Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Was geschieht, wenn jemand tatsächlich die innere Zeit auflöst, damit auch die Behinderung durch den Geist verliert und die unbewusste Klammer an eine Welt der Künstlichkeit entfernt wird? Unter Einbeziehung der Realität einer dunklen Negativität werden hier Schritte zu einem natürlichen Bewusstsein versucht, welches die Geburt in die Welt hinein erst zu ihrem Abschluss bringt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
15. November 2023
20. November 2023
27. November 2023
08. Dezember 2023
04. Jänner 2024
26. Jänner 2024
Liebe Mikaela,
seit ich Dich zum letzten Mal adressiert habe, sind nun schon ein paar Jahre vergangen. Du hast Deinen Vater verloren – mein aufrichtiges Mitgefühl! – und dann doch Deine Karriere fortgesetzt, ich habe das Ganze dann aber etwas aus den Augen verloren. Man sagt, Du wärst Rekordhalterin oder so, aber das ist mir jetzt nicht mehr so wichtig wie früher, in den Fanstatus habe ich es ohnehin nicht hineingeschafft!
Bei mir hat sich hingegen gar nichts verändert, ich bin nur ein wenig älter geworden und vielleicht ein wenig behäbiger und so habe ich Zeit, meiner Vergangenheit, immerhin schon etlichen Jahrzehnten, nachzuspüren! Sie war von Kindheit an irgendwie von einem unglücklichen Stern überschattet, welcher sich bereits zu Beginn meines fünften Lebensjahrs zu einem vollständigen System auswuchs, das mich zugleich antrieb und auch beschränkte. Ich spürte ab dem Tag, ab der Minute, ab der Sekunde, was der Fall war, aber ich konnte es mir erst sehr viel später einigermaßen erklären. Und wenn ich mich heute bewusst hineinversetze, werde ich immer noch nicht fertig damit!
Ich habe inzwischen einen zweiten Band verfasst, eine Art Auftragsarbeit, in dem versucht wurde, das Phänomen des Missbrauchs aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Mir selbst ist das, glaube ich, nicht passiert, außer möglicherweise in der frühesten Kindheit, woran ich mich nicht erinnern kann, aber was mir widerfahren ist, würde ich als direkte Konsequenz dieser Thematik interpretieren gewissermaßen im kollektiven Sinn, der sich auf seltsame Weise niemand entziehen kann. Du musst also entschuldigen, Mikaela, dass es mich gleich in ziemlich schweres Wasser hineinzieht!
Kann einen die Sprache, der stolzeste Ausdruck der Kultur, zur Natur hinführen? Muss man sich zunächst auf die weiteste Distanz hin entfernen, um dort ankommen zu können, wo man sich gerade befindet? In meinem ersten Buch bin ich eine ganze Reihe von Begriffen durchgegangen und daraus letztlich nicht viel klüger geworden! Ich habe noch ein wenig Zeit, also wieder von vorn, nur wohl ein wenig negativer als damals, weil Unterschwelliges inzwischen auch schon zur Sprache kommt!
Wo also ansetzen? Die Wörter Zeit und Dauer existieren im Alltag nebeneinander und jeder weiß, was damit gemeint ist! Versucht man die Begriffe jedoch zu „durchsaften“, wird einem schwindelig, verliert man gleichsam den Boden unter den Füßen! Sie haben ursprünglich kulturbildende Funktion und sie können beladen sein von unbekanntem Negativem in ebenfalls unbekanntem Ausmaß! Man muss deshalb nicht gleich das Schlimmste befürchten, aber vielleicht wäre es nützlich, sich das Ganze einmal vor das Auge des Bewusstseins zu stellen! In meinem Bewusstsein ist Zeit eine Skala, die den Ablauf des Bewusstseins begleitet und somit dessen gesamten Inhalt markiert, eine Konvention, und eine sehr abstrakte dazu! Dauer dagegen fühlt sich etwas subjektiver an als Langeweile, als Herausforderung, als Stachel, der einen antreiben könnte zu einem Ziel hin, das man kaum definieren kann! Die Termini Subjekt und Objekt wiederum bedingen einander in der Welt wechselseitig, bilden gewissermaßen Pole oder gar Gegensätze, haben aber, wenn man sie zu den Wurzeln verfolgen möchte, gemeinsamen Ursprung, und zwar oberhalb der Sprache im ethischen oder Wahrnehmungsraum! Subjekt und Objekt gleichen zwei Kreuzrippen in einer gotischen Kirche, die sich an verschiedenen Säulen nach oben ziehen und im Schlussstein aufeinandertreffen. Und auf dem Weg dahin durchqueren sie demnach auch die Sprachschichte. Umgekehrt regt die grammatikalische Zeit etwa in der Ausprägung der drei Zeitstufen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unter anklingender Einbeziehung der Kognition Eigentum, in gewisser Hinsicht also fälschlich, zur Subjekt-Objekt-Spaltung an! Die Zukunft lässt sich beispielsweise daraus kaum erklären! Subjekt und Objekt sind nur theoretische Annahmen, der Verlauf einer Verästelung, die nirgendwo hinführt, Vorstellungen im Bewusstseinsraum, die nur konventionelle Substanz haben!
Aber darüber hinaus kann die Zeit für sich sowohl subjektive als auch objektive Anteile enthalten! In der dritten Schichte meines früher schon erläuterten Bewusstseinsmodells, der Objektwelt, fungiert auch die Zeit objektiv, also etwa als Dingeigenschaft, die auf Menschen angewendet werden kann! Auf Menschen selbst bezogen umfasst sie theoretisch den Inhalt des persönlichen Bewusstseins und wäre deshalb als subjektiv zu klassifizieren. Nun müsste man den Entstehungsprozess der Zeit nachvollziehen können, was bei einer Konvention nicht so einfach ist! Worte wurden irgendwann in grauer Vorzeit geformt und sukzessive mit Inhalt gefüllt! Aber es lässt sich wohl unterstellen, dass gerade bei der Zeit schon in einem frühen Stadium die unterschwellige Negativität des Missbrauchs dazukam und auf irgendeine Art Einfluss nehmen konnte, wodurch die Zeit selbst nicht zur Ruhe kommt! Sie glüht gleichsam vor innerer Energie, vor aufgescheuchten und angeregten Emotionen, die keine Erfüllung und damit auch keinen Frieden finden können! Und doch ist die Zeit eines der abstraktesten, objektiven Elemente der Kultur, eine mathematische Größe, auf die sich letztlich alle anderen Größen irgendwie reduzieren lassen! Sie ist anerkannt und unverzichtbar im Alltag, theoretisch und praktisch!
In diesem Sinne könnte ich dann behaupten, die Dauer sei eine unsinnige Kollektivierung der Zeit! Sie wird zu einem Objekt für die Negativität, integrativ und auch als Befürchtung, denn am Ende der menschlichen Dauer steht der Tod! Der Missbrauch will sich selbst Dauer verleihen, die Motivation der Negativität besteht in Dauer! Und dass der Hintergrund des Missbrauchs weitgehend undurchschaubar bleibt, trägt wieder zu seiner Dauerhaftigkeit bei! Die Dauer ist die härteste Nuss, die der Verstand zu knacken hat, und der Missbrauch macht sich diese Tatsache zunutze, um sich im Schatten dieser kulturtragenden Säule zu verstecken!
Was hat das nun mit dem unglücklichen Stern zu tun, von dem ich Dir erzählen wollte? Nun ja, ich versuche hier alles ein wenig anzureißen, von jedem Dorf einen Hund darzustellen, und ob das dann ein Gesamtbild ergibt, kann ich jetzt noch nicht sagen!
Die Zeit ist etwas abstrakt Festes, die Dauer konkret wahrnehmbar, und der Zeit haftet irgendwie auch die Lüge an, ohne sie deshalb als Struktur außer Kraft setzen zu können! Durch eine gesetzte Lüge wird jedoch unter Umständen eine Person außer Kraft gesetzt, kollektiv, unter Zuhilfenahme des kollektiven Geistes, von dem niemand so genau weiß, ob er auch tatsächlich existiert! Eine gesetzte Lüge projiziert den Missbrauch auf ein Objekt. Und setzen, legen, stellen kann man die Lüge dann etwa durch ein Wort, eine Geste, ein Augenzwinkern, einen Ton oder, was auch immer! Eine Geste, und für immer ist eine Person ihrer Wahrhaftigkeit beraubt, des Anspruchs, der Möglichkeit der Übereinstimmung von Sprache und Realität, geschweige denn von Sprache und Wirklichkeit! Was immer so eine Person dann sagt oder tut, ist Lüge!
Jetzt könnte ich zunächst sehr kulturpessimistisch argumentieren, die Möglichkeit der Lüge habe die menschliche Kultur erschaffen! Mit mythisch-mystischen Anklängen: Gott ist das Nichts und das Sein und Natur, der Teufel ist die Lüge! Aber auch außerhalb der Religion kommt die Lüge über partielle Beteiligung im Minderheitsbereich nicht hinaus! Das Leben ist mehrheitsfähig und, wie man anhand der Konventionen auch erkennen kann, mehrheitsbegründend. Der Teufel steckt jedoch offensichtlich im Detail, und der Teufel ist ein Vertreter des Missbrauchs! Woher sonst hätte er seine Legitimität? Aber an dieser Figur des Teufels wird auch die Ambivalenz des Missbrauchs sichtbar, der zutiefst innerlich gespalten ist! Und dieser Spalt, diese Leerstelle wird durch die Lüge überbrückt oder von ihr ausgefüllt! Der Missbrauch als Ganzes ist ein Konzept der Lüge und richtet sich gegen das Leben aus! Ein Missbrauchstäter ist dann aber zugleich ein ziemlich armer Tropf, der letztendlich gar nicht anders kann, als sich eine Befreiung von dem zu wünschen, was er selbst vertritt und praktiziert! Die Figur des Teufels zerrinnt zu Flüssigkeit, verdampft, löst sich auf!
Aus der Praxis lässt sich erkennen, dass Missbrauch und kollektiver Geist ein System der Lüge ergeben, ein für den oder die Betroffenen ziemlich dauerhaftes! Man muss hier also zwischen Subjekt und Objekt unterscheiden! Subjektiv ist das Ganze nur lückenhaft begründet, objektiv kommt es aber umfassend und mehr oder weniger unnachgiebig zur Anwendung! System bedeutet, es wird immer wieder etwas Neues hinzugefügt! Aber die eigentliche Begründung, die das Ganze vielleicht doch in das Licht eines verborgenen Sinns stellt, bleibt im Dunkeln oder glänzt durch Abwesenheit! Wenn Opfer permanent von etwas betroffen sein können, ergibt sich die Forderung einer Sinnhaftigkeit, die bisher niemals überschwellig zum Ausdruck kam, sich niemals wahrnehmen ließ, oder etwa doch? Worin besteht ganz konkret die Begründung des Missbrauchs, der tiefsten Ursache von all dem Übel in der Welt? Missbrauch dient zur Ablenkung, etwas ganz anderes soll damit verdeckt oder verheimlicht werden! Und was? Naja, gehen wir mal vom Schlimmsten aus, Mord und/oder Totschlag! Jemand hat bewusst, absichtlich oder unabsichtlich etwas ganz Schlimmes getan und möchte nicht, dass die anderen davon erfahren! Oder er ist eine mächtige Person in der Gruppe und verbindet das eine ganz gezielt mit dem anderen! So oder so, der Missbrauch hat die Funktion, von Tod abzulenken, der sich möglicherweise bereits ereignet hat, ist also wesentlich eine Lüge, die etwa Mord verdecken soll! Der Missbrauch diente ursprünglich zur Dissoziation von Mord, innerlich natürlich, aber intentional ebenso äußerlich in der Welt! Und die später durch Gewohnheit daraus resultierende Negativität ist eine doppelte Dissoziation, von Missbrauch und über diesen wieder ursprünglich von Mord! Und eine gesetzte Lüge hat dann offensichtlich die Funktion, von diesen ursprünglichen Motiven zu befreien!
Jetzt ist das alles selbstverständlich spekulativ – Hegel dreht sich im Grabe um! – aber nur so lässt sich das Ganze auch als Ganzes darstellen oder verstehen! Und es gibt im Verlauf der Kulturgeschichte jede Menge Hinweise, die sich aber immer nur auf Details beziehen! So schwierig ist es andererseits jedoch auch wieder nicht, das Puzzle zusammenzufügen, welches selbst der abgründigsten Dummheit einen mehr oder weniger nachvollziehbaren Sinn zubilligt und als ziemlich konkrete, einfache Kriminalgeschichte daherkommt! Einigermaßen pikant erscheint dabei nur das Detail der Verlagerung von Mord auf das Gebiet der Reproduktion, vielleicht ging es dabei ja irgendwie auch um Haben oder Nichthaben oder um Neid?
Um hier einmal kurz abzuschweifen, Mikaela, riskiere ich einen Seitenblick auf die Methodik! Seit dem früher schon beschriebenen Erlebnis im achtzehnten Lebensjahr verlasse ich mich verstärkt auf mein Unterbewusstsein und die Intuition. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig! Und ich brauchte ziemlich lange, um auch genügend Vertrauen dazu fassen zu können! Das Unterbewusstsein ist eine weit größere Schichte als das Bewusste im Wachbewusstsein, der bekannte Vergleich mit dem Eisberg im Wasser ist ja geläufig! Und das Unterbewusste lässt sich nicht so ohne weiteres durch Worte an die Oberfläche rufen, es bleibt im Wesentlichen verborgen, ist aber ein ständiger Begleiter im Wachbewusstsein, und man kann sich eben in gewissem Sinn auch darauf verlassen vorbehaltlich der Zauberkünste und sonstigen Tricks des Geistes! Die Intuition wird von wissenschaftlicher Seite gern auf das Abstellgleis geschoben, aber man ist im Allgemeinen gerne bereit, deren Ergebnisse zu akzeptieren, wenn sie systematisch überprüft und eingeordnet werden konnten! Daher wurde die Intuition bisher möglicherweise auch noch nicht fest konturiert oder definiert, weil sie ja so eine Art Zwischenstellung zwischen Unterbewusstem und Bewusstem einzunehmen scheint, was aber bei genauerem Hinsehen gar nicht so sehr der Fall ist! Mir fiel dazu ein Sätzchen ein: Intuition ist die Verbindung von Erkenntnis und Gefühl! Gefühle sind zunächst natürliche Empfindungen, werden also schon bewusst wahrgenommen, und Erkenntnisse sind Inhalt des Verstandes oder des Gedächtnisses, Erkenntnis ist sozusagen der Vorgang, etwas sprachlich-topografisch einzuordnen! Das hat durchaus auch im persönlichen Bereich seinen Platz, so lernt man die Welt kennen! Man braucht zur Erkenntnis bereits einen Vorrat an Kognitionen und die Sprache! Und die Intuition ist irgendwo zwischengeschaltet: Intuition verbindet die Wahrnehmung mit der Erkenntnis! Das ist dann also ein sehr sensibler Bereich, höchst persönlich, höchst privat, von außen leicht dem Vorwurf der Subjektivität ausgesetzt, und es braucht schon einige Zeit, um sich einigermaßen fest darauf verlassen zu können, da sie ja quasi per definitionem gar keine so feste Substanz aufweisen kann! Aber man könnte ihr vielleicht doch ein Kästchen in der Struktur der Rationalität reservieren: Intuition steht für Wissen um die Bedeutung von Dingen! Was für Bedeutung, Bedeutung für wen in welcher Hinsicht? Die Intuition liefert selbst die Antwort! Lateinisch intueri bedeutet etwa aufmerksam anschauen, vielleicht untersuchen, und was einem dabei halt so in den Sinn kommt! Also von vornherein nicht die reliabelste aller Methodiken, aber ich habe in meinem Leben viele Entscheidungen mehr oder weniger intuitiv treffen müssen mangels strukturierter Vergleichsmöglichkeiten oder Anhaltspunkte! Für mich hatte die Intuition also seit jungen Jahren einen relativ hohen Stellenwert, aber das muss ich ja auch nur mir gegenüber verantworten! Und um auch solche Inhalte irgendwie akzeptieren zu können, ließ ich mich doch zu Restbestandteilen rationeller Methodik verführen, etwa zur Anzahl von siebzehn Silben für Sätzchen mit anthropologischem Inhalt!
Mir selbst fällt es also nicht so schwer, eine Lanze für die Intuition zu brechen, und wie gesagt, dabei kommt dem optischen Sinn größere Bedeutung zu! Möchte ich meine eigenen Wahrnehmungen in der Vorstellung gleichsam kollektivieren, benötige ich eine Struktur dazu, und dazu eignet sich wohl irgendwie die Zeit! Eine seltsame Allianz vom Sehsinn zur abstraktesten aller Strukturen! Da ist viel Inhalt dazwischen und es ist sicherlich auch der Negativität des Missbrauchs nicht allzu schwer gefallen, sich da irgendwo einzubringen! Und noch weit seltsamer ist, dass daraus ein eigenes Bildungsfach entstanden ist, eine wissenschaftliche Abteilung und, wie man früher behaupten konnte, die Wissenschaft schlechthin! Philosophie ist eigentlich die Suche nach der verlorenen Zeit! In unserer abendländischen Tradition hat etwa Platon durch die Modellvorgabe seiner Dialoge einen Beitrag geliefert, der sich dann leicht auch inhaltlich auffüllen ließ! In der Philosophie schimmert die Negativität irgendwie durch, Philosophie ist in gewisser Hinsicht eine Art Übereinkunft der Gesellschaft, sich mit dieser vorgegebenen Thematik des Negativen auch rational und sprachlich kollektiv zu befassen vielleicht oder wohl auch in der Hoffnung, dabei auf Lösungen zu stoßen! Philosophie konnte daher in gewisser Weise auch zum Sprachrohr der Negativität werden, ein Laie wie ich kann sich sogar manchmal nicht des Eindrucks erwehren, Philosophie hätte der Negativität da und dort auch einmal Souveränität versprochen! Philosophie möchte die theoretischen Grenzen der Negativität ausloten, und diese Versuche schlagen sich in der Sprache nieder: Philosophie ist eine negative Nachschärfung von Worten! Man kommt dann zur Dialektik, was eigentlich so etwa Kunst der Unterhaltung oder Gesprächsführung bedeutet, und hier findet man auch wieder Anschluss an die überschwelligen Konventionen und Gesellschaftsbereiche, welche man tatsächlich nie wirklich hatte verlassen können! Die Sprache erwies sich immer als resistent gegenüber der Negativität, zu wichtig ist sie im fortlaufenden Getriebe des menschlichen Alltags! Wenn man überleben möchte, muss man auch der Sprache in gewissem Maße vertrauen, mehr als dass man sie einer Negativität überlassen könnte! Und überleben möchte wohl die große Mehrheit der Menschen! Philosophie bedeutet dem gegenüber dann ein Stück weit, sich auf den kollektiven Geist zu verlassen, wobei Letzterer auch nur ein Desiderat des persönlichen Geistes sein könnte! Die Ganzheit meines Bewusstseins verlangt nach Übereinstimmung, weil alle Konventionen ja auf Übereinstimmung basieren! Es ist nicht ausgemacht, dass die Annahme des kollektiven Geistes auf Realem basiert!
Ich schippere also in meinem kleinen Nachen an der Intuition von Sätzchen entlang, Mikaela, und komme dabei von systematisch einschränkenden Zuständen bis zur Philosophie! Der Titel des ersten Bandes Bedingungen menschlichen Seins wurde von mir ja nicht ordentlich erklärt, weil das Sein kulturbedingt weitgehend negative Konnotationen aufweist! Das nagte ein wenig, und nach eingehendem Einsinkenlassen und Durchsafteln erlangte ich die Erkenntnis, dass das Sein doch positiv genommen werden kann, wie das vielleicht schon in der lateinischen, mittelalterlichen Philosophie anklingt! Sein an sich ist nur das Auf-die-Probe-Stellen des kleinen Wörtchens „ist“ sowohl der objektiven Wahrhaftigkeit nach als auch, und das ist noch viel wichtiger, in Bezug auf die innere Konsistenz der Sprache selbst! Das Sein ist ein Nachweis, dass innerhalb der Sprache Gerechtigkeit herrscht, der Begriff Sein symbolisiert diese, das Sein impliziert sozusagen Gerechtigkeit der Sprache, weil es in etwas konzentrierter Form die Natur des Bewusstseins vertritt! Das Sein, positiv genommen, weist auf, dass die Sprache konsistent ist, und kann das, weil es insgesamt die Natur vertritt! Man könnte also auch behaupten: Das Sein ist die Übereinstimmung eines Wortes mit der Natur. Und etwas abstrahiert könnte man feststellen, das Sein bildet einen vollständigen Kreislauf Natur-Kultur-Natur! Sein, Nichts und Natur wären also beinahe äquivalent! Das Sein vollzieht dann eine Art gegenläufiger Bewegung zur Zeit, nur mehrheitlich real und nicht abstrakt! In gewisser Hinsicht könnte man auch formulieren: Eine Wahrheit der Lüge liegt in der Natur, dem ewigen Sein!
Im Bemühen, die Perspektive der Negativität einzunehmen oder zu verstehen, lässt sich zur Zeit konstatieren, diese hebt sich von der Sprache ab, weil sie das Ich für das Sein hält. Eine ziemlich einschränkende Verwechslung! Der Geist existiert und er erhält mit der Konvention Zeit einen einigermaßen nachhaltig festen Kern. Aber das Ich orientiert sich normalerweise gerade am Sein, es fühlt sich dem Sein verpflichtet, auch wenn es dieses nicht als theoretischen Begriff fasst, und über das Sein der Wahrheit und intrinsischen Gerechtigkeit der Sprache! Und im Horizont dieser großen Begriffe eröffnet sich auch schon eine Möglichkeit der Befreiung: Das Sein kann eine Sprache von der unseligen Zeit erlösen! Man muss nur die Sachen mit Wahrheit und Wirklichkeit etwas ernster nehmen! Aber selbstverständlich nicht hauptsächlich im objektiven Sinn! Die Negativität als künstliche Folge des künstlichen Missbrauchs existiert nur im menschlichen Bewusstsein! Und nochmals zum Sein selbst, es verdankt sich mehr der ethischen als der objektiven Wahrheit!
Abschließend noch kurz zurück zur Philosophie! Unter der Annahme des Bösen, der Negativität, war die Philosophie immer wieder auch ein säurescharfes Trennen von Setzen und Nehmen! Das spezifische Glitzern dieser dunklen Fläche oder Mattscheibe verliert sich in der echten Dunkelheit, der furchterregende Abgrund oder Spalt, die Leerstelle des Nichts erweist sich als getragen vom Nichts der Natur! Philosophie weiß, dass das philosophisch Böse nur vorgetäuscht ist, nicht substanziell, aber es hat eine reale Entsprechung in der Welt! Und die Eintrittskarte zur Philosophie, der Anspruch, ein Philosoph zu sein, war wohl verbunden mit der Innenansicht der Problematik, aber darin unterschied sich die Philosophie gesellschaftlich wohl nur geringfügig von anderen Fächern! Aber die philosophische Idee, dieser geniale Trick am Anfang allen Übels, ist die Verdeckung von Mord durch Missbrauch!
Mikaela, Du siehst, hier geht es schon ziemlich in die Vollen, und ich hoffe, Du stößt Dich nicht allzu sehr daran!
Herzliche Grüße,
Erich
Liebe Mikaela,
ich weiß nicht, ob Dich dieses theoretische Zeug überhaupt interessiert, und, wie gesagt, ist seit dem letzten Band auch Praktisches dazugekommen, leider großteils Negatives, sodass es hier auf sprachliche Art zur Darstellung einer Mischung aus Theorie und Praxis kommt, und vor dem philosophischen Hintergrund eignet sich dazu gleichsam auf paradigmatische Art das Wort Geist, so ähnlich wie im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich der Begriff Zeit. Der Geist ist die prinzipielle Ursache der menschlichen Verwirrung, insbesondere der Verwechslung des Ichs mit dem Kollektiv und allen Folgewirkungen, die sich potenziell daraus ergeben. Geist heißt, ich schiebe der Sprache die Schuld daran zu, dass sich das Ich nicht genau von den anderen abgrenzen lässt, woraus ein dauerhafter Schwebezustand der Unsicherheit entsteht, der eigentlich nur durch die Auflösung des Geistes beendet werden könnte! Der Geist vertritt insofern eine Anmutung der Künstlichkeit gegenüber der Natur, welche in deren Verleugnung gipfeln könnte etwas abweichend vom Missbrauch, der bewusst vergeblich in Richtung deren Vernichtung marschiert! Aber beginnen wir zunächst einmal im Kleinen!