Unendlicher Spaß - David Foster Wallace - E-Book
SONDERANGEBOT

Unendlicher Spaß E-Book

David Foster Wallace

0,0
15,99 €
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Kultroman als eBook! »Unendlicher Spaß vereint literarische Innovation und Lesbarkeit auf eigene, unerhörte, markerschütternde Weise.« Frankfurter Allgemeine Zeitung »Unendlicher Spaß« – so nannte James Incandenza seinen Film, der Menschen, die ihn anschauen, so verhext, dass sie sich nicht mehr von ihm lösen können und dabei verdursten und verhungern. Sein Sohn Hal, ein Tenniswunderkind mit außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten, studiert an der Enfield Tennis Academy (ETA), die von seinem Vater gegründet wurde. Hier sowie im nahe gelegenen Ennet-House, einem Entziehungsheim für Drogenabhängige, spielt ein Teil der überbordenden Handlung, die jeden literarischen Kosmos sprengt – in einem leicht in die Zukunft versetzten Amerika, das mit Kanada und Mexiko die »Organisation der nordamerikanischen Nationen« bildet und von radikalen Separatisten in Kanada bekämpft wird. 1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Nicht allein der schiere Umfang, sondern vor allem die sprachliche Kreativität, die ungeheure Themenvielfalt, die treffsichere Gesellschaftskritik, scharfe Analyse sowie der Humor machen den Roman zum Meilenstein der amerikanischen Literatur. Namhafte Autoren von Dave Eggers bis Jonathan Franzen sehen in diesem Buch ein Vorbild für ihr Schaffen. Ulrich Blumenbach hat sechs Jahre lang an der Übersetzung gearbeitet, und seine kongeniale Übertragung ins Deutsche wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Mehr: https://www.unendlicherspass.de/

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 2703

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



David Foster Wallace

Unendlicher Spaß

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrich Blumenbach

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über David Foster Wallace

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Hinweise des VerlagsFördernachweisWidmungJahr des Glad-MüllsacksJahr der Inkontinenz-Unterwäsche1. April – Jahr des Tucks-Hämorrhoidensalbentuchs9. Mai – Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheJahr der Inkontinenz-UnterwäscheJahr der Dove-ProbepackungJahr der Inkontinenz-UnterwäscheOktober – Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheJahr der Inkontinenz-UnterwäscheHerbst – Jahr der Milchprodukte aus dem Herzen Amerikas3. November – Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheAb dem Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheDenver (Colorado), 1. November Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheJahr der Inkontinenz-UnterwäscheJahr der Inkontinenz-Unterwäsche30. April – Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheJahr der Inkontinenz-Unterwäsche3. November J.D. I.-U.Mario Incandenzas bisher einzige und auch nur entfernt romantische Erfahrung30. April – Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche30. April – Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche3. November J.D.I.-U.Winter 1960 V. SZ – Tucson, Arizona4. November Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheEnde Oktober Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche6. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche7. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche5. November – Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche6. November – Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche14. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche7. November – Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche30. April/1. Mai Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche8. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche Interdependenztag Gaudeamus Igitur8. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche Interdependenztag Gaudeamus Igitur30. APRIL/1. Mai Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche8. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche Gaudeamus Igitur30. April/1. Mai Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheJahr der Inkontinenz-UnterwäscheGanz spät im Oktober J.D.I.-U.9. November Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheVor der Morgendämmerung, 1. Mai – J.D.I.-U. immer noch eine Felsnase nordwestlich von Tucson, Arizona, USAVor der Morgendämmerung, 1. Mai J.D.I.-U. immer noch eine Felsnase nordwestlich von Tucson, Arizona, USAWinter, 1963 V. SZ, Sepulveda, Kalifornien10. November Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheVor und in der Morgendämmerung, 1. Mai J.D.I.-U. immer noch eine Felsnase nordwestlich von Tucson, Arizona, USA04.50 Uhr, 11. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche Verwaltungsbüro, Ennet House D.A.R.H., Enfield, MassachusettsAnfang November Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheSpätabends, Montag, 9. November Jahr der Inkontinenz-UnterwäscheMittwoch, 11. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche11. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche13. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche11. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche14. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche11. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche14. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche14. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche14. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche14. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche14. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche11. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche17. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche19. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche20. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche Gaudeamus Igitur20. November Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche unmittelbar vor dem Fundraising-Show-Fest Gaudeamus IgiturNachbemerkung des Übersetzers
zurück

 

 

 

 

Die in diesem Buch beschriebenen Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind vom Autor nicht beabsichtigt und entweder Zufall oder Produkt Ihrer eigenen krankhaften Phantasie.

 

Namen real existierender Orte, Firmen, Institutionen und Personen des öffentlichen Lebens beziehen sich aus-schließlich auf erfundenen Stoff, nicht auf die Wirklichkeit.

 

Neben den geschlossenen Treffen, die Alkoholikern vorbehalten sind, veranstalten die Anonymen Alkoholiker in Boston, Massachusetts, offene Treffen, bei denen so ziemlich jeder, der sich für so was interessiert, dabei sein, zuhören, mitschreiben und den Leuten Löcher in den Bauch fragen kann. Bei diesen offenen Treffen haben mir viele Menschen äußerst geduldig, redselig, offen und hilfreich Auskunft gegeben. Ich kann diesen Männern und Frauen am besten danken, indem ich ihre Namen für mich behalte.

 

Auszüge dieses Romans erschienen in anderer Form bereits in folgenden Publikationen: Harvard Review, The Iowa Review, Grand Street, Conjunctions, Harper’s, The Review of Contemporary Fiction, The Pushcart Prize XIII, The New Yorker.

zurück

 

 

 

 

Der Übersetzer dankt dem Deutschen Übersetzerfonds, der diese Arbeit mit zwei umfangreichen Stipendien gefördert hat, sowie seinem Vater Arnold Blumenbach, ohne dessen mäzenatische Zuwendungen er die Übersetzung nicht hätte abschließen können.

zurück

Für F. P. Foster: R. i. P.

zurück

Jahr des Glad-Müllsacks

Ich befinde mich in einem Büro, umgeben von Körpern und Köpfen. Meine Haltung kongruiert bewusst der Form des harten Stuhls, auf dem ich sitze. Es ist ein kaltes Zimmer, das zur Universitätsverwaltung gehört, holzgetäfelt, remingtonbehängt und doppelverglast gegen die Novemberhitze, durch das Empfangsareal draußen von Verwaltungsgeräuschen abgeschirmt. Dort wurden Onkel Charles, Mr deLint und ich vorhin empfangen.

Ich bin hier drin.

Auf der anderen Seite des Konferenztischs aus poliertem Kiefernholz, der im spinnfädigen Mittagslicht von Arizona glänzt, schälen sich über leichten Sommersakkos und halben Windsors drei Gesichter heraus. Sie gehören den drei Kommissionsleitern – Zulassung, Studiendekanat und Hochschulsport. Welches wem gehört, weiß ich nicht.

Ich glaube, ich wirke neutral, vielleicht sogar liebenswürdig, dabei wurde mir eingebläut, neutral zu bleiben und nicht zu versuchen, eine mir liebenswürdig erscheinende Miene aufzusetzen oder gar zu lächeln.

Ich schlage sorgfältig, so hoffe ich, die Beine übereinander, Knöchel auf Knie, Hände im Schoß der Hose. Meine verschränkten Finger sehen aus wie eine Serie des Buchstaben X im Spiegelkabinett. Im Sitzungszimmer sind außerdem: der Literarische Gutachter der Fakultät, der Universitäts-Tennistrainer und der Prorektor Mr A. deLint. C.T. sitzt neben mir; die anderen sitzen bzw. stehen und stehen am Rand meines Gesichtsfeldes. Der Tennistrainer klimpert mit Kleingeld in der Tasche. Ein leicht digestiver Geruch liegt im Zimmer. Die Profilsohle meines von Nike gesponserten Turnschuhs ist parallel ausgerichtet zum ausgelatschten Loafer des Halbbruders meiner Mutter, anwesend in seiner Eigenschaft als Rektor. Er sitzt auf dem Stuhl, so hoffe ich, gleich rechts neben mir und sieht ebenfalls die Kommissionsleiter an.

Der Kommissionsleiter zur Linken, ein schmaler, gelblicher Mann, dessen eingefrorenes Lächeln gleichwohl vergänglich ist wie eine Prägung in unnachgiebigem Material, gehört einem Menschentyp an, den ich in letzter Zeit zu schätzen gelernt habe, dem Typ, der seine Neugier auf meine Meinung ungestillt lässt, indem er mir meine Sicht der Dinge darlegt. Der zottelige Löwe von Kommissionsleiter in der Mitte hat ihm einen Stapel Computerausdrucke zugeschoben, und er wendet sich mehr oder weniger an diese Blätter, lächelt auf sie hinab.

»Sie sind Harold Incandenza, achtzehn, Schulabschluss in schätzungsweise einem Monat, Sie besuchen die Enfield Tennis Academy in Enfield, Massachusetts, in deren Internat Sie auch wohnhaft sind.« Seine Lesebrille ist rechteckig, tennisplatzförmig, oberer und unterer Rand bilden die Seitenlinien. »Trainer White und Kommissionsleiter [unverständlich] zufolge sind Sie ein regional, national und kontinental gesetzter Tennisspieler, ein äußerst vielversprechender potenzieller O.N.A.N.C.A.A.-Sportler, der von Trainer White in einem im … Februar dieses Jahres aufgenommenen Schriftwechsel mit Dr. Tavis hier angeworben wurde.« Das jeweils oberste Blatt wird in regelmäßigen Abständen abgehoben und unter den anderen säuberlich auf Stoß gebracht. »Seit Ihrem siebten Lebensjahr sind Sie wohnhaft in der Enfield Tennis Academy.«

Ich frage mich, ob ich es wagen soll, mir den Grützbeutel rechts am Kiefer zu kratzen.

»Trainer White setzt unsere Verwaltung darüber in Kenntnis, dass er dem Programm und den Erfolgen der Enfield Tennis Academy großen Respekt zollt, dass der Tenniskader der University of Arizona schon mehrfach von der Immatrikulation E.T.A-Ehemaliger profitiert hat, zu denen ein gewisser Mr Aubrey F. deLint zählte, der heute an Ihrer Seite hier erschienen ist. Trainer White und seine Leute geben uns Grund –«

Die Diktion des gelben Verwaltungsbeamten ist alles in allem mittelmäßig, aber ich muss zugeben, dass er sich verständlich gemacht hat. Der Literarische Gutachter scheint über mehr als die übliche Anzahl Augenbrauen zu verfügen. Der Kommissionsleiter zur Rechten sieht mich etwas seltsam an.

Onkel Charles sagt, es sei zwar nicht auszuschließen, dass die Kommissionsleitung geneigt sein könnte, seine Behauptungen darauf zurückzuführen, dass er eine Art Cheerleader der E.T.A. sei, er dürfe der versammelten Kommissionsleitung indes versichern, dass das alles der Wahrheit entspreche und dass in der Academy gegenwärtig sage und schreibe ein Drittel der dreißig besten Junioren des Kontinents wohnhaft sei, in nachgerade sämtlichen Altersgruppen, und dass ich hier, der meist »Hal« genannt werde, »sozusagen eines der Sahnehäubchen auf der Crème de la Crème« sei. Rechter und mittlerer Kommissionsleiter lächeln routiniert; deLint und der Trainer neigen die Köpfe, als sich der linke Leiter räuspert:

»– zu der Annahme, dass Sie sogar als Studienanfänger durchaus einen substanziellen Beitrag zum Tennisprogramm dieser Universität leisten könnten. Wir sind erfreut«, sagt oder liest er und hebt ein Blatt ab, »dass ein größerer Wettkampf Sie zu uns geführt hat und uns die Möglichkeit gibt, uns über Ihren Immatrikulationsantrag sowie Ihre potenzielle Anwerbung, Einschreibung und Studienbeihilfe zu unterhalten.«

»Man hat mich gebeten, darauf hinzuweisen, dass Hal im angesehenen WhataBurger-Southwest-Junior-Gastturnier drüben im Randolph Tennis Center an Nummer 3 im Einzel der Junioren gesetzt ist –«, sagt der mutmaßliche Hochschulsportleiter, und sein schräggelegter Kopf zeigt sommersprossige Kopfhaut.

»Drüben in Randolph Park, in der Nähe des unvergleichlichen El Con Marriott«, wirft C.T. ein, »einem Austragungsort, den die ganze Gruppe erklärtermaßen bislang absolut picobello fand, was –«

»Ganz recht, Chuck, und unserem Chuck zufolge ist Hal seinem Listenplatz bereits gerecht geworden und hat mit einem, wie es scheint, beeindruckenden Sieg heute Vormittag das Halbfinale erreicht. Morgen wird er wieder drüben im Center spielen, und zwar gegen den Sieger des Viertelfinalspiels von heute Abend. Wenn mich nicht alles täuscht, tritt er also morgen Abend um 20.30 an –«

»Versuch alles klarzumachen, bevor da draußen diese Affenhitze herrscht. Auch wenn’s natürlich eine trockene Hitze ist.«

»– und hat sich offenbar auch schon für das Kontinental-Hallenturnier im kommenden Winter oben in Edmonton qualifiziert, wie Kirk mir sagte –«, bringt den Kopf noch mehr in Schräglage, schaut hoch und nach links zum Tennistrainer rüber, dessen permagrinsende Zähne sich strahlend von einem deftigen Sonnenbrand abheben – »Was echt für ihn spricht.« Er lächelt und sieht mich an. »War das so weit alles richtig, Hal?«

C.T. hat lässig die Arme gekreuzt; im klimatisierten Sonnenlicht erscheinen seine Trizepse wie marmoriert. »Das will ich meinen, Bill.« Er lächelt. Die beiden Hälften seines Schnurrbarts harmonieren nie ganz. »Ich würde gern noch hinzufügen, dass Hal aufgeregt ist, aufgeregt darüber, das dritte Jahr in Folge zum Gastturnier eingeladen zu werden, wieder in einer Gemeinschaft zu sein, der er tiefe Zuneigung entgegenbringt, ihre Ehemaligen und Trainer wiederzusehen, seine hohe Setzung im ja nicht unschwierigen Wettbewerb dieser Woche schon gerechtfertigt zu haben, immer noch, wie es so schön heißt, dabei zu sein, auch wenn man den Tag nicht loben soll, ehe die Vesperglocken verklungen sind, wenn ich mal so sagen darf, am meisten aber natürlich, weil es ihm die Gelegenheit gibt, Sie, meine Herren, kennenzulernen und die hiesigen Anlagen in Augenschein zu nehmen. Alles ist hier absolut vom Feinsten, soweit er gesehen hat.«

Schweigen. DeLint schubbert die Wandtäfelung entlang und verlagert sein Gewicht wieder auf die Körpermitte. Mein Onkel strahlt und strafft sein straffes Uhrarmband. 62,5 % der Gesichter im Raum sehen mich freundlich gespannt an. Mein Herz rumpelt wie ein Wäschetrockner mit Schuhen drin. Ich setze eine Miene auf, die als Lächeln verstanden werden will. Ich wende mich hierhin und dorthin, ganz leicht, um alle Anwesenden an dieser Miene teilhaben zu lassen.

Ein neues Schweigen. Die Augenbrauen des gelben Kommissionsleiters werden zu Zirkumflexen. Die beiden anderen Leiter schauen den für Literarische Gutachten an. Der Tennistrainer ist vor das große Fenster getreten und fährt sich am Hinterkopf über den Bürstenschnitt. Onkel Charles’ Hand streicht über den Unterarm oberhalb der Armbanduhr. Scharfgeschwungene Palmenschatten gleiten über den glänzenden Kieferntisch, der Schatten des einen Kopfs ein schwarzer Mond.

»Ist mit Hal alles in Ordnung, Chuck?«, fragt Hochschulsport. »Er schien gerade eine … na ja, Grimasse zu ziehen. Hat er Schmerzen? Hast du Schmerzen, mein Sohn?«

»Hal ist voll auf dem Posten«, lächelt mein Onkel mit einer besänftigenden, saloppen Geste. »Bloß ein kleines, sagen wir, vielleicht nervöses Zucken, weiter nichts, durch all das Adrenalin, weil er hier auf diesem beeindruckenden Campus ist und bewiesen hat, dass seine Setzung richtig war, ohne einen einzigen Satz abzugeben, weil er das offizielle schriftliche Angebot mit einem PAC-10-Briefkopf erhalten hat, in dem ihm Trainer White nicht nur eine Verzichtserklärung zusagt, sondern auch eine Studienbeihilfe, weil er, wie er mir gegenüber angedeutet hat, höchstwahrscheinlich bereit ist, hier und heute und auf der Stelle eine Nationale Absichtserklärung zu unterzeichnen.« C.T. sieht mich mit furchterregender Milde an. Ich gehe auf Nummer sicher, entspanne jeden einzelnen Muskel im Gesicht, nehme ihm jeden Ausdruck und starre intensiv auf den Kekuléknoten der Krawatte des mittleren Kommissionsleiters.

Meine stumme Reaktion auf das erwartungsvolle Schweigen beeinträchtigt die Atmosphäre. Die von den Lüftungsschächten der Klimaanlage aufgewirbelten Staubpartikel und Sakkoflusen tanzen besoffen in der schräggeschäfteten Sonnensäule, und die Luft über dem Tisch gleicht dem durchsprühten Raum über einem frisch eingeschenkten Mineralwasser. Mit leichtem Akzent, der weder britisch noch australisch ist, erklärt der Trainer C.T., das ganze Antragsprozedere sei normalerweise nur eine harmlose Formalität, wahrscheinlich aber am besten zu fassonieren, wenn der Bewerber persönlich Stellung nähme. Rechter und mittlerer Kommissionsleiter haben die Köpfe zusammengesteckt, verständigen sich leise und bilden ein Tipi aus Haut und Haar. Der Tennistrainer hat wahrscheinlich fassonieren und simplifizieren verwechselt, obgleich forcieren einem nicht nur leichter von den Lippen geht, sondern auch in phonetischer Hinsicht der plausiblere Fehler ist. Der Kommissionsleiter mit dem platten gelben Gesicht hat sich vorgebeugt und bleckt ein wenig die Zähne, was ich für Anteilnahme halte. Seine Hände haben sich auf der Konferenztischplatte aneinandergelegt. Seine Finger sehen aus, als paarten sie sich, während sich mein X-Vierer löst und ich die Stuhllehnen umklammere.

Betreffs potenzieller Probleme mit meinem Antrag müssten wir, sie und ich, ehrlich miteinander sprechen, setzt er an. Er lässt sich über Ehrlichkeit und ihren Nutzen aus.

»Die Fragen, Hal, die Ihre Antragsunterlagen für meinen Stab aufwerfen, betreffen einige Klausurergebnisse.« Er wirft einen Blick auf ein farbenfrohes Blatt mit Standardtestergebnissen im Schützengraben seiner Arme. »Das Immatrikulationspersonal sieht sich mit Standardtestergebnissen Ihrerseits konfrontiert, die, wie Sie sicher wissen und uns erklären können, wie soll ich sagen … subnormal sind.« Ich soll erklären.

Dieser eigentlich ziemlich aufrichtige gelbe Mann links ist eindeutig der Leiter der Zulassungskommission. Mit Sicherheit ist die kleine aviarische Gestalt rechts dann der Hochschulsportleiter, denn die Falten im Gesicht des zotteligen mittleren Kommissionsleiters verziehen sich jetzt degoutiert nach dem Motto »Ich esse etwas, das mich das Getränk dazu so richtig schätzen lehrt«, eine Miene, die von professioneller universitärer Arroganz zeugt. In der Mitte also eine unkomplizierte Treue zu Standards. Mein Onkel sieht Hochschulsport gleichsam verwirrt an. Er rutscht ein wenig auf dem Stuhl hin und her.

Das Missverhältnis zwischen Hand- und Gesichtsfarbe von Immatrikulation ist geradezu krass. »– eine Ausdrucksfähigkeit, die etwas mehr Richtung null tendiert, als uns lieb wäre, verglichen mit einer Schulklausur an der Bildungsanstalt, zu deren Verwaltungsapparat sowohl Ihre Mutter als auch deren Bruder gehören –«, jetzt liest er von dem Papierstoß in der Ellipse seiner Arme ab –, »die im vergangenen Jahr, ja, etwas zurückgegangen ist, womit ich allerdings auf ›hervorragend‹ zurückgegangen meine, nach drei offen gesagt unglaublichen Jahren zuvor.«

»Außer Konkurrenz.«

»Die meisten Bildungsanstalten haben nicht einmal die Note 1 mit multiplen Pluszeichen dahinter«, sagt der Literarische Gutachter mit undurchdringlicher Miene.

»Ein solches … wie soll ich sagen … Missverhältnis«, sagt Immatrikulation mit offener und besorgter Miene, »lässt im Zulassungsprozess Alarmlämpchen potenzieller Bedenken aufblinken, muss ich gestehen.«

»Wir möchten Sie daher ersuchen, diesen Anschein eines Missverhältnisses, um nicht zu sagen einer krummen Tour, aufzuklären.« Studienberater hat eine dünne Piepsstimme, die bei einem so riesigen Gesicht etwas Lächerliches hat.

»Mit unglaublich meinen Sie bestimmt sehr, sehr, sehr beeindruckend im Gegensatz zu Zitat ›unglaublich‹ Zitatende«, sagt C.T., der scheinbar zuschaut, wie sich der Trainer am Fenster den Nacken massiert. Das Panoramafenster zeigt nichts als blendendes Sonnenlicht und im Hitzeflirren daliegende rissige Erde.

»Des Weiteren liegen uns nicht die von der Hochschulordnung vorgesehenen zwei, sondern neun verschiedene Bewerbungsessays vor, darunter einige von nahezu monographischem Format, ausnahmslos von einer Qualität, die« – neues Blatt – »verschiedene Gutachter zu dem Begriff ich zitiere ›phänomenal‹ greifen lässt –«

Lit. Gut.: »Ich habe in meinem Gutachten bewusst lapidar und ephemer verwendet.«

»– aber aus Sachgebieten und mit Titeln, an die Sie sich gewiss nur zu gut erinnern, Hal: ›Neoklassische Prämissen in zeitgenössischen präskriptiven Grammatiken‹, ›Die Implikationen von Post-Fourier-Transformationen für ein holographisches mimetisches Kino‹, ›Die Herausbildung des heroischen Stillstands in der Rundfunk- und Fernsehunterhaltung‹ –«

»›Die Montague-Grammatik und die Semantik dinglicher Modalitäten‹?«

»›Ein Mann, der argwöhnte, er sei aus Glas‹?«

»›Zur Tertiärsymbolik in justinianischen Erotica‹?«

Breite Streifen zurückgegangenen Zahnfleischs. »Ich begnüge mich mit dem Hinweis, dass dem Empfänger dieser unglücklichen, allenfalls nachvollziehbaren Testergebnisse die ehrliche Frage gestellt werden muss, ob er der alleinige Urheber dieser Essays ist.«

»Ich weiß nicht genau, ob sich Hal bewusst ist, was man ihm damit unterstellt«, sagt mein Onkel. Der Kommissionsleiter in der Mitte nestelt an seinen Sakkoaufschlägen herum, während er skandalöse Computerdaten interpretiert.

»Die Universität möchte damit sagen, dass es unter streng akademischen Gesichtspunkten ein Zulassungsproblem gibt, bei dessen Ausräumung wir auf Hals Mithilfe angewiesen sind. Der Rang eines Immatrikulanden an der Universität ist und bleibt in erster Linie der eines Studenten. Wir können keinen Studenten zulassen, bei dem zu befürchten steht, dass er auf keinen grünen Zweig kommt, mag er auch auf dem Spielfeld ein noch so großer Gewinn sein.«

»Kommissionsleiter Sawyer meint natürlich auf dem Court, Chuck«, sagt Hochschulsport, den Kopf inzwischen in so bedrohlicher Schieflage, dass er das Wort auch an den hinter ihm stehenden White richtet. »Ganz zu schweigen von O.N.A.N.C.A.A.-Vorschriften und Ermittlern, die auf der Suche nach den kleinsten Anzeichen für Betrug ihre Nase überall reinstecken.«

Der Uni-Tennistrainer wirft einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Angenommen, die vorliegenden Prüfungsergebnisse sind unbeschönigte Abbilder wahrer Fähigkeiten«, sagt Studiendekanat, die hohe Stimme ernst und gedämpft, den Blick immer noch auf die vor ihm liegende Akte gerichtet, als wäre sie ein Teller mit irgendeiner Ungenießbarkeit, »dann muss ich Ihnen gestehen, dass ich persönlich es nicht fair fände. Es wäre den anderen Antragstellern gegenüber nicht fair. Es wäre der Alma Mater gegenüber nicht fair.« Er sieht mich an. »Und besonders unfair wäre es Hal selbst gegenüber. Die Zulassung eines Jungen, den wir lediglich als sportliche Bereicherung ansehen, liefe auf ein Ausnutzen dieses Jungen hinaus. Wir stehen unter genauester Aufsicht durch Myriaden von Beobachtern, die garantieren sollen, dass wir niemanden ausnutzen. Ihre Prüfungsergebnisse, mein Sohn, erlauben die Vermutung, dass uns vorgeworfen werden könnte, Sie auszunutzen.«

Onkel Charles bittet Trainer White, den Leiter der Hochschulsportkommission zu fragen, ob um die Ergebnisse auch so viel Aufhebens gemacht würde, wenn ich beispielsweise ein einkünftesteigerndes Footballwunder wäre. Die vertraute Panik, missverstanden zu werden, kommt auf, und meine Brust puckert und rast. Ich verwende alle Energie darauf, auf meinem Stuhl absolute Ruhe zu wahren, ausdruckslos dazusitzen, meine Augen zwei große blasse Nullen. Man hat mir versprochen, mich hier durchzubringen.

Onkel C.T. hat jedoch den gequälten Blick eines Menschen, der mit dem Rücken zur Wand steht. Seine Stimme gewinnt ein seltsames Timbre, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht, als schrie er beim Rückzug. »Hals Noten an der E.T.A., die wohlgemerkt eine Academy ist, nicht bloß ein Lager oder eine Fabrik, anerkannt sowohl vom Commonwealth of Massachusetts als auch von der North American Sports Academy Association, bestrebt, sämtliche Bedürfnisse des Sportlers und Schülers zu erfüllen, gegründet von einem Menschen überragender intellektueller Größe, dessen Namen ich hier kaum zu nennen brauche und der sie von Anfang an auf den rigorosen Quadrivium-Trivium-Lehrplan von Oxbridge ausgerichtet hat, eine personell wie technisch bestens ausgestattete Schule mit staatlich geprüftem Personal, dürften zeigen, dass mein Neffe hier jeden PAC-10-Vogel abschießen kann, der abgeschossen werden muss, und dass –«

DeLint geht zum Tennistrainer, der den Kopf schüttelt.

»– es möglich wäre, in dieser Angelegenheit ganz entschieden den Unterton eines Vorurteils gegen kleinere Sportarten auszumachen«, sagt C.T. und schlägt abwechselnd die Beine übereinander, während ich gelassen zusehe und lausche.

Das Kohlensäureschweigen im Raum hat eine feindselige Note bekommen. »Es wird wohl Zeit, dass sich der Bewerber selbst in eigener Sache äußert«, sagt Studiendekanat gefährlich ruhig. »In Ihrer Gegenwart scheint das ausgeschlossen zu sein, Sir.«

Hochschulsport lächelt müde hinter der Hand, die seinen Nasenrücken massiert. »Vielleicht entschuldigen Sie uns einen Augenblick und warten draußen, Chuck.«

»Trainer White könnte Mr Tavis und seinen Kollegen zum Empfang hinausbegleiten«, sagt der gelbe Kommissionsleiter und lächelt meine ins Leere starrenden Augen an.

»– hatte Grund zu der Annahme, das alles sei bereits im Vorfeld ausgeräumt worden, von –«, sagt C.T., während deLint und er zur Tür geleitet werden. Der Tennistrainer streckt ihm einen hypertrophen Arm entgegen. Hochschulsport sagt: »Wir sind hier alle Freunde und Kollegen.«

Das geht schief. Mir geht durch den Kopf, dass EXIT-Schilder auf einen lateinischen Muttersprachler den Eindruck machen würden, als wäre die Aufschrift ER GEHT rot beleuchtet. Ich würde dem Drang, vor ihnen zur Tür zu stürzen, nachgeben, wenn ich davon ausgehen könnte, dass die Anwesenden auch jemanden sehen würden, der zur Tür stürzt. DeLint murmelt dem Tennistrainer etwas zu. Tastaturgeklapper, Telefonklingeln, als die Tür kurz aufgeht und wieder ins Schloss fällt. Ich bin allein unter Bürokraten.

»– uns nicht übelzunehmen«, sagt Hochschulsport, Sakko hellbraun und Krawatte mit winziger Schrift gekennzeichnet – »über bloße sportliche Fähigkeiten hinaus, um die es da draußen geht und die wir, glauben Sie mir, schätzen, wollen, glauben Sie mir.«

»– keine Frage, wären wir nicht so erpicht darauf, uns mit Ihnen direkt zu unterhalten, verstehen Sie?«

»– bei der Bearbeitung diverser früherer Bewerbungen durch Trainer Whites Büro erfahren haben, dass die Enfield School, auf welch beeindruckende Weise auch immer, von Ihren Familienangehörigen geführt wird. Da wäre erstens Ihr Bruder, an den ich mich noch gut erinnere, weil Whites Vorgänger Maury Klamkin den Jungen so umworben hat, und von daher ist die Objektivität von Ergebnissen nur allzu leicht infrage zu stellen –«

»… jedwede Interessenten – N.A.A.U.P., übelgesinnte PAC-10-Programme, O.N.A.N.C.A.A. –«

Die Essays sind alt, zugegeben, aber von mir; de moi. Aber sie sind eben alt und behandeln streng genommen nicht das dem Bewerber vorgegebene Thema der »wichtigsten Bildungserfahrung seines Lebens«. Hätte ich Ihnen einen aus dem letzten Jahr eingereicht, hätten Sie den Eindruck bekommen, ein Kleinkind hätte willkürlich eine Tastatur malträtiert, auch Sie, der Sie jedweder nicht deklinieren können. Und in dieser neuen, kleineren Gemeinschaft erwacht plötzlich der Literarische Gutachter zum Leben, entpuppt sich als Alphamännchen des Rudels und wirkt gleichzeitig weit femininer als zuvor. Er steht da, die Hand in die verdrehte Hüfte gestemmt, lässt beim Gehen die Schultern kreisen, zieht die Hose hoch und klimpert mit Kleingeld, gleitet auf den von C.T.s Gesäß noch warmen Stuhl und schlägt die Beine so übereinander, dass sie ein gutes Stück in meine Privatsphäre hineinragen. Ich sehe multiple Augenbrauentics und Kapillargeäder in den Austern unter seinen Augen und rieche Weichspüler und die sauer gewordenen Reste eines Minzbonbons gegen Mundgeruch.

»… ein intelligenter, zuverlässiger, aber sehr schüchterner Junge. Wir wissen, dass Sie sehr schüchtern sind, Kirk White hat uns berichtet, was Ihr athletisch gebauter, wenn auch recht reservierter Juniortrainer ihm berichtet hat«, sagt der Gutachter leise und legt mir anscheinend eine Hand auf den Sakkobizeps (sicher nicht), »aber schlucken Sie das einfach runter, vertrauen Sie uns und erzählen Sie Ihre Version der Geschichte diesen Herren, die Ihnen nichts tun wollen, sondern nur ihren Job machen und dabei gleichzeitig die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen versuchen.«

Ich sehe deLint und White vor mir, die mit den Ellbogen auf den Knien in der Defäkationshaltung aller ruhenden Sportler dasitzen. DeLint starrt seine riesigen Daumen an, während C.T. in einer engen Ellipse das Empfangsareal abschreitet und in sein Handy spricht. Ich wurde für diese Sitzung präpariert wie ein Mafia-Don für eine Anhörung unter dem RICO-Gesetz. Neutrales und emotionsloses Schweigen. So ein komplett defensives Spiel wollte Schtitt immer von mir: die beste Verteidigung: Lass alles von dir abprallen; tu nichts. Ich würde Ihnen alles erzählen, was Sie hören wollen, und noch mehr, wenn Sie die von mir produzierten Geräusche hören könnten.

Hochschulsport wie ein Vogel mit dem Kopf unter dem Flügel hervor: »– um ein Zulassungsprozedere zu vermeiden, das als primär sportorientiert ausgelegt werden könnte. Das könnte im Schlamassel enden, mein Sohn.«

»Bill meint den äußeren Anschein, nicht unbedingt die wirklich wahren Fakten der Angelegenheit, über die Sie allein uns unterrichten können«, sagt der Literarische Gutachter.

»– den Anschein hoher sportlicher Platzierung, subnormaler Testergebnisse, hyperwissenschaftlicher Essays, die unglaublichen Noten, die aus potenziell nepotistischen Umständen hervorwirbeln.«

Der gelbe Kommissionsleiter hat sich so weit vorgebeugt, dass er seine Krawatte gleich waagerecht über den Tischrand schiebt, sein Gesicht ist fahl, gütig und federlesenslos:

»Schauen Sie, Mr Incandenza, Hal, bitte erklären Sie mir doch, inwiefern sich der Vorwurf entkräften lässt, dass wir Sie ausnutzen, mein Sohn. Inwiefern niemand ankommen und sagen könnte, so geht’s ja nun nicht, University of Arizona, ihr wollt da einen Jungen bloß wegen seines Körpers, einen so schüchternen und introvertierten Jungen, dass er nicht einmal für sich eintreten kann, eine Sportskanone mit geklitterten Noten und einer gekauften Bewerbung.«

Das im Brewster-Winkel von der Tischplatte reflektierte Licht erscheint hinter meinen geschlossenen Lidern rosenrot. Ich kann mich nicht verständlich machen. »Ich bin nicht bloß eine Sportskanone«, sage ich langsam. Akzentuiert. »Mein letztes Jahreszeugnis ist vielleicht ein bisschen frisiert, aber das sollte mir nur über eine schwierige Zeit hinweghelfen. Die früheren Noten sind de moi.« Meine Augen sind geschlossen; im Raum herrscht Stille. »Ich kann mich jetzt nicht verständlich machen.« Ich spreche langsam und akzentuiert. »Könnte sein, dass ich was Falsches gegessen habe.«

 

 

Komisch, was man sich alles nicht gemerkt hat. Unser erstes Haus in einem Vorort von Weston, an das ich mich kaum erinnern kann – mein ältester Bruder Orin sagt, er kann sich noch erinnern, wie er bei Frühlingsanfang mit unserer Mutter draußen war und der Moms zu helfen versucht hat, aus dem kalten Hinterhof eine Art Garten zu machen. März oder Anfang April. Das Grundstück war ein mit Eisstielen und Bindfaden umrissenes unregelmäßiges Rechteck. Orin räumte der Moms Steine und harte Erdklumpen aus dem Weg, und sie bediente die gemietete Gartenfräse, eine schubkarrenförmige, benzinbetriebene Maschine, die dröhnte, schnaubte und bockte und in seiner Erinnerung eher die Moms antrieb als umgekehrt. Die Moms war sehr groß und ging schmerzhaft gebückt, um die Maschine festzuhalten, und ihre Füße hinterließen in der aufgebrochenen Erde die Spuren eines Betrunkenen. Er erinnert sich, wie ich während ihres Ackerns in einem flauschigen roten Pooh-Kostüm tränenüberströmt durch die Tür in den Hof gepest kam und ihm auf der Handfläche etwas hinhielt, das seiner Meinung nach echt widerlich aussah. Er sagt, ich muss etwa fünf gewesen sein, ich weinte und war knallrot in der kalten Frühlingsluft. Ich sagte etwas, wieder und wieder; er verstand nichts, bis unsere Mutter mich sah, die Fräse abstellte, die weiter in den Ohren klang, und herüberkam, um sich anzusehen, was ich da in der Hand hielt. Es erwies sich als ein großer Schimmelklumpen – aus einer dunklen Kellerecke im Haus in Weston, nimmt Orin an, die von der Heizung warm war und jeden Frühling unter Wasser stand. Er beschreibt den Klumpen als entsetzlich: dunkelgrün, glänzend, flaumbehaart und gesprenkelt mit parasitischen Pilzflecken in Gelb, Orange und Rot. Das Schlimmste war, sie konnten sehen, dass der Klumpen seltsam unvollständig aussah, angeknabbert; und um meinen offenen Mund herum klebte etwas von dem ekelhaften Zeug. »Ich hab das gegessen«, sagte ich. Ich hielt der Moms, die für die Gartenarbeit ihre Kontaktlinsen herausgenommen hatte, den Klumpen hin, sie bückte sich tief herab, sah zunächst aber nur ihr weinendes Kind, das ihr mit ausgestreckter Hand etwas hinhielt; obwohl sie nichts mehr fürchtete und verabscheute als Verfaultes und Dreckiges, nahm sie in einem typisch mütterlichen Reflex das, was ihr Baby ihr da hinhielt – wie zuvor unzählige gebrauchte schwere Tempos, ausgespuckte Bonbons und Kaugummis in unzähligen Kinos, Flughafenhallen, Autos und Turnierlounges. O. stand da, sagt er, mit einem kalten Erdklumpen in der einen Hand, während die andere am Klettverschluss seiner gefütterten Jacke herumspielte, und sah, wie die zu mir hinabgebückte Moms mit verdrossenem, presbyopisch blinzelndem Gesicht die Hand ausstreckte, wie sie plötzlich innehielt, erstarrte, zu identifizieren begann, was ich ihr da hinhielt, und erkannte, dass ich mit selbiger Substanz oralen Kontakt gehabt hatte. Er erinnert sich an ihren unbeschreiblichen Gesichtsausdruck. Ihre ausgestreckte und von der Fräse noch zitternde Hand war in der Luft vor meiner Hand erstarrt.

»Ich hab das gegessen«, sagte ich.

»Wie bitte?«

O. sagt, er könne sich nur erinnern (sic), etwas Bissiges gesagt zu haben, während er seinen steifen Rücken mit einem Limbo lockerte. Die Moms weigerte sich, den feuchten Keller auch nur zu betreten. Ich weinte nicht mehr, erinnert er sich, und stand einfach bloß da, in Form und Größe wie ein Hydrant, in einem roten Pyjama mit Stofffüßen unten dran, und hielt ihr den Schimmel hin, so feierlich, als handle es sich um einen Rechenschaftsbericht.

O. sagt, an dieser Stelle lasse sein Gedächtnis ihn im Stich, wahrscheinlich infolge der Angst. In seiner ersten daran anschließenden Erinnerung rennt die Moms in einem weiten Kreis der Hysterie durch den Garten:

»O Gott!«, ruft sie.

»Hilfe! Mein Sohn hat das hier gegessen!«, kreischt sie in Orins zweiter und plastischerer Erinnerung, kreischt es immer wieder, hält den gesprenkelten Klumpen mit spitzen Fingern hoch und rennt und rennt durch das Gartenrechteck, während der gaffende O. erstmals Zeuge eines echten hysterischen Anfalls wird. An den Fenstern und über den Zäunen tauchen die neugierigen Gesichter von Vorstadtnachbarn auf. O. erinnert sich, wie ich über die Begrenzungsschnur des Gartens stolpere, dreckverschmiert wieder aufstehe, weine und sie einholen will.

»O Gott! Hilfe! Mein Sohn hat das hier gegessen! Hilfe!«, kreischte sie und rannte im Schnurviereck auf und ab; mein Bruder Orin erinnert sich daran, dass ihre Flugbahn selbst beim hysterischen Anfall im Lot blieb, dass ihre Fußspuren nach Art amerikanischer Ureinwohner schnurgerade verliefen, dass ihre Kehrtwendungen im Ideogramm der Schnur gestochen scharf und kriegerisch waren, während sie »Mein Sohn hat das hier gegessen! Hilfe« kreischte und mir zwei Ohrfeigen verpasste, bevor die Erinnerung verblasst.

 

 

»Meine Bewerbung ist nicht gekauft«, erkläre ich ihnen, rufe ich in die Dunkelheit der roten Höhle, die sich vor geschlossenen Augen erstreckt. »Ich bin nicht nur ein Junge, der Tennis spielt. Ich habe eine verzweigte Geschichte. Erfahrungen und Gefühle. Ich bin komplex.

Ich lese«, sage ich. »Ich studiere und lese. Wetten, dass ich genauso viel gelesen habe wie Sie? Das können Sie mir ruhig glauben. Ich verschlinge ganze Bibliotheken. Ich verschleiße Buchrücken und ROM-Laufwerke. Manchmal steige ich ins Taxi und sage ›Zur Bibliothek, und drücken Sie auf die Tube‹. Meine Instinkte bezüglich Syntax und Techniken sind, mit Verlaub, besser als Ihre, das kann ich Ihnen sagen.

Es geht jedoch über Techniken hinaus. Ich bin keine Maschine. Ich fühle und glaube. Ich bilde mir meine Meinungen. Einige davon sind von Belang. Wenn Sie mich ließen, könnte ich in einem fort reden. Worüber Sie wollen. Ich glaube, Kierkegaards Einfluss auf Camus wird unterschätzt. Ich glaube, Dennis Gabor könnte durchaus der Antichrist gewesen sein. Ich glaube, Hobbes ist bloß ein schwarz gespiegelter Rousseau. Mit Hegel glaube ich, dass Transzendenz Versenkung ist. Ich könnte Sie alle unter den Tisch konnektieren«, sage ich. »Ich bin kein bloßer Creatus, fabriziert, konditioniert, auf eine Funktion abgerichtet.«

Ich schlage die Augen auf. »Bitte glauben Sie nicht, es wäre mir egal.«

Ich schaue nach vorn. Entsetzen schlägt mir entgegen. Ich erhebe mich. Ich sehe hängende Kiefer, an zitternden Stirnen hochgewanderte Brauen, kreidebleiche Wangen. Der Stuhl verschwindet unter mir.

»Heilige Muttergottes«, sagt der Gutachter.

»Mir fehlt nichts«, sage ich im Stehen. Nach der Miene des gelben Kommissionsleiters zu urteilen, bläst ein Sturmwind aus meiner Richtung. Studiendekanats Gesicht ist schlagartig gealtert. Aus acht Augen sind leere Scheiben geworden, die anstarren, was immer sie vor sich sehen.

»Allmächtiger Gott«, flüstert Hochschulsport.

»Keine Sorge«, sage ich. »Ich kann alles erklären.« Ich beruhige die Situation mit einer beiläufigen Geste.

Der lit. Gut. hält von hinten meine Arme fest und ringt mich grob und mit seinem ganzen Gewicht nieder. Ich schmecke den Fußboden.

»Was ist denn los?«

Ich sage: »Nichts ist los.«

»Schon gut! Ich bin ja bei Ihnen!«, brüllt er mir ins Ohr.

»Holen Sie Hilfe!«, kreischt ein Kommissionsleiter.

Meine Stirn wird auf das Parkett gedrückt, das ich mir nie so kalt vorgestellt hätte. Ich bin festgenommen. Ich versuche, schlaff und gefügig zu erscheinen. Mein Gesicht wird plattgequetscht; das Gewicht des Literarischen Gutachters erschwert das Atmen.

»Hören Sie mir doch zu«, sage ich langsam und vom Fußboden gedämpft.

»Um Gottes willen«, kreischt einer der Kommissionsleiter, »was sind denn das bloß für … für Geräusche?«

Man hört das Klicken der Tasten einer Telefonkonsole, Absätze klacken im Kreis, ein Stoß dünner Blätter fällt.

»O Gott!«

»Hilfe!«

Am linken Gesichtsrand öffnet sich der untere Teil einer Tür: Ein Halogenlichtkeil aus dem Flur, weiße Sneaker und ein abgewetzter Nunn Bush. »Lasst ihn los!« Das ist deLint.

»Alles in Ordnung«, sage ich langsam zum Fußboden. »Ich bin hier drin.«

An den Krücken meiner Unterarme werde ich hochgehoben und geschüttelt, was mich nach Meinung des rot angelaufenen Gutachters beruhigen soll: »Reißen Sie sich zusammen, mein Sohn!«

DeLint am Arm des großen Mannes: »Lassen Sie das sein!«

»Ich bin nicht, was Sie sehen und hören.«

Sirenengeheul in der Ferne. Ein rüder Halbnelson. Gestalten an der Tür. Eine junge Lateinamerikanerin schlägt die Hand vor den Mund und sieht mich an.

»Bin ich nicht«, sage ich.

 

 

Altmodische Herrentoiletten muss man einfach mögen: Den Zitrusduft der Deodorantscheiben in den langen emaillierten Pissoirs; die Kabinen mit den Holztüren in Rahmen aus kühlem Marmor; die schmalen Waschbeckenreihen, die Spülen von wackligen Alphabeten aus freiliegenden Rohren gestützt; Spiegel über Metallablagen; hinter all den Stimmen das leise Geräusch beständigen Tröpfelns, verstärkt durch Echos an nassem Porzellan und einem kalten Kachelboden, dessen Mosaikmuster aus dieser Nähe fast islamisch aussieht.

Das von mir verursachte Chaos zieht Kreise. Die Arme immer noch an den Rücken gepresst, werde ich vom Literarischen Gutachter durch eine Ansammlung von Verwaltungsfritzen geschleift – er muss nacheinander vermutet haben, ich hätte einen Anfall (gewaltsames Mundöffnen, um zu kontrollieren, ob meine Zunge den Rachen versperrt), ich wäre irgendwie am Ersticken (Heimlich-Handgriff, von dem ich immer noch keuche), ich wäre psychisch außer Kontrolle (verschiedene Haltungen und Griffe, um diese Kontrolle zu übertragen) –, während um uns herum deLint aufgeregt den mich zähmenden Gutachter zähmen will, der Uni-Tennistrainer deLint zähmen will, der Halbbruder meiner Mutter hektische Kombinationen von Polysyllabismen in Richtung des Kommissionsleitertrios schickt, das nach Luft schnappt, Hände ringt, Krawatten lockert, C.T. mit dem Finger droht oder mit den jetzt offenkundig hinfälligen Bewerbungsformularen Torero-Figuren vollführt.

Ich werde auf dem geometrischen Kachelmuster in Rückenlage gedreht. Lammfromm konzentriere ich mich auf die Frage, warum amerikanische Toiletten bei Erregung öffentlichen Ärgernisses immer als Krankenzimmer dienen, als Ort zur Rückeroberung der Kontrolle. Mein Kopf ruht im weichen Schoß des knienden Literarischen Gutachters, mein Gesicht wird mit staubig braunem Bedürfnisanstaltspapier abgetupft, das ihm eine Hand aus der umstehenden Menge gereicht hat, ich starre mit aller mir zu Gebote stehenden Ausdruckslosigkeit die Pockennarben seiner Kinnbacken an, die in der schwabbeligen Kieferpartie am ausgeprägtesten sind und von einstiger Akne herrühren. Onkel Charles, die größte Scheißeschleuder unter der Sonne, bestreicht sie mit Flankenfeuer ebendieser Substanz und versucht, Männer zu beschwichtigen, die das Brauenbetupfen weit nötiger hätten als ich.

»Dem fehlt nichts«, wiederholt er immerzu. »Schauen Sie ihn doch an, ruhig wie nur was, liegt einfach da.«

»Sie hätten sehen sollen, was da drinnen los war«, erwidert ein zusammengesunkener Kommissionsleiter durch ein Fingergeflecht vor dem Gesicht.

»Erregt, das ist alles, der Junge regt sich manchmal auf, wenn er beeindruckt –«

»Aber diese Geräusche, die er gemacht hat.«

»Unbeschreiblich.«

»Animalisch.«

»Subanimalische Laute und Geräusche.«

»Und vergessen wir nicht die Gesten.«

»Haben Sie den Jungen je untersuchen lassen, Dr. Tavis?«

»Wie ein Tier, das etwas im Maul hat.«

»Der Junge ist gestört.«

»Wie von einem Hammer zermatschte Butter.«

»Ein sich windendes Tier mit einem Messer im Auge.«

»Was haben Sie sich bloß dabei gedacht, als Sie das da an einer Uni–«

»Und seine Arme.«

»Sie haben das nicht gesehen, Tavis. Seine Arme waren –«

»Dreschflegel. So ein schreckliches ausgreifendes Zucken wie bei einem Schlagzeuger. Ein Wedeln«, die Gruppe sieht kurz zu jemandem außerhalb meines Gesichtsfeldes, der anscheinend etwas vormacht.

»Wie im Zeitraffer, ein Flattern von etwas irgendwie fürchterlich … Wachsendem.«

»Klang am ehesten nach einer ertrinkenden Ziege. Eine Ziege, die in etwas Zähflüssigem ertrinkt.«

»Eine erstickte Folge von Blökern und –«

»Ja, gewedelt haben sie.«

»Und seit wann ist ein bisschen aufgeregtes Wedeln ein Verbrechen?«

»Sie landen in Teufels Küche, Sir. In Teufels Küche.«

»Sein Gesicht. Als würde er erwürgt. Oder verbrannt. Glauben Sie mir, das war ein Blick in die Hölle.«

»Er hat einfach Probleme mit dem Kommunizieren, er ist kommunikativ gefordert, das will ich gar nicht abstreiten.«

»Der Junge gehört in Pflege.«

»Und statt ihn in Pflege zu geben, schicken Sie ihn hierher, damit er sich immatrikuliert und an Wettkämpfen teilnimmt?«

»Hal?«

»In Ihren schlimmsten Albträumen können Sie sich nicht vorstellen, wie sehr Sie dadurch in Teufels Küche geraten sind, Dr. Möchtegernrektor, Herr Pädagoge.«

»… zu verstehen gegeben, das sei alles eine bloße Formalität. Sie haben ihn erschreckt, das ist alles. Schüchtern –«

»Und Sie, White. Sie wollten ihn anwerben.«

»– und furchtbar beeindruckt und erregt, da drin, ohne uns, sein Unterstützungssystem, das Sie hinauskomplimentiert haben; wenn Sie das nicht –«

»Ich hatte ihn doch bloß spielen gesehen. Auf dem Court ist er eine Wucht. Vielleicht ein Genie. Wir hatten keine Ahnung. Der Bruder ist in der Scheiß-NFL, Herrgott noch mal. Da haben wir einen Topspieler, haben wir gedacht, noch dazu aus dem Südwesten. Eine Statistik, die sich auf der Tabelle gar nicht mehr erfassen lässt. Letzten Herbst haben wir ihn das gesamte WhataBurger-Turnier über beobachtet. Keine Spur von Wedeln oder Geräuschen. Wir haben da draußen Ballett zu sehen bekommen, hat ein Partner hinterher gesagt.«

»Und ob Sie da draußen Ballett gesehen haben, White. Dieser Junge ist ein anmutiger Sportler, ein Spieler.«

»Gut, sagen wir, ein sportliches Wunderkind. Anmut als Kompensation für tiefsitzende Probleme, die Sie, Sir, vertuschen wollten, indem Sie dem Burschen da drinnen einen Maulkorb angelegt haben.« Zwei teure brasilianische Espadrilles gehen links vorbei, betreten eine Kabine, kommen wieder heraus und drehen sich mit den Spitzen zu mir. Das Pissoirtröpfeln untermalt die nachhallenden Stimmen.

»–leicht fahren wir einfach zurück«, sagt C.T.

»Die Integrität meines Schlafs ist für alle Zeit kompromittiert, Sir.«

»– glauben, Sie könnten einen Gestörten als Studienbewerber ausgeben, Referenzen fälschen, ihn durch ein Scheininterview schleusen und ihn dann der vollen Härte des Studentenlebens aussetzen?«

»Hal funktioniert, Sie Schwachkopf. Solange er Rückhalt findet. Wenn er allein ist, geht es ihm gut. Stimmt, im Gespräch hat er gewisse Probleme mit der Aufregung. Hat er das vielleicht abgestritten?«

»Wir haben da drinnen etwas zu sehen bekommen, das nur entfernt säugetierähnlich war, Sir.«

»Blödsinn. Schauen Sie ihn doch an. Wie geht es dem erregbaren kleinen Burschen da unten, Aubrey, was meinen Sie?«

»Sie sind möglicherweise krank, Sir. Die Sache wird noch Folgen für Sie haben.«

»Was denn für ein Krankenwagen? Hören Sie mir überhaupt zu? Ich sag Ihnen doch –«

»Hal? Hal?«

»Setzen ihn unter Drogen, spielen sich als sein Sprachrohr auf und machen ihn mundtot, und jetzt liegt er da, katatonisch, und starrt uns an.«

DeLints Knie knacken. »Hal?«

»– die Angelegenheit in der Öffentlichkeit aufzublasen. Die Academy hat namhafte Ehemalige, Prozessanwälte. Hal ist nachweislich kompetent. Referenzen bis zum Gehtnichtmehr, Bill. Der Junge liest wie ein Vakuum. Frisst die Sachen geradezu.«

Ich liege bloß da und höre zu, rieche die Papierhandtücher und sehe eine Espadrille abschwenken.

»Es geht im Leben um mehr als um Konnexionen, auch wenn Ihnen das neu sein dürfte.«

Muss man dieses ganz besondere Löwengebrüll einer öffentlichen Toilette nicht einfach lieben?

 

 

Orin hatte seine Gründe, als er sagte, im Freien würden die Leute hier unten nur die kürzeste Verbindung zwischen zwei klimatisierten Räumen wählen. Die Sonne ist der Hammer. Ich spüre, wie meine eine Gesichtshälfte zu kochen anfängt. Der blaue Himmel glänzt und trieft vor Hitze, an den Rändern ein paar dünne, zu geschorenen Strähnen verwehte, weißflaumige Zirruswolken. Der Verkehr ist mit Boston nicht zu vergleichen. Die Krankentrage ist so eine Sonderausführung mit Anschnallgurten für Arme und Beine. Derselbe Aubrey deLint, den ich jahrelang als zweidimensionalen Leuteschinder abgetan habe, kniet neben der Trage, drückt mir die angeschnallte Hand, sagt »Halt die Ohren steif, Sportsfreund« und geht zu den wiehernden Amtsschimmeln an den Krankenwagentüren zurück. Es ist ein Spezialkrankenwagen, wo man ihn herbeordert hat, möchte ich gar nicht wissen, zur Besatzung gehört neben den Sanitätern jedenfalls auch eine Art Psychiater. Die Sanis heben sanft an und können mit Gurten umgehen. Der Psychiater lehnt mit dem Rücken am Krankenwagen, gestikuliert sachlich und vermittelt zwischen den Kommissionsleitern und C.T., der seine Handyantenne immer wieder wie einen Säbel himmelwärts spießt, auf hundertachtzig, weil ich unnötigerweise, gegen meinen Willen und meine Interessen in eine Notaufnahme befördert werde. Die Frage, ob Gestörte überhaupt einen interessierten Willen haben können, wird kurz diskutiert, während ein Überschallkampfflieger, zu weit über uns, um gehört zu werden, den Himmel von Süden nach Norden aufschlitzt. Der Psychiater hat die Hände erhoben und tätschelt die Luft, um Sachlichkeit anzudeuten. Er hat einen großen blauen Kiefer. In der einzigen Notaufnahme, die ich je von innen gesehen habe, fast genau vor einem Jahr, wurde die psychiatrische Krankentrage reingerollt und neben den Wartezimmerstühlen abgestellt. Drei dieser Schalensitze aus orangem Plastik waren weiter hinten in der Reihe von Leuten besetzt, die leere Arzneiflaschen in den Händen hielten und nach Herzenslust transpirierten. Das wäre schon schlimm genug gewesen, aber auf dem vordersten Stuhl, direkt neben meinem mit Gurten an der Trage fixierten Kopf, saß eine Frau in einem T-Shirt, mit erodierter Haut, Truckermütze und schwerer Schlagseite nach Steuerbord, und die erzählte mir, der ich gebändigt und reglos dalag, über Nacht hätte sie in der rechten Brust, die sie als Tittchen bezeichnete, einen plötzlichen und anomalen Riesenwuchs erlitten. Sie hatte einen unfreiwillig komischen Québecer Akzent und beschrieb die Symptomgeschichte und mögliche Diagnosen ihres »Tittchens« fast zwanzig Minuten lang, bis ich endlich weggeschoben wurde. Die Bewegung des Jets und sein Kondensstreifen wirken wie eine Inzision, als entblöße sich jenseits der Bläue weißes Fleisch und würde hinter dem Skalpell breiter. Einmal habe ich in einer nichtöffentlichen Toilette das Wort MESSER gesehen, das mit dem Finger auf den beschlagenen Spiegel geschrieben worden war. Ich bin infantophil geworden. Ich muss die Augäpfel hinter den geschlossenen Lidern nach oben oder zur Seite drehen, damit die rote Höhle durch das Sonnenlicht nicht in Flammen aufgeht. Der ständige Straßenverkehr klingt wie ein »Psss, psss, psss«. Wenn das herumirrende Auge auch nur kurz in die Sonne sieht, bekommt man blaue und rote Mouches volantes wie bei einem Blitzlicht. »Warum nicht? Warum nicht? Warum nicht nicht, wenn sich Ihre ganze Argumentation auf ein ›warum nicht‹ beschränkt?« C.T.s Stimme, vor Zorn erstickend. Nur die wackeren Stiche seiner Antenne sind noch zu sehen, am rechten Rand meines Gesichtsfeldes. Man wird mich in eine Notaufnahme bringen und festhalten, bis ich Fragen beantworte, und wenn ich dann Fragen beantworte, wird man mich sedieren; Krankenwagen und Notaufnahme werden also auf eine Umkehrung der Standardreise hinauslaufen: Erst die Reise, dann das Lebewohl. Sehr kurz denke ich an den verstorbenen Cosgrove Watt. Ich denke an den Trauertherapeuten mit Hypophalangie. Ich denke an die Moms, die im Schrank über der Mikrowelle Suppendosen alphabetisch ordnet. An Seiner Selbst Regenschirm, der am Rand des Posttischchens gleich vorn im Foyer des Rektorenhauses an seinem Griff hängt. Der schlimme Knöchel hat das ganze Jahr noch nicht geschmerzt. Ich denke an John N.V. Wayne, der dieses Jahr das WhataBurger’s gewonnen hätte und der maskiert Schmiere stand, als Donald Gately und ich den Schädel meines Vaters exhumierten. Wayne hätte mit Sicherheit gewonnen. Und Venus Williams hat eine Ranch bei Green Valley; kann gut sein, dass sie zu den Finalspielen der Junioren und Juniorinnen kommt. Für das morgige Halbfinale bin ich garantiert rechtzeitig wieder draußen; dafür sorgt Onkel Charles schon. Heute Abend siegt hundertpro Dymphna, zwar erst sechzehn, aber sein Geburtstag liegt zwei Wochen vor dem Stichtag 15. April. Morgen um halb neun wird Dymphna noch müde sein, während ich durch die Beruhigungsmittel geschlafen haben werde wie ein Grabstein. Ich habe Dymphna noch nie bei einem Turnier gegenübergestanden und auch noch nie mit den Schallbällen für Blinde gespielt, aber ich habe gesehen, wie er Petropolis Kahn im Turnier der U16er einfach so plattgemacht hat, und ich weiß, dass er mir gehört.

In der Notaufnahme wird es losgehen, am Aufnahmeschalter, falls C.T. nicht unmittelbar mit dem Krankenwagen ankommt, oder in dem grüngekachelten Raum hinter dem mit den invasivdiagnostischen Computern; in Anbetracht dieses besonderen, psychiaterbegleiteten Krankenwagens vielleicht auch schon während der Fahrt: ein blau-kiefriger Psychiater, geschrubbt bis zum keimfreien Glühen, den Namen kursiv in die Brusttasche des weißen Kittels eingestickt, Qualitätsstift gezückt, der sein Interview an der Trage führen will, Ätiologie und Diagnose nach sokratischer Methode, übersichtlich und Punkt für Punkt. Das O.E.D.VI kennt neunzehn nichtobsolete Synonyme für teilnahmslos, darunter neun romanische und vier germanische. Im Finale am Sonntag spiele ich entweder gegen Stice oder gegen Polep. Vielleicht unter den Augen von Venus Williams. Es wird aber zwangsläufig eine unqualifizierte Bedienstete sein – eine Hilfsschwester mit abgekauten Nägeln, ein Krankenhauswachmann, ein müder kubanischer Pfleger, der mich mit jou anspricht – bei irgendeiner hektischen Tätigkeit wird er mich plötzlich anschauen, ins Auge fassen, was er für mein Auge hält, und fragen, lass hören, Kumpel, was hast du denn zu erzählen?

zurück

Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche

Wo blieb die Frau, die gesagt hatte, sie würde kommen. Sie hatte gesagt, sie würde kommen. Erdedy fand, sie müsste längst gekommen sein. Er saß da und überlegte. Er war im Wohnzimmer. Als er mit dem Warten angefangen hatte, war das eine Fenster voll von gelbem Licht gewesen und hatte einen Lichtschatten auf den Boden geworfen, und er saß immer noch da und wartete, als der Schatten langsam verblasste und von einem heller werdenden Schatten geschnitten wurde, der durch das Fenster einer anderen Wand hereinfiel. Auf einem der Stahlregale mit seinen Audiogeräten saß ein Insekt. Es krabbelte immer wieder durch eines der Löcher in den Trägern, in die die Regalfächer eingehängt wurden. Das Insekt war dunkel und hatte einen glänzenden Panzer. Er sah dauernd zu ihm hinüber. Ein paarmal wollte er schon aufstehen, hinübergehen und es sich genauer anschauen, aber er hatte Angst, wenn er näherkäme und es aus der Nähe sähe, würde er es töten, und er hatte Angst, es zu töten. Er rief die Frau nicht an, die versprochen hatte zu kommen, denn wenn sein Telefon besetzt wäre und sie ihn vielleicht zufällig genau in diesem Augenblick anrufen wollte, hatte er Angst, sie würde das Besetztzeichen hören, ihn für uninteressiert halten, sauer werden und das, was sie ihm versprochen hatte, woanders hinbringen.

Sie hatte versprochen, ihm ein Fünftelkilo Marihuana zu besorgen, 200 Gramm ungewöhnlich gutes Marihuana, für 1250 US-Dollar. Er hatte schätzungsweise 70- oder 80-mal versucht, mit dem Kiffen aufzuhören. Bevor diese Frau ihn kennengelernt hatte. Sie wusste nicht, dass er versucht hatte aufzuhören. Er hatte immer eine Woche durchgehalten, oder zwei Wochen, oder vielleicht zwei Tage, und dann hatte er sich gesagt, er könne ja noch ein letztes Mal was im Haus haben. Zum allerletzten Mal suchte er jemand Neuen, dem er noch nicht erzählt hatte, dass er mit dem Kiffen aufhören wolle und dass man ihm bitte unter gar keinen Umständen mehr Dope beschaffen solle. Es musste ein unbeteiligter Dritter sein, weil er sämtliche Dealer seines Bekanntenkreises gebeten hatte, ihm den Nachschub zu sperren. Und der unbeteiligte Dritte musste immer wieder brandneu sein, denn jedes Mal, wenn er etwas bekam, wusste er, dass das jetzt das letzte Mal sein musste, und sagte dem Betreffenden, bat den Betreffenden um den Gefallen, ihm nie, nie wieder etwas zu beschaffen. Und wenn er das einmal jemandem gesagt hatte, bat er ihn nie wieder, weil er seinen Stolz hatte und auch, weil er freundlich war und niemanden in diese widersprüchliche Lage bringen wollte. Außerdem fand er sich schleimig, wenn es um Dope ging, und hatte Angst, auch andere würden ihn dann für einen Schleimer halten. Er saß da, überlegte und wartete in dem unregelmäßigen × aus Licht aus zwei verschiedenen Fenstern. Ein paarmal sah er das Telefon an. Das Insekt war wieder in dem Loch des Stahlträgers verschwunden, in das ein Regalfach eingehängt wurde.

Sie hatte versprochen, zu einer bestimmten Uhrzeit zu kommen, und diese Zeit war verstrichen. Schließlich gab er auf, wählte ihre Nummer und beschränkte sich auf Audio. Es klingelte ein paarmal, und er hatte Angst, weil sein Telefon so lange besetzt war, dann schaltete sich ihr akustischer Anrufbeantworter ein, das Band begann mit ironischer Popmusik, dann sagten ihre Stimme und eine Männerstimme im Chor, wir rufen Sie zurück, und durch das »wir« klangen sie wie ein Paar. Der Mann war ein attraktiver Schwarzer, der Jura studierte, sie entwarf Bühnenbilder, und er sprach nicht aufs Band, weil sie nicht wissen sollte, wie sehr er das Zeug inzwischen brauchte. Er hatte die ganze Angelegenheit als Beiläufigkeit behandelt. Sie sagte, sie würde da einen Typ in Allston kennen, auf der anderen Flussseite, der in bescheidenen Mengen mit harzreichem Dope dealte, und er hatte gegähnt und gesagt, ja, vielleicht, ja, hey, warum nicht, klar, prima Gelegenheit, ich hab schon ewig nichts mehr gekauft. Sie sagte, der Typ wohne in einem Trailer, habe eine Hasenscharte, Schlangen und kein Telefon und sei alles in allem kein angenehmer oder attraktiver Zeitgenosse, aber er verkaufe den Theaterleuten in Cambridge oft Dope und habe da eine treue Kundschaft. Er sagte, er müsse sich erst erinnern, wann er eigentlich das letzte Mal was gekauft habe, das sei so lange her. Er sagte, wahrscheinlich müsse er sie bitten, ihm gleich eine anständige Menge zu besorgen, weil er, wie er sagte, ein paar Freunde hätte, die ihn neulich angerufen und gefragt hätten, ob er ihnen was besorgen könne. Er hatte eine Phase, in der er immer sagte, er würde Dope eigentlich nur für Freunde besorgen. Wenn die Frau dann keins hätte, obwohl sie gesagt hatte, sie würde ihm was besorgen, und er deswegen kribbelig würde, dann könnte er der Frau sagen, dass seine Freunde langsam kribbelig würden, und es täte ihm leid, dass er der Frau wegen so einer Beiläufigkeit auf die Nerven gehen müsse, aber seine Freunde würden kribbelig und ihm deswegen auf die Nerven gehen, und er wolle sich bloß mal erkundigen, was er denen vielleicht sagen könne. Er wäre hin- und hergerissen, so würde er es darstellen. Er könnte sagen, seine Freunde hätten ihm Geld gegeben und würden jetzt kribbelig und würden Druck machen, ihn anrufen und ihm auf die Nerven gehen. Die Taktik konnte er bei dieser Frau allerdings nicht anwenden, die gesagt hatte, sie würde mit dem Stoff vorbeikommen, weil er ihr die 1250 Dollar noch nicht gegeben hatte. Sie wollte das Geld nicht. Sie war wohlhabend. Ihre Familie war wohlhabend, hatte sie gesagt und damit erklärt, warum ihr Apartment so schick war, wo sie doch Bühnenbilder für ein Schauspielerensemble in Cambridge entwarf, das anscheinend nur deutsche Stücke spielte, dunkle und verschmierte Bühnenbilder. Das Geld war ihr ziemlich egal, sie sagte, sie würde es vorstrecken, wenn sie zum Allston Spur fuhr, um mal zu schauen, ob der Typ in seinem Trailer war, was er an diesem speziellen Nachmittag eigentlich musste, und er könnte ihr die Auslagen ja einfach erstatten, wenn sie ihm das Dope brächte. Dieses total beiläufige Arrangement machte ihn kribbelig, darum hatte er noch beiläufiger reagiert und gesagt, klar, prima, meinetwegen. Er dachte an das Gespräch zurück und war sicher, dass er meinetwegen gesagt hatte, was ihn im Nachhinein sorgte, weil es vielleicht so geklungen hatte, als wäre es ihm egal, piepegal, so egal, dass es auch nichts machte, wenn sie vergaß, es zu besorgen oder ihn anzurufen. Wenn er sich nämlich einmal entschieden hatte, noch ein letztes Mal Marihuana im Haus zu haben, dann war ihm das alles andere als egal. Dann war es sehr wichtig. Er hatte es der Frau gegenüber zu sehr heruntergespielt, er hätte ihr die 1250 Dollar im Voraus aufdrängen und sich auf die Höflichkeit berufen sollen und darauf, ihr wegen einer solchen Trivialität und Beiläufigkeit keine finanziellen Ungelegenheiten bereiten zu wollen. Geld schuf Verpflichtung, und es wäre ihm lieber gewesen, die Frau hätte sich verpflichtet gefühlt zu tun, was sie gesagt hatte, denn nachdem sie einmal gesagt hatte, sie würde es tun, hatte das in ihm etwas ausgelöst. Wenn in ihm etwas ausgelöst war, wurde Dope so wichtig, dass er irgendwie Angst bekam zu zeigen, wie wichtig es wurde. Nachdem er sie gebeten hatte, es ihm zu besorgen, musste er sich an bestimmte Vorgehensweisen halten. Das Insekt im Regal war wieder da. Es schien nichts zu tun. Es war einfach aus dem Loch des Trägers auf den Rand des Regalfachs aus Stahl gekrabbelt und saß da. Gleich würde es wieder im Loch des Trägers verschwinden, und er war ziemlich sicher, dass es da drinnen auch nichts tat. Er fühlte sich dem Insekt in dem Träger, in das seine Regalfächer eingehängt wurden, wesensverwandt, wusste aber nicht genau, in welcher Weise wesensverwandt. Wenn er sich erst entschieden hatte, ein weiteres letztes Mal Marihuana im Haus zu haben, musste er sich an bestimmte Vorgehensweisen halten. Er musste per Modem in der Agentur Bescheid sagen, es gäbe einen Notfall und er würde einer Kollegin eine E-Notiz auf den TP schicken und sie bitten, den Rest der Woche seine Anrufe zu übernehmen, weil er wegen dieses Notfalls ein paar Tage nicht zur Verfügung stünde. Er musste seinem Anrufbeantworter eine Akustiknachricht aufsprechen, der zufolge er von diesem Nachmittag an ein paar Tage lang unerreichbar sein würde. Er musste sein Schlafzimmer putzen, denn sobald er Dope hatte, verließ er es nur noch, um zum Kühlschrank oder zur Toilette zu gehen, und auch das waren nur kurze Abstecher. Er musste sein ganzes Bier und seine Spirituosen loswerden, denn wenn er gleichzeitig kiffte und Alkohol trank, wurde ihm schwindlig und übel, und wenn er Alkohol im Haus hatte, war kein Verlass darauf, dass er nicht doch zu trinken anfing, nachdem er einmal mit dem Kiffen angefangen hatte. Er musste einkaufen. Er musste Vorräte anlegen. Jetzt ragte nur ein Fühler des Insekts aus dem Loch im Träger. Er ragte heraus, bewegte sich aber nicht. Er musste Mineralwasser kaufen, Oreos, Brot, Aufschnitt, Mayonnaise, Tomaten, M&Ms , Almost-Home-Kekse, Eiscreme, einen PepperidgeFarm-Tiefkühlschokoladenkuchen und vier Dosen Schokoladenglasur, die sich mit dem Suppenlöffel essen ließ. Er musste im InterLaceEntertainment-Laden eine Bestellung aufgeben, um Filmpatronen ausleihen zu können. Er musste Antazida gegen das Sodbrennen kaufen, das er nach dem ganzen Essen nachts immer bekam. Er musste eine neue Bong kaufen, denn jedes Mal, wenn er seinen definitiv letzten Marihuanaklumpen aufgeraucht hatte, beschloss er, dass es das gewesen war, Schluss damit, er mochte es eigentlich gar nicht mehr, fertig, aus, kein Versteckspiel mehr, keine Belastung der Kollegen, keine neuen Ansagen auf dem Anrufbeantworter mehr, kein Wegbringen des Autos aus der Nähe seines Apartments, kein Fensterschließen, Vorhängezuziehen, Jalousienrunterlassen, kein Leben mehr auf schnellen Vektoren zwischen den Filmen im InterLace-Teleputer im Schlafzimmer, seinem Kühlschrank und seiner Toilette, und die gebrauchte Bong würde er in mehrere Einkaufstüten wickeln und wegwerfen. Sein Kühlschrank produzierte eigenes Eis in milchigen, sichelförmigen Stücken, und das mochte er, denn wenn er Dope im Haus hatte, trank er immer Unmengen kalten Mineral- und Eiswassers. Allein beim Gedanken daran schwoll ihm die Zunge. Er sah zum Telefon und auf die Uhr. Er sah die Fenster an, aber nicht das Blattwerk und die asphaltierte Auffahrt hinter den Scheiben. Die Jalousien und Vorhänge hatte er schon abgesaugt, alles konnte jederzeit runtergefahren werden. Wenn die Frau, die gesagt hatte, sie würde kommen, erst gekommen wäre, würde er das ganze System runterfahren. Ihm kam der Gedanke, dass er dann in einem Loch in einem Träger in sich verschwinden würde, der etwas anderes in ihm stützte. Er wusste nicht genau, was das in ihm sein sollte, und war auch nicht bereit, die Vorgehensweise weiterzuverfolgen, die erforderlich war, um dieser Frage nachzugehen. Es war jetzt schon fast drei Stunden über die Zeit hinaus, die die Frau, die gesagt hatte, sie würde kommen, ihm genannt hatte. Als er vor zwei Jahren an einem ambulanten Entziehungsprogramm teilgenommen hatte, war ihm von einem Psychologen, Randi, mit i und einem Schnauzbart wie ein Mountie, erklärt worden, er sei anscheinend nicht überzeugt genug von der Vorgehensweise, die erforderlich sei, um Drogen aus dem Leben zu verbannen. Er hatte bei Bogart’s am Porter Square, Cambridge, eine neue Bong kaufen müssen, denn immer wenn er seine Drogen restlos aufgebraucht hatte, warf er alle seine Bongs und Chillums weg, Siebe, Röhrchen, Papers und Klemmen, Feuerzeuge, Visine und Pepto-Bismol, Kekse und Glasur, um allen künftigen Versuchungen zu widerstehen. Er fühlte sich immer sehr optimistisch und entschlussfreudig, wenn er alles weggeworfen hatte. Heute Vormittag hatte er die neue Bong gekauft und Vorräte angelegt und war lange vor der Uhrzeit wieder zu Hause gewesen, die die Frau, die gesagt hatte, sie würde kommen, ihm genannt hatte. Er dachte an die neue Bong und das neue kleine Päckchen mit runden Blechsieben in der Bogart’s-Tüte auf dem Tisch in der sonnenlichtdurchfluteten Küche und wusste nicht mehr, welche Farbe die neue Bong hatte. Die letzte war orange gewesen, die davor von einem dunklen Rosaton, der von dem in nur vier Tagen gerauchten Harz am Boden schlammfarben geworden war. Er wusste nicht mehr, welche Farbe diese neue allerletzte Bong hatte. Er wollte schon aufstehen und nachschauen, welche Farbe die neue Bong hatte, mit der er kiffen würde, sagte sich aber, zwanghaftes Nachschauen und krampfhafte Bewegungen könnten die Atmosphäre beiläufiger Ruhe kompromittieren, die er brauchte, während er, auf dem Sprung, aber bewegungslos, auf die Frau wartete, die er bei einer Kreativrunde für die kleine Kampagne seiner Agentur für das neue Wedekind-Festival ihres kleinen Schauspielerensembles kennengelernt hatte, während er also auf diese Frau wartete, mit der er zweimal geschlafen hatte, um ihr beiläufiges Versprechen zu honorieren. Er überlegte, ob er die Frau schön fand. Wenn er sich zu letzten Marihuanaferien entschied, bunkerte er auch immer Vaseline. Wenn er kiffte, neigte er zu exzessivem Masturbieren, egal ob Möglichkeiten zum Beischlaf bestanden oder nicht, wenn er kiffte, zog er dem Beischlaf das Masturbieren vor, und die Vaseline bewahrte ihn davor, ganz empfindlich und wund zur normalen Funktionsweise zurückzukehren. Er schreckte auch davor zurück, aufzustehen und nachzuschauen, welche Farbe die Bong hatte, weil er, um in die Küche zu gelangen, an der Telefonkonsole vorbeimusste, und er wollte nicht in Versuchung kommen, die Frau, die gesagt hatte, sie würde kommen, noch einmal anzurufen, weil er sich schleimig vorkäme, wenn er ihr wegen etwas auf die Nerven ging, das er ihr als eine solche Beiläufigkeit geschildert hatte. Er befürchtete, mehrere Anrufe ohne Nachricht auf dem Anrufbeantworter würden noch schleimiger wirken, außerdem hatte er Angst, sein Telefon könnte ausgerechnet in dem Augenblick besetzt sein, wenn sie anrief, was sie garantiert tun würde. Er nahm sich vor, bei seinem Akustiktelefon gegen eine geringe Gebühr eine Anklopffunktion einrichten zu lassen, sagte sich dann aber, da dies ja definitiv das letzte Mal sein würde oder sogar müsste, dass er dem nachgab, was Randi, mit i,