Schatten von gestern - John le Carré - E-Book

Schatten von gestern E-Book

John Le Carré

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Beschreibung

Alle Romane von John le Carré jetzt als E-Book! - Der Nachrichtenoffizier George Smiley wurde soeben von seiner Frau verlassen und ist froh, sich mit einem neuen, angeblich leichten Routinefall in die Arbeit stürzen zu können: Ein Beamter des Außenministeriums, der des Verrats verdächtigt worden war, hat Selbstmord begangen. Doch ist Sam Fennan wirklich freiwillig aus dem Leben geschieden? Obwohl der Abschiedsbrief eindeutig klingt, hat George Smiley seine Zweifel. Das Erstlingswerk vom Meister des Spionageromans. Große TV-Doku "Der Taubentunnel" ab 20. Oktober 2023 auf Apple TV+

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Das Buch

»Als Lady Sercomb gegen Ende des Krieges George Smiley heiratete, pflegte sie ihn ihren erstaunten Freunden aus Mayfair als einen direkt atemberaubend gewöhnlichen Menschen zu schildern.« Zwei Jahre später verläßt sie ihn für einen Autorennfahrer aus Kuba. Glücklicherweise kommt auf den Nachrichtenoffizier Smiley ein neuer, angeblich leichter Routine-Fall zu: Sam Fennan, ein Beamter des Außenministeriums, hat Selbstmord begangen. Smiley stürzt sich in die Arbeit. Doch bei seinen Recherchen trifft er auf immer mehr rätselhafte Umstände und Ereignisse. Ist Sam Fennan wirklich freiwillig aus dem Leben geschieden? Sein Abschiedsbrief an den Außenminister scheint keinen Zweifel daran zu lassen – doch mit den Ermittlungen nehmen Smileys Zweifel zu …

Der Autor

John le Carré, am 19. Oktober 1931 in Poole, Dorset, geboren, war nach seinem Studium in Bern und Oxford in den sechziger Jahren in diplomatischen Diensten u. a. in Bonn und Hamburg tätig. Sein Roman Der Spion, der aus der Kälte kam machte ihn 1963 weltbekannt. Zahlreiche seiner Bestseller wurden erfolgreich verfilmt.

Von John le Carré sind in unserem Hause bereits erschienen:

Absolute Freunde · Agent in eigener Sache · Dame, König, As, Spion · Das Rußlandhaus · Der ewige Gärtner · Der heimliche Gefährte · Der Nachtmanager · Der Spion, der aus der Kälte kam · Der Schneider von Panama · Der wachsame Träumer · Die Libelle · Ein blendender Spion · Ein guter Soldat · Ein Mord erster Klasse · Eine Art Held · Eine kleine Stadt in Deutschland · Empfindliche Wahrheit · Geheime Melodie · Krieg im Spiegel · Marionetten · Schatten von gestern · Single & Single · Unser Spiel · Verräter wie wir

John le Carré

Schatten von gestern

Roman

Aus dem Englischen von Ortwin Munch

List Taschenbuch

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www.ullstein-buchverlage.de

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ISBN 978-3-8437-0857-9

1. Auflage November 2002

© 2002 für die deutsche Ausgabe by

Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München

© 1961 by David Cornwell

Titel der englischen Originalausgabe: Call for the Dead

(Victor Gollancz Ltd., London)

Übersetzung von Ortwin Munch mit freundlicher Genehmigung

Paul Zsolnay Verlag, Wien

Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

E-Book: CPI – Clausen & Bosse, Leck

1

Das Curriculum Vitae von George Smiley

Als Lady Ann Sercomb gegen Ende des Krieges George Smiley heiratete, pflegte sie ihn ihren erstaunten Freunden aus Mayfair als einen direkt atemberaubend gewöhnlichen Menschen zu schildern. Als sie ihn dann zwei Jahre später zugunsten eines Autorennfahrers aus Kuba verließ, verkündete sie rätselhaft, daß sie ihn nie hätte verlassen können, wenn sie es nicht zu diesem Zeitpunkt getan hätte. Und Viscount Sawley begab sich eigens zu dem Zweck in seinen Klub, um die Bemerkung fallenzulassen, die Katze wäre aus dem Sack.

Dieser Ausspruch, der eine Zeitlang als Bonmot herumging, kann nur von Leuten verstanden werden, die Smiley kannten. Klein, dick und von ruhiger Gemütsart, schien er eine Menge Geld für wirklich miserable Anzüge auszugeben, die auf seinem viereckigen Gestell wie die Haut einer verschrumpelten Kröte wirkten. Tatsächlich sagte Sawley auch bei der Hochzeit: »Die Sercomb heiratet einen Ochsenfrosch in Ölzeug und Südwester.« Und Smiley, der von dieser Klassifizierung nichts wußte, war wie in der Hoffnung auf den Kuß, der ihn in einen Prinzen verwandeln sollte, zum Altar gewatschelt.

War er reich oder arm, Bürger oder Bauer? Wo hatte sie ihn aufgegabelt? Die Widersinnigkeit der Verbindung wurde durch Lady Anns nicht zu übersehende Schönheit noch hervorgehoben, und das Rätselhafte der Angelegenheit durch das Mißverhältnis zwischen dem Mann und seiner Braut unterstrichen. Aber der Tratsch muß sich seine Gestalten schwarz oder weiß malen und sie mit Sünden und Motiven ausstatten, die sich leicht in den Code der Konversation verschlüsseln lassen. Daher kam Smiley, der weder Schule, Eltern, Regiment oder Beruf noch Reichtum oder Armut aufweisen konnte, ohne Adreßzettel in den Gepäckwagen des Expreßzuges der Gesellschaft und wurde bald ein verlorener Koffer, endgültig verloren, als die Scheidung sich anbahnte und ausgesprochen worden war, ein Koffer, der auf den staubigen Stellagen der Neuigkeiten von gestern herumlag und den keiner mehr haben wollte.

Als Lady Ann ihrem Star nach Kuba folgte, dachte sie ein wenig über Smiley nach. Mit widerwilliger Bewunderung gestand sie sich ein, daß es Smiley sein würde, wenn es nur einen einzigen Mann in ihrem Leben gäbe, und es befriedigte sie, daß sie diese Tatsache durch das heilige Sakrament der Ehe bewiesen hatte.

Wie Lady Anns Abreise auf ihren ersten Gatten wirkte, machte der Gesellschaft, die ja wenig an dem Anteil nimmt, was nach der Sensation kommt, kaum Kopfzerbrechen, obwohl es ganz interessant gewesen wäre, zu erfahren, was Sawley und sein Kreis von Smileys Reaktion gehalten hätten; von Smileys fettem bebrilltem Gesicht, das sich in energische Falten der Konzentration zog, wenn er aufmerksam die weniger bekannten deutschen Poeten las, während er seine plumpen, feuchten Hände in den herunterbaumelnden Ärmeln zu Fäusten ballte. Aber alles, was Sawley zu diesem Anlaß von sich gab, war ein leichtes Achselzucken und die Bemerkung: ›Partir c’est courir un peu‹, und es schien ihm nicht klar zu sein, daß, während Lady Ann nur davonlief, ein Teil von George Smiley gestorben war.

Der Teil, der weiterlebte, sein Beruf als Nachrichtenoffizier, paßte ebensowenig zu seiner Erscheinung wie die Liebe oder seine Vorliebe für nicht anerkannte Dichter. An diesem Beruf hatte er Spaß, und dieser Beruf versah ihn auch gnädigerweise mit Kollegen, deren Charakter und Herkunft ebenso im Dunkel lagen. Er bot ihm auch, was er früher einmal am meisten geliebt hatte, nämlich akademische Exkursionen in das Mysterium menschlichen Verhaltens, die sich aus der praktischen Anwendung seiner eigenen Schlüsse ergaben.

Einmal in den zwanziger Jahren, als Smiley mit seiner bescheidenen Mittelschule fertig war und geblendet in die düsteren Arkaden seines bescheidenen College in Oxford stolperte, hatte er von Dozenturen geträumt und einem Leben, das den literarischen Obskuritäten Deutschlands im siebzehnten Jahrhundert gewidmet sein sollte. Aber sein eigener Lehrer, der ihn besser kannte, dirigierte ihn klugerweise aus dem Bereich der Ehren, die ihn ohne Zweifel erwartet hätten. An einem wunderschönen Morgen des Monats Juli im Jahre 1928 saß ein verwirrter und ziemlich rot angelaufener Smiley vor der Prüfungskommission des Komitees für Akademische Forschung in Übersee, einer Organisation, von der er sonderbarerweise noch nie etwas gehört hatte. Jebedee, sein Lehrer, hatte sich merkwürdig vage ausgedrückt, als er ihm die Sache erklärte: »Versuch es mit diesen Leuten, vielleicht behalten sie dich; sie zahlen so schlecht, daß du sicher in guter Gesellschaft sein wirst.« Aber Smiley war verärgert gewesen und hatte das auch gesagt. Er machte sich Gedanken darüber, daß Jebedee, der sich doch sonst immer so präzis ausdrückte, auswich. Ein wenig mißmutig willigte er aber ein, seine Entscheidung auf Allerseelen zu verschieben, bis er Jebedees mysteriöse »Leute« gesehen hätte.

Er wurde den einzelnen Mitgliedern der Kommission nicht besonders vorgestellt, doch kannte er ungefähr die Hälfte vom Sehen. Da war einmal Fielding, der in Cambridge über das französische Mittelalter las, Sparke aus dem Institut für orientalische Sprachen und Steed-Asprey, der an demselben Abend am Professorentisch diniert hatte, als Smiley Jebedees Gast gewesen war. Er mußte zugeben, daß er beeindruckt war. Denn daß Fielding seine Wohnung, von Cambridge gar nicht erst zu reden, verließ, war schon an und für sich ein Wunder. Später dachte Smiley an dieses Interview immer als an einen Schleiertanz, eine genau berechnete Folge von Enthüllungen, von denen jede eine andere Einzelheit eines geheimnisvollen Ganzen zeigte. Endlich entfernte Steed-Asprey, der der Vorsitzende zu sein schien, den letzten Schleier, und die Wahrheit stand in ihrer ganzen verwirrenden Nacktheit vor ihm. Man bot ihm einen Posten in einer Organisation an, die Steed-Asprey mangels eines besseren Namens schamhaft als Geheimdienst bezeichnete.

Smiley hatte um Bedenkzeit gebeten. Sie gaben ihm eine Woche. Geld wurde nicht erwähnt.

An diesem Abend aß er irgendwo in London in einem ziemlich guten Lokal und ging ins Theater. Er fühlte sich merkwürdig wirr im Kopf, und das bedrückte ihn. Er war sich völlig darüber im klaren, daß er ja sagen würde. Das hätte er schon gleich bei der Unterredung tun können. Es war nur instinktive Vorsicht und vielleicht der verzeihliche Wunsch, sich Fielding gegenüber ein bißchen zu zieren, der ihn davon abhielt, sofort einzuschlagen.

Nachdem er sich verpflichtet hatte, kam das Training: anonyme Landhäuser, anonyme Instruktoren, viele Reisen, die immer weiter wurden, und schließlich die phantastische Aussicht, ganz auf sich allein gestellt zu arbeiten.

Sein erster Posten im Einsatz war verhältnismäßig amüsant. Zwei Jahre als englischer Lektor an einer kleinen deutschen Universität: Vorlesungen über Keats und Ferien in bayrischen Jagdhütten mit Gruppen von feierlich ernsten deutschen Studenten der verschiedensten Herkunft. Gegen Ende der langen Ferien pflegte er einige von ihnen nach England zu bringen, von denen er schon die wahrscheinlich in Frage kommenden über geheime Verbindungen an eine Adresse in Bonn bezeichnet hatte. Während der ganzen beiden Jahre hatte er keine Ahnung, ob seine Empfehlungen berücksichtigt wurden oder nicht. Er wußte nicht einmal, ob man an seine Kandidaten herantrat oder nicht, noch hatte er eine Möglichkeit festzustellen, ob seine Botschaften je ihren Bestimmungsort erreichten. Und wenn er in England war, hatte er keinen Kontakt mit dem Department.

Seine Gefühle bei der Durchführung seiner Arbeit waren gemischt und einander widersprechend. Es reizte ihn, von einem Beobachtungspunkt aus das, was er als den »potentiellen Agenten« in einem Menschen zu definieren gelernt hatte, zu finden und auszuwerten, Miniaturtests des Charakters und des Verhaltens zu erfinden, die ihn über die Qualitäten eines Kandidaten informieren konnten. Dieser Teil von ihm war blutlos und unmenschlich. In dieser Rolle war Smiley der internationale gekaufte Söldner seines Berufes, unmoralisch und ohne anderes Motiv als das seines persönlichen Vorteils.

Auf der anderen Seite betrübte es ihn, in sich das langsame Absterben natürlicher Freude zu bemerken. Immer auf der Hut, fand er, daß er vor der Versuchung der Freundschaft und menschlichen Loyalität zurückschreckte, und er wappnete sich ängstlich gegen spontane Reaktionen. Durch die Kraft seines Intellekts zwang er sich, die Regeln der Menschlichkeit mit peinlichster Objektivität einzuhalten, und weil er auch nur ein Mensch und nicht unfehlbar war, haßte und fürchtete er die Falschheit seines Lebens.

Aber Smiley war ein sentimentaler Mensch, und das lange Exil vertiefte seine innige Liebe zu England. Hungrig zehrte er von den Erinnerungen an Oxford, entsann sich seiner Schönheit, der Ungezwungenheit der Gedanken und des langsamen Reifens seiner Urteile. Er träumte von windigen Herbstferien in Hartland Quay, von langen Fußwanderungen an der Felsenküste Cornwalls, das heiße Gesicht dem Seewind zugewendet. Dies war sein zweites, geheimes Leben, und er begann die großmäulig hinterhältige Invasion des neuen Deutschland zu hassen, das Stampfen und Gebrüll der uniformierten Studenten, die arroganten Gesichter mit den Schmissen und ihre billigen konfektionierten Antworten. Es ärgerte ihn auch, wie die Fakultät an seinem Fach, seiner geliebten deutschen Literatur, herumgestümpert hatte. Und dann war eine Nacht gekommen, eine schreckliche Nacht im Winter 1937, da war Smiley an seinem Fenster gestanden und hatte auf einen großen Scheiterhaufen im Hof der Universität hinausgesehen. Rundherum standen Hunderte johlender Studenten mit exaltierten Gesichtern, die von den tanzenden Flammen beleuchtet wurden, und warfen Hunderte von Büchern in das götzendienerische Feuer. Er wußte, wer diese Bücher geschrieben hatte: Thomas Mann, Heine, Lessing und viele andere. Und Smiley, der die Glut seiner Zigarette in seiner feuchten hohlen Hand verbarg, starrte hinaus, und zugleich mit Haß überwältigte ihn der Triumph, daß er seinen Gegner kannte.

Neununddreißig war er in Schweden, und zwar als wohlakkreditierter Vertreter einer sehr bekannten Schweizer Fabrik für Handfeuerwaffen. Seine Verbindung mit der Firma war natürlich rückdatiert, wie das ja zweckdienlich ist. Ebenso zweckdienlicherweise hatte sich seine Erscheinung beträchtlich geändert, denn Smiley hatte in sich ein Talent für Tarnung entdeckt, das über das primitive Wechseln der Haarfarbe und die Hinzufügung eines kleinen Schnurrbartes hinausging. Vier Jahre hatte er seine Rolle gespielt und war zwischen der Schweiz, Deutschland und Schweden hin und her gereist. Er hatte nie geahnt, daß man es aushalten könne, so lange Zeit Angst zu haben. Die Folge war eine nervöse Irritation seines linken Augenlids, die er auch nach fünfzehn Jahren noch nicht losgeworden war, und die dauernde Spannung grub tiefe Falten in seine fleischigen Wangen und seine Stirn. Er erfuhr, was es hieß, nie richtig zu schlafen, pausenlos in Spannung zu sein und immer, sei es bei Tag oder des Nachts, das rastlose Klopfen des eigenen Herzens zu fühlen, die äußersten Grenzen der Einsamkeit und des eigenen Jammers zu erleben, das plötzliche Verlangen nach einer Frau, nach Alkohol, nach Bewegung, kurz nach irgendeinem Narkotikum, das ihm die Spannung seines Lebens nehmen konnte.

Vor diesem Hintergrund führte er seinen offiziellen Handel und seine Arbeit als Spion durch. Im Laufe der Zeit wurde das Netz größer, und andere Länder machten ihren Mangel an Voraussicht und Vorbereitung wett. 1943 rief man ihn zurück. Schon nach sechs Wochen sehnte er sich danach weiterzumachen, aber sie ließen ihn nicht mehr: »Sie sind fertig«, sagte Steed-Asprey. »Schulen Sie neue Leute ein, machen Sie Ferien. Heiraten Sie, oder machen Sie etwas anderes. Kurz und gut, koppeln Sie ab.«

Smiley machte der Sekretärin von Steed-Asprey, Lady Ann Sercomb, einen Heiratsantrag.

Der Krieg war zu Ende. Sie zahlten ihn aus, und er nahm seine schöne Frau nach Oxford mit, wo er sich den Obskuritäten des siebzehnten Jahrhunderts in Deutschland widmen wollte. Aber nach zwei Jahren war Lady Ann in Kuba, und die Enthüllungen eines jungen russischen Geheimcodebeamten in Ottawa hatten neuen Bedarf an Männern mit Smileys Erfahrung geschaffen.

Die Arbeit war neu, das Risiko gering, und am Anfang fand er Gefallen daran. Aber jüngere Männer traten ein, vielleicht mit weniger verbrauchtem Verstand. Smiley stand nicht auf den Beförderungslisten, und langsam dämmerte es ihm, daß er die Mitte seines Lebens erreicht hatte, ohne jemals jung gewesen zu sein, und daß er ganz einfach auf dem Abstellgleis war.

Die Verhältnisse änderten sich. Steed-Asprey war nicht mehr da. Er war auf der Suche nach einer anderen Kultur aus der Neuen Welt nach Indien geflüchtet. Jebedee war tot. Im Jahre 1941 war er mit seinem Funker, einem jungen Belgier, in Lille in einen Zug gestiegen, und man hatte nie mehr etwas von den beiden gehört. Fielding war durch eine neue Auslegung der Gestalt Rolands gänzlich in Anspruch genommen – nur Maston war noch da, Maston der Karrieremacher, die Kriegserwerbung, der Fachmann des Ministeriums in Fragen des Nachrichtendienstes. »Der erste Mann«, so hatte Jebedee sich ausgedrückt, »der in Wimbledon Machttennis spielt.« Die NATO und alle verzweifelten Maßnahmen, die von den Amerikanern ins Auge gefaßt wurden, änderten gänzlich die Art von Smileys Dienst. Die Tage aus der Zeit von Steed-Asprey, da man seine Aufträge ebensogut in dessen Wohnung in Magdalen bei einem Glas Portwein erhalten konnte, waren für immer dahin. Die amateurmäßige Inspiration einer Handvoll hochqualifizierter, schlechtbezahlter Männer war der betriebsamen Leistungsfähigkeit, dem Bürokratismus und den Intrigen einer großen Ministerialsektion gewichen, die Maston in seinen teuren Anzügen, seinem Adel, seinem distinguierten grauen Haar und seinen silbergrauen Krawatten auf Gnade und Ungnade ausgeliefert war. Maston, der sich sogar an den Geburtstag seiner Sekretärin erinnerte, dessen feine Manieren bei den Damen der Registratur sprichwörtlich waren, der, als wäre das selbstverständlich, seinen Machtbereich vergrößerte und wie mit einer zögernden Entschuldigung zu immer höheren Positionen aufrückte, Maston, der in Henley smarte Parties in seiner Villa gab und sich mit den Erfolgen seiner Untergebenen mästete.

Während des Krieges hatte man ihn, den Berufsbeamten, aus irgendeinem orthodoxen Ministerium hereingebracht, einen Mann, der mit Papier hantieren und die Brillanz seines Stabes mit der beschwerlichen bürokratischen Maschinerie in Einklang bringen sollte. Es war für die hohen Tiere eine Beruhigung, mit jemandem zu tun zu haben, den sie kannten, einem Mann, der jede beliebige Farbe in Grau verwandeln konnte, der seine Herren und Meister kannte und sich unter ihnen zu bewegen verstand. Und er verstand es nur zu gut! Ihnen gefiel seine Bescheidenheit, wenn er sich dafür entschuldigte, mit wem er umging, die Heuchelei, mit der er die Schrullen seiner Untergebenen verteidigte, seine Wendigkeit bei der Formulierung neuer Aufgaben. Er unterließ es auch nicht, sich der Vorteile der Methoden eines Mannes mit Radmantel und Dolch malgré lui zu bedienen, indem er das Mäntelchen für seine Vorgesetzten trug, den Dolch aber für seine Untergebenen reserviert hatte. Seine Stellung war offensichtlich eine merkwürdige. Er war nicht die offizielle Spitze des Dienstes, aber andererseits der fachmännische Berater des Ministers in Fragen des Nachrichtendienstes. Steed-Asprey hatte ihn für alle Zeiten als Obereunuchen klassifiziert.

Das alles war für Smiley eine ganz neue Welt. Die taghell erleuchteten Korridore, die smarten jungen Männer. Er kam sich hausbacken und altmodisch vor und hatte Heimweh nach dem vernachlässigten alten Haus in Knightsbridge, wo alles begonnen hatte. Seine Erscheinung schien dieses Unbehagen in einer Art physischer Rückbildung widerzuspiegeln, so daß er noch mehr gekrümmt und froschähnlich aussah als je. Er zwinkerte mehr als früher und erwarb sich den Beinamen »Maulwurf«. Aber seine junge Sekretärin betete ihn an und sprach von ihm nur als »Mein lieber Teddybär«.

Smiley war nun schon zu alt, um ins Ausland zu gehen, das hatte ihm Maston klargemacht: »Auf jeden Fall, mein lieber Freund, sind Sie ziemlich fertig nach der Hetzjagd während des Krieges. Bleiben Sie lieber zu Hause, alter Freund, und schüren Sie die heimatlichen Feuer.«

Alles das erklärt ein wenig, warum George Smiley am Mittwoch, dem 4. Januar, um zwei Uhr nachts im Fond eines Londoner Taxis saß und auf dem Wege zum Cambridge Circus war.

2

Keine Ruh’ bei Tag und Nacht

In dem Taxi fühlte er sich sicher. Sicher und warm. Und zwar war die Wärme Konterbande, die er aus dem Bett mitgeschmuggelt und gegen die Kälte der nassen Januarnacht aufgespeichert hatte. Sicher fühlte er sich deshalb, weil die Situation unrealistisch war. Es war sein Geist, der durch die Straßen Londons wanderte und von ihren unglücklichen Vergnügungssuchern Notiz nahm, die unter den Regenschirmen der Türsteher zu ihren Taxis trippelten, und von den galanten jungen Damen, die wie zu Geschenkzwecken in Polyvinyl verpackt waren. Es war sein Geist, entschied er, der aus dem Brunnen des Schlafes geklettert war und das neben dem Bett rasselnde Telefon zum Schweigen gebracht hatte … Oxford Street … Warum war London die einzige Hauptstadt der Welt, die nachts ihre Persönlichkeit verlor? Während Smiley seinen Mantel enger um sich zog, konnte er sich keines Ortes von Los Angeles bis Bern entsinnen, der so bereitwillig den Kampf um seine Identität aufgab.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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