Seraphim: MEA CULPA - Sandra Baumgärtner - E-Book

Seraphim: MEA CULPA E-Book

Sandra Baumgärtner

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Beschreibung

Seraphim und Leander genießen ein entspanntes Dasein mit ihren Blutspendern René und Aniko. Schon bald bittet Leander seine Angebetete um eine Praecantara – einen eheähnlichen Bund zwischen Vampiren. Zeitgleich gerät die heile Welt der beiden immer mehr ins Wanken. Steckt Dana, Leanders exzentrische Schwester, hinter allem? Was weiß sie über die dunkle Vita ihres Bruders? Seraphim kann sich nicht entscheiden, ob sie die Praecantara mit Leander eingehen soll. Sein beharrliches Schweigen über einen Zwischenfall, der sich vor ihrer gemeinsamen Zeit ereignete, bereitet ihr Sorgen. Und plötzlich betritt auch noch ein alter Bekannter aus Leanders Vergangenheit die Bühne, der alle Beteiligten zu willenlosen Schachfiguren in einem tödlichen Spiel macht.

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1. Frühlingsgefühle
Trier, Olewig
2. Praecantara
3. Mitternachtsmahl
4. Eskapade
5. Überzeugend
6. Schlechte Karten
7. Trugschluss
8. Hasardeure
9. Schlagende Argumente
10. Ausgebrannt
11. Einbruch
12. Voodoo
13. Leichenschmaus
14. Loyalität
15. Lebenszeichen
16. Tödliche Nebenwirkungen
17. Lorena
18. Entrissen
19. Das Ende
20. Spektakuläres
21. Leichen im Keller
Danke!
Personenregister
Sandra Baumgärtner

 

 

 

 

 

 

Seraphim: MEA CULPA

 

Band 2 der Seraphim:Vampirsaga

 

Sandra Baumgärtner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Auflage, 2017

© 2017, Sandra Baumgärtner

(1. Auflage im Verlag Kleine Schritte, 2013)

Herstellung&Satz: MACHWERKE Verlag

Covergestaltung: FANTASIO www.fantasio.info

 

ISBN 978-3-947361-01-4

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

Sämtliche Inhalte, Fotos und Grafiken dieses eBooks sind urheberrechtlich geschützt. Sie dürfen ohne vorherige Genehmigung weder ganz noch auszugsweise kopiert, verändert, vervielfältigt oder

veröffentlicht werden.

 

 

 

MACHWERKE Verlag, Trier

[email protected]

www.machwerke-verlag.de

 

 

 

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

 

Die im Text genannten Personen, egal ob lebendig, tot oder untot, sind allesamt frei erfunden. Dies gilt auch für Zeitungsartikel, Mails und Nachrichten jeglicher Art. Sie wurden nie geschrieben oder veröffentlicht und entsprangen alleine der Fantasie einer kreativen Autorin. Einzig zur Existenz zweier Trierer Vampire kann die Autorin aus nachvollziehbaren Gründen keinerlei Auskunft geben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ja, erst wenn der Felsengrund zerbricht wie Glas,

ja, erst wenn die Sonne ihren Schein verliert,

ja, erst wenn der Wald mit Taubenschwingen von uns fliegt,

erst dann werd´ ich dich vergessen, feinstes Lied.

 

aus „Für immer“ von Lambda Bassprojekt

1. Frühlingsgefühle

Trier, Olewig

 

»Um Mitternacht bist du tot!«

Die junge Frau zuckte zusammen. Noch vor einer Stunde hatte der Mann sie freundlich in ein Restaurant geführt. Und jetzt das. Unsicher stand sie auf und nahm ihre Handtasche. Sie würde ihn einfach sitzen lassen. Sollte er doch die Rechnung alleine bezahlen. Der Kerl tickte nicht ganz richtig, erst auf nett zu machen und ihr dann solche Angst einzujagen. Warum war sie überhaupt mit ihm gegangen? Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sämtliche Vorsichtsmaßnahmen über Bord zu werfen? Nur weil der Fremde ihr angeboten hatte, sie der Einfachheit halber zu einem empfehlenswerten Restaurant zu begleiten? Sie hatte sich ihm kurzerhand anvertraut. Seine Stimme hatte so angenehm und einfühlsam geklungen. Genau das Richtige für den letzten Tag ihrer einsamen Reise. Als hätte er gewusst, warum sie alleine Urlaub in Trier machen musste, hatte er die ganze Zeit über ihren Erzählungen gelauscht und hatte sie währenddessen aus der Stadt hinaus zu einem Vorort gelotst. Nicht ein Mal hatte er sie bei ihrem Monolog unterbrochen. Eigentlich war es gar nicht ihre Art, mit fremden Männern essen zu gehen, aber heute Abend wollte sie nicht alleine sein. Also hatte sie ihren netten Führer eingeladen, mit in das Restaurant zu kommen und ihr Gesellschaft zu leisten. Er hatte zugesagt. Gegessen hatte er im Blesius Garten allerdings nichts.

Plötzlich stand er neben ihr. »Gehen wir«, sagte er und packte sie grob am Arm.

Die Umklammerung tat ihr weh, dennoch protestierte sie nicht, als er sie nach draußen zog. Sein rüdes Verhalten machte ihr eine Höllenangst. Es war spät geworden und stockdunkel. Die Straßen schienen wie leer gefegt. Wieso, in drei Teufels Namen, hatte sie sich hierher in diese Einöde bringen lassen?

»Du musst mich nicht zurückbringen.« Sie versuchte vergeblich, die Hand von ihrem Arm abzuschütteln. »Ich rufe mir jetzt ein Taxi.«

»Kein Taxi!«, zischte er böse und wirbelte sie mühelos zu sich herum.

Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um in sein Gesicht schauen zu können. Der Ausdruck darin gefiel ihr ganz und gar nicht. »Kein Taxi«, wiederholt er freundlicher und lächelte. »Du läufst. Lauf um dein Leben.«

»Du spinnst ja. Lass mich sofort los, sonst schreie ich!« Ihr zaghafter Protest blieb ungehört. Irgendwo wurde ein Fensterladen geschlossen, sonst geschah nichts weiter.

»Tu es.« Sein eisiger Atem streifte ihren Hals, als er ihr die Worte ins Ohr flüsterte. »Schrei. Aber bitte laut. Bereite mir wenigstens damit eine Freude, wenn du schon nicht davonlaufen willst.«

Halbherzig setzte sie zu einem Schrei an, öffnete ihren Mund und schloss ihn wieder. Er hatte sie absichtlich in diesen abgelegenen Winkel der Stadt gelockt. Sie saß in der Falle. Diese Erkenntnis schürte ihre Angst noch mehr. Jetzt konnte sie nur darauf hoffen, dass sie einigermaßen heil aus der ganzen Sache herauskam. Sollten die Opfer bei einer Vergewaltigung nicht jegliche Gegenwehr aufgeben? Hieß es nicht, dass der Angreifer dann schneller von seinem Vorhaben abließ? Widerstand schien diesen Kerl ganz offensichtlich zu erregen. Wieso sonst sollte sie sich wehren und davonrennen?

»Jammerschade. Ich habe mich wohl in dir getäuscht. Dabei fing es so vielversprechend an.« Seine Frustration war nicht zu überhören. Er nahm ihre Hand und musterte das Handgelenk. »Ich hatte auf mehr Stimulus gehofft. Das hätte etwas mehr Nervenkitzel ins Spiel gebracht, weißt du?«

Sie schloss die Augen, als er mit seinem Kopf ihr rotes Haar streifte.

»Wie heiß du bist«, schwärmte er. Etwas Kaltes berührte ihren Hals. »Ich kann dein Blut rauschen hören. Es klingt vielversprechend.«

Seine Lippen wanderten zu ihrem Ohr empor. Sie versuchte, sich nicht zu bewegen. Das kurze, schmerzhaft Zwicken an ihrem Ohrläppchen ließ sie jedoch ungewollt zusammenzucken und die Augen aufreißen.

»Hm«, stöhnte der Typ genüsslich und etwas Eisiges kühlte die kleine, brennende Stelle an ihrem Ohr. »Immerhin, es schmeckt besser als erwartet.«

»Bitte!«, flehte sie. »Bitte, lassen Sie mich in Ruhe. Ich werde alles tun, was Sie von mir verlangen. Aber bitte tun Sie mir nicht weh.« Für einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie loslaufen sollte. Ein Zucken verriet ihren Gedanken.

»Wird es doch noch interessant?«, feixte der Typ und grinste sie breit an. Seine Zähne waren ebenso blutverschmiert wie seine Lippen. Er stieß sie grob von sich weg. »Also gut, ich gebe dir eine letzte Chance. Lauf! Lauf um dein Leben.«

Halbherzig tat sie einen Schritt vorwärts und stieß gegen seine Brust. So gerne sie weggerannt wäre, sie konnte nicht. Maßlose Angst lähmte ihre Glieder und ließ sie an der kalten Brust des Fremden resignieren. Sollte er mit ihr machen, was er wollte, wenn es nur schnell vorübergehen würde. Sie sah keine Chance mehr zur Flucht. Sie könnte es nie bis zum nächsten Haus schaffen, zu schnell würde er sie einholen.

»Nein, ich werde nicht laufen. Und ich werde auch nicht schreien.« Ihre Stimme klang bei Weitem nicht so selbstbewusst, wie sie es sich erhofft hatte. Und sie verstummte augenblicklich, als sie in sein Gesicht sah. Das hämische Grinsen darin erstarb.

»Das ist schade. Sehr schade.« Seine Stimme war pures Eis, ohne den kleinsten Funken Menschlichkeit darin. Seine Arme schlossen sich fest um ihren Körper.

Bitte, bitte, lass es schnell vorüber sein, flehte sie innerlich und spürte den Schmerz an ihrem Hals kaum. Der Druck verschwand fast so schnell, wie er gekommen war. Schon ließ der Fremde wieder von ihr ab.

»Dein üppiges rotes Haar erinnert mich an Seraphim«, flüsterte er und leckte sich genussvoll über die blutigen Lippen. »Aber diesen köstlichen Lebenssaft hast nur du zu bieten. Zumindest im Moment noch.« Sie hörte ihn lachen und fand sich im nächsten Moment erneut in seiner stählernen Umarmung. Brutal griff er nach ihrem Kopf.

Seraphim?, dachte sie kurz. Dann wurde ihr plötzlich warm und die Frage verlor ihre Wichtigkeit. Mit einem letzten Seufzer glitt sie in die Bewusstlosigkeit.

 

Viel zu schnell war für den Angreifer alles vorüber. Zornig schüttelte er den blutleeren Körper, bis der Kopf in grotesken Bewegungen hin und her zu rollen begann. Die roten Haare züngelten wie Flammen im Wind.

»Pah«, schimpfte der Bluträuber und spuckte der Leiche rote Tropfen ins Gesicht. »Überflüssiges Weiberpack. Kaum greift man richtig zu, bricht schon ihr Genick wie Glas. Es bereitet unsereins wesentlich mehr Vergnügen, wenn sich die Jagd nicht ganz so simpel gestaltet. Nun gut.« Er warf den Leichnam achtlos ins Gebüsch und rieb sich die Hände sauber. »Genug dieser reizlosen Possen. Es ist Zeit für das wahre Drama.«

 

 

 

 

Ein milder Wind wehte zur Abendstunde durch die offenen Türen des Wintergartens herein. Draußen in den Baumwipfeln erzählten Amseln vom Frühling. Winterkälte und Eisregen hatten sich endgültig verzogen. Ein sonniger Tag war zu Ende gegangen. Trotz der wärmenden Sonnenstrahlen hatten wir uns nicht ins Freie begeben und erst die Abenddämmerung abgewartet, bevor wir durch Leanders großen Garten geschlendert waren. Nach einem kurzen Spaziergang saßen wir nun auf dem alten Sofa im kerzenbeschienenen Wintergarten und genossen die besondere Atmosphäre des Abends.

»Das war ein herrlicher Tag«, bemerkte Leander. »Unsere Nächte werden wieder kürzer.«

»Und die Tage länger«, sinnierte ich. »Zum Glück müssen wir dank der UV-dichten Spezialverglasung nicht beim ersten Sonnenstrahl in den Keller huschen.« Ich entzog mich seiner Umarmung und ging zu den großen Fenstern hinüber. Der Mond stand voll und klar am Firmament. Vereinzelt blitzten ein paar Sterne und ein Satellit zog seine einsame Runde. »Es sind nur noch ein paar Wochen bis zum Walpurgisfest. Wann sagtest du, kommt dein Koch wieder aus Italien zurück?«

Inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt, dass Leander eine Haushälterin und zwei Gärtner beschäftigte und zudem eigene Blutspender im Haus hatte. Dass er einen Koch zu seinen Angestellten zählte, war mir zunächst unbegreiflich gewesen. Wozu einen Koch beschäftigen, wenn Vampire sich ausschließlich von Blut ernähren? Auf die Antwort hatte ich nicht lange warten müssen. Zu Leanders großem Bekanntenkreis zählten nicht nur Vampire, sondern auch Menschen. Und Sterbliche ernähren sich im Allgemeinen anders als unsereins. Um diesem Umstand bei seinen Festen Rechnung zu tragen, hatte Leander den Italiener Luigi Mariotti in Anstellung, der den Gästen die schönsten italienischen Gerichte zauberte. Auch wenn ich Luigis Kochkünste nicht beurteilen konnte, fand ich an dem kleinen, braun gebrannten Macho Gefallen. Er verstand es, Frauen auf charmante Art Komplimente zu machen. Und natürlich lag er mir zu Füßen. Er hätte sie mit Sicherheit auch geküsst, hätte ich nur ein einziges Mal seine Lasagne probiert.

»Er meldete sich für Mitte März an«, riss mich Leander aus meinen Gedanken. »Willst du ihn anrufen? Ich bin sicher, auf ein Wort von dir käme er sofort.« Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, dass er grinste. »Tröste dich«, fuhr er fort, »mir fehlt sein schief gesungenes ›O sole mio‹ ebenfalls. Auch wenn ich jedes Mal Angst um unsere Weingläser bekomme.«

Lachend schlenderte ich zum Sofa zurück und setzte mich. »Die Weingläser sind gut verstaut im Keller. Denen kann nichts passieren.«

Für eine Weile blieben wir stumm und genossen die Stimmung. Nur die Amseln im Garten und die große Standuhr in der Eingangshalle unterbrachen gelegentlich die Stille.

»Unsere neue Putzhilfe ist wirklich eine Perle«, merkte Leander nach einer Weile an. »Ich glaube, wir sollten Tina eine kleine Gehaltserhöhung geben. Was meinst du?«

»Das fände ich gut. Alles ist picobello sauber. Tina ist zuverlässig und lieb.«

»Wesentlich angenehmer als meine alte Putzhilfe Mathilda, nicht wahr?«, schmunzelte Leander.

»Viel angenehmer«, bestätigte ich.

Mathildas menschliche Ausdünstungen und ihr unmögliches Verhalten waren mir noch bestens präsent. Mich als Hexe zu beschimpfen war nicht nur mir sauer aufgestoßen. Leander hatte seine Putzfrau nach ihrem Fehltritt umgehend vor die Tür gesetzt.

»Was ist eigentlich aus Mathilda geworden?«, fragte ich nur mäßig interessiert.

»Soviel ich weiß, ist sie zurück nach Trier gezogen.«

»Zurück nach Trier?« Ich war überrascht. »Kam sie ursprünglich von dort?«

»Hat sie es dir nie erzählt? Sie ist in Trier geboren. Und sie erwähnte irgendwann einmal ihr Haus am Moselufer.«

»Wir haben nie viel miteinander geredet«, antwortete ich schulterzuckend.

»Ist sie dir nun etwa sympathischer, wo du weißt, dass ihr quasi Landsfrauen seid?«

»Wenn du dich weiter über mich lustig machst, dann ...«, drohte ich, hob meine Hände zu seinem Hals und bleckte die Zähne.

»Dann was?« Er schaute mich an und grinste noch breiter.

Im Handumdrehen hing ich an seinem Hals und tat, als wollte ich zubeißen. Stattdessen biss ich in ein Büschel Haare.

»Bäh«, beschwerte ich mich und spuckte angewidert die Haarsträhne aus.

Leander schüttelte sich vor Lachen und schob mich mühelos zurück auf meinen Sitzplatz. »Nichts für ungut, aber das müssen wir mal üben. Wenn du möchtest, erteile ich dir hier und jetzt eine Lektion.« Er beugte sich näher und fing spielerisch eine Strähne meines Haares ein. »Ich habe auch noch andere, durchaus interessante Dinge für dich im Repertoire.«

»Nein danke, Herr Oberschulrat«, tat ich beleidigt und rückte von ihm ab. »Ich habe heute meine Migräne.«

Es klingelte leise.

»Natürlich. Ausgerechnet dann, wenn es spannend wird«, beschwerte sich Leander und griff nach seinem Mobiltelefon, das auf dem Tisch lag. Verwundert hob er eine Augenbraue, als er auf das Display schaute.

»Hallo, Schwester. Was verschafft mir die Ehre?«

Leanders Schwester Dana. Ich rutschte tiefer in die Sofakissen. Ich hatte Dana letztes Jahr auf einer Party kennengelernt. Noch bevor wir einander vorgestellt worden waren, war sie mit einem bühnenreifen Auftritt ihrem Bruder wie eine liebestolle Circe um den Hals gefallen. Augenblicklich hatte ich in ihr eine ernst zu nehmende Rivalin gesehen und anschließend alle Register gezogen, um die vermeintliche Nebenbuhlerin auszubooten. Ich hatte mich dabei bis auf die Knochen blamiert. Und ich schämte mich nach wie vor dafür.

Aber ich bereue es nicht, dachte ich trotzig. Immerhin hatte mir mein impulsiver Gefühlsausbruch vor Augen geführt, was Leander mir bedeutete. Ich war nicht wirklich stolz auf mein Handeln, aber entschuldigen würde ich mich bei Dana ganz gewiss nicht dafür.

»Nein, natürlich passt es uns.« Leander nahm neben mir Platz. »Bis morgen. Und schöne Grüße an Raoul.« Er legte das Mobiltelefon auf den Tisch. »Schöne Grüße von Dana und deinem Freund Raoul. Sie wollen uns morgen besuchen.«

2. Praecantara

 

Raoul und Dana kamen am darauffolgenden Abend bei uns an. Ein sichtlich nervöser Taxifahrer lieferte die beiden vor unserer Haustür ab. Irritiert huschte sein Blick zwischen uns und seinen Fahrgästen hin und her. Als ihn Dana wütend aufforderte, endlich mit dem Ausladen zu beginnen, zuckte er schuldbewusst zusammen und eilte zum Kofferraum. Dana warf theatralisch ihre Handtasche zu Boden und stürmte auf unmöglich hohen Stöckelschuhen und mit weit geöffneten Armen auf Leander zu. Ihr blondes Haar flog wie ein Schleier hinter ihr her.

»Leander, Brüderchen. Wie schön.«

Leander nahm seine Schwester schwungvoll in die Arme und wirbelte sie kurz herum. Mit einem unsanften Schubs entließ er sie und reichte Raoul die Hand. »Schön, dich wiederzusehen, Raoul. Wie ich sehe, bevorzugt ihr mittlerweile die konventionelle Art der Reise. Ich nehme an, das Taxi ist dir anzurechnen? Meine Schwester machte sonst immer einen großen Bogen um diese technische Fortbewegungsart.«

»Grüß dich, Leander. Ja, ich bestand darauf. Dana wollte ...«

»Glaubst du allen Ernstes, ich würde in diesen Dingern hier rennen, Brüderchen?«, flötete Dana dazwischen und deutete auf ihre Schuhe. »Und außerdem konnte ich mich nicht entscheiden, welche Klamotten ich mitnehmen soll.«

Der Taxifahrer stand mittlerweile neben einem Berg Koffer und Taschen und wartete auf die Bezahlung. Er hatte unsere Begrüßung mit argwöhnischem Blick verfolgt und es vermieden, Raoul bei der Übergabe der Gepäckstücke zu berühren. Kaum hatte er sein Geld, brauste er verdammt schnell davon.

»Der wird heute Nacht bestimmt Albträume haben«, lachte sie. »Wie der mich die ganze Zeit angestarrt hat. Als ob ich ihm an die Gurgel wollte.«

»Kein Wunder«, kommentierte Raoul wenig freundlich. »Er hatte deine Reißzähne ja förmlich vor der Nase, als du dir den Lippenstift nachgezogen hast. Ich hatte den Eindruck, er fuhr danach noch unsicherer.« Raoul wandte sich an mich. »Sera«, sagte er leise und schloss mich herzlich in die Arme.

Es tat unendlich gut, meinen Freund bei mir zu wissen. Der Einzige, der von meiner Trierer Familie übrig geblieben war. Der letzte Rest meiner Vergangenheit. Ich genoss die alte Intimität und hätte ewig so dastehen können, hätte sich Leander nicht vernehmlich geräuspert.

»Ich möchte eure Wiedersehensfreude ja nicht schmälern«, betonte er, »aber gehen wir doch ins Wohnzimmer und machen es uns dort gemütlich.«

Irrte ich mich oder klang er leicht gereizt? Raoul ließ mich sofort los. Stattdessen griff er sich einige Taschen, die auf dem Boden herumstanden.

»Wo können wir unser Gepäck verstauen, Leander?«, fragte er.

»Wieder das alte Gästezimmer oben, nicht wahr?«, kam Dana ihrem Bruder zuvor und stöckelte los. Dass wir uns nicht begrüßt hatten, ignorierte sie genauso großzügig wie die zahlreichen Gepäckstücke. Leander griff sich zwei Koffer und folgte ihr kopfschüttelnd.

»Typisch«, hörte ich ihn murmeln.

Als wir oben ankamen, ließ Leander polternd die Koffer fallen. »Ich nehme an, ihr wollt euch erst einmal frisch machen. Das Badezimmer befindet sich gleich nebenan. Wir warten derweil im Wintergarten auf euch«, erklärte er knapp und zog mich entschlossen aus dem Zimmer.

Irritiert folgte ich ihm nach unten. Als er sich im Wintergarten zu mir drehte, waren seine Lippen grimmig aufeinandergepresst.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte ich erschrocken.

»Lass uns bitte nach draußen gehen«, brummte er und hielt mir die Terrassentür auf.

Die Bäume im Garten wirkten im Mondlicht wie bizarre Kreaturen. Ich sog die würzige Nachtluft ein und versuchte meine wirren Gedanken zu ordnen. Es gelang mir nicht.

»Was soll das?«, meckerte ich. »Wenn dich etwas stört, dann sag es bitte. Ich kann keine Gedanken lesen, also rede bitte mit mir.«

Ohne zu antworten, führte Leander mich in die Tiefen des Gartens hinein. Erst an der Grundstücksmauer deutete er auf eine alte Steinbank. Eine kleine Maus raschelte erschrocken ins nahe Gebüsch, als wir uns setzten. Ansonsten war es still.

»Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll«, murmelte Leander und studierte intensiv den Gartenboden.

»Von vorne?«, hoffte ich ihn aufzumuntern.

Mit einem Ruck richtete er sich auf und suchte meinen Blick. »Dich so zu sehen, mit Raoul, das gefiel mir nicht.«

»Er ist mein Freund«, antwortete ich ihm. »Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«

»Das weiß ich, aber diese Intimität. Sie machte mich auf etwas aufmerksam.« Er redete nicht weiter und starrte wieder auf den Boden. Sein ungewohntes Zögern machte mich neugierig. Er drehte sich zu mir herum und schaute mich ernst an. »Ich teile dich nicht gerne mit jemandem.«

»Hatten wir das nicht schon mal?«, schmunzelte ich.

»Ich meine es ernst. Ich konnte es kaum ertragen, euch zuzusehen.«

»Raoul ist keine Konkurrenz für dich«, versicherte ich ihm. »Kein anderer kann das jemals sein!«

»Ich liebe dich.« Zärtlich legte er seine Hände um mein Gesicht.

»Und ich dich«, flüsterte ich zurück.

»Wie sehr?«

»Wie bitte?«, fragte ich verdattert.

»Wie sehr?«, wiederholte er. »Liebst du mich so sehr, dass du nicht mehr weiterexistieren wolltest, wenn mir einmal etwas zustoßen sollte?« Immer noch hielt er mein Gesicht in seinen Händen. Immer noch blickte er mich eindringlich an. »Ich mache keinen Spaß, Seraphim.«

Ich zuckte leicht zusammen. Er hatte mich lange nicht mehr mit meinem vollen Namen angesprochen. Es musste ihm wirklich ernst mit seiner Frage sein. Ich suchte vergeblich eine Antwort in seinen dunklen Augen.

»Natürlich liebe ich dich. Aber ich weiß nicht, was du von mir hören möchtest.«

Leander seufzte und ließ die Hände in den Schoß fallen. »Du hast natürlich recht. Entschuldige, ich wollte dich nicht irritieren. Ich habe dir einmal versprochen, nichts von dir zu erwarten, was du nicht aus eigenen Stücken zu geben bereit bist. Und ich stehe zu meinem Wort. Lass uns diese Diskussion bitte einfach vergessen. Schieben wir es auf meine Eifersucht.«

»Nein«, unterbrach ich ihn. So leicht würde er mir nicht davonkommen. »Ich will hören, was in deinem Kopf vorgeht. Ich kenne dich lange genug, um zu wissen, dass du nicht einfach aus einer Laune heraus fragst. Also? Raus damit. Und erzähle mir nicht wieder etwas von Raoul oder deiner Eifersucht. Da steckt doch etwas ganz anderes dahinter.«

Leander zögerte und suchte nach den richtigen Worten. »Du willst wissen, was in meinem Kopf vorgeht? Nun, zurzeit ist dort nur Platz für ein Thema: nämlich für dich.« Er seufzte und sah dabei so verletzlich und schön aus, dass es mich beinahe zu Tränen rührte. »Ich fühle mich in deiner Gegenwart sehr wohl ...«

»Und ich mich in deiner«, fiel ich ihm ins Wort und erntete einen ärgerlichen Seitenblick.

»Bitte, lass mich ausreden. Du hast nach meinen Gedanken gefragt und ich möchte sie dir erklären. Darüber diskutieren können wir gerne später.«

Ich nickte und nahm mir vor, ihn nicht mehr zu unterbrechen.

»Ich fühle mich mit dir zusammen sehr wohl«, griff er das Gespräch wieder auf. »Schon als ich dich das erste Mal sah, war ich fasziniert von dir. Damals sah ich nicht die geringste Chance, jemals mit dir zusammen zu sein. Du warst eine Sterbliche, ich ein Vampir. Selbst als tom Brook dich zum Vampir gemacht hatte, änderte das nichts. Ich verbot mir jegliche Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft und jede noch so kleine Erinnerung an dich, denn sie waren die quälenden Zeugen des Unmöglichen.« Er zuckte mit den Schultern. »Und nun wohnst du bei mir, teilst mein Haus, mein Dasein. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich in deiner Gegenwart bin und wie sehr du mein Dasein bereicherst.«

So viele Geständnisse auf einmal konnte selbst ich nicht ohne Weiteres verdauen. Verschämt blickte ich zum Haus. Doch Leander drehte sanft mein Gesicht zu sich und küsste meine Nasenspitze.

»Meine Gefühle für dich habe ich dir oft genug dargelegt. Ich möchte dich keineswegs mit meinem Ansinnen überfallen, aber ich möchte dich bitten, wenigstens darüber nachzudenken. Eine Existenz ohne dich an meiner Seite kann und möchte ich mir nicht mehr vorstellen. Ich möchte dich daher bitten, mit mir eine Praecantara zu schließen.« Erwartungsvoll sah er mich an.

»Eine was, bitte?«, kam es mir spontan über die Lippen.

»Du weißt nicht, was ich meine?«, fragte er vorsichtig.

»Äh, nein. Ich meine: ja. Also«, gestand ich kleinlaut. »Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung, was eine Praecantara ist. Ist das so was wie eine Ehe?«

Leander schmunzelte und gab mir erneut einen Kuss. Diesmal auf die Stirn. »So etwas Ähnliches, ja.«

»Eine Ehe zwischen Vampiren? Tut mir leid, davon habe ich noch nie gehört. ›Bis dass der Tod euch scheidet‹ kann es ja wohl kaum heißen, oder?«

»Nun ja, genau genommen haben wir den Tod bereits hinter uns. Soll ich dir erklären, was eine Praecantara ist?«, bot er an. Erleichtert stellte ich fest, dass er dabei weder amüsiert noch lehrerhaft klang. Ich wäre mir sonst wie eine kleine, unwissende Dorfpomeranze vorgekommen. Noch nie zuvor hatte ich von einer Praecantara gehört. Selbst meine Freunde hatten eine Vampirehe niemals zur Sprache gebracht.

»Erkläre es mir bitte«, bat ich.

»Eine Praecantara ist tatsächlich so etwas wie eine Ehe zwischen unseresgleichen. Sie wird vor den drei Seelenwägern, unseren Rechtsprechern, geschlossen und von ihnen bezeugt. Und sie hält eine Ewigkeit.«

»Und wo ist der Haken?«, versuchte ich zu scherzen.

---ENDE DER LESEPROBE---