Rohstoff Elements - Jörg Fauser - E-Book

Rohstoff Elements E-Book

Jörg Fauser

0,0
20,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Schon in Fausers frühen Gedichten und experimentellen Prosatexten kann von Pose und Erfindung keine Rede sein. Da lebt jemand das, was er schreibt, was er als Text hinausbrüllt oder flüstert. Zu spüren sind auch Fausers erste Helden Kerouac und Burroughs, die ihn vielleicht nach Tophane und in die Sucht, vielleicht auch zum Schreiben getrieben haben. In diesen Texten, die von Beat bis Cut-up reichen, geht Fauser aufs Ganze – dies ist der Band, um ihn neu zu entdecken. Mit einem Nachwort von Jürgen Ploog.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 306

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jörg Fauser

Rohstoff Elements

Mit einem Nachwort von Jürgen Ploog

Diogenes

Gedichte

Zum Alex nach Mitternacht

Die Charles-Bronson-Imitation aus Knautschlack

brütet über einer Cola in der roten Sonne

überbelichteter Vorstadt-Träume; erledigte Rivalen,

klatschende Klöten, Kadaver am Galgen, letzter Showdown,

triefende Mösen, absolutes Finale

in Technicolor.

Der blondgefärbte schwule Itaker mit den lila Denims

gibt es endgültig auf, Mick Jagger nachzuäffen,

Mann ohne Publikum, Publikum

ohne Mann.

Pass auf, dass du im Lokus nicht ausrutschst

und dir deinen

parfümierten Schwanz brichst.

Dieses miese Loch, Bastard

eines desolaten Hippie-Sommers, sag dem letzten

Taxifahrer gute Nacht, sweet Mary,

vor die Wahl gestellt zwischen deinen

abgekauten Titten und dem Nichts

wähle ich deine Titten.

Die Einsamkeit macht uns alle fertig, sagt Klaus

und drückt Janis Joplin, Whisky und »Me and Bobby McGee«,

der Joker rattert, Maschinengewehr, Baader geschnappt,

chant d’amour et de la mort, so’n Mordsdusel,

der Apparat spuckt lauter Markstücke aus

und wir bestellen noch mal

ein Magengeschwür.

Alles was da hängt

ist Fleisch.

 

8/1972; 3/1973

Charlie und Harry

Trüber Sommernachmittag in Fat City,

sie hockten auf Harrys Bude und kippten Bier,

irgendwo im Hinterhof stieg eine Teenager-Party

und die Beatles leierten einen ihrer total

schwachsinnigen Songs runter,

»Lucy in the sky with diamonds«

oder sonst einen abgedroschenen Heuler.

Son abgedroschener Heuler, sagte Charlie,

aber die Miniröcke sind wohl immer noch scharf darauf.

Stimmt, sagte Harry, macht einen ganz fickrig.

Sex Sex Sex, sagte Charlie und warf die leere Dose

in den Abfalleimer,

bei dir was los?

Sex, sagte Harry, was ist das?

Shit, sagte Charlie, ich fang wohl an kirre zu werden,

ich bin so heiß dass ich Löcher in die Matratze brenne,

lauf drei Wochen mit ’nem Steifen von hier bis Timbuktu rum,

aber wenn ich endlich was zwischen den Fingern hab

wird mir einfach alles fad, fad –

irgendwie rentiert sich der Aufwand nicht,

man könnte genauso ’nen Emmentaler pimpern

wenn du weißt was ich meine –

klar, sagte Harry, Emmentaler

mit rotem Pfeffer oder Nudelwalker von hinten

und ’ne Stefan-George-Erstausgabe ums ritzy zu machen,

oder einfach fürn Heiermann ’ne Gastarbeiterin

in der Anlage hinterm Interconti, und samstagabends

all die kleinen brühwarmen Homos die im ZDF

über die Mattscheibe spritzen, ist schließlich

alles ’n Loch, und alles leer, immer gewesen –

Shit, sagt Charlie, von hier aus kann man direkt rübersehn,

und sie standen am Fenster und glotzten rüber,

die Beatles heulten auf höchster Lautstärke,

die Teenager kreischten und ließen ihre Beinchen sehn,

die Schmeißfliegen legten Eier,

sie tranken ihr Bier,

dann ging Charlie zur Spätschicht

und Harry versprühte eine Ladung Flit.

Geschenkt

Long Tall Ernie rockte auf dem ZDF-Piano,

in der einen Hand die Bierdose, in der andern

das Mikrophon, der Gitarrist zog sich die

Basketballschuhe aus und schmiss sie im Studio rum,

wo dreihundert dreizehnjährige Mösen quietschten,

dann kam eine total überkandidelte Schönheit

in wehendem giftgrünen Tüll und Chiffon,

irgendeine Tunte aus dem West End wahrscheinlich

mit Falsett und Monroe-Perücke, Schit,

aber bevor alles ausflippte brachten sie Melanie aufs Podium

und jede Hose in der Kneipe wurde feucht.

Samstagabend irgendwo in Sick City.

Harry nahm einen Schluck Bier,

der Typ neben ihm schwang große Reden,

eine blonde Biene an jeder Seite,

Harry starrte die jüngere an

bis sie zurückstarrte, zurücklächelte,

enges rotes Kleid, schmaler runder Mund,

gerippte Strümpfe, kein Büstenhalter, sicher im Bett

’ne mordsmäßige Nummer, heiß, heiß,

Harry selbst mit verklebten Haaren, zu viel Bier,

verklebtem Schwanz, er kippte das Glas

viel zu schnell, bestellte ’ne Lage, brannte sich

flott ’ne Kippe an, Melanie groß im Zoom

auf der Flimmerkiste, Sex yeah Sex,

die Blonde lächelte ihr kleines gefrorenes

Margarine-Lächeln und Harry dachte

an danach, das übliche Gewäsch,

ihr Steno-Job der sie nicht ausfüllte,

ihr nichts gab, klar, Fortbildung und Jusos

und dann ihre Tage, die Tampons, Sozialkritik

und Samstag Kintopp aber bitte nichts Brutales,

lieber einen Schuss Habermas und die ganze Nacht

ihre Rothändle und alles was geblasen wird

ist Rauch, Rauch, und ihr Alter irgendein Bonze

aber sonst wird Bewusstsein erweitert, immer weiter,

Schit sagte Harry und drückte die Kippe aus,

geschenkt dachte er und starrte in sein Bier,

irgendwohin.

Nada, was sonst

Na schön, du bist abgebrannt, erledigt,

Blut gehustet im Treppenhaus,

drei Stockwerke hoch, Blut

im Waschbecken, Blut im Bierglas,

Rotz und Blut auf der zerfetzten

Stellage, der letzte Rest:

Seite in die Maschine spannen, auf Null

gebracht, abschießen mit ratternden

Tasten was dich festhält auf Null:

Finale im Bunker, vier Wände aus Angst,

Paranoia-Latrine, das Gefühl

kein Fick wird noch was ändern,

die absolut sinnlosen Worte, Brechreiz,

Brechzwang, Hokuspokus Flitter und Ramsch,

kein Durchkommen, kein Rauskommen,

Barrikaden aus Suff und zerkauten Träumen,

Strom abgestellt, Leitung gerissen,

Matsch im Hirn und Affenzucker

im Mark, Revolution der rötliche

Kotzfleck an der Giftgas-Peripherie,

überall Hermes der den letzten Schuss

in den Mund setzte, the last f‌ix, f‌inally,

vier Uhr früh, keine Luft mehr,

mit geliehenen Fingern

an der Maschine, Relikt einer Ära

aus Rauch und Koma und Illusion …

 

12/1972

Mister Go goes kaputt

Berlin 68,

runtergekommene Kommune Bülowstraße,

Harry allein auf Achse,

meilenweit nichts als schwarze Hinterhöfe,

Junk-Akrobat ohne Netz auf der Suche

nach der Paranoia

die die Paranoia erklärt …

rote Schlusslichter der U-Bahn Richtung

Krumme Lanke oder Schlesisches Tor,

im VW-Bus versucht Hübsch dem fuchtelnden Kunzelmann

zu erklären warum er noch schreibt,

kurzes Gespräch über Gedichte, Beat Generation,

Harry schluckt einen Eimer AN1,

»The Beat Goes On«,

Nadine irgendwo mit Humphrey,

Bogey, Kino am Ku’damm, »Der Schatz der Sierra Madre«,

später ein Joint unter der Eisenbahnbrücke

Yorckstraße, gegenüber »Mister Go«,

die RD-Streife checkt ihre Kundschaft

im Geflacker der Lightshow …

Hübsch flippt aus in der K1,

der Film läuft ab

wie jeder Film abläuft,

überall werden Einsätze verpasst,

Harry kocht in der Küche einen Schuss,

Berge von Müll, dreckiges Geschirr,

eingefrorene Spaghettisoße, die ganze

verwanzte Schau, zu viel Speed im Trip,

der Zirkus fing Feuer, kaltes Grausen in der Gummizelle,

Bonnies Ranch wenn du die Kurve nicht kratzt.

»2000 light-years from home« das Hickhack

der Gelatine-Schwulen vom Savignyplatz,

Kunzelmann untergetaucht, Hannibal

mit lackiertem Fingernagel …

zuletzt kein Horse mehr.

Harry nagt an seinen Paranoia-Schrippen und nichts

ist erklärt,

Koma in Schmargendorf,

Charlie kaputt mit Lou Reed

unterm Dach, »Schreiben gegen das Leben,

Leben gegen die Realität«,

irgendwann wird der Gitarrist aufgekocht

»and he had to /

run run run« –

zehn Jahre später aufwachen

noch mal als Harry,

Mister Go ging kaputt aber der Alptraum

geht weiter …

Treffpunkt Alfa Centauri

Kaum aufgewacht, kaum da,

kommst du schon rein, Sweetheart,

wenn auch nur als Figur

aus meinem nassen Traum, immerhin

du als Schnappschuss unter zerlaufenem Mascara,

Finger dort wo der Saft sonst spritzt,

ganz auf Touren im Amphetamin-Flash,

kaltes Flackern im Raum, unten

hole ich aus der griesgrämigen Apothekerin

Polamidon raus, du oben mit meiner

letzten Vene, niemand hört zu, allein,

U-Bahn-Apotheose am Nollendorfplatz,

fixiert auf dich, die Vene am kleinen Zeh,

Regen in Berlin-West, Regen

auf dem Kontinent des letzten Scripts,

später total aufgeschmissen

in der dadaistischen Phase des Entzugs,

verwanzte Spritzen, kichernde

Ku’damm-Ratten, völlig kaputt,

abgegangen in Bellevue, aufgehängt

in Bayswater Road, Selbstmord im Supermarkt,

Harry zuletzt in Alfa Centauri, Hotel d’Europe,

mit Ploogs Funkspruch auf der rosa Decke.

 

3/1973

In Abwesenheit verurteilt

Hinterhof in Alfaville, Slumgegend natürlich,

zerfetzte Teppiche im Vorgarten, nachts die Ratten

zwischen den Müllkippen am Straßenstrich,

nebenan die Swingle Singers mit einer

Nummer von Bach, brüllend heißer Augusttag,

mieses Gefühl wie nach nikotinarmen Zigaretten

oder makrobiotischem Apfelkuchen, unten

kochten die Gastarbeiter immerhin Gulasch –

eine Nummer auf der Seegrasmatratze, sie trug

die ausrangierte Wäsche ihrer Mutter,

fades Rosa, roch nach Pommes frites

und Ketchup, blondes Haar, sie erzählte

von ihrem letzten Selbstmordversuch, viel zu

heiß zum Vögeln, später ging sie

zu den Leninisten, die Wermutflasche

kippte um und ich schrie, wenn das Schwein

die Platte nicht abstellt, passiert was –

nichts passiert, amigo, nur zermatschte

Klöten oder Magendurchbruch, und draußen

in Höchst die Gaswolken, der grünliche

Tod, nachts wenn du still

und erledigt auf deinen Alptraum wartest

hörst du wie die Verbrennungsöfen

und Tripmaschinen ihr Geschäft besorgen –

sonst alles im Griff, und bestimmt nicht

in deinem, abgekartetes Spiel, sinnloses

Heulen und sinnloses Gehämmer der

Schreibmaschine unterm denaturierten

Zementhimmel, draußen der Tod auf

Raten, drinnen letzter Versuch, Finger

an die Tasten gekrallt, wo du bist

spielt keine Rolle, in Abwesenheit

verurteilt zur Abwesenheit –

ich machte eine neue Flasche auf, rollte

einen Joint, irgendwas, sonst war nichts

mehr los, kein Bach und kein Bock mehr

und später ging sie zu den Leninisten,

irgendwohin …

Kurzes lächelndes Solo

Wein, Wodka, draußen die graue Kälte,

Sick City, marodes Hinterland, Suizid ganz

banal, Fauser schreibt wieder unverständliches

Zeug, nicht tief, nicht kritisch,

nicht deutsch genug, trister Typ

der kaum was bringt außer

abgekauten Erinnerungsfotos

Edirne 68, die Franzosen auf Cold Turkey,

letztes Nembutal längst weg,

Freds Tinktur im Klo verschüttet,

zu schwach um abzuhaun, Bahnhof

von Bullen umzingelt, im Büro

stempelt der Vorsteher die Ausweisungs-

papiere ab, drüben im kalten Glimmer

die mazedonischen Berge,

hier ein Typ im roten Poncho, lang

hingestreckt, Entzug,

ein anderer, der mit dem Rattengesicht,

kniet mit irrem Lächeln neben ihm

und wichst ihm den Pint unterm Poncho ab,

bis er um sich schlägt und kommt –

schönes Gefühl wenn der Saft

in die Hose geht, wenigstens etwas,

panisch, paranoid, aber noch nicht

gekillt, irgendwas zuckt noch

im Niemandsland wo keiner

je zu was ja sagt,

aber nichts fürs Feuilleton, Fauser,

okay ich lass den Vorhang runter,

was sonst, drüben im Verhandlungssaal

euer inneres Auschwitz,

dreh mich zur Wand, allein, klar,

kurzes lächelndes Solo

bevor es wieder losgeht,

so leicht lassen sich Irre

nicht umlegen …

Bornheim Blues

Bergerstraße Sonntagabend gegen sieben

der Buchmacher fegt die zerrissenen Wettscheine zusammen

Full of Beans hat nichts gezahlt My Love nur 25 für 10

irgendwelche Ackergäule und Schindmähren

Foto-Finish und Futsch

assortierte Kastraten kichern hinterm Paravent

ein Tag für die Rentner und ihre zwei Mark Dreierwette

wenn ich jetzt heimlatsche

kein Bier im Eisschrank

und nicht die Spur einer Möse im Bett

Lady oh Lady

Bergerstraße als ein Ausschnitt aus der Selbstmordzone

Geruch nach Gulasch und Pisse und Hinterhof

City

die sich in den Wind schießt

nicht die Spur einer Möse

immer der gleiche Schmant auf dem Teller

jemand sagt das bist du

deine Zigarre zu vierzig und dein Pint zu Null

krepierte Fliegen im Schnapsglas

irgendein müder Irrer lehnt die ganze Nacht

im Delirium an der verrammelten Haustür

lass rammeln Harry

lass andere ihr Fleisch in den Pritschenwagen prügeln

und die restlose Dämmerung genießen jenseits der Gitter

mit Valium 10 und Distraneurin

Lady oh

Lady

und später noch mal das Ganze und immer wieder das Ganze als Nichts

der Gaul der zu spät kommt die leere Flasche im Niemandsland

irgendwas wird immer offeriert

Schwanz

eine Chif‌fre die nichts mehr verschlüsselt

irgendwas für Lady

zuletzt wenn der Regen alles erstickt

Ein Drink mit Harry Belafonte

Hängengeblieben in einem Kosmos

aus verwanzten Hotelzimmern

Nebelhörner vom Hafen

Bellevue in abgestandener Pisse

zerfetzte Rip-Kirby-Comics

mit Blutflecken in der Kloschüssel –

nichts zu tun

als abzukratzen

und nicht mal das

haut hin.

Weissners letzter Brief

in der Unterhose

zerhackte Morsezeichen

zwischen Hämorrhoiden

die grüne Kuh im Pink-Gin-Koma

Porno aus Gaselgastein

vor einem Hintergrund

von Greta-Garbo-Transvestiten

ölen die Brüder Sass

die Knarre, mit der sie

umgelegt werden.

Letzter Drink Hombre

aus einer Suppenterrine

mit rostigen

Kakerlaken.

Geh nach Haus

Harry vielleicht

klappts mit dem Nudelwalker

und lass die U-Bahn ölen

bevor du dich

auf die Gleise legst.

 

2/1973

Zwischenzone

für Jürgen Ploog

Endlich allein

nur noch Marylou

mit dem verschwommenen Blick

Heizsonne in der Vagina

allein

mit der Restauf‌lage orientalischer Hotelzimmer

und dem Gehirnstrudel vom Marble Arch

Jojo am Bongo Zucker für den Affen am kleinen Zeh

allein mit den Mutanten der Lexington Avenue

Quallen verkleistern die Strandcafés

schwunghafter Handel mit Dildos

genau dort

bleiben wir.

Penang

Heroin-Prise am Hafen

Azaleen und Almeyer’s Wahn

Veronal im Zwischenhirn Peripherie

reduziert auf Pupille

chinesische Gongs Derwisch-Geheul

zwischen den Lampions schneidet der Sex

seine westlichen Fratzen.

Dean Moriarty

in der Knautschlack-Fassung für die Empty Generation

das berührt nicht mehr

seine Spur in Jazz-Landschaften

aus Kakteen und mexikanischem Koma

Hermes nebenan dem keiner mehr zuhört

der Rest für die Dealer

Schmeißfliegen im Blut

Hirn spritzt

über Marylou.

Manchmal mit Lili Marleen

für Helmut Spielmann (1944–1971)

Was zu beschreiben bleibt

wird nicht leichter weil es

das Einzige ist

immer wieder der Regen die Gesichter

der Sterbenden und der Toten

als Kerouac starb war ich in Istanbul

ein Jahr später sagte meine Mutter zufällig

»Der ist schon lange tot«

und die anderen

die sich in Cold-Turkey-Gefängnissen aufhängten

in Badezimmern absackten oder einfach irgendwo im Park

die gleichen Gesichter die gleiche Sinnlosigkeit

das kalte ausgehungerte Fleisch

nachts träume ich manchmal von der Spritze

ich hab gesehn wie sie sich in Penis

und Halsschlagader fixten

meine Freunde in der Morphiumbaracke

ich selbst habe Narben außen und innen

Narben die nie verheilen Bilder die nichts auslöscht

was ist Leben am Ende als ein Tropfen in der Kanüle

oder Tod etwas anderes als sich weigern noch was zu sagen

die letzte zerbrochene Flasche im Sand

Cassadys Kopf auf dem Eisenbahngleis

Hermes der sich in den Mund schoss

und das alles schon zu oft gesagt

immer schwerer zu beschreiben

die Nebelhörner die Frachter die Jahre der Sucht

die Jahre der Cafés der Irrenhäuser

die Nächte ohne Opium

ich stelle keine Fragen mehr

wie Hermes sich noch Fragen stellte

auf die er die Antwort schon wusste

Regen und Whisky und Winternebel im Park

Nachmittage in der Interzone der Infernos

allein mit dem Radio und weit weg mit Erinnerungen

und manchmal mit Lili Marleen

 

17.12.1972

Hommage à Speedy

Speedy Gonzales mit den ausgeflippten Augen

Speedy an der Autobahnauf‌fahrt Mannheim/Arizona

Flecken vom letzten Gelatine-Fick auf der Lederjacke

Überdosis Sex in die Kloschüssel gekotzt

Jazz-Cafés unterm Fingernagel

rauchende Selbstmord-Silos

Speedy Gonzales dein blutiger Schädel auf dem Ku’damm

mit ihrer Tunten-Kultur konnten sie dich nicht einwickeln

mit keinem ihrer Systeme konntest du was anfangen

verlauster Hitchhiker in der finalen Flash-Periode

Speedy Gonzales der Abbruch- und Irrenhäuser

kalte Explosion von Kotter Aorta und Wichse

Gehirne platzen wie Morphiumkristalle

Kirmes-Killer und Lederjacken-Lear

dein Schwanz passte nicht in ihre Mandala

unterbelichtete triste Vorstadtmoräne

deine Anarchie immer nur Alptraum

in keiner Beat-Anthologie zu finden

Speedy Gonzales weint Sperma

in der Windstille der Sucht

 

6.4.1973

Cut City Blues

für Carl Weissner

Erinnerungen an morgen

Erinnerungen an Carls letzte Wohnung

der Feldstecher aus San Francisco

Bukowskis Briefe mit Wichsflecken

irgendwann setzte er ein anderes Gesicht auf

und verschwand in Taormina

wo wir alle irgendwann verschwinden

später die Ansichtskarten

mit zerhackten Suppendosen Autowracks

und blutigen Tampons

Erinnerungen an das zerschnittene Gesicht des Dealers

fünf Uhr früh in der Roxy Bar in Westende

Pélieus letzter Tango im Ölschlick

Junk-à-go-go im expressionistischen Stil

Cold Turkey nach Vagina und Schanker

auf der gefleckten Matratze dreimal das I Ging gefragt

und doch nichts gewusst

Erinnerungen an heute

an Autofriedhöfe und den Jazz der Tottenham Court Road Cafés

Erinnerungen an Trichomonaden und geplatzte Venen

in verlassenen Tankstellen und verlausten Latrinen

Opium Jones bedient die automatische Sprechanlage

the man within

Erinnerungen an die letzte Flasche Wodka am Sloane Square

Eiterbeulen im Hyde Park Terry lebte in einer Plastiktüte

mit Trichloräthylen eine ätherische Schöne aus grüner Pisse

it’s nothing she said

Erinnerungen an die subkutane Periode in Heidelberg

Speedy Gonzales schluckte zum Frühstück drei Irrenhäuser

andere verschwanden spurloser

in ihren zerstochenen Pupillen

Erinnerungen an gestern

sind Erinnerungen an nichts

Prosa

Cut-up-Special

die andere hand kriecht schon über den seichten arsch, poröse zungen halbierte hüften und die plomben, plastikmösen/fuck da geht euch einer ab, nichts als quassel, endlose tassen kaffee, endlose zigaretten, endlose tampons die’s klo verstopfen ein bisschen ruhe, das der irre braucht ist erst jenseits der wupper/shit, ich hatte nichts zu hause zu spachteln oder zu schlucken, dachte, nicht für die literarischen schwanzlutscher, aber wer will mit denen schon an einem tisch sitzen? ich hing vorne am tresen als die finnin hereinsegelte, ein graziles zweizentnerweib, wahnsinnig/ ungefähr 30, hübsches puppengesicht und jetzt sag was: gehen wir zu mir! also wir hief‌ten die treppen hoch auf meine bude & sie stieg aus’m rock, ich riss ihr die bluse runter & den büstenhalter fuck jolly djesus, was für titten, saugnäpfe, diese weiße masse fleisch, sie kichert und wie’s so geht … ich will sie gerade besteigen klingelt’s telefon: ich sag na wer dran? hadayat ullah, ach, deine gedichte haben mir gut gefallen sagt er ich bins. wenn sie auch sehr romantisch sind, sagt er, sag ich fuck, deswegen rufst du an, ja, irgendwo drücken sie doch hoffnung aus, nur die genitive stören, ich sag willst du mich verarschen, nein ich find die haben so einen expressionistischen touch. ich sag bist du wirklich bekloptt oder was? ja weißt du, wir sind doch heute irgendwie weiter, sensibilisierter also sag ich, hör zu, ich hab was besseres zu tun als ’nen literatenabwasch zu machen, ich hab hier ’ne heiße votze im bett, seit monaten nichts mehr zwischen den fingern gehabt, hadayat, verstehste, nix als malochen, nachtwächter, eierträger, mein freier tag, mein freier tag und übrigens hör mal zu: du bist doch dichter, ich les dir ’n gedicht vor, jetzt passe mal auf: trinkst du binding-bier dann steht er dir, trinkst du henninger, dann hängt er dir trinkst du brauhaus dann ist’s ganz aus und ich habe heut morgen binding gesoffen, verstehste, aber er hat natürlich schon eingehängt …  … das beste versäumen sie ja immer; die genitive, die expressionisten, ausrangierte wracke, gar nicht angetörnt, aber sensibel, spirituell, hoffnung …  … mit dem fauser, sagense, geht’s bergab …

Nirwana im Norden

Ein Script der Siebziger Jahre

»Time to move into first place«

(W.S.B.)

GALAERÖFFNUNG. Die Szene ist überall, und es ist überall dieselbe Szene. Man sitzt sich in irgendeinem Wohnklo gegenüber, im Spülstein der Abwasch vom letzten Karneval, der Hund schlappt am Bier, auf dem Plattenteller John Coltranes »Equinox«, nämlich »Sonnenfinsternis«, die Demolierungstrupps machen Mittagspause, man füttert seinen Affen mit Cuba Libre und stellt die Totenscheine aus:

»Diese Suizid-Welle«, sagt Dimi, während er in der »Baltischen Adelszeitung« blättert, »allein in Schwabing 23 …«

Keine Ahnung, warum wir es sind die überleben.

»Den Weg der Maschinenfabrik Shanghai gehen«, fordert der Mann von der RAF im Gerichtssaal. Time for a change!, jubelt der Weather-Man, als er sich mit seiner Bombenküche in die Luft jagt. Doktor Junk konfiszierte auf andere Art: Überdosis im Gülhane Hilton, Überdosis im Berliner Zimmer, Überdosis Zeit & Zero im grünen Badezimmer am Ende der Welt, Frankie Machine alias Hermes der den Kopf in die Schlinge legt und den Stuhl wegkickt1.

Der Marxist in der Beletage mixt sich noch einen Mao Tonic: »Für Cut-up-Reaktionäre und Beat-Dekadente gibt es kein Papier auf Bezugsscheine, Herr Gelb.«

Ixca der Amokläufer, Fred Smack, Trichlor-Terry, Jojo, Tiki der Koma-Kid massieren ihre steifen Venen im Letzten Onkel Max am Ende aller Straßen2 … »Schätze es fällt wieder ’ne Menge Schnee auf die Irren in Bakirköy, Ede3« … »Aber wir hams schön warm« … kalte Kuddeln in Saloniki, der Alte Bange schaffte es nicht mehr, Abgang über dem verbogenen Löffel vom Café Europa, 23mal die kalte Hand von Doktor Junk:

»Was ihr draußen seht ist bloß das was ihr schon vorher hingestellt habt. Zeit zurückzukehrn ins Vorher, Jungs.«

Eine Retrospektive aus der Asche westlicher Alpträume.

 

MAINLINE-TANGO. Vestibül im Finas Palas Hotel in Cholera City. Verstaubte Palmwedel, fetter syrischer Patron mit Zahnstocher im Mund, Klappern von Gebetsschnüren und Tabla-Würfeln, manchmal der lustlose Schrei einer Hure die mit dem Messer angegeilt wird. Und vom Hafen rüber das Tuten der Frachtkähne und das Heulen der Nebelhörner. Ab und zu eine MG-Salve in den Armenvierteln. Es gibt keinen Impfstoff mehr. Und es gibt kein Heroin mehr. Dafür gibt es Leichen.

Das Finas ist eine Absteige für armenische Existenzialisten, kirgisische Doppelagenten ohne Spesenkonto, drittklassige ausrangierte Filmschauspieler mit angeklebtem Douglas-Fairbank-Lächeln, und die üblichen Sex- und Crime-Süchtigen aus den Selbstmordzonen der europäischen Metropolen.

Ich fuhr zusammen. Der Mann mit der Financial Times hatte mich angesprochen:

»Kennen Sie den Mainline-Tango?«

Ich folgte ihm in die Bar. Auf der Tanzfläche drehten sich ein paar pockennarbige Transvestiten in Nostalgie-Kleidern aus der Vogue der 30er Jahre. Nach jeder Drehung imitierten sie mit schmutzigen Gummispritzen die alten tristen Fixer-Bewegungen.

»Unglaublich, nicht? Ich heiße Christopher. Nehmen Sie auch einen Pink Gin?«

»Danke. Trinke nicht im Dienst, Mr Isherwood.«

Der Mann drückte seine Fatima aus und verzog sich.

An der Jukebox dünner blonder Junge konzentriertes Gesicht des Junkies nach dem Fix. Tiki. Er lächelte mir zu.

»Que tal, amigo?«

Er zuckt die Achseln … 20 Jahre Knast Cold-turkey Klapsmühle Paranoia in Para-City4 und immer das dünne Lächeln bis sie ihm die Zähne einzeln rausbrechen und seine Lippen zerfetzen aber das Lächeln bleibt genau dort wo es immer war manche nennen es das Chinesische Lächeln er drückt zwei Münzen in den Schlitz –

»Coke?« –

»Claro« –

dieses Lächeln ist Junk.

Blick auf Hochspannungsmaste, Rangiergleise, Stellwerke, Busdepots, Flohmärkte, baufällige Krankenhäuser, abbruchreife Irrenhäuser, Schlachthöfe, Stahlbrücken, Wellblechsiedlungen und drüben die tanzenden Lichter von Üsküdar. Die ganze Nacht fällt Schnee. Mainline-Tango von Radio Cholera. Der Junge in dem zerschlissenen Sessel schläft mit offenem Mund, Junk lächelt sein Nicht-Lächeln im Schlaf.

 

TIKI WAS HERE. Stehbierkneipe DOLLE LOLA in Schwabing. Ranzige Pommes frites kalte Pizza Schlagzeile einer Boulevardzeitung BADER-MEINHOF: DER SPUK IST VORBEI. Jugoslawischer Kellner mit Boxer-Nase unterhält sich leise mit einem Landsmann die Ustascha kassiert ab. An der Musikbox zwei Schulmädchen in rosa Maximänteln, die nach Beatles-Platten suchen.

Kamera fährt langsam auf den Flipper neben der Toilettentür zu. Totale. Tiki der Junge aus dem Hotel GILDA flippert ohne sich um die Kugeln zu kümmern Augen starr auf die Kamera gerichtet. Er trägt eine abgewetzte Wildlederjacke blau-grau gemustertes Flanellhemd dunkelblauen Seidenschal weiße schmutzige Jeans und halbhohe Lederstiefel. Auf einem Hocker neben ihm halbleere Tasse Kaffee Rauch einer Zigarette Marke Player’s die Beatles steigen ein in A HARD DAY’S NIGHT Tiki wischt mit dem Schal Schweiß vom Gesicht.

Kameraschwenk auf Schulmädchen die sich an einen Tisch in Tikis Nähe gesetzt haben. Die Blonde dreht kichernd an einem billigen Türkisring die Schwarze mit dem Rücken zu Tiki kramt in ihrer Umhängetasche. Sie öffnet eine Kompakt-Kassette und beobachtet Tiki in deren Spiegel. Tiki wendet den Blick von der Kamera und starrt die Mädchen an bis SIE NICHT MEHR DA sind … ein undeutlicher Schatten der sich auflöst wie Zigarettenrauch … Tiki wirft zwei Münzen in den Flipper. Kameraschwenk zur Tür. Die CONNECTION kommt.

 

IXCA UND WASHBURN. Ixca und Washburn nahmen sich den graumelierten Kommissar vor und puderten ihm im Badezimmer eins über.

»Immer schön langsam, Ixca, der Saftsack soll erst mal was ausspucken.«

»Ja, aber nachher geb ich ihm seine Klöten zu fressen!«

Ein Zustand Totaler Retrograder Amnesie … Sie zünden sich eine Zigarette an und pfut! wachen dreißig Jahre früher als Darling Doll im Café Nirwana auf, während zwei senegalesische Literaturpreisträger es ihnen mit dem Schneebesen verpassen.

»Wie bin ich nur hierhergekommen?«

Ixca zerschlägt die Einrichtung, Washburn kackt die Perserteppiche voll und wischt sich mit der Erstausgabe von Cocteaus OPIUM den Hintern ab.

»Keine Bange, Gide, du kommst auch noch dran!DEBOUT TOULOUSE-LAUTREC!«

Der Himmel pisst marinierte Hamburger Marys, vor der Ahmadya-Moschee versammelt sich eine riesige Menschenmenge.

»Wen hats denn da erwischt?«

»Alle.«

»Hörst du, Washburn: ALLE! Die Letzten Koraner haben sich im Großen Grünen Rausch die Schwänze abgesäbelt!«

»Wow … der ALLAH-Fick!«

Ixca spielt auf seinem Kassettenrecorder eine Aufnahme türkischer Derwische, die sich in Ekstase kreischen, Washburn antwortet mit einer Nummer der SINGAPUR DOLLS, einer chinesischen Transvestitenoperette die in den 20er Jahren halb Nirwana in Wahnsinn versetzte. Wüstes Geheul, dann wälzen sich ein paar nackte makrobiotische Pakistanis mit Schaum vorm Mund aus der Moschee, die Sekunden später mit einem fast lautlosen Pfnunk! zu Staub zerfällt.

»Saubere Arbeit, Jungs!«

Die Pakistanis klopfen den Dreck von ihren Hodensäcken, ziehen ihre Klamotten an und strecken die Hand aus: »Bakschisch, Sahib! A little Opium, please!«

»You f‌ilthy junkie faggots, drop dead!«

Ixca zerstreut die Menge mit einem Kanister MACE-Tränengas.

»Weiß gar nicht warum die sich verdünnisieren, es geht doch nichts über den guten alten MACE-High: eine Stunde auf Knien rutschen, während dir die Augen verbrennen und du vergeblich nach Luft schnappst … ach ja, das MACEDELIKA von 68 …«

»Werd nicht sentimental, Bimbo!«

Fat City wälzt sich vorbei, Schwänze aus Blei und Permanganat spritzen radioaktiven Saft auf den Needle Park5, wo wir alle vor die Hunde gehen.

 

DIE HARRY GELB RETROSPEKTIVE. Im Frühjahr 70 hatte sich Harry in der Nähe von Kraut City aufs Land geflüchtet. Es kamen einige verschlüsselte Mitteilungen aus denen niemand schlau wurde. Er lebte angeblich mit einer philippinischen Anthropologin (in anderer Auslegung hieß das: indianische Wahrsagerin aus dem Stamm der Auca) die ihm das Leben zur Hölle machte.

Kalter grauer Juniabend in Kraut City. Gelb holte mich vom Bahnhof ab. Langer zerfranster Regenmantel blaue Schirmmütze eine Players zwischen seinen braunen Junkie-Zahnstummeln.

»Ich gebe hier den englischen Schriftsteller ab. Aber sie halten mich trotzdem alle für einen Rauschgifthändler.«

Sein Gesicht war aufgedunsen blutunterlaufene Augen zitternde Hände.

»Du siehst aus wie der Dorfdipsomane aus einem Fallada von 1936.«

»Ich kannte Fallada damals: ein vierschrötiger Bienenzüchter der über einem Glas gegorenen Obstsaft die Beherrschung verlor. Aber als Junkie konnte man nur von ihm lernen.«

Gelb konnte sich offenbar zwischen Einbildung Traum und Wirklichkeit nicht mehr zurechtfinden. Fahrt durch regnerische Dämmerung aufs Land. Seine Frau empfing uns im Vorgarten. Ihr Gesicht wie reine Essenz eine übernatürliche Helligkeit in grobgeschnittenen orientalischen Gesichtszügen mit hohen Backenknochen und einem breiten sinnlichen Mund. Gelb verschwand für mehrere Stunden

»ins Badezimmer zu meinem Türken. Du kennst ja den Türken am Ende Aller Straßen.«

Ich nickte. Wir zogen uns aus. Als ich in sie eindrang schoss ein kalter Schmerz blaue Explosionen in mein Rückenmark ich erwachte irgendwann Regen wusch meinen nackten Körper ich hörte Harry Gelb husten.

»Der Türke sagt wir müssen warten.« Er drückte mir verstohlen ein paar Nembutal6 in die Hand.

»Versuch zu schlafen. Was noch kommt ist alles déja vu.«

 

CUT OPER. Schit, sagte Ixca, glaube ich schaffe es nicht mehr. Washburn verschwand mehrere Stunden in seiner kirgisischen Übersetzung. Langer Trip durch östliche Hotels die nur aus Latrinen bestehen. Dämmerung hinter Üsküdar die letzte Fix während Ratten über seine nackten Beine huschten. Bläuliche Schlangen wie Reflexe aus dem Unbewussten. Ixca zitternd in der Ramadan-Kälte. Und immer irgendein türkischer Zuhälter der dir das Rückenmark absaugt.

Kleine verschwommene Nutten in einem Kino in Pera7. Silberner Jazz Blue Movies und morgens letzte Flasche Tink auf der rosa Decke während die Ratten über Washburns kirgisischen Schwanz huschten. Später katatonisch im Wimpy Westbourne Grove nur noch von hinten und nur noch mit Äther. Überm I Ging verlor Ixca den Zusammenhang. Auf den Fotos aus dieser Periode wirkt er wie eine paraffinsüchtige Ratte. In irgendwelchen Latrinen überlebten sie alle ihren Körper. Niemand machte es was aus und sie starben alle solo im Ramadan.

 

HAU AB, MABUSE. Wer will mit diesem Klüngel im Grunde schon was zu tun haben? Eine Bande debiler Hermaphroditen. Rotzschlieren und Ohrenschmalz im Gesicht, die Griffel hängen zum Latz raus, sie stochern sich gegenseitig in ihren Hämorrhoiden rum. Der Junge Junkie kann das alles nicht fassen:

»Was für äh Typen sind denn das?«

»Das sind Schriftsteller, Charlie.«

»Schit, denen ist aber übel mitgespielt worden.«

»Ach was … die sind bloß auf Wort-Entzug.«

Der Junge Junkie wirft mir einen misstrauischen Blick zu. Er mag keine Anspielungen, kapiert? In diesen Kreisen hat man das Leben gern zu möglichst simplen Bildern reduziert … DIE Spritze … DIE Nadel … DEN Doktor … »Nein nein, für mich kommt nur DAS Mittel infrage, was anderes vertrage ich nicht« … sie beobachten dich mit ihren entzündeten Ratten-Augen, warten auf eine zweideutige Bewegung, ein nicht sofort verständliches Wort, während ihnen der Rotz übers Kinn trieft … eine widerliche Bande. Nichts gegen eine gesunde Paranoia, aber bei diesen Typen geht sie entschieden zu weit. Ihr Karma war der tägliche Horror-Film geworden. Dr. Mabuse schnupft das Kokain von der rostigen Rasierklinge und verwandelt sich vor unseren Augen in die Grüne Nonne, Darling Doll, Ixca … Washburn pudert ihm eins über und dann trinken wir ein Milk-shake im Café Nirwana.

Der Kellner offeriert uns die Hausspezialität (gedünstete Schimpansenklöten, Dr. Freud-Ragout, Kaiserschmarren mit Ketchup).

»Hau ab, Mabuse.«

»Als Leichenwäscher hatte er doch sein Auskommen, wozu musste er Schriftsteller werden?«

 

WÄNDE IM SCHEISSHAUS. Scotch & Wasser. Schmutzige Unterwäsche auf dem marokkanischen Sitzkissen. Pisshimmel in Fat City. Stapel zerschnittener Zeitungen, Magazine, Comics und Reklamedrucksachen unterm Fenster. Grauer Rand am Waschbecken, mit Pisse und Galle verklebte Haarbüschel, ein paar Dutzend leere Flaschen unterm Ausguss. Zwei drei Bier in der Stehbierhalle um die Paranoia zu neutralisieren. Seid ihr auch alle kaputt? Scotch & Wasser und der alte Lou-Reed-Sound: Heroin, I’m waiting for the man, I’m beginning to see the light. Terror in den Straßen, und eine Menge Leute die nicht wissen wie es weitergehn soll. Manche kommen zu mir, wollen sehen was ich mache, welchen Weg ich einschlage. Ich sitze mit dem Rücken zur Wand im Scheißhaus und der Trip läuft immer wieder ab. Politik ist auf nichts eine Antwort, sinnlose Arschleckerei in ausrangierten Badewannen. Stasis. Wer diese Eiszeit überlebt, kann alles überleben.

 

BESUCH BEI MR GREENE. Er war ein Experte im Chinesischen Lächeln. Nach 2 Pfeifen Opium streckte er sich bequem auf dem etwas schäbigem Diwan aus und praktizierte sein Lächeln.

»Singapur Joe machte ein Vermögen mit gestrecktem Kautschuk, aber als er ins Opiumgeschäft einsteigen wollte überredete ich ihn zu einem Urlaub in der Alten Heimat … natürlich kam er nie mehr zurück.«

Die Malayin zündete unsere Pfeifen an.

»Oder nehmen Sie diesen Harry Gelb … eine ganz zweifelhafte Type. Man findet sie überall zwischen Kalkutta und Saigon, Schriftsteller die nie eine Zeile geschrieben haben, Schmuggler die nie etwas zu schmuggeln hatten, Agenten ohne Spesenkonto und ohne Zukunft … natürlich, Gelb hatte diese Bar in Penang, ein Witz … jeder wusste dass er nur ein Strohmann war, und jeder wusste auch für wen … ich meine ein Weißer der sich mit den Triads8 einlässt ist nicht gerade eine Empfehlung für uns, oder? … wissen Sie wie man ihn in Hongkong nannte? … Heroin-Harry … und zwar ganz offen, wissen Sie, man lachte dazu, ziemlich dégoutant, was? … nehmen Sie ruhig noch eine Pfeife, zum Tee rauche ich nie mehr als drei, die Verdauung, wissen Sie …«

Und er lächelte sein CL.

Später besuchten wir eine Vorstellung der SINGAPUR DOLLS, aber nach einer halben Stunde hatte Greene genug.

»Der Duft des Opiums ist angenehmer als der Duft des Sexus. Lassen Sie uns ein paar Pfeifen rauchen und über der allgemeinen Tristesse unseres Karmas nicht die besonderen Tröstungen vergessen, die der Osten …«

Er unterbrach sich und befahl dem Rikscha-Fahrer zu halten. Greene zeigte auf eine schäbige chinesische Wäscherei. Die Fenster waren vernagelt, an der Tür hing ein Schild in Englisch und Chinesisch »Bis Freitag geschlossen«. Vor der Tür schlief ein ziemlich lädierter Straßenköter. Ein verkrüppelter Bettler kroch mit ausgestreckter Hand auf uns zu. Ich warf ihm eine Münze zu, aber bevor der Krüppel sie erreichte, schossen zwei Halbwüchsige, die auf der anderen Straßenseite die Szenen beobachtet hatten, über die Straße und schnappten ihm die Münze weg. Die Rikscha setzte sich wieder in Gang. Greene zeigte sich über meinen läppischen Versuch zur Nächstenliebe eher amüsiert.

»Nun ja, Sie sind sozusagen noch neu hier … aber haben Sie die Wäscherei gesehen? Die machte Ihr Freund Harry auf, als die Triads seine Bar in die Luft gejagt hatte. Heroin-Harry hatte sich ein paar Eigenmächtigkeiten herausgenommen, aber bei den Triads nimmt sich niemand Eigenmächtigkeiten heraus, und schon gar kein Weißer der dem Heroin verfallen ist. Er machte also die Wäscherei auf, und was geschah? Nach einer Woche blieben die Kunden weg, nach zwei Wochen die Angestellten, nach drei Wochen die kleinen Straßendealer, die ihn mit seinem Heroin versorgten. Den Rest können Sie raten: nach vier Wochen blieb Gelb weg.«

Greene zog an seiner Pfeife.

»Und Sie haben keine Ahnung wo ich ihn finden könnte … wo ich anfangen könnte ihn zu suchen?«

Er stieß den Rauch aus und wartete einen Augenblick, dann lächelte er sein Chinesisches Lächeln.

»An Ihrer Stelle, lieber Freund, würde ich darauf verzichten, Gelb zu suchen. Selbst wenn Sie ihn finden, das heißt, wenn die Triads Sie ihn finden lassen: das, was Sie finden würden, wäre kein angenehmer Anblick.«

 

DIE HARRY GELB RETROSPEKTIVE. Bläulich schimmernde Berge wo der Schnee niemals schmilzt. Und die Luft wird immer dünner. Rauchzeichen in der letzten Ortschaft vor der Grenze. Keine Sprache um sich verständlich zu machen. Wilde Hunde in trockenen Flussbetten Schatten großer Vögel auf den kahlen Feldern und der einzige Laut unser Atem der immer knapper wird. Rauch verlassener Feuer in der Zone ewiger Kälte als wir längst die Richtung verloren hatten zitternd mit der Krankheit wo der Schnee niemals schmilzt kam er dreimal auf seinem Schatten mit dem fernen Geheul der wilden Hunde. Dann fiel der Schnee und wir begannen bläulich schimmernd zu sterben als Harry Gelb diesen Außenposten des Junk-Systems erreichte. Tote Venen einer Landschaft außerhalb der Welt. Letzte bewohnte Landschaft in einer Welt des Todes.

 

HAUCH VON NOSTALGIE. Wenn er sich im Dezernat aufgeladen hatte bekam Tiki angenehme Sex-Gefühle. In Cholera City verführte er alternde Transvestiten zum Selbstmord.

»Aus dir wird kein blonder Page mehr … Greta Garbo all over for you … kein Tango im Finas Palas.«

Sein kaltes Kokain-Gesicht wie ein fremder feindlicher Hauch in Luxusapartments und Leder-Bars. Er wirft zwei Münzen in die blutende Möse und sagt leichthin »ich möchte dich wirklich nicht von mir abhängig machen Süße.«

Mainline-Tango in den europäischen Slums. Hauch von Nostalgie in Sitten-Dezernaten. Blondgefärbte Komparsen aus Revue-Filmen der 30er Jahre verzuckerte Gesten aus denen jedes Leben längst retiriert ist Sprachschwierigkeiten mit den Jungens auf der Tanzfläche Blue Danube wenn alles zu spät ist Sie kennen das Gefühl. Zerrissene Seidenstrümpfe und das verschnittene Kokain auf der Rasierklinge. Ein Vakuum in dem Tiki sexuelle Folgen überlebt.

Beim Sektfrühstück Chez Mario die übliche imaginistische Séance der Jahrhundertwende bevor die Damen sich ins Koma masturbieren. Draußen leichtes Schneetreiben über den Gleisen am Rangierbahnhof. Er zeigte mir die Stelle wo er Washburn gefunden hatte.

»Ein surrealistischer Agent der eine Überdosis Zeit überlebte und hinter Üsküdar seine Flugbahn verließ.«

Seine letzten Worte: »Von mir erfahren sie nichts mehr.« Wer »sie« waren blieb unklar. Tiki wurde zuletzt in Cali9 gesehen. Er nannte sich Alvarez Kelly und belieferte eine britische Anthropologen-Gruppe mit Frischzellen vom Stamm der Auca.

»Für Kenner extra mit dem Yage-Hauch.«

 

MEILENSTEIN223. Nach 20 Jahren Koma plötzlich die Konditionen der Raumfahrt: das hielten nur extremste Gehirne durch. Alles andere hatte sich mit tuberkulösem Karma im Finas Palas abzufinden. Traf Jojo bei einem Gin Fizz im Chez Mario. Er beschwerte sich über Mabuse:

»Als Horror hatte der Mann doch sein Auskommen. Was musste er noch Schriftsteller werden?«

»Schätze er wollte sich perfektionieren … Den Totalen Alptraum.«

»Na, das ist ihm ja dann auch gelungen.«

Als Speedy Gonzales der Drogen-Generation schaffte es Mabuse nicht mehr. Wir trafen ihn in einem Teehaus im Hinterland von Cholera City. Eiskalte Gegend mit Bergen wo der Schnee nie schmilzt. Nichts als Hirse und räudige Hunde in der ausgeweideten Steppe. Schatten riesiger Vögel Wind namenloser Krankheiten und Kinder mit Greisengesichtern die mit verrosteten Cola-Dosen Reise ins Nirwana spielen. Eine schlechte Gegend für die ausgebrannten Opfer der Psychedelischen Psychose.

Irgendwo am Straßenrand eine Bretterbude. Ein verrosteter Wegweiser zeigt in die Steinwüste:

CHOLERA CITY

233MEILEN BIS.

Das Innere der Bretterbude im Zwielicht. In der Ecke ein Samowar, ein paar Holzbänke, ein Ofen, der mit verschissenen Zeitungen, verfaultem Getreide und Kamelkacke gefüttert wurde.

Ein alter glatzköpfiger Mann in einem geflickten Kaftan füllte unsere Teegläser. Dann deutete er auf einen Abfallhaufen im hintersten Winkel seines Ladens. Irgendetwas bewegte sich und gab winselnde Geräusche von sich. Beim Nähertreten entdeckten wir Mabuse oder das was sein Karma von ihm übriggelassen hatte. Mit Eiterbeulen bedeckte Arme … Fliegen in den offenen Schwären … von Ungeziefer starrendes Gesicht … die Augen verzückt aufgerissen während er unablässig an seinem blutverkrusteten Rest Penis kratzte und dabei murmelte:

»Oh yes it’s a gas … oh yes it’s a gas … oh yes it’s a gas …« Wir luden ihn auf den Rücksitz und fuhren in der Dämmerung Richtung Westen. Kurz vor Cholera City kreischte er plötzlich: »I’M JUMPING JACK FLASH! AND IT’S A GAS!«10 Dann war er tot. Wir verscharrten ihn in einem Abfallhaufen in der Nähe der Vorstädte. Oder würden Sie sich mit einer Leiche im Kofferraum nach Cholera City wagen?

Bye-bye Mabuse.

 

ZÄRTLICHE PARANOIA. Mit Washburn flogen wir zur ersten Jahrestagung der Zärtlichen Paranoiker nach Cali. Rötlicher Staub die Straßen übersät mit Indios im Koma und bläulich oszillierenden Jungen die hinter Stellagen aus Comic-Books an ihren mit Cantari eingeriebenen Schwänzen fummelten. Washburn schluckte jede Menge Apomeskal-Pillen (die Chlorhydrat-Dinger von Chabre11).

»Mir bekommt das Klima nicht«, sagte er und warf zwischen 2 Martinis ein paar Nutten aus dem Fenster. »Ze simple way … toujours.«

Die nächsten Instruktionen kamen aus Fat City. Junkie-Treffpunkt am Piccadilly. Ixca lieh sich eine gebrauchte Latrine und setzte sich einen Schuss chinesisches Heroin.

»Marke 999 … ist das beste.«

Nach dem Schuss tauchten wir kurz in Sirkeçi auf.