Seinesgleichen - Armin Thurnher - E-Book

Seinesgleichen E-Book

Armin Thurnher

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Beschreibung

Armin Thurnher, Herausgeber der Wiener Wochenzeitung FALTER, schreibt seit 1984 die Kolumne „Seinesgleichen geschieht“. Darin beleuchtet er den polit-medialen Komplex und sein Personal kritisch, satirisch und literarisch. Anlässlich seines 70. Geburtstags hat Armin Thurnher 49 seiner „Seinesgleichen-Geschieht“-Kommentare aus 20 Jahren ausgewählt, die zeigen, wie sehr sich Österreichs Politik verändert und wie sie sich dabei doch gleich bleibt. Das Buch startet mit politischen Komentaren aus dem Jahr 1998, in dem sich abzeichnete, was man in Österreich für undenkbar gehalten hatte: die Wende, das Ende der rot-schwarzen Nachkriegspolitik. Der Aufstieg Jörg Haiders schien unaufhaltsam. Wolfgang Schüssel von der ÖVP verlor die Nationalratswahl 1999, bildete aber Anfang 2000 mit der Haider-FPÖ die Regierung. Sanktionen von 14 EU-Staaten folgten und erwiesen sich als Schlag ins Wasser. Sie machten die Regierung Schüssel nur populärer. Dennoch kam es 2006 zur Abwahl Schüssels und zum Wiederaufleben von Rot-Schwarz. Bis 2017 die erneute Wende erfolgte. Der junge Kanzler Sebastian Kurz putschte seine Jugendorganisation in der ÖVP entschlossen an die Macht und führt das Land in eine neue Richtung.

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Seitenzahl: 252

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Armin Thurnher

Seinesgleichen

Politische Kommentare aus dem FALTER 1998-2018

FALTER VERLAG

© 2019 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.

1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9

T: +43/1/536 60-0, E: [email protected], W: www.falter.at

Alle Rechte vorbehalten. Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub: 978-3-85439-652-9

ISBN Kindle: 978-3-85439-645-1

ISBN Printausgabe: 978-3-85439-628-4

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2019

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Teil I

Bis zur Wende

Teil II

Eine Wende und die Folgen

Teil III

Die rot-schwarze Hängepartie

Teil IV

Endspiel und erneute Wende

Namensregister

Über den Autor

Endnoten

Vorwort

„Seinesgleichen geschieht“ heißt eine Kolumne, die unter diesem Titel seit 1983 in der Wiener Wochenzeitung Falter erscheint. Der Titel ist von Robert Musil entlehnt, aus „Der Mann ohne Eigenschaften“, dem österreichischen Roman schlechthin. Er spielt darauf an, dass alles, was geschieht, eben geschieht. Und darauf, dass man meint, alles, was geschieht, schon einmal gelesen zu haben. In der Tat könnte man manches vor 18 Jahren Geschriebene mit geänderten Namen heute wieder veröffentlichen.

Die vorliegende Auswahl beschränkt sich auf die beiden österreichischen Wendezeiten, also auf die Vorbereitung der ersten blau-schwarzen Koalition im Jahr 2000 bis zu deren Scheitern. Das rot-schwarze Zwischenspiel erwies sich nur als Vorbereitung auf die zweite, weitaus besser vorbereitete Wende 2017. Weitgehend ausgeblendet bleiben internationale Themen, Europa, Sport, Kultur und Polemik, mit denen sich die Kolumne ebenfalls auseinandersetzt.

Obwohl vom Herausgeber des Falter geschrieben, ist „Seinesgleichen geschieht“ kein Leitartikel, der das Programm der Zeitung Falter vorgäbe. Ebenso wenig ist die Kolumne eine private Äußerung oder gar ein Hobby. Sie ist vielmehr der Versuch, öffentlich selbst zu denken und dieses Denken literarisch zu formulieren. Getreu der Einsicht, dass der beste Inhalt, unangemessen ausgedrückt, die Sache verfehlt.

Der österreichische Kommandojournalismus kümmert sich weder um Form noch um Fakten, ihm liegt vor allem am ökonomischen Wohl der jeweiligen Herausgeber. Diese Kolumne ist ein Manifest gegen solchen dienstfertigen Journalismus. Sie kritisierte ihn von Anfang an. „Seinesgleichen geschieht“ setzte sich die Wiedergeburt der Medienkritik zum Ziel, allerdings ohne die Absicht, Öffentlichkeit zu zerstören, wie es das Kampfwort „Lügenpresse“ beabsichtigt. Vielmehr möchte die hier geübte Journalismuskritik Öffentlichkeit retten oder wiederherstellen.

Die Medienkritik von „Seinesgleichen geschieht“ tritt in dieser Auswahl weitgehend zugunsten von Zeitgeschichte zurück. Von 1994 bis 2014 endete die Kolumne mit dem Satz „Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden“. Er richtete sich gegen das wider jedes Kartellrecht zustande gekommene Oligopol von Kronen Zeitung und Kurier, und später, in der Formulierung „Mediamil-Komplex“, gegen die Fusion von Mediaprint und News-Gruppe.

Dieser „letzte Satz“ machte den Verfasser bekannt als „den Mann, der sich so etwas zu schreiben traut“. Den Rest brauchte man nicht mehr zu lesen. Damit war der Satz von einer Widerstandsgeste zu einem Markenzeichen von Einverständnis geworden. Zudem lenkte er ab von neuen Kommunikationsverhältnissen. Die digitale Sphäre, von vielen als egalitäres demokratisches Eldorado begrüßt, erwies sich mit Datenextraktion und Verhaltensüberschuss als die Vorhölle von etwas, das man digitalen Totalitarismus nennen könnte. Mit dieser Gefahr lässt sich die lähmende Wirkung eines nach wie vor bestehenden österreichischen Print-Oligopols nicht vergleichen.

Die Texte wurden, wenn überhaupt, nur geringfügig verändert und mit kurzen erklärenden Einleitungen, Fußnoten und einem Namensregister versehen.

Armin ThurnherWien, Jänner 2019

Teil I1998 bis zur Wende

Viktor Klimas letzter Satz

Oktober 1998: Im Burgtheater präsentierten die Gebrüder Fellner1 ein neues Magazin: Format. Bundeskanzler Viktor Klima2 (SPÖ) assistierte.

Neulich, im Burgtheater, bei der Präsentation des neuen Nachrichtenmagazins Format. Der Kanzler stand auf dem Podium, sprach den Satz „Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ und fügte hinzu, er finde das Zerschlagen nicht so gut, ihm seinerseits gefielen die Fellners, die seien mehr fürs Aufbauen. Ich verstand sofort, merkte aber gleich, dass Umstehende und Freunde unsicher über die Bedeutung dessen waren, was sie gerade gehört hatten.

Die erste Bedeutung war leicht zu kapieren. Der Kanzler sprach auf einem Medien-Fest. Das gehört zu jenen Sitten und Gebräuchen der Alpenrepublik, die man anderswo nicht versteht. Hier glaubt man, nur mit den Medien gemeinsam regieren zu können, weil man hier alles nur mit allen gemeinsam machen kann (außer mit dem einen, dessen Ablehnung aber ebenfalls wieder allen anderen gemeinsam ist3). Dass der abgewählte Helmut Kohl4 zum Beispiel seine Spiegel-Feindschaft bis zuletzt pflegte, hat ihm bei seiner Wählerschaft nicht geschadet; im Gegenteil, es hat ihm Kontur verliehen. Hierzulande hingegen werden bereits Präsentationen neuer Produkte von den Polit-Medienakteuren zelebriert wie Staatsakte, für die vorzugsweise Staatstheater zur Verfügung gestellt werden. Die zweite Bedeutung: Der Kanzler kanzelte mich ab. Wirklich? Das hätte vorausgesetzt, ich meinerseits wäre fürs Zerschlagen im Sinne von Zerstören. Mein nunmehr staatsaktfähiger letzter Satz geht aber bekanntlich darauf aus, dass durch gesellschaftsrechtlich korrektes Zerlegen (=Zerschlagen) eines in Österreich übermächtigen Medienverbundes Bedingungen eines fairen Wettbewerbs für alle anderen Marktteilnehmer hergestellt werden.

Ein Schelm, der beim Wort „zerschlagen“ anderes denkt. Der letzte Satz ist eine Forderung für faire mediale Wettbewerbs-Rahmenbedingungen. Mehr als einmal hatte ich die Ehre, dies hier klarzustellen und das staatliche Gewaltmonopol in Erinnerung zu rufen. Denkt man die Sache zu Ende, hat mich Klima in Wirklichkeit durch die Zitierung nicht nur hervorgehoben, sondern sogar bestärkt. In der Folge sagte er zum Beispiel: „Wettbewerb ist etwas, das Österreich verstärkt braucht, auch im Bereich der Medien!“

D’accord, darum geht’s. Realistisch betrachtet, geht es nur mehr darum, gleiche Bedingungen für den Wettbewerb deutscher Medien im Protektorat Österreich herzustellen. Österreichische Medien wird es im Printbereich kurzfristig, im elektronischen mittelfristig nicht mehr geben. In zweiter Linie wird es darum gehen, dem österreichischen Personal eine faire Mitsprachechance zu sichern (obwohl man sich um Medienösterreicher unter Deutschen angeblich wenig Sorgen machen muss). Drittens wird es Weltmarktbedingungen brauchen, damit internationales Medienkapital gegen deutsches antreten kann. Guten Morgen, Herr Gates5. Guten Morgen, Herr Murdoch6.

Ganz kurz habe ich den Satz des Lateiners Klima noch weitergedacht. Zerstören wollte der alte Cato Karthago. Warum wollte er das? Weil sich Rom von aufstrebenden, annähernd gleich starken Stadtstaaten im Mittelmeerraum bedroht sah: In Italien von Capua und Tarent, in Afrika vom aggressiven Karthago. Mit der karthagischen Macht wurden die anderen beiden Städte in einem Aufwischen weggefegt, ihre Bürger versklavt, ihr Eigentum verteilt. Die Basis des römische Weltreichs entstand auf den Trümmern dreier Städte. Zerstören ist Aufbauen.

Klima hielt also ein Plädoyer für Karthago, für den Mut, etwas Neues entstehen zu lassen, Elefanten über die Alpen zu schicken. Hannibal Klima? Das hieße doch: Cato ist Dichand7, die Mediaprint Rom. Der Kanzler hat gar nicht mich gemeint. Vielmehr rief er Cato zu, er solle seine aufstrebenden Konkurrenten nicht ruinieren! Er solle ablassen von seinem destruktiven Weltmachtstreben! In Wahrheit hat der Kanzler die Mediaprint kritisiert. Für diesen Mut ist ihm zu danken.

Er kann ja ernsthaft weder den Falter noch mich gemeint haben. Wir bauen schließlich selber auf. In unserer beharrlichen kontinuierlichen Weise haben wir es mit null Anfangskapital zu einem Verlag gebracht, der fünfzig Arbeitsplätze schafft und heuer hundert Millionen Schilling umsetzt; mit Zerschlagen allein wäre das schwerlich gegangen. Es stärkt uns aber sicher und ermuntert uns in unserer weiteren Arbeit, dass sich das offizielle Österreich hinter uns stellt!

In diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung. Aus der Debatte um die Dummheit von Regierenden habe ich mich herausgehalten. Nun ist es Zeit für eine kleine Fußnote. Vor kurzem fand ich folgenden Satz von Goethe: „Es sind nur wenige, die den Sinn haben und zugleich zur Tat fähig sind. Der Sinn erweitert, aber lähmt, die Tat belebt, aber beschränkt.“ In der Tat! Je sensibler, kunstsinniger, empfindlicher einer ist, desto schwerer wird er sich tun, seinen Machersinn geradlinig zum Zug kommen zu lassen. Tatmenschen müssen zumindest in dem Sinn dumm sein, als sie bei ihren Taten den Feinsinn ausblenden, um den Barbaren in sich handeln lassen zu können. Melancholisches Grübeln, saturnisches Zögern gehen mit Zupacken, mit Machen schwer zusammen.

Es wäre ein Missverständnis, Tatmenschen deswegen für dumm zu halten: Sie folgen nicht ihrem Kunst-, sondern ihrem Machtsinn und könnten von ihrem Standpunkt aus mit gutem Recht jeden Künstler dumm nennen, was sie sich aus purer Machtintelligenz aber nicht gestatten. Genau diese Machtintelligenz blitzte in Klimas karthagisch-kathartischem Statement auf. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 41/98 vom 7.10.1998

Dr. Haiders Pressestunde

April 1999: Der Erfolg des FPÖ-Chefs Jörg Haider8 scheint unaufhaltsam. In einer ORF-„Pressestunde“ präsentierte er sich als kommender Machthaber.

Jetzt ist der Mann also Landeshauptmann von Kärnten und wird es bleiben. Sagt er. Niemand glaubt es ihm auch nur eine Sekunde lang. Denn es ist längst egal, was Haider sagt. Er hat schon so viel gesagt. So viel gesagt, was dem von ihm anderswo Gesagten widerspricht, dass es seine Gesprächspartner nicht einmal mehr der Mühe wert finden, es ihm vorzuhalten. Und wenn er einen Notariatsakt anlegte, dass er nichts mehr werden will: desto schlimmer für die Notare.

Was man über ihn sagt, hat also nie den Charakter einer Bilanz, höchstens den eines Zwischenresümees. Zu oft wurde er verabschiedet, zu oft ist er wieder aufgetaucht. Eines wird bei seinem Aufstieg gern übersehen: Nicht Haider ist in die Mitte der Gesellschaft gerückt, die gesellschaftlichen Koordinaten haben sich nach rechts verschoben. Nicht dass er sich gemäßigt hätte und jetzt kein Faschist mehr wäre. Nein, er hat sich modernisiert, und die Politik ist so weit nach rechts gedriftet, dass ihr auch moderne Faschisten in höchsten Ämtern kein Skandal mehr sind. Desto schlimmer für die Politik.

Die Politik, nicht die Gesellschaft ist nach rechts gerückt. „Die Gesellschaft“ gibt es sowieso nicht, höchstens Teilöffentlichkeiten. Wenn es so etwas wie gemeinschaftliche Einstellungen gibt, dann eher auf der Ebene von Reflex und Gespür und von Gefühlen. Das Feingefühl einer Gesellschaft beurteilt die Glaubwürdigkeit, die Intensität der politischen Leidenschaft eines Politikers ganz genau; was der dann will, ist sekundär. Haider will etwas. Das spüren die Leute und das billigen sie, denn sie sind der politischen Routineakte müde. Dass Haider die Macht will und die Demokratie gerade noch als Mittel gelten lässt, diesen Zweck zu erreichen, kümmert sie nicht. Desto schlimmer für die Demokratie.

Wo sind sie, ihre leidenschaftlichen Verteidiger? Sie haben sich in Kaninchen verwandelt, die in der „Pressestunde“ sitzen oder „Pressestunde“ schauen. Dort drin sitzt der Doktorhaider und tut so, als wäre er ein Staatsmann, nur weil er ein Hauptmann geworden ist. Was er tut und was er sagt, waren aber immer schon zwei Paar Schuhe: „Wir werden“, sagt er, „ihnen zeigen, wie man Wohnbaupolitik macht! Die Roten haben fünfzig Jahre lang Wohnbaupolitik gemacht, dann haben sie das Wohnbauressort fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.“ Sie sitzen und sie sagen nicht: Aber in Niederösterreich, da hat die FPÖ doch schon gezeigt, wie man Wohnbaupolitik macht, unter Ihrem Bundesvorsitz, Herr Doktor Haider! Erinnern Sie sich noch an Herrn Rosenstingl?9 Haben nicht Sie diesen Herrn und andere Fürsten der Wohnbaupolitik fallen lassen wie eine heiße Kartoffel?

Niemand sagt es. Desto schlimmer für die Journalisten.

Der Doktor Haider kündigt noch vieles an. Er pfeift zwar auf die EU, wird aber alle EU-Mechanismen nützen, um den Bund zur Raison zu bringen. Überhaupt alle demokratischen Mechanismen. Es gebe nämlich, erklärt Doktor Haider, ein einfaches demokratisches Prinzip in der EU: „Ober sticht Unter.“ Und das gefällt ihm, denn er ist jetzt Ober. Und wenn er wo mal Unter ist, dann erklärt er sich einfach zum Trumpf. Dann sticht halt Unter Ober. So sind sie, das Leben, das Kartenspiel und die Politik.

Und, wie gesagt, die Demokratie. Medien, heißt es, gehören auch dazu. Manche bekommen Presseförderung, damit sie ihr demokratisches Geschäft, die Bürgerschaft unabhängig zu informieren, besser erfüllen können. Daran kann man vieles kritisieren, dass hier die Falschen und auch die Reichen gefördert werden, dass nur Tageszeitungen viel Geld kriegen und so weiter. Doktor Haider sieht das pragmatischer. „Wenn Medien den Kinderscheck“ - sein teures Wahlzuckerl - „nicht unterstützen, werden wir uns bei der Presseförderung etwas einfallen lassen! Sie können ruhig gegen mich schreiben, aber sie brauchen nicht Mittel meines Landes dafür zu verwenden.“ Wer zahlt, schafft an. Dagegen immerhin meldete ein Diskutant, Profil-Chef Christian Rainer, Widerspruch an. Da wurde Haider deutlich. Er halte es für falsch, dass Bundeskanzler und Landeshauptmann „in die Redaktionsstuben hineinfördern“. Vor allem, wenn sie nichts herausbekommen. Lieber rede er, Haider, über Arbeitsplatzförderung. Und er halte es für „obszön, wenn Journalisten 250.000 Schilling verdienen und Kindern 5000 Schilling vorenthalten werden sollen“.

Abgesehen davon, dass Haider selbst obszön viel verdient und obszön viel davon der Steuer und damit den Kindern vorenthält, abgesehen davon, dass die Idee, statt Presseförderung Arbeitsplatzförderung zu setzen, nur den Konzernen nützen würde, abgesehen von der demagogischen Gesamtsauerei habe ich einen derart unverschämten Angriff auf die Meinungsfreiheit in Österreich noch nicht gehört.

Dass Haider dann der Frage, ob sich Milošević10 mit Hitler vergleichen lasse, auswich, verstand sich fast von selbst. Sich von Hitler öffentlich zu distanzieren ist nicht seine Sache. Da sind andere berufen. Schließlich hatte der Mann auch seine guten Seiten: Beschäftigungspolitik, Presseordnung, Autobahnen, Winterhilfswerk, Kinderscheck …

Den Kinderscheck nehme ich zurück. „Jeder ist historisch einmalig“, sagte Doktor Haider, und ich schließe mich ihm an. Als ich nach dieser „Pressestunde“ mit Freunden darüber redete, fanden sie, Haider habe „Kreide gefressen“. Da musste ich doch etwas schlucken. Die Wahrnehmung und die Sache sind zwei Paar Schuhe, aber wenn die erste versagt, geht auch die zweite drauf. Dennoch sage ich allen Mitwirkenden für diesmal herzlichen Dank, auch Ihnen, lieber Leserinnen und Leser, fürs Dabeisein, leider ist Ihre Lesezeit jetzt um. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 15/99 vom 14.4.1999

Land der Rutsche

Sommer 1999. Es riecht so stark nach Machtwechsel in Österreich, dass das Land selbst in Bewegung zu kommen scheint. Die Berge geraten ins Rutschen.

Ist es wirklich erst ein Jahr her, dass sich die steirische Erde öffnete und elf Bergleute verschlang? Dass die Luftblase Gottes angebohrt wurde, darin der Bergmann Hainzl11 saß, zehn Tage jausenlos im Jausenraum überlebend? Ist es wirklich erst ein halbes Jahr her, dass in Galtür die Lawinen niedergingen und ein halbes Dorf begruben? Dass von den Überlebenden die Hälfte News12-Abonnenten waren, die am Handy Auskunft über die Katastrophe gaben? Leckt nicht noch immer der Bodensee hoch an seinen Ufern? Und jetzt Schwaz.

Ist ja nichts passiert, sagen Sie. Alles rechtzeitig evakuiert. Gefahr erkannt, tausend Kubikmeter Gestein vom Eiblschrofen abgestürzt, aber in eine Schneise gepoltert, die am bewohnten Gebiet vorbeiführte. Krisenstab einberufen. Bergrettung ausgeschickt. Landesgeologe mit Hubschrauber aufgestiegen. Keine weitere Gefahr. Bürgermeister untersagt weiteren Abbau von Dolomitgestein … Aha – Abbau! Der Mensch hat den Eiblschrofen durchlöchert, wie er auch den Lassinger Talk untergraben hat; so weit wäre alles klar. Unser prometheischer Übermut wieder einmal. Nur die Galtürer Lawinen hat er nicht ausgelöst, nicht einmal mit dem umfassenden ökokatastrophischen Verdacht erklären wir die ausreichend.

Ich aber sage euch: Lasst euch weder einlullen von denen, die da sagen, der Mensch war es oder gar der Minister ist schuld, noch von denen, die da mahnen „Risikogesellschaft“ oder: „Wer sich unter den Schrofen begibt, kommt darin um.“ Lasst euch nicht beruhigen! Vielleicht geht etwas ganz anderes vor sich: Österreich rutscht weg. Ende der Neunzigerjahre haben wir keine gesellschaftlichen Skandale mehr, oder wir merken es nicht, weil sie Allgemeingut aller Parteien geworden sind.

Die gesellschaftliche Normalisierung hat gegriffen, bald werden wir merken, dass wir Europäer sind, es wird keine zehn Jahre mehr dauern, dass wir uns von liebgewonnenen Eigenheiten verabschieden. Noch spüren wir bloß halbbewusst, dass etwas rutscht, noch klammern wir uns an Sozialpartnerschaft und Neutralität, an Selbstmordrate und Schilling. Damit ist bald Schluss. Dafür haben wir Naturkatastrophen. Sie gewöhnen uns an einen gleitenden Zustand.

Mehr Mobilität ist angesagt. Wenn schon die Wirtschaftsmächte nur als Naturmächte erscheinen, es aber nicht sind, so können uns Naturkatastrophen doch zumindest auf Änderungen im verfestigten Befinden einstimmen: einbrechende Wiesen, die sich in klaffende Grundwasserseen verwandeln und Menschen und Häuser schlucken. Zu Tal brausende Schneemassen, die hinstürzen, wo sie noch niemals hingestürzt waren. Hochwässer, die das Land überspülen. Abbrechende Gesteinsmassen, sich öffnende Felsspalten, Berge in Bewegung …

„Wo ist die Behörde?“, rufen empört die Österreicher, die auch noch über die Apokalypse eine Dienstaufsichtsbeschwerde verfassen würden. Eine schwache, aber erprobte Reaktion: Immer sind die Bürokraten schuld. Sie enthalten dem Bürgermeister die Pläne vor, den geologischen Fachmann fordern sie nicht an, den ausländischen Experten schätzten sie gering. Es musste erst Fels stürzen, dass denen jemand zugehört hat.

In Lassing haben sie uns auch im Stich gelassen, noch immer sind die Bergleute nicht geborgen, erst nach den nächsten Wahlen werden sie uns die Wahrheit sagen. Was sind die Skandale am Ende der Achtzigerjahre gegen die Katastrophen der ausgehenden Neunzigerjahre? Damals ging es der Nachkriegszeit an den Kragen, unter Verwerfungen verabschiedete sich eine Epoche. Von AKH bis Noricum, von Glykol bis Lucona, von VÖEST bis Frischenschlager-Reder13 begann der lange Abschied vom Zweiparteienstaat.

Udo Proksch14 wurde verurteilt, Minister erschossen sich oder traten zurück. Illegale Kanonenexporte, Steuerskandälchen, Kleinkorruption und dazu noch Kurt Waldheim15, der katastrophische Wendepunkt der Zeitgeschichte – das war’s mit den Achtzigern. Das konnte man sich erklären. Ein Land wollte zu sich kommen, nicht übermäßig korrupt sein, sich seiner Geschichte stellen. Damit konnte man leben, das alles ließ sich bewältigen und wurde bewältigt.

Aber die Berge, die Böden und die Gewässer, die sind schon etwas anderes. Vor allem, weil sich dieses Land ja nicht über seine politische Öffentlichkeit und schon gar nicht über sein Bewusstsein von Zeitgeschichte definiert, sondern über seine Landschaft. „Das Gebirge ist gegen die Menschen“ (Thomas Bernhard), aber die Menschen sind für das Gebirge. Im sogenannten Symbolhaushalt der Österreicher steht die Landschaft an erster Stelle, und innerlandschaftlich halten – man möchte sagen, naturgemäß – die Berge die Spitze.

Wir Österreicher halten an unseren Bergen fest und besteigen sie, wie wir wollen. Berge sind Kultstätten, Begräbnisstätten, Fotolocations für Politiker und Stätten des Fremdenverkehrs. Dass nun dem fleißigen Völkchen davonrutscht, was es am meisten verehrt, ist nicht besonders gerecht. Auch der Fluss tritt über die Ufer, wenn man es am wenigsten braucht, und der liebliche Bodensee hat seine Anrainer erschöpft, indem er sie das Schöpfen lehrte. Der Berg ist in Bewegung. Kommt jetzt, weil der Prophet nicht zum Berg kommt, der Berg zum Propheten? Wer wäre dieser? Und was würde er uns prophezeien? Der Berg kommt nicht zur Ruhe. Bergbau bleibt ein Risiko, wie das Leben. Aber müssen wir dauernd daran erinnert werden? Die Anrainer artikulieren deutlich ihre Gefühle. Was ist los mit Österreich? Land der Bergrutsche? Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 28/99 vom 14.7.1999

Heil Lexer!

Reinhold Lexer hieß ein Kurzzeitparteiobmann der Kärntner ÖVP (1999–2000). Im Banne Jörg Haiders suchte seine dahinschwindende Partei nach Gegenstrategien.

Vor Jahren hörte ich einem Wiener Professor zu, der als Experte für das Ansehen Österreichs im Ausland galt. Zu viel Mozart, sagte dieser Mann. Sie kennen von uns nur Mozart. Die Trapp-Familie ist beliebt, kein Zweifel, aber hauptsächlich bei der älteren Generation. Nicht bei den Entscheidungsträgern! Den Machern! Den Investoren! Bekümmert blätterte der Fachmann in einer Statistik. Mozart und dann lange nichts, sagte er. Glauben Sie ja nicht, das spielt keine Rolle! Nur mit Lebensart und Gemütlichkeit kriegt man kaum Touristen, geschweige denn Investitionen ins Land! Es geht um den Standort!

Langsam redete er sich warm. Unsere Technik-Kompetenz wäre ja vorhanden, aber wir wissen nicht, wie wir sie denen verkaufen sollen. Niki Lauda? Vergessen Sie den! Der ist auch nur ein Minderheitenprogramm. Adolf Hitler! Das wäre was! Er wisse allerdings, fügte der Professor nach einer Pause hinzu, in der ihm der betretene Gesichtsausdruck seines Zuhörers aufgefallen war, auf Hitler – der ja zweifelsohne ein Österreicher gewesen sei – dürfe man nicht stolz sein.

Er selbst sei kein Nazi, das brauche er wohl nicht zu betonen. Aber wahr sei, was wahr bleibe: Der Russlandfeldzug, ja, die Aufrüstung zum Weltkrieg insgesamt sei doch eine logistische Leistung der Extraklasse gewesen! Wenn man sich werbetechnisch damit nur irgendwie schmücken könnte, wäre viel gewonnen …

Den verrückten Professor hatte ich bald vergessen. Jetzt, emporgewirbelt durch den Kärntner ÖVP-Pallawatsch, tauchte er wieder in meiner Erinnerung auf. Die ÖVP im Sommer wäre zweifellos ebenfalls eine eigene Studie wert. Die „richtige Sau“16 heißt heuer Adolf Hitler. Kaum hatte sich der neue Kärntner ÖVP-Obmann in seinem Sessel zurückgelehnt, begrüßte ihn ein sogenanntes Strategiepapier von 64 Seiten Umfang, das er auszugsweise in der Zeitung nachlesen konnte. Strategiepapiere von Parteien sind meist das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Beschäftigungstherapie für Funktionäre, wenn’s gut geht. Belastungsmaterial für die Presse, wenn man Pech hat.

Die ÖVP hatte Pech. „Vorbild Hitler“ titelte das Magazin Profil, das verdienstvollerweise die Schweinerei aufdeckte und nun das Recht der ersten Empörung lustvoll auskostete. Die Kärntner ÖVP hatte sich den deutschen Konservativen Günter Rohrmoser eingeladen, einen gestandenen Rechten, der Folgendes referierte: „Die Frage politischen Erfolges ist keine Frage der Quantität; um provokative Vorbilder zu bringen: Adolf Hitler war das siebente Mitglied der NSDAP … Mao Tse-tung war das zwölfte Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas … Wie groß die Bewegung am Anfang ist, ist für den in der Zukunft liegenden politischen Effekt völlig gleichgültig.“

Nun hat die Kärntner ÖVP zum Unterschied von Männern, die vor achtzig Jahren in Münchner oder Singapurer Hinterzimmern saßen, bereits eine kleine Vorgeschichte, sodass ihr „politischer Effekt“ eher in der Vergangenheit als in der Zukunft zu liegen droht. Der konservative deutsche Sozialphilosoph Rohrmoser17 spielte bei der ideologischen Vorbereitung der deutschen Wende von Brandt und Schmidt zu Kohl18 seine Rolle; den Kärntner Schwarzen empfiehlt er das für ihn wenig überraschende Rezept, nach rechts zu rücken, Künstler zu diffamieren („diese Schweinereien“, „diese Ungeheuerlichkeiten im Kolig-Saal“ – welche, sagt er nicht) und den Nationalismus aus der Mottenkiste zu holen.

Dann aber kommt’s: „Gemeinsame Partizipation muss mit Symbolen für alle gegenwärtig werden und von allen als Ausdruck dessen empfunden werden, was sie bewegt. Das ist die Wichtigkeit von Symbolen. Und das haben eben die Nazis in einer genialen Weise verstanden … Genau auf diesen (das Profil verbessert stillschweigend in ‚diesem‘) Punkt des rituellen Setzens von Symbolen und Darstellungen ist Hitler genial gewesen.“ Die armen ertappten ÖVPler jaulten auf in Distanzierungen aller Arten, als man ihnen das vorhielt. Der neue Parteiobmann war natürlich gerade am Klo, als Rohrmoser referierte und so weiter.

Dabei könnte bei dieser Passage bis auf den Namen Hitlers jeder moderne Polit-Marketingleiter mit. Worüber regen sich die Betroffenen auf?

Goebbels war ein genialer Regisseur, kein Zweifel. Hitler ein faszinierender Politikschauspieler. Das Stück hatte halt Schwächen, wie ja auch die Technologieoffensive seinerzeit zwar Jobsjobsjobs ohne Ende schuf, sich letztlich aber in der Gesamtkostenrechnung als etwas teuer erwies.

Rohrmoser ist mehr als ein verschrobener Professor! Aber er ist kein Nazi, nur ein bornierter Rechter. Das wirkliche Drama an dieser vorgeblichen Hitler-Affäre besteht darin, dass keiner merkt, wo das Problem liegt. Dass es nämlich einem Extremisten des Marketing wie Hitler darum ging, die Sphäre des Demokratisch-Politischen abzuschaffen. Diese Sphäre besteht in Öffentlichkeit und Verfassung, sie lebt von Diskussion und Argument. Stattdessen setzten die Marketingleute auf Faszination, also auf Überwältigung durch Bilder und Inszenierungen, auf die Aufhebung kritischer Distanz und auf die Ausschaltung der freien Meinungsbildung.

Das Problem ist nicht ein tolpatschiger Hitlerbezug, das Problem ist, dass niemand diesen Unterschied zu erkennen scheint. Was zu diskutieren wäre, sind die Unvereinbarkeiten zwischen Marketing und Politik. Dann könnte man auch darüber reden, ob die ÖVP den Vorschlägen Herrn Rohrmosers folgen und nach rechts driften oder sich mit der von Andreas Khol19 vorgeschlagenen Bürgergesellschaft schwer tun will. So bleibt der Eindruck einer „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ der Kärntner ÖVP. Sie beschäftigt Kommentatoren wie mich. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 30/99 vom 28.7.1999

Teil II1999–2006Eine Wende und ihre Folgen

Wende ist Schande

Die Nationalratswahl 1999 bringt ein verblüffendes Ergebnis. Die Sozialdemokraten werden stärkste Partei, Jörg Haider ist Zweiter und Wolfgang Schüssel muss in die Opposition; das hat er für den Fall versprochen, dass die ÖVP Dritte wird.

Schande. „Heil Haider“ titelt der seriöse englische Guardian. Vor Übertreibungen sei gewarnt. Nervensache ist Ehrensache, mitten in der, jawohl, Schande. 28 Prozent aller wählenden Österreicher haben Jörg Haiders FPÖ aus unterschiedlichsten Motiven ihre Stimme gegeben. Sie sind noch weniger das Problem als ihr Führer. Er ist die FPÖ (manche seiner Kandidaten wissen nicht einmal, was sie tun) und er hat bisher allzu vieles offen gelassen, als dass man ins Normalitätsgerede einstimmen könnte. Er ist ein Rechtsextremist und ein Hetzer. 28 Prozent für ihn sind eine Schande.

Noch eine Schande: Die Wahlbeteiligung war so niedrig wie noch nie; und demgemäß erhielten die ehemals großen Parteien SPÖ und ÖVP jeweils so wenig Stimmen wie nie zuvor in der Zweiten Republik. Gewonnen haben neben den Freiheitlichen die Grünen; das freut. Aber die Summe des Rechtsrucks freut nicht: Statt etwa 50:50 steht es nun 40:60 für rechts. Aus dem Parlament geflogen ist das Liberale Forum Heide Schmidts20, das ungefähr so viele Stimmen verlor wie die FPÖ dazugewann. Auch das eine Schande.

Und zugleich normal. Die Wende. Einer der Oberzyniker unter den Wendemagazineuren, Christian Ortner21, spricht von einer „wohlerworbenen“ Niederlage – wohlerworben, damit spielt er auf die Rechte und Privilegien an, die eine satte politische Kaste sich zuschanze. Damit wird aber zugleich jenes Recht auf sozialen Ausgleich diskreditiert, das jede gerechte Politik im Schilde führen sollte. Sie würde bedeuten: nicht Geschenke gut gelaunter Pop-Faschisten, sondern gesellschaftspolitisch motiviertes Gegensteuern gegen den neoliberalen Trend, der die Einkommensscheren öffnet und beim Flexibilisieren gleich auch noch jene sozialen Zusammenhänge pulverisiert, welche die Modernisierungsverlierer schützen. Eine Normalität, die auf dieses Gegensteuern verzichtet, ist eine Schande.

Noch größer die Schande, dass die Sozialdemokratie sich derart entpolitisiert hat. Die immer wieder aufgemachte Rechnung, doch das kleinere Übel zu wählen, wurde vertan. Das Erbe der Vorgänger wurde verspielt. Auf Franz Vranitzkys22 politisch grundierten ostentativen Antinationalsozialismus und seine stille Abscheu vor allem, was davon parasitierte, ob Waldheim oder Haider, folgte eine Taktik des Ausweichens. Klima trat einen Schritt zur Seite, in der Meinung, er sei ein Torero, der den Stier vorbeibrausen lasse. In Wirklichkeit war er ein Manndecker, der den wendigen Stürmer ziehen ließ. Eine Schande, wie man sich täuschen kann. Dass aus Bruno Kreiskys23 Erbe nicht die Idee, aber zumindest das Bild einer modernisierten sozial orientierten Politik zu gewinnen wäre, darauf scheint niemand zu kommen. Lieber orientiert man sich an Blair, Schröder und Jospin24, die zwar jeder für etwas anderes stehen, was aber egal ist, weil sie den so genannten Menschen draußen sowieso nichts bedeuten. Haider hingegen, bei aller sich überschlagenden Modernität, steht treu zu seiner Kriegsgeneration.

Ausländerfeindliche Parolen in einem gebietsweise unterschiedlich geführten Wahlkampf haben offenbar niemanden davon abgehalten, Haider zu wählen; moralische Schranken wurden keine errichtet. Im Gegenteil: Wer wundert sich über die Stimmung, wenn Politiker den Stimmungsmachern wie der Kronen Zeitung nachgeben, mit ihnen paktieren, ihnen also indirekt Recht geben? Schande! Der ressentimentgeladene Boulevard einerseits und die Neoliberalen coolen Larrys andererseits haben zugepackt; die Roten hielten sich für die Zange, waren aber die Nuss. Und dann zahlen sie noch astronomische Beträge für Inserate an jene Zeitung, die ihr Grab schaufelt. Affenschande! Immerhin: Siebzig Prozent der österreichischen Wählerschaft will Herrn Haider dezidiert nicht.

Wolfgang Schüssel hat es geschafft. Ich habe den alten Fuchs unterschätzt; er hat mit seinen Attacken und Profilierungsversuchen Kanten gezeigt, er hat wenigstens die eigenen Leute aufgerüttelt. Dass die Staatspartei ÖVP hinter die FPÖ rutscht, das wollte die Wählerschaft nicht. Die Themen waren zum Verzweifeln, aber auf die kam es nicht an. Im Wesentlichen hat sie sowieso Haider vorgegeben, zumindest vermochte er, es so darzustellen. Die SPÖ verwechselt ja Themen mit Botschaften, sozusagen Politik mit Diplomatie, die Sache mit ihrer verfeinerten Umsetzung.

Wende. Eine Republik von Nazis? Nein. Jetzt kommen Koalitionsverhandlungen. Das ist eine wirklich gefährliche Drohung, denn der Wirtschaftsbund wird Wolfgang Schüssel in die große Koalition zwingen; der Preis, den er dafür verlangt, sein Gesicht zu verlieren und doch nicht als Dritter in die Opposition zu gehen, wird astronomisch sein, erst recht, sollte er doch Zweiter werden. Das traditionelle Zweiparteiensystem ist ad acta gelegt; Schüssel hat von allen dreien die besten Karten. Die schlechtesten hat Viktor Klima, der gerade noch die Sperrminorität im Parlament gegen den Nato-Beitritt und die Drohung, in Wien Rot-Schwarz durch Rot-Grün zu ersetzen, auf seiner Seite hat.

Es deutet aber alles darauf hin, dass es – nach Schüssels großem Poker – die Sozialpartner schon richten werden. Zufrieden feixt der Karawankendachs aus den Kulissen. Was ihn groß macht, bleibt erhalten. Die Neuerfindung der Politik wird wegen dringender Koalitionsverhandlungen vorläufig vertagt, bis zum nächsten Wahlkampf. Dann werden die Österreicher kriegen, was nicht einmal 15 Prozent von ihnen wirklich wollen: Kanzler Haider. Was sie wirklich wollen, eine andere, eine konturierte Art von Politik, das kriegen sie erst recht nicht. Das ist dann nicht einmal mehr eine Schande. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.

Falter 40/99 vom 6.10.1999

Sand in der Kiste

Kaum hatten die EU-14 ihre Sanktionen verhängt, reagierte der ORF mit einem „Österreich-Gespräch“. Ein Land sprach mit sich über sich und blieb dabei unter sich.

Österreich-Gespräch. Stumm steht man noch eine Woche nach dem Unfassbaren vor dieser Schöpfung. Österreich-Gespräch. 1,4 Millionen haben zugesehen, obwohl im anderen Programm eine Übertragung aus der Champions League lief. Ja, das Gespräch. Der Anfang des Denkens, der Zivilisation, der Philosophie und der Demokratie. Ja, Österreich: das schöne, das geschichtsbeladene, das unschuldige Land. Und dann das. Österreich sprach mit sich. Ein Selbstgespräch zu hundert?

Eine fantastische Darbietung inszenatorischer Cleverness. Altfüchsisch eingefädelt vom Oberchampion der medialen Verhältnisse, vom ORF-Generalintendanten Gerhard Weis25, der den General in seinem Titel durch strategische Raffinesse rechtfertigte: So viel Sand in der Kiste war noch nie! So viel Sand, den man einander in die Augen streute, bis sich die Spuren verloren, das Sandmännchen kam und alles am Sand war.

Dann trumpfte ein bis dato schweigsamer Germanist auf und brachte Medienkritik ins Spiel. Medienkritik in den Medien, das haben wir am allerliebsten. Figuren, die mitspielen, nicht ohne ihr Mitspielen zu thematisieren, die ihre Rolle spielen, aber kritisch gebrochen. Werner Welzig26, der Hubsi Kramar27 für Philologen. Der gepflegte Situationist für Ihren persönlichen Salon. Der interventierende Querdenker für die ins Selbstgespäch verstrickte Nation.