Projekt Morgenröte - Arthur C. Clarke - E-Book

Projekt Morgenröte E-Book

Arthur C. Clarke

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Beschreibung

Der erste Marsianer

Der berühmte Schriftsteller Martin Gibson darf als erster Passagier mit zum Mars fliegen. Beim Training auf der Raumstation Eins, von der alle Flüge zum Mars starten, lernt er den jungen Astronauten Jimmy Spencer kennen, der Gibsons Fragen beantwortet. Auf dem Mars angekommen besucht Gibson die Station bei Port Lowell. Was er dort sieht und erlebt ist so einzigartig, dass Gibson beschließt, für immer auf dem Roten Planeten zu bleiben.

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ARTHUR C. CLARKE

PROJEKT: MORGENRÖTE

Roman

1

»Sie sind also zum ersten Mal oben?«, sagte der Pilot und lehnte sich lässig in seinen sanft ausschwingenden Sitz zurück. Er verschränkte seine Hände gleichgültig im Genick, was nicht gerade dazu beitrug, seinem Passagier neuen Mut einzuflößen.

»Ja«, sagte Martin Gibson, ohne seinen Blick von dem Chronometer abzuwenden, der die Sekunden heruntertickte.

»Das dachte ich mir. In Ihren Erzählungen haben Sie das nie richtig dargestellt – all den Unsinn, dass man unter der Beschleunigung ohnmächtig würde. Warum schreibt man bloß derartiges Zeug? Man verdirbt nur das Geschäft damit.«

»Tut mir leid«, sagte Gibson. »Aber Ihre Behauptungen können sich nur auf meine früheren Geschichten beziehen. Die Weltraumschifffahrt lag damals noch in den Anfängen, und ich musste meine Phantasie gebrauchen.«

»Mag schon sein«, sagte der Pilot leicht vorwurfsvoll. »Jedenfalls muss es Ihnen recht spaßig vorkommen, das in Wirklichkeit zu erleben, worüber Sie so oft geschrieben haben.«

Das Adjektiv störte Gibson etwas, aber er wusste, worauf der andere hinauswollte. Dutzende seiner Helden – und Schurken – hatten wie hypnotisiert auf unerbittliche Sekundenzeiger gestarrt und darauf gewartet, von der Rakete in die Unendlichkeit entführt zu werden. Und nun – wie immer, wenn man lange genug wartet – hatte die Wirklichkeit die Dichtung eingeholt. Derselbe Augenblick lag nur neunzig Sekunden in seiner eigenen Zukunft. Ja, es war schon recht spaßig, ein wunderbarer Fall poetischer Gerechtigkeit.

Der Pilot streifte ihn mit einem Seitenblick, las seine Gedanken und grinste ihm ermunternd zu.

»Lassen Sie sich nicht durch Ihre eigenen Geschichten einschüchtern. Einer Wette halber habe ich den Abflug sogar schon einmal aufrecht stehend mitgemacht, obwohl ich zugeben muss, dass das ziemlich albern von mir war.«

»Ich habe keine Bange«, erwiderte Gibson, indem er unnötigen Nachdruck auf die Worte legte.

»Hmmm«, sagte der Pilot und warf einen Blick auf die Uhr. Der Sekundenzeiger hatte noch eine Runde zu machen. »Dann würde ich, an Ihrer Stelle, mich nicht so fest in den Sitz klammern. Er besteht nämlich nur aus Beryll-Mangan, und Sie könnten ihn verbiegen.«

Unbeholfen versuchte Gibson, sich aus seiner Verkrampfung zu lösen.

»Selbstverständlich«, sagte der Pilot leichthin, seine Blicke jedoch, wie Gibson bemerkte, fest auf das Armaturenbrett gerichtet, »würde es ziemlich unangenehm sein, wenn es länger als ein paar Minuten dauerte – aha, die Brennstoffpumpen haben eingesetzt. Was auch geschieht, bleiben Sie ganz ruhig und lassen Sie Ihren Sitz ausschwingen. Machen Sie meinetwegen die Augen zu, wenn Ihnen das Erleichterung verschafft. Hören Sie die Zünddüsen arbeiten? Wir brauchen etwa zehn Sekunden, um die volle Stoßkraft zu entwickeln – das ist, abgesehen von dem Lärm, den es verursacht, so gut wie gar nichts. Damit müssen Sie sich eben abfinden. Ich sagte, damit müssen Sie sich eben abfinden!«

Martin Gibson jedoch tat nichts dergleichen. Bei einer Beschleunigung, die kaum die Höchstgeschwindigkeit eines schnellen Fahrstuhls übertraf, hatte er bereits sanft das Bewusstsein verloren.

Einige Minuten und tausend Kilometer später kam er wieder zu sich und schämte sich seines Missgeschicks. Ein Sonnenstrahl schien ihm voll ins Gesicht, und ihm wurde klar, dass der Schutzvorhang beiseite gerutscht sein musste. Das Licht, obwohl hell, war längst nicht so durchdringend, wie er erwartet hatte; doch dann bemerkte er, dass nur ein Bruchteil seiner vollen Leuchtkraft durch das dunkel gefärbte Glas sickerte.

Er richtete seinen Blick auf den Piloten, der, über das Instrumentenbrett gebeugt, emsig an seinem Logbuch schrieb. Alles war sehr still, nur von Zeit zu Zeit vernahm man seltsam gedämpfte Geräusche, die an kleine Explosionen erinnerten und die Gibson leicht beunruhigten. Er hustete unterdrückt, um sich bemerkbar zu machen, und erkundigte sich bei dem Piloten, woher diese Geräusche kämen.

»Wärmezusammenziehung in den Motoren«, erwiderte dieser kurz. »Sie sind um fünftausend Grad herum gelaufen und kühlen sehr schnell ab. Sind Sie wieder in Ordnung?«

»Mir geht's ausgezeichnet«, erwiderte Gibson und meinte sogar, was er sagte. »Soll ich aufstehen?«

Psychologisch ausgedrückt, hatte er den Grund berührt und war zurückgeschnellt worden. Es war eine recht unsichere Position, obwohl er zu seinem Glück nichts davon ahnte.

»Wenn Sie wollen«, sagte der Pilot argwöhnisch. »Aber Vorsicht – halten Sie sich an etwas Solidem fest.«

Gibson fühlte sich wunderbar erleichtert und froh. Endlich war der Augenblick gekommen, auf den er sein ganzes Leben gewartet hatte. Er befand sich mitten im Weltraum! Es war zwar bedauerlich, dass er den Start verpasst hatte, aber in seinen Aufzeichnungen würde er einfach darüber hinweggleiten.

Aus einer Entfernung von tausend Kilometern gesehen, erschien die Erde noch ziemlich groß und war so was wie eine Enttäuschung. Gibson kam rasch dahinter, weshalb er sich enttäuscht fühlte; er hatte so viele Raketenaufnahmen und Filme gesehen, dass das Überraschungsmoment verlorengegangen war: Nun wusste er zu genau, was er zu erwarten hatte. Man sah die unvermeidlichen Wolkenbänke, die sich langsam um die Erde herum bewegten. In der Mitte der Scheibe traten die Grenzen zwischen Land und Meer klar hervor; unendlich viele Einzelheiten waren zu unterscheiden, aber gegen den Horizont verlor sich alles in dichtem Dunst. Selbst in dem klaren Sichtkegel senkrecht unter ihm war das meiste verwischt und deshalb bedeutungslos. Ohne Zweifel wäre ein Meteorologe über die lebendige Wetterkarte, die sich ihm unten darbot, in Entzücken geraten – aber die meisten Meteorologen befanden sich irgendwo oben in den verschiedenen Weltraumstationen, wo sie eine noch bessere Aussicht genossen. Gibson verlor schon bald die Lust, nach Städten und anderen Menschenwerken Ausschau zu halten. Der Gedanke, dass Tausende von Jahren menschlicher Zivilisation das Panorama dort unten nicht weiter zu verändern vermocht hatten, war irgendwie ernüchternd.

Dann begann Gibson nach den Sternen zu suchen und erlebte seine zweite Enttäuschung. Sie waren zwar da, zu Hunderten sogar, aber blass und bleich, nur ein Abglanz dessen, was er vorzufinden gehofft hatte. Das dunkle Glas des Ausguckloches war daran schuld; indem es das Sonnenlicht aufsog, beraubte es die Sterne all ihrer Pracht.

Gibson fühlte sich leicht gereizt. Nur eines war, wie er es sich vorgestellt hatte. Das Gefühl, frei in der Luft zu schweben und sich durch eine Fingerbewegung von einer Wand zur anderen abzustoßen, bereitete ihm genauso viel Vergnügen, wie er gehofft hatte – auch wenn die Räumlichkeiten in ihrer Begrenzung keine größeren Experimente gestatteten. Schwerelosigkeit war ein bezaubernder, märchenhafter Zustand, besonders jetzt, da es Medikamente gegen die Raumkrankheit gab. Er war froh darüber. Wie sehr hatten doch seine Helden darunter leiden müssen! Seine Heldinnen wahrscheinlich auch, aber darüber hatte man wohlweislich kein einziges Wort verloren. Er dachte an Robin Blakes ersten Flug in der ursprünglichen Fassung von »Mars-Staub«. Als er das Buch schrieb, hatte er ziemlich unter dem Einfluss von D. H. Lawrence gestanden.

Kein Zweifel, Lawrence war großartig darin, physische Empfindungen zu beschreiben, und Gibson hatte sich mit voller Absicht darangemacht, ihn auf seinem eigenen Gebiet zu schlagen. Er hatte der Raumkrankheit ein ganzes Kapitel gewidmet und alle Symptome genau beschrieben, angefangen bei den schwachen Vorahnungen, die man mitunter durch bloße Willensanstrengung unterdrücken konnte, bis zu den unterirdischen Erschütterungen, die selbst die größten Optimisten nicht mehr zu ignorieren vermochten, und den vulkanischen Ausbrüchen des Endstadiums, die eine wahre Erlösung bedeuteten.

Das Kapitel war ein wahres Meisterstück krasser realistischer Schilderung gewesen. Es war nur allzu bedauerlich, dass sein Verleger, der damit liebäugelte, den »Buch des Monats«-Klub für das Werk zu gewinnen, auf Streichung des Kapitels bestanden hatte. Er hatte eine Menge Arbeit gerade auf dieses Kapitel verwendet und, während er daran schrieb, alle Einzelheiten der Krankheit durchlebt. Selbst jetzt …

»Es ist mehr als rätselhaft«, sagte der Arzt, als man den im Augenblick völlig verstummten Schriftsteller durch die Luftschleuse beförderte. »Er hat seine medizinischen Test gut bestanden und vor dem Abflug bestimmt die üblichen Injektionen bekommen. Es muss psychosomatische Gründe haben.«

»Mir ist das völlig gleichgültig«, beklagte sich der Pilot, der dem Krankentransport ins Innere der Weltraumstation Eins folgte. »Mich interessiert an dem ganzen Fall nur, wer mein Schiff säubern wird.« Niemand schien geneigt, diese von Herzen kommende Frage zu beantworten, am allerwenigsten Martin Gibson, der sich nur undeutlich der weißen Wände bewusst war, die an ihm vorüberglitten. Dann verspürte er plötzlich eine leichte Gewichtszunahme, und eine belebende Wärme rieselte wohltuend durch seine Gliedmaßen. Alsbald wurde er sich seiner Umgebung deutlich bewusst. Er befand sich im Lazarett, und die infraroten Lampen strahlten eine herrliche wiederbelebende Wärme auf ihn aus, die ihm durch die Haut bis auf die Knochen drang.

»Nun?«, sagte der Arzt zu ihm.

Gibson lächelte schwach.

»Es tut mir schrecklich leid. Hoffentlich erwischt es mich nicht wieder.«

»Ich weiß nicht einmal, wieso es Sie das erste Mal erwischt hat. Es ist ganz ungewöhnlich; die Medikamente, die wir verabreichen, wirken unserer Ansicht nach unfehlbar.«

»Es ist meine eigene Schuld, glaube ich«, sagte Gibson entschuldigend. »Ich habe eine ziemlich lebhafte Phantasie und stellte mir gerade die Raumkrankheit in all ihren Symptomen vor – auf ziemlich objektive Weise, selbstverständlich –, doch ehe ich noch wusste, was geschah –«

»Schluss damit jetzt!«, sagte der Arzt in scharfem Befehlston. »Sonst müssen wir Sie zurückschicken. So etwas ist unmöglich, wenn Sie zum Mars wollen. Nach drei Monaten würde nicht mehr viel von Ihnen übrig sein.«

Gibson fühlte, wie seine Glieder anfingen zu schlottern, er erholte sich jedoch sehr bald, und der Alpdruck der letzten Stunde gehörte bereits der Vergangenheit an.

»Es wird schon gehen«, sagte er. »Nur lasst mich aus diesem Backofen heraus, sonst fange ich noch an zu schmoren.«

Etwas unsicher stand er auf. Es war seltsam, hier mitten im Weltraum sein normales Eigengewicht wiederzuhaben. Doch dann entsann er sich, dass Station Eins sich um ihre Achse drehte und dass die Wohnräume in die äußersten Wände eingebaut waren, so dass die Zentrifugalkraft ein Gefühl von Schwere hervorrief.

Das große Abenteuer, überlegte er bekümmert, hatte gar nicht gut angefangen. Er war jedoch entschlossen, sich nicht mit Schande beladen heimschicken zu lassen. Es war nicht nur eine Frage des eigenen Stolzes: die Wirkung auf seine Leser und seinen Ruf würde verheerend sein. Er wand sich förmlich, als er im Geiste die Schlagzeilen vor sich sah: »Gibson wieder zurück! Raumkrankheit macht Strich durch Weltraumbummel des Schriftstellers«. Selbst die ernsthaften literarischen Wochenschriften würden sich über ihn lustig machen, und was »Time« schreiben würde, war überhaupt unausdenkbar!

»Es trifft sich glücklich«, sagte der Arzt, »dass das Schiff erst in zwölf Stunden weiterfliegt. Ich werde Sie in die Abteilung nehmen, wo die Schwere gleich Null ist, und zusehen, wie Sie dort zurechtkommen, ehe ich Ihnen ein Attest ausstelle.«

Auch Gibson hielt es für eine gute Idee. Er hatte immer geglaubt, ziemlich widerstandsfähig zu sein, und bis zu dieser Minute war es ihm nie in den Sinn gekommen, dass seine Reise nicht nur mit Unbequemlichkeiten verbunden, sondern sogar gefahrvoll sein könnte. Über die Raumkrankheit konnte man lächeln – solange man selbst nicht davon befallen war. Wenn man sie jedoch durchgemacht hatte, erhielt die Sache ein anderes Gesicht.

Die Innere Station – »Weltraumstation Eins«, wie sie gewöhnlich genannt wurde – war etwa zweitausend Kilometer von der Erde entfernt und umkreiste den Planeten alle zwei Stunden. Sie war die erste Stufe auf dem Wege des Menschen zu den Sternen. Obwohl vom technischen Standpunkt für die Weltraumschifffahrt nicht länger erforderlich, war ihr Vorhandensein von großer wirtschaftlicher Bedeutung für den interplanetarischen Verkehr. Sämtliche Fahrten zum Mond oder den Planeten hatten hier ihren Ausgangspunkt: Die schwerfälligen Atomschiffe lagen längsseits dieses vorgeschobenen Erdpostens, während die Fracht von der Elternwelt in ihre Laderäume verstaut wurde. Ein Fährdienst mit chemisch angetriebenen Raketen verband die Station mit dem Planeten unter ihr; denn kein Atomschiff, so bestimmte es das Gesetz, durfte sich der Erdoberfläche auf weniger als tausend Kilometer nähern. Selbst diese Sicherheitsgrenze schien vielen noch nicht ausreichend genug, da der radioaktive Auspuff eines solchen Schiffes diese Entfernung in knapp einer Minute zurücklegen konnte.

Weltraumstation Eins war in den vergangenen Jahren derart gewachsen, dass ihre ursprünglichen Erbauer sie nicht wiedererkannt hätten. Um den zentralen sphärischen Kern waren Observatorien und Nachrichtenübermittlungsstellen mit phantastischer Ausrüstung angelegt worden. Nur ein Fachmann konnte sich darin zurechtfinden. Doch trotz dieses Zuwachses bestand die Hauptfunktion des künstlichen Mondes noch immer darin, die kleinen Schiffe, mit denen der Mensch die ungeheure Einsamkeit des Sonnensystems herausforderte, mit Brennstoff zu versorgen.

»Na, wird's jetzt gehen?«, erkundigte sich der Arzt, als Gibson mit seinen Füßen experimentierte.

»Ich glaube schon«, erwiderte er, willens, sich nicht noch einmal bloßzustellen.

»Dann kommen Sie mit in den Empfangsraum, wo wir Ihnen etwas Heißes zu trinken geben werden. Dort werden Sie sich hinsetzen und Zeitung lesen, während wir beraten, was mit Ihnen geschehen soll.«

Gibson hatte das Empfinden, als folgte eine Niederlage der anderen. Da war er nun zweitausend Kilometer von der Erde entfernt, mitten unter den Sternen, und musste gezwungenermaßen gesüßten Tee schlürfen – Tee! – in einer Umgebung, die dem Wartezimmer eines Zahnarztes glich. Der Raum war fensterlos, wahrscheinlich deswegen, damit der schnell sich drehende Himmel den Erfolg der Behandlung nicht wieder zuschanden mache. Es blieb einem nichts weiter übrig, als in Stößen alter Zeitschriften zu blättern, die er bereits kannte und die umständlich zu handhaben waren, da es sich um Ultra-Leichtgewicht-Ausgaben handelte, die auf Zigarettenpapier gedruckt zu sein schienen. Zum Glück fand er ein altes Exemplar »Argosy«; es enthielt eine seiner Erzählungen, vor so langer Zeit geschrieben, dass er vergessen hatte, wie die Geschichte endete; damit vertrieb er sich die Zeit, bis der Arzt zurückkehrte.

»Ihr Puls scheint normal zu sein«, sagte der Doktor mürrisch. »Wir werden Sie jetzt in eine Testkammer führen, wo die Schwere gleich Null ist. Folgen Sie mir und wundern Sie sich über gar nichts.«

Mit dieser geheimnisvollen Bemerkung führte er Gibson hinaus auf einen hell erleuchteten Gang, der von der Stelle, wo er stand, nach beiden Seiten aufwärts zu führen schien. Gibson hatte keine Zeit, dieses Phänomen zu erforschen, da der Arzt eine Seitentür öffnete und sich anschickte, eine Metalltreppe hinaufzusteigen. Gibson folgte ihm automatisch in wenigen Schritten Abstand. Dann merkte er plötzlich, was vor ihm lag, und blieb mit einem unwillkürlichen Ausruf des Erstaunens abrupt stehen.

Unmittelbar zu seinen Füßen beschrieb die Treppe einen einigermaßen vernünftigen Winkel von fünfundvierzig Grad, sie wurde jedoch rasch immer steiler, bis die Stufen wenige Meter vor ihm senkrecht emporführten. Weiter oben – und es war ein Anblick, der jeden zum ersten Mal aus der Fassung gebracht hätte – nahm die Steigung unerbittlich zu, bis die Stufen überhingen und sowohl vor wie hinter ihm aus seinem Blickfeld entschwanden.

Als der Arzt seinen Ausruf vernahm, drehte er sich um und lachte ihm aufmunternd zu.

»Sie dürfen Ihren Augen nicht immer trauen«, sagte er. »Kommen Sie nur und sehen Sie, wie einfach es ist.«

Widerstrebend kam Gibson der Aufforderung nach, und indem er weiterging, merkte er, dass zwei seltsame Dinge geschahen. Erstens wurde er allmählich immer leichter, und zweitens blieb die Abschrägung unter seinen Füßen, trotz der offensichtlichen Steigung, konstant bei fünfundvierzig Grad.

Es dauerte nicht lange, bis Gibson die Erklärung dafür gefunden hatte. Die anscheinend vorhandene Schwere war auf die Zentrifugalkraft zurückzuführen, die durch das Rotieren der Station um die eigene Achse hervorgerufen wurde, und indem er sich dem Zentrum näherte, wurde diese Kraft gleich Null. Die Treppe selbst wand sich in einer Art Spirale der Achse entgegen – früher einmal hätte er den mathematischen Fachausdruck dafür gewusst –, so dass die Abschrägung trotz des Schwerefeldes, das ausgestrahlt wurde, konstant blieb. Es handelte sich um etwas, an das sich Leute, die in Weltraumstationen wohnten, sehr schnell gewöhnen mussten; eine normale Treppe auf Erden wäre ihnen wahrscheinlich ebenso unheimlich vorgekommen.

Am Ende der Treppe hörte das Gefühl für »oben« und »unten« völlig auf. Sie befanden sich in einem langen zylindrischen Raum, der, bis auf einige ausgespannte Seile, völlig leer war; nur ganz hinten fiel ein Sonnenstrahl durch ein Ausguckloch. Der Strahl bewegte sich stetig die Metallwände entlang wie ein suchendes Scheinwerferlicht, wurde momentan verdunkelt und verschwand dann durch ein anderes Fensterloch, für Gibson das erste sichtbare Anzeichen dafür, dass die Station sich tatsächlich um die eigene Achse drehte. Er versuchte, die Geschwindigkeit der Umdrehung grob abzuschätzen, indem er aufpasste, wie lange das Sonnenlicht brauchte, um an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Der »Tag« dieser kleinen künstlichen Welt dauerte kaum zehn Sekunden; doch das genügte, um einem an den Außenwänden das Gefühl normaler Schwere zu verschaffen.

Gibson kam sich vor wie eine Spinne in ihrem Netz, als er dem Arzt, Hand über Hand in die Leitseile greifend, folgte und sich mühelos durch die Luft vorwärts bewegte, bis man das Ausguckloch erreicht hatte.

Sie befanden sich, wie er bemerkte, am Ende einer kaminartigen Verlängerung, die längs der Stationsachse hinausragte, so dass keinerlei Gerät oder Apparaturen den Blick auf die Sterne einengten.

»Ich werde Sie eine Weile hier allein lassen«, sagte der Arzt. »Es gibt genügend zu sehen, und Sie müssten sich eigentlich ganz wohl fühlen hier. Wenn nicht – denken Sie daran, dass Sie unten an der Treppe jederzeit Ihr normales Gewicht wiederfinden.«

Und gleichzeitig ein Rückreisebillett nach der Erde mit der nächsten Rakete, dachte Gibson. Er war fest entschlossen, die Probe zu bestehen und in den Besitz eines Attests zu gelangen.

Es war fast unmöglich, sich bewusst zu machen, dass nicht die Sonne und die Sterne rotierten, sondern dass es die Station selber war, die sich um ihre Achse drehte. Dazu bedurfte es einer bewussten Willensanstrengung. Die Sterne bewegten sich so schnell, dass nur die helleren unter ihnen klar sichtbar waren, und die Sonne glich einem goldenen Kometen, der alle fünf Sekunden über den Himmel raste. Bei dieser phantastischen Beschleunigung des natürlichen Ablaufs der Dinge konnte man sich gut vorstellen, wieso der Mensch früherer Jahrhunderte es hartnäckig abgelehnt hatte, daran zu glauben, dass seine eigene feste Erde sich drehte, und alle Bewegung den veränderlichen Himmelskörpern zugeschrieben hatte.

Die Erde, zum Teil durch die Masse der Station verdunkelt, war ein großes halbmondförmiges Gebilde, das den halben Himmel einnahm. Während die Station auf ihrer erdballumspannenden Bahn dahinraste, wurde die Erde langsam größer: In etwa vierzig Minuten würde sie vollmondförmig sein und eine Stunde danach völlig unsichtbar, eine schwarze, die Sonne verdunkelnde Scheibe, indes die Station ihren Schattenkegel passierte. In zwei Stunden würde die Erde sämtliche Mondphasen durchlaufen haben. Man verlor das Zeitgefühl, wenn man daran dachte; die vertraute Einteilung in Nacht und Tag, in Monate und Jahreszeiten war hier bedeutungslos.

Ungefähr einen Kilometer von der Station entfernt, aber durch nichts mit ihr verbunden, bewegten sich in der gleichen Bahn die drei Weltraumschiffe, die in diesem Augenblick zufällig »im Dock« waren. Eines davon war die kleine wie ein Pfeil zugespitzte Rakete, die ihn vor einer Stunde unter solchen Beschwernissen von der Erde heraufgebracht hatte. Das zweite war ein für den Mond bestimmter Frachter von etwa tausend Tonnen. Und das dritte war die Ares, deren frische Aluminiumfarben fast die Augen blendeten.

Gibson hatte sich nie richtig mit dem Verlust der schlanken, in Stromlinienform gehaltenen Schiffe aussöhnen können, die der Traum des frühen zwanzigsten Jahrhunderts gewesen waren. Die glitzernde, hantelartige Kugel, die sich gegen die Sterne abhob, entsprach den Vorstellungen, die er von einem Weltraumschiff hatte, nicht im geringsten. Im Gegensatz zu aller Welt hatte er sich nie recht damit abfinden können. Er kannte natürlich die üblichen Argumente – man brauchte keine Stromlinien mehr für ein Schiff, das nie mit irgendeiner Atmosphäre in Berührung kam und für dessen Bau allein strukturelle und krafttechnische Überlegungen ausschlaggebend waren. Da der hoch-radioaktive Antrieb so weit wie möglich von den Mannschaftsunterkünften entfernt sein musste, bot die Doppelkugel mit der langen Verbindungsröhre die einfachste Lösung.

Es war, so ging es Gibson durch den Sinn, auch gleichzeitig die hässlichste, aber das fiel kaum ins Gewicht, da die Ares fast ihre gesamte Zeit im fernen Weltraum verbringen würde, wo die Sterne die einzigen Zuschauer waren. Wahrscheinlich hatte sie bereits Brennstoff getankt und wartete nur auf den genau vorausberechneten Augenblick, um mit voller Kraft aus der Bahn zu brechen, in welcher sie kreiste und in welcher sie ihre bisherige Existenz verbracht hatte, und jene lange Hyperbel einzuschlagen, die sie zum Mars bringen würde.

Wenn dieser Augenblick kam, würde er sich an Bord befinden und endlich jenes Abenteuer erleben, an das er schon nicht mehr recht geglaubt hatte.

2

Die Kabine des Kapitäns der Ares war so gebaut, dass sich nicht mehr als drei Leute darin aufhalten konnten, solange die Schwerkraft ihre Wirkung ausübte, sie bot jedoch genügend Raum für sechs, wenn das Schiff sich in freiem Fall befand und man, je nach Geschmack, auf den Wänden oder auf der Decke stehen konnte. Außer einem einzigen in der Gruppe, die sich in surrealistischen Winkeln um Kapitän Norden scharte, hatten sämtliche Männer Weltraumerfahrung und wussten, was von ihnen erwartet wurde. Der Jungfernflug eines neuen Weltraumschiffes ist immer eine bedeutsame Angelegenheit, und die Ares war das erste Boot ihrer Linie das erste Weltraumschiff überhaupt, das völlig für den Passagierdienst bestimmt war. Voll in Dienst gestellt, würde sie eine dreißigköpfige Besatzung haben und hundertfünfzig Passagiere unter etwas spartanischen Bedingungen befördern. Auf ihrer ersten Fahrt jedoch waren die Verhältnisse nahezu umgekehrt, und im Augenblick warteten die sechs Mann der Besatzung darauf, dass ihr einziger Passagier an Bord kommen sollte.

»Ich bin mir immer noch nicht klar darüber«, sagte Owen Bradley, der Elektrotechniker, »was wir mit dem Kerl anfangen sollen. Wer hat denn eigentlich diesen verrückten Einfall gehabt?«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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