Siegfried Behrend - Stationen - Manuel Negwer - E-Book

Siegfried Behrend - Stationen E-Book

Manuel Negwer

0,0

Beschreibung

Mit diesem Buch soll an den "Vater der Gitarristik" in Deutschland erinnert werden. Mit Beiträgen zu Siegfried Behrend selbst sowie zu Themen, die ihn besonders interessierten. Gleichzeitig wird seine einmalige Künstlerkarriere anhand seiner Konzertplakate, Privatfotos und Konzertprogrammen nachgezeichnet - Stationen nicht nur im übertragenen, sondern auch im realen Sinne. Mit Beiträgen von Marc Boettcher Rüdiger Grambow Matthias Henke Martin Maria Krüger Manuel Negwer Helmut Richter Michael Tröster Stark erweiterte und aktualisierte Neuausgabe des Buches Stationen anlässlich des 85. Geburtstages von Siegfried Behrend im November 2018. Mit zahlreichen Abbildungen und Verzeichnissen zum Leben und Lebenswerk dieser Ausnahmeerscheinung der Musik im Deutschland des 20. Jahrhunderts.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 158

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mit diesem Buch soll an den „Vater der Gitarristik in Deutschland“ erinnert werden: Mit Beiträgen zu Behrend selbst und zu Themen, die ihn besonders interessierten. Gleichzeitig wird seine einmalige Künstlerkarriere anhand seiner Konzertplakate nachgezeichnet – Stationen nicht nur im übertragenen, sondern auch im realen Sinne.

Stark erweiterte und aktualisierte Neuausgabe des Buches Stationen anlässlich des 85. Geburtstages von Siegfried Behrend im November 2018. Mit zahlreichen Abbildungen und Verzeichnissen zum Leben und Lebenswerk dieser Ausnahmeerscheinung der Musik im Deutschland des 20. Jahrhunderts.

„Die einzig sinnvolle Form des Dankes ist, dass du dich der nächsten Generation entsprechend zur Verfügung stellst.“

Siegfried Behrend

Für Claudia Brodzinska-Behrend

und

Kornelia Behrend

Abb. 1: Siegfried Behrend, 1951 Photo: Siewert

Inhalt

Vorwort im Jahr 2000

Helmut Richter

Statt eines Vorwortes im Jahr 2018

Matthias Henke

Siegfried Behrend – Stationen –

Rüdiger Grambow

Siegfried Behrend und der Bund Deutscher Zupfmusiker

Manuel Negwer

Siegfried Behrend und das Goethe-Institut –

Helmut Richte

r

Siegfried Behrend – Stationen einer Künstlerlaufbahn

Heinz Friedrich Hartig – sein Werk für die Gitarre

Matthias Henke

Der alte Mann und das Mehr - Die Briefe Richard Jacobs an Siegfried Behrend

Helmut Richter

Sprechstimme und Gitarre

Martin Maria Krüger

Hommage – Siegfried Behrend als Lehrer

Zwischenspiel: Siegfried Behrend begleitet Pilar Lorengar

Michael Tröste

r

Musizieren mit Siegfried Behrend

Marc Boettcher

Belina & Behrend – zwei musikalische Diplomaten

Helmut Richter

Der Komponist Siegfried Behrend

Siegfried Behrend als Gastgeber

Diverse Dokumente und Fotos

Anhang

Veröffentlichte Kompositionen von Siegfried Behrend

Literaturauswahl angewandte Stimme und Gitarre

Werke, die für SB geschrieben wurden

Diskographie

Abbildungsverzeichnis

Autorenverzeichnis

Siefried Behrend im Internet

Abb. 2: Siegfried Behrend, 1965

Vorwort im Jahr 2000

Die kleine Welt der Gitarre ist noch ein bisschen kleiner geworden: Interpreten, die unverwechselbar, eigenwillig, vielseitig und weltgewandt mit ihrer Gitarre das Publikum in die großen Konzertsäle lockte, sind eine seltene Gattung Musiker geworden.

Einer dieser Musikanten war Siegfried Behrend, sicherlich der wichtigste Vertreter der Gitarre in Deutschland seit den 50-er Jahren. Unermüdlich setzt er sich für sein Instrument ein, erweiterte das Repertoire durch eigene Kompositionen und regte zahlreiche namhafte Komponisten dazu an, für die Gitarre zu schreiben.

Er war ein Liebhaber aller Volksmusik, aber auch ein Anwalt der Avantgarde. Er erneuerte die Zupfmusik, brachte die Musik für Zupforchester als Leiter des SZO und als Gründer und Leiter des Deutschen Zupforchesters zu einer neuen Klangkultur, probierte mit großem Erfolg ungewöhnliche kammermusikalische Besetzungen aus, gab unzählige von Konzerten und – nicht zuletzt: er kümmerte sich in Meisterkursen und Seminaren um den gitarristischen Nachwuchs.

Konsequenterweise war er eine treibende Kraft für die Einführung des Instrumentalfachs „Gitarre“ an den meisten deutschen Musikhochschulen. Mit diesem Buch soll an den „Vater der Gitarristik in Deutschland“ erinnert werden: mit Beiträgen zu Behrend selbst und zu Themen, die ihn besonders interessierten. Gleichzeitig wird seine einmalige Künstlerkarriere anhand seiner Konzertplakate nachgezeichnet – Stationen nicht nur im übertragenen, sondern auch im realen Sinne.

Gleichzeitig ist dieses Buch auch ein Dank einiger, denen Siegfried Behrend Mentor, Lehrer und Freund war.

An dieser Stelle sei aber auch allen, die bei der Entstehung des Buches behilflich waren, herzlich gedankt, insbesondere Claudia Brodzinska-Behrend und Kornelia Behrend, die letztendlich diese Publikation durch ihre Unterstützung ermöglichten.

Dank gilt auch dem Künstlerförderverein Oberhausen e.V. und der Gedenkhalle Schloss Oberhausen für die ideellen und finanziellen Hilfeleistungen.

Oberhausen, im September 2000

Helmut Richter

In diesem Jahr – 2018 – wäre Siegfried Behrend 85 Jahre alt geworden. Aus diesem Grund haben wir – die Autoren der Beiträge – uns dazu entschlossen, das im Jahr 2000 zu seinem 10. Todestag herausgebrachte Buch „Stationen“ zu überarbeiten und umfangreich zu erweitern.

Abb. 3: Imabari, Japan 1989

Statt eines Vorwortes im Jahr 2018

Ein persönlicher Brief an Sigi zum 80. Geburtstag

Lieber Sigi,

vor wenigen Stunden bin ich von einem Symposium in Wuppertal zurückgekehrt. Es ging unter dem mehrdeutigen, gut gewählten Titel „Wir können auch anders“ um die Vermittlung von Pop-Musik im Gitarrenunterricht. Wir Teilnehmer hörten zahlreiche interessante Vorträge zu diesem Thema, die von kompetenten Dozenten gehalten wurden.

Warum ich Dir das schreibe?

Nun, heute, kurz vor Deinem 80. Geburtstag am 19. November und über 23 Jahre nach Deinem plötzlichen Tod, wurde Dein Name in verschiedenen Zusammenhängen in Gesprächen häufig genannt. In einigen Vorträgen wurde Dein Wirken in irgendeiner Weise mit einbezogen oder gewürdigt.

Heutzutage ist Pop-Musik im Gitarrenunterricht zwar ein Thema, jedoch kein wirkliches Problem. Ich kann mich aber noch gut daran erinnern, wie ein Aufschrei durch die Gitarristik (verzeih‘ mir dieses Wort) in Deutschland ging, als Du in den späten 60er Jahren als erster „klassischer“ Musiker in der einer Fernsehshow namens EWG unter der Leitung von Hans-Joachim Kulenkampff (Anm.: Eine Art Thomas Gottschalk der Frühzeit des Fernsehens) ein Stück auf der Konzertgitarre spieltest. Nicht im Frack, sondern im schwarzen Rollkragenpulli! Das war in dieser Zeit undenkbar, wurde aber von Dir gemacht, so wie Du immer das getan hast, was Du für Dich als richtig erkannt hattest. Du bist gerne neue Wege gegangen, einer Deiner Lieblingssätze war „Ich will mich nicht wiederholen“. Du hast auch niemals zwischen „E-Musik“ und „U-Musik“ unterschieden, sondern zwischen „guter“ und „schlechter“ Musik. Angesichts mancher Fernseh-Casting-Shows der heutigen Zeit würdest Du Dich darüber wundern, wie schlecht Musik sein kann – und wie viel Geld damit gemacht wird.

Angefangen hast Du, so wie viele Musiker Deiner Generation, als Autodidakt in den knappen Zeiten nach dem Krieg. Was Dir der Himmel, in dem Du jetzt sicher bist, auf den Lebensweg mitgegeben hatte, war Deine unglaubliche, einzigartige Motorik, Deine hohe Musikalität, Dein vorwärtsstrebender Geist und – bitte verzeih‘ mir – Deine manchmal auch freche Berliner Schnauze, die vor nichts Halt machte und auch nicht kuschte, wenn andere längst schwiegen. Deine ersten künstlerischen Lorbeeren hast Du Dir am Theater erworben, bis der Leiter eines Zupforchesters, Jorge Chartofilax, auf Dich aufmerksam wurde. Du hast Dir damals im ausgebombten Nachkriegsberlin sehr schnell (und das in doppeltem Sinne!) einen guten Ruf erspielt. Kurt Schulz, ein Theatermusiker, hatte Dich 17-jährigen um 1951 mit einem Gitarrenbauer aus Markneukirchen bekannt gemacht, dem Gitarrenbaumeister Richard Jacob „Weißgerber“. Daraus entstand eine lebenslange künstlerische Freundschaft, die bis zu Richard Jacobs Tod 1960 andauerte und die Du mit seinem Sohn Martin fortgesetzt hast.

Abb. 4: Siegfried Behrend mit seinem Vater Karl Behrend, 1950

Abb. 5: Behrend mit seiner Weißgerber-Gitarre, 1955

Richard Jacob baute auf Dein Drängen hin immer leichtere Instrumente, bis hin an die Grenzen des statisch noch Vertretbaren. An jedem Gramm wurde gespart. So entstand als Ergebnis Eurer Zusammenarbeit Deine „Nummer 1“, auf der Du bis zu Deinem Tod 1990 gespielt hast. Das Instrument wurde nach Deinem Tod vom bayerischen Freistaat aufgekauft und sorgfältig restauriert. Es wird heute jungen, begabten Gitarristen als Jahresleihgabe zur Verfügung gestellt.

Solche enge, fast symbiotische Verbindungen zwischen Gitarrenbauern und Gitarristen sind offensichtlich fruchtbar, wenn man an Segovia-Hauser/Ramirez denkt oder Bream-Romanillos/Rubio oder Williams/Smallman. Am Ende Deines Lebens hast Du viele Weißgerber-Gitarren besessen, die heute ein kleines Vermögen wert wären.

Auf dem heutigen Symposium wurden auch von einigen Vortragenden gezeigt, welche Notenausgaben sie herausgegeben haben. Deine Mutter („Mutti“) hat mir, kurz bevor sie 2011 im gesegneten Alter von 99 Jahren starb, alle Notenausgaben von Dir vererbt. Sie hatte von jeder Deiner Ausgaben ein Duplikat von Dir erhalten. Ich habe bis heute keine Ahnung, wie viele das sind, aber es ist ein Stapel von weit mehr als 3 m Höhe. Wenn man 4 Ausgaben pro Zentimeter rechnet, werden das so an die 1200 Ausgaben sein, davon über 250 Eigenkompositionen von Dir. Gut, Deine Editionspraxis wäre heute nicht mehr zeitgemäß, aber Du stelltest zu dieser, „Deiner“, Zeit genau die Musik als Notenausgaben zur Verfügung, die Tausende von Laienmusikern im Nachkriegsdeutschland spielen wollten.

Deine Schallplatten habe ich auch von „Mutti“ geerbt. Da ist die Anzahl mit gut 120 Stück etwas überschaubarer, aber nicht minder unglaublich. Mit dabei sind innovative Produktionen wie „Gitarre und Chor“ oder „Gitarre und Oboe“ oder die aus meiner Sicht beste Aufnahme des Concierto de Aranjuez mit den Berliner Philharmonikern, alle erschienen bei der Deutschen-Grammophon-Gesellschaft, der damals allerersten Adresse der Plattenbranche im Bereich der E-Musik.

Abb. 6: Tokio 1960

Sigi, Du weißt, das ich ein großes Arbeitszimmer habe, trotzdem musste ich einiges von Dir auf den Dachboden auslagern. Die Mengen sind einfach zu groß. Wenn meine Kinder, für die Deine Mutter und Deine Frau Claudia in den letzten Jahren wie enge Verwandte waren, aus dem Haus sind, werde ich die dort oben lagernden 19 Kisten mit Notenausgaben von Dir vom Dachboden herunterholen und aufarbeiten.

Bleiben wir bei Deiner Berliner Zeit! Hier hast Du unter Walter Felsenstein an Komischen Oper in Berlin gearbeitet, dann hast Du mit dem Zupforchester von Chartofilax sukzessive Deine Solokarriere vorangetrieben. Zuerst durch kleine Soloeinlagen in Orchesterkonzerten, die mit der Zeit umfangreicher wurden und in den ersten Soloabenden endeten.

Nur wenige Jahre, nachdem Du mit dem Gitarrespielen begonnen hattest, startetest Du mit der Weißgerber-Gitarre in der Hand Deine unvergleichliche Weltkarriere. Deine Mutter hatte mir vor einigen Jahren erzählt, dass sie in den ersten Jahren nachts den Strom abschalten musste, damit Du Dir die Nächte nicht um die Ohren schlugst mit Üben, Komponieren und Bearbeiten Zwischendurch hast Du noch in Berlin internationale Gitarrenkongresse veranstaltet, zu denen die Teilnehmer, die führenden Gitarristen dieser Zeit, aus aller Herren Länder anreisten. 1958 fanden innerhalb eines 14-tägigen Kongresses 14 Konzerte statt, von denen Du 13 Konzerte als Gitarrist in diversen kammermusikalischen Besetzungen und solistisch bestritten hast. Jeden Tag ein neues, anspruchsvolles Programm, das alles neben den Vorträgen und der Betreuung der Gäste! Das soll Dir bitteschön mal jemand nachmachen!

Abb. 7: Autogrammkarte ca. 1960

Deine ersten Soloabende gabst Du zusammen mit Ilse Meudtner, einer im Nachkriegsberlin sehr bekannten Tänzerin. Ihr brachtet – wie es damals Mode war – dem vom Fernweh geplagten Publikum spanische Abende mit Flamencotanz und Deinen stilisierten Flamencos für Konzertgitarre dar. Ich denke, in dieser Zeit hast Du Deine Hörner erst einmal abgespielt und schon erstes „gutes Geld“ verdient. Wahrscheinlich ist in dieser Zeit auch Dein „Markenzeichen“ – der feine, obertonreiche, silbrige Ton – entstanden.

Der Folklore bist Du Dein Leben lang treu geblieben, wenn ich an Deine jahrelange künstlerische Verbindung mit der polnisch-jüdischen Sängerin Belina denke, mit der Du internationale Erfolge gefeiert hast.

In den frühen 60er Jahren ging es auf die ersten Tourneen, zuerst in Europa, später weltweit. Du wurdest überall dort, wo Du spieltest, euphorisch gefeiert und zu Recht in der gleichen Liga gesehen wie Andrès Segovia oder Julian Bream, der übrigens vor kurzem erst ebenfalls 80 Jahre alt geworden ist. Ich weiß, wie sehr Du ihn als Kollegen und als Musiker geschätzt hast, denn Du hast häufig sehr anerkennend mit mir über ihn geredet.

Deine Konzertreisen führten Dich oft nach Japan, wo Du im Laufe der Jahre viele Freunde gefunden hast. Ein Freund von Dir hat mir berichtet, dass Du in den 60er und 70er Jahren in Japan fast wie ein Gott verehrt wurdest. Sogar im japanischen Kaiserhaus hast Du gespielt, ein Privileg, das nur sehr wenige Künstler für sich in Anspruch nehmen konnten und können. Ich komme noch einmal auf einen der Vorträge des heutigen Tages zurück. Es wurde Dein Engagement für die Zupforchestermusik herausgestellt. Neben Deiner Karriere hast Du Dich früh für die „Laienarbeit“ in Zupforchestern interessiert und Kurse, Seminare und Kongresse veranstaltet. Höhepunkt dieser Laufbahn als Orchesterleiter war sicher das Deutsche Zupforchester (DZO), mit dem Du viele anspruchsvolle Produktionen gemacht und unvergessliche Konzerte gegeben hast.

Abb. 8: Solokonzert in Leningrad 1958

Abb. 9: Siegfried Behrend in Lambaréné mit Albert Schweitzer

Mit großer Wehmut erinnere ich mich an das letzte Konzert des damals schon verkleinerten DZO in der Berliner Philharmonie zu deinem Gedenken in den frühen 90er Jahren. In den 70er Jahren wandtest Du Dich zusätzlich der neuen Musik zu. Zahlreiche Kompositionen sind durch Dich und für Dich entstanden, angefangen Musik von Heinz Friedrich Hartig, dem ersten Komponisten, der für Dich geschrieben hat, über Joaquin Rodrigo bis hin zu Avantgardekompositionen von Anestis Logothetis.

Du hast Dich immer als Anwalt der Komponisten gesehen und ihre Kompositionen in Konzerten gespielt, auch, wenn das Publikum die Klassiker hören wollte.

Ich kann mich noch gut erinnern, dass Du gesagt hast „Ein Musiker muss sein Publikum in gewisser Weise erziehen, ihm etwas neues bieten, was es so nicht zu hören kriegt. Jeder kann dann ja für sich entscheiden ...“.

Manchmal wünsche ich mir, Du könntest das heute noch einigen Deiner heutigen Berufskollegen sagen. Wenn ich mir manche Konzertprogramme ansehe, muss ich immer an Einheitsbrei denke.

Abb. 10: München 1974, vor der Weltkarte mit den Stationen seiner Tournee

Wie es Euch gefällt! Sowohl als Musiker als auch als Mensch hast Du nie im bequemen Mainstream gelegen, sondern Du bist mutig und gegen Widerstände neue Wege gegangen. Dein Engagement für die Avantgarde wurde von Deiner Frau, Claudia Brodzinska-Behrend, geteilt.

Abb. 11: Meisterkurs in Riedenburg, 1976

Die an der Max-Reinhardt-Schule in Berlin ausgebildete Schauspielerin interpretierte Werke von Hornung, Bussotti und anderen mit ihrer extrem flexiblen und wandlungsfähigen Stimme kongenial zu Deinen teilweise extrem schwierigen Gitarrepartituren. Nebenher hast Du seit 1974 jedes Jahr „Urlaub“ gemacht. In Riedenburg im Altmühltal. Faulenzen, so wie es andere Menschen in ihrer Freizeit machen, wäre Dir selbst im „Urlaub“ niemals in den Sinn gekommen. Deswegen hast Du in dieser Zeit die „Internationalen Meisterkurse für künstlerisches Gitarrenspiel“ und das „Musikfestival im Altmühltal“ veranstaltet. Dort haben wir beide uns auch kennengelernt. Du als international bekannter Gitarrenvirtuose mit Managerformat, ich als langhaariger, verträumter Student. Das war im Anfang nicht immer ganz einfach! Aus diesem Lehrer-Schüler-Verhältnis wurde später eine Freundschaft, so wie Du sie auch zu meinen vier „Mitschülern“ Martin, Manuel, Matthias und Michael hattest. Du und Claudia, Ihr habt uns immer als Eure „musikalischen Kinder“ bezeichnet, und das stimmte in gewisser Weise bis heute.

Abb. 12: Der passionierte Angler, 1978

Wir alle sind der Gitarre und der Musik in jeweils individueller Weise treu geblieben, was mit Sicherheit auch Deinem Einfluss geschuldet ist. Du hast jeden von uns so angenommen, wie er war und Du hast versucht, das Beste aus uns herauszuholen. Dafür danke ich Dir, auch im Namen meiner vier „Brüder“, mit denen ich heute noch in Kontakt stehe.

In Riedenburg, ab 1984 im neu begründeten „Musikfestival im Oberland“, habe ich durch Dich auch gelernt, gutes Essen und Trinken zu genießen, eine Kunst, in der Du ungeschlagener Meister warst. Es gab wohl nichts auf Erden, was Du nicht an kulinarischen und „spirituellen“ Köstlichkeiten probiert hast, was man – das darf ich als Freund sagen – Dir zwischenzeitlich auch an Leibesfülle ansehen konnte. Es waren immer unglaublich schöne Abende mit Dir in den Restaurants und Kneipen, aber auch in Deiner gemütlichen Küche im bayerischen Wall, wo das Wort Gastfreundschaft mit richtigem Leben gefüllt wurde. Wenn Du nicht auf Tournee warst, hatten Du und Claudia fast jeden Abend Besuch, der meist bis in die frühen Morgenstunden blieb. Wenn alle schliefen, gingst Du die Holztreppe herauf in Dein Arbeitszimmer, besser: in Deine Arbeitshalle mit 140 Quadratmetern, und erledigtes die Post. Eiserne Disziplin und absolute Zuverlässigkeit waren nämlich Deine weiteren Maximen – jeder, wirklich jeder Brief wurde sofort beantwortet. In dieser Beziehung warst Du eine Art Schreibmaschinenvorläufer der Email. Mündliche Zusagen vom Behrend-Sigi waren gültig wie ein schriftlicher Vertrag, denn sie wurden eisern eingehalten. Im Nachhinein gesehen hast Du in dieser Arbeitsweise eine große Vorbildwirkung für uns fünf junge Gitarristen gehabt.

In Deinen letzten Jahren ging es mit Deiner Gesundheit stetig bergab – war das ein Wunder, nach diesen „sieben Leben in dem Einen“?

Trotzdem hast Du keinen Augenblick schlapp gemacht, manches ertragen, hast niemals geklagt, immer Deine Dir selbst auferlegten Pflichten erfüllt und warst „nebenher“ innovativer Ideengeber, so auch beispielsweise für die Gründung der EGTA im Jahr 1985.

Was mir besonders imponierte war, dass Du dabei immer bescheiden und bodenständig geblieben bist, trotz des Bundesverdienstkreuzes, das Dir 1981 auf Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten verliehen worden ist.

Deine letzten Projekte – die Bearbeitung und Einspielung der Kompositionen von Brescianello und von Carulli – konntest Du nicht mehr zu Ende führen.

Abb. 13: Mit Claudia Brodzinska-Behrend und „Mutti“ Behrend, 1978

Dein plötzlicher Herztod am 20. September 1990 war für alle, nicht nur für diejenigen, die Dir nahestanden, ein einschneidendes Ereignis, das – zumindest bei mir – lange, sehr lange Zeit nachgewirkt hat.

Abb. 14: Verleihung des Bundesverdienstkreuzes, 1981

Die Aufarbeitung Deines Nachlasses dauert noch an, denn schier unüberschaubar sind die Mengen an Material, die heute in der Berliner Akademie der Künste untergebracht sind.

Gut, die Welt hat sich auch ohne Dich weitergedreht, aber der deutschen „Gitarristik“ – wenn ich dieses Wort noch einmal verwenden darf – fehlt eine Leitfigur wie Du es warst; eine Leitfigur, an der man sich auch einmal abarbeiten kann, wie es bei Dir natürlich auch geschehen ist.

Einige dieser Leute, die sich damals kritisch mit Dir auseinandergesetzt haben, führen heute Deinen Namen übrigens immer wieder lobend im Munde. Als wären sie Deine besten Freunde gewesen. So ist die Welt! Aber, um einen weiteren Spruch von Dir zu wiederholen: „Das wollen wir noch nicht einmal ignorieren.“

Abb. 15: "Espace de la solitude" von K.H. Stahmer, für Gitarre und Ballett, ca. 1978

Lieber Sigi, ich würde Dir so gerne noch viel mehr schreiben, von Deinen zahlreichen Fernsehproduktionen, von der Zeitschrift „Gitarre“, die Du herausgegeben hast, von „Deinen“ Gitarrensaiten, Deinem phänomenalen Gedächtnis, Deinem unermüdlichen Engagement für Gitarre-Professuren an deutschen Hochschulen und, und, und, aber dieser Brief muss schleunigst heraus. Ich schreibe Dir später noch einmal. Versprochen!

Abb. 16: Siegfried Behrend ca. 1988

Für heute, lieber Sigi, alles, alles Gute zum 80. Geburtstag, wo immer Du auch bist, auch im Namen meiner „Brüder“! Danke für die schöne Zeit mit Dir. Du hast der Gitarre in Deutschland gut getan und sie sowie die Entwicklung der Zupforchester durch Deine entscheidenden Impulse vorangetrieben.

Liebe Grüße, oder, wie Du „Halbbayer“ immer sagtest,

Pfüat Di!

Helmut

Oberhausen, im November 20131

Abb. 17: Siegfried Behrend 1986

--------------------

Literatur:

Eggers, Heino: Belina-Behrend. Mit der Gitarre um die Welt. Arani-Verlag, Berlin. 1965

Henke, Matthias: Der alte Mann und das Mehr. In: Stationen, Oberhausen, 2000

Richter, Helmut (Hrsg): Siegfried Behrend – Stationen. Karl Maria Laufen, Oberhausen. 2000

Trekel, Maren: Siegfried Behrend. Ein Leben für die Gitarre(...). Trekel Musikverlag. 2000

Fotos: Privatbesitz H. Richter, aus dem Erbe von Kornelia Behrend.

Abb. 18: Autogrammkarte, ca. 1970

1 Dieser „Brief“ erschien im November 2013 in der Zeitschrift „concertino“ (04/2013)

Matthias Henke

Siegfried Behrend – Stationen –