Seewölfe Paket 22 - Roy Palmer - E-Book

Seewölfe Paket 22 E-Book

Roy Palmer

0,0

Beschreibung

Statt sich um seine Crew zu kümmern, hatte sich Kapitän Stewart mit den Halunken unter O´Leary verbündet. Auch Sir Robert Monk war mit von der Partie und ebenso Joe Doherty, das Profos-Monster. Sie segelten auf die Bucht zu, in der die "Caribian Queen" und die "Isabella" ankerten. Sir Robert hatte den Plan ausgebrütet - nämlich jetzt bei Nacht die "Isabella" zu entern, zur Kapitänskammer vorzudringen und den schwerverletzten Philip Hasard Killigrew als Geisel zu nehmen. Als sich eine Wolkenbank vor den Mond schob, glaubten sie bereits, gewonnenes Spiel zu haben. Aber da wurden sie von der Landzunge aus angerufen, und dann überschlugen sich die Ereignisse...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 2317

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.eISBN: 978-3-95439-781-5Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]

Inhalt

Nr. 421

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 422

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 423

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 424

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 425

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 426

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 427

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 428

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 429

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 430

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 431

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 432

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Nr. 433

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 434

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 435

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 436

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Nr. 437

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 438

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nr. 439

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Nr. 440

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Das Wasser der Bucht war so ruhig, als sei nie etwas Außergewöhnliches geschehen. Zumindest verdeutlichte es, daß sich die Natur einen feuchten Kehricht darum scherte, wenn sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlugen.

Sir Edward Tottenham lehnte an den mächtigen Luftwurzeln einer Mangrove und blickte auf die Bucht hinaus. Nur die Masten der Kriegsgaleonen „Orion“ und „Dragon“ ragten noch aus dem Wasser. Der Angriff dieses schwarzhaarigen Rasseweibes war tollkühn gewesen, das mußte man anerkennen, wenn es auch noch so schmerzte.

Sir Edward hatte sich von den Männern abgesondert und sich an einen abseits gelegenen Winkel des Strandes begeben. Er brauchte Ruhe, um seine Gedanken wieder in Ordnung zu bringen. Was sein Innerstes an diesem 23. August des Jahres 1594 aufwühlte, war nicht allein der Verlust seines Schiffes, der „Orion“.

Nein, für Sir Edward Tottenham hatte dieser Tag etwas Schicksalhaftes – aus Gründen, über die er erst noch Klarheit gewinnen mußte. Alle Äußerlichkeiten hatten für ihn plötzlich keinen Belang mehr. Es störte ihn nicht, daß seine Kapitänsuniform verdreckt und an verschiedenen Stellen eingerissen war. Die Macht der Sonne, die erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel brannte, spürte er kaum, obwohl er unter anderen Umständen lieber einen schattigen Platz aufgesucht hätte.

Der Grund seiner Tiefsinnigkeit lag auch nicht darin, daß es mit mörderischen Anstrengungen und Gefahren verbunden sein würde, jemals das heimatliche England wiederzusehen. Sir Edward ahnte, daß es einen anderen Grund für seine sonderbare Stimmung geben mußte. Vage ahnte er überdies, daß er in sich selbst nach jenem Grund forschen mußte. Denn da war eine Empfindung, die er nie zuvor in seinem Leben gekannt hatte.

Es war das Gefühl, keine Zukunft mehr zu haben.

Aber woher, um Himmels willen, rührte dieses Gefühl? Hatte er etwa falsche Entscheidungen getroffen? Oder mit seinen Entscheidungen zu lange gezögert? Diese Fragen ließen ihm keine Ruhe.

Von Anfang an hatte diese Reise in die Neue Welt unter einem unguten Stern gestanden. Möglicherweise hatte es schon daran gelegen, daß die Kompetenzen zu keinem Zeitpunkt eindeutig abgegrenzt worden waren. Sir Edward verstand bis heute nicht, warum sich die Königin in dieser Frage nicht klar und deutlich festgelegt hatte, wie es sonst ihre Art war.

Sir Andrew hatte sich ganz als Befehlshaber gebärdet. Und er, Sir Edward, hatte vielleicht nicht genügend Energie gehabt, solchem Gehabe wirkungsvoll entgegenzutreten. Vor seinem geistigen Auge erschien das Bild der spanischen Galeone „Santa Cruz“, die bereits die Flagge gestrichen hatte und dennoch zusammengeschossen worden war – von der „Dragon“ und der „Lady Anne“.

Sir Edward war nicht entgangen, daß sich seine Geschützmannschaften auf der „Orion“ merklich zurückgehalten und absichtlich danebengeschossen hatten. Gewiß, dagegen war er nicht eingeschritten, aber er hatte auch nicht jene Courage an den Tag gelegt wie die Kapitäne Rooke und Wavell, die einfach nicht mehr mitgespielt und mit ihren Galeonen „Centurion“ und „Eagle“ den Verband verlassen hatten.

Vielleicht hatten Rooke und Wavell das einzig Richtige getan – sicherlich aus ihrer aufrechten Haltung heraus. Sir Edward haßte sich heute dafür, daß er seinerzeit geneigt gewesen war, Rooke und Wavell als Meuterer zu betrachten. Aber zu dem betreffenden Zeitpunkt hatte er auch noch zu sehr unter dem Einfluß von Sir Andrew gestanden. Daß ihm erst jetzt nach und nach die Augen aufgingen, wertete er allerdings nicht als Entschuldigung für sich selbst.

Es blieb die bedrückende Gewißheit, in vielen Punkten versagt zu haben.

Die Männer von der „Orion“ waren indessen voller Hoffnung. Sir Edward hörte es aus ihren Stimmen heraus, und er las es aus der Entschlossenheit, mit der sie seit dem Untergang des Schiffes ans Werk gingen. Für sie war dieses kleine Eiland der östlichen Grand Cays nicht gleichbedeutend mit einem besiegelten Schicksal. Sie hatten Waffen, Munition, Proviant, Ausrüstung und vor allem die sechs Jollen. All das verdankten sie der Umsicht von Marc Corbett.

Jene letztere Tatsache mußte Sir Edward Tottenham neidlos und unumwunden zugeben. Verdankte nicht auch er einiges der Entschlußfreudigkeit und Umsicht seines Ersten Offiziers?

Wie so oft bewahrheitete sich das Sprichwort, daß der nicht weit ist, von dem gerade in Worten oder Gedanken die Rede ist. Sir Edward hörte das mahlende Geräusch von Schritten im Sand. Erstaunt wandte er den Kopf nach links.

Marc Corbett, der schlanke Mann mit dem scharfgeschnittenen Gesicht, dem dunklen Haar und den graugrünen Augen, war sichtlich erfreut, seinen Kapitän gefunden zu haben.

„Ich möchte Sie nicht unbedingt stören, Sir Edward“, sagte der Erste Offizier der „Orion“, „aber es gibt einige Dinge, die ich gern mit Ihnen besprechen würde.“

Tottenham verschränkte die Arme vor der schmalen Brust und nickte ermunternd.

„Nur zu, Mister Corbett. Sie stören nicht im mindesten. Lassen Sie sich gesagt sein, daß ich über Ihre Anwesenheit durchaus froh bin.“

Corbett zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Die so unvermutete Offenheit des Kapitäns brachte ihn in Verlegenheit. Deshalb ging er nicht darauf ein, sondern wandte sich dem Grund seines Auftauchens zu.

„Wenn ich Sie mit einer Angelegenheit behelligen darf, die ich selbst zu verantworten habe“, sagte er gedehnt.

Nun war es Tottenham, der sein Erstaunen nicht verbergen konnte.

„Das klingt ja beinahe so, als ob Sie sich etwas vorzuwerfen hätten. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb. Nicht bei Ihnen, Mister Corbett.“

Der Erste Offizier senkte geschmeichelt den Kopf. Ihm war nicht entgangen, daß sich in Sir Edward seit dem Untergang der „Orion“ offenbar eine Wandlung vollzogen hatte. In seinem ganzen Verhalten wirkte er jetzt bestimmter und geradliniger. Gleichzeitig gab es aber auch Momente, in denen er von tiefer Nachdenklichkeit gepackt wurde. So war es der Fall gewesen, als er sich hierher abgesondert hatte.

Marc Corbett gab sich innerlich einen Ruck, nahm wieder Haltung an und blickte dem hageren Mann offen in die Augen.

„Es handelt sich um die Gefangenen von der ‚Lady Anne‘, Sir Edward, die achtundzwanzigköpfige Crew des Sir John Killigrew. Ich kann mir Selbstvorwürfe in dieser Beziehung nicht ersparen. Die Dinge entwickeln sich auf eine Art und Weise, wie ich es nicht erwartet habe.“

„Weil Sie die Kerle aus der Vorpiek befreit haben?“ entgegnete Sir Edward stirnrunzelnd. „Deshalb trifft Sie doch keine Schuld. Im Gegenteil.“

„Sicher war es richtig, Sir, die Kerle nicht wie Ratten absaufen zu lassen. Insofern gebot es schon die Christenpflicht, sie über Bord zu jagen, als feststand, daß der Untergang der ‚Orion‘ nicht mehr abzuwenden war.“

„Meine Rede“, sagte Tottenham mit bekräftigendem Nicken. „Dieser Christenpflicht haben Sie genügt. Und nicht nur das. Ihnen gebührt noch besonderes Lob dafür, daß Sie als einziger an Bord der ‚Orion‘ daran gedacht haben, die hilflosen Gefangenen zu retten. Denn hilflos waren sie in diesem Moment, einerlei, was man ihnen auch sonst alles zur Last legen kann.“

„Ich weiß, Sir Edward“, sagte Marc Corbett leise. „Und ich danke Ihnen aufrichtig. Aber ich hätte vorhersehen müssen, wie sich die Kerle hier an Land aufführen. Ein Umstand, der mir erhebliche Sorgen bereitet.“

Sir Edward rieb sich das Kinn mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand.

„Ich verstehe. Aber auch in dem Punkt meine ich, Sie beruhigen zu müssen. Erstens gab es keine Möglichkeit, die Killigrew-Kerle hier auf der Insel sofort wieder zu fesseln und zu bewachen. Dafür waren wir alle zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Zweitens haben wir meines Erachtens keine ernsthaften Schwierigkeiten zu befürchten, da unsere Mannschaft zahlenmäßig weit überlegen ist. Und wir verfügen über Waffen und Munition, mein lieber Corbett – was wir wiederum auch Ihrer Umsicht verdanken.“

„Sie sollten mir nicht zu sehr schmeicheln, Sir Edward. Ich habe nur meine Pflicht getan.“

„Ehre, wem Ehre gebührt. Ich habe jedenfalls meine Gründe, wenn ich jetzt, in dieser Situation, einiges sage, was ich früher nie gesagt habe.“

Marc Corbett starrte ihn Atemzüge lang ungläubig an.

„Sir Edward!“ rief er dann voller Bestürzung. „Wenn ich Ihnen durch mein Verhalten das Gefühl gegeben haben sollte, ihre Autorität anzuzweifeln, dann bitte ich um …“

Tottenham unterbrach ihn mit einer energischen Handbewegung.

„Unsinn. Wenn Sie so wollen, haben Sie mir vielleicht ein wenig die Augen geöffnet. Etwas, wofür ich Ihnen dankbar sein muß. Aber davon wollen wir nicht reden. Nicht jetzt.“ Sein Blick wanderte für einen Moment auf die Bucht hinaus. Dann sah er wieder den Ersten Offizier an. „Was bereitet Ihnen solches Unbehagen in Zusammenhang mit Killigrews Strolchen?“

„Ich vermute, daß sie sich mit Mister Stewart verbünden werden.“

„Ja, und?“

„Daraus könnte dann doch eine ernsthafte Gefahr entstehen.“

Sir Edward sah den Ersten Offizier an, als studiere er dessen Gedanken.

„Ihre Rechnung weist einen kleinen Denkfehler auf, Mister Corbett. Sie dürfen die achtzig Mann von der Crew der ‚Dragon‘ nicht zusammen mit Stewart und den Killigrew-Kerlen in einen Topf werfen. Mit den adligen Gentlemen noch viel weniger.“

Marc Corbett schwieg sekundenlang. Er mußte zugeben, daß er diesen Gesichtspunkt nicht erwogen hatte. Aber wäre Sir Edward früher in der Lage gewesen, solche Überlegungen anzustellen? Es war das Erstaunliche, das mit seiner rätselhaften Wandlung zu tun haben mußte – mit eben jener Wandlung, die wiederum mit ihrem gerade beginnenden Dasein als Schiffbrüchige zusammenzuhängen schien.

„Sie meinen, Sir Edward, die ‚Dragon‘-Crew würde sich nicht unbedingt mit Killigrews Leuten verbünden?“

„Genau das. Kennen Sie nicht den Unterschied zwischen anständigen Seeleuten und durchtriebenen Küstenhaien? Wissen Sie denn nicht, zu welcher Sorte diese Sippschaft in Cornwall gehörte?“

„Doch, Sir, das ist mir durchaus bekannt.“

„Na also. Dann sollten Sie aufhören, diesen Punkt überzubewerten. Ich denke, es gibt zur Zeit Vordringlicheres, mit dem wir uns beschäftigen müssen.“

„Allerdings, Sir“, erwiderte der Erste und konnte abermals sein Erstaunen nicht verbergen. Sir Edward entwickelte eine Art von praktischem Denken, die einem geradezu unheimlich erscheinen konnte. „Die Männer haben eine erste Bestandsaufnahme abgeschlossen. Alle sechs Jollen befinden sich in seetüchtigem Zustand, einschließlich der Besegelung.“

„Ausgezeichnet. Und weiter?“

„Waffen und Munition konnten wir ebenfalls in genügender Menge bergen. Ich habe veranlaßt, daß die Pulverfässer an einen geschützten und doch ausreichend luftigen Platz in Strandnähe gebracht werden – vorläufig, bis wir eine bessere Lagermöglichkeit haben. Darauf komme ich gleich noch zu sprechen, Sir.“

Tottenham lächelte, denn er ahnte bereits, auf was dieser stets praktisch denkende Mann hinaus wollte.

„Wie sieht es mit den Waffen aus, Mister Corbett?“

„Musketen, Tromblons und Pistolen in ausreichender Zahl, Sir. Wir können jeden Mann mit mindestens einer Waffe ausrüsten, etliche sogar mit Muskete und Pistole zugleich, wenn es sein muß. Wir haben außerdem bereits Äxte, Sägen und andere Werkzeuge geborgen. Die Proviantvorräte werden für die nächsten paar Tage reichen. Ich meine aber, wir sollten schon heute die erste Gruppe von Männern mit Musketen losschicken. Wir sollten so rasch wie möglich feststellen, ob es auf der Insel jagdbares Wild gibt.“

„Der Meinung bin ich auch“, sagte Kapitän Tottenham.

„Außerdem“, fuhr Corbett fort, „sollten wir unverzüglich mit dem Bau von Hütten beginnen. Verstehen Sie mich nicht falsch, Sir. Es klingt vielleicht so, als hätte ich vor, mich für einen längeren Aufenthalt auf der Insel einzurichten. Ich halte die Hütten aber aus Gründen der Zweckmäßigkeit für angebracht. Zum einen wären natürlich die Männer vor Sturm und Regen geschützt. Wichtiger erscheint mir aber, daß wir unsere gesamte Ausrüstung sicher unter Dach und Fach haben. Ich denke also auch an ein kleines Munitionsdepot, das besonders bewacht werden müßte.“

Sir Edward nickte und dachte eine Weile darüber nach.

„Ich stimme Ihnen zu“, erwiderte er dann. „Was ich über Killigrews Meute gesagt habe, soll nicht heißen, daß ich das Risiko etwa unterschätze. Ihr Vorschlag ist gut, Mister Corbett. Hütten sind für uns auf jeden Fall von Vorteil.“

„Dann können wir also mit den Vorbereitungen zum Bau beginnen?“

„Selbstverständlich.“ Sir Edward nickte. Dann hob er die rechte Hand. „Eins wollen wir dabei aber nicht vergessen, Mister Corbett: Wir müssen den Mannschaften sagen, warum wir die Hütten bauen. Eben als Wetterschutz und letztlich aus Sicherheitsgründen. Denn wenn die Männer das Gefühl haben, wir müßten uns für einen längeren Aufenthalt auf der Insel einrichten, dann könnte das eine demoralisierende Wirkung haben. Wir müssen Ihnen immer wieder vor Augen halten, daß wir so bald wie möglich versuchen werden, eine größere Insel zu finden – wie es ironischerweise die schwarzhaarige Lady des Zweideckers empfohlen hat.“

Erneut mußte Marc Corbett im stillen zugeben, daß Tottenham auf einen Punkt hingewiesen hatte, an den er selbst noch nicht gedacht hatte. Natürlich – der Arbeitseifer der Männer würde im wesentlichen davon bestimmt werden, wie sie ihre Zukunftsaussichten einschätzten. Neben dem Arbeitseifer spielten Loyalität und Verteidigungswille eine nicht minder bedeutende Rolle.

„Danke für den Hinweis, Sir“, sagte Corbett. Er zögerte einen Augenblick. Doch dann sagte er sich, daß er mit jener Offenheit antworten konnte, wie sie Sir Edward auch ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte. „Ich bitte Sie, Sir, alle erforderlichen Maßnahmen zu überwachen. Ich möchte nicht gern den Eindruck erwecken, daß ich eigenmächtig über Dinge entscheide, die in Ihre Zuständigkeit fallen.“

Eine Sekunde lang war das schmale Gesicht des Kapitäns wie eine Maske. Marc Corbett fürchtete fast, nun richtig ins Fettnäpfchen getreten zu sein. Doch er täuschte sich. Unvermittelt löste sich Tottenhams scheinbare Anspannung in ein Lachen auf, und er klopfte seinem Ersten Offizier sogar auf die Schulter.

„Reden Sie getrost, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist, Corbett. Sie erwarten von mir ein bißchen mehr als zuvor, und Sie haben recht damit. Ein Mensch sollte Kritik vertragen können. Das will ich mir hinter die Ohren schreiben.“

„So habe ich es aber nicht gemeint, Sir“, sagte Marc Corbett erschrocken. „In erster Linie wollte ich zum Ausdruck bringen, daß ich nicht gern meine Kompetenzen überschreite.“

„Ich weiß, ich weiß.“ Sir Edward klopfte ihm abermals auf die Schulter. „Lassen Sie es gut sein.“ Er stieß sich von der Mangrovenwurzel ab. „Gehen wir jetzt zu den anderen. Ich meine, wir sollten es dem Schiffszimmermann übertragen, die Beschaffung von Bauholz zu leiten. Andere Gruppen können unterdessen die Bauplätze für die einzelnen Hütten vorbereiten.“

„Ich bin sicher, wir werden schon am Abend die ersten Dächer über dem Kopf haben!“ rief der Erste begeistert. Am liebsten hätte er sich revanchiert und seinem Kapitän ebenfalls einen Hieb auf die Schulter versetzt. Aber er beherrschte sich gerade noch rechtzeitig. Bei aller guten Kumpanei wäre das denn doch ein Schritt zu weit gewesen.

Ein anderer Gedanke beschäftigte Marc Corbett, als sie den Lagerplatz der „Orion“-Crew erreichten.

„Ist Ihnen bekannt, Sir, daß sich Mister Stewart die beiden Goldkisten aus dem Besitz von Sir Henry angeeignet hat?“

Sir Edward blieb stehen und blickte den Ersten entgeistert an.

„Nein! Sind Sie sicher?“

„Völlig sicher, Sir. Mehrere Männer und auch ich selbst haben gesehen, wie Stewart nach dem Angriff des Zweideckers mit seiner unbeschädigten Jolle zur ‚Dragon‘ pullte und die beiden Kisten aus dem Achterdeck bergen ließ. Sir Henry hatte keine Chance, sich dagegen aufzulehnen.“

Tottenham konnte sich eines Lächelns, nicht erwehren. Der sehr ehrenwerte Duke of Battingham war bis zuletzt kreischend auf dem Achterdeck der „Dragon“ herumgehüpft, aber niemand hatte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, ihn zu retten.

Einer der riesenhaften Kerle von dem fremden Zweidecker hatte den Zitternden schließlich aufgefordert, den Großmars zu räumen. Dorthin hatte sich der Hochwohlgeborene geflüchtet, nachdem die „Dragon“ auf Grund gegangen war.

Daß es unter seiner Würde wäre, sich schwimmend fortzubewegen, hatte Sir Henry immer wieder hinausposaunt. Den Denkzettel dafür hatte er erhalten, denn nun befand er sich als Gefangener an Bord des Zweideckers. Daß man sich sein Gezeter dort nicht sehr lange anhören würde, stand wohl fest.

„Wegen der Goldkisten könnten sich allerdings Komplikationen ergeben“, sagte Sir Edward düster. „Die Raffgier gewisser Personen ist nicht zu unterschätzen. Wir müssen auf jeden Fall ständig Wachen einteilen, auch während der Bauarbeiten.“

Für Marc Corbett gab es nichts mehr hinzuzufügen. Er war froh, jetzt einen Kapitän an seiner Seite zu haben, auf den er sich verlassen konnte. So wunderte es ihn auch nicht, als Tottenham kurze Zeit später mit einer der Arbeitsgruppen losmarschierte, um Bäume zu fällen. Jede Hand wurde gebraucht, und am Beispiel ihres Kapitäns orientierten sich auch Corbetts Offizierskameraden. Der alte Gemeinschaftsgeist der „Orion“-Crew war in vollem Umfang wieder erwacht.

2.

Alle drei Jollen der „Dragon“ waren hoch auf den Strand gezogen worden. Eine lag jedoch ein Stück abseits, von Palmwedeln sogar ein wenig beschattet. Die beiden Männer, die dort Wache hielten, waren froh, der sengenden Sonne nicht schutzlos ausgesetzt zu sein.

Aus dem Dickicht sahen sie unvermittelt Charles Stewart auftauchen. Irgendwo dort lungerten auch die anderen herum und pflegten ihre faule Haut. Daran, etwas Eßbares aufzutreiben, dachte keiner. Vorläufig begnügten sie sich mit Kokosnüssen.

Drüben, in einiger Entfernung, hatten die „Orion“-Leute unterdessen ein Kochfeuer angefacht – deutlich sichtbar auf dem Strand. Am liebsten wären die beiden Wachtposten hinübergelaufen und hätten um einen Schlag Suppe gebettelt. Aber sie wußten, daß sie dort gewiß nicht mit offenen Armen empfangen worden wären.

Stewart war nicht allein. An seiner Seite walzte ein Ungetüm aus dem Unterholz hervor, wie es seinesgleichen keine Crew kannte: Joe Doherty, der persönliche Profos des verblichenen Sir Andrew Clifford, Earl of Cumberland.

Dieser Doherty war ein Bulle von einem Kerl, was allein gar nicht mal so schlimm gewesen wäre. An Land hätte er in einem Zirkus auftreten können – als Kinderschreck. Denn sein Gesicht sah wahrhaftig zum Fürchten aus.

Gesicht konnte man diese wüste Landschaft von Narben und Furchen allerdings kaum noch nennen. Einige der Narben waren blutrot, andere dunkel und bläulich. Die Nase war plattgeschlagen, zu allem Überfluß fehlten diesem Monstrum auch noch ein Ohr und die Hälfte der Zähne.

Stewart war schon ein Brocken von einem Mann. Aber neben Doherty wirkte er geradezu zierlich. Zielstrebig marschierten die beiden durch die Sonnenglut am Rand des Dickichts auf die bewachte Jolle zu. Die beiden Posten ahnten, daß ihre geruhsame Zeit im Schatten abgelaufen war.

Sie täuschten sich nicht.

„Ihr könnt abhauen“, sagte Stewart barsch. „Mister Doherty übernimmt diese Aufgabe jetzt.“

Der Profos Sir Andrews stemmte die Riesenpranken in die Hüften und grinste geschmeichelt. Dabei bemerkte er einen Ausdruck des Entsetzens in den Gesichtern der beiden Kerle, die sich da von den Duchten der Jolle erhoben.

Doherty hatte eine Art dumpfes Wissen um die Wirkung seines Erscheinungsbildes. Das hatte er schon oft erlebt, infolgedessen war es nichts Ungewohntes: Sein Grinsen rief bei manchen Leuten geradezu fluchtartige Reaktionen hervor. Gelegentlich hatte er das ausgenutzt. In Hafenschänken beispielsweise, wenn es darum ging, einen guten Platz am Tresen zu ergattern.

Bedauerlicherweise pflegte in solchen Fällen zumeist auch die holde Weiblichkeit Reißaus zu nehmen. Joe Doherty hatte sich schließlich damit abgefunden, daß er stets tiefer in die Tasche greifen mußte als andere, wenn er eins von den Hafenmädchen für sich interessieren wollte. Und dann waren es meist auch nur die fetten älteren Weiber, die sich für ihn zu begeistern schienen.

Er hatte bis heute nicht begreifen können, warum die drallen und hübschen jungen Dinger immer einen großen Bogen um ihn schlugen.

Männer wie Charles Stewart brauchten indessen nur ein paar Worte mit Joe Doherty zu wechseln, um zu wissen, daß die Natur ihn unterhalb der Schädeldecke äußerst sparsam ausgestattet hatte. Das bedeutete allerdings nicht, daß dieses Monstrum ein gutmütiger Trottel gewesen wäre, wie man es oft bei Einfaltspinseln erlebt.

Nein, Joe Doherty hatte alle Eigenschaften, die ein Dienstherr vom Schlage Sir Andrews zu schätzen gewußt hatte – gewalttätig bis zur Grausamkeit, rücksichtslos, frei von menschlichen Empfinden jedweder Art und bärenstark.

Über Dohertys Körperkraft gab es die wildesten Gerüchte. Er selbst brüstete sich bisweilen mit einer Geschichte aus Falmouth in Cornwall. Dort, so behauptete er, hätte er bei einem Gauklermarkt einen ausgewachsenen Stier bei den Hörnern gepackt und auf den Rücken geworfen. Wenn Doherty so etwas erzählte, wagte niemand, ihm zu widersprechen, geschweige denn auch nur Zweifel anzumelden.

Die beiden Wachtposten wollten sich verdrücken.

„Einen Moment noch“, sagte Stewart.

Er bückte sich und überzeugte sich, daß die beiden Goldkisten mit unversehrten Schlössern unter der Achterducht standen. Dann erst scheuchte er die beiden Männer mit einer Handbewegung weg.

Von seinem Mißtrauen blieb niemand verschont, auch die nicht, die sich stets als absolut zuverlässig erwiesen hatten. In besonderem Maße galt das jetzt, da er die beiden Kisten hüten mußte wie seinen Augapfel. Nicht zuletzt deshalb hatte er Doherty mit freundlicher Aufmerksamkeit bedacht.

Das Monstrum war der geborene Befehlsempfänger. Doherty konnte nicht leben ohne jemanden, der ihm sagte, was zu tun war.

„Davon hängt meine Zukunft ab“, sagte Stewart und klatschte mit der flachen Hand auf das Kistenholz. „Also auch die Ihre, Mister Doherty. Ich denke, wir beide verstehen uns.“ Stewart kniff bei diesen Worten in kumpelhafter Vertraulichkeit das linke Auge zu.

„Aye, aye, Sir“, sagte Doherty geschmeichelt. Sir Andrew hatte ihn zwar auch ordentlich behandelt, jedenfalls so, wie er es gewohnt war. Aber der Kapitän Stewart redete ihn sogar mit „Mister Doherty“ an und war auch sonst sehr höflich zu ihm. Dies erfüllte Doherty mit besonderem Stolz, vor allem dann, wenn andere es auch mitkriegten.

Stewart richtete sich wieder auf.

„Sie sind jetzt meine Vertrauensperson, Mister Doherty“, sagte er bedeutungsvoll. „Ich weiß, daß ich mich in jeder Beziehung auf Sie verlassen kann. Was ich vorläufig noch nicht weiß, ist, wie wir von dieser lausigen Insel verschwinden werden. Aber das Gold“, er stieß mit dem Stiefelabsatz gegen die Bootsplanken, „wird uns in jedem Fall dabei helfen. Passen Sie gut auf das Gold auf, Mister Doherty. Und auch darauf, daß mir nie jemand in den Rücken fällt oder sonstwie versucht, mich zu überlisten. Bin ich raus aus dem Schlamassel, dann sind Sie es auch. Klar?“

„Aye, aye, Sir“, sagte Doherty abermals, diesmal dröhnend und voller Selbstzufriedenheit.

Die Ehre, Vertrauensperson des Kommandanten sein zu dürfen, ließ ihn noch um einiges breiter werden. Es sah aus, als sei er aufgeblasen worden. Sir Andrews Umgangston ihm gegenüber war von der Art eines Herrn zu seinem Hund gewesen. Gemessen daran fand sich Doherty nun als Vertrauensperson Kapitän Stewarts in seiner Wichtigkeit um ein Vielfaches angehoben.

Für Stewart indessen war der Kerl nichts weiter als ein nützlicher Idiot. Leichter konnte man es gar nicht haben, sich einen persönlichen Leibwächter zuzulegen. Ein paar freundliche Worte genügten, und man konnte den hirnlosen Narren mit dem kleinen Finger in jede nur beliebige Richtung bugsieren. Auf die Idee, daß er nur ausgenutzt wurde, kam Joe Doherty nie im Leben.

Und Charles Stewart hatte seinerseits nicht vor, das Monstrum bis ans Ende seiner Tage mit sich zu schleifen. Hatte man erst einmal wieder England erreicht und sich ein Leben in Wohlstand gesichert, dann würde es Mittel und Wege geben, sich des ungeschlachten Kerls zu entledigen.

Stewart wies ihn an, sich auf die Achterducht der Jolle zu setzen und niemanden an die Goldkisten heranzulassen.

„Sollte es doch einer wagen“, sagte Stewart, „dann …“ Er fuhr mit dem Zeigefinger an der Gurgel entlang.

Joe Doherty lachte glucksend, wobei sein mächtiger Oberkörper regelrecht bebte.

„So einem reiße ich den Kopf ab“, sagte er dumpf.

Stewart war überzeugt, daß Doherty das sogar wörtlich meinte. Er nickte dem Monstrum zu und stiefelte durch den weichen Sand los. Bevor er im Dickicht verschwand, sah er sich noch einmal um.

Doherty hockte auf der Achterducht wie ein Granitblock. Bei ihm war das Gold in der Tat so sicher wie in Abrahams Schoß. Er selbst würde es sich ganz gewiß nicht unter den Nagel reißen, denn er wußte ja nicht einmal, was man damit anfangen konnte.

Der Lagerplatz der „Dragon“-Crew war den Umständen entsprechend gar nicht einmal schlecht. Das mußte Stewart erneut feststellen, als er nach dem kurzen Weg über den sonnendurchglühten Strand die schattige Lichtung erreichte. Die Sonne drang nicht bis hierher vor, die Luft war beinahe als angenehm kühl zu bezeichnen, da eine sanfte Brise durch das Dickicht strich. Im Inneren der Insel mochte es undurchdringlich, stickig und feucht sein. Aber hier in Ufernähe konnten es Menschen noch aushalten.

Stewart hatte nicht vor, die Insel näher zu erkunden. Was interessierte ihn dieses dämliche Eiland! Er mußte weg von hier, und zwar so schnell wie möglich.

Die hochwohlgeborenen Gentlemen, die samt und sonders arg gerupft aussahen, hatten sich abgesondert. Wie immer zogen sie es vor, unter sich zu sein.

Sollen sie, dachte Stewart. Der einzige nach seinem Geschmack war Sir Robert Monk. Mit dem Mann konnte man etwas anfangen, das spürte Stewart instinktiv. Er hatte auch den Eindruck, daß dieser Sir Robert durchaus seiner Adels-Clique den Rücken zuwenden würde, wenn es die Lage erforderte. Aber das war im Augenblick noch Zukunftsmusik.

Die insgesamt etwa achtzig Crewmitglieder der „Dragon“ hockten in der Mitte der Lichtung. Einige von ihnen kauten mißmutig auf Stücken von Kokosnüssen herum, andere schlürften die Milch aus angebohrten Nüssen. Auf die Dauer war das natürlich keine Ernährung für ausgewachsene Männer, darüber war sich Stewart im klaren. Aber wie sollten sie etwas Besseres beschaffen? Sie besaßen ja nicht einmal Schußwaffen, um irgendwelches Viehzeug zu erlegen.

Stewart wollte sich bereits wieder auf seinen ursprünglichen Platz niederlassen, als er eine Gestalt sah, die ihm vom jenseitigen Rand der Lichtung aus zuwinkte. Dort gab es eine Schneise und daran angrenzend eine Nebenlichtung – Zufluchtsort der Burschen von der „Lady Anne“. Verständlich, daß sie sich nicht in die Nähe von Corbett und Tottenham trauten, wobei man den letzteren nach Stewarts Meinung besser auf „Trottelham“ umtaufte.

Die winkende Gestalt war niemand anders als O’Leary, der Bootsmann mit der Holzhackervisage. Unter dem Kommando des alten Killigrew mußte er eine große Nummer gewesen sein. Stewart hatte das daraus gefolgert, daß O’Leary sogar das Recht hatte, die beiden ferkelgesichtigen Söhne des Alten herumzukommandieren. Geblieben war dem vierschrötigen Bootsmann immerhin ein uneingeschränkter Respekt der Crewmitglieder von der „Lady Anne“.

Stewart ging auf ihn zu und ließ sich von ihm beiseite nehmen.

„Die Jungs haben gesagt, ich sollte mal mit Ihnen reden, Sir“, sagte O’Leary und setzte dabei ein vertrauliches Grinsen auf.

„Da haben die Jungs dir einen guten Rat gegeben“, entgegnete Stewart und grinste zurück.

Bei jenen Zukunftsplänen, die ihm allerdings noch nicht genau umrissen vorschwebten, paßten die Killigrew-Leute unter O’Leary besser zu ihm als die Crew der „Dragon“. Diesen Burschen, die für den alten Halunken aus Cornwall durch dick und dünn gegangen waren, brauchte man nicht lange zu erklären, warum man sich beispielsweise zwei Goldkisten unter den Nagel riß. Denen brauchte man auch nicht zu verklaren, warum man sich für die legendäre Schatzbeute des Seewolfs mehr interessierte als dafür, den Mann in England vor Gericht zu stellen.

O’Leary rannte bei Stewart gewissermaßen ein offenes Schott ein.

„Ja, das ist so“, sagte der Bootsmann gedehnt, „wir wissen irgendwie nicht richtig, wo wir hingehören. Dieser Corbett hat uns zwar aus der Vorpiek rausgelassen. Aber wenn wir freiwillig hingehen, läßt das Schwein uns bestimmt in Ketten legen.“

„Damit ist zu rechnen“, sagte Stewart grinsend.

„Aber bei Ihnen wissen wir auch nicht, woher der Wind weht“, fuhr O’Leary fort.

„Warum nicht?“

„Kann man schwer sagen. Die Kerls von der ‚Dragon‘ sind nicht gerade die freundlichsten. Sieht so aus, als wollten sie mit uns nichts zu tun haben.“

„Das entscheiden nicht die Kerls von der ‚Dragon‘, sondern immer noch ich, ihr Kommandant“, entgegnete Stewart. „Und ich meine, daß ihr von der ‚Lady Anne‘ brauchbare Burschen seid, die wissen, wann und wie sie zupacken müssen.“

O’Leary strahlte.

„Dann heißt das …“

„… daß ihr bei mir gut aufgehoben seid“, fiel ihm Stewart ins Wort. „Ihr braucht euch also nicht länger abseits zu halten. Und keine Sorge: Ab sofort steht ihr unter meinem persönlichen Schutz.“

Der Bootsmann blinzelte verblüfft.

„Dann macht es Ihnen gar nichts aus, daß wir mit dem Gold von der ‚Santa Cruz‘ einfach abgehauen sind?“

„Erstens habt ihr einen Befehl ausgeführt, den euch Sir John. Killigrew gegeben hat. Zweitens“, Stewart hieb ihm auf die Schulter und lachte dröhnend, „seien wir doch mal ehrlich! Ich hätte an eurer Stelle nicht anders gehandelt. Zum Teufel, eine ganze Schiffsladung Gold! Da ist man doch nicht so blöd, mit allen Leuten zu teilen.“

O’Learys Verblüffung schlug in ein Grinsen um. Auf einmal begriff er, daß dieser Kapitän aus einem ähnlichen Holz geschnitzt war wie Sir John Killigrew, der alte Schnapphahn von der Feste Arwenack.

Charles Stewart seinerseits hatte indessen längst erkannt, daß die achtundzwanzig Kerle von der „Lady Anne“ besser zu ihm paßten als alle anderen, die hier auf der Insel versammelt waren. Mit solchen Burschen konnte man mitten durch die Hölle segeln und dem Gehörnten höchstpersönlich am Schwanz ziehen.

Aus keinem anderen Grund war Charles Stewart auch seinerzeit in England höchst erfreut gewesen, an der Fahrt in die Karibik teilzunehmen. Insgeheim hatte er von Anfang an nur seine persönliche Bereicherung im Sinn gehabt, wie das bei vielen Kapitänen vor ihm der Fall gewesen war.

Stewart kannte all die Geschichten, die man sich in den englischen und irischen Schänken erzählte. Aber auch aus seinem Dienst bei der britischen Marine wußte er, wie viele Kapitäne Ihrer Majestät, der königlichen Lissy, von einer Kaperfahrt in die Karibik nicht zurückgekehrt waren.

Wie viele spanische Gold- und Silberschiffe hier in der Neuen Welt ausgeplündert wurden, wußte man von den Protestnoten, die der spanische Botschafter ständig bei Hofe vorgebracht hatte. Seine Allerkatholischste Majestät in Madrid geruhten besorgt darüber zu sein, wie oft man ihm etwas von seinem Mammon abzwackte.

Kurzum – Charles Stewart beneidete die Kapitäne, die sich zu einem Piratenleben in Saus und Braus auf einsame Karibik-Inseln zurückgezogen hatten. Wem er das Gold und sonstige Schätze abnahm, ob dem Seewolf oder den Spaniern, das war ihm letzten Endes völlig gleichgültig.

Fest stand jedenfalls, daß er das gesteckte Ziel mit O’Leary und seinen Kerlen am besten erreichte. Diese Burschen mußte man bei Laune halten, solange sie von Nutzen waren.

Kurz entschlossen ließ Stewart die ganze Meute von O’Leary zusammenrufen, und dann führte er sie hinüber zur großen Lichtung.

„Herhören!“ rief er. „Mister O’Leary und die Crew Sir John Killigrews gehören ab sofort zu uns. Ihre Gefangenschaft auf der ‚Orion‘ war unrechtmäßig, denn sie trifft in keiner Beziehung ein Verschulden. Sie haben lediglich Befehle ausgeführt.“

Die Crewmitglieder der „Dragon“ reagierten mit eisigem Schweigen. Nicht ein einziges Wort wechselten sie mit den Killigrew-Strolchen, die sich jetzt ganz in ihrer Nähe niederließen. Stewart übersah es nicht, doch es kratzte ihn herzlich wenig.

Wenn es darauf ankam, wußte er, auf wen er sich verlassen konnte und auf wen nicht. Alles andere war unwichtig, solange sie sich nicht gegenseitig die Schädel einschlugen. Und so etwas würden sie zur Zeit gewiß nicht anfangen, denn mit knurrendem Magen hatte man erfahrungsgemäß andere Gedanken im Kopf als unsinnige Keilereien.

3.

Sir Robert Monk hatte das Geschehen beobachtet und begann, gezielte Überlegungen anzustellen, was die Lage im allgemeinen und ihn persönlich betraf.

Sein Gesicht war verquollen. Er konnte die Schrammen und Platzwunden fühlen, aber er hatte längst aufgegeben, sie immer wieder zu betasten, wie das die anderen taten, die jammernd und wehklagend in seiner Nähe hockten.

Natürlich war den Decksleuten der Kragen geplatzt, als man an Bord der sinkenden „Dragon“ verlangt hatte, bevorzugt zur Insel übergesetzt zu werden. Da hatten diese strohköpfigen Narren eben ihre Fäuste gebraucht und sämtliche Gentlemen kurzerhand über Bord befördert.

Sir Robert hatte seine Schrammen und Beulen allerdings nicht jenem blasierten Verhalten zu verdanken, das die anderen sieben der Clique an den Tag gelegt hatten. Nach dem gescheiterten Enterunternehmen gegen die „Orion“ und während des anschließenden Angriffs des Zweideckers hatte er sich schwimmend den Weg zum rettenden Ufer freikämpfen müssen.

Seine inzwischen getrocknete Kleidung hatte er wieder angezogen. Besonders vor der Sonne mußte man die empfindliche Haut schützen. Darin unterschied sich Sir Robert nicht von den übrigen Gentlemen. Wo man gezwungen war, unbedeckte Haut der Außenluft preiszugeben, schützte man sie tunlichst mit einer Schicht Puder.

Bedauerlicherweise waren nun aber mit der „Dragon“ auch alle persönlichen Sachen der Gentlemen untergegangen, so auch die Vorräte an Puder, die man aus England mit auf die Reise genommen hatte.

Harte Zeiten standen bevor. Ungeschützt würde man widrigen Witterungseinflüssen ausgesetzt sein. Eine Tatsache, die üble Launen hervorrufen würde, unter denen dann wiederum die mehrköpfige Dienerschaft der acht Gentlemen zu leiden hatte.

Keiner von ihnen zeigte allerdings auch nur das geringste Bedauern darüber, daß Sir Henry, Duke of Battingham, nicht mehr unter ihnen weilte. Vermißt wurde er von niemandem, und im Grunde konnte man der rätselhaften Korsarin nur dankbar sein, daß sie diesen Schwachkopf mit seinem ewigen Gekreisch fortgeschafft hatte.

Als Führer des Verbandes, wie ihm das in seinen krankhaften Hirngespinsten vorschwebte, hatte Sir Henry nie eine Rolle gespielt. Denn die Qualitäten dafür fehlten ihm. Wenn man ihn hatte faseln lassen und zum Teil auf seine idiotischen Anweisungen eingegangen war, dann eben nur deshalb, weil er das Karibik-Unternehmen finanziert hatte.

Insofern war er für den verblichenen Sir Andrew und die übrigen Gentlemen nichts weiter als ein Mittel zum Zweck gewesen. Niemand hatte Grund, ihm eine Träne nachzuweinen. Seine Person war in höchstem Maße überflüssig geworden. Überdies war sich in der augenblicklichen desolaten Situation ohnehin jeder selbst der Nächste.

Sir Robert Monk war keineswegs entgangen, wie Charles Stewart begonnen hatte, seine Pläne für die weiteren Schritte in die rechten Bahnen zu leiten. Äußerst clever war es gewesen, die beiden Goldkisten Sir Henrys zu vereinnahmen. Neidlos mußte Sir Robert anerkennen, daß er sich nicht geschickter hätte verhalten können.

Die Crew der „Dragon“ verfügte nur noch über drei Jollen, und eine davon betrachtete Stewart sozusagen als seinen Privatbesitz. Ebenso hatte Sir Robert bemerkt, daß Stewart den hirnlosen Doherty auf seine Seite gezogen hatte und ihn nun als Leibwächter betrachtete.

Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß dieser Stewart in noch größerem Ausmaß Gerissenheit bewies und die Gunst der Stunde zu nutzen verstand – was bedeuten konnte, daß außer ihm und der Killigrew-Meute alle anderen das Nachsehen hatten.

Sir Robert war indessen nicht der Typ, der sich gern in eine aussichtslose Position manövrieren ließ. Meist geschah so etwas aufgrund eigener Untätigkeit. Sir Robert kannte sich selbst schließlich gut genug, und so wußte er auch, worin er sich von der adligen Nichtstuer-Clique unterschied.

Als einziger war er bereit und in der Lage, Belastungen zu ertragen oder sogar bewußt in Kauf zu nehmen, wenn sie durch das angestrebte Ziel gerechtfertigt wurden. Die übrigen Gentlemen konnten sich gerade dazu aufraffen, beim Essen das Besteck zum Mund zu führen. Manchmal fragte sich Sir Robert ernsthaft, warum sie sich nicht auch noch von ihren Dienern füttern ließen.

Er war indessen stolz darauf, daß man ihm den Charakter eines eiskalten Rechners nachsagte. Wobei jene, die ihn kannten, natürlich auch nicht übersahen, daß ein gehöriger Schuß Abenteuerblut in seinen Adern floß.

Zur letzteren Eigenschaft gehörte auch seine Neigung zum Falschspiel. Mit den präparierten Würfeln hatte er Sir Henry während der Fahrt über den Atlantik gehörig geschröpft, und als der Dummkopf ihn schließlich zum Duell gefordert hatte, war es nur aus alkoholseliger Großmäuligkeit geschehen.

Erst einmal wieder nüchtern, hatte Sir Henry natürlich aus Unpäßlichkeit nicht an dem Duell teilnehmen können. Bedauerlicherweise war die Schiffsbesatzung dadurch auch um ein Schauspiel gebracht worden, das Sir Robert ihr gern geboten hätte.

Sir Robert Monk hatte bislang mit keinem darüber gesprochen, warum er sich dem Karibik-Unternehmen angeschlossen hatte. Sein Ziel war von Anfang an gewesen, mit einer fetten Beute nach England zurückzukehren. So hatte er zwar vorgegeben, an der Jagd auf Philip Hasard Killigrew ebenfalls interessiert zu sein. Doch in Wahrheit ging es ihm nur um dessen legendäre Schätze. Was sich davon abzweigen ließ, mußte man auf die elegante Art und Weise zum persönlichen Vorteil auf die Seite schaffen.

Wenn es dann gewissermaßen außer der Reihe noch so eine famose Gelegenheit gab wie die Galeone „Santa Cruz“, dann konnte man gar nicht anders handeln als Sir John Killigrew, der sich mit der Goldladung im Bauch der „Lady Anne“ schleunigst abgesetzt hatte.

Allerdings hatte der alte Killigrew den Fehler begangen, nicht sofort nach England zurückzusegeln. Solche Fehler entstanden eben oft dann, wenn man sich zu sehr dem Alkohol hingab. Sir Robert wußte von sich selbst, daß er stets nüchtern zu denken pflegte – und das in jeder Beziehung.

Auch in der augenblicklichen Situation verschwendete er seine Gedanken weniger auf die Frage, wie man es am besten anstellte, am Leben zu bleiben. Viel wichtiger erschien ihm, über die „Lady Anne“ und ihre Ladung nachzudenken. So wartete er geduldig ab, bis sich eine erste Gelegenheit ergab, Sondierungsgespräche zu führen. Dies war der Fall, als Charles Stewart die träge Runde auf der Lichtung verließ, um noch einmal nach seinen Goldkisten zu sehen.

Sir Robert erhob sich und tat, als recke er sich voller Behagen. Scheinbar planlos stelzte er ein paar Schritte hin und her und erweiterte schließlich seinen Bewegungsbereich, bis er wie zufällig in die Nähe von O’Leary schlenderte.

Sir Robert blieb stutzend stehen, als erinnere er sich unvermittelt an den Mann.

„Begleiten Sie mich ein Stück?“ sagte er höflich. „Ich möchte mir ein bißchen die Beine vertreten, aber nicht schutzlos der Wildnis preisgegeben sein.“

„Warum nehmen Sie nicht Ihren Diener mit?“ entgegnete O’Leary grinsend, und die anderen lachten rauh.

Sir Robert ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

„Ein Diener als Leibwächter?“ entgegnete er und lächelte dabei. Zufrieden bemerkte er, daß seine Worte den Stolz der rauhbeinigen Kerle wachkitzelten. Natürlich fühlten sie sich geschmeichelt, wenn man zu erkennen gab, daß man ihre besonderen – und wahrscheinlich einzigen – Fähigkeiten zu schätzen wußte. Das galt auch für O’Leary. „Also gut“, sagte er brummend. „Kann nicht schaden, sich ein bißchen zu bewegen – noch dazu in so erlauchter Gesellschaft.“ Er blickte beifallheischend in die Runde, und prompt lachte die Killigrew-Meute denn auch wiehernd los.

Wenig später erreichten sie die Nebenlichtung, und O’Leary blieb stehen.

„Sie haben doch etwas im Sinn“, sagte er rundheraus. „Daß Sie eine so ängstliche Natur sind, können Sie mir nicht erzählen, Sir Robert.“

„Danke für das Kompliment.“ Monk lächelte wieder und deutete eine Verbeugung an. „Sie haben es erfaßt, Mister, O’Leary. Mir geht es um ein Gespräch unter vier Augen.“

Der Bootsmann zog die Schultern hoch.

„Wüßte nicht, was ich Ihnen zu erzählen hätte.“

„Wir müssen an unsere Zukunft denken, Mister O’Leary. Jeder von uns hat sicher andere persönliche Interessen. Im Augenblick aber sitzen wir alle in einem Boot.“

„Hoffentlich tun wir’s bald“, sagte O’Leary knurrend, „damit wir bald weg sind von dieser verdammten Insel.“

„Nur, um auf eine andere Insel zu gelangen?“ Sir Robert schüttelte den Kopf. „Nein, damit können wir uns nicht begnügen. Mit der Zukunft meine ich auch das, was uns erwartet, wenn wir nach Hause zurückkehren. Was wollen Sie denn Ihren Freunden erzählen, Mister O’Leary, wenn die sagen: ‚Was? Du warst in der Neuen Welt, wo man Gold und Silber fast von den Bäumen pflücken kann, und du kehrst mit leeren Händen zurück? Wahrscheinlich warst du gar nicht da. Bestimmt flunkerst du uns was vor.‘ Habe ich recht? Mit solchen Fragen müssen Sie rechnen, Mister O’Leary.“

Der Bootsmann blickte sein Gegenüber betroffen an. Daß Sir Robert nichts anderes bezweckte, als seine schlummernde Gier ans Tageslicht zu holen, ging ihm nicht auf. Denn der Falschspieler traf genau den richtigen Ton. O’Leary konnte sich regelrecht bildlich vorstellen, wie er den Kerlen in der Schenke gegenübersaß und sie sich über ihn amüsierten. Verdammt, ja, es würde schon ein großer Mist sein, mit nichts als leeren Händen aus der Karibik heimzukehren.

„Stimmt haargenau.“ Er senkte den Kopf. „Aber im Moment geht’s doch wohl ums Überleben, Sir Robert. Wie stellen Sie sich das vor mit dem Mammon? Soll ich mit bloßen Händen eine spanische Galeone angreifen? Oder“, ein Lauern trat in seine Augen, „erwarten Sie etwa, daß ich diesem Stewart die beiden Goldkisten abnehme?“

Sir Robert Monk winkte entrüstet ab. So etwas hatte er nun wiederum nicht bezweckt.

„Nicht doch, Mister O’Leary. Die beiden Kisten hat sich Mister Stewart sehr redlich angeeignet. Seien sie ihm also gegönnt. Außerdem ist es doch nichts gegen das, was man wirklich an Land ziehen könnte. Ich denke da ganz besonders an die Ladung der ‚Lady Anne‘.“

Der Bootsmann riß die Augen weit auf.

„Die ist futsch, Sir Robert. Da ist nichts mehr zu machen.“

„Das würde ich nicht unbedingt sagen. Wenn ich einen Weg finden würde, um die ‚Lady Anne‘ doch noch zu erwischen – würden Sie mich unterstützen?“

„Darauf können Sie Gift nehmen“, erwiderte O’Leary begeistert.

„Na fein. Dann tun Sie mir einen Gefallen und schildern Sie mir genau, was sich ereignet hat, als Sie diesen englischen Piraten und dem schwarzhaarigen Teufelsweib in die Hände fielen.“

O’Leary nickte grimmig. In der Erinnerung an das Geschehen trat ein seltsames Leuchten in seine Augen.

„Das ist vielleicht ein Weib“, sagte er heiser. „Mann, die würde ich mir gern noch mal genauer ansehen und …“ Er hielt inne und schüttelte den Kopf, als sei ihm bewußt geworden, daß der kumpelhafte Ton unpassend war. „Verzeihung, Sir. Sollte sich nicht so anhören, als ob ich Sie für meinesgleichen halte.“

Sir Robert winkte gönnerhaft ab.

„Schon gut, Mister O’Leary. Wenn wir unter uns sind, brauchen Sie kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Also fangen Sie an. Die ganze Crew der ‚Lady Anne‘ stand wohl ziemlich unter Alkohol, wenn ich richtig gehört habe.“

„Kann man wohl sagen“, erwiderte O’Leary und grinste. Dann begann er zu berichten, wie man vor Anker gegangen wäre in der Hoffnung, „nackte Indianerweiber“ aufzustöbern. Das nackte Weib, das man dann prompt in einer Lagune entdeckt hätte, wäre natürlich keine Indianerin, sondern die verdammte Piratin gewesen. Und wenn man nicht zu tief in die Humpen geschaut hätte, wäre man in eine solche Falle natürlich nicht getappt. Aber so hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen, und die gesamte Mannschaft einschließlich Sir John Killigrew wäre von dem Seewolf und der Korsarin gefangengenommen worden.

Umständlich begann O’Leary zu beschreiben, was zu dem Duell zwischen Sir Andrew und Philip Hasard Killigrew geführt und dann ein so verrücktes Ende genommen hatte.

Sir Robert winkte jedoch ab.

„Diese Einzelheiten sind für uns nicht so wichtig. Viel wichtiger ist etwas anderes: In welche Richtung haben sich die Piraten gewandt, von denen die ‚Lady Anne‘ übernommen wurde?“

O’Leary zögerte. Er begriff sehr wohl, daß dies der springende Punkt war. Was, wenn man diesem aalglatten Sir nun doch nicht trauen konnte? Wenn er doch mit seiner Clique unter einer Decke steckte und auch in diesem Fall ein falsches Spiel im Sinn hatte?

Sir Robert spürte, welche Bedenken dem Bootsmann durch den Kopf gingen.

„Wir müssen uns gegenseitig klaren Wein einschenken“, sagte er daher. „Ich kann verstehen, daß Sie daran nicht so recht glauben wollen, Mister O’Leary. Deshalb erkläre ich es ganz deutlich: Wir sollten gemeinsam versuchen, die ‚Lady Anne‘ aufzuspüren und die Goldbeute zurückzuerobern. Natürlich werden wir das Gold nicht der Krone übereignen, sondern unter uns aufteilen. Genauso, wie das Sir John vorgehabt hat.“

O’Leary begann zu grinsen. Eben dies war genau nach seinem Geschmack.

„Wenn das so ist“, sagte er gedehnt, „sind wir uns natürlich einig, Sir Robert. Also, ich habe leider nur gesehen, wie die ‚Lady Anne‘ mit einem Teil von diesen Halunken losgesegelt ist.“ Umständlich begann er zu beschreiben, wie die Karavelle nach Südosten gesegelt sei und damit einen Kurs entlang der Atlantikseite der Bahama-Inseln aufgenommen habe. O’Leary hatte indessen nur eine ungefähre Vorstellung von den Bahamas. Das Kartenmaterial, über das Sir John Killigrew verfügt hatte, war alles andere als das Beste gewesen, was es derzeit für Navigationszwecke in der Karibik gab.

„Ihr Bericht gibt Anlaß zur Hoffnung“, sagte Sir Robert im Tonfall eines Schulmeisters, der einen besonders willigen Zögling lobt. „Ich kann also davon ausgehen, daß Sie und Ihre Crew mit von der Partie wären, wenn wir die erforderliche Ausrüstung zusammenhaben?“

„Klar doch“, sagte O’Leary großspurig. „Wir sind alle dabei. Das Wichtigste, was wir brauchen, wären wohl Waffen, denke ich.“

„Womit Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben“, erwiderte Sir Robert. „Ich möchte Sie allerdings bitten, über unser Gespräch vorerst Stillschweigen zu bewahren. Wir müssen Unruhe vermeiden. Denken Sie an die Crew der ‚Dragon‘.“

O’Leary nickte eifrig. Er genoß es, so vollständig ins Vertrauen gezogen zu werden. Dieser Monk war schon ein raffinierter Bursche. Wenn es einer schaffte, die ‚Lady Anne‘ zurückzuholen, dann vermutlich er. Denn mit dem alten Killigrew konnte man wohl kaum mehr rechnen.

4.

Als er mit dem Bootsmann zur großen Lichtung zurückkehrte, stellte Sir Robert Monk fest, daß Charles Stewart von seinem Kontrollgang offenbar noch nicht zurückgekehrt war. Die Stimmung in seiner Crew schien ihn nicht im mindesten zu interessieren.

Vor sich hin lächelnd ging Sir Robert auf den Trampelpfad zu, der zum Strand führte. Wenige Minuten später erreichte er das offene Sandgelände. Die Sonnenglut traf ihn mit der Wucht eines Hiebes. Augenblicklich spürte er, wie die Schweißperlen auf seiner Stirn hervorzutreten begannen. Am liebsten wäre er sofort wieder ins Dickicht geflüchtet, wo er immerhin vor den sengenden Sonnenstrahlen geschützt war.

Aber das Ziel, das er ins Auge gefaßt hatte, ließ ihn durchhalten.

Er sah, daß Stewart mit seinem einfältigen Leibwächter palaverte. Wahrscheinlich erhielt das Monstrum neue Verhaltensmaßregeln. Die Sorge um die beiden Goldkisten schien das einzige zu sein, was bei dem ehemaligen Kommandanten der „Dragon“ eine Rolle spielte.

Sir Robert blieb am Rand des Dickichts stehen und mußte grinsen. Er brauchte sich nur zu bemühen, Stewarts Denkweise in Sachen Gold auf größere Ziele zu richten. Die beiden läppischen Kisten schienen für ihn alles zu sein, was er jemals ersehnt hatte.

Sir Robert gab sich wie ein ausruhender Spaziergänger, der den idyllischen Blick auf die Bucht bewundert. Er zwang sich zur Zurückhaltung. Bei Leuten vom Schlage Stewarts durfte man nicht mit der Tür ins Haus fallen. Das erweckte meistens ihr Mißtrauen. Eher sachlich und beinahe gelangweilt mußte man sie dazu bringen, von sich aus Interesse zu entwickeln.

Stewart bemerkte ihn schließlich, ließ seinen Leibwächter allein und stapfte auf den Falschspieler zu.

„Was treibt Sie in die Sonne, Sir Robert?“ fragte er stirnrunzelnd.

„Nachdenklichkeit“, erwiderte Monk einsilbig.

„Zukunftssorgen?“ Stewart grinste breit. „Keine Angst. Als Schiffbrüchige stehen wir gar nicht mal so schlecht da.“

„Mit den drei Jollen? Seien Sie ehrlich, Mister Stewart, es könnte besser sein. Das Beispiel haben wir schließlich vor Augen.“ Sir Robert deutete in die Richtung, in der sie beide die andere Gruppe unter Tottenham und Corbett wußten.

Stewart war geneigt, aufzubrausen. Ein versteckter Vorwurf lag in den Worten Sir Roberts. Er, Stewart, hatte sich nur um die beiden Goldkisten gekümmert, als die „Dragon“ gesunken war. Der Crew Anweisungen für sinnvolle Bergungsmaßnahmen zu geben, war ihm nicht eingefallen.

„Bei Corbett lagen die Dinge anders“, sagte Stewart pikiert. Er zwang sich, seinen aufkeimenden Groll herunterzuschlucken. „Die hatten nicht vorher so ein Theater mit ihren Jollen erlebt, wie es bei uns der Fall war.“

„Nennen Sie das Kind ruhig beim Namen“, entgegnete Sir Robert. „Der mißglückte Enterversuch hat uns ins Hintertreffen gebracht. Aber das muß nicht so bleiben, und Sie verstehen mich völlig falsch, Mister Stewart, wenn Sie denken, ich würde Ihnen etwas vorwerfen.“

„Was dann?“ Charles Stewart zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Was meinen Sie damit, es müsse nicht so bleiben?“

Sir Robert lächelte mild.

„Ich stehe nicht zufällig hier und lasse mir die Sonne auf den Pelz brennen. Das, was ich mit Ihnen zu besprechen habe, möchte ich nicht an die große Glocken hängen.“

Stewarts Staunen wich erkennbarer Spannung.

„Hören Sie auf mit der Geheimniskrämerei“, forderte er heiser. „Reden Sie bitte so, daß es ein normaler Mensch wie ich verstehen kann.“

„Aber gern. Es handelt sich um die ‚Lady Anne‘ und ihre Ladung. Beides brauchen wir noch lange nicht abzuschreiben.“

„So? Und warum nicht?“ Stewarts Spannung schlug in Skepsis um.

„Weil ich Anhaltspunkte über den Kurs habe. Wir können die ‚Lady Anne‘ verfolgen und kapern.“

„Sie spinnen“, sagte Stewart respektlos und im Brustton der Überzeugung.

Sir Robert schluckte es, ohne mit der Wimper zu zucken. In einer Ausnahmesituation galten eben außergewöhnliche Regeln. Wenn er sich mit Männern wie Stewart oder O’Leary verbündete, dann mußte er auch deren rüpelhaftes Benehmen erdulden. Monk hatte in dieser Beziehung wesentlich mehr Weitblick als die übrigen Gentlemen aus seiner Clique.

„Ich spinne keineswegs“, widersprach er höflich. „Was wir brauchen, sind lediglich zwei Jollen und eine kleine, aber schlagkräftige Truppe. Damit setzen wir uns möglichst noch in dieser Nacht von der Insel ab und segeln nach Südosten. In diese Richtung ist nämlich die ‚Lady Anne‘ verschwunden. O’Leary, der Bootsmann des alten Killigrew, hat das beobachtet. Man kann daraus immerhin folgern, daß sich der Schlupfwinkel des Killigrew-Bastards und seiner Meute irgendwo südöstlich der Bahama-Inseln befinden muß. Wenn Sie kein Wagnis auf sich nehmen wollen – bitte. Ich für meinen Teil habe jedenfalls nicht vor, hier auf der Insel zu versauern.“ Charles Stewart blinzelte ungläubig. Was der sehr ehrenwerte Sir Robert da von sich gab, klang nach äußerster Entschlossenheit. Bereits bei dem gescheiterten Enterunternehmen hatte er immerhin bewiesen, daß er in der Lage war, bei einer Sache mit anzupacken – ganz im Gegensatz zu den übrigen Hochwohlgeborenen.

Stewart gab sich einen Ruck. Es konnte also von Vorteil sein, die Andeutung Monks ernst zu nehmen.

„Angenommen, wir würden es schaffen, die ‚Lady Anne‘ aufzuspüren“, sagte er, „dann brauchen wir auf jeden Fall Schußwaffen. Wir haben zwar einige, aber es fehlt uns das Pulver dafür. Mit Blankwaffen eine Crew des Killigrew-Bastards anzugehen, ist viel zu riskant. Das sage ich Ihnen klipp und klar, auch wenn Sie mich für einen Feigling halten.“

„Um Himmels willen, nein! Sie haben völlig recht, Mister Stewart.“ Abermals deutete Monk zum Lager der „Orion“-Crew. „Wissen Sie, daß die da drüben ziemlich viele Pulverfässer abgeborgen haben? Nun gibt es drei Möglichkeiten: Entweder rücken die Burschen freiwillig ein paar Fässer heraus, oder wir holen sie uns mit Gewalt, oder wir bezahlen sie.“

„Bezahlen?“ Stewart schüttelte fassungslos den Kopf. „Womit denn?“

„Ganz einfach. Mit einem von den Goldbarren aus den beiden Kisten.“

„Was?“ Stewart schnappte nach Luft. „Ist das Ihr Ernst? Das Gold gehört mir. Ich denke nicht daran, es für irgendwas anderes …“

„Denken Sie lieber nach“, fiel ihm Sir Robert ins Wort. „In der augenblicklichen Lage ist das Gold so wertlos wie der Sand, auf dem wir stehen. Was wollen Sie denn damit anfangen? Wie können Sie überhaupt sicher sein, das Gold jemals an einen Ort zu bringen, wo es Ihnen von Nutzen ist? Fest steht doch, daß wir auf Pulver nicht verzichten können. Und Sie wissen ganz genau, daß die beiden anderen Möglichkeiten ausscheiden. Freiwillig rücken Tottenham und Corbett das Pulver nie heraus. Mit Gewalt werden wir es uns nicht holen können, weil die Kerle in der Übermacht sind. Also?“ Charles Stewart dachte eine Weile nach.

„Ich bin einverstanden“, sagte er schließlich. „Gehen wir erst mal rüber, und verhandeln wir mit ihnen.“

Der Lagerplatz der „Orion“-Crew befand sich in einer Schneise, die vom Strand aus weit in das Dickicht reichte.

Das Kreischen von Sägeblättern übertönte den Lärm, den die Tierwelt landeinwärts, im Dschungel verursachte. Auch Hammerschläge waren jetzt häufiger zu hören. Die Tauchergruppe, die mittlerweile beim Wrack der „Orion“ im Einsatz war, hatte neben anderen Materialien auch Nägel geborgen. Nein, es mangelte an nichts, was man für den Bau eines soliden Lagers brauchte.

Marc Corbett hatte den Männern beim Kochfeuer einen kurzen Kontrollbesuch abgestattet und unternahm jetzt einen Rundgang durch das weiträumige Gelände, auf dem die Wände der einzelnen Hütten in die Höhe zu wachsen begannen. Auf Pläne hatte man verzichtet. Gemeinsam mit Sir Edward Tottenham und dem Schiffszimmermann hatte Corbett lediglich die Plätze bestimmt, an denen die Hütten stehen sollten.

Für den eigentlichen Bau war der Schiffszimmermann verantwortlich. Er hatte den Männern die erforderlichen Instruktionen gegeben und ihnen verklart, nach welchem Muster die kleinen Holzgebäude aus soliden Baumstämmen errichtet werden sollten.

Lächelnd verharrte Corbett einen Moment, als er den Kapitän der „Orion“ erblickte. Sir Edward arbeitete in der Gruppe des Schiffszimmermanns mit. Er war damit beschäftigt, aus Tauwerk Faserstränge abzuteilen, mit denen die Baumstämme verzurrt werden sollten. Es war wichtig, daß die Hütten eine hohe Stabilität hatten. Denn vom Hörensagen wußte man, wie verheerend die Stürme in diesem Teil der Neuen Welt sein sollten.

Sir Edward hatte darauf bestanden, sich selbst für eine der Arbeitsgruppen einzuteilen. Er hatte dem Ersten Offizier die Aufsicht abgetreten, denn er selbst wollte, wie er Corbett vertraulich gesagt hatte, durch ordentliches Zupacken einen klaren Kopf gewinnen. Auch die übrigen Offiziere waren Tottenhams Beispiel gefolgt. So gab es praktisch niemanden, der etwa daran gedacht hätte, sich in den Schatten zu legen und zu faulenzen.

Auch über das weitere Vorgehen war sich Marc Corbett mit Sir Edward einig. Zunächst einmal sollten die Hütten fertig werden. Erst dann würde man darangehen, die im Süden und im Südosten gelegenen Inseln zu erkunden. So hatte es ihnen auch die rassige Frau auf dem Zweidecker geraten. Übereinstimmend waren die Männer zu der Erkenntnis gelangt, daß dieser Rat wirklich fundiert und keineswegs nur dahergeredet war.

Unvermittelt näherten sich eilige Schritte. Corbett hörte sie trotz des Lärms der Bautätigkeit und wandte sich um.

Einer der Männer vom Kochfeuer nahm vor dem Ersten Offizier Haltung an. Corbett forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zu reden.

„Sir, der Posten schickt mich. Ich soll Ihnen mitteilen, daß Sir Robert Monk und Kapitän Stewart unseren Kommandanten zu sprechen wünschen.“

Einen Atemzug lang war Corbett verblüfft. Dann aber sagte er sich, daß er im Grunde mit etwas Derartigem gerechnet hatte. Ja, er hatte geahnt, daß vom Lager der „Dragon“-Crew und der Killigrew-Horde irgendwann Verdruß ausgehen würde. Deshalb hatte er auch den Posten am Rand des eigenen Lagerplatzes aufgestellt. Die Vorsichtsmaßnahme war auf jeden Fall berechtigt.

Daß sich Monk und Stewart formell anmeldeten, besagte nichts. Es konnte ohne weiteres sein, daß hinter ihnen schon die Strolche lauerten, die mit Säbeln und Messern zum Angriff gerüstet waren. Aber das würden sie bestenfalls bei Nacht riskieren. Selbst dann hatten sie kaum eine Chance, da sie zahlenmäßig unterlegen waren.

Sie würden es also mit Tricks versuchen.

Deshalb mußte man auch diesem Sir Robert und dem anderen Kerl mißtrauen, der in Corbetts Augen längst kein Kapitän mehr war.

„Ich verständige Sir Edward“, entgegnete der Erste Offizier. „Sagen Sie dem Posten, die Gentlemen mögen dort warten.“

„Aye, aye, Sir.“ Der Mann salutierte und wandte sich um.

Nachdenklich ging Corbett unterdessen auf die Arbeitsstelle von Sir Edward zu. Wie richtig es war, die Hütten zu bauen, bestätigte sich für ihn schon jetzt. Daß die Kerle um Stewart und Monk etwas im Schilde führten, war mehr als nur eine Ahnung. Bevorstehende Schwierigkeiten lagen für Corbett buchstäblich in der Luft.

So schlug er denn zwei Fliegen mit einer Klappe – wie beabsichtigt: Die Hütten schützten die Crew vor Sturm und Regen. Aber wesentlich wichtiger war der Schutz der wertvollen Ausrüstungsgegenstände vor Langfingern vom anderen Lager.

Für Marc Corbett gab es nichts mehr daran zu deuteln: Kapitän Charles Stewart hatte sich als verantwortungsloser Mensch und vor allem als krasser Egoist entpuppt. Mit seinem nächtlichen Enterangriff auf die „Orion“ hatte er bewiesen, als was er einzuschätzen war, nämlich als charakterloser Lump. Als Offizier der Marine Ihrer Majestät, Königin Elisabeth I., war er nicht mehr anzusprechen. Ja, mit seiner unglaublichen Verhaltensweise hatte er sich selbst außerhalb des Offizierskorps gestellt.

Sir Edward hob den Kopf, als er Corbetts gewahr wurde. Der Erste Offizier trat ohne Zögern auf ihn zu. Es war also klar, daß es sich nicht um ein vertrauliches Gespräch handeln würde. Nach Corbetts Meinung konnten die Männer ruhig hören, um was es ging.

„Erfreuliche Neuigkeiten scheinen Sie nicht zu haben“, sagte Tottenham nach einem kurzen Blick auf Corbetts ärgerliche Miene.

„In der Tat nicht“, erwiderte der Erste. „Sir Robert und Charles Stewart möchten Sie sprechen, Sir. Der Posten, den ich am Rand des Lagers aufgestellt habe, konnte die beiden zum Glück abfangen. Wahrscheinlich hätten sie sonst erst einmal ausgiebig herumgeschnüffelt, ehe wir sie überhaupt bemerkt hätten.“

Sir Edward nickte. Seine Miene hatte sich verdüstert.

„Ich werde mit diesen Männern nicht reden“, sagte er entschlossen. „Beide haben versucht, die ‚Orion‘ anzugreifen und zu entern. Wenn ihnen in den Wirren des Geschehens nicht die Flucht gelungen wäre, lägen sie jetzt in Ketten. Nein, mit Männern dieses Schlages spreche ich nicht.“

„Aye, aye, Sir“, entgegnete Marc Corbett, und es klang regelrecht begeistert. Dies war ein Kapitän nach seinem Geschmack. Die Wandlung, die sich mit Sir Edward vollzogen hatte, wurde wirklich von Stunde zu Stunde deutlicher.

„Fertigen Sie die beiden ab, Mister Corbett“, fügte Tottenham hinzu. „Jagen Sie die Kerle von mir aus weg. Aber sorgen Sie dafür, daß sie ihren Fuß nicht in unser Lager setzen. Ich bevollmächtige Sie, das in dieser Deutlichkeit zu sagen.“

„Aye, aye, Sir“, sagte Corbett noch einmal, noch freudiger.

5.

Die beiden Besucher sahen einigermaßen gerupft aus. Doch gemessen an dem, was sie sich geleistet hatten, waren sie im Grunde glimpflich davongekommen.

Corbett erspähte sie schon von weitem. Sie standen am Rand des Dickichts unter dem schattenspendenden Blattwerk einer etwas mehr als mannshoch wachsenden Palmenart. Der Posten, mit Muskete, Pistole und Entersäbel bewaffnet, hatte sich weisungsgemäß vor ihnen aufgebaut und den Weg versperrt. Weder Monk noch Stewart hatten gewagt, den Mann einfach beiseite zu stoßen.

Der Erste Offizier der „Orion“ wußte, daß er sich mit aller Macht beherrschen mußte. Angesichts der beiden Kerle begann die Wut in ihm aufzusteigen. Hölle und Teufel, es war schon eine Unverschämtheit, daß sie wagten, hier aufzutauchen! Normalerweise hätten sie nicht einmal verdient, überhaupt noch am Leben zu sein.

Aus einem Impuls heraus winkte Corbett den Männern beim Kochfeuer zu. Mit einer Handbewegung gebot er ihnen, Musketen mitzunehmen und ihm zu folgen. Was Monk und Stewart im Schilde führten, konnte man nie wissen. Mit einer Teufelei mußte man bei ihnen immer rechnen. Der Enterversuch hatte das deutlich genug bewiesen.

Wenige Minuten später trat Marc Corbett den beiden Halunken entgegen. Ja, Halunken waren sie in seinen Augen, nichts anderes.

Der Posten, der sie aufgehalten hatte, zog sich zu den anderen Männern zurück, die hinter dem Ersten Offizier Aufstellung genommen hatten.

Charles Stewart starrte den Ersten aus schmalen Augen an.

„Wir hatten darum gebeten, mit dem Kapitän der ‚Orion‘ zu sprechen“, sagte er bissig.

„Sie werden mit mir vorliebnehmen müssen“, entgegnete Corbett eisig. „Sir Edward Tottenham lehnt es ab, Sie zu empfangen. Er hat mich beauftragt, Sie abzufertigen. Also, was wollen Sie?“ Mit Absicht legte Corbett äußerste Geringschätzung in seine Worte. Diese Schurken sollten von Anfang an spüren, was er von ihnen hielt.

Stewart lief krebsrot an.

„Was nehmen Sie sich heraus, Mann?“ rief er wütend. „Tottenham hat Sie bestimmt nicht beauftragt, in diesem Ton mit uns zu …“

Sir Robert brachte ihn zum Schweigen, indem er ihm sanft, aber bestimmt die Hand auf den Unterarm legte.

„Wir haben keinen Grund, uns gegenseitig Unfreundlichkeiten an den Kopf zu werfen“, sagte er versöhnlich. „Nicht wahr, Mister Corbett?“

Der Erste Offizier lächelte kalt.

„Wenn es nach Sir Edward ginge, wäre ein Tritt in den Hintern die angemessene Antwort, Gentlemen.“