gute Theorie.

»Ich muss mit Ihnen reden«, flüsterte der ältere Mann. »Es ist dringend.«

Die runden, jovialen Wangen straften seine flehenden Augen Lügen. Plötzlich ergriff er Myrons Unterarm. »Bitte«, fügte er hinzu.

»Worum geht es?«, fragte Myron.

Der Mann bewegte seinen Hals, als wäre sein Kragen zu eng. »Sie sind doch Sportagent?«

»Ja.«

»Sie suchen hier Klienten?«

Myron kniff die Augen zusammen. »Woher wollen Sie wissen, dass mich nicht das faszinierende Spektakel hierhergelockt hat, erwachsene Männer bei einem Spaziergang zu beobachten?«

Der alte Mann lächelte nicht, aber Golfer waren auch nicht unbedingt bekannt für ihren Humor. Wieder reckte er den Hals und trat näher. Sein Flüstern klang heiser. »Sagt Ihnen der Name Jack Coldren was?«

»Natürlich«, antwortete Myron.

Hätte der alte Mann ihm diese Frage gestern gestellt, hätte Myron noch keine Ahnung gehabt. Er verfolgte den Golfsport nicht so genau (wenn überhaupt), und Jack Coldren war in den letzten zwanzig Jahren kaum mehr als ein Mitläufer gewesen. Aber nach dem ersten Tag der U. S. Open hatte Coldren plötzlich völlig überraschend an der Spitze gelegen, und jetzt, da am zweiten Tag nur noch wenige Löcher zu spielen waren, führte Coldren mit eindrucksvollen acht Schlägen. »Was ist mit ihm?«

»Und Linda Coldren?«, fragte der Mann. »Wissen Sie, wer das ist?«

Diese Frage war einfacher. Linda Coldren war Jacks Ehefrau und die mit Abstand beste Golferin des letzten Jahrzehnts. »Ja, ich weiß, wer sie ist«, antwortete Myron.

Der Mann beugte sich zu ihm hinüber und machte wieder diese Sache mit dem Hals. Wirklich nervig – und dazu auch noch ansteckend. Myron musste den Drang niederkämpfen, ihn nachzuahmen. »Die beiden stecken in großen Schwierigkeiten«, flüsterte der alte Mann. »Wenn Sie ihnen helfen, haben Sie zwei neue Klienten.«

»Was für Schwierigkeiten?«

Der Mann blickte sich um. »Bitte«, sagte er, »hier sind zu viele Leute. Kommen Sie mit.«

Myron zuckte die Achseln. Kein Grund zu bleiben. Der alte Mann war der einzige Kontakt, den er geknüpft hatte, seit sein Freund und Geschäftspartner Windsor Horne Lockwood III, kurz Win, ihn hierhergeschleppt hatte. Weil die U. S. Open im Merion stattfand, seit ungefähr tausend Jahren der Heimplatz der Familie Lockwood, war Win der Meinung, dies wäre eine gute Gelegenheit für Myron, ein paar erstklassige Klienten an Land zu ziehen. Myron war sich da nicht so sicher. Seiner Ansicht nach unterschied ihn insbesondere seine absolute Abneigung gegen Golf von den Horden anderer Agenten, die wie Heuschrecken über den Platz schwärmten. Nicht unbedingt ein werbewirksames Alleinstellungsmerkmal.

Myron Bolitar war der Chef von MB SportsReps, einer Sportagentur mit Sitz in der Park Avenue in New York. Die Räume hatte er von seinem früheren Collegezimmergenossen gemietet, Win, einem Spitzeninvestmentbanker aus einer weißen, angelsächsischen, protestantischen Familie mit altem Geld, der das Lock-Horne-Securities-Building in der Park Avenue in New York gehörte. Myron führte die Vertragsverhandlungen, während Win, einer der angesehensten Broker des Landes, sich um Investitionen und Finanzen kümmerte. Für alles Weitere war Esperanza Diaz, das dritte Mitglied im MB SportsReps-Team zuständig. Drei Bereiche, die sich gegenseitig kontrollierten. Wie die amerikanische Regierung. Sehr patriotisch.

Slogan: MB SportsReps– alle anderen sind linke Sozis.

Der alte Mann wurde von diversen Männern begrüßt, als er Myron durch die Menge führte. Die meisten trugen grüne Blazer – ein weiterer Look, den man vorwiegend auf Golfplätzen antraf, vielleicht um sich auf dem Gras zu tarnen. Sie flüsterten »Wie läuft’s, Bucky« oder »Siehst gut aus, Bucky«. Alle sprachen mit dem Akzent der Reichen und Schönen, wo mommy »mummy« ausgesprochen wird und man in der entsprechenden Jahreszeit auf dem Landsitz »sommern« oder »wintern« fährt. Myron wollte schon eine Bemerkung über erwachsene Männer machen, die Bucky genannt werden, aber wenn dein Name Myron ist, na ja, Glashaus und Steine und so.

Wie bei jedem Sportereignis in der freien Welt, war das Spielfeld eher eine gigantische Werbefläche als eine Wettkampfstätte. Das Leaderboard wurde von IBM gesponsert. Canon verteilte die Papp-Periskope. An den Essensständen arbeiteten Angestellte von American Airlines (eine Fluglinie, die Essen ausgab, welchem Think Tank war das wohl entsprungen), in der Sponsorengalerie prästentierten sich lauter Firmen, die jeweils hundert Riesen geblecht hatten, um ein paar Tage lang ein Zelt aufzustellen, vor allem damit die leitenden Angestellten einen Grund hatten herzukommen. Travelers Group,Mass Mutual,Aetna (offenbar mögen Golfer Versicherungen), Canon,Heublein.Heublein. Was zum Teufel war Heublein? Sah nach einer netten Firma aus. Myron hätte sich gern ein Heublein gekauft, wenn er gewusst hätte, was das war.

Das Lustige daran war, dass die U. S. Open weniger kommerzialisiert war als die meisten anderen Golfturniere. Zumindest hatten sie ihren Namen noch nicht verkauft. Viele andere Turniere waren nach den Sponsoren benannt, sodass sie etwas alberne Namen trugen. Wer wollte schon die JC Penney Open, die Michelob Open oder gar die Wendy’s Three Tour Challenge gewinnen?

Der alte Mann führte ihn zu einem exquisiten Parkplatz. Mercedes, Cadillac, Limousinen. Myron entdeckte Wins Jaguar. Die USGA hatte kürzlich ein Schild mit der Aufschrift NUR FÜR MITGLIEDER aufgestellt.

Myron sagte: »Sie sind Mitglied im Merion.« Meisterliche Schlussfolgerung.

Der alte Mann verwandelte seine Halsmacke in ein zustimmendes Nicken. »Meine Familie gehörte zu den Gründern«, sagte er, der versnobte Akzent trat noch deutlicher hervor. »Genau wie die Ihres Freundes Win.«

Myron sah den Mann an. »Sie kennen Win?«

Der alte Mann brachte eine Art Lächeln zustande und zuckte die Achseln. Unverbindlich.

»Sie haben mir Ihren Namen noch nicht genannt«, sagte Myron.

»Stone Buckwell«, sagte er und streckte die Hand aus. »Aber alle nennen mich Bucky.«

Myron schüttelte ihm die Hand.

»Außerdem bin ich der Vater von Linda Coldren«, fügte er hinzu.

Bucky öffnete die Tür eines himmelblauen Cadillacs, und sie stiegen ein. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Das Radio schaltete sich ein. Es lief Muzak – schlimmer: die Muzak-Version von »Raindrops Keep Falling on My Head«. Schnell öffnete Myron das Fenster, um etwas Luft hereinzulassen und etwas Lärm.

Da nur Merion-Mitglieder hier parkten, war es kein Problem, das Gelände zu verlassen. Am Ende der Ausfahrt fuhren sie nach rechts, dann bogen sie noch einmal rechts ab. Zum Glück schaltete Bucky das Radio aus. Myron zog seinen Kopf wieder ins Auto.

»Was wissen Sie über meine Tochter und ihren Mann?«, fragte Bucky.

»Nicht viel.«

»Sind Sie kein Anhänger des Golfsports, Mr. Bolitar?«

»Nicht direkt.«

»Golf ist wahrhaftig ein prachtvoller Sport«, sagte er. Dann fügte er hinzu: »Obwohl das Wort Sport ihm nicht gerecht wird.«

»Mhm«, sagte Myron.

»Es ist das Spiel der Prinzen.« Buckwells rotes Gesicht glühte jetzt ein wenig, die Augen hatten sich in der gleichen Verzückung geweitet, wie man sie bei religiösen Eiferern sieht. Er sprach mit tiefer, ehrfürchtiger Stimme. »Es gibt nichts Vergleichbares. Einer alleine gegen den Platz. Keine Ausreden. Keine Mannschaftskollegen. Keine Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern. Es ist die reinste aller Tätigkeiten.«

»Mhm«, sagte Myron wieder. »Hören Sie, Mr. Buckwell, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber worum geht es überhaupt?«

»Bitte nennen Sie mich Bucky.«

»Okay. Bucky.«

Er nickte zustimmend. »Sie und Windsor Lockwood sind mehr als Geschäftspartner«, sagte er.

»Das heißt?«

»Wenn ich das richtig verstanden habe, kennen Sie sich schon lange. Waren Zimmerkollegen auf dem College, ist das richtig?«

»Warum fragen Sie ständig nach Win?«

»Weil ich zum Club gefahren bin, um ihn zu suchen«, sagte Bucky. »Aber vielleicht ist es so besser.«

»Wie?«

»Vielleicht ist es besser, wenn ich erst mit Ihnen rede. Danach …, nun ja, wir werden sehen. Ich will mir da keine allzu großen Hoffnungen machen.«

Myron nickte. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«

Bucky bog in eine Straße ein, die an den Platz angrenzte und Golf House Road hieß. Golfer sind wirklich unglaublich kreativ.

Auf der rechten Seite war der Golfplatz. Links standen beeindruckende Villen. Eine Minute später bog Bucky in eine halbkreisförmige Auffahrt ein. Das Haus war ziemlich groß und aus River Rock gebaut. River Rock, im Prinzip handelte es sich dabei um große Flusskiesel, war in dieser Gegend sehr beliebt, und Win bezeichnete solche Gebäude meist als »Kopfsteinhäuser«. Vor dem Haus standen ein weißer Zaun, jede Menge Tulpen und zwei Ahornbäume. Rechts schloss sich eine große Veranda an. Als das Auto stoppte, blieben sie beide einen Moment lang reglos sitzen.

»Was soll das alles, Mr. Buckwell?«

»Wir müssen einer Situation Herr werden«, sagte er.

»Was für einer Situation?«

»Das lasse ich lieber meine Tochter erklären.« Er zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und wollte die Tür öffnen.

»Warum sind Sie zu mir gekommen?«

»Uns wurde gesagt, Sie würden uns eventuell helfen können.«

»Wer hat das gesagt?«

Buckwell rollte seinen Hals mit größerer Inbrunst. Es sah aus, als wäre sein Kopf auf einem ausgeleierten Kugelgelenk gelagert. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, gelang es ihm, Myron in die Augen zu sehen.

»Wins Mutter«, sagte er.

Myron erstarrte. Sein Herz fiel in einen dunklen Schacht. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder, wartete. Buckwell stieg aus und ging auf die Haustür zu. Zehn Sekunden später folgte Myron ihm.

»Win wird Ihnen nicht helfen«, sagte Myron.

Buckwell nickte. »Daher bin ich erst zu Ihnen gekommen.«

Sie folgten einem gepflasterten Weg zu einer angelehnten Tür. Buckwell öffnete sie. »Linda?«

Linda Coldren stand vor einem Fernsehgerät im Schlafzimmer. Ihre weißen Shorts und die ärmellose gelbe Bluse betonten die geschmeidige und gebräunte Figur einer Sportlerin. Sie war groß, hatte kurze, dynamische schwarze Haare, und ihre Bräune betonte die geschmeidigen, langen Muskeln. Die Falten um Augen und Mund bewirkten, dass sie wie Mitte dreißig aussah, und Myron erkannte sofort, warum sie eine erfolgreiche Werbeikone war. Diese Frau versprühte eine ungezähmte Erhabenheit, und ihre Schönheit entsprang eher einer gewissen Strenge als Grazilität.

Sie verfolgte das Turnier im Fernsehen. Auf dem Gerät standen gerahmte Familienfotos. Zwei große, mit Kissen bedeckte Sofas standen zum V gestellt in einer Ecke. Geschmackvoll eingerichtet für eine Golferin. Kein Putting Green, kein Kunstrasenteppich. Nichts von den Golfkunstwerken, die ästhetisch ein bis zwei Stufen unter, sagen wir, Bildern von Hunden beim Pokerspiel standen. Keine Golfkappe mit Halterungen für die Tees und einem Ball auf dem Schirm, die an einem Elchkopf hing.

Linda Coldren schenkte ihnen plötzlich ihre Aufmerksamkeit und musterte Myron mit stechendem Blick, bevor sie sich an ihren Vater wandte. »Ich dachte, du wolltest Jack holen«, fauchte sie.

»Er hat seine Runde noch nicht beendet.«

Sie deutete auf den Fernseher. »Er ist am Achtzehnten. Ich dachte, du wartest da auf ihn.«

»Ich habe stattdessen Mr. Bolitar mitgebracht.«

»Wen?«

Myron trat einen Schritt vor und lächelte. »Ich bin Myron Bolitar.«

Linda Coldren sah ihn kurz an und wandte sich dann wieder ihrem Vater zu. »Wer zum Teufel ist das?«

»Er ist der Mann, von dem Cissy mir erzählt hat.«

»Wer ist Cissy?«, fragte Myron.

»Wins Mutter.«

»Oh«, sagte Myron. »Richtig.«

Linda Coldren sagte: »Ich will ihn hier nicht haben. Schaff ihn weg.«

»Linda, hör zu. Wir brauchen Hilfe.«

»Nicht von ihm.«

»Er und Win haben Erfahrung mit diesen Sachen.«

»Win«, sagte sie langsam, »ist ein Psycho.«

»Ah«, sagte Myron. »Offenbar kennen Sie ihn recht gut?«

Jetzt wandte Linda Coldren sich Myron zu. Ihre Blicke trafen sich. »Als ich das letzte Mal mit Win gesprochen habe, war er acht Jahre alt«, sagte sie. »Aber man muss nicht ins Feuer springen, um zu wissen, dass es heiß ist.«

Myron nickte. »Schöne Analogie.«

Sie schüttelte den Kopf und sah wieder ihren Vater an. »Ich hatte doch gesagt: Keine Polizei. Wir tun, was sie verlangen.«

»Aber er ist kein Polizist«, sagte ihr Vater.

»Und du solltest niemandem davon erzählen.«

»Ich habe es nur meiner Schwester erzählt«, protestierte Bucky. »Sie würde nie etwas weitersagen.«

Wieder spürte Myron, wie sein Körper erstarrte. »Warten Sie«, sagte er zu Bucky, »Ihre Schwester ist Wins Mutter?«

»Ja.«

»Dann sind Sie Wins Onkel.« Er sah Linda Coldren an. »Und Sie Wins Cousine.«

Linda Coldren sah ihn an, als hätte er gerade auf den Fußboden gepinkelt. »Kluges Kerlchen«, sagte sie, »da bin ich aber froh, dass Sie auf unserer Seite sind.«

Die Welt ist voller Klugscheißer.

»Falls allerdings noch etwas unklar sein sollte, Mr. Bolitar, könnte ich ein Plakat aufhängen und Ihnen einen Stammbaum zeichnen.«

»Könnten Sie viele bunte Farben verwenden?«, fragte Myron. »Ich mag bunte Farben.«

Sie verzog das Gesicht und wandte sich ab. Im Fernseher stellte sich Jack Coldren für einen Viermeterputt auf. Linda hielt inne und sah zu. Er tippte den Ball an. Der rollte in einem weiten Bogen direkt ins Loch. Die Galerie applaudierte mit maßvollem Enthusiasmus. Jack nahm den Ball mit zwei Fingern auf und tippte sich an die Kappe. Das IBM-Leaderboard erschien auf dem Bildschirm. Jack Coldren führte mit sensationellen neun Schlägen.

Linda Coldren schüttelte den Kopf. »Armes Schwein.«

Myron sagte nichts. Auch Bucky nicht.

»Auf diesen Augenblick hat er dreiundzwanzig Jahre gewartet«, fuhr sie fort. »Und gerade jetzt muss es so weit sein.«

Myron sah Bucky an. Bucky erwiderte den Blick und schüttelte den Kopf.

Linda Coldren starrte auf den Fernseher, bis ihr Mann im Clubhaus verschwunden war. Dann holte sie tief Luft und wandte sich Myron zu. »Sie müssen wissen, Mr. Bolitar, dass Jack noch nie ein Profiturnier gewonnen hat. Einmal war er jedoch ganz nah dran. Das war in seiner ersten Saison vor dreiundzwanzig Jahren, als er gerade neunzehn Jahre alt war. Es war das letzte Mal, dass die U. S. Open im Merion stattfand. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Schlagzeilen.«

Sie waren ihm nicht ganz unvertraut. Die Morgenzeitungen hatten sie wieder aufgewärmt. »Er hatte nach einer Führung verloren?«

Linda Coldren schnalzte spöttisch. »Das ist eine ziemliche Untertreibung, aber ja. Seitdem ist seine Karriere vollkommen unspektakulär verlaufen. Es gab Jahre, in denen er es nicht einmal auf die Tour geschafft hat.«

»Da hat er aber einen tollen Zeitpunkt gewählt, um seine Pechsträhne zu beenden«, sagte Myron. »Die U. S. Open.«

Sie musterte ihn mit einem seltsamen Blick und verschränkte die Arme unter der Brust. »Ihr Name kommt mir bekannt vor«, sagte sie. »Sie haben doch mal Basketball gespielt?«

»Stimmt.«

»In der ACC. North Carolina?«

»Duke«, korrigierte er.

»Richtig, Duke. Jetzt erinnere ich mich. Sie haben sich am Knie verletzt nach dem Draft.«

Myron nickte langsam.

»Damit war Ihre Karriere beendet?«

Wieder nickte Myron.

»Muss hart gewesen sein«, sagte sie.

Myron sagte nichts.

Sie wischte es mit einer kurzen Geste beiseite. »Was Ihnen passiert ist, ist nichts im Vergleich zu Jack.«

»Warum sagen Sie das?«

»Sie hatten eine Verletzung. Das mag hart gewesen sein, aber zumindest war es nicht Ihre Schuld. Jack hatte sechs Schläge Vorsprung bei der U. S. Open und es waren nur noch acht Löcher zu spielen. Wissen Sie, wie das ist? Das ist wie eine Zehnpunkteführung eine Minute vor Schluss im entscheidenden siebten Spiel der NBA-Finals. Es ist, als würde man in der letzten Sekunde unbedrängt einen Slamdunk danebenhauen und so die Meisterschaft verspielen. Jack war danach nicht mehr der Alte. Er hat sich nie davon erholt. Seitdem hat er sein ganzes Leben damit verbracht, auf eine zweite Chance zu warten.« Sie drehte sich wieder zum Fernseher um. Das Leaderboard war im Bild. Jack lag noch immer mit neun Schlägen vorn.

»Wenn er wieder verliert …«

Sie traute sich nicht, den Satz zu Ende zu sprechen. Alle drei standen schweigend da. Linda starrte den Fernseher an, Bucky rollte seinen Hals mit feuchten Augen, sein Gesicht zuckte. Er war den Tränen nahe.

»Also, wo liegt das Problem, Linda?«, fragte Myron.

»Unser Sohn«, sagte sie. »Jemand hat unseren Sohn entführt.«

2

»Ich dürfte Ihnen das gar nicht erzählen«, sagte Linda Coldren. »Sie haben gesagt, sie bringen ihn um.«

»Wer hat das gesagt?«

Linda Coldren holte mehrmals tief Luft wie ein Kind auf einem Dreimeterbrett. Myron wartete. Es dauerte eine Weile, aber dann sprang sie schließlich.

»Heute Morgen habe ich einen Anruf bekommen«, sagte sie. Ihre großen indigoblauen Augen waren geweitet, und ihr Blick schoss wild im Raum umher, blieb nirgends mehr als eine Sekunde hängen. »Ein Mann sagte, dass er meinen Sohn hat. Er sagte, wenn ich die Polizei informiere, bringt er ihn um.«

»Hat er sonst noch was gesagt?«

»Nur, dass er wieder anruft, um mir Anweisungen zu geben.«

»Das war alles?«

Sie nickte.

»Wann war das?«, fragte Myron.

»Gegen neun, halb zehn.«

Myron ging zum Fernseher und nahm eines der gerahmten Fotos herunter. »Ist das ein aktuelles Bild von Ihrem Sohn?«

»Ja.«

»Wie alt ist er?«

»Sechzehn. Er heißt Chad.«

Myron studierte das Foto. Der lächelnde Halbwüchsige hatte die fleischigen Gesichtszüge seines Vaters. Er trug eine Baseballkappe mit eingerolltem Schirm, wie die Kids sie gerade gerne tragen. Stolz hatte er sich seinen Golfschläger über die Schulter gelegt wie ein Freiwilliger im amerikanischen Bürgerkrieg sein Bajonett. Er kniff die Augen zusammen, als würde er in die Sonne blicken. Myron sah sich Chads Gesicht an, als könnte er dort einen Hinweis oder eine tiefere Erkenntnis finden. Das tat er nicht.

»Wann haben Sie bemerkt, dass Ihr Sohn verschwunden ist?«

Linda Coldren warf ihrem Vater einen kurzen Blick zu, dann richtete sie sich auf, hob den Kopf, als bereitete sie sich auf einen Schlag vor. »Chad ist seit zwei Tagen verschwunden.«

»Verschwunden?« Myron Bolitar, Großinquisitor.

»Ja.«

»Wenn Sie verschwunden sagen …«

»Dann meine ich genau das«, unterbrach sie ihn. »Ich habe ihn seit Mittwoch nicht mehr gesehen.«

»Aber der Entführer hat erst heute angerufen?«

»Ja.«

Myron wollte etwas sagen, ließ es aber sein und sprach mit freundlicherer Stimme. Immer sachte. »Haben Sie irgendeine Idee, wo er war?«

»Ich nehme an, dass er bei seinem Freund Matthew war«, erwiderte Linda Coldren.

Myron nickte, als brächte diese Bemerkung eine brillante Erkenntnis. Dann nickte er noch einmal. »Hat Chad Ihnen das erzählt?«

»Natürlich nicht.«

Myron wollte eine weitere Frage stellen, ihre Haltung brachte ihn jedoch dazu, seine Worte zu überdenken. Und Linda nutzte seine Unentschlossenheit. Sie machte sich mit aufrechter, fließender Anmut auf den Weg in die Küche. Myron folgte ihr. Bucky schien aus einer Trance zu erwachen und kam hinterher.

»Ich möchte mich vergewissern, dass ich das richtig verstanden habe«, sagte Myron und näherte sich aus einer anderen Richtung. »Chad ist schon vor dem Turnierbeginn verschwunden?«

»Korrekt«, sagte sie. »Die Open hat am Donnerstag angefangen.« Linda Coldren zog am Griff der Kühlschranktür. Die Tür öffnete sich mit einem saugenden Plopp. »Warum? Ist das wichtig?«

»Damit können wir ein Motiv eliminieren«, sagte Myron.

»Welches Motiv?«

»Beeinflussung des Turniers«, sagte Myron. »Wäre Chad heute verschwunden, wo ihr Mann so weit in Führung liegt, könnte man annehmen, dass jemand seine Chancen sabotieren will, die Open zu gewinnen. Aber zwei Tage vor Turnierbeginn …«

»Hätte niemand Jack auch nur den Hauch einer Chance eingeräumt«, beendete sie den Satz für ihn. »Die Buchmacher hätten für einen Sieg 5000:1 gezahlt. Mindestens.« Sie nickte, als sie das sagte und die Worte zu sich durchdringen ließ. »Wollen Sie eine Limonade?«, fragte sie.

»Nein danke.«

»Dad?«

Bucky schüttelte den Kopf. Linda Coldren beugte sich in den Kühlschrank.

»Okay«, sagte Myron, klatschte in die Hände und bemühte sich, beiläufig zu klingen. »Damit hätten wir eine Möglichkeit ausgeschlossen. Wir sollten es mit einer anderen probieren.«

Linda Coldren hielt inne und beobachtete ihn. Sie hatte sich einen Vierliterglaskrug gegriffen, ihre Unterarmmuskeln spannten sich unter dem Gewicht leicht an. Myron überlegte, wie er es angehen sollte. Es gab keinen einfachen Weg.

»Könnte Ihr Sohn dahinterstecken?«, fragte er.

»Was?«

»Unter diesen Umständen«, sagte Myron, »ist das eine naheliegende Frage.«

Sie setzte den Krug auf der Kücheninsel aus Echtholz ab. »Wovon zum Teufel reden Sie? Glauben Sie, Chad hätte seine Entführung vorgetäuscht?«

»Das habe ich nicht gesagt. Ich wollte diese Möglichkeit in Erwägung ziehen.«

»Machen Sie, dass Sie rauskommen.«

»Ihr Sohn war zwei Tage lang verschwunden, und Sie haben nicht die Polizei gerufen«, sagte Myron. »Das könnte daran liegen, dass es im Haus Spannungen gab. Oder dass Chad früher schon einmal ausgerissen ist.«

»Oder«, entgegnete Linda Coldren und ballte die Hände zu Fäusten, »es könnte daran liegen, dass wir unserem Sohn vertrauen. Dass wir ihm ein Maß an Freiheiten zugestehen, das seiner Reife und seinem Verantwortungsbewusstsein entspricht.«

Myron sah zu Bucky rüber. Der hatte den Kopf gesenkt. »Wenn das der Fall ist …«

»Das ist der Fall.«

»Aber informieren verantwortungsbewusste Kinder ihre Eltern nicht darüber, wohin sie gehen? Also nur, damit sie sich keine Sorgen machen?«

Linda Coldren nahm mit übergroßer Vorsicht ein Glas aus dem Regal. Sie stellte es auf die Theke und schenkte sich langsam Limonade ein. »Chad hat gelernt, unabhängig zu sein«, sagte sie, als das Glas voll war. »Sein Vater und ich sind Profigolfer. Offen gesagt bedeutet das, dass keiner von uns häufig zu Hause ist.«

»Hat Ihre häufige Abwesenheit zu Spannungen geführt«, fragte Myron.

Linda Coldren schüttelte den Kopf. »Das bringt nichts.«

»Ich versuche nur …«

»Hören Sie, Mr. Bolitar, Chad hat die Entführung nicht vorgetäuscht. Ja, er ist ein Teenager. Nein, er ist nicht perfekt, und seine Eltern sind es auch nicht. Aber er hat seine eigene Entführung nicht vorgetäuscht. Und selbst wenn es so wäre – ich weiß, er hat es nicht getan, aber lassen wir das der Diskussion zuliebe einfach mal stehen –, dann wäre er in Sicherheit und wir bräuchten Sie nicht. Wenn das eine Art grausames falsches Spiel ist, werden wir es noch früh genug merken. Aber wenn mein Sohn in Gefahr ist, dann sind diese Gedankenspiele reine Zeitverschwendung, die wir uns nicht leisten können.«

Myron nickte. Da hatte sie recht. »Verstehe«, sagte er.

»Gut.«

»Haben Sie seinen Freund angerufen, nachdem Sie vom Entführer gehört hatten? Den Freund, bei dem er ihrer Meinung nach gewesen ist?«

»Matthew Squires?, Ja.«

»Hatte Matthew eine Idee, wo er sein könnte?«

»Nein.«

»Sie sind gut befreundet?«

»Ja.«

»Sehr gut?«

Sie runzelte die Stirn. »Ja, sehr gut.«

»Hat Matthew hier oft angerufen?«

»Ja. Oder sie haben sich E-Mails geschrieben.«

»Ich brauche Matthews Telefonnummer.«

»Ich habe doch schon gesagt, dass ich mit ihm gesprochen habe.«

»Tun Sie mir den Gefallen.«, sagte Myron. »Okay, und jetzt noch einmal von vorne. Wann haben Sie Chad das letzte Mal gesehen?«

»Am Tag seines Verschwindens.«

»Was ist passiert?«

Sie runzelte wieder die Stirn. »Was meinen Sie mit ›Was ist passiert‹? Er ist morgens zur Summer School gegangen. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

Myron beobachtete sie. Sie unterbrach sich und sah Myron etwas zu ruhig an. Irgendetwas stimmte hier nicht. »Haben Sie in der Schule angerufen«, fragte er, »um zu erfahren, ob er an dem Tag dort war?«

»Daran habe ich nicht gedacht.«

Myron blickte auf die Uhr. Freitag. Fünf Uhr Nachmittag. »Ich bezweifle, dass wir da noch jemanden erreichen, einen Versuch ist es trotzdem wert. Haben Sie mehr als einen Telefonanschluss?«

»Ja.«

»Dann nehmen Sie nicht den Anschluss, auf dem der Entführer angerufen hat. Damit die Leitung nicht besetzt ist, wenn er wieder anruft.«

Sie nickte. »Okay.«

»Hat Ihr Sohn Kreditkarten oder Bankkarten oder Ähnliches?«

»Ja.«

»Ich brauche eine Liste dieser Karten. Einschließlich der zugehörigen Nummern, wenn Sie sie haben.«

Wieder nickte sie.

Myron sagte: »Ich rufe jetzt einen Freund an und versuche, eine Anruferkennung für diese Leitung zu bekommen. Für den Fall, dass er wieder anruft. Ich nehme an, Chad hat einen Computer?«

»Ja«, sagte sie.

»Wo ist er?«

»Oben in seinem Zimmer.«

»Ich werde alles, was sich darauf befindet, über sein Modem an mein Büro schicken. Meine Assistentin Esperanza wird alles durchgehen und nachsehen, ob sie etwas findet.«

»Was zum Beispiel?«

»Offen gesagt, habe ich keine Ahnung. E-Mails. Korrespondenz. Diskussionsforen, an denen er sich beteiligt hat. Alles, was uns weiterhelfen könnte. Das ist keine wissenschaftliche Vorgehensweise. Aber vielleicht macht es irgendwann klick, wenn man sich die Sachen ansieht.«

Linda überlegte einen Moment. »Okay«, sagte sie.

»Was ist mit Ihnen, Mrs. Coldren? Haben Sie irgendwelche Feinde?«

Sie rang sich ein schwaches Lächeln ab. »Ich bin die Führende der Golfweltrangliste«, sagte sie. »Da hat man automatisch eine Menge Feinde.«

»Irgendeine Idee, wer so was machen könnte?«

»Nein«, sagte sie. »Absolut nicht.«

»Was ist mit Ihrem Mann? Irgendjemand, der Ihren Mann so sehr hasst?«

»Jack?« Sie kicherte. »Alle lieben Jack.«

»Was bedeutet das?«

Sie schüttelte den Kopf und winkte ab.

Myron stellte noch weitere Fragen, aber es war nicht mehr viel zu holen. Er fragte, ob er Chads Zimmer sehen könnte, und sie führte ihn die Treppe hinauf.

Das Erste, was Myron auffiel, als er Chads Zimmertür öffnete, waren die Pokale. Eine Unmenge. Lauter Golfpokale. Alle mit der Bronzefigur eines Mannes nach Ausführung eines Schlags, mit hoch erhobenem Kopf, den Golfschläger über der Schulter. Manchmal trug die Figur eine Golfkappe, manchmal hatte sie kurze wellige Haare wie Paul Hornung auf alten Footballclips. Hinten rechts in der Ecke standen zwei Golftaschen aus Leder, beide bis zum Bersten gefüllt mit Golfschlägern. Fotos von Jack Nicklaus, Arnold Palmer, Sam Snead, Tom Watson bedeckten die Wände. Auf dem Boden lagen diverse Ausgaben von Golf Digest.

»Spielt Chad auch Golf?«, fragte Myron.

Linda sah ihn nur an. Als Myron ihrem Blick begegnete, nickte er wissend.

»Meine Deduktionsfähigkeit«, sagte er. »Manchen Leuten macht sie Angst.«

Beinahe hätte sie gelächelt. Myron der Schmerzenslinderer, Meister des Spannungsabbaus. »Ich versuche trotzdem, Sie ganz normal zu behandeln«, sagte sie.

Myron näherte sich den Pokalen. »Spielt er gut?«

»Sehr gut.« Sie drehte sich plötzlich um und stand mit dem Rücken zum Zimmer. »Brauchen Sie sonst noch was?«

»Im Moment nicht.«

»Ich bin unten.«

Sie wartete nicht auf seine Erlaubnis.

Myron trat ins Zimmer. Er hörte den Anrufbeantworter ab. Drei Nachrichten. Zwei von einem Mädchen, das Becky hieß. Es klang, als wären sie ziemlich gut befreundet. Sie hatte nur angerufen, um »Hi« zu sagen und zu fragen, ob er vielleicht Interesse hätte, irgendwie, irgendwas zu unternehmen am Wochenende, alles klar? Sie und Milly und Suze wollten irgendwie im Heritage abhängen, okay, und wenn er kommen wollte, tja, alles klar, okay. Myron lächelte. Die Zeiten mochten sich geändert haben, aber diese Nachricht hätte auch von einem Mädchen sein können, mit dem er auf der Highschool war – oder sein Vater – oder der Vater seines Vaters. Der Lauf der Zeit. Musik, Filme, Sprache und Mode veränderten sich. Aber das alles waren bloß Äußerlichkeiten. Unter den Baggy Pants und den bedeutsam kurzgeschorenen Haaren blieben die jugendlichen Ängste und Bedürfnisse und Gefühle erschreckend konstant.

Der letzte Anruf stammte von einem Typen, der Glen hieß. Er wollte wissen, ob Chad dieses Wochenende mit ihm im »Pine« Golf spielen wollte, weil es im Merion wegen der U. S. Open nicht ging. »Daddy«, versicherte Glens schnöselige Stimme vom Band, »kann uns Spielzeit organisieren, kein Thema.«

Keine Nachricht von Chads gutem Kumpel Matthew Squires.

Myron schaltete den Computer an. Windows 95. Cool. Myron benutzte es auch. Chad Coldren – das sah Myron sofort – nutzte AOL für seine E-Mails. Perfekt. Myron drückte FLASHSESSION. Das Modem wurde aktiviert und krächzte ein paar Sekunden. Eine Stimme sagte: »Willkommen. Sie haben Post.« Dutzende Nachrichten wurden heruntergeladen. Dann sagte dieselbe Stimme: »Auf Wiedersehen.« Myron suchte in Chads E-Mail-Adressbuch und fand Matthew Squires Mailadresse. Er überflog die heruntergeladenen Nachrichten. Keine von Matthew.

Interessant.

Es war natürlich möglich, dass Matthew und Chad gar nicht so eng befreundet waren wie Linda Coldren dachte. Es war genauso möglich, dass Matthew seinen Freund seit Mittwoch zufällig nicht mehr kontaktiert hatte – auch wenn sein Freund ohne Vorankündigung verschwunden war. So etwas kam vor.

Interessant war es trotzdem.

Myron nahm Chads Telefon und drückte die Wahlwiederholung. Vier Klingeltöne später meldete sich ein Anrufbeantworter. »Sie haben Matthew angerufen. Hinterlassen Sie eine Nachricht. Oder auch nicht, Ihre Entscheidung.«

Myron legte auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen (schließlich war es »seine Entscheidung«). Hmm. Chad hatte als Letztes Matthew angerufen. Das könnte wichtig sein. Oder es hatte überhaupt keine Bedeutung. Egal, so kam er jedenfalls nicht weiter.

Er nahm Chads Telefon und rief sein Büro an. Esperanza meldete sich beim zweiten Klingeln.

»MB SportsReps.«

»Ich bin’s.« Er weihte sie in alles ein. Sie hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen.

Esperanza Diaz war schon von Anfang an bei MB SportsReps. Vor zehn Jahren – Esperanza war gerade erst achtzehn Jahre alt – war sie die Königin von Sunday Morning Cable TV. Nein, sie trat nicht in einer Verkaufsshow auf, auch wenn ihr Programm zeitgleich mit einigen dieser Shows lief, besonders oft mit der mit dem Bauchtrainer, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem mittelalterlichen Folterinstrument hatte. Nein, Esperanza war eine professionelle Wrestlerin mit Namen Little Pocahontas, die sinnliche Indianerprinzessin. Mit ihrer schlanken, zierlichen Gestalt und nur mit einem Wildlederbikini bekleidet wurde Esperanza drei Jahre in Folge zur beliebtesten Wrestlerin der FLOW (Fabulous Ladies Of Wrestling) gewählt oder, wie die Auszeichnung meist genannt wurde, zum dem Babe, mit dem man am liebsten auf die Matte gehen würde. Trotz alldem war Esperanza bescheiden geblieben.

Als er mit seiner Geschichte über die Entführung fertig war, lauteten Esperanzas erste, ungläubige Worte: »Win hat eine Mutter?«

»Ja.«

Pause. »Da geht sie hin, meine Theorie, dass er aus einem Teufelsei geschlüpft ist.«

»Ha-ha.«

»Genau wie die Theorie, dass er bei einem fehlgeschlagenen Menschenversuch erschaffen wurde.«

»Das ist nicht nett.«

»Ich wollte nicht nett sein«, erwiderte Esperanza. »Du weißt, dass ich Win mag. Aber der Junge ist – wie lautete noch mal die offizielle psychiatrische Klassifizierung – durchgeknallt.«

»Dieser Durchgeknallte hat dir das Leben gerettet«, sagte Myron.

»Yeah, aber du weißt auch wie«, konterte sie.

Myron wusste es. Eine dunkle Gasse. Wins präparierte Kugeln. Gehirnmasse flog wie Konfetti auf einer Parade. Klassischer Win. Effektiv aber exzessiv. Als wollte man eine Kakerlake mit einer Abrissbirne zerquetschen.

Esperanza brach das lange Schweigen. »Wie schon gesagt«, begann sie leise, »durchgeknallt.«

Myron wollte das Thema wechseln. »Gibt’s was Neues?«

»Reichlich. Aber nichts Dringendes.« Dann fragte sie: »Bist du ihr je begegnet?«

»Wem?«

»Madonna«, zischte sie. »Wem wohl? Wins Mutter.«

»Einmal«, erinnerte Myron sich. Es war über zehn Jahre her. Win und er waren zum Dinner im Merion. Bei dieser Gelegenheit hatte Win nicht mit ihr gesprochen. Sie mit ihm schon. Myron erschauderte aufs Neue, als er sich daran erinnerte.

»Hast du Win schon davon erzählt?«, fragte sie.

»Nope. Hast du einen Tipp?«

Esperanza überlegte einen Moment. »Mach’s am Telefon«, sagte sie. »Aus sehr sicherer Entfernung.«

3

Schon die erste Spur brachte sie weiter.

Myron saß noch mit Linda im Wohnzimmer der Coldrens, als Esperanza zurückrief. Bucky war wieder zum Merion gefahren, um Jack zu holen.

»Die Bankkarte des Jungen wurde gestern Abend um 18 Uhr 18 benutzt«, sagte Esperanza. »Er hat 180 Dollar abgehoben. Bei einer Filiale der First Philadelphia in der Porter Street in South Philadelphia.«

»Danke.«

An solche Informationen kam man leicht. Das konnte jeder, der einen Namen und die zugehörige Kontonummer kannte, indem er vorgab, der Kontoinhaber zu sein. Selbst ohne Kontonummer hatte jeder halbwegs intelligente Mensch, der einmal in der Strafverfolgung gearbeitet hatte, die entsprechenden Kontakte, Zugangsdaten oder zumindest das nötige Kleingeld, um die richtigen Leute zu bezahlen. Beim heutigen Überangebot an benutzerfreundlicher Technologie dauerte so etwas nicht mehr lange. Die Technologie war nicht nur unpersönlich, sie stellte das Leben der Menschen zur Schau, kehrte das Innerste nach außen und nahm ihnen den letzten Anschein einer vermeintlichen Privatsphäre.

Ein paar Tastenanschläge gaben alles preis.

»Was ist?«, fragte Linda Coldren.

Er erzählte es ihr.

»Es bedeutet nicht unbedingt das, was Sie jetzt denken«, sagte sie. »Der Entführer könnte die PIN von Chad bekommen haben.«

»Das wäre möglich«, sagte Myron.

»Sie glauben es aber nicht?«

Er zuckte die Achseln. »Sagen wir mal, ich bin mehr als ein bisschen skeptisch.«

»Warum?«

»Erstens wäre da der Betrag. Kennen Sie Chads Höchstbetrag?«

»500 Dollar am Tag.«

»Warum sollte ein Entführer dann nur 180 Dollar abheben?«

Linda Coldren überlegte kurz. »Hätte er zu viel genommen, wäre womöglich jemand misstrauisch geworden.«

Myron runzelte die Stirn. »Wenn der Entführer so vorsichtig ist«, begann er, »warum geht er für 180 Dollar ein so großes Risiko ein? Jeder weiß, dass Geldautomaten mit Überwachungskameras ausgestattet sind. Genau wie jeder weiß, dass man mit einem Computer feststellen kann, wo Geld abgehoben wurde.«

Sie sah ihn ruhig an. »Sie glauben nicht, dass mein Sohn in Gefahr ist.«

»Das habe ich nicht gesagt. Auch wenn es nicht so aussieht, könnte etwas anderes dahinterstecken. Sie hatten recht mit Ihrem Einwand. Es ist sicherer, von einer echten Entführung auszugehen.«

»Und was werden Sie jetzt tun?«

»Ich weiß es noch nicht. Der Geldautomat ist in der Porter Street in South Philadelphia. Ist Chad dort häufiger?«

»Nein«, antwortete Linda Coldren langsam. »Eigentlich hätte ich nicht geglaubt, dass er dort jemals hinfährt.«

»Warum sagen Sie das?«

»Das ist eine finstere Ecke. Eins der schäbigsten Viertel der Stadt.«

Myron erhob sich. »Haben Sie einen Stadtplan?«

»Im Handschuhfach.«

»Gut. Ich muss mir Ihr Auto für eine Weile ausleihen.«

»Wo wollen Sie hin?«

»Ich will die Umgebung des Geldautomaten erkunden.«

Sie runzelte die Stirn. »Wozu?«

»Das weiß ich nicht«, gab Myron zu. »Wie schon gesagt, verlaufen solche Ermittlungen wenig wissenschaftlich. Man macht etwas Beinarbeit, drückt ein paar Knöpfe und hofft, dass etwas passiert.«

Linda Coldren suchte in einer Tasche nach ihren Schlüsseln. »Vielleicht haben die Entführer ihn dort aufgegriffen«, sagte sie. »Vielleicht finden Sie sein Auto oder sonst was.«

Myron hätte sich beinahe selbst geohrfeigt. Ein Auto. Wie konnte er etwas so Grundlegendes vergessen? In seiner Vorstellungswelt beschwor ein Kind, das auf dem Schulweg verschwand, Bilder von gelben Bussen herauf oder von hüpfenden Schritten mit dem Schulranzen auf dem Rücken. Wie konnte er so etwas Naheliegendes wie ein Auto vergessen?

Er fragte sie nach Marke und Baujahr. Ein grauer Honda Accord. Kein Auto, das in der Masse auffiel. Das Kennzeichen aus Pennsylvania trug die Nummer 567-AHJ. Er rief Esperanza an und nannte ihr die Daten. Dann gab er Linda Coldren seine Handynummer.

»Sobald etwas passiert, rufen Sie mich an.«

»Okay.«

»Ich bin bald zurück«, sagte er.

Die Fahrt war kurz. Er hatte den Eindruck, wie durch ein Zeitportal in Star Trek direkt aus einem grünen Paradies in eine dreckige Betonwüste zu geraten.

Es handelte sich um einen Drive-Through-Geldautomaten in einer Gegend, die man mit viel gutem Willen als Geschäftsviertel bezeichnen konnte. Hunderte Kameras. Keine Bankangestellten. Würde ein Entführer das riskieren? Sehr unwahrscheinlich. Myron überlegte, wo er eine Kopie des Überwachungsvideos bekommen könnte, ohne die Polizei einschalten zu müssen. Win könnte jemanden kennen. Finanzinstitute waren normalerweise erpicht darauf, mit der Familie Lockwood zu kooperieren. Die Frage war, ob Win kooperieren würde?

Verlassene Lagerhäuser – zumindest sahen sie verlassen aus – säumten die Straße. Sattelschlepper sausten vorbei wie in einem alten Convoy-Film. Sie erinnerten Myron an den CB-Funk-Hype in seiner Kindheit. Wie alle hatte auch sein Vater ein Funkgerät gekauft – ein Mann, der im Flatbush-Viertel von Brooklyn geboren war, der als Erwachsener eine Unterwäschefabrik in Newark besaß, bellte in einem Akzent, den er in dem Film Deliverance aufgeschnappt hatte »Breaker one nine« ins Mikrofon. Dad fuhr auf der Hobart Gap Road von ihrem Haus zur Livingston Mall, eine Strecke von gut anderthalb Kilometern, und fragte seine »Buddys«, ob jemand irgendwo ein »Smokeys« gesehen hatte. Myron lächelte bei dieser Erinnerung. Ach ja, CB-Funk. Er war sicher, dass sein Vater das Gerät noch irgendwo aufbewahrte. Wahrscheinlich in der Nähe des 8-Spur-Kassettengeräts.

Auf der einen Seite des Geldautomaten lag eine Freie Tankstelle – so frei, dass sie nicht einmal einen Namen trug. Rostige Autos standen auf bröckelnden Schlackesteinen. Auf der anderen Seite begrüßte ein dreckiges Stundenmotel namens Court Manor Inn seine Gäste mit einem Schild, auf dem in grünen Buchstaben stand: 19 DOLLAR 99 DIE STUNDE.

Myron Bolitars Reisetipp Nummer 83: Werden im Hotel Stundenpreise angeboten, so handelt es sich womöglich nicht um eine Fünfsterneunterkunft.

Unter dem Preis stand in kleineren schwarzen Buchstaben VERSPIEGELTE DECKEN UND THEMENRÄUME (GEGEN AUFPREIS). Themenräume. Schon die Vorstellung drohte Myron zu überfordern. Die letzte Zeile, wieder in der großen grünen Schrift, lautete: FRAGEN SIE NACH UNSERER KUNDENKARTE.

Herrjemine.

Myron überlegte, ob er es dort versuchen sollte, und entschied: Warum nicht? Wahrscheinlich brachte das nichts, aber wenn Chad sich versteckte oder von Entführern festgehalten wurde, war ein Stundenmotel dafür ebenso gut geeignet wie jeder andere Ort.

Er fuhr auf den Parkplatz. Das Court Manor war eine zweistöckige Müllhalde wie aus dem Bilderbuch. Die Außentreppe und die Terrasse waren aus gammeligem Holz. Die rohen Zementwände waren so rau, dass man Gefahr lief, sich daran zu schneiden, wenn man sich dagegenlehnte. Der Boden war mit kleinen Betonbrocken bedeckt. Ein Pepsi-Automat, der außer Betrieb war, bewachte den Eingang wie die königliche Leibgarde. Myron ging daran vorbei und trat ein.

Er erwartete das Standardinterieur der Lobby eines Stundenmotels, also einen unrasierten Neandertaler in einem zu kurzen, ärmellosen Unterhemd hinter einer Panzerglasscheibe, der auf einem Zahnstocher kaute und von seinem Bier rülpsen musste. Oder etwas in der Art. Das war jedoch nicht der Fall. Im Manor Inn stand ein hoher Holztisch, an dem sich ein Bronzeschild mit der Aufschrift CONCIERGE befand. Myron verkniff sich ein Kichern. Hinter dem Tisch hatte ein gepflegter Endzwanziger mit Babyface Haltung angenommen. Er trug ein gebügeltes Hemd mit gestärktem Kragen und einer dunklen Krawatte, die in einem perfekten Windsorknoten gebunden war. Er lächelte Myron an.

»Guten Tag, Sir!«, rief er. Er klang und sah aus wie ein Ersatzmann für John Tesh bei Entertainment Weekly. »Willkommen im Court Manor Inn!«

»Yeah«, sagte Myron. »Hi.«

»Kann ich etwas für Sie tun, Sir?«

»Das hoffe ich doch.«

»Wunderbar! Ich heiße Stuart Lipwitz. Ich bin der neue Manager vom Court Manor Inn.« Er sah Myron erwartungsvoll an.

Myron sagte: »Glückwunsch.«

»Danke, Sir. Das ist sehr freundlich. Falls es irgendwelche Probleme gibt, falls irgendetwas am Court Manor nicht Ihren Erwartungen entspricht, lassen Sie es mich unverzüglich wissen. Ich werde mich persönlich darum kümmern.« Breites Lächeln, rausgestreckter Brustkorb. »Im Court Manor bekommen Sie eine Zufriedenheitsgarantie.«

Myron blickte ihn eine Weile an und wartete, dass das Powerlächeln etwas von seiner Strahlkraft verlor. Vergeblich. Myron zog das Foto von Chad Coldren aus der Tasche.

»Haben Sie diesen jungen Mann schon mal gesehen?«

Stuart Lipwitz sah sich das Foto nicht einmal an. Immer noch lächelnd sagte er: »Es tut mir leid, Sir. Aber sind Sie von der Polizei?«

»Nein.«

»Dann kann ich Ihnen leider nicht helfen. Es tut mir sehr leid.«

»Wie bitte?«

»Es tut mir leid, Sir. Aber im Court Manor legen wir großen Wert auf Diskretion.«

»Er hat keinen Ärger«, sagte Myron. »Ich bin kein Privatdetektiv, der einen untreuen Ehemann aufspüren will oder so.«

Das Lächeln blieb unverändert. »Es tut mir leid, Sir, aber Sie sind hier im Court Manor Inn. Unsere Kunden nehmen unseren Service für die verschiedensten Aktivitäten in Anspruch und lechzen zum Teil nach Anonymität. Wir vom Court Manor Inn müssen das respektieren.«

Myron betrachtete das Gesicht des Mannes, suchte nach einem Anhaltspunkt dafür, dass er ihn auf den Arm nehmen wollte. Nichts. Seine ganze Person strahlte wie ein Performer in einer Up With People-Halbzeitshow. Myron beugte sich über den Tisch und sah sich die Schuhe an. Sie glänzten wie ein Doppelspiegel. Seine Haare waren nach hinten gegelt. Der Glanz in den Augen sah echt aus.

Myron brauchte noch einen Moment, doch dann wusste er, was zu tun war. Er nahm seine Brieftasche und zog einen Zwanziger aus dem Geldfach. Er schob ihn über den Tresen. Stuart Lipwitz sah hin, rührte sich aber nicht.

»Wofür ist das, Sir?«

»Es ist ein Geschenk«, sagte Myron.

Stuart Lipwitz rührte den Geldschein nicht an.

»Es ist für eine kleine Information«, fuhr Myron fort. Er zog einen weiteren Schein hervor und hielt ihn in die Luft. »Und hier ist noch einer, wenn Sie mögen.«

»Sir, unser Credo hier im Manor Inn lautet: Der Gast kommt immer zuerst.«

»Ist das nicht eher das Motto einer Prostituierten?«

»Wie bitte, Sir?«

»Vergessen Sie’s«, sagte Myron.

»Ich bin der neue Manager vom Manor Inn, Sir.«

»Das ist mir schon zu Ohren gekommen.«

»Und mir gehören auch zehn Prozent.«

»Die Mah-Jongg-Runde Ihrer Mama muss vor Neid erblassen.«

Noch immer das Lächeln. »Mit anderen Worten, Sir, ich werde hier langfristig tätig sein. So betrachte ich das Geschäft. Langfristig. Es geht nicht nur um heute. Auch nicht nur um morgen. Es geht um die Zukunft. Ich denke langfristig. Verstehen Sie?«

»Oh«, sagte Myron. »Sie betrachten das also eher langfristig?«

Stuart Lipwitz schnipste mit den Fingern. »Exakt. Und unser Motto ist: Es gibt viele Orte, an denen man sein Geld für einen Seitensprung ausgeben kann. Wir wollen, dass Sie es hier tun.«

Myron wartete einen Moment. Dann sagte er: »Nobel.«

»Wir im Court Manor Inn arbeiten hart daran, uns Ihr Vertrauen zu verdienen, und Vertrauen hat seinen Preis. Wenn ich morgens aufwache, muss ich mir im Spiegel ins Gesicht blicken können.«

»Hängt der Spiegel unter der Decke?«

Immer noch das Lächeln. »Lassen Sie es mich anders ausdrücken«, sagte er. »Wenn der Kunde weiß, dass seine Indiskretionen im Court Manor Inn vertraulich behandelt werden, wird er uns gerne wieder besuchen.« Er beugte sich vor, seine Augen waren feucht vor Aufregung. »Verstehen Sie?«

Myron nickte. »Folgegeschäfte.«

»Exakt.«

»Und so wird es auch weiterempfohlen«, ergänzte Myron. »Etwa so: ›Hey Bob, ich kenne einen Ort, wo man wunderbar nebenbei eine Frau knallen kann.‹«

Er ergänzte das Lächeln mit einem Nicken. »Sie haben es begriffen.«

»Das ist ja alles sehr schön, Stuart, aber dieser Junge ist fünfzehn. Fünfzehn.« Chad war in Wirklichkeit sechzehn, aber was sollte es. »Das ist gesetzeswidrig.«

Das Lächeln blieb, aber jetzt lag eine gewisse Enttäuschung über den Lieblingsschüler darin. »Ich widerspreche Ihnen ja nur ungern, Sir, aber die gesetzliche Altersgrenze für Unzucht mit Minderjährigen in diesem Staat beträgt vierzehn Jahre. Des Weiteren gibt es kein Gesetz, das einem Fünfzehnjährigen verbietet, ein Motelzimmer zu mieten.«

Dieser Typ trippelt viel zu sehr herum, dachte Myron. Es gab keinen Grund für diese ganze Schwafelei, wenn der Junge nie hier war. Andererseits, da musste er den Tatsachen ins Auge blicken, hatte Stuart Lipwitz wahrscheinlich seinen Spaß an dieser Sache. Dem Typen fehlten nur ein paar Pommes zum Happy-Meal. Jedenfalls, dachte Myron, war es an der Zeit, ein wenig auf den Busch zu klopfen.

»Es handelt sich jedoch sehr wohl um ein Verbrechen, wenn er in Ihrem Motel überfallen wurde«, sagte Myron. »Und auch, wenn er behauptet, dass sich jemand am Empfang einen Zweitschlüssel besorgt hat und damit in sein Zimmer eingedrungen ist.« Mr. Bluff geht nach Philadelphia.

»Wir haben keine Zweitschlüssel«, sagte Lipwitz.

»Tja, jedenfalls ist er irgendwie reingekommen.«

Immer noch das Lächeln. Immer noch der höfliche Tonfall. »Wenn das der Fall wäre, Sir, wäre die Polizei hier.«

»Das ist meine nächste Station«, sagte Myron, »wenn Sie nicht kooperieren.«

»Und Sie wollen wissen, ob dieser junge Mann« – Lipwitz deutete auf Chads Foto – »hier war?«

»Ja.«

Die Intensität des Lächelns nahm tatsächlich noch zu. Myron musste beinahe seine Augen bedecken. »Aber, Sir, wenn Sie die Wahrheit sagen, dann kann Ihnen dieser junge Mann doch erzählen, ob er hier war. Dafür bräuchten Sie mich doch nicht.«

Myrons Gesichtsausdruck blieb neutral. Mr. Bluff hatte sich gerade vom neuen Manager des Court Manor Inn übertölpeln lassen. »Das stimmt«, versuchte er es mit einer unvermittelten Strategieänderung. »Ich weiß ja auch schon, dass er hier war. Das war nur die Eröffnungsfrage. So wie ein Polizist Sie auffordert, Ihren Namen zu nennen, obwohl er ihn schon kennt. Einfach um das Gespräch in Gang zu bringen.« Mr. Improvisation übernimmt für Mr. Bluff.

Stuart Lipwitz nahm ein Stück Papier und kritzelte was darauf. »Das sind der Name und die Telefonnummer des Rechtsanwalts vom Court Manor Inn. Er kann Ihnen bei all diesen Problemen helfen.«

»Aber wie steht es damit, dass Sie alles persönlich erledigen wollen? Was ist mit der Zufriedenheitsgarantie?«

»Sir.« Er beugte sich vor und hielt die ganze Zeit Augenkontakt. Weder in seinem Gesicht noch in seiner Stimme war auch nur ein Anflug von Ungeduld zu erkennen. »Darf ich ganz offen zu Ihnen sein?«

»Ich bitte darum.«

»Ich glaube Ihnen kein Wort.«

»Danke für die Offenheit«, sagte Myron.

»Nein, ich habe zu danken, Sir. Ich hoffe, Sie kommen bald wieder.«

»Noch so ein Prostituiertenmotto.«

»Wie bitte?«

»Nichts«, sagte Myron. »Darf ich auch offen sein?«

»Ja.«

»Ich werde Ihnen sehr kräftig ins Gesicht schlagen, wenn Sie mir nicht sagen, ob Sie diesen Jungen gesehen haben.« Mr. Improvisation verliert die Nerven.

Die Tür wurde schwungvoll geöffnet. Ein ineinander verschlungenes Pärchen stolperte herein. Die Frau rieb den Mann ungeniert im Schritt. »Wir brauchen ein Zimmer, pronto«, sagte der Mann.

Myron wandte sich an die beiden und fragte: »Haben Sie Ihre Kundenkarte dabei?«

»Was?«

Noch immer das Lächeln bei Stuart Lipwitz. »Auf Wiedersehen, Sir. Und einen schönen Tag noch. Dann erneuerte er das Lächeln und wandte sich an das sich windende Gebilde. »Willkommen im Court Manor Inn. Ich heiße Stuart Lipwitz. Ich bin der neue Manager.«

Myron ging zu seinem Wagen. Auf dem Parkplatz holte er tief Luft und drehte sich noch einmal um. Der ganze Besuch kam ihm irreal vor wie eine dieser Beschreibungen von einer Entführung durch Aliens, nur ohne die Analuntersuchung. Er stieg ins Auto und wählte Wins Handynummer. Er wollte ihm nur eine Nachricht hinterlassen. Aber zu Myrons Überraschung ging Win ans Telefon.

»Lass hören«, scherzte Win.

Myron stutzte kurz. »Ich bin’s«, sagte er.

Schweigen. Win hasste das Offensichtliche. »Ich bin’s« war eine komplett sinnlose Äußerung.

Win hätte ihn an der Stimme erkannt. Und wenn er das nicht getan hätte, war »Ich bin’s« auch keine große Hilfe.

»Ich dachte, auf dem Platz gehst du nicht ans Telefon«, sagte Myron.

»Ich bin auf dem Heimweg, um mich umzuziehen«, sagte Win. »Dann werde ich im Merion dinieren.« Mainliners essen nicht, sie dinieren.

»Hast du Lust mitzukommen?«

»Klingt gut«, sagte Myron.

»Einen Moment noch.«

»Was?«

»Bist du angemessen gekleidet?«

»Ich trage zueinanderpassende Farben«, sagte Myron. »Werden Sie mich trotzdem reinlassen?«

»Mannomann, das war sehr komisch, Myron. Den muss ich mir aufschreiben. Sobald ich aufgehört habe zu lachen, werde ich einen Stift suchen. Ich bin aber so von Heiterkeit erfüllt, dass ich meinen geliebten Jaguar vermutlich an den nächsten Telefonmast setzen werde. Ach, zumindest werde ich mit Frohsinn im Herzen verscheiden.«

Win.

»Wir haben einen Fall«, sagte Myron.

Schweigen. Win machte es ihm so leicht.

»Ich erzähle dir beim Dinner davon.«

»Dann kann ich bis dahin«, sagte Win, »wohl nichts weiter tun, als meine zunehmende Aufregung und Erwartung mit einem Schwenker Cognac zu beruhigen.«

Klick. Diesen Win musste man einfach lieben.

Myron war gut einen Kilometer gefahren, als das Handy klingelte. Myron ging ran.

Es war Bucky. »Der Entführer hat wieder angerufen.«

4

»Was hat er gesagt?«, fragte Myron.

»Sie wollen Geld«, sagte Bucky.

»Wie viel?«

»Das weiß ich nicht«

Myron war verwirrt. »Was meinen Sie damit? Haben sie es nicht gesagt?«

»Ich glaube nicht«, sagte der alte Mann.

Im Hintergrund war ein Geräusch zu hören. »Wo sind Sie?«, fragte Myron.

»Ich bin im Merion. Hören Sie, Jack ist ans Telefon gegangen. Er steht noch immer unter Schock.«

»Jack war am Telefon?«

»Ja.«

Doppelte Verwirrung. »Der Entführer hat Jack im Merion angerufen?«

»Ja. Bitte, Myron, können Sie wieder herkommen? Dann lässt es sich leichter erklären.«

»Bin unterwegs.«

Er fuhr von dem zwielichtigen Motel auf den Highway und dann ins Grüne. Jede Menge Grün. In den Vorstädten von Philadelphia gab es saftige Wiesen, hohe Büsche und schattige Bäume. Erstaunlich, wie eng all dies, zumindest geografisch, mit den heruntergekommenen Straßen Philadelphias verbunden war. Wie in fast allen Städten waren die Wohngegenden in Philadelphia streng voneinander getrennt. Myron erinnerte sich, wie er mit Win vor ein paar Jahren zu einem Spiel der Eagles ins Veterans Stadion gefahren war. Sie waren durch ein italienisches Viertel, ein polnisches Viertel und ein afroamerikanisches Viertel gekommen. Es war, als hätte ein mächtiges, unsichtbares Kraftfeld – wieder wie in Star Trek – die einzelnen Ethnien isoliert. Man hätte die City of Brotherly Love auch Klein-Jugoslawien nennen können.

Myron bog in die Ardmore Avenue ein. Nur noch gut zwei Kilometer bis zum Merion. Er dachte an Win. Wie würde sein Freund wohl auf die mütterliche Verbindung zu diesem Fall reagieren?

Wahrscheinlich nicht sehr erfreut.

In all den Jahren ihrer Freundschaft hatte Win seine Mutter nur einmal erwähnt.

Das war in ihrem vorletzten Jahr auf der Duke University gewesen. Sie waren gerade von einer wilden Studentenverbindungsfeier in ihr gemeinsames Zimmer zurückgekehrt. Das Bier war in Strömen geflossen. Myron vertrug nicht viel Alkohol. Nach etwa zwei Drinks versuchte er meist, dem Toaster einen Zungenkuss zu geben. Er schob das auf seine Abstammung, sein Volk hatte nie gut mit Alkohol umgehen können.

Win hingegen schien mit Schnaps gestillt worden zu sein. Alkohol zeigte bei ihm keine größere Wirkung. Aber auf dieser speziellen Party hatte der alkoholgetränkte Punsch sogar seine Schritte leicht ins Wanken gebracht. Win brauchte drei Versuche, um die Tür ihres Wohnheims aufzuschließen.

Myron sank sofort auf sein Bett. Die Decke drehte sich mit einer todesverachtenden Geschwindigkeit gegen den Uhrzeigersinn. Er schloss die Augen. Er griff mit beiden Händen nach dem Bettgestell und umklammerte es erschrocken. Sein Gesicht war leichenblass. Vor Übelkeit krampfte sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Myron wartete, dass er sich übergeben musste, und betete, dass es bald sein möge.

Ach ja, die Herrlichkeit universitärer Saufgelage.

Eine Weile hatten sie beide geschwiegen. Myron hatte sich schon gefragt, ob Win eingeschlafen war oder vielleicht verschwunden. Von der Dunkelheit verschluckt. Vielleicht hatte er sich auf dem rotierenden Bett auch nicht richtig festgehalten und die Zentrifugalkraft hatte ihn durchs Fenster in den Himmel geschleudert.

Dann zerschnitt Wins Stimme die Dunkelheit. »Sieh dir das mal an.«

Eine Hand wurde ausgestreckt, und etwas fiel auf Myrons Brust. Myron wagte es, das Bett mit einer Hand loszulassen. So weit, so gut. Er tastete nach dem Gegenstand auf seiner Brust, erwischte ihn und hielt ihn sich vor die Augen. Die Straßenlaterne vor dem Fenster – ein Campus ist beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum – war hell genug, sodass er ein Foto erkannte. Es war grobkörnig und verblasst, trotzdem erkannte Myron darauf ein teures Auto.

»Ist das ein Rolls Royce?«, fragte Myron. Er hatte keine Ahnung von Autos.

»Ein Bentley S Three Continental Flying Spur«, korrigierte ihn Win. »1962er. Ein Klassiker.«

»Deins?«

»Ja.«

Das Bett drehte sich leise.

»Woher hast du es?«, fragte Myron.

»Es war ein Geschenk von einem Mann, der meine Mutter gefickt hat.«

Ende. Win hat nie wieder davon gesprochen. Die Mauer, die er aufgebaut hatte, war nicht nur undurchdringlich, man kam nicht einmal in ihre Nähe, weil der Weg dahin mit Landminen, einem Festungsgraben und vielen unter Hochspannung stehenden elektrischen Zäunen gespickt war. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten hatte Win seine Mutter nie wieder erwähnt. Weder damals, als die Pakete zu Semesterbeginn in den Schlafsaal kamen, noch jetzt, wo die Pakete zu seinem Geburtstag in sein Büro kamen. Nicht einmal, als sie ihr vor zehn Jahren persönlich begegnet waren.

Auf dem schlichten dunklen Holzschild stand MERION GOLF CLUB. Nichts weiter. Kein »Nur für Mitglieder«. Kein »Wir sind die Elite, und wir wollen euch hier nicht.« Kein »Farbige bitte den Dienstboteneingang benutzen«. Das war nicht nötig. Das war einfach selbstverständlich.

Die letzte Dreiergruppe der U. S. Open war vor einer Weile im Clubhaus angekommen, und die Menschenmassen waren verschwunden. Der Merion Golf Club hatte nur Platz für siebzehntausend Zuschauer, das war weniger als die Hälfte der Kapazität der meisten anderen Plätze, trotzdem reichten die Parkplätze nicht. Die meisten Zuschauer waren gezwungen, beim nahe gelegenen Haverford College zu parken, von dem ein Shuttlebusservice eingerichtet war.

In der Mitte der Einfahrt wies ihn ein Ordner an anzuhalten.

»Ich bin mit Windsor Lockwood verabredet«, sagte Myron.

Der Ordner akzeptierte das sofort und winkte ihn durch.