Revival - Stephen King - E-Book
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Revival E-Book

Stephen King

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Beschreibung

Revival erzählt die Geschichte des Jungen Jamie und des Predigers Charles Jacobs, deren Wege sich von den Sechzigern bis heute auf unglückselige Weise immer wieder kreuzen. Sie steuert auf ein beängstigendes, auswegloses Ende zu, wie es selbst Stephen King bislang nicht zu Papier gebracht hat, und ist gleichzeitig Abrechnung mit dem Religionsfanatismus in unserem hoch technisierten Zeitalter und Verbeugung vor den Größen des klassischen Horrors.

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Seitenzahl: 690

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Das Buch

Der kleine Jamie spielt vor dem Haus mit seinen Plastiksoldaten, da schiebt sich ein dunkler Schatten über ihn, ein Schatten, den er sein Leben lang nicht loswerden wird. Er blickt auf und sieht Charles Jacobs über sich, den jungen Methodistenprediger, der in der neuenglischen Gemeinde gerade sein Amt antritt. Im Nu gewinnt der charismatische Jacobs die Herzen der gottesfürchtigen Einwohner. Den Kindern haben es vor allem die elektrischen Spielereien angetan, mit denen er Bibelgeschichten veranschaulicht. Das alles endet, als ihn ein schrecklicher Unfall vom Glauben abfallen lässt und er eine letzte Predigt hält, die in einer rasenden Gottverfluchung gipfelt. Von der Gemeinde verstoßen, tingelt er fortan über die Jahrmärkte, wo er elektrische Experimente vorführt, die zunehmend spektakulärer werden. Und immer schrecklichere Folgen nach sich ziehen. Über die Jahre trifft Jamie, inzwischen drogenabhängiger Musiker, immer wieder auf Jacobs, der ihn jedes Mal tiefer in seine dämonische Welt zieht. Als Jamie sich dessen klar wird, gibt es kein Zurück mehr. Das finale Experiment steht bevor.

»Das ist purer Stephen King.«    The New York Times

Der Autor

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Schon als Student veröffentlichte er Kurzgeschichten, sein erster Romanerfolg, Carrie, erlaubte ihm, sich nur noch dem Schreiben zu widmen. Seitdem hat er weltweit 400 Millionen Bücher in mehr als 40 Sprachen verkauft. Im November 2003 erhielt er den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk. Bei Heyne erschien zuletzt sein BestsellerromanMr. Mercedes.

STEPHEN KING

REVIVAL

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe erschien unter dem TitelREVIVAL bei Scribner, New York

Copyright © 2014 by Stephen KingCopyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Covergestaltung: Hauptmann & Kompanie

Covermotiv: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock.com (RMMPPhotography, KatrinkaG)

Satz: Schaber Datentechnik, WelsHerstellung: Helga Schörnig

ISBN 978-3-641-15346-5V005

www.penguinrandomhouse.de

Dieses Buch ist für einige derer, die mein Haus erbaut haben:

Mary Shelley

Bram Stoker

H. P. Lovecraft

Clark Ashton Smith

Donald Wandrei

Fritz Leiber

August Derleth

Shirley Jackson

Robert Bloch

Peter Straub

Und fürARTHUR MACHEN, dessen NovelleDer große Panmich zeit meines Lebens verfolgt hat.

Das ist nicht tot, was ewig liegt,

Bis dass die Zeit den Tod besiegt.

H. P. LOVECRAFT

I

Der Fünfte im Spiel. Der Schädelberg. Der See des Friedens.

In wenigstens einer Hinsicht ist unser Leben wirklich wie ein Film. Die Hauptdarsteller sind unsere Familienmitglieder und Freunde, die Nebenfiguren Nachbarn, Kollegen, Lehrer und Bekannte. Dazu kommen die Kleindarsteller: die junge Frau mit dem hübschen Lächeln, die im Supermarkt an der Kasse sitzt, der freundliche Barkeeper in der Stammkneipe, die Typen, mit denen man dreimal pro Woche im Fitnesscenter trainiert. Und es gibt Tausende Statisten – jene Leute, die durch jedes Leben strömen wie Wasser durch ein Sieb, weil man sie ein einziges Mal sieht und dann nie wieder. Der Teenager, der bei Barnes & Noble vor den Graphic Novels steht, weshalb man sich an ihm vorbeischieben muss (mit einem gemurmelten »’tschuldigung«), um zu den Zeitschriften zu gelangen. Die Frau im Auto nebenan, die vor der roten Ampel ihren Lippenstift nachzieht. Die Mutter, die ihrer Kleinen Eiscreme vom Gesicht wischt, irgendwo in einem Lokal am Straßenrand, wo man zu einem kurzen Imbiss eingekehrt ist. Der Verkäufer, dem man bei einem Baseballspiel einen Beutel Erdnüsse abgekauft hat.

Aber manchmal gerät eine Person in unser Leben, die in keine dieser Kategorien passt. Sie ist der Joker, der über die Jahre hinweg in unregelmäßigen Abständen aus dem Kartenstapel auftaucht, oft an einem entscheidenden Wendepunkt. Im Film wird eine solche Gestalt auch als Fünfter im Spiel oder Katalysator des Wandels bezeichnet. Taucht sie auf, so weiß man, dass sie da ist, weil der Drehbuchautor sie hineingeschrieben hat. Aber wer schreibt das Drehbuch unseres Lebens? Das Schicksal oder der Zufall? Lieber möchte ich Letzteres glauben. Das möchte ich von ganzem Herzen und mit ganzer Seele. Wenn ich an Charles Jacobs denke – meinen Fünften im Spiel, meinen Katalysator, meine Nemesis –, so ist mir die Vorstellung, sein Auftreten in meinem Leben könnte irgendetwas Schicksalhaftes an sich haben, unerträglich. Das würde nämlich bedeuten, dass all die schrecklichen Dinge – dieseGräuel– vorgesehen waren. Ist das der Fall, dann gibt es nichts, was man als Licht bezeichnen könnte, und unser Glauben daran ist eine törichte Illusion. Ist das der Fall, dann leben wir in der Dunkelheit wie Tiere in ihrem Bau oder Ameisen tief unten in ihrem Haufen.

Und wir sind nicht allein.

Zum sechsten Geburtstag hatte ich von Claire eine Armee bekommen, und an einem Samstag im Oktober 1962 bereitete ich mich auf eine große Schlacht vor.

Ich stamme aus einer großen Familie – vier Jungen, ein Mädchen –, und als Jüngster bekam ich immer viele Geschenke, aber die von Claire waren die besten. Ich weiß nicht, ob das daran lag, dass sie die Älteste von uns war oder das einzige Mädchen oder beides. Von allen großartigen Geschenken, die sie mir im Lauf der Jahre machte, war diese Armee mit Abstand das tollste. Sie bestand aus zweihundert grünen Plastiksoldaten, manche mit Gewehren, andere mit Maschinengewehren, und etwa ein Dutzend waren an röhrenähnliche Dinger geschweißt, bei denen es sich laut Claire um Mörser handelte. Dabei waren außerdem acht Lastwagen und zwölf Jeeps. Das vielleicht Coolste an der Armee war der Karton, in dem sie untergebracht war, eine Feldkiste aus Pappe, die mit grün-brauner Tarnfarbe bedruckt war. An der Vorderseite stand in SchablonenschriftEIGENTUM DER U.S. ARMY. Darunter hatte Claire im selben Stil eine zusätzliche Aufschrift angebracht:JAMIE MORTON, KOMMANDANT.

Das war ich.

»Ich hab in einem von Terrys Comicheften eine Anzeige dafür gesehen«, sagte sie, als ich mein begeistertes Kreischen eingestellt hatte. »Der hat sie mich allerdings nicht ausschneiden lassen, weil er ein Nasenpopler ist …«

»Genau«, sagte Terry. Er war acht. »Ich bin ein großer Nasenpopler.« Er spreizte Zeige- und Mittelfinger und steckte sie in die Nasenlöcher.

»Schluss jetzt«, sagte unsere Mutter. »Kein Geschwisterzoff an Geburtstagen, bitte sehr und danke schön. Terry, nimm die Finger aus der Nase.«

»Jedenfalls hab ich den Bestellzettel kopiert und eingeschickt«, sagte Claire. »Ich hatte schon Angst, das Zeug kommt nicht mehr rechtzeitig, aber es hat geklappt. Schön, dass es dir gefällt.« Damit gab sie mir einen Kuss auf die Schläfe. Dort küsste sie mich immer hin. Obwohl das schon so lange her ist, spüre ich diese zarten Küsse immer noch.

»Das ist ganz toll!«, sagte ich und presste die Feldkiste an die Brust. »Und das wird für immer und ewig toll bleiben!«

Es war nach dem Frühstück, bei dem es Blaubeerpfannkuchen mit Frühstücksspeck gegeben hatte, was ich am liebsten aß. Am Geburtstag bekamen wir alle unser Leibgericht, und die Geschenke wurden immer nach dem Frühstück überreicht, in der Küche mit ihrem Holzofen, dem langen Tisch und unserer riesigen Waschmaschine, die ständig kaputt war.

»Für immer und ewig dauert bei Jamie wahrscheinlich gerade mal fünf Tage«, sagte Con. Er war zehn Jahre alt, schlank(später nahm er allerdings zu) und schon damals naturwissenschaftlich interessiert.

»Netter Spruch, Conrad«, sagte unser Vater. Er hatte seine Arbeitsklamotten an, einen sauberen Overall, auf dessen linker Brusttasche mit Goldfaden sein Name –RICHARD– eingestickt war. Auf der rechten Seite standMORTON HEIZÖL. »Ich bin beeindruckt.«

»Danke, Daddy!«

»Dein großes Mundwerk verschafft dir die Gelegenheit, deiner Mutter beim Abwaschen zu helfen.«

»Heute ist Andy dran!«

»Das war einmal«, sagte Vater und goss Sirup auf den letzten Pfannkuchen. »Hol dir ein Geschirrtuch, du Sprücheklopfer. Und pass auf, dass nichts kaputtgeht.«

»Du verwöhnst ihn noch total«, sagte Con, griff sich jedoch trotzdem ein Geschirrtuch.

Was meine Vorstellung der Ewigkeit anging, hatte Connie nicht ganz unrecht. Fünf Tage später sammelten sich unter meinem Bett auf dem Geschicklichkeitsspiel, das Andy mir geschenkt hatte, bereits die Staubmäuse (ohnehin fehlten einige wichtige Teile; Andy hatte es für einen Vierteldollar beim Wohltätigkeitsbasar erstanden). Den Puzzles, die ich von Terry bekommen hatte, erging es ebenso. Con hatte mir einen View-Master geschenkt, der sich ein bisschen länger hielt, irgendwann jedoch in meinem Kleiderschrank landete und nie wieder in die Hand genommen wurde.

Von meinen Eltern kriegte ich Klamotten, weil mein Geburtstag Ende August ist und ich in jenem Jahr in die erste Klasse kam. Ich packte neue Hosen und Oberteile aus, die in etwa so aufregend waren wie ein Testbild im Fernsehen, gab mir aber Mühe, mich begeistert zu bedanken. Ich vermute, dass sie das problemlos durchschaut haben; einem Sechsjährigen fällt es nicht gerade leicht, Begeisterung vorzutäuschen … wenngleich das bedauerlicherweise etwas ist, was wir meistens ziemlich schnell lernen. Jedenfalls kamen die Sachen in die riesige Waschmaschine, wurden im Garten auf die Wäscheleine gehängt und schließlich gefaltet in den Schubladen meiner Kommode deponiert. Wahrscheinlich müsste ich nicht erwähnen, dass sie dort ungestört ihr Dasein fristeten, bis der September kam und es unumgänglich war, sie anzuziehen. Wie ich mich erinnere, war ein Pullover dabei, der eigentlich ziemlich cool war – er war braun mit gelben Streifen. Wenn ich ihn trug, tat ich so, als wäre ich ein Superheld mit Namen Wespenmann: Ihr Bösewichte, hütet euch vor meinem Stachel!

Was die Feldkiste mit der Armee betraf, lag Con jedoch falsch. Mit den Figuren spielte ich den lieben langen Tag, normalerweise am Rand des Vorgartens, wo zwischen unserem Rasen und der Methodist Road ein unbefestigter Gehweg verlief. Die Straße selbst war damals ebenfalls nicht geteert. Mit Ausnahme der Route 9 und der zweispurigen Straße zum Goat Mountain, wo sich ein Resort für reiche Leute befand, waren alle Straßen in Harlow damals unbefestigt. Ich erinnere mich, wie meine Mutter mehrfach über den ganzen Staub weinte, der an trockenen Sommertagen ins Haus wehte.

An vielen Nachmittagen spielten Billy Paquette und Al Knowles – meine zwei besten Freunde – mit mir Krieg, aber an dem Tag, an dem Charles Jacobs zum ersten Mal in mein Leben trat, war ich allein. Ich weiß nicht mehr, wieso Billy und Al nicht dabei waren, aber ich erinnere mich, dass ich es genoss, ausnahmsweise für mich zu sein. Zum einen war es dadurch nicht nötig, die Armee in drei Divisionen aufzuteilen. Zum anderen – was wichtiger war – musste ich mich mit den beiden nicht darum streiten, wer mit Siegen dran war. Eigentlich kam es mir unfair vor, überhaupt jemals verlieren zu müssen; schließlich waren esmeineSoldaten, und es warmeineFeldkiste.

Als ich dieses Thema kurz nach meinem Geburtstag an einem heißen Spätsommertag mit meiner Mutter besprach, nahm sie mich bei den Schultern und sah mir in die Augen, ein klarer Hinweis darauf, dass mir eine weitere Lektion fürs Leben bevorstand. »DiesesDas ist meins!ist eines der größten Probleme auf der Welt, Jamie. Wenn du mit deinen Freunden spielst, gehören die Soldaten euch allen.«

»Selbst wenn wir dabei gegeneinander kämpfen?«

»Selbst dann. Wenn Billy und Al zum Abendessen heimgehen und du die Soldaten wieder in die Schachtel packst …«

»Es ist ’neFeldkiste!«

»Gut, in die Feldkiste. Wenn du sie wegpackst, gehören sie wieder dir allein. Die Menschen sind sehr einfallsreich, wenn es darum geht, schlecht zueinander zu sein, das wirst du noch rausbekommen, wenn du älter bist, aber ich glaube, dieses ganze schlechte Verhalten kommt einfach vom guten alten Eigennutz. Versprich mir, dass du nie eigennützig sein wirst, Junge.«

Das versprach ich, aber es passte mir trotzdem nicht, wennBilly und Al gewannen.

An jenem Tag im Oktober 1962, als das Schicksal der Welt an einem seidenen Faden über einer kleinen tropischen Insel namens Kuba hing, kämpfte ich jedenfalls auf beiden Seiten, was bedeutete, dass ich die Schlacht gewinnen würde. Morgens war der städtische Straßenhobel vorbeigekommen (»der verteilt doch bloß die Steine«, sagte mein Vater immer missmutig), und am Straßenrand lag eine Menge lockeres Erdreich. Ich scharrte so viel zusammen, dass es für einen kleinen Hügel, dann einen großen Hügel und schließlich einensehrgroßen Hügel reichte, der mir fast bis zu den Knien ging. Zuerst wollte ich ihn Goat Mountain nennen, aber das fand ich dann doch einerseits wenig originell (schließlich war der echte Goat Mountain nur zwölf Meilen entfernt) und andererseits langweilig. Nach einiger Überlegung beschloss ich, ihn Schädelberg zu nennen. Ich versuchte sogar, mit den Fingern zwei augenähnliche Höhlen hineinzubohren, aber die Erde war so trocken, dass die Löcher immer wieder einbrachen.

»Na ja«, sagte ich zu den Plastiksoldaten, die wild durcheinander in ihrer Feldkiste lagen. »Die Welt ist hart, und man kann nicht alles haben.« Das war einer der Lieblingssprüche meines Vaters, und da er fünf Kinder ernähren musste, hatte er sicher gute Gründe dafür, das anzunehmen. »Dann tun wir eben so, als ob es Höhlen wären.«

Die Hälfte meiner Soldaten platzierte ich auf dem Gipfel des Schädelbergs, wo sie einen eindrucksvollen Anblick boten. Besonders gefiel mir, wie die Kerle mit den Mörsern sich dort machten. Die da oben waren die Krauts. Die amerikanischen Truppen stellte ich am Rasenrand auf. Sie bekamen sämtliche Jeeps und Lastwagen, weil es total stark aussehen würde, wenn die beim Angriff den steilen Berghang hinaufrollten. Bestimmt fielen manche dabei um, aber ein paar würden es schon auf den Gipfel schaffen. Und die Typen mit den Mörsern überrollen, die um Gnade winseln würden. Da hatten sie sich allerdings verrechnet.

»Auf in den Tod!«, sagte ich, während ich die letzten heroischen Amerikaner aufstellte. »Hitsmer, du bist als Nächster dran!«

Ich ließ meine Männer vorwärtsmarschieren, Reihe um Reihe – wobei ich so knatterte wie die Maschinengewehre in Comicheften –, als ein Schatten auf das Schlachtfeld fiel. Ich blickte auf und sah einen Mann vor mir stehen. Weil sich die Nachmittagssonne hinter ihm befand, war er eine von goldenem Licht umgebene Silhouette – eine menschliche Sonnenfinsternis.

Ringsherum war allerhand los, am Samstagnachmittag war das bei uns immer so. Andy und Con waren in dem lang gestreckten Garten hinter dem Haus, wo sie mit ein paar Freunden johlend Flugball-Grundball spielten. Clairewar mit einigen ihrer Freundinnen in ihrem Zimmer, um auf ihrem tragbaren Plattenspieler Musik zu hören: »The Loco-Motion«, »Soldier Boy«, »Palisades Park«. Außerdem hämmerte es in der Garage, wo Terry und unser Vater an dem alten 51er Ford werkelten, den Vater »Road Rocket« nannte. Oder das »Projekt«. Einmal hörte ich aber auch, wie er ihn als Scheißding bezeichnete, ein Ausdruck, der mir schon damals gefiel und den ich heute noch verwende. Wenn man sich besser fühlen will, braucht man nur etwas als Scheißding zu bezeichnen. Normalerweise wirkt das.

Es war also einiges los, doch in diesem Augenblick schien alles zu verstummen. Ich weiß, das ist nur eine Illusion, wie falsche Erinnerungen sie verursachen (ganz zu schweigen von einem mit düsteren Assoziationen vollgepackten Koffer), aber dennoch ist dieses Bild sehr stark. Ganz plötzlich brüllten keine Jungen mehr hinten im Garten, im Obergeschoss liefen keine Schallplatten, aus der Garage kam kein Hämmern. Kein einziger Vogel sang.

Dann beugte der Mann sich nieder, und die sinkende Sonne strahlte ihm so grell über die Schulter, dass sie mich vorübergehend blendete. Ich hob eine Hand, um die Augen abzuschirmen.

»Ach, tut mir leid«, sagte er und trat ein Stück zur Seite, damit ich ihn ansehen konnte, ohne gleichzeitig in die Sonne zu blicken. Oben trug er ein schwarzes Jackett, wie man es sonntags zum Kirchgang anzog, und ein schwarzes Hemd mit merkwürdigem Kragen, unten Bluejeans und abgetragene Slipper. Es war, als wollte er gleichzeitig zwei unterschiedliche Personen sein. Im Alter von sechs Jahren teilte ich die Erwachsenen in drei Kategorien ein: junge Leute, normale Leute und alte Leute. Dieser Typ gehörte zu den jungen Leuten. Er hatte die Hände auf die Knie gestützt, um die sich gegenüberstehenden Truppen zu betrachten.

»Wer sind Sie?«, fragte ich.

»Charles Jacobs.« Der Name kam mir irgendwie bekannt vor. Er streckte mir die Hand hin, die ich sofort schüttelte, denn schon mit sechs Jahren hatte ich Manieren. Das hatten wir alle. Unsere Eltern sorgten dafür.

»Wieso tragen Sie einen Kragen, wo nur in der Mitte ein Stück weißer Stoff ist?«

»Weil ich Pfarrer bin. Wenn du sonntags in die Kirche gehst, werde ich von nun an dort sein. Und wenn du am Donnerstagabend zur Jugendgruppe gehst, bin ich auch da.«

»Früher war Mr. Latoure unser Pfarrer«, sagte ich. »Aber der ist gestorben.«

»Ich weiß. Das tut mir leid.«

»Ist schon okay. Mama hat gesagt, dass er nicht gelitten hat, sondern gleich in den Himmel gekommen ist. Aber so einen Kragen hat er nicht gehabt.«

»Weil Bill Latoure ein Laienprediger war. Das heißt, er war sozusagen ehrenamtlich tätig. Er hat die Kirche in Gang gehalten, weil sonst niemand da war. Das war sehr nett von ihm.«

»Ich glaube, mein Dad weiß über Sie Bescheid«, sagte ich. »Der ist einer von den Diakonen in der Kirche. Das heißt, er darf die Kollekte machen. Aber da muss er sich mit den anderen Diakonen abwechseln.«

»Sich abzuwechseln ist was Gutes«, sagte Jacobs und ließ sich neben mir auf die Knie nieder.

»Wollen Sie beten?« Diese Vorstellung war irgendwie beunruhigend. Beten tat man in der Kirche und in deren Jugendgruppe, die meine Geschwister als Abendschule bezeichneten. Als Mr. Jacobs sie wieder in Schwung brachte, war es mein erstes Jahr dort, so wie es auch mein erstes Jahr in der richtigen Schule war. »Wenn Sie mit meinem Dad sprechen wollen, der ist mit Terry in der Garage. Die beiden bauen eine neue Kupplung in den Road Rocket ein. Na ja, eigentlich macht das mein Dad. Terry gibt ihm bloß die Werkzeuge und sieht zu. Er ist acht. Ich bin sechs. Ich glaube, meine Mama ist auf der Veranda und sieht zu, wie die da hinten Flugball-Grundball spielen.«

»Als ich klein war, haben wir das Schlag-den-Schläger genannt«, sagte er und schmunzelte. Es war ein freundliches Schmunzeln. Ich mochte ihn sofort.

»Echt?«

»Mhm, weil man den Ball an den Schläger klatschen musste, nachdem man ihn gefangen hatte. Wie heißt du, mein Junge?«

»Jamie Morton. Ich bin sechs.«

»Das hast du schon gesagt.«

»Ich glaube nicht, dass schon mal jemand in unserem Vorgarten gebetet hat.«

»Tja, das werde ich auch nicht tun. Ich will mir bloß deine Truppen genauer ansehen. Wer sind die Russen und wer die Amerikaner?«

»Also, die da unten sind Amerikaner, das stimmt, aber die auf dem Schädelberg sind Krauts. Die Amerikaner müssen den Berg erobern.«

»Weil er im Weg ist«, sagte Jacobs. »Hinter dem Schädelberg liegt die Straße nach Deutschland.«

»Genau! Und da ist der Oberkraut! Hitsmer!«

»Der Urheber von so viel Bösem«, sagte er.

»Hä?«

»Nicht so wichtig. Wie wär’s, wenn ich die Bösewichte einfach Deutsche nenne? Krauts klingt irgendwie gemein.«

»Nein, das stimmt schon, die Krauts sind die Deutschen, und die Deutschen sind Krauts. Mein Vater war im Krieg. Halt bloß im letzten Jahr. Er hat in Texas Lastwagen repariert. Waren Sie im Krieg, Mr. Jacobs?«

»Nein, dafür war ich noch zu jung. Für Korea ebenfalls. Wie sollen die Amerikaner eigentlich den Hügel da einnehmen, General Morton?«

»Raufstürmen!«, rief ich. »Mit ihren Maschinengewehren schießen! Peng! Rat-tat-tat-tat!« Dann ließ ich meine Stimme tief aus der Kehle kommen: »Takka-takka-takka!«

»Ein direkter Angriff auf die Anhöhe kommt mir riskant vor, General. An Ihrer Stelle würde ich meine Truppen aufteilen … ungefähr so …« Er stellte die eine Hälfte der Amerikaner nach links und die andere Hälfte nach rechts. »Dadurch entsteht eine Zangenbewegung, siehst du?« Er legte die Spitzen von Daumen und Zeigefinger zusammen. »So stößt man von beiden Seiten aufs Ziel vor.«

»Aha«, sagte ich. Ein direkter Angriff war zwar prima – da gab’s ordentlich blutige Action –, aber was Mr. Jacobs vorgeschlagen hatte, kam mir trotzdem attraktiv vor. Es war hinterlistig, und Hinterlist konnte befriedigend sein. »Ich hab versucht, ein paar Höhlen zu machen, aber die Erde ist zu trocken.«

»Das sehe ich.« Er bohrte einen Finger in den Schädelberg und sah zu, wie das Loch in sich zusammenfiel. Dann stand er auf und klopfte sich die Knie ab. »Ich hab einen kleinen Sohn, der in ein, zwei Jahren wahrscheinlich viel Spaß an deinen Soldaten hätte.«

»Er kann schon jetzt damit spielen, wenn er will.« Ich gab mir Mühe, nicht eigennützig zu sein. »Wo ist er?«

»Noch in Boston, zusammen mit seiner Mutter. Es gibt ’ne Menge einzupacken. Wahrscheinlich kommen sie am Mittwoch her. Spätestens am Donnerstag. Aber Morrie ist eigentlich noch zu jung für Soldaten. Er würde sie bloß nehmen und in der Gegend herumschmeißen.«

»Wie alt ist er denn?«

»Erst zwei.«

»Bestimmt macht er noch in die Hose!«, rief ich und brach in Lachen aus. Höflich war das wohl nicht, aber ich konnte mich nicht beherrschen. Kinder, die in die Hose machten, waren einfach total komisch.

»Das tut er tatsächlich, aber wenn er älter ist, gibt sich das sicher«, sagte Jacobs lächelnd. »Dein Vater ist in der Garage, sagst du?«

»Stimmt.« Jetzt fiel mir ein, wann ich seinen Namen schon einmal gehört hatte – beim Abendessen hatten meine Eltern darüber gesprochen, dass der neue Pfarrer aus Boston kommen solle.Ist er nicht furchtbar jung,hatte meine Mutter gefragt.Ja, und das wird sich in seinem Gehalt widerspiegeln,hatte mein Vater grinsend erwidert. Ich glaube, die beiden waren noch länger bei diesem Thema geblieben, aber ich hatte nicht zugehört. Andy stopfte Kartoffelpüree in sich hinein. Das tat er immer.

»Versuch’s mal mit diesem Angriff von den Flanken her«, sagte er, während er sich abwandte.

»Hä?«

»Die Zangenbewegung.« Er legte wieder die Spitzen von Daumen und Zeigefinger aneinander.

»Ach so. Klar. Mach ich.«

Ich versuchte es. Es klappte ziemlich gut. Die Krauts starben allesamt. Allerdings war die Schlacht nicht gerade spektakulär, weshalb ich zum Frontalangriff überging, bei dem Lastwagen und Jeeps vom steilen vorderen Hang des Schädelbergs purzelten, während die Krauts rückwärts hinuntertaumelten und dabei verzweifelte Todesschreie ausstießen:»Aaaaahhh!«

Während die Schlacht tobte, saßen meine Eltern mit Mr. Jacobs auf der vorderen Veranda, tranken Eistee und unterhielten sich über irgendwelche Kirchenangelegenheiten – abgesehen davon, dass mein Dad als Diakon fungierte, war meine Mutter im Damenzirkel. Nicht als Vorsitzende, aber sie kam gleich danach. Die schicken Hüte, die sie zu jener Zeit hatte, waren eine Schau. Bestimmt ein Dutzend besaß sie davon. Damals waren wir glücklich.

Mutter rief meine Geschwister samt ihren Freunden und Freundinnen herbei, damit sie den neuen Pfarrer kennenlernten. Ich wollte auch hingehen, aber Mr. Jacobs hielt mich mit einer Handbewegung davon ab und sagte meiner Mutter, wir hätten uns schon begrüßt. »Kämpfen Sie ruhig weiter, General!«, rief er.

Ich kämpfte weiter. Con, Andy und ihre Freunde verschwanden wieder nach hinten, um weiterzuspielen. Claire und ihre Freundinnen gingen wieder nach oben und tanzten weiter (allerdings hatte meine Mutter ihnen gesagt, sie sollten die Musik leiser stellen, bitte sehr und danke schön). Mr. und Mrs. Morton und Reverend Jacobs unterhielten sich weiter, und zwar eine ganze Weile. Ich erinnere mich noch, dass ich oft überrascht war, wie lange die Erwachsenen plappern konnten. Es war ermüdend.

Ich achtete nicht mehr auf die drei, weil ich die Schlacht am Schädelberg auf unterschiedliche Weise wiederholte. Bei dem befriedigendsten Szenario, einer Modifikation von Mr. Jacobs’ Zangenbewegung, hielt ein Teil der amerikanischen Truppen die Deutschen von vorn in Schach, während der Rest einen Bogen machte, um den Feind von hinten zu überfallen.

»Arrgghh!«,brüllte einer der Deutschen, bevor ihm in den Kopf geschossen wurde.

Allmählich wurde mir langweilig, und ich überlegte, ob ich ins Haus gehen sollte, um ein Stück Kuchen zu essen (falls die Freunde von Con und Andy was übrig gelassen hatten), als wieder ein Schatten auf mich und mein Schlachtfeld fiel. Ich blickte auf und sah Mr. Jacobs, der ein Glas Wasser in der Hand hielt.

»Das habe ich von deiner Mutter bekommen. Darf ich dir was zeigen?«

»Klar.«

Er kniete sich wieder hin und übergoss den gesamten Gipfel des Schädelbergs mit Wasser.

»Das ist ein Gewitter!«, rief ich und gab Donnergeräusche von mir.

»Mhm, wenn du so willst. Mit Blitzen. Jetzt schau her.« Er streckte zwei Finger wie Teufelshörner aus und stieß sie in die feuchte Erde. Diesmal blieben die Löcher erhalten. »Na bitte«, sagte er. »Höhlen.« Er nahm zwei deutsche Soldaten und stellte sie hinein. »Die werden nicht so einfach zu vertreiben sein, General, aber das schaffen die Amerikaner schon.«

»Toll! Danke!«

»Gieß noch mal Wasser drauf, wenn es wieder krümelig wird.«

»Mach ich.«

»Und denk dran, das Glas mit in die Küche zu nehmen, wenn die Schlacht beendet ist. Ich will an meinem ersten Tag in Harlow nicht schon Probleme mit deiner Mutter bekommen.«

Ich versprach es und streckte ihm die Hand hin. »Schlagen Sie ein, Mr. Jacobs!«

Er lachte und tat es, dann ging er die Methodist Road hinunter auf das Pfarrhaus zu, wo er mit seiner Familie in den folgenden drei Jahren wohnen würde, bis man ihn vor die Tür setzte. Ich sah ihn davongehen, dann wandte ich mich wieder dem Schädelberg zu.

Bevor ich richtig loslegen konnte, fiel wieder ein Schatten über das Schlachtfeld. Diesmal war es mein Vater. Er sank auf ein Knie, wobei er darauf achtete, keine amerikanischen Soldaten zu zermalmen. »Na, Jamie, was hältst du von unserem neuen Pfarrer?«

»Ich mag ihn.«

»Ich auch. Deine Mutter mag ihn ebenfalls. Er ist sehr jung für eine solche Aufgabe, und wenn er sich macht, werden wir nur seine erste Gemeinde sein, aber ich glaube, er wird gut zurechtkommen. Vor allem mit der Jugendgruppe. Jung und Jung gesellt sich gern.«

»Schau mal, Daddy, er hat mir gezeigt, wie man Höhlen macht. Man muss bloß die Erde nass machen, bis sie fast schlammig ist.«

»So, so.« Er zauste mir das Haar. »Vor dem Abendessen musst du dich aber ordentlich waschen.« Er griff nach dem Glas. »Soll ich das schon mal mit reinnehmen?«

»Ja, bitte sehr und danke schön.«

Er nahm das Glas und ging zum Haus. Als ich mich wieder dem Schädelberg zuwandte, sah ich, dass die Erde ausgetrocknet war und die Höhlen in sich zusammengestürzt waren. Die Soldaten darin waren lebendig begraben worden. Aus meiner Sicht war das in Ordnung, schließlich handelte es sich um welche von den Bösewichten.

Heutzutage sind wir in Sachen Sex schrecklich sensibel, und Eltern, die klar bei Verstand sind, kämen nie auf die Idee, einen Sechsjährigen mit einem erwachsenen Mann loszuschicken, der allein lebt (wenn auch nur für ein paar Tage), aber genau das tat meine Mutter am folgenden Montagnachmittag, und zwar ohne Bedenken.

Reverend Jacobs – meine Mutter sagte, ich solle ihn so nennen, nicht Mister – kam gegen Viertel vor drei den Methodist Hill herauf und klopfte an die Fliegengittertür. Ich lag im Wohnzimmer auf dem Boden, um Bilder auszumalen, während sich Mutter eine Spielshow ansah, bei der man angerufen wurde. Sie hatte beim SenderWCSHihren Namen eingeschickt und hoffte, den Hauptpreis des Monats zu gewinnen, einen Staubsauger von Electrolux. Die Chancen standen nicht gut, das war ihr klar, aber die Hoffnung sei nun mal, wie sie sagte, eine Höllenmacht. Das war als Scherz gedacht.

»Könnten Sie mir Ihren Jüngsten wohl für eine halbe Stundeausleihen?«, fragte Reverend Jacobs. »Ich habe was in meiner Garage, was er sich vielleicht gern ansehen möchte.«

»Was ist es denn?«, fragte ich, während ich mich schon aufrappelte.

»Eine Überraschung. Du kannst deiner Mutter später davon erzählen.«

»Mama?«

»Ist gut«, sagte sie. »Aber zieh erst mal deine Schulklamotten aus, Jamie. Möchten Sie inzwischen ein Glas Eistee, Reverend Jacobs?«

»Mit Vergnügen«, sagte er. »Aber ich frage mich, ob Sie es wohl schaffen könnten, mich Charlie zu nennen.«

Sie dachte darüber nach, dann sagte sie: »Nein, aber Charles bringe ich wahrscheinlich hin.«

Ich zog mir Jeans und ein T-Shirt an, und weil die beiden über Erwachsenendinge sprachen, als ich wieder nach unten kam, ging ich hinaus, um auf den Schulbus zu warten. Con, Terry und ich besuchten die Einraumschule an der Route 9, zu der man problemlos zu Fuß gehen konnte, aber Andy ging auf die Kreismittelschule, und Claire fuhr bis über den Fluss zur Gates Falls High, wo sie in der ersten Klasse war. (»Pass bloß auf, dass du auch erstklassig bleibst«, hatte Mutter sie ermahnt – das war wieder so ein Scherz gewesen.) Der Busfahrer setzte die beiden an der Kreuzung von Route 9 und Methodist Road ab, am Fuß vom Methodist Hill.

Ich sah sie aussteigen, und während sie die Straße herauftrotteten – wie immer zankend, das konnte ich hören, als ich neben dem Briefkasten wartete –, kam Reverend Jacobs heraus.

»Bereit?«, fragte er und nahm mich bei der Hand. Das kam mir völlig natürlich vor.

»Klar«, sagte ich.

Auf halbem Wege die Straße hinunter stießen wir auf Andy und Claire. Andy fragte, wo ich hinwolle.

»Zum Haus von Reverend Jacobs«, sagte ich. »Der will mir eine Überraschung zeigen.«

»Bleib bloß nicht zu lange weg«, sagte Claire. »Du bist mit Tischdecken dran.« Sie warf einen Seitenblick auf Jacobs, dann wandte sie sich schnell wieder ab, als fiele es ihr schwer, ihn anzuschauen. Es dauerte nicht lange, bis meine große Schwester böse in ihn verknallt war. Ihre Freundinnen ebenfalls.

»Ich bringe ihn gleich wieder zurück«, versprach Jacobs.

Hand in Hand gingen wir die Straße zur Route 9 hinunter, die nach Portland führte, wenn man links abbog, und nach Gates Falls, Castle Rock und Lewiston, wenn man sich nach rechts wandte. Dort blieben wir stehen und hielten Ausschau nach irgendwelchen Autos, was lächerlich war, da außer im Sommer kaum Verkehr war, und dann gingen wir an Wiesen und an Feldern mit Mais vorbei, dessen Stängel schon trocken waren und im sanften Herbstwind raschelten. Nach zehn Minuten hatten wir das Pfarrhaus erreicht, ein schmuckes, weißes Gebäude mit schwarzen Fensterläden. Dahinter stand die First Methodist Church von Harlow, was ebenfalls lächerlich war, da es in Harlow keine andere Methodistenkirche gab.

Das einzige weitere Gotteshaus in Harlow war die Shiloh Church, deren Mitglieder wir für gemäßigte bis ernsthafte Spinner hielten. Sie fuhren zwar nicht mit Einspännern oder dergleichen durch die Gegend, aber alle Männer und Jungen hatten außerhalb des Hauses einen schwarzen Hut auf. Die Frauen und Mädchen trugen bis zu den Knöcheln reichende Kleider und weiße Hauben. Laut meinem Vater meinten die Shilohiten zu wissen, wann das Ende der Welt komme, weil das angeblich in einem speziellen Buch niedergelegt sei. Laut meiner Mutter hatte jeder in Amerika das Recht zu glauben, was er wollte, solange er niemand Schaden zufügte … aber sie widersprach meinem Vater nicht. Unsere Kirche war größer als die der Shilohiten, aber sehr schlicht. Außerdem hatte sie keinen Turm. Früher hatte sie einmal einen gehabt, aber vor langer Zeit, 1920 oder so, war der bei einem Hurrikan umgefallen.

Reverend Jacobs und ich gingen die ungepflasterte Einfahrtdes Pfarrhauses entlang. Interessanterweise hatte er einen blauen Plymouth Belvedere, ein sehr cooles Auto. »Normale Kupplung oder Druckknopf-Automatik?«, fragte ich.

Er blickte überrascht drein, dann grinste er. »Automatik«, sagte er. »Das ist ein Hochzeitsgeschenk von meinen Schwiegereltern.«

»Die sind aber nett!«

»Na ja«, sagte er und lachte. »Magst du Autos?«

»Alle von uns mögen Autos«, sagte ich, womit ich alle in meiner Familie meinte … wenngleich das auf meine Mutter und Claire wohl weniger zutraf. Irgendwie kapierten Frauen nicht, wie cool Autos waren. »Wenn der Road Rocket repariert ist, nimmt mein Dad damit am Castle-Rock-Speedway teil.«

»Tatsächlich?«

»Na ja, eigentlich nicht er selbst. Mama hat gesagt, das geht nicht, weil es zu gefährlich ist, aber irgendjemand andres. Vielleicht Duane Robichaud. Der führt mit seinen Eltern den Laden hier. Letztes Jahr hat er beim Speedway den Wagen mit der Nummer neun gefahren, aber dann hat der Motor Feuer gefangen. Dad sagt, jetzt sieht er sich nach einem anderen Wagen um.«

»Kommen die Robichauds zur Kirche?«

»Äh …«

»Das heißt wohl nein. Komm mit in die Garage, Jamie.«

Dort war es düster und muffig. Ich fürchtete mich ein bisschen vor den Schatten und dem Geruch, aber Jacobs schien das nichts auszumachen. Er führte mich tiefer ins Dunkel, dann blieb er stehen und hob deutend die Hand. Was ich da sah, verschlug mir den Atem.

Jacobs gluckste leise, wie man es tat, wenn man auf etwas stolz war. »Willkommen am See des Friedens, Jamie.«

»Wow!«

»Den habe ich inzwischen schon mal aufgebaut, während ich auf Patsy und Morrie warte. Eigentlich habe ich noch allerhand im Haus zu tun, und ich habe auch schon eine Menge zustande gebracht – zum Beispiel die Brunnenpumpe repariert –, aber bevor Patsy mit den Möbeln eintrifft, kann ich sonst nicht mehr viel machen. Deine Mutter und die anderen Damen vom Zirkel haben hier alles fantastisch sauber gemacht, Kleiner. Mr. Latoure ist ja immer von Orr’s Island herübergekommen, und es ist schon ewig her, seit hier jemand richtig gewohnt hat. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das. Ich habe mich bei deiner Mutter zwar schon bedankt, aber es würde nicht schaden, wenn du ihr noch mal meinen Dank ausrichtest.«

»Klar, mach ich«, sagte ich, aber ich glaube nicht, dass ich diesen zweiten Dank je weitergegeben habe, denn ich hörte kaum, was er sagte. Meine ganze Aufmerksamkeit war auf den Tisch gerichtet, der fast die Hälfte der Garage in Anspruch nahm. Darauf breitete sich eine grüne, hügelige Landschaft aus, gegen die mein Schädelberg läppisch war. Seither habe ich viele solcher Landschaften gesehen, hauptsächlich im Schaufenster von Spielzeugläden, aber durch die führte immer das Schienennetz einer elektrischen Eisenbahn. Auf dem Tisch, den Reverend Jacobs aufgestellt hatte – eigentlich kein echter Tisch, sondern mehrere Sperrholzplatten auf Sägeböcken –, befand sich kein einziger Zug, sondern nur eine ländliche Miniaturwelt, etwa dreieinhalb Meter lang und eineinhalb Meter breit. Fast fünfzig Zentimeter hohe Hochspannungsmasten marschierten diagonal hindurch. Beherrscht wurde alles von einem See mit echtem Wasser, das selbst in der Dunkelheit hellblau leuchtete.

»Ich muss es bald abbauen, sonst passt der Wagen nicht in die Garage«, sagte er. »Das wäre Patsy gar nicht recht.«

Er beugte sich vor, stützte die Hände auf die Oberschenkel und blickte auf die sanften Hügel, die fadenähnlichen Überlandleitungen, den großen See. Am Ufer grasten Schafe und Kühe (die waren absolut nicht maßstabsgerecht, aber das fiel mir nicht auf, und es wäre mir auch egal gewesen). Außerdem standen da viele Straßenlaternen, was irgendwie merkwürdig war, weil es keine Stadt und keine Straßen gab, die sie hätten beleuchten können.

»Hier könntest du mit deinen Soldaten eine ganz schöne Schlacht schlagen, was?«

»Stimmt«, sagte ich. Einen ganzen Krieg kann ich da führen, dachte ich.

Er nickte. »Das geht allerdings nicht, denn am See des Friedens kommen alle miteinander aus, und es ist nicht erlaubt zu kämpfen. In dieser Hinsicht ist es wie im Himmel. Sobald die Jugendgruppe wieder angefangen hat, will ich das in den Keller rüberschaffen. Vielleicht können du und deine Brüder mir dabei helfen. Es wird den Kindern Spaß machen, glaube ich.«

»Und ob!«, sagte ich und fügte etwas hinzu, was mein Vater oft sagte. »Da würde ich mein letztes Hemd drauf wetten!«

Er lachte und gab mir einen Klaps auf die Schulter. »Na, willst du jetzt ein Wunder sehen?«

»Ich glaube schon«, sagte ich. Eigentlich war ich mir da nicht sicher. Es hörte sich irgendwie gruselig an. Mit einem Mal wurde mir klar, dass wir beide allein in einer alten Garage waren, in der kein Auto stand, in einer staubigen Höhle, die so roch, als wäre sie jahrelang fest verschlossen gewesen. Das Tor nach draußen stand zwar offen, schien aber ewig weit entfernt zu sein. Ich mochte Reverend Jacobs zwar ganz gern, wünschte mir jetzt aber trotzdem, ich wäre zu Hause geblieben, um auf dem Boden zu liegen, Bilder auszumalen und mitzubekommen, ob meine Mutter tatsächlich den Staubsauger und damit endlich die Oberhand in ihrem unaufhörlichen Kampf mit dem Sommerstaub gewann.

Da bewegte Reverend Jacobs die Hand langsam über dem See durch die Luft, und ich vergaß meine Nervosität. Unter den Sperrholzplatten erhob sich ein leises Summen, wie es unser Philco-Fernseher von sich gab, wenn er in Gang kam, und all die kleinen Straßenlaternen flammten auf. Sie waren grellweiß, fast zu hell, als dass man sie direkt anschauen konnte, und sie übergossen die grünen Hügel und das blaue Wasser mit einem magischen Mondschein. Selbst die Kühe und Schafe aus Plastik sahen realistischer aus, möglicherweise weil sie nun Schatten warfen.

»Mensch, wie haben Sie das bloß gemacht?«

Er grinste. »Ziemlich guter Trick, was? ›Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht, und das Licht war gut.‹ Bloß bin ich nicht Gott, weshalb ich mich der Elektrizität bedienen muss. Die ist was Wunderbares, Jamie. Eine solche Gabe Gottes, dass wir uns jedes Mal, wenn wir einen Schalter betätigen, gottähnlich fühlen, meinst du nicht auch?«

»Glaub schon«, sagte ich. »Mein Opa erinnert sich noch daran, als es kein elektrisches Licht gab.«

»Das tun viele Menschen«, sagte er. »Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis all diese Menschen gestorben sind … und wenn es so weit ist, wird niemand mehr groß darüber nachdenken, welch ein Wunder die Elektrizität ist. Und welch ein Geheimnis. Wir haben zwar eine Vorstellung davon, wie sie funktioniert, aber zu wissen, wie etwas funktioniert, und zu wissen, was esist,sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.«

»Wie haben Sie die Lichter eingeschaltet?«, fragte ich.

Er deutete auf ein Brett unterhalb der Tischplatte. »Siehst du das rote Lämpchen da?«

»Mhm.«

»Das ist eine fotoelektrische Zelle. So etwas kann man kaufen, aber die hier habe ich selber gebaut. Sie sendet einen unsichtbaren Strahl aus. Wenn ich den unterbreche, gehen die Straßenlaternen rund um den See des Friedens an. Und wenn ich das noch einmal tue … nämlich so …« Er fuhr mit der Hand über die Landschaft, worauf die Laternen schwächer, dann zu winzigen Lichtpunkten wurden und schließlich erloschen. »Siehst du?«

»Cool«, flüsterte ich.

»Versuch es mal.«

Ich hob die Hand. Erst geschah nichts, aber als ich mich auf die Zehenspitzen stellte, unterbrachen meine Finger den Strahl. Erneut summte es unter dem Tisch, und die Laternen flammten wieder auf.

»Ich hab’s geschafft!«

»Da hätte ich auch mein letztes Hemd drauf gewettet«, sagte er und zauste mir das Haar.

»Was ist das für ein Summen? Das hört sich wie unser Fernseher an.«

»Schau unter den Tisch. Moment, ich knipse das Licht an, damit du besser sehen kannst.« Er betätigte einen Schalter an der Wand, worauf zwei, drei verstaubte Glühbirnen, die von der Decke hingen, aufleuchteten und einen Teil derDunkelheit vertrieben. An dem muffigen Geruch änderte sich freilich nichts, und nun roch ich noch etwas anderes – etwas Heißes und Öliges.

Ich bückte mich – in meinem Alter musste ich mich nicht tief bücken – und blickte unter den Tisch. An der Unterseite waren drei kastenförmige Dinger befestigt. Sie waren der Ursprung des Summens und auch des öligen Geruchs.

»Batterien«, sagte Jacobs. »Die ich ebenfalls selbst gebastelt habe. Elektrizität ist mein Hobby. Und technische Spielereien.« Er grinste wie ein Kind. »Bin richtig verrückt danach! Was meine Frau allerdings fast in den Wahnsinn treibt.«

»Mein Hobby ist, gegen die Krauts zu kämpfen«, sagte ich. Weil mir einfiel, dass das seiner Meinung nach irgendwie gemein war, fügte ich hinzu: »Gegen die Deutschen, wollte ich sagen.«

»Ein Hobby braucht jeder«, sagte er. »Außerdem braucht jeder ein paar Wunder, einfach um zu beweisen, dass das Leben mehr ist als ein langer Trott von der Wiege bis zur Bahre. Möchtest du noch eines sehen, Jamie?«

»Klar!«

In der Ecke stand ein weiterer Tisch, auf dem Werkzeuge, Kabelenden und drei oder vier zerlegte Transistorradios lagen, wie Claire und Andy welche besaßen, ferner normale Batterien, wie man sie im Laden kaufen konnte. Außerdem ein Holzkästchen. Jacobs nahm es, ging in die Hocke, damit wir auf gleicher Höhe waren, klappte es auf und holte eine weiß gewandete Figur heraus.

»Weißt du, wer das ist?«

Das tat ich, weil die Figur fast genauso aussah wie mein fluoreszierendes Nachtlicht. »Jesus. Jesus mit einem Rucksack auf dem Rücken.«

»Das ist kein gewöhnlicher Rucksack, sondern ein Batteriepack. Schau her.« Er klappte den Rucksackdeckel auf, der an einem Scharnier, nicht größer als eine Nähnadel, befestigt war. Im Inneren steckten zwei Dinger, die wie glänzende Münzen mit einem winzigen Fleck Lötzinn darauf aussahen. »Die habe ich auch selber gemacht, weil man im Laden nichts kaufen kann, was so klein und doch so kraftvoll ist. Ich könnte sie wahrscheinlich patentieren lassen, und vielleicht tue ich das eines Tages auch, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Nicht so wichtig.«

Er klappte den Deckel des Rucksacks wieder zu und trug Jesus zu der Landschaft am See des Friedens. »Hoffentlich ist dir aufgefallen, wie blau das Wasser ist«, sagte er.

»Na klar! Der blaueste See, den ich je gesehen hab!«

Er nickte. »An und für sich schon ein Wunder, würde man meinen … bis man genauer hinschaut.«

»Hä?«

»In Wirklichkeit ist es bloß Farbe. Darüber sinne ich manchmal nach, Jamie. Wenn ich nachts nicht einschlafen kann. Dass man mit ein wenig Farbe derart seichtes Wasser so tief erscheinen lassen kann.«

Es kam mir ziemlich albern vor, über so etwas nachzudenken, aber ich sagte nichts. Dann kam er wieder in die Gegenwart zurück und stellte Jesus neben den See.

»Ich habe vor, das in der Jugendgruppe zu verwenden – so was bezeichnet man als Lehrmittel –, aber ich werde dir schon mal eine kleine Probevorführung präsentieren, ja?«

»Okay.«

»Na dann: So steht geschrieben im vierzehnten Kapitel des Evangeliums nach Matthäus. Wirst du dich von Gottes heiligem Wort belehren lassen, Jamie?«

»Klar, ich denke schon«, sagte ich, fühlte mich jedoch schon wieder unbehaglich.

»Bestimmt wirst du das«, sagte er. »Was wir als Kinder lernen, bleibt nämlich am längsten haften. Okay, los geht’s, also hör gut zu. ›Und alsbald trieb Jesus seine Jünger‹ – das heißt, er befahl es ihnen –, ›dass sie in das Schiff traten und vor ihm herüberfuhren, bis er das Volk von sich ließe. Und da er das Volk von sich gelassen hatte, stieg er auf einen Berg allein, dass er betete …‹Betest du eigentlich, Jamie?«

»Ja, jeden Abend.«

»Guter Junge. Okay, zurück zu unserer Geschichte. ›Und am Abend war er allein daselbst. Und das Schiff war schon mitten auf dem Meer und litt Not von den Wellen; denn der Wind war ihnen entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und sprachen: Es ist ein Gespenst! und schrien vor Furcht. Aber alsbald redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!‹ Das war die Geschichte, möge Gott sein heiliges Wort segnen. Nicht schlecht, was?«

»Ja, schon. Manche sagen doch auch dazu, dass er über das Wasser gewandelt ist, oder?«

»Stimmt. Möchtest du sehen, wie Jesus über den See des Friedens wandelt?«

»Ja! Klar!«

Er griff Jesus unter das weiße Gewand, worauf das Figürchen sich zu bewegen begann. Als es den See erreichte, versank es nicht darin, sondern glitt einfach über das Wasser. Nach etwa zwanzig Sekunden hatte es die andere Seite erreicht. Dort war ein Hang, und es versuchte, ihn zu erklimmen, aber ich sah, dass es gleich umfallen würde. Bevor das geschah, nahm Reverend Jacobs es an sich. Er griff Jesus wieder unters Gewand und stellte ihn ab.

»Er hat’s geschafft!«, sagte ich. »Er ist über das Wasser gegangen!«

»Hm …« Reverend Jacobs lächelte, aber irgendwie war es kein fröhliches Lächeln. Ein Mundwinkel war nach unten gezogen. »Ja und nein.«

»Was meinen Sie damit?«

»Siehst du, wo er ins Wasser gegangen ist?«

»Ja …«

»Fass da mal rein, und schau, was du findest. Pass auf, dass du dabei nicht an die Überlandleitungen kommst, weil da echter Strom durchfließt. Nicht viel, aber wenn man sie versehentlich berührt, kriegt man einen Schlag. Vor allem, wenn man nasse Hände hat.«

Vorsichtig streckte ich die Hand aus. Ich hatte zwar nicht den Eindruck, dass er mir einen Streich spielen wollte – wie es Terry und Con manchmal taten –, aber ich war mit einem fremden Mann an einem fremden Ort, weshalb ich mir nicht völlig sicher war. Das Wasser sah tief aus, aber das war eine von der blauen Farbe des Untergrunds und den von der Oberfläche reflektierten Lichtern geschaffene Illusion. Meine Finger tauchten nur bis zum ersten Gelenk ein.

»Du bist noch nicht ganz an der richtigen Stelle«, sagte Reverend Jacobs. »Geh ein kleines bisschen nach rechts. Du weißt doch, was rechts und was links ist?«

Klar. Meine Mutter hatte mir beigebracht: Rechts ist die Hand, mit der man schreibt. Bei Claire und Con hätte das freilich nicht geklappt, denn die waren Linkshänder.

Als ich die Finger nach rechts bewegte, spürte ich etwas im Wasser. Es war eine Rille aus Metall. »Ich glaube, ich hab’s gefunden«, sagte ich zu Reverend Jacobs.

»Das glaube ich auch. Du berührst die Schiene, auf der Jesus wandelt.«

»Es ist ein Zaubertrick!«, sagte ich. Magier hatte ich schon in derEd Sullivan Showgesehen, und Con besaß einen Kasten mit Zaubertricks, den er zum Geburtstag bekommen hatte. Inzwischen war allerdings alles außer den schwimmenden Kugeln und dem verschwindenden Ei verloren gegangen.

»Das stimmt.«

»Wie damals, als Jesus übers Wasser zu diesem Boot gegangen ist!«

»Das befürchte ich manchmal auch«, sagte er.

Er sah so traurig und abwesend aus, dass mir wieder etwas mulmig zumute war, aber außerdem tat er mir leid. Wobei ich keinerlei Ahnung hatte, wieso er traurig sein musste, wenn er eine so tolle künstliche Welt wie den See des Friedens in seiner Garage stehen hatte.

»Das ist ein wirklich guter Trick«, sagte ich und tätschelte ihm die Hand.

Er kehrte von dort, wo er gewesen war, zurück und grinste mich an. »Da hast du recht«, sagte er. »Wahrscheinlich vermisse ich bloß meine Frau und meinen kleinen Sohn. Ich glaube, deshalb habe ich dich mir ausgeliehen, Jamie. Aber jetzt sollte ich dich zu deiner Mutter zurückbringen.«

Als wir die Landstraße erreichten, nahm er mich wieder bei der Hand, obwohl aus keiner Richtung ein Auto kam, und so gingen wir die ganze Methodist Road hinauf. Ich hatte nichts dagegen, denn ich hielt gern seine Hand. Er behütete mich, das wusste ich.

Einige Tage später trafen Mrs. Jacobs und Morris ein. Letzterer war bloß ein kleiner Wicht in Windeln, aber sie war hübsch. Am Samstag, dem Tag, bevor Reverend Jacobs zum ersten Mal auf der Kanzel unserer Kirche stand, halfen Terry, Con und ich ihm, den See des Friedens in den Keller des Pfarrhauses zu schaffen, wo sich an jedem Donnerstagabend die Jugendgruppe treffen sollte. Wenn sich kein Wasser im See befand, sah man deutlich, wie seicht er war. Auch die Schiene mit der Rille, die hindurchführte, war klar erkennbar.

Reverend Jacobs nahm Terry und Con das Versprechen ab, nichts zu verraten – damit den Kleinen die Illusion nicht verdorben werde, sagte er (weshalb ich mich wie ein Großer fühlte, was ich genoss). Die beiden waren einverstanden, und ich glaube, sie haben den Mund gehalten, aber die Lampen im Pfarrhauskeller waren wesentlich heller als jene in der Garage, und wenn man sich direkt vor die Landschaft stellte, um sie anzuschauen, dann sah man, dass der See des Friedens in Wirklichkeit nur eine große Pfütze war. Die Schiene konnte man ebenfalls sehen. Bis Weihnachten wussten alle Bescheid.

»Es ist bloß ein stinklangweiliger Schwindel«, sagte Billy Paquette an einem Donnerstagnachmittag zu mir. Er und sein Bruder Ronnie hassten die Jugendgruppe, aber ihre Mutter zwang sie hinzugehen. »Wenn er es noch ein einziges Mal vorführt und dabei den Quatsch erzählt, wie Jesus übers Wasser gewandelt ist, muss ich kotzen.«

Ich überlegte, ob ich mich deshalb mit ihm prügeln sollte, aber er war größer. Außerdem war er mein Freund. Ganz zu schweigen davon, dass er recht hatte.

II

Drei Jahre. Conrads Stimme. Ein Wunder.

Vor die Tür gesetzt wurde Reverend Jacobs wegen der Predigt, die er am 21. November 1965 auf seiner Kanzel hielt. Letzteres war im Internet leicht zu recherchieren, weil ich einen Anhaltspunkt hatte – es war der Sonntag vor Thanksgiving. Eine Woche später war er aus unserem Leben verschwunden, und zwar allein. Patsy und Morris, der von den Kindern in der Jugendgruppe als Morrie das Klettchen bezeichnet wurde, waren da bereits nicht mehr bei uns. Ebenso wenig wie der Plymouth Belvedere mit der Druckknopf-Automatik.

Meine Erinnerungen an die drei Jahre zwischen dem Tag, an dem ich den See des Friedens zum ersten Mal sah, und dem Tag der Furchtbaren Predigt sind erstaunlich deutlich, obwohl ich vor der Niederschrift dieses Berichts behauptet hätte, ich wisse nicht mehr viel davon. Wie viele von uns, hätte ich gefragt, erinnern sich an irgendwelche Einzelheiten aus der Zeit, in der sie sechs bis neun Jahre alt waren? Aber zu schreiben ist etwas gleichermaßen Wunderbares und Schreckliches. Es öffnet tiefe Brunnen der Erinnerung, die bis dahin fest verschlossen waren.

Ich könnte den Bericht, dessen Niederschrift ich mir vorgenommen habe, wahrscheinlich beiseiteschieben und stattdessen ein ganzes Buch – und zwar kein kleines – mit jenen Jahren und jener Welt füllen, die ganz anders ist als die, in der ich heute lebe. Ich erinnere mich daran, wie meine Mutter in ihrem Unterrock am Bügelbrett stand, unglaublich schön im Licht der Morgensonne. Ich erinnere mich an meine schlaff am Hintern hängende, scheußlich lodengrüne Badehose, in der ich mit meinen Brüdern im Harry’s Pond schwimmen ging. Wir machten uns gegenseitig vor, der schleimige Grund sei Kuhscheiße, aber es war nur Schlamm (wahrscheinlichwar es nur Schlamm). Ich erinnere mich an schläfrige Nachmittage in der Einraumschule von West Harlow, an denen ich mit Dicky Osgood in der Buchstabierecke saß. Wir hockten auf unseren Winterjacken, während ich versuchte, dem armen dämlichen Kerl beizubringen, wie manGiraffebuchstabierte. Ich erinnere mich sogar noch, wie er sagte: »W-w-warum s-soll ich so was b-b-buchstabieren, wo ich doch nie eine zu s-s-sehenkriege?«

Ich erinnere mich an das Netzwerk aus ungepflasterten Straßen, das unseren Ort durchzog, und daran, wie wir an eiskalten Apriltagen in der Pause im Schulhof Murmeln spielten, und an das Rauschen des Windes in den Tannen, wenn ich nach dem Nachtgebet im Bett lag und aufs Einschlafen wartete. Ich erinnere mich, wie mein Vater mit einem Schraubenschlüssel in der Hand aus der Garage kam, die Mütze mit dem AufdruckMORTON HEIZÖLtief in die Stirn gezogen. Durch das Schmierfett auf seinen Fingerknöcheln quoll Blut. Ich erinnere mich, wie Ken MacKenzie in derMighty 90 Showdie Zeichentrickfilme mit Popeye ankündigte und dass ich nachmittags den Fernseher abgeben musste, wenn Claire mit ihren Freundinnen nach Hause kam, weil die dann aufAmerican Bandstandumschalten wollten, um zu sehen, was die Mädchen dort trugen. Ich erinnere mich an Sonnenuntergänge, die so rot wie das Blut auf den Knöcheln meines Vaters waren, was mich noch jetzt zum Zittern bringt.

Ich erinnere mich an tausend weitere Dinge, hauptsächlich gute, aber ich habe mich nicht an den Computer gesetzt, um eine rosa Brille aufzusetzen und in Nostalgie zu schwelgen. Die selektive Erinnerung ist eine der Hauptsünden älterer Menschen, und dafür habe ich keine Zeit. Es war nicht alles gut. Wir wohnten auf dem Land, und damals war das Landleben hart. Wahrscheinlich ist es das heute noch.

Mein Freund Al Knowles geriet mit der linken Hand in den Kartoffelsortierer seines Vaters und verlor drei Finger, bevor es Mr. Knowles gelang, das widerspenstige, gefährliche Ding auszuschalten. Ich war an jenem Tag dabei und weiß noch, wie die Bänder sich rot färbten. Ich weiß noch, wie Al schrie.

Mein Vater (unterstützt von Terry, seinem treuen, wenn auch ahnungslosen Gehilfen) brachte den Road Rocket zum Laufen – mein Gott, was für ein prachtvolles Knattern die Karre von sich gab, wenn Dad den Motor auf Touren brachte! – und stellte ihn Duane Robichaud zur Verfügung, damit der ihn beim Speedway in Castle Rock fahren konnte, frisch lackiert und mit der Nummer19auf den Seiten. In der ersten Runde des ersten Rennens überschlug sich der Idiot damit – Totalschaden. Duane trug nicht einmal einen Kratzer davon. »Ich glaub, das Gaspedal hat geklemmt«, sagte er und grinste sein dämliches Grinsen, worauf mein Vater kommentierte, mit einem solchen Arsch am Lenkrad sei das kein Wunder.

»Das wird dich lehren, einem Robichaud was Wertvolles anzuvertrauen«, sagte meine Mutter, und mein Vater schob die Hände so tief in die Taschen, dass der Bund seiner Unterhose zum Vorschein kam. Vielleicht wollte er dafür sorgen, dass sie ihm nicht entkamen und irgendwohin gelangten, wo sie nicht hinsollten.

Lenny Macintosh, der Sohn vom Postboten, verlor ein Auge, als er sich bückte, um zu sehen, wieso der Kanonenschlag, den er in eine leere Ananasdose gesteckt hatte, nicht losging.

Mein Bruder Conrad verlor die Stimme.

Daher – nein, es war nicht alles gut.

Am ersten Sonntag, an dem Reverend Jacobs auf die Kanzel stieg, waren mehr Leute anwesend als in all den Jahren, in denen der dicke, weißhaarige, gutmütige Mr. Latoure die Kirche in Betrieb gehalten hatte. Er hatte wohlgemeinte, aber unverständliche Predigten gehalten, wobei er am Muttertag, den er den Müttersonntag nannte, immer in Tränen ausgebrochen war (diese Einzelheiten hat meine Mutter mir Jahre später erzählt, ich selbst hatte kaum Erinnerungen an Mr. Latoure). Statt zwanzig Kirchgängern waren mindestens viermal so viele da, und ich erinnere mich, wie ihre Stimmen sich beim Lobpreis emporschwangen:Preist Gott, der uns den Segen gibt, preist ihn, der unsre Schuld vergibt!Ich bekam eine Gänsehaut. Außerdem konnte Mrs. Jacobs gut mit der Pedalorgel umgehen, und ihr blondes Haar, im Nacken von einem einfachen schwarzen Band zusammengehalten, leuchtete vielfarbig im Licht, das durch unser einziges Buntglasfenster fiel.

Als unsere guten Sonntagsschuhe beim Heimweg Staubwölkchen aufstieben ließen, ging ich direkt hinter unseren Eltern und hörte, wie Mutter ihre Anerkennung äußerte. Und ihre Erleichterung. »Ich dachte, weil er so jung ist, hält er uns womöglich einen Vortrag über Bürgerrechte oder darüber, dass man den Wehrdienst abschaffen sollte«, sagte sie. »Stattdessen haben wir eine sehr nette, bibeltreue Belehrung gehört. Ich glaube, die Leute werden wiederkommen, meinst du nicht auch?«

»Eine Zeit lang«, sagte mein Vater.

»Ach, da spricht mal wieder der große Ölbaron«, sagte sie und boxte ihm spielerisch gegen den Arm. »Der große Zyniker.«

Wie sich herausstellte, hatten sie beide irgendwie recht. Die Zahl der Kirchgänger ging nie auf das Niveau zur Zeit von Mr. Latoure zurück – im Winter hatte sich da nur ein kleiner Haufen in dem zugigen, mit einem Holzofen geheizten Raum zusammengedrängt, um es wärmer zu haben –, aber sie sank langsam auf sechzig, dann auf fünfzig und schließlich auf ungefähr vierzig, von wo aus sie wie das Barometer an einem unbeständigen Sommertag auf und ab schwankte. Für den Rückgang machte allerdings niemand die Predigten von Mr. Jacobs verantwortlich, die immer klar, ansprechend und bibeltreu waren (sie enthielten nie etwas Beunruhigendes über Atombomben oder Bürgerrechtsdemonstrationen). Man erschien einfach nicht mehr so zahlreich.

»Heutzutage ist Gott für die Leute nicht mehr so wichtig«, sagte meine Mutter eines Tages nach einer besonders enttäuschenden Zahl von Kirchenbesuchern. »Es wird noch ein Tag kommen, an dem sie das bereuen.«

Während dieser drei Jahre erlebte auch unsere methodistische Jugendgruppe eine bescheidene Renaissance. Zu Mr. Latoures Zeiten waren am Donnerstagabend selten mehr als ein Dutzend Kinder zugegen gewesen, und vier davon hießen Morton: Claire, Andy, Con und Terry. Damals galt ich fürs Teilnehmen noch als zu jung, weshalb Andy mir manchmal eine Kopfnuss verpasste und mich als Glückspilz bezeichnete. Als ich Terry einmal fragte, wie es gewesen sei, zuckte er gelangweilt die Achseln. »Wir haben Lieder gesungen, Bibelverse gepaukt und versprochen, dass wir nie Alkohol trinken und Zigaretten rauchen werden. Außerdem hat er uns gesagt, wir sollen unsere Mutter lieben und dass die Katholen in die Hölle kommen, weil sie Götzen anbeten. Und wie sehr die Juden das Geld lieben. Und er meint, wir sollen uns vorstellen, dass Jesus zuhört, wenn einer von unseren Freunden einen dreckigen Witz erzählt.«

Unter der neuen Leitung wuchs die Teilnehmerzahl jedoch auf drei Dutzend Kinder und Jugendliche zwischen sechs und siebzehn an, weshalb man für den Pfarrhauskeller zusätzliche Klappstühle kaufen musste. Es lag nicht an dem mechanischen Jesus, den Reverend Jacobs über den See des Friedens wackeln ließ; selbst ich fand das bald nicht mehr besonders spannend. Auch die Bilder vom Heiligen Land, die er an die Wände hängte, hatten wohl nicht viel damit zu tun.

Eine wichtige Rolle spielten seine Jugend und sein Enthusiasmus. Er predigte nicht nur, sondern veranstaltete auch Spiele und anderen Zeitvertreib, weil – wie er regelmäßig erwähnte – Jesus meistens im Freien gepredigt habe, was bedeute, dass das Christentum nicht nur in der Kirche stattfinde. Wir lernten zwar weiter Bibelverse, aber dabei spielten wir Reise nach Jerusalem, und ziemlich oft fiel jemand bei der Suche nach dem fünften Buch Mose, Kapitel 14, Vers 9 oder nach 1 Timotheus 2, 12 auf den Boden. Das war ziemlich komisch. Außerdem gab es den Übungsplatz, den der Reverend mit Unterstützung von Con und Andy hinter der Kirche gebaut hatte. An manchen Donnerstagen spielten wir Jungen Baseball, während die Mädchen uns anfeuerten; an anderen Tagen spielten die Mädchen Softball, und die Jungen feuerten sie an (in der Hoffnung, dass einige der Mädchen mal vergaßen, dass sie an der Reihe waren, und im Rock kamen).

Bei den »Jugendvorträgen«, die Reverend Jacobs am Donnerstagabend hielt, kam oft sein Interesse an der Elektrizität zur Geltung. Ich erinnere mich, dass er eines Nachmittags bei uns zu Hause anrief und Andy bat, am nächsten Abend einen Pullover zu tragen. Als wir alle versammelt waren, rief er meinen Bruder nach vorn und sagte, nun wolle er demonstrieren, welche Bürde die Sünde darstelle. »Wenngleich ich mir sicher bin, dassdukein großer Sünder bist, Andrew«, fügte er hinzu.

Mein Bruder lächelte nervös und sagte nichts.

»Ich will euch damit keine Angst machen«, sagte der Reverend. »Es gibt Pfarrer, die an so was glauben, aber so einer bin ich nicht. Es ist bloß, damit ihr Bescheid wisst.« (Wieich inzwischen erfahren habe, ist dies genau das, was gewisse Leute uns erzählen, bevor sie uns einen Heidenschrecken einzujagen versuchen.)

Er blies mehrere Luftballons auf und sagte, wir sollten uns vorstellen, jeder wiege zwanzig Pfund. Dann hielt er den ersten in die Höhe und meinte: »Der hier lügt.« Er rieb ihn kurz ein paarmal an seinem Hemd, dann hielt er ihn an Andys Pullover, wo er wie festgeklebt hängen blieb.

»Der hier ist Diebstahl.« Er brachte den nächsten Ballon an Andys Pulli an.

»Das ist der Zorn.«

Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber ich glaube, dass er insgesamt sieben Luftballons an Andys selbst gestrickten Rentierpullover klebte, einen für jede der Todsünden.

»Das macht zusammen mehr als einen Zentner an Sünden«, sagte er. »Eine schwere Last! Doch wer nimmt hinweg die Sünden der Welt?«

»Jesus!«, ertönte es pflichtschuldig im Chor.

»Genau. Wenn ihr ihn um Vergebung bittet, geschieht Folgendes.« Er zog eine Stecknadel hervor und ließ die Ballons nacheinander platzen, auch einen, der sich befreit hatte und wieder angeklebt werden musste. Ich glaube, wir alle fanden diesen Teil der Lektion wesentlich spannender als den frommen Trick mit der statischen Elektrizität.

Die eindrucksvollste Demonstration der Wirkung von Elektrizität gelang ihm mit einer eigenen Erfindung, die er Jakobsleiter nannte. Es war ein Kasten aus Metall, etwa so groß wiedie Feldkiste, in der meine Spielzeugarmee hauste. Oben ragten zwei Drähte heraus, die wie die Zimmerantenne eines Fernsehers aussahen. Wenn er den Apparat anschloss (diese Erfindung wurde statt von Batterien vom Stromnetz gespeist) und den Schalter an der Seite umlegte, stiegen lange Funken an den Drähten empor, fast zu hell zum Hineinschauen. Ganz oben erreichten sie ihre größte Länge und verschwanden anschließend. Als Reverend Jacobs etwas Puder über den Apparat streute, nahmen die aufsteigenden Funken verschiedene Farben an. Die Mädchen kreischten vor Entzücken.

Auch dies sollte irgendeine religiöse Aussage verdeutlichen – zumindest nach Absicht von Charles Jacobs –, aber ich habe beim besten Willen keine Ahnung mehr, welche. Vielleicht ging es um die heilige Dreifaltigkeit. Sobald die Jakobsleiter direkt vor uns stand und wir sahen, wie die farbigen Funken aufstiegen und die Elektrizität wie ein wütender Kater fauchte, klangen solche exotischen Vorstellungen meist wie ein flüchtiges Fieber ab.