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In Walter Scotts historischem Roman "Rob Roy" entfaltet sich das eindrucksvolle Portrait des schottischen Highlanders Robert Roy MacGregor, der zwischen Loyalität und gesetzlichem Unrecht hin- und hergerissen ist. Mit einem eindringlichen, atmosphärischen Schreibstil gelingt es Scott, die raue Schönheit der schottischen Landschaft und die leidenschaftlichen Konflikte der Zeit um 1715 lebendig werden zu lassen. Durch einen meisterhaften Einsatz von Dialog und lebendigem Erzählen wird der Leser in eine Welt von Intrigen, Freundschaft und Verrat gezogen, die die Ungerechtigkeiten der damaligen Gesellschaft eindrucksvoll reflektiert und beleuchtet. Walter Scott, ein Schlüsselfigur der schottischen Literatur und Begründer des historischen Romans, schöpft aus seiner eigenen Herkunft und seinem tiefen Verständnis für schottische Geschichte und Folklore. Seine Werke sind oft von einem ausgeprägten Nationalbewusstsein geprägt, und "Rob Roy" ist keine Ausnahme, da er das Leben der Highlander und die Themen von Identität und Freiheit eindrucksvoll darstellt. Scott war nicht nur ein begabter Schriftsteller, sondern auch ein Historiker und Antiquar, was seinen Romanen eine fundierte historische Basis verleiht. "Rob Roy" ist ein unverzichtbarer Roman für jeden Leser, der sich für Schottlands Geschichte interessiert oder die Tragik und den Theatralismus des menschlichen Schicksals erforschen möchte. Scotts kunstvoller Umgang mit Charakteren und seinem erzählerischen Gespür macht diesen Roman zu einer fesselnden Lektüre, die sowohl unterhaltsam als auch lehrreich ist. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Zwischen Gesetz und Loyalität, Handel und Ehre, entfaltet sich ein Ringen um Identität, das weit über seine Zeit hinausweist. In diesem Spannungsfeld steht Rob Roy, ein historischer Roman, der die Konfliktlinien einer Gesellschaft sichtbar macht, die sich zwischen Tradition und Modernisierung zerreibt. Die Geschichte führt in ein Schottland, das politisch gespalten, kulturell vielfältig und wirtschaftlich im Aufbruch ist. Dabei verknüpft das Werk persönliche Entscheidungen mit kollektiven Umbrüchen und zeigt, wie privates Handeln und öffentliche Ereignisse ineinandergreifen. Der Roman lädt dazu ein, die Grauzonen auszuloten, in denen Recht, Moral und politisches Kalkül miteinander ringen.
Rob Roy gilt als Klassiker, weil er das Genre des historischen Romans in einer bis dahin unerreichten Breite und Tiefe auslotet. Walter Scott verbindet fiktive Handlung, historisches Kolorit und reflektierte Zeitbeobachtung zu einer kunstvollen Einheit. Der Roman prägte nachhaltig die literarische Vorstellung davon, wie Vergangenheit erzählt werden kann: nicht als bloße Chronik, sondern als lebendige Bühne, auf der Ideen, Interessen und Menschen aufeinanderprallen. Viele spätere Autoren griffen Scotts Verfahren auf, Geschichte über exemplarische Figuren und soziale Räume erfahrbar zu machen. Das Werk verbindet Spannung mit kulturgeschichtlicher Einsicht und verleiht der Vergangenheit eine fassbare Gegenwärtigkeit.
Verfasst wurde Rob Roy von Sir Walter Scott (1771–1832), einem der zentralen Gestalter der europäischen Romankunst des 19. Jahrhunderts. Er erschien erstmals 1817, im Kontext jener Reihe historischer Erzählungen, die gemeinhin als Waverley-Romane bekannt sind. Scott veröffentlichte damals oft ohne Namensnennung und knüpfte an den großen Erfolg von Waverley an. Rob Roy setzt diese Linie fort, indem es erfundene Figuren in einen präzise gezeichneten historischen Rahmen stellt. Entstehungszeit und Veröffentlichungsumstände spiegeln Scotts künstlerisches Programm: Geschichte wird als Erfahrungsraum gestaltet, in dem unterschiedliche soziale, sprachliche und politische Kräfte aufeinandertreffen.
Die Handlung ist im frühen 18. Jahrhundert angesiedelt, zur Zeit der Unruhen um den Thronstreit und die Erhebung des Jahres 1715. Scott zeigt ein Schottland zwischen Lowlands und Highlands, zwischen aufstrebendem Handel – etwa im Umfeld von Glasgow – und den traditionellen Bindungen der Clans. Die geografische und soziale Vielfalt bildet das Fundament, auf dem die Figuren agieren. Militärische Spannungen, ökonomischer Umbruch und lokale Loyalitäten kreuzen sich in Alltagsbegegnungen, Reisen und Geschäftsangelegenheiten. So entfaltet der Roman sein Panorama nicht als Schlachtenbericht, sondern durch Orte, Wege, Grenzräume und die Menschen, die sie passieren.
Ausgangspunkt ist ein junger Engländer, der durch familiäre und geschäftliche Umstände in den Norden geführt wird. Zwischen Kontorbüchern und Landstraßen, Stadtgesprächen und Bergpfaden begegnet er Landschaften, Sitten und Interessen, die seine bisherigen Gewissheiten in Frage stellen. In diesem Rahmen trifft er auf Rob Roy MacGregor, eine historische Gestalt, die Scott zu einer vielschichtigen Figur ausgestaltet. Mehr soll hier nicht vorweggenommen werden: Der Roman entfaltet seine Spannung gerade daraus, wie private Motive, unerwartete Begegnungen und die politische Lage unaufldringlich, doch spürbar, zusammenwirken.
Zentrale Themen sind Identität und Zugehörigkeit, Loyalität und Verrat, Gesetz und Gerechtigkeit. Scott interessiert weniger die abstrakte Theorie als die Konsequenz von Entscheidungen im sozialen Gefüge. Der Roman zeigt, wie ökonomische Interessen und persönliche Ehre aufeinandertreffen, und wie Menschen in Übergangszeiten nach festen Maßstäben suchen. Der Gegensatz von Handelswelt und Clanordnung ist dabei kein bloßes Schlagwort, sondern ein Erfahrungsraum, der Verhandlungsbereitschaft, Konfliktfähigkeit und moralische Standfestigkeit verlangt. Diese Konstellationen verleihen dem Werk seine anhaltende Überzeugungskraft und seine Unmittelbarkeit für Lesende verschiedener Generationen.
Rob Roy erscheint nicht als eindimensionaler Räuber, sondern als Figur, an der sich Fragen nach Autorität, Verantwortung und Solidarität bündeln. Scott macht begreiflich, warum ein Mann außerhalb der gesetzlichen Ordnung zugleich Repräsentant einer sozialen Ethik sein kann, die von Ehre, Schutzpflicht und Vermittlung lebt. Die Figur trägt Züge des Volkshelden, ohne romantische Verklärung ungebrochen zu übernehmen. Sie steht in einem Netz von Abhängigkeiten und Interessen, das die Entscheidungen kompliziert und die moralische Welt grau schattiert. Gerade diese Ambivalenz trägt die erzählerische Spannung und lässt historische Wirklichkeit vielstimmig erscheinen.
Erzählt wird vorwiegend aus der Perspektive eines Ich-Erzählers, dessen Blick sowohl Begrenzung als auch Erkenntnisinstrument ist. Die subjektive Wahrnehmung erzeugt Nähe, während Ironie und Beobachtungsgabe Distanz schaffen. Scott mischt Reiseszenen, Dialoge, humorvolle Zwischentöne und politische Seitenblicke zu einem beweglichen Erzählfluss. Sprachliche Register wechseln, je nachdem, ob städtische Salons, Wirtshäuser, Kanzleien oder Bergtäler betreten werden. Dialektfärbungen und idiomatische Eigenheiten werden genutzt, um Stimmen unterscheidbar zu machen, ohne die Lesbarkeit zu opfern. So entsteht ein Klangraum, der soziale Schichtung und regionale Herkunft hörbar werden lässt.
Besonders eindrücklich ist die Gestaltung der Räume. Wege, Pässe, Flüsse und Grenzlinien sind nicht nur Kulisse, sondern Handlungsträger. Die Landschaft der Highlands fungiert als moralische und politische Geographie, in der Nähe und Distanz, Schutz und Gefahr, Bekanntes und Fremdes verhandelt werden. Gleichzeitig gewinnt das urbane Milieu an Kontur: Kaufhäuser, Kontore und Hafenanlagen stehen für neue Dynamiken der Zeit. Scott verknüpft individuelle Bewegung im Raum mit den Bewegungen der Geschichte und zeigt, wie Geografie Denk- und Lebensformen prägt – und umgekehrt von ihnen geprägt wird.
Zeitgenössisch erreichte der Roman ein breites Publikum und trug wesentlich zur Popularisierung des historischen Erzählens bei. Er wurde bald in mehrere Sprachen übertragen und prägte Bilder von Schottland, die bis heute nachwirken. Das Werk trug dazu bei, die Figur Rob Roy MacGregors im europäischen Kulturgedächtnis zu verankern und das Interesse an den Highlands anzuregen. Auch über Großbritannien hinaus lieferte es Anknüpfungspunkte für Autorinnen und Autoren, die Geschichte als Bühne moralischer und sozialer Konflikte begreifen. So steht Rob Roy zugleich für Unterhaltung, Bildung und kulturelle Imagination.
Für heutige Leserinnen und Leser bietet der Roman ein Gleichgewicht von Handlung, Charakterstudien und historischer Atmosphäre. Sein Tempo entsteht weniger aus Effekten als aus kluger Spannungsführung, klaren Motivlagen und präzisen Ortswechseln. Ausgaben mit Erläuterungen erleichtern den Zugang zu historischen Anspielungen und sprachlichen Besonderheiten, ohne den Lesefluss zu stören. Wer sich auf Scotts Welt einlässt, entdeckt ein weites Panorama, das mit genauer Beobachtung, feinem Humor und empathischer Figurenzeichnung überzeugt. Die erzählerische Komposition trägt die Lektüre über lange Strecken, weil Szenen, Stimmen und Räume sorgfältig aufeinander bezogen sind.
Rob Roy ist heute relevant, weil er zeigt, wie Gesellschaften mit Wandel umgehen: mit Konflikt, Kompromiss und Charakter. Das Buch macht erfahrbar, wie Recht entsteht, wie Macht sich legitimiert und wie Menschen sich in Spannungsfeldern behaupten. Seine zeitlosen Qualitäten liegen in der erzählerischen Großzügigkeit, der Vielstimmigkeit der Figuren und der Bereitschaft, Ambivalenz nicht zu glätten. Es lädt ein, historische Distanz als Erkenntnischance zu nutzen und zugleich Gegenwartsfragen zu stellen: nach Zugehörigkeit, Integrität, ökonomischem Druck und ziviler Courage. In dieser Verbindung von Geschichte und Gegenwart liegt seine anhaltende Kraft.
Rob Roy, 1817 erschienen und Teil von Walter Scotts Waverley-Romanen, verknüpft Abenteuer, Liebesgeschichte und Zeitkritik mit den politischen Spannungen um die jakobitischen Unruhen von 1715. Erzählt wird in der Ich-Perspektive des jungen Engländers Frank Osbaldistone, Sohn eines Londoner Kaufmanns. Der Roman führt von Handelskontoren und Landgütern in England zu Städten und Tälern in Schottland. Die Handlung entfaltet sich entlang persönlicher Entscheidungen, die in größere gesellschaftliche Konflikte eingebettet sind. Zentrale Themen sind Loyalität, Ehre, wirtschaftliche Modernisierung und kulturelle Identität, symbolisiert durch die Figur des Highlanders Rob Roy MacGregor, der als schillernder Außenseiter das Geschehen überstrahlt.
Zu Beginn weigert sich Frank, in das väterliche Handelshaus einzutreten, weil er andere Neigungen verfolgt. Als Konsequenz wird er auf das Anwesen seines Onkels, Sir Hildebrand Osbaldistone, nach Northumberland geschickt. Dort begegnet er einer großen, eigenwilligen Verwandtschaft, deren traditionelle Sympathien den politischen Umbrüchen der Zeit oft entgegenstehen. Besonders prägend wird die Bekanntschaft mit Diana Vernon, einer klugen jungen Frau, deren familiäre und religiöse Bindungen ihre Unabhängigkeit einschränken. Die Atmosphäre von Osbaldistone Hall verbindet Stolz und Verfall, gesellige Jagden und alte Loyalitäten – ein Gegenentwurf zum nüchternen Londoner Geschäftsleben, das Franks Vater repräsentiert.
Im Haus tritt auch Franks Cousin Rashleigh hervor, gebildet, gewandt und undurchsichtig. Zwischen Frank und Rashleigh entsteht eine leise, aber andauernde Rivalität, genährt von Charaktergegensätzen und unausgesprochenen Erwartungen der Familie. Als Franks Vater einen verlässlichen Vertreter für sein Unternehmen braucht, fällt die Wahl auf Rashleigh – eine Entscheidung, die ihm Einfluss und Zugang zu wichtigen Papieren verschafft. Diese Entsendung verschiebt die Kräfteverhältnisse: Pflichtgefühl, persönliche Abneigung und die Sorge um Dianas Zukunft verdichten sich zu einem Konflikt, der Frank aus der Beobachterrolle drängt und seine nächsten Schritte bestimmt.
Kurz darauf werden entscheidende Finanzunterlagen des Handelshauses – von existenzieller Bedeutung für Liquidität und Reputation – unterschlagen. Der Verdacht fällt auf Rashleigh, dessen Loyalität fraglich ist. Für Frank verknüpfen sich familiäre Ehre und berufliche Verantwortung: Um Schaden abzuwenden, verfolgt er die Spur nach Norden. Was als wirtschaftliche Mission beginnt, öffnet den Blick auf politische Gärung, regionale Gegensätze und die Fragilität rechtlicher Ordnung. Die Reise markiert den Übergang von privatem Zwist zu einem größeren Schauplatz, auf dem persönliche Entscheidungen unversehens politische Folgen annehmen.
In Glasgow findet Frank Unterstützung bei Bailie Nicol Jarvie, einem städtischen Ratsherrn und Kaufmann mit Sinn für Ordnung, Vertragstreue und pragmatische Lösungen. Jarvie kennt die Wege des Handels ebenso wie die ungeschriebenen Regeln der Highlands und verfügt über Verbindungen, die über Geschäftspartner hinausreichen. Über ihn führen Spuren zu Rob Roy, einem bekannten Viehtreiber, Schuldenvermittler und Gesetzesflüchtigen, dessen Name in den Grenzzonen von Recht und Gewohnheitsrecht Gewicht besitzt. Gemeinsam planen Frank und Jarvie, die verschwundenen Papiere wiederzuerlangen – zwischen Amtsstube, Lagerhaus und den schwer zugänglichen Pässen der Berge.
Die Suche führt in die Highlands, wo andere Maßstäbe gelten: Clanbindungen, Ehrenkodex und schnelle Vergeltung gehen dort oft vor staatlicher Gerichtsbarkeit. Frank begegnet Rob Roy MacGregor und dessen entschlossener Frau Helen, die beide mit entschiedener Selbstbehauptung auf Bedrohungen reagieren. Rob Roy erscheint als charismatischer Mittler zwischen Welten, zugleich Beschützer und Gejagter, vertraut mit Verhandlungen wie mit bewaffneter Einschüchterung. Sein Name verweist auf eine geächtete Identität, die dennoch Bestand hat. Zugleich werden die Verwicklungen sichtbar, in die Rob Roy durch Gläubiger, politische Rivalen und lokale Agenten geraten ist.
Während Frank und Jarvie versuchen, die Papiere zu sichern, verdichten sich Hinweise auf Rashleighs doppelte Spiele. Er nutzt die aufgeheizte Lage, um persönliche Vorteile zu ziehen, und knüpft Kontakte, die wirtschaftliche Erpressung und politische Intrige verbinden. Die Grenzlinie zwischen privatem Betrug und öffentlicher Rebellion verschwimmt. Frank gerät zwischen Fronten: Behörden misstrauen ihm als Fremdem, Highlander beobachten ihn als Verbündeten der Kaufleute. Dianas Handlungsraum bleibt durch Verpflichtungen eingeschränkt, die aus Herkunft und Glauben erwachsen. Ihre stillen Eingriffe lassen erkennen, dass Loyalität nicht immer deckungsgleich mit offenem Bekenntnis ist.
Die Ereignisse spitzen sich zu: Wege werden blockiert, Versprechen erzwungen, und Verfolger wie Verbündete wechseln mitunter überraschend die Seite. Überfälle, Fluchten und nächtliche Verhandlungen lassen den politischen Hintergrund greifbar werden, ohne ihn vollständig zu dominieren. Rob Roy erscheint abwechselnd als Retter und Risiko, Jarvie als Stimme bürgerlicher Vernunft mit ungeahntem Mut. Frank lernt, dass Recht und Gerechtigkeit in unterschiedlichen Räumen verschieden aussehen können. Entscheidend ist, dass die Beteiligten ihre Interessen behaupten, ohne die letzte Karte offenzulegen – der Ausgang bleibt von wechselnden Bündnissen abhängig.
Am Ende stehen nicht nur Fragen nach Schuld und Wiedergutmachung, sondern auch nach Zugehörigkeit und Charakter. Rob Roy verkörpert Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit einer Kultur, die unter Druck steht, während Frank den Wert von Verantwortung erkennt, die über Verträge hinausreicht. Scott zeichnet die Spannungen zwischen aufstrebender Marktordnung und älteren Ehrvorstellungen, zwischen englischer Nüchternheit und schottischer Vielfalt. Die nachhaltige Bedeutung des Romans liegt in dieser Vermittlung: Er macht verständlich, wie persönliche Integrität in Zeiten politischer Unsicherheit Orientierung geben kann, und lässt zugleich Raum, zentrale Entscheidungen und ihr Ergebnis selbst zu entdecken.
Walter Scotts Rob Roy ist in den Jahren um 1715 verortet, einer Phase tiefgreifender Umbrüche in Schottland und auf der ganzen britischen Insel. Ort des Geschehens sind vor allem die schottischen Lowlands, Glasgow und das Grenzland zu den Highlands, daneben Schauplätze in Nordengland. Dominante Institutionen sind die seit 1707 vereinigte britische Monarchie, das Parlament in London, die presbyterianische Church of Scotland und in den Highlands weiterhin das Clansystem. Zwischen dem wachsenden Staatsapparat und lokalen Machtträgern existieren konkurrierende Rechtsverständnisse, die für den Alltag ebenso prägend sind wie die Handelsinteressen aufstrebender städtischer Eliten.
Die Unionsakte von 1707 verschmolzen die schottische und die englische Gesetzgebungsebene zu einem Königreich Großbritannien. Befürworter versprachen wirtschaftlichen Aufschwung durch Zugang zu Kolonialmärkten und Schutz durch die Royal Navy. Kritiker sahen Souveränitätsverlust, eine Benachteiligung traditioneller Rechte und eine London-zentrierte Politik. Diese Spannungen bilden den politischen Hintergrund, vor dem der Roman eine Begegnung der Welten inszeniert: der kaufmännisch geprägten Lowlands und der von der Clanordnung geprägten Highlands. Die Akte verändern Handelswege, Rechtsdurchsetzung und Loyalitäten und strukturieren die Gegensätze, die Scott literarisch ausspielt.
Mit dem Tod Königin Annes 1714 und dem Thronantritt des Hannoveraners Georg I. verschärfte sich die Frage der legitimen Erbfolge. Die Jakobiten unterstützten James Francis Edward Stuart als rechtmäßigen König. Ihre Bewegung vereinte Teile des schottischen Adels, Episcopalians, einige Highland-Clans und Tory-orientierte Kreise. Die Regierung baute zugleich ihr Sicherheitsdispositiv aus und setzte auf Whig-Dominanz. Rob Roy spiegelt die Polarisierung dieser Jahre, ohne zu einer Parteinahme zu degenerieren: Personen geraten in Loyalitätskonflikte zwischen familiären Bindungen, clanbasierten Verpflichtungen, Konfession und dem wachsenden staatlichen Anspruch auf Gehorsam.
Der Aufstand von 1715, ausgelöst durch den Earl of Mar, kulminierte in Kämpfen wie Sheriffmuir im November 1715 sowie dem Gefecht von Preston in Nordengland. Auch wenn Sheriffmuir militärisch unentschieden endete, brach der Aufstand politisch zusammen. Die Folgen trafen Handel, Reisewege und die Sicherheitslage in den mittleren Highlands. Kontrollpunkte, Patrouillen und wechselnde Frontlinien verunsicherten Kaufleute und Reisende. Der Roman nutzt dieses Klima, um wirtschaftliche Risiken und politische Ungewissheit zu verbinden: Wechsel, Schulden und Warenströme geraten durch die unsichere Herrschaftslage ebenso ins Stocken wie persönliche Vorhaben.
Das Clansystem der Highlands beruhte auf Kinship, Patronage und militärischer Gefolgschaft. Chiefs regelten Landnutzung, Schutz und Konflikte; persönliche Ehre und Bündnisse standen neben königlichem Recht. Erbgerichtsbarkeiten bestanden in vielen Regionen fort und relativierten die Reichweite zentralstaatlicher Normen. Gleichzeitig drang Marktlogik in das Highland-Ökonomiesystem ein, etwa durch Viehhandel und Pachtverhältnisse. Diese Doppelordnung erzeugte Reibungen: Was im Clan als legitim galt, konnte in den Lowlands als Gesetzesbruch erscheinen. Scott zeigt, wie Akteursgruppen zwischen zwei Rechtskulturen operierten und je nach Kontext unterschiedliche Autoritätsansprüche anerkannten.
Die MacGregors waren wiederholt staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Nach früheren Konflikten wurde der Name MacGregor 1693 erneut proscribiert und blieb bis ins späte 18. Jahrhundert verboten. Robert Roy MacGregor, geboren 1671 und gestorben 1734, bewegte sich in dieser rechtlichen Grauzone. Er arbeitete als Viehhändler, geriet in wirtschaftliche und politische Konflikte und wurde zum Outlaw, besonders bekannt durch Fehden mit dem Haus Montrose. In lokalen Traditionen erscheint er als Beschützer und Vermittler, in Regierungsquellen als Störer der Ordnung. Diese Ambivalenz nutzt Scott, um Legitimität jenseits formaler Legalität zu untersuchen.
Der Viehtrieb prägte die Highland-Wirtschaft. Drover führten Herden über Pässe und Fords zu Märkten im zentralen Schottland, etwa in Crieff, und weiter nach Süden. Schutzgelder und Sicherungsverträge, oft als black-mail bezeichnet, waren Teil des Systems: Zahlungen an lokale Mächte reduzierten Verlustrisiken. Aus Sicht tiefländischer Juristen grenzte dies an Erpressung; vor Ort galt es als Versicherungsmechanismus in unsicherem Terrain. Rob Roys historische Rolle als Vermittler zwischen Händlern, Clanmilizen und Grundherren knüpft an diese Praxis an. Der Roman zeigt, wie wirtschaftliche Unsicherheit Gewaltbereitschaft, Reputation und Kredit eng miteinander verschränkt.
Parallel erstarkte in den Lowlands und in London eine Finanz- und Handelswelt, die auf Buchführung, Wechseln und überregionalen Partnerschaften beruhte. Die Bank of Scotland war 1695 gegründet worden; Kreditbeziehungen erleichterten größere Handelsoperationen. Kaufleute nutzten Agenten, Kontokorrent und Informationsnetze, zugleich blieben Verträge durch Entfernung, Krieg und Politik störanfällig. Scott lässt eine englisch-schottische Handelsverbindung auf diese Fragilität treffen: ein Umfeld, in dem ein verlorener Wechsel, ein verzögerter Transport oder politisches Embargo Existenzen gefährden konnte. Damit verknüpft der Roman die Modernisierung des Kredits mit dem Risiko moralischer und rechtlicher Grauzonen.
Glasgow begann in den frühen 1700er Jahren rasch zu wachsen. Noch vor der großen Blüte der Tabakhändler nach der Mitte des Jahrhunderts entwickelte die Stadt Handwerk, Küstenschifffahrt und Kolonialkontakte. Eine streng presbyterianische Bürgerschaft prägte Institutionen, Ausbildung und städtische Moral. Politisch stand Glasgow überwiegend auf Regierungsseite und betrachtete den Jakobitismus mit Misstrauen. Diese städtische Kultur bildet im Roman den Kontrast zu den Grenzräumen der Trossachs und des Loch Lomond. Unterschiedliche Gesprächskulturen, Kleidungscodes und Geschäftssitten werden als sichtbare Marker des tiefen sozialen und konfessionellen Risses im frühen 18. Jahrhundert eingesetzt.
Geografisch markiert die sogenannte Highland Line einen Übergang von dichter besiedelten, agrarisch und kommerziell integrierten Lowlands zu bergigen, schwer zugänglichen Highlands. Pässe bei Aberfoyle und die Gewässer um Loch Katrine und Loch Lomond waren strategisch wichtig. Garnisonen wie Stirling Castle und der Stützpunkt Fort William kontrollierten zentrale Achsen; dennoch blieb das Umland schwer zu befrieden. Der Roman nutzt diese Topografie: Reisende sind auf Ortskenntnis und lokale Vermittler angewiesen, und kleine Verschiebungen im Gelände können politisch-militärische Vorteile schaffen. So wird Landschaft zum historischen Akteur, der Handel, Sicherheit und Loyalität strukturiert.
Nach dem Scheitern des Aufstands leitete die Regierung Maßnahmen zur Befriedung ein. Ein Disarming Act von 1716 zielte auf Entwaffnung der Highlands; in den 1720er und 1730er Jahren folgten Straßen- und Brückenbauprojekte, die später mit General Wades Namen verbunden wurden. Diese Maßnahmen veränderten Mobilität und Verwaltungstiefe nachhaltig, lagen zur Zeit der Romanhandlung jedoch erst im Ansatz. Scott platziert seine Figuren an der Schwelle dieser Neuordnung: Das alte System hält sich, doch die Perspektive eines stärker zentralisierten Rechts und einer besser überwachten Peripherie zeichnet sich bereits ab und verleiht der Erzählwelt historische Spannung.
Religiös und politisch war Schottland vielgestaltig. Die presbyterianische Church of Scotland dominierte in den Lowlands; viele Highland-Clans waren episcopal orientiert, einige katholisch. Konfession konnte, musste aber nicht, die Wahl der politischen Loyalität bestimmen. Städter sahen in Presbyteriantum, Schulbildung und Handelsfleiß Garanten des Fortschritts; adelige Patronage und clanbasierte Solidarität galten vielen als rückständig oder gefährlich. Scott spiegelt diese Wertungen, ohne sie schematisch zu übernehmen. Figuren verhandeln ihr Gewissen zwischen Glaubensbekenntnis, wirtschaftlicher Notwendigkeit und familiärer Pflicht. So wird Religion zu einer Linse, durch die Modernisierungskonflikte sichtbar werden.
Sprachlich standen sich das gälische Highland und das schottische Englisch der Lowlands gegenüber, daneben gab es regionale Scots-Varietäten. Balladen, Erzählungen und Rechtssprichwörter transportierten Normen und Erinnerung. Walter Scott schöpfte aus dieser Überlieferung, die er bereits in seiner Minstrelsy of the Scottish Border gesammelt hatte. Er übersetzte kulturelle Codes für ein breiteres Publikum, ohne die Differenzen einebnen zu wollen. Der Roman integriert Lieder, Sprichwörter und idiomatische Redeweisen, um lokale Autorität, Ehre und Witz zu markieren. So wird Kultur nicht bloß Dekor, sondern ein Archiv historischer Erfahrung und gesellschaftlicher Regeln.
Als Rob Roy 1817 erschien, waren die Napoleonischen Kriege gerade vorbei, und Großbritannien suchte nach einem historischen Selbstbild. Scott veröffentlichte seine frühen Romane anonym als von dem Verfasser von Waverley, was die Aufmerksamkeit auf Stoff und Methode lenkte. Sein Publikum kannte die politischen Kontroversen um Reform, Kriegskosten und wirtschaftliche Krisen. Indem er auf 1715 zurückgriff, bot Scott eine Genealogie britischer Staatlichkeit und schottischer Identität, die Loyalität mit Pragmatismus verband. Die zeitliche Distanz erlaubte es, Konflikte zu entdramatisieren und doch die Reibungen von Union, Kommerz und regionaler Autonomie sichtbar zu halten.
Scott arbeitet mit einem vermittelnden Beobachter aus England, der in schottische Verhältnisse gerät. Dieses erzählerische Verfahren erlaubt, Institutionen und Sitten zu erklären, ohne sie zu exotisieren. Handelskonten, Pfandrechte und Wechselbetrug stehen neben Bündnistreue, Gastrecht und Fehdebräuchen. An der Schnittstelle von Markt und Clanhaftung stellt der Roman die Frage, welches Versprechen bindender ist: eine Unterschrift unter einem Wechsel oder ein gegebenes Wort unter Zeugen. So konfrontiert Scott das entstehende kommerzielle Recht mit einer älteren Moralökonomie, die auf Reputation und Gegenseitigkeit beruht.
Die historische Figur Rob Roy diente bereits zu Lebzeiten als Gegenstand von Flugschriften und lokaler Legendenbildung. Scott bündelte diese Traditionen und prägte maßgeblich das moderne Bild des edlen Gesetzesbrechers, der zwischen Herrschaftswillkür und Volksgerechtigkeit vermittelt. Nach 1817 wuchs das literarische und touristische Interesse an den Trossachs und dem Loch-Lomond-Gebiet; Landschaft und Geschichte verschmolzen in der öffentlichen Imagination. Auch Bühnenfassungen und Illustrationen verbreiteten das Motiv des Highland-Outlaws. Diese Rezeption wirkte zurück auf regionale Erinnerungskultur und trug dazu bei, Rob Roy als Symbolfigur schottischer Standhaftigkeit zu verankern.
Ökonomisch kommentiert der Roman die Verwundbarkeit eines kreditgetriebenen Handelskapitalismus. Informationsasymmetrien, entfernte Partner und politische Schocks können Kettenreaktionen auslösen. Scott kritisiert weniger den Handel als solchen, sondern die moralische Indifferenz, die bei manchen Akteuren mit der Suche nach Rendite einhergeht. Demgegenüber stehen solidarische Netzwerke, die in gefährlichen Zeiten Schutz bieten, jedoch eigene Ausschlüsse produzieren. Politisch zeigt das Buch, wie der britische Staat Legitimität durch Rechtssicherheit gewinnen will, dabei aber lokale Loyalitäten herausfordert. So spiegelt Rob Roy die Ambivalenzen einer Gesellschaft im Übergang zur modernen Ordnung.
Sir Walter Scott (1771–1832) gilt als zentraler Autor der europäischen Romantik und als maßgeblicher Begründer des historischen Romans. Als schottischer Dichter, Romancier und Herausgeber verband er literarische Imagination mit sorgfältiger Quellenarbeit und prägte so ein breites Bild von Geschichte, Sitten und Landschaften, besonders seiner Heimat. Seine sogenannten Waverley Novels erzielten internationale Resonanz und beeinflussten Kunst, Theater und frühe Massenkultur. Neben Prosa schrieb er vielgelesene erzählende Gedichte und arbeitete lebenslang im Justizdienst. 1820 wurde er zum Baronet erhoben. Scotts Werk verbindet Unterhaltung mit Reflexion über politische Loyalität, soziale Ordnung und kulturelle Erinnerung.
Scott wuchs in Edinburgh auf, besuchte die High School und studierte an der University of Edinburgh Rechtswissenschaft. 1792 wurde er als Advocate zugelassen und blieb dem juristischen Beruf verbunden. Früh interessierte er sich für alte Balladen der Scottish Borders, sammelte mündliche Überlieferungen und las Antiquare. Prägend war zudem die Rezeption deutscher Romantik: Er übersetzte 1796 Balladen von Gottfried August Bürger und 1799 Goethes „Götz von Berlichingen“. In Edinburghs gelehrter Öffentlichkeit entwickelte er eine historische Sensibilität, die Quellenkritik mit erzählerischer Gestaltung verband und seine spätere Prosa ebenso formte wie seine erzählenden Gedichte.
Parallel zur Laufbahn im Staatsdienst – 1799 als Sheriff-Depute von Selkirkshire, ab 1806 als Clerk of Session in Edinburgh – begann Scotts publizistische Tätigkeit. Mit der dreibändigen Sammlung „Minstrelsy of the Scottish Border“ (1802–1803) edierte er Balladen und eröffnete eine volkskundlich-historische Perspektive. Rasch folgten erzählende Gedichte, die ihn berühmt machten: „The Lay of the Last Minstrel“ (1805), „Marmion“ (1808) und „The Lady of the Lake“ (1810). Diese Versepen verbanden dramatische Handlung, Landschaftsschilderung und historische Anspielung und fanden ein breites, auch über Großbritannien hinausreichendes Publikum in einer Zeit wachsender Leserschaften. Zugleich festigte er seinen Ruf als Vermittler schottischer Kultur.
Mit dem anonym veröffentlichten Roman „Waverley“ (1814) leitete Scott eine neue Phase ein: den Siegeszug des historischen Romans in Serienform. Es folgten rasch „Guy Mannering“ (1815), „The Antiquary“ (1816), „Old Mortality“ (1816) innerhalb der Tales of My Landlord, „Rob Roy“ (1817), „The Heart of Midlothian“ (1818), „Ivanhoe“ (1819), „The Bride of Lammermoor“ (1819) und „A Legend of Montrose“ (1819). Seine Prosa verbindet breites Personal, regionale Idiome und politische Konfliktlinien, ohne auf gelehrte Fußnoten zu setzen. Die Bücher erreichten ein Massenpublikum, wurden vielfach übersetzt und prägten historische Lektüregewohnheiten in ganz Europa.
Auch die folgenden Jahre brachten eine Fülle von Romanen: „Kenilworth“ (1821), „The Pirate“ (1822), „The Fortunes of Nigel“ (1822), „Peveril of the Peak“ (1823), „Quentin Durward“ (1823), „St. Ronan’s Well“ (1824) und „Redgauntlet“ (1824), daneben „Tales of the Crusaders“ (1825) und „Woodstock“ (1826). Scott war ein prominenter Tory, monarchietreu und ordnungsorientiert; diese Haltung rahmt viele seiner Themen. Öffentlich engagierte er sich bei der Wiederentdeckung der schottischen Kronjuwelen 1818 und organisierte 1822 die prunkvolle Schottlandreise Georgs IV. Als Herausgeber betreute er umfangreiche Ausgaben von Dryden und Swift und förderte antiquarische Studien.
Die Finanzkrise von 1825/26 traf Scotts Verlags- und Druckpartnerschaften schwer; er übernahm hohe Schulden und beschloss, sie durch Arbeit abzutragen. In rascher Folge entstanden „The Life of Napoleon Buonaparte“ (1827), die „Chronicles of the Canongate“ (1827–1828), „The Fair Maid of Perth“ (1828), „Anne of Geierstein“ (1829) sowie später „Count Robert of Paris“ und „Castle Dangerous“ (beide 1831). Die Belastung und gesundheitliche Rückschläge schwächten ihn; Reisen in südlichere Klimata sollten Linderung bringen. 1831 verließ er Großbritannien zur Erholung, kehrte jedoch zurück und starb 1832 in Abbotsford, dem von ihm entworfenen Wohnsitz an den Ufern der Tweed.
Scotts Vermächtnis ist vielgestaltig. Er etablierte ein erzählerisches Modell, das historische Forschung mit populärer Fiktion verband und die Moderne des Romans mitprägte. Seine Verfahren der Weltgestaltung, sein Sinn für Konflikte zwischen Tradition, Recht und sozialem Wandel beeinflussten europäische und amerikanische Erzähler; genannt werden häufig Balzac, Manzoni, Puschkin und Dumas. Die Waverley Novels werden weiterhin ediert, beforscht und adaptiert, während Abbotsford als Erinnerungsort fungiert. In der Gegenwart wird sein Werk sowohl wegen erzählerischer Energie als auch wegen Reflexionen über Nation, Sprache und kulturelles Gedächtnis gelesen und neu kontextualisiert. Debatten betreffen historische Genauigkeit, regionale Repräsentation und die politische Implikation seiner Stoffwahl.
Du hast mich aufgefordert, mein theurer Freund, einige der Mußestunden, mit denen der Himmel den Abend meines Lebens segnete, darauf zu verwenden, die Mühseligkeiten und Gefahren niederzuschreiben, welche dessen Beginn bezeichneten. Die Erinnerung an diese Abenteuer, wie du sie zu nennen beliebst, hat in meinem Gemüthe in der That ein wechselndes Gefühl der Freude und des Schmerzes zurückgelassen, vermischt, wie ich wohl sagen darf, mit keiner geringen Dankbarkeit und Verehrung gegen den Lenker menschlicher Ereignisse, der mich durch frühe Gefahr und Anstrengung leitete, damit die Behaglichkeit, mit der er mein verlängertes Leben segnete, mir durch Erinnerung und Gegenwart nur um so süßer scheinen möchte. Auch kann ich unmöglich bezweifeln, was du oft behauptetest, daß nämlich die Ereignisse, die mich unter einem Volke trafen, das in seiner Regierungsform wie in seinen Sitten noch dem Naturzustande nahe steht, etwas Interessantes und Anziehendes für Die haben, welche es lieben, alte Leute von vergangenen Zeiten erzählen zu hören.
Dennoch mußt du daran denken, daß eine Geschichte, welche ein Freund dem aufmerksamen andern Freunde erzählt, den halben Zauber verliert, wenn sie dem Papiere anvertraut wird; und daß die Erzählungen, denen du mit Theilnahme lauschtest, da sie von dem Munde dessen kamen, der Alles selbst erlebte, weit weniger Interesse erwecken, wenn sie in der Einsamkeit des Arbeitszimmers überlesen werden. Doch dein geringeres Alter und deine kräftige Gesundheit versprechen ein längeres Leben, als aller Wahrscheinlichkeit nach das Loos deines Freundes sein wird. Lege daher diese Blätter in irgend ein geheimes Fach deines Schreibtisches, bis wir von einander durch ein Ereigniß getrennt sind, das sich jeden Augenblick zutragen kann, und binnen wenigen Jahren, sehr wenigen Jahren, zutragen muß. Sind wir in dieser Welt geschieden, um uns, wie ich hoffe, in einer bessern wiederzusehen, dann wirst du das Andenken deines vorangegangenen Freundes mehr ehren, als er es verdient, und in den Begebenheiten, die ich jetzt dem Papiere anvertraue, Stoff zu trüben, aber doch nicht unangenehmen Erinnerungen finden. Andere geben den Vertrauten ihres Herzens Bilder ihrer äußern Züge – ich lege in deine Hände eine treue Schilderung meiner Gedanken und Gefühle, meiner Tugenden und Fehler, mit der zuversichtlichen Hoffnung, daß die Thorheiten und der kopflose Ungestüm meiner Jugend dieselbe freundliche Entschuldigung und Verzeihung gewinnen werden, die den Schwächen meines reiferen Alters so oft zu Theil wurde.
Unter vielen andern Vortheilen, welche ich dadurch erreiche, daß ich diese Memoiren (ich will den Blättern einen so pomphaften Namen geben) einem theuren und vertrauten Freunde übergebe, ist der, daß ich einen Theil der in diesem Falle unnützen nähern Umstände ersparen kann, durch die ich einen Fremden von dem Interessanteren, das ich zu sagen habe, hatte abhalten müssen. Weshalb sollte ich meine ganze Laune an dir auslassen, weil ich dich in meiner Gewalt habe, und Feder, Dinte, Papier und Zeit vor mir? Während dessen darf ich aber doch nicht versprechen, die Gelegenheit zu mißbrauchen, die mir so verführerisch geboten ward, von mir selbst und meinen eigenen Angelegenheiten zu handeln, wenn ich auch von Dingen spreche, die dir eben so gut bekannt sind als mir. Die verführerische Liebe zum Erzählen, wenn wir selbst die Helden der Begebenheiten sind, die wir erzählen, läßt oft die Aufmerksamkeit vergessen, die man der Zeit und der Geduld der Zuhörer schuldig ist, und die Weisesten sind diesem Zauber erlegen. Ich brauche dich nur an den sonderbaren Umstand zu erinnern, der durch die Form jener seltenen Ausgabe von Sully[1]'s Memoiren dargethan wird, welche du mit der Eitelkeit eines Büchersammlers der vorziehst, welche in der nützlichen und gewöhnlichen Gestalt der Memoiren geschrieben ist, die ich aber nur deshalb als merkwürdig betrachte, weil sie zeigt, wie weit ein so großer Mann, wie der Verfasser, der Selbstüberhebung zugänglich war. Wenn ich mich recht erinnere, so hatte jener ehrwürdige Pair und große Staatsmann nicht weniger als vier Edelleute seines Hauses dazu bestimmt, die Ereignisse seines Lebens unter dem Titel von Memoiren über die weisen und königlichen Angelegenheiten des Staats, des häuslichen, politischen und militärischen Lebens Heinrichs+IV. u. s. f. niederzuschreiben. Als diese ernsten Sammler ihre Compilationen gemacht hatten, verwandelten sie die Memoiren, welche alle denkwürdigen Ereignisse aus dem Leben ihres Gebieters enthielten, in eine Erzählung, welche sie an ihn selbst in propria persona[2] richteten. Statt seine eigene Geschichte in der dritten Person zu erzählen, wie Julius Cäsar, oder in der ersten, wie die Meisten von denen, welche es unternehmen, die Helden ihrer eigenen Erzählungen zu sein, genoß Sully so des gesuchten, doch trügerischen Vergnügens, sich die Ereignisse seines Lebens durch seine Secretäre erzählen zu lassen, während er selbst Zuhörer, Held und wahrscheinlicher Verfasser des ganzen Buches war. Es müßte ein großer Anblick gewesen sein, den Exminister zu sehen, so aufrecht und steif wie eine gestärkte Goldrobe und ein goldbetreßtes Wamms ihn machen konnten, im Staatsanzuge auf seinem Canapee sitzend und auf die Schilderungen seiner Compilatoren lauschend, welche, vor ihm stehend, ihm mit allem Ernste sagten: »So sprach der Herzog – so griff der Herzog ein; dies waren Sr. Gnaden Ansichten über den wichtigen Punkt – das waren seine geheimen Rathschläge für den König über jenen andern wichtigen Gegenstand – Gegenstände, welche dem Hörer viel besser bekannt waren, als den Lesern, und wovon die meisten nur seinen eigenen besonderen Mittheilungen entlehnt sein konnten.
Meine Lage ist nicht ganz so ersprießlich, wie die des großen Sully, und doch läge etwas Wunderliches darin, wenn Frank Osbaldistone dem Will Tresham eine genaue Beschreibung seiner Geburt, Erziehung und Verbindungen in der Welt geben wollte. Ich will daher mein Bestes thun, dir nichts von dem zu erzählen, was dir bereits bekannt ist. Einige Dinge aber muß ich deinem Gedächtnisse zurückrufen, weil sie, obgleich dir früher wohl bekannt, im Laufe der Zeit vergessen worden sein können, und gleichwohl die Grundlage meiner Bestimmung bilden.
Du mußt dich an meinen Vater noch erinnern, denn da dein eigener ein Mitglied des Handelshauses war, kanntest du ihn von Kindheit an. Doch du kanntest ihn schwerlich in seinen besseren Tagen, ehe Alter und Kränklichkeit seinen glühenden Unternehmungs- und Speculationsgeist gebeugt hatten. Er wäre in der That ein ärmerer Mensch gewesen, aber vielleicht eben so glücklich, hätte er der Beförderung der Wissenschaft die thätige Kraft und Beobachtungsgabe gewidmet, welche in Handelsangelegenheiten ihre Beschäftigung fanden. Aber in dem Wechsel der Handelsspeculationen liegt, selbst unabhängig von der Hoffnung auf Gewinn, etwas Fesselndes für einen abenteuerlichen Sinn. Wer sich auf der trügerischen See einschifft, muß die Geschicklichkeit des Piloten und die Kraft des Seefahrers besitzen, und kann dennoch Schiffbruch leiden und untergehen, wenn der Wind des Glückes ihm nicht günstig ist. Diese Mischung nothwendiger Aufmerksamkeit und unvermeidlicher Gefahr, die häufige und drückende Ungewißheit, ob die Klugheit das Glück besiegen, oder das Glück die Pläne der Klugheit zu Schanden machen wird, bieten volle Beschäftigung für die Kräfte, so wie für die Gefühle des Geistes, und der Handel gewährt allen Zauber des Spieles ohne dessen moralische Schuld.
Früh im 18. Jahrhundert, als ich – der Himmel steh mir bei – ein Jüngling von einigen zwanzig Jahren war, wurde ich plötzlich von Bordeaux berufen, um meinem Vater bei dem wichtigen Geschäfte Beistand zu leisten. Nie werde ich unsere erste Zusammenkunft vergessen. Du erinnerst dich an den kurzen, abgestoßenen, etwas strengen Ton, mit dem er seinen Umgebungen seinen Willen zu verkünden pflegte. Mir ist, als sähe ich ihn noch vor mir stehen; – die feste, aufrechte Gestalt; – der Schritt schnell und bestimmt; – das Auge, das so scharfe, durchdringende Blicke versendete; – die Züge, in welche die Sorge schon ihre Runzeln gegraben hatte; – als hörte ich seine Sprache, die nie ein Wort verschwendete, und zuweilen einen Ton der Härte annahm, die von der Absicht des Sprechers weit entfernt war.
Als ich von meinem Postpferde stieg, eilte ich nach dem Zimmer meines Vaters. Er ging darin mit dem Wesen ruhiger und ernster Ueberlegung auf und nieder, und selbst mein Eintritt, obgleich ich sein einziger Sohn und seit mehrern Jahren von ihm getrennt war, vermochte nicht, ihn zu stören. Ich warf mich in seine Arme. Er war ein freundlicher, doch kein herzlicher Vater, und nur einen Augenblick funkelte eine Thräne in seinen dunklen Augen.
»Dubourg schreibt mir, daß er mit dir zufrieden ist, Frank.«
»Ich bin erfreut« –
»Aber ich habe weniger Ursache dazu,« fügte er hinzu, indem er sich an seinen Schreibtisch setzte.
»Ich bin betrübt« –
»Erfreut und betrübt, Frank, sind Worte, die bei den meisten Gelegenheiten wenig oder nichts bedeuten. – Hier ist dein letzter Brief.«
Er nahm ihn aus einer Menge anderer, welche in ein Stück rothes Papier eingewickelt waren. Da lag meine arme Epistel, geschrieben über den Gegenstand, welcher zu jener Zeit meinem Herzen der nächste war, und abgefaßt in Worten, welche, wie ich glaubte, Mitleid, wo nicht Ueberzeugung erwecken würden; da lag sie, sag' ich, eingeklemmt zwischen den Briefen verschiedenartiger Geschäfte, in welche meinen Vater seine täglichen Angelegenheiten verwickelt hatten. Ich kann mich nicht enthalten, innerlich zu lächeln, wenn ich mich der Mischung verletzter Eitelkeit und verwundeten Gefühles erinnere, als ich meine Vorstellung, die, wie ich dich versichern kann, mit einiger Unruhe geschrieben wurde, aus der Masse von Avis und Creditbriefen und all' dem unnützen Zeug, wofür ich es damals hielt, einer kaufmännischen Correspondenz vorziehen sah. Wahrlich, dachte ich, ein Brief von solcher Wichtigkeit (ich wagte selbst nicht im Stillen hinzuzusetzen: und so gut geschrieben) verdiente einen besondern Platz, so wie eine ernstere Ueberlegung, als diese gewöhnlichen Geschäfte des Handlungshauses.
Aber mein Vater bemerkte meine Unzufriedenheit nicht, und hätte er es gethan, so würde er sich nicht darum gekümmert haben. Er fuhr mit dem Briefe in der Hand fort: »Dies, Frank, ist dein Letztes vom 20. ultimo, in welchem du mich avisirst (aus meinem Briefe lesend), daß meine väterliche Güte dich bei dem wichtigen Geschäfte, einen Plan der Lebensweise zu fassen, wenigstens zu einer negativen Stimme berechtigt halten würde; daß du unüberwindliche – ja, unüberwindlich ist das Wort – ich wünschte, beiläufig gesagt, daß du eine deutlichere Kurrenthand schriebst, mach' einen Strich durch deine I's und ein deutliches Auge an deinen L's – unüberwindliche Abneigung gegen den Vorschlag fühltest, den ich dir gemacht hätte. Du sagst nun noch viel über denselben Gegenstand, und verwendest dazu vier gute Seiten Papier, was du bei mehr Aufmerksamkeit auf Deutlichkeit und Kürze des Ausdruckes in eben so viel Zeilen hättest sagen können. Denn nach Allem, Frank, enthält es doch nichts, als daß du nicht thun willst, was ich von dir wünsche.«
»Daß ich unter den gegenwärtigen Umständen nicht kann; nicht, daß ich nicht will.«
»Worte machen bei mir wenig aus, junger Mann,« sagte mein Vater, dessen Unbeugsamkeit stets das Wesen der vollkommensten Ruhe und Selbstbeherrschung besaß. » Nicht kann, wäre ein artigerer Ausdruck, als nicht will, aber die Ausdrücke sind gleichbedeutend, wo keine moralische Unmöglichkeit stattfindet. Aber ich bin kein Freund davon, die Geschäfte übereilt abzumachen. Wir werden diese Sache nach dem Essen besprechen. – Owen!«
Owen erschien, nicht mit den Silberlocken, die du an ihm verehrt hast, denn er war damals wenig über 50 Jahre alt; aber er trug doch dieselben oder wenigstens ganz ähnliche hellbraune Kleider – dieselben perlgrauen seidenen Strümpfe, denselben Rock mit den silbernen Knöpfen, – dieselben gefalteten Cambrick-Manchetten, die im Gesellschaftszimmer über die Knöchel herabgezogen, im Geschäftslocale aber sorgfältig unter die Aermel gesteckt waren, damit sie durch die Dinte, die er täglich verbrauchte, nicht beschmutzt würden; – mit einem Worte, dieselben ernsten, förmlichen, doch wohlwollenden Züge, die bis zu seinem Tode den ersten Schreiber des großen Hauses Osbaldistone und Tresham auszeichneten.
»Owen,« sagte mein Vater, als der freundliche alte Mann mir herzlich die Hand schüttelte, »Ihr müßt heut mit uns essen, und die Neuigkeiten hören, die uns Frank von unsern Freunden in Bordeaux mitgebracht hat.«
Owen machte eine steife Verbeugung ehrfurchtsvoller Dankbarkeit, denn in jenen Tagen, als der Unterschied zwischen Vorgesetzten und Untergebenen noch auf eine Weise bestand, welche unseren Zeiten fremd ist, war eine solche Einladung eine Gunst von einiger Wichtigkeit. Ich werde mich lange an dieses Mittagsessen erinnern. Ergriffen durch Gefühle der Angst, nicht ohne eine Mischung von Verdruß, war ich unfähig, an der Unterhaltung den thätigen Antheil zu nehmen, den mein Vater von mir zu erwarten schien, und nur zu oft gab ich unbefriedigende Antworten auf die Fragen, mit denen er mich bestürmte. Owen, der zwischen der Ehrfurcht vor seinem Patron und der Liebe zu einem Jünglinge, den er als Knaben auf seinen Knieen geschaukelt hatte, wankte wie der schüchterne, doch aufrichtige Verbündete einer eingedrungenen Nation, versuchte bei jedem Versehen, das ich machte, meinen Rückzug zu decken und meinen Unsinn zu erklären; ein Manöver, welches meines Vaters Aerger erhöhte, und meinem freundlichen Vertheidiger einen Theil davon zuzog, ohne mich zu beschützen. Ich hatte mich, während ich in dem Hause Dubourgs lebte, grade so betragen:
und, die Wahrheit zu sagen, das Comtoir nicht öfter besucht, als unbedingt nöthig war, um ein gutes Zeugniß des Franzosen zu erlangen, der lange ein Correspondent unserer Firma gewesen war, und dem mein Vater mich anvertraut hatte, um durch ihn in die Geheimnisse des Handels eingeweiht zu werden. Meine Hauptaufmerksamkeit war in der That auf Literatur und männliche Uebungen gerichtet gewesen. Mein Vater verwarf solche geistigen und persönlichen Vervollkommnungen nicht ganz. Er hatte zu viel gesunden Verstand, um nicht zu bemerken, daß sie Jedermann zierten, und er fühlte, daß sie den Charakter erhoben und mit Würde bekleideten, nach dem ich, wie er wünschte, streben sollte. Aber sein Hauptehrgeiz war, daß ich nicht blos sein Vermögen erben sollte, sondern auch die Absichten und Pläne, durch die er das reiche Erbe, welches er mir bestimmte, ausdehnen und fortdauernd machen zu können glaubte. Die Liebe zu seinem Stande war der Beweggrund, den er besonders vorschützte, als er mich aufforderte, denselben Pfad zu betreten; aber er hatte noch andere, mit denen mich erst eine spätere Zeit bekannt machte. In seinen Plänen nicht nur geschickt und kühn, sondern auch ungestüm, wurde jedes neue Abenteuer, wenn es glückte, die Ermunterung und das Mittel zu weiterer Speculation. Es schien ihm, wie dem ehrgeizigen Eroberer, nothwendig, von Sieg zu Sieg zu eilen, ohne die gemachten Eroberungen zu sichern, viel weniger denn, sie zu genießen. Daran gewöhnt, sein ganzes Vermögen in den Wageschalen des Zufalles schweben zu sehen, und gewandt in der Ergreifung von Mitteln, den Ausschlag zu seinen Gunsten zu bewirken, schienen seine Gesundheit, sein Geist und seine Thätigkeit stets mit den belebenden Gefahren zu wachsen, auf die er seinen Reichthum setzte; und er glich einem Seemanne, der daran gewöhnt ist, den Wellen und dem Feinde zu trotzen, und dessen Vertrauen an dem Vorabend des Sturmes oder der Schlacht wächst. Er war indeß nicht unachtsam gegen den Wechsel, welchen zunehmendes Alter oder eine Krankheit in seiner Lage hervorbringen konnte, und war deshalb bei Zeiten bemüht, sich in mir einen Beistand zu sichern, der, wenn seine Hand schwach würde, das Steuer fassen und das Schiff nach seinem Rath und seiner Weisung leiten könnte. Väterliche Zuneigung, so wie Beförderung seiner eigenen Pläne führten ihn zu demselben Schlusse. Obgleich deines Vaters Vermögen in dem Hause arbeitete, war er doch nach dem Handelausdrucke nur ein schlafender Compagnon, und Owen, dessen Redlichkeit und Geschicklichkeit in den Details der Rechenkunst seine Dienste als die eines ersten Commis unschätzbar machten, besaß doch weder Kenntnisse noch Talente genug zu den Mysterien der Hauptleitung. Wenn mein Vater plötzlich aus dem Leben abgerufen wurde, was mußte dann aus der Welt von Plänen, die er entworfen hatte, werden, wenn nicht sein Sohn zu einem Handelsherkules gebildet war, fähig, die Last zu tragen, wenn der fallende Atlas sie nicht mehr stützte, und was mußte aus diesem Sohne selbst werden, wenn er als ein Fremdling in dem Geschäft sich plötzlich in das Labyrinth der Handelsangelegenheiten verwickelt sah, ohne den Schlüssel des Wissens, der nöthig war, ihn daraus zu befreien? Aus allen diesen Gründen, den eingestandenen wie den geheimen, beschloß mein Vater, daß ich seinen Stand ergreifen sollte; und hatte er einmal einen Entschluß gefaßt, so war keines Menschen Wille unwandelbarer. Ich aber war auch zu Rathe zu ziehen, und mit etwas von seiner eigenen Hartnäckigkeit hatte ich gerade einen entgegengesetzten Plan gefaßt.
Es wird, wie ich hoffe, als ein Milderungsgrund für den Widerstand gelten, mit welchem ich bei dieser Gelegenheit den Wünschen meines Vaters entgegentrat, daß ich nicht deutlich erkannte, worauf sie sich stützten, noch wie tief sein Glück dabei betheiligt war. Ich hielt mich selbst für die Zukunft einer bedeutenden Erbschaft gewiß, und bis dahin einer reichlichen Versorgung, und es fiel mir nie ein, daß ich, um mir diese Segnungen zu sichern, mich Arbeiten und Beschränkungen unterwerfen müßte, die meinem Geschmack und meiner Gemüthsart widerstrebten. Ich sah in dem Vorschlage meines Vaters, mich in die Geschäfte einzulassen, nur das Verlangen, daß ich die angehäuften Schätze, die er selbst erworben hatte, noch vermehren möchte, und da ich mich für den besten Richter des Pfades zu meinem eigenen Glücke hielt, sah ich nicht ein, daß ich dies Glück erhöhen würde, wenn ich ein Vermögen vergrößerte, das ich schon für hinreichend, und mehr als hinreichend zu jeder Bequemlichkeit und jedem Genuß eines eleganten Lebens hielt.
Ich bin daher gezwungen, zu wiederholen, daß meine Zeit in Bordeaux nicht so verwendet wurde, wie mein Vater beabsichtigte. Was er als den Hauptzweck meines Aufenthaltes in jener Stadt betrachtete, hatte ich allem Andern nachgesetzt, und hätte ich es gewagt, würde ich ihn ganz versäumt haben. Dubourg, ein begünstigter Correspondent unsres Handlungshauses, war ein zu listiger Politiker, um dem Haupte der Firma über sein einziges Kind Berichte zu erstatten, welche Beiden unangenehm sein würden, und er mochte auch, wie du sogleich hören wirst, selbstsüchtige Absichten dabei haben, daß er mich die Zwecke vernachlässigen ließ, wegen welcher ich seiner Leitung anvertraut wurde. Meine Aufführung wurde nach den Gränzen des Anstandes und der Ordnung geregelt, und in sofern hatte er nichts Schlimmes zu berichten, wäre er selbst dazu geneigt gewesen. Aber der listige Franzose würde vielleicht gleich nachsichtig gewesen sein, hätte ich die Gewohnheit gehabt, schlimmeren Gefühlen nachzugeben, als denen der Nachlässigkeit und des Widerwillens gegen kaufmännische Geschäfte. Da ich nun einen bescheidenen Theil meiner Zeit den merkantilischen Studien widmete, die er nur empfahl, war er keineswegs neidisch auf die Stunden, welche ich anderen und klassischeren Beschäftigungen weihte; auch tadelte er mich nie deshalb, wenn ich Corneille und Boileau dem Postlethwayte vorzog (angenommen, daß dessen Foliant damals schon existirte, und daß Herr Dubourg fähig war, den Namen auszusprechen), oder Savary oder irgend einem Schriftsteller über Handelsökonomie. Er hatte irgendwo einen passenden Ausdruck aufgefischt, mit dem er jeden Brief an seinen Correspondenten abrundete. Ich sei, sagte er, ganz wie ein Vater es wünschen könnte.
Mein Vater stritt nie über einen Ausdruck, wie oft er auch wiederholt werden mochte, wenn er ihm nur deutlich und ausdrucksvoll schien, und Addison selbst hätte keinen Ausdruck finden können, der ihm so genügend gewesen wäre als:
»Ihr Schreiben haben erhalten und die beifolgenden Wechsel gebührend honorirt.«
Da Mr. Osbaldistone deshalb wußte, daß es Herrn Dubourg vollkommen bekannt sei, wie er mich wünschte, zweifelte er nicht daran, daß ich ganz so sei, wie er mich sehen wollte. Da empfing er in einer bösen Stunde meinen Brief, der meine beredte und ausführliche Rechtfertigung darüber enthielt, daß ich einen Platz in der Firma und einen Pult und Stuhl in der Ecke des finsteren Comtoirs in Crane Alley ablehnte, welcher höher war, als die Sitze Owens und der andern Commis, und nur dem Dreibeine meines Vaters selbst nachstand. Alles wurde von dem Augenblicke an bös. Dubourgs Berichte wurden so verdächtig, als wären seine Wechsel für unsicher bezeichnet worden. Ich wurde in aller Hast nach Hause berufen, und auf die bereits erwähnte Weise empfangen.
Mein Vater besaß nach der gewöhnlichen Redensart eine vollkommene Selbstbeherrschung, und sein Zorn verrieth sich selten durch Worte, ausgenommen in einem trockenen, mürrischen Wesen gegen Die, welche sein Mißfallen erregt hatten. Nie brauchte er Drohungen oder Ausbrüche lauten Unwillens. Alles war bei ihm systematisch geordnet, und er pflegte das Nöthige bei jeder Gelegenheit ohne überflüssige Worte zu thun. Mit bitterem Lächeln hörte er daher auf meine unvollkommenen Antworten über den Zustand des Handels in Frankreich, und unbarmherzig ließ er mich immer tiefer und tiefer in die Geheimnisse des Agio, des Tarifes, der Tara und Tratten verwickeln; auch kann ich mich nicht erinnern, daß er wirklich zornig aussah, bis er mich unfähig fand, die Wirkung auseinanderzusetzen, welche die Entwerthung der Louisd'ore auf den Umsatz der Wechsel gehabt hatte. »Die merkwürdigste Nationalbegebenheit in meiner Zeit,« sagte mein Vater (der gleichwohl die Revolution gesehen hatte), »und er weiß so wenig davon, wie ein Meilenstein am Wege.«
»Mr. Frank,« bemerkte Owen in seiner schüchternen, aussöhnenden Manier, »kann nicht vergessen haben, daß durch ein Arret des Königs von Frankreich, datirt vom 1. Mai 1700, bestimmt wurde, der Porteur sollte binnen zehn Tagen« –
»Mr. Frank,« sagte mein Vater, ihn unterbrechend, »wird sich, wie ich behaupten darf, für den Augenblick an Alles erinnern, worauf Ihr so gütig seid, ihn aufmerksam zu machen. Aber, mein Himmel, wie konnte Dubourg zugeben – Hört, Owen, was für eine Art ist denn der Clemens Dubourg, sein Neffe hier, der schwarzhärige Bursche?«
»Einer der tüchtigsten Commis, Sir; ein ausgezeichneter junger Mann für seine Zeit,« antwortete Owen. Denn die Heiterkeit und Artigkeit des jungen Franzosen hatten sein Herz gewonnen.
»Ja, ja, ich glaube, er weiß Etwas von dem Cours. Dubourg wollte, daß ich wenigstens einen jungen Menschen hier haben sollte, der das Geschäft verstände; aber ich sehe seine Absicht, und er soll finden, daß ich sie sehe, wenn er auf den Abschluß blickt. Owen, laßt Clemens' Salär am nächsten Zahltage berichtigen, und er mag dann in seines Vaters Schiff, das dort klar gemacht wird, nach Bordeaux gehen.«
»Clemens Dubourg entlassen?« sagte Owen mit bebender Stimme.
»Ja, Sir, augenblicklich entlassen; es ist genug, in dem Comtoir einen dummen Engländer zu haben, der alberne Streiche macht; wir brauchen nicht auch noch einen klugen Franzosen, um daraus Nutzen zu ziehen.«
Ich hatte lange genug auf dem Gebiete des grand Monarque[5] gelebt, um einen herzlichen Widerwillen gegen willkürliche Entscheidungen zu fassen, wäre er mir nicht auch schon mit der Muttermilch beigebracht worden, und ich konnte mich der Einmischung nicht enthalten, um zu verhindern, daß ein unschuldiger und verdienstlicher junger Mann dafür bestraft würde, die Kenntnisse erworben zu haben, die mein Vater für mich gewünscht hätte.
»Ich bitte um Verzeihung, Sir,« sagte ich, als Mr. Osbaldistone gesprochen hatte, »aber ich finde es nur gerecht, daß ich selbst die Strafe trage, wenn ich meine Studien vernachlässigte. Ich habe keine Ursache, Herrn Dubourg darüber anzuklagen, daß er es vernachlässigte, mir Mittel zur Ausbildung zu geben, wie wenig ich auch dadurch gewonnen haben mag; und was Herrn Clemens Dubourg betrifft –«
»Was ihn und dich betrifft, so werde ich die Maßregeln ergreifen, die ich für nöthig halte,« entgegnete mein Vater. »Aber es ist schön von dir, Freund, daß du deinen eigenen Tadel auf deine eigenen Schultern nimmst, recht schön, das läßt sich nicht läugnen. Ich kann den alten Dubourg nicht freisprechen,« sagte er mit einem Blicke auf Owen, »daß er Frank nur die Mittel zur Erwerbung nützlicher Kenntnisse gab, ohne darauf zu sehen, daß er auch Vortheil daraus zog, oder es mir anzeigte, wenn er das nicht that. Ihr seht, Owen, er hat Nationalbegriffe der Redlichkeit, wie sie einem brittischen Kaufmann geziemen.«
»Mr. Frank,« sagte der erste Commis mit seiner gewöhnlichen Beugung des Kopfes, und einer leichten Erhebung der rechten Hand, daraus entstanden, daß er die Gewohnheit hatte, seine Feder hinter das Ohr zu stecken, ehe er sprach, »Mr. Frank scheint den Grundsatz aller moralischen Rechenkunst zu verstehen, der großen moralischen Regel de Tri. A sei gegen B, wie er wünscht, daß B gegen ihn sei; das Produkt wird dann die Regel des Benehmens geben.«
Mein Vater lächelte über diese Anwendung der goldenen Regel auf die arithmetische Form, fuhr aber augenblicklich fort:
»Das Alles sagt nichts, Frank; du hast deine Zeit fortgeworfen, wie ein Knabe, und mußt in Zukunft lernen, wie ein Mann zu leben. Ich werde dich einige Zeit unter Owens Aufsicht stellen, um den verlorenen Boden wiederzugewinnen[1q].«
Ich wollte Etwas antworten, aber Owen sah mich mit einer so bittenden und warnenden Bewegung an, daß ich unwillkürlich schwieg.
»Wir wollen also,« fuhr mein Vater fort, »den Gegenstand meines Briefes vom 1. ultimo wieder vornehmen, auf den du mir eine unüberlegte und ungenügende Antwort gabst. So, jetzt fülle dein Glas, und schiebe Owen die Flasche hin.«
Mangel an Muth – an Verwegenheit – wenn du willst – war nie mein Fehler. Ich antwortete fest: »Es thäte mir leid, daß mein Brief ungenügend sei; unüberlegt wäre er nicht, denn ich hätte dem Vorschlage, den seine Güte gemacht, meine vollständigste Aufmerksamkeit gewidmet, und nicht ohne Ueberwindung hätte ich mich verpflichtet gefunden, ihn abzulehnen.«
Mein Vater richtete sein scharfes Auge einen Moment auf mich, und wendete es dann sogleich wieder ab. Da er nicht antwortete, hielt ich mich für verpflichtet, fortzufahren, obgleich mit Zaudern; er unterbrach mich nur durch einzelne Wörter.
»Es ist unmöglich,« sagte ich, »eine höhere Achtung vor irgend einem Stande zu haben, als vor dem Handelsstande, wäre es auch nicht der Ihrige.«
»In der That!«
»Er verbindet Nationen mit Nationen, hilft dem Mangel ab, und trägt zum Reichthum Aller bei; er ist für die allgemeine Republik der civilisirten Welt, was der tägliche Verkehr des gewöhnlichen Lebens für den Privatumgang ist, oder vielmehr, was Luft und Nahrung für unsern Körper sind.«
»Nun?«
»Und dennoch sehe ich mich gezwungen, dabei zu beharren, einen Stand zurückzuweisen, zu dem ich so wenig befähigt bin.«
»Ich will dafür Sorge tragen, daß du die nöthigen Fähigkeiten erwirbst. Du bist nicht mehr der Gast und Zögling Dubourgs.«
»Aber, mein theurer Vater, es ist nicht Mangel des Unterrichts, über den ich mich beklage, sondern meine eigene Unfähigkeit, diesen Unterricht zu benutzen.«
»Unsinn! Hast du das Tagebuch auf die von mir gewünschte Weise geführt?«
»Ja.«
»Sei so gut, und bring es her.«
Das so geforderte Buch, welches ich auf meines Vaters Rath führte, war eine Art von Collectaneenbuch, in das ich Anmerkungen über die verschiedenen Kenntnisse einschrieb, welche ich im Verlaufe meiner Bildung erwarb. Da ich voraussah, daß er die Einsicht dieses Buches verlangen würde, war ich darauf bedacht gewesen, solche Dinge einzuschreiben, die ihm am meisten gefallen mußten, aber nur zu oft hatte die Feder die Aufgabe erfüllt, ohne in großer Uebereinstimmung mit dem Kopfe zu sein. Auch hatte es sich, da das Buch mir am meisten zur Hand, zugetragen, daß ich mehrmals Dinge darin aufnahm, die mit dem Handel wenig oder nichts zu thun hatten. Ich gab es jetzt meinem Vater in die Hände, und hoffte aufrichtig, daß er nichts entdecken möchte, was seinen Unwillen gegen mich vergrößern könnte. Owens Gesicht, das etwas lang geworden war, als die Frage erfolgte, heiterte sich bei meiner bereitwilligen Antwort auf, und zeigte ein Lächeln der Hoffnung, als ich es aus meinem Zimmer brachte, und vor meinen Vater hinlegte, einen handelsmäßigen Band, mehr breit als lang, mit kupfernen Spangen und kalbledernem Einbande. Das sah ganz geschäftsmäßig aus, und war ermuthigend für meinen wohlwollenden Freund. Er lächelte vor Vergnügen, als er meinen Vater einige Theile des Inhalts überlesen hörte.
» Branntwein – Barils, Barricants, auch Fässer. – In Nanty 29 – Barique in Cognac und Rochelle 27 – in Bordeaux 32 – sehr richtig Frank – Abgabe für Tonnengehalt und Zollhaus, siehe Saxby's Tabellen – das ist nicht recht; du hättest das einschreiben sollen; das prägt die Sache dem Gedächtnisse ein. – Ein- und Ausfuhr – Korn-Rückzoll – überseeische Zollscheine – Leinwand – Tsingham – Gent – Stockfisch – Mittelfisch – Klippfisch. – Du hättest bemerken sollen, daß sie dennoch alle unter dem Namen des Stockfisches eingeführt werden. – Wie lang ist ein Stockfisch?«
Owen, der sah, daß ich mir nicht zu helfen wußte, wagte, es mir zuzuflüstern, und zum Glück verstand ich ihn.
»Achtzehn Zoll! – Und ein Mittelfisch 24.«
»Sehr recht. Es ist wichtig, das zu behalten wegen des portugiesischen Handels. – Aber was haben wir hier? – Bordeaux, gegründet im Jahr – Trompetenschloß – Palast des Galienus. – Gut, gut, auch das ist ganz recht. – Das ist eine Art von Cladde, Owen, in welche alle Vorfallenheiten des Tages eingetragen sind, Maaße, Gewichte, Zahlungen, Vorschriften, Accepte, Aufträge, Rathschläge, bunt untereinander.«
»Damit sie der Ordnung gemäß in das Tagebuch und Hauptbuch eingetragen werden können,« sagte Owen. »Es freut mich, daß Mr. Frank so methodisch verfährt.«
Ich bemerkte, wie ich so schnell in der Gunst stieg, daß ich zu fürchten begann, die Folge davon möchte meines Vaters größere Hartnäckigkeit in dem Vorsatze sein, mich zum Kaufmanne zu machen; und da ich zum Gegentheile entschlossen war, fing ich an, zu wünschen, um meines Freundes Owen Redensart beizubehalten, daß ich nicht so methodisch verfahren sein möchte, aber ich hatte keinen Grund zu einer Besorgniß der Art, denn ein einzelnes Stück Papier fiel aus dem Buche, und als mein Vater es aufhob, unterbrach er einen Wink Owens über die Zweckmäßigkeit, lose Blätter mit einem Stückchen Oblate einzuheften, durch den Ausruf: » Dem Andenken Edward's, des schwarzen Prinzen«. Was ist das? – Verse? – Beim Himmel, Frank, du bist ein größerer Dummkopf, als ich glaubte.« –
Als ein Geschäftsmann blickte mein Vater, wie du dich erinnern mußt, mit Verachtung auf die Arbeit der Dichter, und als ein religiöser Mensch, vom Glauben der Dissenter, fand er alle solche Dinge eben so unnütz, als profan. Ehe du ihn verdammst, mußt du dich daran erinnern, wie zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts nur zu viele Dichter ihr Leben und ihre Talente anwendeten. Auch die Sekte, zu der mein Vater gehörte, fühlte oder erheuchelte vielleicht einen puritanischen Widerwillen gegen die leichtern Uebungen der Literatur. Viele Ursachen vereinigten sich daher, die unangenehme Ueberraschung zu erhöhen, welche durch die unzeitige Entdeckung dieser unglückseligen Abschrift von Versen herbeigeführt wurde. Hätte die Perücke, welche der arme Owen trug, sich selbst entlocken, und das Haar sich mit Entsetzen sträuben können, so würde gewiß die Morgenarbeit des Friseurs durch den Schrecken über diese Entsetzlichkeit vernichtet worden sein. Ein Einbruch in die Kasse, oder eine Radirung im Hauptbuche, oder ein Verrechnen in einem Abschlusse hätte ihn kaum unangenehmer überraschen können. Mein Vater las das Gedicht zuweilen, als könnte er den Sinn nicht verstehen – zuweilen in einem spöttisch heroischen Tone, stets aber mit dem Ausdrucke der bittersten Ironie, welche die innersten Nerven des Dichters erschüttern mußte.
»Fontarabias Echo,« fuhr mein Vater, sich selbst unterbrechend, fort; »die Fontarabia-Messe wäre zweckmäßiger gewesen. – Götz-Sohn? – Was ist Götz-Sohn? – Weshalb sagst du nicht wenigstens heidnisch, wenn du denn doch einmal Unsinn schreiben mußt?«
»Poitiers wird, beiläufig gesagt, hinten immer mit einem s geschrieben, und ich sehe keinen Grund, weshalb die Orthographie dem Versmaaß weichen soll.«
»Das ist wieder ein schlechter Reim. Ei, Frank, du verstehst nicht einmal den bettelhaften Handel, den du erwähnt hast.«
»Eine Wolke von Flammenblut ist etwas Neues. – Guten Morgen, meine Herren, und ein fröhliches Weihnachtsfest! – Ei, da macht ja der Ausrufer bessere Verse.«
Er warf hierauf das Blatt mit dem Ausdrucke der höchsten Geringschätzung von sich, und schloß mit dem Ausrufe: »Bei meinem Credit, Frank, du bist ein größerer Dummkopf, als ich glaubte.«
Was konnte ich darauf sagen, mein lieber Tresham? Da stand ich, verzehrt von Unwillen und Demüthigung, während mein Vater mich mit einem ruhigen, doch strengen Blicke des Zornes und Mitleides ansah; und der arme Owen erhob Augen und Hände, und gab ein solches Bild des Entsetzens, als hätte er den Namen seines Prinzipales unter den Falliten in der Zeitung gelesen. Endlich faßte ich den Muth, zu sprechen, und suchte durch den Ton meiner Worte meine Gefühle so wenig als möglich zu verrathen.
»Es ist mir wohl bewußt, wie wenig ich befähigt bin, in der Gesellschaft die Rolle zu spielen, zu der Sie mich bestimmt haben, und zum Glück bin ich nicht begierig nach dem Reichthume, den ich erwerben könnte. Mr. Owen würde ein viel wirksamerer Beistand sein.« Ich sagte das mit einiger Bosheit, da ich fand, daß Owen meine Sache etwas zu schnell verlassen hatte.
»Owen!« sagte mein Vater. »Der Junge ist verrückt, vollkommen toll. Und ich bitte, Sir, wenn ich so kühn sein darf, zu fragen, da Sie mich trocken an Mr. Owen verwiesen haben (obgleich ich von Jedermann mehr Aufmerksamkeit erwarten darf, als von meinem Sohne), welches sind denn Ihre eigenen weisen Absichten?«
»Ich wünschte, mein Vater,« sagte ich, wieder einigen Muth gewinnend, »zwei oder drei Jahre zu reisen, wenn das Ihre Genehmigung hätte; sonst möchte ich diese Zeit, wenn auch freilich spät, in Oxford oder Cambridge zubringen.«
»Im Namen des gesunden Verstandes, – wurde je so Etwas gehört? – Dich zu Pedanten und Jakobiten in die Schule schicken, während du dein Glück in der Welt befördern könntest? Weshalb willst du nicht nach Westminster und Eaton zugleich gehen, Mensch, und die Grammatik studiren, und dir wohl gar auch die Ruthe geben lassen, wenn es dir Vergnügen macht?«
»Wenn Sie glauben, daß es für meinen Plan zu spät ist, bin ich gern bereit, auf den Continent zurückzukehren.«
»Du hast dort schon zu viel Zeit unnütz zugebracht.«
»Dann würde ich die Armee unter jeder andern thätigen Lebensbeschäftigung wählen.«
»Wähle den T–,« antwortete mein Vater hastig; aber sich sogleich wieder fassend, sagte er: »Ich gestehe, du machst mich zu einem eben so großen Narren, wie du selbst bist. – Ist es nicht, um verrückt zu werden, Owen?« – Der arme Owen schüttelte den Kopf, und sah zu Boden. »Höre, Frank,« fuhr mein Vater fort, »ich will der ganzen Sache kurz ein Ende machen. – Ich war in deinem Alter, als mein Vater mich aus dem Hause stieß, und mein Erbe auf meinen jüngern Bruder übertrug. Ich verließ Osbaldistone-Hall auf einem abgetriebenen Jagdklepper, und mit zehn Guineen in meinem Beutel. Ich habe seitdem die Schwelle nie wieder übertreten, und werde es auch nie thun. Ich weiß nicht, und frage nicht darnach, ob mein fuchsjagender Bruder noch lebt, oder ob er den Hals gebrochen hat; aber er hat Kinder, Frank, und eines derselben soll mein Sohn sein, wenn du mir in dieser Sache noch ferner zuwider handelst.«
»Es steht Ihnen frei, mit dem, was Ihr ist, zu schalten,« antwortete ich, wie ich fürchte, mit mehr mürrischer Gleichgültigkeit als Achtung.
