4,99 €
Das richtige Buch zur richtigen Zeit. Am 29. April dieses Jahres erschien in der ZEIT ein bemerkenswerter Leitartikel des stellvertretenden Chefredakteurs Bernd Ulrich, der hohe Wellen in der politischen Öffentlichkeit schlug. Sein Text beinhaltete eine grundlegende Kritik an der politischen Klasse der Bundesrepublik, der Bernd Ulrich nicht weniger als eine gefährliche Verdrängung der politischen Wirklichkeit vorwarf. Seine These: »Nie haben sich deutsche Politiker so sehr vor der Wahrheit gedrückt.« Die Wahrheit – das sind die ungelösten Großkrisen unserer Gegenwart, die Ängste erzeugen, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei den Politikern selbst: die Flüchtlingsströme, die Griechenlandkrise, die ungewisse Zukunft des Euro, der Krieg in der Ukraine ... Bernd Ulrich formuliert angesichts dieses Bedrohungsszenarios nachdrücklich die Forderung nach Offenheit und Ehrlichkeit und kritisiert die herrschende Beschwichtigungspolitik, die die Aussicht auf konstruktive Lösungen nicht verbessert, sondern zerstört. Sein selbstkritischer Blick zielt dabei auch auf die Rolle der Medien. Seine nun erweiterte Streitschrift fragt nach den Ursachen dieser öffentlichen Verdrängungen und Verharmlosungen und ist zugleich ein Plädoyer für eine neue politische Kultur der Offenheit und eines furchtlosen Dialogs zwischen Politik und Bevölkerung auf Augenhöhe.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 74
Veröffentlichungsjahr: 2015
Bernd Ulrich
Was die Politiker verschweigen und warum
Buch lesen
Titelseite
Über Bernd Ulrich
Über dieses Buch
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
zur Kurzübersicht
Bernd Ulrich, geboren 1960 in Essen, hat drei Kinder, er ist seit zwölf Jahren stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Politikressorts der ZEIT. Für seine journalistischen Arbeiten erhielt er den Henri-Nannen-Preis 2013 und den Theodor- Wolff-Preis 2015. Buchveröffentlichungen sind u.a.: »Deutsch, aber glücklich«, 1997, »Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss.«, 2011.
zur Kurzübersicht
Bernd Ulrichs Buch »Sagt uns die Wahrheit« beinhaltet nicht weniger als eine grundlegende Kritik an der politischen Klasse der Bundesrepublik, der der Autor eine gefährliche Verdrängung der politischen Wirklichkeit vorwirft. Seine These: »Nie haben sich deutsche Politiker so sehr vor der Wahrheit gedrückt.« Die Wahrheit – das sind die ungelösten Großkrisen unserer Gegenwart, die Ängste erzeugen, nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei den Politikern selbst: die Flüchtlingsströme, die Griechenlandkrise, die ungewisse Zukunft des Euro, der Krieg in der Ukraine ...
Bernd Ulrich formuliert angesichts dieses Bedrohungsszenarios nachdrücklich die Forderung nach Offenheit und Ehrlichkeit und kritisiert die herrschende Beschwichtigungspolitik, die die Aussicht auf konstruktive Lösungen nicht verbessert, sondern zerstört. Sein selbstkritischer Blick zielt dabei auch auf die Rolle der Medien. Seine Streitschrift fragt nach den Ursachen dieser öffentlichen Verdrängungen und Verharmlosungen und ist zugleich ein Plädoyer für eine neue politische Kultur der Offenheit und eines furchtlosen Dialogs zwischen Politik und Bevölkerung auf Augenhöhe.
KiWi-NEWSLETTER
jetzt abonnieren
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KGBahnhofsvorplatz 150667 Köln
© 2015, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Covergestaltung: Rudolf Linn, Köln
ISBN978-3-462-31531-8
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt. Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen der Inhalte kommen. Jede unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt.
Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.
Alle im Text enthaltenen externen Links begründen keine inhaltliche Verantwortung des Verlages, sondern sind allein von dem jeweiligen Dienstanbieter zu verantworten. Der Verlag hat die verlinkten externen Seiten zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung sorgfältig überprüft, mögliche Rechtsverstöße waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Auf spätere Veränderungen besteht keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.
Sagt uns die Wahrheit!
It’s history, stupid!
Politiker in der Überlastungsdepression
Das neue politische Lebensgefühl
Menschen, die sich anschreien – bloß wegen Politik
Warum die SPD ein Papier zur Ostpolitik zurückzog
Voodoo-Außenpolitik
Pragmatismus in der Krise
Lummerland – die schizophrene deutsche Lage
Die Welt aus den Fugen, die Medien außer sich
Apropos Wahrheit – lassen sich deutsche Journalisten von Washington steuern?
Die USA und das Ende des Paternalismus
Von den USA vor die europäische Haustür gekippt – der Mittlere Osten
Emanzipation ist kein Kindergeburtstag
Europa kennt sich selbst nicht mehr
Sind wir dekadent oder nur liberal?
Europa allein zu Haus
Deutschland soll führen – ausgerechnet jetzt!
Optimismus als schärfste Form der Kritik
Sind wir wirklich eine Augenhöhe-Gesellschaft?
Der Lümmel ist jetzt erwachsen, echt
Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, so lautet eine oft zitierte politische Weisheit. Schön wär’s, kann man da nur sagen. Seit einiger Zeit besteht die Politik in Deutschland und in Europa vor allem darin, die Wirklichkeit zu verdrängen, zu beschönigen und nicht zu sagen, was man denkt.
Fast so, wie ressentimentgeladene Populisten sich »die da oben« immer vorstellen und heimlich wünschen. Doch, um hier gleich einem grassierenden Vorurteil entgegenzutreten, auch einer möglicherweise falschen Erwartung an dieses Buch: Es kommt natürlich auch in einem vergleichsweise »sauberen« Land wie diesem vor, dass Politiker Dinge bewusst verheimlichen, weil sie kriminell sind, dass sie sich bestechen oder erpressen lassen, das alles gibt es leider auch. Allerdings macht diese dunkle Seite der Politik hierzulande nur selten das Wesen des Regierens aus. Das Schweigen, von dem hier die Rede sein soll, verhüllt keine Machenschaften, sondern Ratlosigkeit und Verunsicherung, es enthält der Öffentlichkeit manchmal vielleicht unfertige, aber interessante und wichtige Gedanken vor. Die Politik im Deutschland des Jahres 2015 zieht nicht verborgen vor dem Volk und der Öffentlichkeit die Fäden, vielmehr ist sie dabei, die Fäden aus den Händen zu verlieren. Versteckt wird weniger die wahre Macht als echte Ohnmacht. Die markantesten politischen Ereignisse dieses Jahres erweisen sich bei genauerem Hinsehen hierfür als Beleg.
Ein besonders dramatisches, auch schmerzliches Beispiel für verdrängte Nöte und Gefahren ist die Flüchtlingspolitik. Sie erlebte in diesem Frühjahr nach dem Tod von 800 Menschen, die allein am 7. Mai im Mittelmeer ertranken, ihren Fukushima-Moment: völlige Richtungsumkehr binnen weniger Tage. Was eben noch dazu dienen sollte, die Grenzen der EU zu verteidigen, auch wenn es viele Flüchtlinge das Leben kostete, soll nun im Handumdrehen genau den gegenteiligen Zweck erfüllen: die Rettung von möglichst vielen Flüchtlingen, auch wenn die Grenzen damit durchlässig werden.
Im Unterschied zu Fukushima war es diesmal allerdings keine unvorhersehbare Naturkatastrophe, die den Wandel einleitete, sondern eine leicht prognostizierbare Tatsache: Wenn immer mehr Menschen aus den destabilisierten Nachbarschaften der EU nach Europa kommen und immer weniger Schiffe bereitgestellt werden, um sie zu retten, werden immer mehr Flüchtlinge sterben. Die Politiker wussten das, haben es sogar selbst herbeigeführt, nur laut gesagt haben sie es nicht.
Stattdessen erfahren wir bei dem Thema eine misstrauisch stimmende Sprachverwirrung. Ausgerechnet der als besonnen geltende deutsche Außenminister glaubte nach dem Schiffsunglück anlässlich eines Flüchtlingsgipfels der EU sagen zu müssen: »Wir können mit dem Flüchtlingsproblem nicht militärisch fertigwerden.« Tatsächlich? Das ist eine Formel, die Frank-Walter Steinmeier bis dahin nur für den Ukraine-Konflikt und die arabischen Bürgerkriege verwendet hatte. Und jetzt wird das Militärische aufgerufen im Angesicht von hilflosen, unbewaffneten, auf rostigen Booten zusammengepferchten Menschen. Da fragt man sich: Warum musste das überhaupt gesagt werden? Auf wen antwortet er hier? Wer in aller Welt hat denn möglicherweise die Idee aufgebracht, mit Kriegsschiffen gegen Flüchtlingsboote vorzugehen? So ist es immer öfter in letzter Zeit: Hinter dem Gesagten öffnet sich, wenn man genau hinhört, ein Abgrund von Ungesagtem.
Zweites Beispiel: Geheimdienste. Seit Längerem schon jagt eine Affäre die andere, verunsichert viele Menschen und schafft Misstrauen zwischen denen, die regieren, und denen, die sich regieren lassen müssen. Was offenbar in zunehmendem Maße auch heißt: abgehört und durchleuchtet zu werden. Warum ist das so und warum gelingt es der Politik nicht, damit vernünftig umzugehen?
Etwas davon liegt in der Natur der Sache, genauer: im Grundwiderspruch zwischen der notwendigerweise geheimen Arbeitsweise der Dienste auf der einen und dem Kontrollanspruch eines demokratischen Rechtsstaats auf der anderen Seite. Transparenz und Effizienz stehen in einem kaum zu überwindenden Zielkonflikt. Darum wird es mit absoluter Sicherheit immer wieder Geheimdienstaffären geben und sie müssen immer wieder enttarnt und aufgeklärt werden. So weit, so schlimm, so normal.
Zweierlei ist jedoch hinzugekommen, was die Sache mit den Geheimdiensten für die deutsche Politik mehr und mehr zu einem Albtraum werden lässt. Zum einen ermöglichen das Internet, die immer ausgefeilteren Algorithmen und die schier grenzenlosen Speicherkapazitäten mittlerweile Überwachung in einem Ausmaß, von dem selbst totalitäre Regime nicht zu träumen wagten. Immer mehr Menschen können bei immer mehr Lebensäußerungen immer effizienter überwacht werden. Zum anderen, und da wird es dann richtig heikel: Deutschland produziert weit weniger nachrichtendienstliche Informationen, als es (ver)braucht. Ohne die Informationen der NSA wäre der BND niemals in der Lage, Deutschland vor terroristischen Gefahren zu schützen. In den meisten Bereichen mögen die Deutschen Exportweltmeister sein, hier sind sie eher Importweltmeister, böser gesagt: Die Bundesrepublik ist ein informationeller Schuldenstaat. Auf dem Feld der geheimen Dienste verhält sich Deutschland zu den USA wie beim Geld Griechenland zu Deutschland, mit dem selben Effekt: eingeschränkte Souveränität.
Deutsche Regierungen wissen oft nicht, was ihre eigenen Geheimdienste tun, noch weniger allerdings wissen sie, was die amerikanischen anstellen. Ob sie sich, nur so als Beispiel, an die deutschen Gesetze halten. Und ob sie Bürger, Kanzler und Unternehmen hierzulande nur zu dem Zweck ausspähen, Terrorgefahr abzuwehren, oder etwa auch, um sich sonstige Vorteile zu verschaffen, politische oder wirtschaftliche. Wenn man Politiker vertraulich danach fragt, sagen sie: Natürlich werden wir alle abgehört! Selbstverständlich geht es den Amerikanern nicht nur um unsere Sicherheit, sondern auch um ihren Vorteil! Aber was sollen wir denn machen? Ohne deren Hilfe steigt die Terrorgefahr bei uns, wer könnte das verantworten? Und sollen wir den Bürgern etwa sagen, dass Deutschland hier nur eingeschränkt souverän ist? Auf den Einwand, dass der BND dann eben gestärkt werden müsse, lachen die zuständigen Politiker nur: Wie um Himmels willen soll man das denn durchsetzen?!
Statt aber offen über diese Dinge zu reden, wird geeiert und gemogelt, die Regierung macht sich verdächtig. Und selbst die Opposition lässt Vorsicht walten bei ihrer Kritik, denn alle wissen ja: Jeder, der irgendwann mal regiert, steckt in demselben Dilemma, bis zum Hals.
