Robert Schuman - Hermann J. Benning - E-Book

Robert Schuman E-Book

Hermann J. Benning

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Beschreibung

Kaum jemand ist sich bewusst, wie maßgeblich Robert Schuman, geb. 1886 in Luxemburg, gestorben am 4. September 1963 in Scy-Chazelles, Europa und insbesondere das deutsch-französische Verhältnis mitgeprägt hat. Von seiner Biografie her ein prädestinierter "Europäer", von seiner geistigen Herkunft ein überzeugter, hochgebildeter und weltoffener katholischer Christ, hat er als französischer Außenminister mit dem berühmten "Schuman-Plan" (1950) Geschichte geschrieben. Prägnant und einfühlsam zeichnet Hermann J. Benning sein bewegtes Leben nach: Sichtbar wird ein Mensch, dessen Vermächtnis im Verborgenen nachwirkt, ein Christ, dessen Integrität über jeden Zweifel erhaben war und ist. In der katholischen Kirche ist sein Seligsprechungsprozess in Gang, unter Politikern jeder Couleur genießt er hohes Ansehen.

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HERMANN J. BENNINGROBERT SCHUMAN

Hermann J. Benning

Robert Schuman

Leben und Vermächtnis

Der Autor, Hermann J. Benning, Jahrgang 1949, arbeitete nach dem Studium an den Universitäten Nimwegen/Niederlande und Saarbrücken ab 1980 als Verlagslektor. Seit 1989 ist er freiberuflicher Lektor und Übersetzer in München. Zuletzt erschien im Verlag Neue Stadt seine Dag-Hammarskjöld-Biografie.

2013, 1. Auflage© Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, MünchenUmschlaggestaltung und Satz: Neue-Stadt-GraphikUmschlagfoto: © KNA-Bild, BonnDruck: fgb – Freiburger Graphische Betriebe, Freiburg i. Br.ISBN 978-3-87996-997-5

Inhalt

Einführung

Erster Teil: LEBEN

Kindheit, Schulzeit und Studium

Anwalt in Metz und Erster Weltkrieg

In der Nationalversammlung 1919–1940

Zweiter Weltkrieg – Widerstand und Verfolgung

Spitzenpolitiker der Nachkriegszeit

Der Schuman-Plan 1950

Schumans Weg in den 50er-Jahren

Die letzten Lebensjahre

Das Schuman-Haus in Scy-Chazelles

Zweiter Teil: VERMÄCHTNIS

Quellen seines Denkens

Für Europa – sein politisches Testament

Sein Ethos als Politiker

Politik und Heiligkeit oder: Sein menschlich-geistliches Vermächtnis

Nachwort

Lebensdaten

Quellenhinweise

Einführung

Die Weltkriege hatten unvorstellbares Leid über die Menschheit gebracht und viele Völker hart getroffen: Zahllose Menschen wurden Opfer der globalisierten Gewalt und Barbarei; viele Überlebende standen vor dem Nichts; überall Ruinen und Trümmerberge, Massen von Flüchtlingen, Heimatvertriebenen und Kriegsgefangenen. Robert Schuman war Zeitzeuge dieses Grauens und hatte selbst unter der Verfolgung der Nazis gelitten. Nach dem Zweiten Weltkrieg sah er die Zeit für einen Neuanfang gekommen, den Feinden von gestern die Hand zur Versöhnung zu reichen für eine friedliche Bündnispolitik. Trotz massiver Widerstände verfolgte er beharrlich seine Ziele, die ihn schon seit den 20er-Jahren bewegten: die Aussöhnung mit Deutschland, dauerhafter Frieden durch Einigung der europäischen Völker in ihrer kulturellen, religiösen und politischen Vielfalt.

Nach einem Plan, den sein Freund Jean Monnet (1888–1979) konzipiert hatte, ein wirtschaftlich und unternehmerisch erfahrener Stratege, ergriff er die Initiative. In einem Klima generellen Misstrauens gegenüber Deutschland legte er mit dem Schuman-Plan am 9. Mai 1950 den Grundstein für eine Wende in der europäischen Geschichte – ein historischer Tag für Europa. Er selbst übernahm dafür die politische Verantwortung. Durch diesen Plan wurde das Prinzip der Supranationalität realisiert, die bewusste Überwindung nationalstaatlichen Denkens mit dem Ziel einer überstaatlichen solidarischen Gemeinschaft der Völker in Frieden und Freiheit. Um weitere Kriege in Europa unmöglich zu machen, war die Zusammenlegung der Industrieproduktion von Kohle und Stahl in Frankreich und Deutschland unter Aufsicht einer „Hohen Behörde“ geplant, die sogenannte Montanunion, die für den Beitritt weiterer Länder offen sein sollte. Der Vertrag wurde ein Jahr später unterzeichnet, und die Hohe Behörde nahm 1952 in Luxemburg ihre Arbeit auf.

Schuman hatte wesentlichen Anteil daran, dass die deutsch-französische Freundschaft zwischen den einstigen Erbfeinden zur Realität wurde. Zwei christdemokratische Regierungschefs, Bundeskanzler Konrad Adenauer und der italienische Ministerpräsident Alcide de Gasperi, standen auf seiner Seite; auch dem belgischen Europäer Paul-Henri Spaak sind entscheidende Impulse für das Zustandekommen der europäischen Institutionen zu verdanken. Mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 schlossen sich die Benelux-Staaten, Frankreich, Deutschland und Italien zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zusammen.

Schumans Wirken war am christlichen Menschenbild und den damit verbundenen Grundwerten orientiert; es könnte auch in der gegenwärtigen Krise richtungsweisend sein. In der Öffentlichkeit stehen derzeit hauptsächlich die ökonomischen Probleme im Vordergrund, doch in der zunehmend vernetzten Welt geht es längst um weit mehr: Wir brauchen eine neue Besinnung auf aufrichtige Beziehungen, auf das, was echte Gemeinschaft trägt, was Menschen und Völker in Freundschaft miteinander verbindet.

Von Frankreich waren bereits mit der Französischen Revolution entscheidende Impulse für die Menschenrechte ausgegangen. Die Constituante von 1791 legte die Freiheit und Gleichheit aller vor dem Gesetz fest, aber das Ideal der Brüderlichkeit wurde nicht oder zumindest unzureichend realisiert, schon gar nicht auf internationaler Ebene. Gerade da ist das Verdienst von Robert Schuman zu sehen: Nach 1945 wurde er zu einem Wegbereiter der Völkerverständigung und stellte die Weichen für eine neue politische Architektur Europas – und das, wie wir sehen werden, schon damals mit dem Blick über den „alten Kontinent“ hinaus.

Schuman selbst hat sich einmal als „politischer Nomade“ bezeichnet. Als kultureller Grenzgänger und in seinem Denken war er ein Kosmopolit, ein vielseitig gebildeter, weiser Intellektueller mit einem ausgeprägten Sinn für die Realität. Bezeichnend ist sein Wort: „Europäer ist man nicht von Geburt, man wird es durch Bildung.“ Auch Jean Monnet meinte später im Rückblick: „Wenn ich das Ganze der europäischen Einigung noch einmal zu machen hätte, würde ich nicht bei der Wirtschaft anfangen, sondern bei der Kultur.“

Schumans geistige, politische und menschliche Erfahrung ist ein außergewöhnliches Zeugnis, für uns Menschen des 21. Jahrhunderts ein Vermächtnis und Auftrag, weiter an der Verwirklichung der Einheit der Völker und Menschen in der Welt zu arbeiten. Den Streiflichtern auf die Etappen seines langen Weges folgen im zweiten Teil dieses Buches Einblicke in sein Denken und sein Verständnis von Humanität, Ethik und politischer Verantwortung sowie in sein inneres Leben.

Erster Teil

LEBEN

Kindheit, Schulzeit und Studium

Robert Schuman verbrachte seine Kindheit und Jugend in Luxemburg. Sein Vater Jean-Pierre (1837–1900) stammte aus dem lothringischen Weiler Évrange (Ewringen) an der Grenze zum Großherzogtum. Bis zur Hochzeit hatte er dort zusammen mit seinem älteren Bruder eines der Gehöfte bewirtschaftet. Die ursprüngliche Heimat seiner Gattin Eugénie (1864–1911), geb. Duren, war der luxemburgische Grenzort Bettemburg, nur zwölf Kilometer von Évrange entfernt. Ihr Vater, ein Zollbeamter, war 1872 nach Kruth versetzt worden, ein Dorf im Elsass an der damaligen Grenze zu Frankreich. Zwischen Luxemburg und dem Deutschen Reich gab es zu dem Zeitpunkt keine Schlagbäume mehr; das Großherzogtum gehörte bereits seit 1842 zum Deutschen Zollverein. Jean-Pierre und die 27 Jahre jüngere Eugénie hatten sich in Bettemburg kennengelernt, wo diese bei ihren Großeltern oft ihre Ferien verbrachte. Im August 1884 heirateten die beiden in Kruth. Jean-Pierre Schuman war so wohlhabend, dass er fortan als Privatier leben konnte.

Das Ehepaar ließ sich in Luxemburg nieder, da für Eugénie das neutrale Land nach wie vor ihre Heimat war und Jean-Pierre das freiwillige Exil dem Leben in Lothringen vorzog. Elsass-Lothringen war nach dem Deutsch-Französischen Krieg im sogenannten Frankfurter Frieden im Mai 1871 vom Deutschen Kaiserreich annektiert worden. Das frisch vermählte, altersmäßig recht ungleiche Paar mietete die kleine Villa Feyden im Vorort Clausen, der verwaltungsmäßig schon damals zur Hauptstadt gehörte. Von dem Gebäude, das Schumans Vater später erwarb, blickt man über das Tal der Alzette auf die malerische Silhouette der heute zum Weltkulturerbe gehörenden Altstadt mit ihren imposanten Festungsanlagen. Hier kam Robert Schuman am 29. Juni 1886 um zwei Uhr nachts zur Welt; seine Eltern bekamen keine weiteren Kinder.

Das Kind wurde zehn Tage nach der Geburt auf die Namen Jean-Baptiste, Nicolas, Robert in der Pfarrkirche von Clausen getauft.

Clausen hatte zu jener Zeit einen dörflichen Charakter, und die luxemburgische Hauptstadt mit ihren damals gerade 20 000 Einwohnern war politisch und wirtschaftlich nicht vergleichbar mit dem heutigen einflussreichen Zentrum der Finanzwelt und Sitz des Europäischen Gerichtshofs. Die große Politik spielte damals in den Machtmetropolen Berlin und Paris; viele Luxemburger gingen über die Grenze im Trierer Raum zur Arbeit. Drei von Robert Schumans Großeltern stammten aus Luxemburg: die Großmutter väterlicherseits sowie die Eltern seiner Mutter. Die Deutschen hatten den Lothringern nach der Annektierung für kurze Zeit – bis Anfang Oktober 1872 – die Wahl gelassen, die französische Staatsangehörigkeit zu behalten und dann nach Frankreich zu emigrieren. Ein Drittel der lothringischen Bevölkerung tat diesen Schritt. Roberts sehr heimatverbundener Vater war widerwillig deutscher Staatsbürger geworden. Durch die Eheschließung bekam auch die Mutter einen deutschen Pass, und so war auch der Sohn in den ersten 32 Jahren seines Lebens Deutscher. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, im Herbst 1918, als Elsass-Lothringen wieder zu Frankreich gehörte, wurde er Franzose. Sich selbst empfand er vor allem als Lothringer; sein lothringischer Patriotismus war eindeutig ein Einfluss seines Vaters. Robert Schuman bezeichnete Lothringen als „mon petit pays“, was mit „Heimat“ wohl am treffendsten zu übersetzen ist.

Eine seiner frühesten Kindheitserinnerungen war ein starkes patriotisches Erlebnis: Als Vierjähriger war er bei der Begrüßung des neuen Großherzogs Adolph zugegen, der 1890 nach dem Tod des niederländischen Königs Wilhelm III. in Luxemburg die Erbfolge antrat. Verloren stand das Kind vor dem Großherzoglichen Palast inmitten der Volksmenge, die begeistert skandierte: „Mir welle jo keng Preisse sin!“ Noch heute heißt es im „Feierwon“, dem Nationallied der Luxemburger, am Ende des Refrains: „Mir welle bleiwe, wat mir sin!“

Roberts Muttersprache war Luxemburgisch (Letzebuergesch), ursprünglich moselfränkisches Mittelhochdeutsch, seit 1984 dritte Amtssprache im Großherzogtum. Seine Mutter sprach mit ihm meist in ihrer heimischen Sprache, hin und wieder auch Französisch, aber nie Deutsch, das sie seit ihrer Schulzeit beherrschte. In den vielen Briefen, die sie ihm später in seiner Studentenzeit schrieb, verwendete sie die französische Sprache. Sein Vater redete mit ihm nur Französisch. Mit seinen Altersgenossen und Schulkameraden unterhielt sich das Kind auf Letzebuergesch, und in der Schule lernte er Hochdeutsch. Die Ferien verbrachte die kleine Familie oft im elsässischen Kruth nahe dem Vogesenkamm bei Schumans Großeltern mütterlicherseits. Seine perfekte Beherrschung der drei Sprachen sowie die gründliche Kenntnis der verschiedenen Kulturen, in denen er aufwuchs, waren beste Voraussetzungen für sein späteres berufliches und politisches Wirken. Wohl zu Recht wird oft auf die starke Prägung des Kindes durch seine Mutter hingewiesen, eine tief religiöse, herzensgute Frau von strahlender Anmut. Vor allem sie vermittelte ihm ein lebendiges Gottvertrauen; die Teilnahme am Leben der katholischen Kirche war in der Familie eine Selbstverständlichkeit. Gern erzählte sie dem kleinen Robert Märchen oder las Geschichten vor, auch aus erbaulichen religiösen Büchern. Sie hielt ihn zum Fleiß an und achtete darauf, dass der Schüler seine Hausaufgaben sorgfältig erledigte. Die Schumans besaßen eine eigene kleine Bibliothek, zu der die Klassiker der französischen Literatur, aber auch bekannte deutsche Autoren gehörten. Von klein aufweckte seine Mutter in ihm die Lust am Lesen; die Welt der Bücher war für ihn zeitlebens weit mehr als ein Hobby. Die Erziehung seitens des Vaters soll bisweilen ziemlich streng gewesen sein, distanziert in den Äußerungen seiner Gefühle. So war die Verbundenheit des Kindes mit der Mutter, seinem „Mammschen“, wie er sie liebevoll nannte, tatsächlich stärker und weitaus nachhaltiger. Als Kindermädchen stellte sie nach seiner Geburt Lies Schumacher aus Ewringen ein, die ihm später, in den ersten Jahren als Anwalt in Metz, bis zu ihrem Tod 1919 den Haushalt führte.

Als Robert 1892 eingeschult wurde, hatte er bereits einige Kenntnisse im Lesen und Schreiben; er konnte in der Grundschule zwei Klassen überspringen und kam schon 1896 auf das Großherzogliche Athenäum. Seine Lieblingsfächer waren Geschichte, Latein und Mathematik, das Fach Leibesübungen lag ihm weniger. Seine auch musikalisch talentierte Mutter spielte ihm gern zu Hause auf dem Flügel vor, am liebsten Mozart. So weckte sie in ihrem Jungen seine besondere Neigung zur Musik, und er bekam schon früh Klavierunterricht. Auf dem Instrument seiner Mutter hat er auch später selbst immer wieder gespielt; es steht noch heute im Arbeitszimmer seines Hauses in Scy-Chazelles.

Roberts Vater verstarb im Juli 1900 im Alter von 63 Jahren, als der Junge gerade 14 Jahre alt geworden war.

Nach der Reifeprüfung am Athenäum 1903 wechselte Robert in die Oberprima des Kaiserlichen Gymnasiums in Metz, wo er im März 1904 das deutsche Abitur nachholte – Voraussetzung für das geplante Jurastudium an deutschen Universitäten. Dieses letzte Schuljahr war sein erster längerer Aufenthalt in Metz, das ihm nach dem Studium zur Wahlheimat wurde.

Da es in Luxemburg damals keine Universität gab und er sich als Einziger aus seiner Abschlussklasse bereits am Athenäum für ein Studium in Deutschland statt in Frankreich oder Belgien entschieden hatte, immatrikulierte er sich 1904 als Student der Rechtswissenschaft in Bonn; das war nicht sehr weit von seinem heimatlichen Wohnort und dank einer guten Eisenbahnverbindung schnell zu erreichen. Er war nur im Sommersemester an der Bonner Universität. Der junge Student schloss sich der katholischen Studentenverbindung Unitas an (die in Bonn den Namen „Salia“ trug), ebenso nachher in München, Berlin und Straßburg; zeitlebens blieb er den Unitariern treu verbunden.

Für die nächsten beiden Semester wechselte er an die Ludwig-Maximilians-Universität in München; dort hörte er Vorlesungen des Nationalökonomen Lujo von Brentano und studierte Deutsches Recht bei Georg Freiherr von Hertling, dem Gründer und Vorsitzenden der Görres-Gesellschaft. Hertling wurde später, im Jahr 1912, bayerischer Ministerpräsident und vor Ende des Ersten Weltkriegs Reichskanzler.

In der kulturell pulsierenden Metropole Bayerns hörte Schuman auch Vorlesungen in Religionsphilosophie. Für das Wintersemester 1905/06 wechselte er an die Berliner Humboldt-Universität, wo er neben Jura auch Volkswirtschaft, Finanzwissenschaft, Wirtschaftsrecht sowie griechische Philosophie und Geschichte studierte; eingehend befasste er sich mit dem Thema Gerechtigkeit im Staatswesen in Platons Reifewerk Politeia. In München und Berlin machte er sich zudem mit der Philosophie Kants, Hegels und Nietzsches vertraut.

Mit seiner Mutter stand er während seines Studiums in regem Briefkontakt; sie schrieb ihm fast jede Woche und wünschte sich sehnlichst, er möge wieder mehr in ihrer Nähe sein. Deshalb verbrachte er schon ab dem Wintersemester 1906 seine weiteren Studienjahre an der renommierten Juristischen Fakultät im damals zum Deutschen Reich gehörenden Straßburg. Dort legte er zwei Jahre später das Erste Juristische Staatsexamen ab; darauf folgte das Referendariat an verschiedenen Orten sowie die Promotion mit „summa cum laude“ im Februar 1911 mit einer Doktorarbeit zum formaljuristischen Thema „Streitbefangenheit und Rechtsnachfolge als Voraussetzung der Paragraphen 265 und 266 der Zivilprozessordnung“. Er hatte sich an der Straßburger Universität auf Zivilrecht spezialisiert. Im März 1912 konnte er seine siebenjährige Hochschul- und Berufsausbildung mit dem Assessorexamen abschließen.

In vielen erhalten gebliebenen Briefen seiner Mutter aus seiner Studentenzeit informierte sie ihn über alles, was daheim, in der Verwandtschaft und im Kulturleben Luxemburgs passierte. Aus ihren Worten spricht starke mütterliche Liebe, die sich nicht zuletzt in einer anrührenden Besorgtheit um sein Wohlergehen artikulierte: „Spare nicht so viel, das wäre nicht gut ... Hast Du genügend Briketts? ... Vor allem ernähr Dich gescheit!“ Oder auch: „Deine vielen Bücher, vor allem die antiquarischen, sind für mich ein Albtraum. Das fehlt gerade noch, anderes wäre doch wichtiger!“ Sie wusste, dass ihr Sohn sein Erspartes lieber für bibliophile Raritäten als für Kleidung und anderes ausgab, was ihr weit notwendiger schien. In ihrer Überbesorgtheit sandte sie ihm hin und wieder Päckchen mit einem neuen Oberhemd oder einer Krawatte.

Während seiner Straßburger Jahre unternahm er mit seiner Mutter zwei größere Reisen: eine Wallfahrt nach Lourdes 1908 mit anschließendem dreitägigem Aufenthalt in Paris, wo sie sich mit ihm auch in Modegeschäften umsah. 1909 reisten beide nach Rom, sie erlebten die Liturgie der Karwoche und des Osterfests im Petersdom und nahmen an den Feierlichkeiten zur Seligsprechung von Jeanne d’Arc teil – für ihn unvergessliche Tage. 1920 erlebte er in der „Ewigen Stadt“ übrigens auch die Heiligsprechung der französischen Nationalheldin.

1911 kam Schumans Mutter im Alter von 46 Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben. In einer Kurzmeldung der Zeitung Luxemburger Wort vom 31. August war zu lesen, dass Frau Schuman aus Clausen am Vortag einen tragischen Tod gefunden habe: Sie sei auf der Reise zu einer Hochzeit von ihrem Schwager, dem Bürgermeister Schuman aus Ewringen, vom Bahnhof mit einer Kutsche abgeholt worden. Plötzlich seien die Pferde scheu geworden und davongestürmt. Frau Schuman sei aus dem Wagen geschleudert worden und so unglücklich gefallen, dass sie kurz darauf verschied. Eine andere Dame, die herausgesprungen war, sowie die Übrigen seien mit dem Schrecken davongekommen.

Der völlig unerwartete Tod der Mutter war ein tiefer Einschnitt in Schumans Leben, kurz vor dem Einstieg in die berufliche Selbstständigkeit. Es traf ihn „brutal“, wie er in einem Brief an seinen Elsässer Freund und Kommilitonen Henri Eschbach schrieb. Dieses Unglück markierte den Abschied von der Zeit seiner Kindheit und Jugend, es katapultierte ihn mit Gewalt ins Erwachsenenalter. Er hatte zwar viele liebe Verwandte und gute Freunde, die ihm feinfühlig zu helfen versuchten, über seine tiefe Trauer hinwegzukommen, aber er fühlte sich nun doch sehr allein.