Sehnsucht fliegt im Abendwind - Gudrun Leyendecker - E-Book

Sehnsucht fliegt im Abendwind E-Book

Gudrun Leyendecker

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Beschreibung

In Sankt Augustine freut sich Frau Rossini auf einen neuen Gast. Die Malerin Aureli wird sich für einige Wochen im Schloss aufhalten, um alte Bilder zu restaurieren. Doch die Leute im Ort erzählen von düsteren Geheimnissen, die das Leben der jungen Frau umranken. Ein Verdacht scheint sich zu erhärten, als sich herausstellt, dass Aurelis siebenjähriger Sohn kein Wort spricht. Hat sie etwas mit dem Verschwinden von Mr. Clarke zu tun?

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Inhaltsangabe:

In Sankt Augustine freut sich Frau Rossini auf einen neuen Gast. Die Malerin Aureli wird sich für einige Wochen im Schloss aufhalten, um alte Bilder zu restaurieren. Doch die Leute im Ort erzählen von düsteren Geheimnissen, die das Leben der jungen Frau umranken. Ein Verdacht scheint sich zu erhärten, als sich herausstellt, dass Aurelis siebenjähriger Sohn kein Wort spricht. Hat sie etwas mit dem Verschwinden von Mr. Clarke zu tun?

Gudrun Leyendecker ist seit 1995 Buchautorin. Sie wurde 1948 in Bonn geboren.

Siehe Wikipedia.

Sie veröffentlichte bisher über 70 Bücher, unter anderem Sachbücher, Kriminalromane, Liebesromane, und Satire. Leyendecker schreibt auch als Ghostwriterin für namhafte Regisseure. Sie ist Mitglied in schriftstellerischen Verbänden und in einem italienischen Kulturverein. Erfahrungen für ihre Tätigkeit sammelte sie auch in ihrer Jahrzehntelangen Tätigkeit als Lebensberaterin.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 1

In der Küche des Schlosses von Sankt Augustine herrschte Hochbetrieb. Feiner Duft von frischem Backwerk zog durch den großen Raum. Während die junge Haushälterin Carla eine große Kugel aus Teig rollte und knetete, schob die Schlossherrin Adelaide Rossini ein Blech mit ausgestochenen Plätzchen vorsichtig in den großen Backofen. Der Koch Roberto formte mit zwei Fingern Gnocchi auf einer großen Platte, und Gianni zerkleinerte verschiedene Gewürze für ein Pesto.

Als Adelaide die Backofentür geschlossen hatte, wandte sie sich an Carla. „Über wen hast du dich denn so geärgert, dass du den armen Teig so heftig bearbeiten musst?“

Ein schiefes Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht der jungen Frau. „Es geht um unseren neuen Gast, um Aureli, die vermutlich eine ganze Weile hier bei uns wohnen wird.“

„Das wird sie wohl. Was hat sie dir getan, Liebes?“

„Getan? Nichts, aber entweder ist sie unhöflich, oder sie hat Kummer und steckt tief in Gedanken drin, denn sie hat sich bei mir nicht einmal bedankt, als ich ihr und ihrem Sohn die Koffer in die kleine Ferienwohnung getragen habe.“

„Dann haben wir wohl wieder mal eine Diva im Schloss“, vermutete Gianni.

„Eher nicht“, antwortete Carla und walkte den Teig. „Ihre Klamotten sind nicht hochmodern, und auch die Koffer sahen einfach und bescheiden aus. Hat sie dir denn nichts Näheres erzählt?“ wandte sich die junge Frau an die Schlossherrin.

„Wir haben bisher nur über die Arbeit gesprochen und nicht über Aurelis Privatleben. Sie hat gerade in Bayern die Bilder einer Barockkirche restauriert. Und die Arbeit bei uns hat sie auch nur angenommen, weil ihr Sohn seit ein paar Wochen nicht mehr spricht und deswegen keine Schule besucht. Er wird hier zu Maria gehen und eine Therapie machen.“

„Dann wundert mich aber jetzt gar nichts mehr“, fand Gianni. „Wenn sie ein Kind hat, dass nicht mehr sprechen will, dann kann man schon in Sorge sein und seine Manieren vergessen. Und du warst gar nicht neugierig, Adelaide? Hast du sie nicht nach den näheren Umständen gefragt?“

Adelaide sah nach den Plätzchen. „Die sind gleich schon wieder fertig. Hast du schon Nachschub für mich Carla?“

Die junge Frau schüttelte den Kopf. „Nein. Du kannst noch eine Kaffeepause machen.“

Die Schlossherrin wandte sich an Gianni. „Entschuldige! Ich musste mich gerade um das Backwerk kümmern. Wir haben nicht lange miteinander telefoniert, Aureli und ich. Ich wollte auch nicht neugierig sein. Ich dachte, sie wird es mir schon selbst erzählen, denn hier gibt es sicher die eine oder andere Möglichkeit zum Reden.“

Roberto gab die Gnocchi ins heiße Wasser und wusch sich die Hände. „Auf jeden Fall könnten wir den Jungen bei uns in der Küche ein bisschen beschäftigen. Vielleicht hat er Spaß daran, mit uns zu backen und zu kochen. Diese Tätigkeiten sind auch eine Art von Therapie.“

„Ich werde das der jungen Frau auf jeden Fall vorschlagen“, stimmte Adelaide zu. „Ich habe hier auch eine kleine Liste mit Speisen, die unsere beiden neuen Gäste gern essen. Natürlich findest du darunter auch Pizza und alle Arten von Pasta. Es ist auch wichtig, dass es dem Jungen hier schmeckt.“

„Es ist wirklich schwierig, dass diese Frau so zugeknöpft wirkt“, fand Carla und rollte den Teig aus. „Wir könnten uns doch sonst allerlei nette Dinge für Mutter und Sohn ausdenken, um ihnen eine Freude zu machen und dem Jungen zu helfen.“

„Was macht denn der Junge hier, wenn er keine Schule hat?“ erkundigte sich Gianni. „Vielleicht sollte mit ihm jemand in seinen Schulbüchern lesen. Da könnte doch Abigail mit ihm etwas arbeiten. Unsere Schlossjournalistin hat doch gerade Zeit, während ihr Mann in Italien ist. Ich erinnere mich noch gut daran, dass sie neulich auch die Kinder unserer Gäste hier unterrichtet hat, als sie hier mit Masern in Quarantäne waren.“

Carla nickte eifrig. „Ja, das hat sie prima gemacht, obwohl die Kinder erst gar nichts von Schule und Schularbeiten wissen wollten. Aber dann hat sie die Kinder auf so amüsante Weise unterrichtet, dass es ihnen am Ende einen mächtigen Spaß gemacht hat.“

„Ich werde Abigail gleich einmal fragen, ob sie Zeit und Lust hat, sich etwas um Marc zu kümmern“, entschied Adelaide. „Aber jetzt werde ich dir erst einmal helfen und Plätzchen ausstechen.“

Sie nahm sich eine kleine Sternform und drückte sie der Reihe nach nebeneinander und untereinander auf den ausgerollten Teig.

„Und ich werde mich doch noch einmal um Aureli kümmern“, versprach die junge Haushälterin. „Wir werden herausfinden, wo sie der Schuh drückt.“

Kapitel 2

Die Schlossherrin durchquerte den langen Gang zum Westflügel und blieb an der Tür des kleinen Appartements stehen.

Sie klopfte leise und trat ein, nachdem aus dem Inneren der winzigen Wohnung ein freundliches „Herein“ erklungen war.

Adelaide sah Aureli aufmerksam an. „Wie dir bekannt ist, sagen wir alle im Schloss Du zueinander. Kann ich noch irgendetwas für dich oder deinen Sohn tun?“

Die junge Frau schüttelte leicht den Kopf. „Es gefällt mir sehr gut bei dir in den historischen Räumen, und alle Leute sind sehr liebenswürdig. Da macht es mir gar nichts aus, dass ich mit den Bildern hier eine ganze Weile zu tun haben werde.“

„Das freut mich“, fand die ältere Dame. „In der Küche haben sich die beiden Köche und Carla bereits darüber informiert, was sie für euch Gutes zubereiten können. Du hattest ja netterweise alles auf einem Zettel notiert. Dabei sind wir auf die Idee gekommen, dass sich die Journalistin Abigail ein bisschen um deinen Sohn kümmern kann, falls es dir und ihm recht sein sollte.“

„Mir ist es recht. Ich freue mich immer, wenn sich jemand um ihn bemüht. Dann wird es ihm hier nicht so langweilig. Aber vielleicht hat sie ein Problem mit ihm, weil er momentan kein Wort redet.“

„Ich glaube nicht“, beruhigte Adelaide die junge Frau. „Sie hat eine gute Intuition und Verständnis für Menschen mit Problemen. Ich bin nicht sicher, was du alles über sie weißt.“

„Ich habe einiges von ihr gelesen, den Stadtführer und die Schlossführung, auch eine der Biografien über deinem Mann Moro Rossini. Der Schreibstil ist locker, es macht Spaß, ihre Texte zu lesen.“

„Sie ist auch Detektivin und hilft dem örtlichen Kommissar Niklas Meyer bei undurchsichtigen Fällen“, teilte die Schlossherrin ihrem Gast mit.“

Aureli staunte. „Tatsächlich? Ich dachte, sie hätte da nur ein bisschen hobbymäßig bei der Aufklärung mitgewirkt.“

„Am Anfang ja. Aber später hat sie noch einige Kurse belegt, um professionell mitarbeiten zu können, seitdem hilft sie dem Kommissar ziemlich oft.“

Die junge Frau überlegte. „Wenn sie so empathisch ist, kann sie vielleicht einen Zugang zu meinem Sohn finden. Ich kann es leider nicht, obwohl ich mir jede erdenkliche Mühe gegeben habe. Er spricht mit niemandem.“

Adelaide sah die junge Frau aufmerksam an. „Gab es denn irgendein Ereignis, das ihn schockiert hat?“

„Nicht unmittelbar zu diesem Zeitpunkt, aber mittlerweile bin ich der Ansicht, dass ein früheres Ereignis damit zu tun haben könnte. Allerdings habe ich ihn darauf angesprochen, und er zeigte daraufhin keinerlei Reaktion.“

„Das ist sehr seltsam. Darf ich wissen, was sich ereignet hat?“ fragte die ältere Dame vorsichtig.

„Sein Hund Timmy ist weggelaufen. Natürlich haben wir alle Hebel in Bewegung gesetzt und lassen seit einiger Zeit überall suchen, aber wir hatten noch keinen Erfolg.“

„War er denn nicht registriert? Hatte er keinen Chip? Damit kann man einen gefundenen Hund ganz gut identifizieren.“

Aureli schüttelte den Kopf. „Er war aus dem Tierheim, irgendjemand hatte ihn aus dem Ausland mitgebracht. Aber bevor es dazu gekommen ist, ihm einen Chip zu verpassen, ist er leider weggelaufen.“

„Das ist natürlich sehr traurig“, fand Adelaide. „Darunter wird Marc sicher sehr leiden. Wie lange hatte er den Hund?“

„Leider gerade erst drei Wochen. Wir mussten eine ganze Weile mit unserer Vermieterin kämpfen, bis sie uns dieses brave Tier, einen Bernhardiner-Mischling, in der Wohnung erlaubte.“

Die Schlossherrin soll seufzte. „Ja, in einer Wohnung ist das oft schwierig, besonders wenn sie nicht sehr groß ist und noch andere Mieter im Haus wohnen.“

„Im Moment stehen zwei Wohnungen leer, da wird demnächst eine Familie mit mehreren Kindern einziehen. Sie haben für die Kinder lediglich ein Häschen. Und der einzige Mieter, der dort noch im Haus wohnt, ist mein Nachbar Rainer Münzer, den ich schon etliche Jahre kenne. Wir sind befreundet miteinander. Er hatte nichts gegen den Hund.“

Adelaide beobachtete die junge Frau aus den Augenwinkeln heraus. „Ist das nur ein Bekannter oder mehr? Manchmal sind die kleinen Jungen ja auch sehr hellhörig und feinfühlig, da könnte Eifersucht im Spiel sein.“

„Oh nein! Da ist wirklich nichts“, wehrte Aureli ab. „Jedenfalls nicht von meiner Seite.“

„Und dein Sohn? Sieht er das genauso?“

Aureli atmete tief und hob die Augenbrauen. „Ich glaube schon. Bisher war er immer ganz nett und anständig zu Rainer. Und Herr Münzer versteht sich auch sehr gut mit Kindern.“

„Dann könnte es vielleicht doch mit dem Verschwinden des Hundes zu tun haben“, vermutete Adelaide. „Hast du ihn schon einmal darauf angesprochen?“

Die junge Frau blickte leicht genervt. „Natürlich! Was meinst du, was ich alles versucht habe? Und wegen des Hundes haben wir auch wirklich schon alles unternommen. Wir waren bei der Polizei und in den verschiedenen Tierheimen der ganzen Gegend. Wir haben uns bereits auf Suchportalen angemeldet und suchen in den öffentlichen Medien. Aber der Hund scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein.“

Die ältere Dame seufzte. „Das ist ein Drama! Wisst ihr denn, woher der Hund eigentlich herkommt? Vielleicht ist er dorthin wieder zurückgelaufen.“

„Das haben wir auch schon alles überlegt. Aber man hat den Hund vor dem Tierheim gefunden, ein Brief lag bei ihm, und sein Vorbesitzer gab an, dass er ihn Hundefängern im Ausland abgeluchst und nach Deutschland gebracht habe. Allerdings habe er selbst einen Hund, der sich nicht gut mit dem Eindringling vertrage, und deshalb müsse er ihn leider abgeben.“

Adelaide überlegte. „Das hört sich schon etwas mysteriös an. Eine Geschichte, die man glauben kann oder nicht. Vielleicht wollte auch nur jemand seinen Hund loswerden. Mit Hundehaltern erlebt man so manches in verschiedener Richtung.“

„Wir haben natürlich auch sofort Suchbilder hergestellt und massenhaft kopiert, natürlich auch überall verteilt und angeheftet“, berichtete die junge Frau.

Die Schlossherrin schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich verstehe nicht, warum dein Sohn nicht darüber spricht. Du könntest ihm doch viel besser bei der Suche helfen, wenn er sich dir mitteilt. Du weißt also auch gar nicht, wann der Hund verschwunden ist?“

„Es war an einem Nachmittag. Marc war mit dem Hund draußen gewesen. Wenn man von unserem Haus aus etwas weiter nordwestlich in Richtung Fluss geht, gibt es ein schönes Gebiet als Auslauf für die Vierbeiner. Aber ich bin ganz sicher, dass mein Sohn und unser Hund gemeinsam wieder zurückkamen, denn kurz bevor ich das Abendessen richtete, hörte ich den Hund noch fröhlich bellen. Offensichtlich spielten die beiden miteinander. Wir hatten im Wohnzimmer die Terrassentür offenstehen, die geht nach hinten zum Garten heraus, und als ich dann Marc zum Abendessen rief, kam er ohne Hund. Natürlich fragte ich ihn, wo denn Timmy sei, und mein Sohn antwortete ganz lapidar, das wisse er nicht, er würde sicherlich auf der Terrasse in der Sonne liegen. Die Abendsonne möge er doch so gern. Natürlich bin ich auf die Terrasse gegangen, um nachzuschauen. Aber da war kein Timmy.“

„Konnte er denn über den Gartenzaun springen und auf die Straße laufen?“

„Nein, das ist sehr unwahrscheinlich“, antwortete die junge Frau. „Unser Zaun, ringsherum um den Garten, ist sehr hoch. Dahinter ist sogar noch eine Hecke und die Verbindungstür zur Terrasse der Nachbarwohnung ist in der Regel geschlossen.“

„Also konnte er nicht in den Nachbargarten und von dort heraus gelangen?“ hakte Adelaide nach.

Aurelia schloss die Augen. „Ich habe mir gerade diesen Nachmittag noch einmal ins Gedächtnis gerufen und mich genau an die Situation erinnert. Nein, in den Nachbargarten hinüber, das konnte er auch nicht. Die Tür war zu.“

„Es ist sehr mysteriös“, fand die ältere Dame. „Aber ein großer Hund, der kann sich auch schon einmal die Türen selbst öffnen. Vielleicht ist er zur Haustür herausspaziert.“

„Ganz ausschließen kann man das nicht. Aber ich fand es sehr unwahrscheinlich, weil ich den Eindruck hatte, dass sich Timmy bei uns sehr wohl fühlt.“

„Ich hoffe, dass Marc Vertrauen zu Abigail fasst, denn sie kann sich gut in kindliche Seelen hineinversetzen und könnte dem Geheimnis auf die Spur kommen.“

Aureli seufzte. „Oh ja! Ich fühle mich so hilflos, wenn mein Sohn nicht mit mir redet. Ab morgen nimmt er auch Therapiestunden bei Maria, der Therapeutin, die ebenfalls im Schloss wohnt. Wie kommt es eigentlich, dass hier bei euch eine Psychotherapeutin wohnt?“

„Das ist nicht so verwunderlich, wie es auf den ersten Augenblick scheint. Maria hat bis jetzt auch als Musiktherapeutin gearbeitet. Und im Augenblick nimmt sie noch ein Seminar für Malerei und will dann auch Maltherapien einsetzen.“

Aureli seufzte erneut. „Es ist mir völlig gleichgültig, auf welche Art und Weise mein Sohn wieder zum Reden gebracht wird. Hauptsache ist, dass er wieder bald mit mir und mit anderen Menschen spricht.“

„Wir werden uns alle Mühe geben“, versprach Adelaide. „Wenn ihr gleich so weit seid, dann kommt doch zu uns in die Küche und trinkt mit uns eine heiße Schokolade.“

Kapitel 3

Gerade als sich die Schlossherrin umdrehte, um zur Tür zu gehen, klopfte es.

Aureli hob die Augenbrauen. „Schon wieder Besuch?“

„Du Arme!“ sagte Adelaide bedauernd. „Und da hattest du sicher gehofft, im Schloss hier etwas Ruhe zu finden, um dein Problem mit Marc zu lösen. Und jetzt will dauernd jemand etwas von dir.“

Die junge Frau lächelte. „Ach, nein, so habe ich das nicht gemeint. Ich bin nur erstaunt, dass man hier so regen Anteil an meinen Problemen nimmt. Es ist in der Welt nicht oft so, dass sich einer auch um den anderen kümmert, besonders, wenn es sich um Probleme handelt. Herein!“ fügte sie hinzu.

Ein großer Mann mittleren Alters betrat das Zimmer. Die Schlossherrin erkannte ihn sofort. „Hallo Niklas! Wir haben vorhin kurz von dir geredet, und schon stehst du vor uns. Hat das etwas zu bedeuten? Ich hoffe, du hast uns keine schlimme Mitteilung zu machen.“

Der Kommissar hob die Augenbrauen. „Leider geht es doch um etwas Unangenehmes. Ich habe ein paar Fragen an Aureli van Delft und suche gleichzeitig Abigail, damit sie mir ein paar kleine Recherchen abnehmen kann.“

„Dann möchte ich euch jetzt nicht weiter stören“, entschied Adelaide und wandte sich zum Gehen.

Die junge Frau hielt ihre Gastgeberin zurück. „Ach, bitte! Nein! Geh nicht! Es hat sich gerade so angehört, als käme wieder einmal etwas Unangenehmes auf mich zu. Und ich fühle mich gerade nicht so in der Lage, mich allzu viel neuen unangenehmen Dingen allein aussetzen zu können. Habe ich den Wagen falsch geparkt? Hat man mein Auto abgeschleppt?“

Er schüttelte leicht den Kopf. „Nein, nichts dergleichen. Ein gewisser Horst Schenker hat seinen Freund als vermisst gemeldet. Und dieser Freund heißt Rainer Münzer und ist Ihr Nachbar, Frau van Delft.“

Aureli nickte eifrig. „Natürlich ist der mein Nachbar, und nicht nur das. Er ist auch ein guter Freund von mir. Aber warum sollte er verschwunden sein?“

Der Kommissar ging nicht auf ihre Frage ein. „Wann haben Sie Herrn Münzer zum letzten Mal gesehen?“

Die junge Frau überlegte. „Das war …? Es war an dem Tag, als der Hund fortgelaufen war, genau an diesem Nachmittag.“

„Können Sie mir das genaue Datum sagen, Frau van Delft?“ fragte Herr Meyer.

Sie rechnete und nannte ihm ein Datum, das etwa drei Wochen zurück lag.

Der Kommissar nickte. „Einen Tag später war Herr Münzer mit Herrn Schenker verabredet. Aber es kam zu keinem Treffen, und so versuchte Herr Schenker, seinen Freund zu erreichen, was ihm allerdings weder an diesem noch an den nächsten Tagen gelang. Da wir aber inzwischen mit Handyortung festgestellt haben, dass sich sein Handy in der Wohnung befindet, haben wir die Tür heute öffnen lassen, Herrn Münzer jedoch nicht gefunden.“

„Und was schließen Sie jetzt daraus?“ erkundigte sich Aureli.

„Wir recherchieren“, antwortete er kühl. „Sie sagten eben, er ist ein Freund. Wissen Sie, wo er jetzt sein kann?“

Sie überlegte. „Ich habe nicht die geringste Ahnung. Er ist ein Mensch, der in seiner Freizeit am liebsten seinen Garten bearbeitet, das ist sein Hobby, und da er Dolmetscher ist, erledigt er viel Arbeit von zu Hause aus. Ab und zu wird er allerdings auch abberufen, um ganz spontan irgendwo beim Übersetzen auszuhelfen. Vermutlich ist etwas Derartiges geschehen.“

Auf diese Vermutung ging Herr Meier nicht weiter ein. „An diesem Tag, an dem Sie ihn das letzte Mal gesehen haben, was hat er da mit Ihnen besprochen? Um was ging es bei Ihrer Unterhaltung?“

„Es waren Gespräche privater Natur“, antwortete sie ein wenig verstimmt. „Ich bin mir aber ganz sicher, dass er zu diesem Zeitpunkt keine Pläne hatte, irgendwohin zu fahren. Nicht mal eine Kurzreise hatte er in seinen Gedanken, nein, im Gegenteil. Er freute sich auf ein paar ungestörte Stunden im Garten, den er winterfest machen wollte. Ja, und von einer Verabredung mit einem Freund hat er auch gesprochen, jetzt erinnere ich mich wieder. Nein, zu diesem Zeitpunkt stand keine lange Reise an. Er muss also wieder einmal ganz plötzlich gerufen worden sein. Deswegen muss man sich aber keine Sorgen um ihn machen.“

„Das sieht sein Freund, Herr Schenker aber ganz anders“, entgegnete der Kommissar. „Er sagt nämlich, Herr Münzer würde niemals ohne sein Handy fortgehen, und außerdem gäbe er ihm jedes Mal Bescheid, wenn er zu einem plötzlichen Auftrag gerufen würde.“

Aureli verzog den Mund. „Ein Handy kann man auch einmal vergessen. Vielleicht braucht er dort keins, wo er sich jetzt aufhält, oder er hat sich ein Zweithandy zugelegt. Glaubt dieser Freund denn im Ernst, dass Rainer etwas zugestoßen ist?“

„Ja, das nimmt Herr Schenker an, weil sich sein Freund nun schon seit Tagen nicht mehr gemeldet hat, obwohl sie sich sonst mehrmals in der Woche telefonisch gesprochen haben.“

„Dann musste er vielleicht ins Ausland und hat dort keine gute Verbindung“, vermutete junge Frau. „Vielleicht ist er irgendwo in Afrika. Auch dort kann man Übersetzer gut gebrauchen.“

„Sein Freund äußert den Verdacht, dass ihm etwas passiert sein könnte. Wissen Sie, ob er Feinde hat?“

„Nein, ich weiß nichts von Feinden. Er war ein friedfertiger Mensch. So, wie er versucht hat, Menschen durch das Übersetzen von Sprachen zu verbinden, so hatte er auch sonst immer den Wunsch, zu vermitteln und Harmonie zu verbreiten. Er kämpfte für Gerechtigkeit und Frieden. Aber es ging nicht so weit, dass er versucht hat, jemandem etwas aufzuzwingen. Er suchte immer die diplomatische Lösung. Vermuten Sie, dass ihm jemand etwas angetan hat? Wie kommen Sie darauf?“

„Wir haben auf seiner Terrasse Blutspuren gefunden“, gab der Kommissar sein Geheimnis preis, um Aureli zu provozieren.

Die junge Frau erschrak. „Um Himmels Willen! Und das sagen Sie mir erst jetzt?! Das wäre ja schrecklich, er war doch so ein netter Kumpel und freundlicher Nachbar. Wer sollte ihm den etwas zuleide tun?“

„Wir müssen allerdings noch untersuchen, ob das Blut überhaupt von Herrn Münzer ist“, räumte Herr Meyer ein.

„Das ist wirklich sehr seltsam“, fand Adelaide. Der Hund verschwindet spurlos, und auch dein Nachbar verschwindet, ohne jemandem eine Nachricht zu geben. Ob es da eine Gemeinsamkeit gibt?“

Aureli stöhnte. „Ich hoffe nicht. Das wäre ja schrecklich! Wenn nun Rainer tatsächlich etwas passiert ist, und mein Sohn hat irgendetwas Schlimmes gesehen, dann wäre es ja kein Wunder, dass er jetzt im Schock ist und kein Wort spricht.“

„Ihr Sohn spricht seit dieser Zeit kein Wort mehr?“ fragte der Kommissar und sah die junge Frau interessiert an.

Sie nickte. „Ja, das kommt hin. Er spricht mit niemandem, nicht einmal mit mir. Und das kann ich überhaupt nicht verstehen, denn wir haben uns sonst immer so gut verstanden.“

„Dann möchte ich unbedingt mit ihm sprechen“, verlangte Herr Meyer.

Aureli schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Erstens schläft er. und zweitens geht es ihm gar nicht gut. Da lasse ich es nicht zu, dass man ihn ausfragt. Er hat sicher einen Schock, und da müssen wir auf jeden Fall erst warten, bis seine neue Psychotherapeutin Maria dabei ist. Sie soll erst einmal mit ihm allein reden. Und dann wird sie entscheiden, ob Sie überhaupt mit ihm sprechen dürfen.“

„Natürlich richte ich mich da ganz nach der Therapeutin“, beruhigte er sie. „Trotzdem kann es auch für Marc sehr wichtig sein, dass die ganze Sache aufgeklärt wird. Sie können mir also nicht sagen, was zur Aufklärung dieses Falles helfen könnte, Frau van Delft?“

„Nein, leider nicht. Tun Sie ihr Bestes! Rainer ist ein sehr angenehmer Mensch, und es täte mir leid, wenn ihm irgendetwas geschieht.“

„Sie können sich darauf verlassen.“ Er wandte sich an die Schlossherrin. „Kann ich jetzt noch mit Abigail sprechen?“

„Da musst du dich noch einen kleinen Augenblick gedulden, Niklas. Sie ist noch mit Bernhard im Garten und hilft ihm, die letzten Rosen für den Winter mit Öl-Papier zu umwickeln. Aber du kannst schon einmal in der Küche warten. Ich werde einmal nachsehen, ob ich sie finde.“

„Es ist sehr kalt draußen, da kann ich auch schon selbst nach ihr sehen“, entschied der Kommissar. „Bis später also.“

Er verabschiedete sich von den beiden Frauen und entfernte sich.

Kapitel 4

Die Journalistin Abigail traf die Schlossherrin etwas später in der Bibliothek, in der Adelaide die Gemälde ihres verstorbenen Ehemannes abstaubte.

„Das ist eine schlimme Geschichte“, teilte sie ihre Meinung der älteren Freundin mit. „Ein Junge, der seinen Hund verloren hat und nicht spricht, und ein freundlicher Nachbar, der zur gleichen Zeit spurlos verschwindet. Alles scheint rundherum nur friedlich und freundlich zugegangen sein, und doch vermuten Herr Schenker und der Kommissar, dass etwas Schlimmes passiert ist.“

„Was ist jetzt deine Aufgabe dabei?“ erkundigte sich die Schlossherrin. „In welcher Form wirst du bei der Suche helfen?“

„Niklas wird mit seinen Kollegen den Innen- und Außendienst übernehmen und einige Suchaktionen in die Wege leiten. Mich hat er beauftragt, Frau van Delft, also Aureli und ihren Sohn besser kennen zu lernen, denn die beiden haben offenbar doch einen guten Kontakt zu Herrn Münzer gehabt. Unser lieber Kommissar glaubt, dass die beiden eine Schlüsselrolle bei diesem Fall spielen.“

„Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, entgegnete Adelaide. „Der Junge scheint total traurig und schockiert zu sein, dass sein Hund nicht mehr da ist, und Aureli ist mit großer Sicherheit nicht in dunkle Geschäfte verwickelt, das sagt mir meine Menschenkenntnis. Was auch immer da passiert ist, es muss mit Rainers Umfeld zu tun haben. Ich hoffe, dass sich Niklas mit seinen Kollegen gut darum kümmert.“

„Das wird er bestimmt“, vermutete Abigail. „Mein kriminalistischer Spürsinn sagt mir, dass so ein Beruf als Übersetzer gar nicht ungefährlich ist. Wer weiß, was Rainer da alles gehört hat und übersetzen muss?! Dabei kann es um sehr geheimnisvolle Dinge gehen, zum Beispiel auch in der Forschung oder in der Politik. Möglicherweise liegt da der Grund für Rainers Verschwinden. Er könnte entführt worden sein.“

„Wenn da nicht die Geschichte mit dem Blut wäre, könnte er natürlich auch einfach nur so einmal wegen einer Gefahrensituation untergetaucht sein. Ich glaube, da kann man in viele Richtungen spekulieren.“

Die Journalistin überlegte. „Welche Rolle mag wohl der Hund spielen? War er auch jemandem im Weg?“

Adelaide seufzte. „Da gibt es jetzt auch eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Er kann jemanden gestört haben, zum Beispiel bei einer Entführung im Weg gewesen sein. Oder man hat ihn entfernt, weil er zum Täter oder Opfer hätte führen können. Viele Möglichkeiten, solange es keine näheren Anhaltspunkte gibt.“

Abigails Gedanken schweiften ab. „Der kleine Junge tut mir so leid. „Da hat er nun schon seinen Hund verloren, und nun wird er auch noch in den nächsten Tagen von Maria und mir und möglicherweise auch noch von dem Kommissar in die Mangel genommen.“

Die Schlossherrin sah die junge Frau erwartungsvoll an. „Hast du schon einen Plan, wie du dich an ihn herantasten kannst?“

„Ich werde mit ihm spielen, zuerst einmal die Spiele, bei denen man keine großen Worte braucht. So versuche ich, langsam sein Vertrauen zu gewinnen.“

„Das ist eine gute Idee. Und wenn du ein paar Leckereien für ihn brauchst, Plätzchen, Obst oder Süßigkeiten, dann kannst du dich an Carla in der Küche wenden. Giannis fantastisches italienisches Eis könnte auch dabei helfen, bei dem kleinen Jungen das Eis zu brechen.“

Abigail lächelte. „Ich werde alles mitnehmen, was mir zur Verfügung steht. Hast du hier in der Bibliothek vielleicht noch ein paar hübsche Kinderbücher?“

Adelaide sah in den Regalen nach. „Schau mal! Dort ganz unten sind noch einige Bücher für Kinder jeden Alters. Ein paar Bilderbücher für die Kleinen sind auch dabei, und gewiss auch etwas, woraus du einem siebenjährigen Jungen etwas vorlesen kannst.“

„Prima, danke! Ich werde gleich einmal mit Ruhe nachsehen und mich dann bedienen. Aber zuerst suche ich einmal Maria auf und spreche mich mit ihr ab.“

„Das wird wohl das Beste sein“, stimmte ihr die ältere Freundin zu. „Wenn ihr Hand in Hand arbeitet, kann man taktisch besser arbeiten. Hast du den kleinen Jungen schon gesehen?“

„Noch nicht persönlich. Fotos habe ich mir schon von ihm angeschaut, zusammen mit seiner Mutter. Er scheint ein sehr liebenswertes Kerlchen zu sein und ist wohl auch sehr aufgeweckt.“

„Hat er eigentlich keinen Vater?“ erkundigte sich Adelaide.

„Das ist wohl Aurelis großes Geheimnis. Der Junge kennt seinen Vater nicht, und die Mutter wollte mir bis jetzt noch nichts darüber erzählen.“

„Ob Rainer Münzer etwas damit zu tun hat?“ rätselte die Schlossherrin.