Ein guter Soldat - John le Carré - E-Book

Ein guter Soldat E-Book

John Le Carré

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Beschreibung

Alle Romane von John le Carré jetzt als E-Book! - »Verräter des Jahrhunderts« nannte die Presse Jean-Louis Jeanmaire, Brigadier der Schweizer Armee, der 1977 wegen Landesverrats zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde. John le Carré, der unbestrittene Meister des Agentenromans und profunder Kenner der internationalen Spionageszene, rollt in dieser spannenden Reportage einen ungewöhnlichen Spionagefall auf und stellt die Frage, ob der »Verräter des Jahrhunderts« nicht nur als kleiner Spion für einen großen Agenten im Gefängnis saß. Große TV-Doku "Der Taubentunnel" ab 20. Oktober 2023 auf Apple TV+

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Das Buch

Der Schweizer Jean-Louis Jeanmaire galt fast fünfzig Jahre lang als Mustersoldat. Doch 1977, kurz vor seinem Dienstende, wurde der Brigadier und Chef der eidgenössischen Luftschutztruppen als Spion verurteilt: Er hatte den sowjetischen Militärattaché Vassili Denissenko mit geheimem Material beliefert. »Der Verräter des Jahrhunderts«, so die Schweizer Boulevardzeitung Blick, wurde wegen Landesverrats verurteilt und saß zwölf Jahre im Gefängnis. John le Carré, »seit 30 Jahren ein unermüdlicher Archäologe der Verräterseele« (Der Spiegel), besuchte Jean-Louis Jeanmaire und ließ sich dessen Sicht der Ereignisse schildern. Entstanden ist ein fesselnder Tatsachenbericht über einen Justizskandal, die eindringliche Darstellung der Mechanismen von Verführung und Verrat, das Psychogramm eines Narren: »Wir beobachten, wie eine Kombination aus Zufall, Unschuld und hochmütiger Eitelkeit das unaufhaltsame Räderwerk der Vernichtung eines Mannes in Gang setzte.«

Der Autor

John le Carré, am 19. Oktober 1931 in Poole, Dorset, geboren, war nach seinem Studium in Bern und Oxford in den sechziger Jahren in diplomatischen Diensten u.a. in Bonn und Hamburg tätig. Sein Roman Der Spion, der aus der Kälte kam machte ihn 1963 weltbekannt. Zahlreiche seiner Bestseller wurden erfolgreich verfilmt. Der Autor lebt mit seiner Frau in Cornwall.

Von John le Carré sind in unserem Hause bereits erschienen:

Absolute Freunde · Agent in eigener Sache · Dame, König, As, Spion · Das Rußlandhaus · Der ewige Gärtner · Der heimliche Gefährte · Der Nachtmanager · Der Spion, der aus der Kälte kam · Der Schneider von Panama · Der wachsame Träumer · Die Libelle · Ein blendender Spion · Ein guter Soldat · Ein Mord erster Klasse · Eine Art Held · Eine kleine Stadt in Deutschland · Empfindliche Wahrheit · Geheime Melodie · Krieg im Spiegel · Marionetten · Schatten von gestern · Single & Single · Unser Spiel · Verräter wie wir

John le Carré

Ein guter Soldat

Aus dem Englischen von Werner Schmitz

List Taschenbuch

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www.ullstein-buchverlage.de

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ISBN 978-3-8437-0845-6

1. Auflage November 2003

© 2003 für die deutsche Ausgabe by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG

© 2001 für die deutsche Ausgabe Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München

© 1991 by John le Carré

Titel der englischen Originalausgabe: The Unbearable Peace

Übersetzung: Werner Schmitz

mit freundlicher Genehmigung des Verlags Kiepenheuer & Witsch, Köln

Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

E-Book: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Jean-Louis Jeanmaire am 8. Januar 1991 in seiner Wohnung in Bern

Ich bin nicht gestorben«, sagt Jeanmaire stolz. »Die hätten das gern gehabt, aber den Gefallen habe ich ihnen nicht getan.«

Es ist Abend. Wir sind allein in seiner winzigen Wohnung am östlichen Stadtrand von Bern. Er macht für uns beide Käsefondue. Auf einem Regal in der Küche stehen die Näpfe, aus denen er im Gefängnis gegessen hat. Warum bewahrt er sie auf?

»Zur Erinnerung«, antwortet er.

In dem winzigen Flur draußen hängen Dolch und Säbel, die Insignien der Dienstuniform eines Schweizer Armeeoffiziers. Das Empfangszimmer ist mit der Reproduktion einer mittelalterlichen Hellebarde und seinem Architekturdiplom von 1934 geschmückt. Ein signiertes Foto von General Westmoreland, zur Erinnerung an einen Goodwill-Besuch in Bern, trägt die Widmung ›Für den General, Luftschutztruppen‹, was Jeanmaires letzte Funktion war.

»Einige meiner Kollegen haben natürlich gar nichts bekommen«, sagt er; ein versteckter Hinweis darauf, daß man ihn für diese Auszeichnung ausgewählt hatte.

Er findet, es sei Zeit für einen Drink. Er trinkt genügsam heutzutage, aber noch immer mit dem gleichen Genuß wie früher.

»Ich gestatte mir ein wenig Wasser«, erklärt er. Preußisch strafft er den Rücken, hebt den Ellbogen, reißt den Verschluß von der Whiskyflasche, die ich ihm mitgebracht habe, gießt präzise zwei Schuß ein und fügt seinem noch Wasser hinzu. Wir heben unsere Gläser, trinken Auge in Auge, heben sie noch einmal und hocken uns dann unbeholfen an den Tisch, während er den Whisky im Mund hin und her bewegt und für trinkbar erklärt. Dann entfernt er sich wieder, diesmal zum Herd, um den Käse umzurühren und – als ausgebildeter und erprobter Militärinstruktor wie auch als Richter – mir einen Vortrag zu halten, wie ich es beim nächsten Mal auch selbst machen könne.

Auf dem Schreibtisch, auf dem Fußboden und an der Wand emporgestapelt liegen Papiere, Akten, Zeitungsausschnitte, ganze Berge davon, aufgeboten und beflaggt für seinen letzten Feldzug.

So zu tun, als ließen einen gewisse Leute kalt, ist journalistische Eitelkeit. Aber ich bin kein Journalist und stehe nicht über dieser Begegnung. Jean-Louis Jeanmaire bewegt mich sehr, er macht einen ebenso komischen wie fürchterlichen Eindruck auf mich.

Geheimnisvoll ist Jeanmaire nicht, und schon gar nicht zum Spion geschaffen. Er ist auch nicht zum Schweizer geschaffen, denn seine Gefühle sind ihm ins Gesicht geschrieben, selbst wenn er sie zu verbergen sucht; und er wäre der schlechteste Pokerspieler der Welt. Er hat ein breites Gesicht und ist für einen scheinbar aggressiven Mann merkwürdig verwundbar. Er hat die Augenbrauen eines wütenden Clowns. Sie heben und runzeln sich und flattern und staunen mit jeder zufälligen Stimmung, die ihn überkommt. Auch sein Körper ist selten in Ruhe. Er scheint auf sein Gegenüber loszugehen und gleichzeitig zurückzuweichen. Er ist klein und war einmal zierlich, aber erbittertes Kämpfen hat ihn zum Stier werden lassen. Seine knappen, leidenschaftlichen Gesten wirken in der Enge eines kleinen Zimmers nur um so wuchtiger. Überall in seinem Leben – ob in seiner Kindheit, in der Armee, in seiner Ehe, vor Gericht oder im Gefängnis – spürt man bei ihm und manchmal auch bei sich selbst das Bedürfnis nach mehr Platz, mehr Luft, mehr Distanz.

»Ich hatte keinen Zugang zu streng geheimen Informationen!« flüstert er und holt vor Erregung so tief Luft, daß er gleich zu platzen scheint. »Wie sollte ich Geheimnisse verraten, die ich gar nicht kannte? Ich habe den Russen bloß ein paar harmlose Beweise dafür gegeben, daß es gefährlich wäre, die Schweiz anzugreifen!« Zorn übermannt ihn. »C’était la dissuasion«, brüllt er und droht mir mit dem Finger. Seine Augenbrauen sind über der Nase zusammengezogen. »Meine Absicht war, diese verrückten Bolschewiken im Kreml davon abzuschrecken, einen Angriff auf mein Land vorzubereiten! Ich habe ihnen gezeigt, wie teuer das für sie würde! Was bedeutet denn Dissuasion, Abschreckung, wenn die andere Seite nicht abgeschreckt wird? Denissenko hat das begriffen! Wir haben zusammen gegen die Bolschewiken gearbeitet!«

Er senkt die Stimme, um die Sache behutsamer zu erläutern: »Ich war nie ein Verräter. Ein Narr vielleicht. Aber nie ein Verräter!«

Seine Stimmungen wandeln sich schlagartig. Er hat keine Zeit. Er nutzt jeden Augenblick, der ihm geblieben ist, der Gerechtigkeit nachzugehen. Er kann Theater und Pantomine spielen. Er kann überkandidelt und hämisch sein, und er kann lachen. Er hat die Energie eines Mannes, der halb so alt ist wie er mit seinen achtzig Jahren. Eben noch steht er in Kampfstellung vor einem wie ein Boxer: gleich darauf sieht man nur noch seinen Soldatenrücken, während er sich, die Füße eng nebeneinander, zum Anzünden der Kerzen andächtig über den kleinen Küchentisch beugt. Er zünde sie täglich an, zur Erinnerung an seine verstorbene Frau, sagt er: eben die Frau, der er nie einen Vorwurf gemacht hat, daß sie mit seinem Schicksal geschlafen hat, dem sowjetischen Militärattaché und Geheimdienstoffizier Oberst Vassili Denissenko, kurz Deni genannt, der Anfang der sechziger Jahre in Bern stationiert war und Jeanmaire mühelos als Informanten angeworben hatte.

Er wedelt das Streichholz aus. Er hat die winzigen Finger eines Uhrmachers. »Aber Deni war ein attraktiver Mann!« beteuert er, und seine entrückten, blassen Augen fließen über vor Liebe, wobei nicht klar ist, ob er an seine Frau oder Deni oder an alle beide denkt. »Wenn ich eine Frau gewesen wäre, hätte ich selbst mit ihm geschlafen!«

Diese Erklärung ist ihm nicht peinlich. Trotz allem, was man ihm angetan hat, ist Jeanmaire noch immer verliebt: in seine Freunde, ob tot oder lebendig, in seine diversen Frauen und in seine früheren russischen Kontaktmänner. Es ist erschreckend, mit welcher Leichtigkeit dieser in seiner Treue so betrogene Mann auch weiterhin an seinem Vertrauen festhält. Man kann ihm unmöglich zuhören, ohne den Wunsch zu verspüren, ihn in Schutz zu nehmen. Deni sah gut aus! wiederholt er. Deni war kultiviert, charmant, ehrenwert, ein Gentleman! Deni war Held von Stalingrad, er hat die Schweizer Armee bewundert! Deni war kein Bolschewik: er war Kavallerist, Zarist, ein Offizier der alten Schule!

Deni, könnte er hinzufügen, war auch der bevollmächtigte Resident des GRU, also des sowjetischen militärischen Geheimdienstes, des armen Vetters des KGB. Aber das schien Jeanmaire nichts auszumachen. Vom KGB habe er, betont er mit Nachdruck, überhaupt zum erstenmal gehört, als er in der Gefängnisbücherei Bücher katalogisierte. Der GRU ist ihm sogar noch fremder. Er schwört, daß er in seiner gesamten militärischen Laufbahn nie auch nur im geringsten über diese Institutionen informiert worden sei.

Und Deni war treu bis zum Ende, wiederholt er und schlägt mit seiner kleinen Faust auf den Tisch wie ein Kind, das fürchtet, man höre ihm nicht zu: ›Das Ende‹ waren zwölf Jahre Einzelhaft in einer zwei mal drei Meter großen Zelle, nach ca. 170 Tagen Untersuchungshaft, in denen er abwechselnd von zivilen Untersuchungsbeamten und Militärs verhört wurde, gefolgt von fast fünf Monaten Haft, in denen er auf den Prozeß wartete, und einem nichtöffentlichen Militärtribunal von gerade vier Tagen Dauer. Die Urteilsbegründung ist noch immer unter Verschluß.

»Nach meiner Verhaftung schrieb Deni aus Moskau einen Brief an die Literaturnaja Gaseta, worin er mich als den größten Antikommunisten schilderte, den er je gekannt habe. Der Brief wurde in der Schweizer Presse veröffentlicht, in meinem Prozeß aber kein einziges Mal erwähnt. Ein solcher Brief war etwas Ungewöhnliches. Deni hat große Stücke auf mich gehalten.«

Ganz so hat Denissenko nicht über ihn geschrieben, aber was soll’s. Er hat Jeanmaire als Nationalisten und Patrioten geschildert, und als solchen hat Denissenko sich selbst wahrscheinlich auch betrachtet.

Und noch immer geht die qualvolle Lobrede weiter. Deni habe ihn nie bedrängt, nie versucht, etwas gegen seinen Willen aus ihm herauszuquetschen. Ergo – war Denissenko ein ehrenwerter Mann! Nicht so ehrenwert, daß Jeanmaire sich von Deni zum Trinken hätte einladen lassen oder daß er von ihm einen Umschlag mit Geld angenommen oder daß Deni einen Brief mit Jeanmaires Unterschrift zu sehen bekommen hätte, aber dennoch ehrenwert: »Deni hatte ein Herz, er war ein Offizierskollege im besten Sinn!«

Vor allem aber war Deni nobel. Jeanmaire verleiht dieses Wort wie einen Orden. Jeanmaire wurde vorverurteilt, verunglimpft und eingekerkert. Er war so nahe daran, als Hexe verbrannt zu werden, wie die moderne Gesellschaft dies nur zuläßt. Er aber bittet lediglich darum, die Welt möge ihm vor seinem Tod seine edle Gesinnung wieder zuerkennen. Und ich hoffe, das tut sie. Wir alle würden das tun. Denn wer vermag einen Mann zu enttäuschen, dessen Gefühle so ansteckend und verwundbar sind?

Als ich unterstelle, er könnte auf den Liebhaber seiner Frau eifersüchtig gewesen sein, bringt Jeanmaire nur Verblüffung zum Ausdruck.

»Eifersucht?« wiederholt er, und seine beweglichen Augenbrauen schießen mißbilligend zusammen. »Eifersucht? Eifersucht ist das Laster der Beschränkten, während Vertrauen –«

Wir sind wieder auf seine Eitelkeit gestoßen, seine tragische, kindische, kratzbürstige Eitelkeit: Jeanmaire ist nicht beschränkt, das werde ich schon noch zu spüren bekommen! Und seine Frau war eine reine, gute, schöne Frau und wie Deni treu bis zum Ende! Auch wenn das Ende im Fall seiner Frau etwas früher kam, denn sie starb, als er noch im Gefängnis saß. Was auch sonst für Denis Charme sprechen mochte, billig war er jedenfalls nicht zu haben.

Aus dem Stapel von Zeitungsausschnitten zieht Jeanmaire ein verschwommenes Foto des großen Mannes, und ich versuche mir angestrengt vorzustellen, was seine Anziehungskraft ausmachte. Oder wirkte er nur auf Jeanmaire anziehend, und war Jeanmaire der einzige, der das je gespürt hatte? Russische Offiziere sind leider nur selten fotogen. Ich sehe in Deni bloß einen teiggesichtigen, nichtssagenden Militärbürokraten in grauem Anzug und mit einer Miene, als würde er sich lieber nicht fotografieren lassen.

Und Jeanmaire, dieser unschweizerische Schweizer, strahlt, als ob er gerade das Derby gewonnen hätte.