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Aphorismen und Passagen, die der Selbstverlassenheit der Individuen in der Moderne entsprechen
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Reflexionsphilosophie, Isolationismus, Transzendentalismus, Kritizismus
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Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2023
Lernen, was es heißt, Mensch zu sein.
Talon
Relikte
Anschauungen eines Zurückgelassenen
© 2023 Talon
Verlagslabel: Wovon
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
ISBN
Paperback
978-3-347-83667-9
Hardcover
978-3-347-83669-3
e-Book
978-3-347-83671-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
Vorwort
Jedes Vorwort ist der prätenziöse Unterton einer sich selbst widersprechenden Schrift. Soll es mir gestattet sein, zu irren?
In diesem Buch finden sich (1-4) eine Zueignung an das Prinzip Wahrheit, im Denken und Schreiben; (5-82) ein aufeinander aufbauender Teil von Betrachtungen, Ratschlägen, kurzen und frechen Bemerkungen, ernsten Anklagen, Lobpreisungen, Spiritualitäten, Gemütsbekundungen, Zeitkritik, Neologismen, Sarkasmus, Spontanitäten, Philosophieproblemen, asketischen Methoden, Kunstverehrung, Seelenverhandlungen und Nachruhmsattitüde; (83-211) das Werk als Notiz an sich selbst. Lernen, was es heißt, Mensch zu sein – so lautet die Parole. Wohl, sie soll unerwidert erklingen innerhalb der Wände meines Gedankenraumes, immerzu sich über ihr eigenes perfide-scharfes Wesen bewusst. Aber: Einen Gönner von Aufmerksamkeit zu derlei anarchistischen Kritikmethoden zu finden – freilich, das muss für eine bloß blöde Phantasie, oder aber für glorreiche Zeitgeschichte gehalten werden. Dahin
– ein Schreiberling.
1
Wer das Publikum sucht, der vermag überhaupt nicht der Wahrheit nahezutreten. Aller Tumult und jedes Betören wird die innerlichste Absicht umkehren und zum teuflischen Gesange verqueren, der mit störender Dilettantik perverse Töne aufbereitet. Ganz also, wie ein äußerlicher, ein bloß beruflicher Philosoph in sich selbst schon seine Veräußerung, ja den Niedergang der eigenen Vermögen, unbehelligt, dafür aber erleuchtend zu reflektieren, zu bewerkstelligen scheint, kann freilich bloß der wahrlich freie, der der blenderischen Akademik nicht bis aufs Hemd versprochene Geist eine reine und wahrhaftige Seele hervorbringen. Es ist nichts Geringes, sich vorzustellen, welcher Kraft ein freier Mensch, bloß aus sich selbst heraus, habhaft zu werden vermögen kann. Denn der urtümliche Gedanke vom freien, absoluten Wesen aus sich selbst, der idealistisch öfterdings verwindbeutelt und pragmatistisch verquert wurde, hat nach wie vor aber sein Wahres daran, dass der seiende Mensch nicht ohne sich selbst zu existieren vermag – er bedarf seiner eigenen Kräfte, ja er ist vollkommen bedürftig nach der in ihm zu entfesselnden Macht, den eigentlich eigenen Willen zu fesseln, ihn mit minimalster Befriedigung zur maximalsten Glückseligkeit anzuschicken.
2
Komplizierte Formulierungen theoretischer Überlegungen verwittern die Seele. Es ist nicht als verlöre der Adorno beispielsweise daher an stichhaltiger oder interessanter Gedankenkraft, aber er gibt sie als bloß der sich selbst schändenden Seele vorausgesetzt preis. Nur wer bereit ist, abzutauchen, darf Luft zum Atmen finden – und dies, in der Tat, vernichtet dahinter oftmalig den wahren gesellschaftlichen Wert, den derlei Schriften eigentlich zu entfalten vermögen könnten. Wären sie demütiger, dem Volke gegenüber wohlwollender aufbereitet, aber nicht minder prägnant, so kämen Überlegungen an eine solche literarische Klarheit, wie sie nur ganz selten in der Philosophie jemals entdeckt werden konnte. Ein Hoch auf den fachterministischen Urwald! Hoch sollen die scharfen Intellekte leben! Aber die Urwälder soll man stutzen, möchte man darin wahrlich leben. Die Kunst der Gärtnerei hat in derartigem Sinne den Reflektierenden genauso zuzukommen, wie ihr unablässiger Durst auf die wahrhaftige Form der Dinge. Indem sie aber ihre prätentiöse, selbstsüchtige eigene Natur beugen, vermögen sie, voranzuschreiten. Ihr ignorantes Selbst kann sich im Erzeugen einer seelischen Balance befriedigt halten, ohne der Unglückseligkeit zuzuneigen. Die freie Denkerin begreift das Künstlerische um ihrer selbst willen. Erst, wenn sie ans Ideale, isolierte Wahre voller Bewunderung herantreten kann, werden ihre Sorgen und Ängste sublimiert. Wahrhaftig – Freiheit ist in der Tat nur in uns, nicht aber im Geist, sondern in der vollkommenen Erfahrung, der glückseligen Offenheit der Seele. Es geht nicht darum, was ohne Zuwirken wird; es geht darum, was durch Zuwirken werden kann.
3
Klarheit wird nicht auf einem langen Wege erworben, sondern vom Begehen des Weges selbst erlangt – nicht der geistige Ort, sondern die Manifestation der eigenen Seele ist Substanz wahrer Erkenntnis, oder Erkenntnis als die wahrhaftige Beschaffenheit der Substanz. Der wahren Substanz ist die Essenz nichts Außenliegendes, gleichermaßen nichts, was der Substanz unmittelbar zugeeignet werden könnte. Essenz und Akzidens sind frei von der Substanz, die Substanz wiederum erkennt sich in Essenz und Akzidens. Das heißt, Bindungen unmittelbarer Natur existieren nicht, die Koexistenz der genannten drei Entitäten jedoch ist ein bloßer, unmittelbarer Fakt. Die Erkenntnis erfolgt für die Menschen aus sich selbst; der Wahrheit nah sein ist jedoch etwas anderes, als bloßer Erkenntnisgewinn. Im seelischen, ungehinderten Ausdruck erfahren wir uns selbst, und ob wir wahrhaftig wir selbst sind. Und wenn wir Klarheit wollen, müssen wir tief in uns greifen, ohne die Dinge dort zu berühren. Dann langsam sich vorantasten, und die Bewegungen und Überzeugungen in sich selbst erkennen. Ich sage aber: jede Überzeugung ist in Wahrheit bloß etwas an uns selbst, nichts was uns unmittelbar inne ist. Der Mensch ist und bleibt ewig ein reines Wesen, sofern er zur Versöhnung mit seiner irdischen Schuld einstimmt. Unsere wahre, bedingungslose Substanz ist zugleich der Grund unserer Existenz: die Liebe.
4
Ob, wie Adorno in seiner Ästhetischen Theorie bewirbt, Wahrheit Gewordenes sei, erscheint mir doch suspekt. Denn in der Tat existiert Wahrheit augenscheinlich, tatsächlich in concreto – so meine Überlegung – wäre es doch möglich, ihrer komplett zu entbehren. Das heißt, Wahrheit kann in der Gesellschaft gar nichts Gewordenes sein, wo doch die Wahrheit unablässig im Werden begriffen ist. Und – ich erlaube mir den Begriff – die Werdung von Wahrheit ist ja dann doch wiederum augenscheinlich nichts anderes als andauerndes Wirken, Wirklichkeit. Hieße aber nicht, dass Wahrheit nicht im Werden begriffen sei – und dies ist unserer Erkenntnis die essenziellste Wahrheit! Denn, wenn ich sage, die Wahrheit sei im Werden begriffen, erfasse ich darin bereits jene Tatsache: der Begriff allein vermag Wahrheit hin zu einem Wirkungsmittel für Diskurse isolieren. Die Gesellschaft selbst aber ist dieser andauernde Sturm, wie Schopenhauer sie einmal bezeichnet – dort ist alles andauernd Wirkung, Reiz, Motiv, in concreto. Erst die reflexive Abstraktion der Individuen auf sich alleingestellt vermag die essenzielle Erkenntnis zum Grund der eigenen Selbsterkenntnis zu machen. Das heißt, dass Selbsterkenntnis von der Wirklichkeit abstrahiert werden muss, die uns als unmittelbare lebendige Erfahrung zugegen ist. Und dies heißt folgendermaßen, dass gar nichts außer dem Satz vom Grunde in der Anbindung zur Werdung der Wahrheit steht, derselbe Satz vom Grunde aber in der seelische Veranlagung, zu lieben, erreicht werden muss. Die Wahrheit ist, wenn auch im Werden des Intellekts begriffen, letztlich bloß in der Fundierung der liebenden Seele zu erkennen. Erst dort erlangt sie ihren emotionalen, emfindbaren Wert. Und Wahrheit, die fühlbare Wahrheit ist, ist so sehr gute Wirklichkeit, wie die Erkenntnisse der Individuen auf feinfühliger Herzlichkeit beruhen.
5
In der Tat hat es als von höchstem Werte zu gelten, dass ein Denker sein Denken zügle. Nicht vermag er alles auf einmal niederzubringen, noch wird es ihm frohlockende Seele erbringen, sich töricht, ja ganz und gar närrisch, aufzureihen und sich gleichermaßen unmittelbar selbst als das Weltopfer auf dem Altar der Götter niederzulegen. Leben darf nicht der Philosophie aufgeopfert werden, nein. Philosophie soll der Lebendigkeit alle nur nötige Opfer erbringen, umdass man sie in der Kultur in der Literatur ausmachen wird. Die Philosophie soll fürmehr aus dem fruchtenden Beete der Romankünste erblühen; direkt aus der naiven Abstraktion des In Concreto erwachsen. Direkt vom Leben lernen – solch eine Reflexion braucht es. Man lehre und lerne sie, sodass man sie gelernt hat und lehren kann.
6
Der Körper ist freilich die erste erhärtete Wirklichkeit, dem Subjekt, weil der Geist ein Bewusstsein ist, nur aber der Körper Realität beweist, ohne direkt über den Geist Ausdruck zu verlangen. Aber der Geist den Eindruck vom Körper, ist geradewegs auch erst durch ihn, und – so ließe sich sagen – mit ihm zusammen, gleichzeitig, Ein und dasselbe.
7
Die Vieldeutigkeit der Begriffe muss immer zugleich gedacht werden.
8
Aber die Gelehrten dürfen sich niemals allein auf Begriffe und Schriften verlassen, egal wieviel unter ihnen zu begreifen wäre. Weil, wahrlich verstehen wird man nur das können, was einem einen erfühlbaren Eindruck hinterlässt. Und es erscheint ja doch als die durch und durch ausgemachteste Tatsache, dass der Begriff nie und nimmer – gleich, wieviel er auch heißt – der Konkretion des Realen adäquate Realität sein wird. Er vermag höchstens eine adäquate Abstraktion darzustellen, ganz das Leben kann selbst alles Gesprochene auf einmal nicht sein. Ergötzen wir uns doch lieber daran, füreinander empfinden und Erkenntnis gewinnen zu können. Ergänzung werden wir nur im Amalgam von Vernunft und Liebe, Geist und Seelem Begriff und Gefühl finden können – jedoch nur, wenn die Vernunft in der Empfindung nicht über das eigene Selbst, das heißt über den eigenen freien Willen hinauszusteigen versucht. Das Aneroszyme, wie ich es begreife, ist der intellektive, abgekühlte, rationalistische Part des Seins; das Eroszyme ist der seelische, begehrende, emotionalistische Part des Seins. Erlässt man über sich eine Verbindung solch beider umfassenden Worte, erscheint wiederum alles Komplexe in einer praktizierbaren Einfachheit. Doch soll man die Kategorien nicht zur Methode missbrauchen, ja, gar nicht denken, dass man nun ein solcher, und dann ein solcher Mensch sei: Sondern, man soll der täglichen Geschäftigkeit, Freiheit und Muße eben andauernd und immerzu so nachgehen, als sei man eben; als existiere man eben ohne Grund, wiederum aber mit ausgebufftem, unermüdlichem Sinn. Denn erst solche Sorglosigkeit vermag Vernunft und Erkenntnis zur Besänftigung der freien Seele vorzubereiten, und eben nicht zum Schrecken und zur Qual derselbigen.
9
Wahrlich, ein ehrlicher Mensch soll nicht meinen, er müsse die Schuld für die Schmerzen irgendeines Menschen tragen, außer für seine eigenen. Und wo doch dieser Mensch in seiner Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit weder sich selbst noch anderen Schmerzen zuzufügen beabsichtigen will, will dieser selbe Mensch auch nicht Schmerzen an Gedächtnisgefühlen erleiden. Gedächtnisschmerz plagt den guten Menschen, bis er ein anderer wird, ein vom andauernden Gedanken an dumpf Vergangenes zerfurchter, ja ein gar ausgehölter Mensch.
10
Lobet die Fantasie! Ehret sie! Im Reich der Fantasie ist unendliche Empathie möglich. Im Reich der Realität hingegen ist unendliche Vorstellung möglich. Hüte dich also, deine Vorstellungen allein zur vergnüglichen Fantasie zu gebrauchen – andernfalls wirst du irrsinnig gefühlvoll. So ginge dir die ordnende Kraft der an Begriffen schönen Vernunft abhanden.
11
Ein weiser Mensch hat einen lieben Sinn für Höflichkeit. Schau dir bloß die begehrtesten aller menschlichen Individuen an – verdienen sie sich nicht auch durch ihre Höflichkeit und Herzlichkeit gewaltigen Ruhm? In der Tat. Also: verfolge nicht deinen eigenen Sinn allein, sondern sieh zu, wie du ihn mit deinem Schicksal zu verweben gedenkst. Darin wird dir die Höflichkeit durchaus von beachtlichem Nutzen sein können. Jedoch: Bedenke, dass höflich zu sein die allerletzte aller in Taten mündenden Tugendhaftigkeiten zu nennen ist. Wer nämlich höflich, jedoch nicht gut ist, wird durch seine Höflichkeit in die von sich selbst ununterscheidbare Masse der Menschenzivilisation eingeschmolzen werden. Was er von sich selbst hält, wird er über den blenderischen Gepflogenheiten der Gesellschaft vergessen; alles Gute und Wahre wird er verlieren, angetrieben von der Heuchelei des geselligen Hofbrauchtums.
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Raste, wenn du müde bist, schweige, wenn zu sprechen dir kaum möglich ist; ruhe, um zu wissen, was der Tag dir bringt. Was er dir auch bringe, oder nicht bringe – es ist nicht in deiner Macht, dies zu entscheiden. Jedoch, was du der Sekunde bringst, ist an dir zu entscheiden. Übe dich also in der Kraft des Denkens. Ehre und erforsche die Gesetze der Logik.
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