Roger Federer - David Foster Wallace - E-Book

Roger Federer E-Book

David Foster Wallace

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Beschreibung

»Ich wusste nicht, ob daraus der beste oder der schlimmste Text über mich werden würde.« Roger Federer. 2006 reiste David Foster Wallace im Auftrag der New York Times nach Wimbledon, um über das dortige Tennisturnier zu schreiben. Wallace, selbst in seiner Jugend ein erfolgreicher Tennisspieler, traf Roger Federer – für ihn eine fast göttliche Begegnung. David Foster Wallace' Reportagen sind Herzstücke seines großen Werks. 2006 traf Wallace Roger Federer und führte ein Interview mit dem damals noch nicht ganz so berühmten Schweizer, dessen »übermenschliche Karriere« langsam Fahrt aufnahm. Herausgekommen ist ein Text, der Federers Talent beschreibt, der aber auch wie immer bei Wallace die scheinbaren Nebensächlichkeiten des Turniers in den Blick nimmt. Dieser Text ist berühmt geworden – nicht zuletzt, weil die Tennisspielerin und Autorin Andrea Petković ihn wie die anderen Tennistexte von Wallace mit Nachdruck immer wieder empfiehlt.

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Seitenzahl: 90

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David Foster Wallace

ROGER FEDERER

Eine Huldigung

Zweisprachige AusgabeAus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über David Foster Wallace

> Über dieses Buch

> Impressum

> Klimaneutraler Verlag

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Roger Federer – Eine HuldigungFederer both flesh and not
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Roger Federer – Eine Huldigung

Praktisch jeder, der Tennis liebt und die Herrenturniere im Fernsehen verfolgt, dürfte in den letzten Jahren sogenannte Federermomente erlebt haben, Augenblicke, in denen man den jungen Schweizer spielen sieht, und plötzlich klappt einem die Kinnlade runter, man bekommt Stielaugen und produziert Geräusche, die Partner aus Nebenzimmern herbeieilen lassen, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist. Federermomente fallen intensiver aus, wenn man selbst genug Tennis gespielt hat, um zu wissen, dass das, wobei man ihn gerade beobachtet hat, unmöglich ist. Jeder von uns hat Beispiele parat. Hier ist eines. Beim Finale der US Open 2005 hat Federer am Anfang vom vierten Satz Aufschlag gegen Andre Agassi. Es gibt einen mittellangen Ballwechsel mit der charakteristischen Schmetterlingsform heutigen Power-Grundlinienspiels. Federer und Agassi hetzen sich gegenseitig von einer Seite zur anderen, und jeder will punkten … bis Agassi plötzlich eine harte Crosscourt-Rückhand schlägt, die Federer weit auf seine Vorteilsseite (= seine Linke) zwingt. Federer erreicht den Ball, schlägt die gestreckte Rückhand aber kurz und mit Slice, einen Meter hinter die Aufschlaglinie, was für Agassi natürlich ein gefundenes Fressen ist, und während Federer noch in die Mitte unterwegs ist, geht Agassi rein, nimmt den kurz gespielten Ball im Aufsteigen an, drischt ihn in dieselbe Ecke zurück und versucht, Federer auf dem falschen Fuß zu erwischen, was ihm auch gelingt – zur Mittellinie unterwegs, sieht Federer, wie der Ball in seinen Rücken gespielt wird, und er hat kaum Zeit, sich zu drehen, in einem Winkel von der Rückhandseite folgt Agassi dem Schlag ans Netz … und dann schafft Federer irgendwie eine Schubumkehr, springt unfassbar schnell drei oder vier Schritte zurück, schlägt eine Vorhand aus seiner Rückhandecke, während seine Körpermasse noch rückwärtsdrängt, und die Vorhand fegt mit Topspin die Linie entlang an Agassi vorbei, der am Netz noch einen Ausfallschritt macht, aber der Ball ist schon vorbei, fliegt die Seitenlinie lang und landet auf Agassis Seite genau in der Vorhandecke, ein Winner – und Federer tänzelt immer noch rückwärts, als der Ball aufschlägt. Eine Sekunde lang herrscht die bekannte schockierte Stille, bevor die New Yorker Zuschauer explodieren, und John McEnroe sagt, eher zu sich selbst, in sein farbiges Kopfbügelmikro: »Wie schlägt man aus der Position einen Winner?« Und er hat recht: Bei Agassis Position und Weltklassegeschwindigkeit musste Federer den Ball in einen fünf Zentimeter breiten Raumkorridor schlagen, um an ihm vorbeizukommen, was ihm gelang, während er in einer Rückwärtsbewegung war, keine Zeit zur Vorbereitung hatte und seine Masse nicht hinter den Schlag bringen konnte. Es war unmöglich. Es war wie in einem Matrix-Film. Ich weiß nicht, was für Geräusche ich gemacht habe, aber meine Frau sagt, als sie ins Zimmer platzte, war die Couch von Popcorn übersät, ich war auf ein Knie runtergegangen und machte Riesenaugen wie die aus dem Scherzartikelladen.

Das ist also ein Beispiel eines Federermoments, und das war nur im Fernsehen, und Tennis im Fernsehen hat mit Livetennis ungefähr so viel zu tun wie Pornos mit echter Liebe.

 

Journalistisch gesprochen, gibt es über Roger Federer nichts Neues. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren ist er heute der beste Tennisspieler der Welt. Vielleicht der beste aller Zeiten. Porträts und Profile gibt es in Hülle und Fülle. 60 Minutes hat ihm letztes Jahr eine Dokumentation gewidmet. Egal, was Sie über Roger k.zw.V. Federer wissen wollen – seine Vorgeschichte, seine Heimatstadt Basel, die vernünftige und nicht schindende Talentförderung durch seine Eltern, seine Karriere im Juniorentennis, seine frühen Souveränitäts- und Temperamentsprobleme, den verehrten Jugendtrainer, den Unfalltod dieses Trainers 2002, der Federer niederschmetterte, aber auch abhärtete und zu dem machte, der er heute ist, Federers neununddreißig Karrieresiege im Einzel, seine acht Grand Slams, seine außergewöhnlich enge und reife Bindung an seine Freundin, die mit ihm reist (was auf der Tour selten ist) und seine geschäftlichen Angelegenheiten regelt (was auf der Tour beispiellos ist), sein Gleichmut alter Schule, seine psychische Zähigkeit, sein Sportsgeist, seine augenfällige ethische Integrität und Besonnenheit, sein karitatives Engagement – das alles ist nur eine Google-Suche weit weg. Tun Sie sich keinen Zwang an.

Der vorliegende Artikel dreht sich mehr um eine persönliche Zuschauererfahrung Federers und ihre situative Einbettung. Die Hypothese lautet: Wenn Sie diesen jungen Mann noch nie live spielen gesehen haben und ihn dann auf dem heiligen Rasen von Wimbledon leibhaftig vor sich sehen, erst in der Gluthitze und dann im Wind und Regen der vierzehn Tage von 2006, dann dürften Sie mit hoher Gewissheit eine »fast schon religiöse Erfahrung« gemacht haben, wie ein Fahrer der Turnierpressebusse das beschreibt. Man ist zunächst versucht, eine solche Wendung für eine der überspannten Tropen zu halten, zu denen die Leute Zuflucht nehmen, wenn sie ihre Federermomente zu beschreiben versuchen. Aber die Formulierung des Fahrers stellt sich als wahr heraus – buchstäblich und einen Augenblick lang ekstatisch –, allerdings braucht es Zeit und sehr viel Tennisschauen, bis sich diese Wahrheit abzeichnet.

 

Im Wettkampfsport geht es nicht um Schönheit, aber der Spitzensport ist eine der wichtigsten Ausdrucksmöglichkeiten für menschliche Schönheit. Das Verhältnis entspricht dem von Mut und Krieg.

Die menschliche Schönheit, um die es hier geht, ist eine spezifische Schönheit; man könnte sie kinetische Schönheit nennen. Ihre Kraft und ihre Attraktivität sind allgemeingültig. Das hat nichts mit Sex oder kulturellen Normen zu tun. Letztlich geht es eher um die Versöhnung des Menschen mit der Tatsache, dass er einen Körper hat.[1] Im Männersport ist natürlich nie von Schönheit, Anmut oder auch nur dem Körper die Rede. Männer können sich zu ihrer »Liebe« zum Sport bekennen, diese muss aber immer in der Symbolik des Krieges ausgedrückt und umgesetzt werden: Ausscheiden vs. Weiterkommen, die Hierarchie von Rang und Status, zwanghaft erstellte Statistiken und Technikanalysen, stammesspezifische und/oder nationalistische Leidenschaft, Uniformen, der Lärm der Masse, Banner, Brusttrommeln, Kriegsbemalung usw. Aus mehr oder weniger diffusen Gründen fühlen wir uns mit dem Code des Krieges meistens wohler als mit dem der Liebe. Wenn Ihnen das auch so geht, dann ist Spaniens muskulöser und martialischer Rafael Nadal der Mann Ihrer Träume – der Mann mit dem ärmellosen Bizeps und den theatralischen Selbstgeißelungen. Nadal ist außerdem Federers Angstgegner und in Wimbledon dieses Jahr die große Überraschung, denn er ist ein Sandplatzspezialist, und niemand hätte gedacht, dass er hier die ersten Runden überlebt. Während Federer bis zum Halbfinale weder eine Überraschung noch ein Wettkampfdrama zu bieten hatte. Er hat jeden Gegner dermaßen an die Wand gespielt, dass Fernsehen und Printmedien sich Sorgen machen, seine Matches wären langweilig und keine ernst zu nehmende Konkurrenz zur nationalistischen Leidenschaft der Fußballweltmeisterschaft.[2]

 

Das Finale der Herren am 9. Juli ist dann aber schlicht und einfach traumhaft. Nadal gegen Federer ist eine Wiederholung vom Finale der French Open im letzten Monat, das Nadal gewonnen hat. Federer hat dieses Jahr erst vier Matches verloren, aber alle gegen Nadal. Die meisten dieser Matches wurden allerdings auf langsamen Sandplätzen ausgetragen, auf denen Nadal am besten spielt. Federer läuft auf Gras zur Bestform auf. Andererseits hat die Hitze der ersten Turnierwoche die Courts in Wimbledon teilweise ausgedörrt und langsamer gemacht. Hinzu kommt, dass Nadal sein auf Sand abgestimmtes Spiel auf Gras umgestellt hat – bei seinen Grundschlägen nähert er sich der Grundlinie, verstärkt seinen Aufschlag und seine Netzangriffe. In der dritten Runde hat er Agassi ungespitzt in den Boden gerammt. Die großen Fernsehsender sind außer Rand und Band. Vor dem Match auf dem Centre-Court sieht man die Kommentatoren hinter den Glasschlitzen über dem südlichen Ballfang auf ihren Plätzen praktisch auf und ab hüpfen, als die Linienrichter schon auf den Court kommen, deren neue Uniformen von Ralph Lauren an Matrosenanzüge für Kinder erinnern. Dieses Wimbledon-Finale ist ein Rachedrama, hat die Dynamik von Monarch und Königsmörder, die extremen Charakterkontraste. Südeuropas leidenschaftlicher Machismo misst sich mit der vertrackten eiskalten Kunstfertigkeit des Nordens. Dionysos gegen Apoll. Hackebeil gegen Skalpell. Linkshänder gegen Rechtshänder. Der Erste und der Zweite der Weltrangliste. Nadal, der Mann, der das moderne Power-Grundlinienspiel an seine Grenzen getrieben hat … gegen den Mann, der genau dieses moderne Spiel transzendiert hat, dessen Präzision und Abwechslungsreichtum genauso großartig sind wie sein Tempo und seine Beinarbeit, dessen Schwachstelle aber gerade dieser andere ist, der seine Psychospielchen mit ihm treibt. Ein britischer Sportjournalist, der da auf der Pressetribüne mit seinen Kollegen Freudensprünge macht, sagt zweimal: »Das gibt Krieg.«

Außerdem sind wir in der Kathedrale des Centre-Court. Und das Finale im Herreneinzel findet immer am zweiten Sonntag der vierzehn Tage statt, eine Symbolik, die Wimbledon betont, indem am ersten Sonntag nie gespielt wird. Und die Sturmböen, die den ganzen Vormittag über Parkschilder umgestürzt und Regenschirme umgestülpt haben, legen sich plötzlich eine Stunde vor Matchbeginn, und die Sonne kommt raus, als die Planen über dem Centre-Court zusammengerollt und die Netzpfosten eingeschraubt werden.

Federer und Nadal erscheinen unter Applaus und verbeugen sich nach gutem alten Brauch vor der königlichen Loge. Der Schweizer trägt das buttermilchfarbene Jackett, das Nike ihn dieses Jahr in Wimbledon tragen lässt. Zusammen mit Shorts und Tennisschuhen sieht das vielleicht nur an einem Roger Federer nicht lächerlich aus. Der Spanier verzichtet auf alle Aufwärmkleidung, und man muss sofort seine Muskeln betrachten. Beide tragen von Kopf bis Fuß Nike, bis hin zu identischen weißen Stirnbändern mit dem Swoosh direkt über dem dritten Auge. Nadal streicht die Haare unter das Stirnband, Federer aber nicht, und das Glätten und Herummachen an den nicht vom Stirnband gezähmten Haaren ist sein größter Tick, den Fernsehzuschauer zu sehen bekommen; bei Nadal ist es die zwanghafte Zuflucht zum Handtuch, das der Balljunge ihm zwischen Punkten reicht. Es gibt noch andere Ticks und Gewohnheiten; kleine Vorteile der Liveübertragung. Da ist die große Sorgfalt, mit der Roger Federer das Jackett über die Rückenlehne seines freien Courtstuhls hängt, damit es nicht zerknittert – das hat er hier vor jedem Match so gemacht, und es hat etwas Kindliches und Rührendes. Oder dass er unweigerlich irgendwann im zweiten Satz den Schläger wechselt; der neue steckt immer im selben durchsichtigen Plastikfutteral mit blauen Verschlussstreifen, die er sorgfältig abzieht und vom Balljungen entsorgen lässt. Nadal hat den Tick, sich die langen Shorts aus dem Gesäß zu zupfen, während er den Ball vor dem Aufschlag aufspringen lässt, und wenn er die Grundlinie abschreitet, schießen seine Blicke hin und her wie die eines Knastbruders, der Angst hat, mit einer selbst gebastelten Klinge hinterrücks erstochen zu werden. Und wenn man genau hinschaut, ist der Aufschlag des Schweizers seltsam. Unmittelbar bevor er in Bewegung kommt, streckt Federer Ball und Schläger aus und legt den Ball ganz kurz genau ins V vom Stockherz, direkt unter dem Schlägerkopf. Wenn der Ball nicht vollkommen liegt, korrigiert er das. Es geht ganz schnell, aber er macht das jedes Mal, bei ersten und zweiten Aufschlägen.