Six Queens: Bezwinger der Macht - Sandra Florean - E-Book

Six Queens: Bezwinger der Macht E-Book

Sandra Florean

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Beschreibung

Six Queens – Band 2 Bezwinger der Macht Ein verhängnisvoller Plan. Sechs gebeutelte Königreiche. Ein Land, das seine Magie entfesselt. Mittlerweile hat Imogen in den Widerstandskämpfern eine neue Familie gefunden. Doch trotz ihrer Bemühungen, etwas zum Guten zu verändern, können sie das Elend der Bevölkerung kaum lindern. Der einzige Weg scheinen die sechs Artefakte zu sein: magische Utensilien von ungeahnter Kraft, mit denen es möglich sein soll, die unsterblichen Königinnen zu stürzen. Ungeachtet aller Gefahren machen sich Imogen und ihre Freunde auf die Suche – nicht ahnend, was sie währenddessen ungewollt heraufbeschwören. History meets Fantasy – Das Finale des fesselnden Fantasy-Epos mit dem farbenfrohen Setting des 18. Jahrhunderts Das Taschenbuch gibt es exklusiv bei der Autorin.

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Table of Contents

Title Page

Über die Autorin

Titel

Karte Sithias

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Epilog – Miarats Geschichte

Impressum

Sandra Florean

SIX QUEENS

Band 2:

Bezwinger der Macht

Die Autorin

Sandra Florean wurde 1974 als echte Kieler Sprotte geboren und wohnt mit ihrer Familie in der Nähe der Kieler Förde. Obwohl sie bereits als Jugendliche Geschichten und Gedichte zu Papier brachte, absolvierte sie erst die Ausbildung zur Schifffahrtskauffrau, um eine solide Grundlage zu haben. Seitdem arbeitet sie als Sekretärin in der Verwaltung. Dem Fantastischen blieb sie jedoch treu und schneiderte historische und fantastische Gewandungen, Jahre lang sogar selbstständig mit einer eigenen Schneiderei.

Erst die »Nachtahn«-Reihe brachte sie zurück zum geschriebenen Wort. Seit ca. 2011 widmet sie sich ihren erdachten fantastischen Welten intensiver, veröffentlicht regelmäßig in unterschiedlichen Verlagen und ist zudem als Herausgeberin und Lektorin tätig. Ihr Debüt »Mächtiges Blut« wurde auf dem Literaturportal Lovelybooks zum besten deutschsprachigen Debüt 2014 gewählt. 2018 wurde sie für ihre Tätigkeit als Herausgeberin von »The U-Files. Die Einhorn Akten« mit dem Deutschen Phantastik Preis für die beste Kurzgeschichtensammlung 2018 geehrt.

Andere Veröffentlichungen der Autorin:

Six Queens: Auferstehung der Dunkelheit (Bd1)

Bezwinger der Macht (Bd2)

Die Nachtahn-Reihe

Die Seelenspringerin-Reihe

Schattenrot

Das Erbe des Hüters (auch als Hörbuch erhältlich)

Deadmoon

Moonchild – Wiege der Dunkelheit

Herausgeberschaft: The U-Files. Die Einhorn Akten (ausgezeichnet mit dem Deutschen Phantastik Preis 2018)

Anthologie-Beiträge:

Der menschliche Defekt in: Der Schnee von Morgen

Die Vergessenen in: Waypoint Fiftynine

Mehr über die Autorin und ihre Werke: www.sandraflorean-autorin.blogspot.de

Sandra Florean

SIX QUEENS

Bezwinger der Macht

Band 2

1. Kapitel

Jemand streckt die Hand nach ihr aus.

Eine vertraute Geste aus einer weit entfernten Zeit,

einer anderen Welt.

Einem vergessenen Leben.

Sie würde ihnen zeigen, zu was ein Nifrim imstande war!

Imogen hob die Arme und entfesselte diese Wut. Wie ein uraltes Ungetüm, das zu lange gegen seinen Willen eingepfercht gewesen war, brach sie aus ihr heraus, sprengte ihre Seele, ihren Geist, ihren Körper. Übernahm ihn, füllte ihn aus und hauchte ihm neues Leben ein. Zorniges, todbringendes Leben, das nur ein Ziel kannte.

Sie richtete ihren Blick auf den Wachmann zu ihrer Rechten. Knochen, umhüllt von Muskeln, Fleisch und Blut. Mehr war er nicht.

Crom hatte ihm einen Körper gegeben und Amriel ihm Leben eingehaucht. Beides würde sie ihm nehmen. Weil sie es konnte. Weil er es verdiente.

Ihre Gedanken legten sich auf seine Knochen, schlängelten sich darum wie gierige Schlangen, bereit, jederzeit zuzubeißen. Der Mann entdeckte Imogen und zog seine Pistole. Dann hielt er mitten in der Bewegung inne und verzerrte schmerzvoll das Gesicht. Die Augen riesig vor Schreck – und Erkenntnis.

Imogen nahm die Kapuze ab. Er sollte sehen, wer sein jämmerliches Dasein beendete. Ehe der Soldat um Hilfe schreien konnte, griff sie zu. Packte die fremden Knochen, brach sie, zerfetzte sie und zog sie aus dem zuckenden Körper heraus. Blut spritzte. Fleischbrocken und Gedärme, zerquetschte Gliedmaßen und Knochenstücke prasselten zu Boden und färbten das Kopfsteinpflaster trotz des Regens auf der Stelle dunkelrot.

Das Gleiche tat sie mit dem nächsten Wachmann und dem daneben. Sie hatten keine Chance.

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Adhohan und seine Leute die beiden Wachleute auf ihrer Seite erledigten und Gallad und Alviss auf die Mitte zuliefen, die Gesichter leichenblass, aber entschlossen. Einer der Soldaten stellte sich ihnen entgegen, doch Imogen zermalmte auch seine Knochen, ohne ihn überhaupt berühren zu müssen.

Dann drehte sie sich zu den verbliebenen um, die mit schreckgeweiteten, panisch verzerrten Gesichtern zurückwichen. Einer öffnete den Mund, als wolle er schreien, aber kein Ton kam heraus, denn sie hatte ihm bereits den Brustkorb herausgezogen und er sackte zu Boden.

Adhohan und seine Männer sahen zu, wie Imogen auch den letzten Soldaten fällte, ihn brach wie einen morschen Zweig im Winter.

Sie schloss die Augen und suchte mit diesen neuen Sinnen nach weiteren Feinden. Nach mehr Knochen und Körpern, die sie zermalmen würde. Die Wut in ihr, dieses zornige Wesen, von den Göttern selbst erschaffen, war noch nicht zufrieden. Gierig streckte es seine Fühler aus, durch Mauern und Türen hindurch. Und wurde fündig. Wann immer sie einen fand, packte Imogen zu. Brach Arme, Beine und Rücken, zerschmetterte Leiber und tränkte die untere Etage mit dem Blut von Finnegans Peinigern.

Als sie sicher war, dass sie nicht mehr aus dem Hinterhalt angegriffen werden würden, rief sie diese unbekannte Kraft zurück. Sie gehorchte ohne Umschweife und nistete sich satt und befriedigt ganz tief in ihr ein. Schnurrte wie eine zufriedene Katze. Bis Imogen sie das nächste Mal rief.

Denn nun, da Imogen diese Macht einmal entfesselt hatte, würde sie nicht für immer schweigen wollen. Aber das war ihr recht. Sie hatten noch mehr Feinde. So viele Feinde! Und sie alle sollten sterben für die Demütigung, die sie Finnegan angetan hatten. Ihm, einen Nifrim. Einen Prinzen. Ihn, der ihnen nur hatte helfen, der sie alle hatte befreien wollen aus der Tyrannei!

Atemlos sackte Imogen vornüber, plötzlich kraftlos, haltlos. Mit purer Willenskraft richtete sie sich wieder auf und hastete stolpernd zum Pfahl.

Der Boden davor war mit Finnegans Blut getränkt. Sogar trotz des Regens konnte sie es deutlich sehen und schluckte. Es war so viel! Sie mussten stundenlang auf ihn eingeprügelt haben. Hier, unter dem eisigen, gleichgültigen Winterhimmel.

Gallad hatte ihm seinen Mantel umgelegt, während Alviss an dem Schloss der Ketten arbeitete. Schlaff hing Finnegan in seinen Fesseln. Lebte er überhaupt noch?

Langsam trat Imogen näher. Innerlich fühlte sie sich kalt und leer vor Angst. Angst davor, dass sie zu spät gekommen waren. Angst, dass Finnegan für immer fort sein könnte.

»Er lebt«, sagte Gallad, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Aber es sieht nicht gut aus.«

Das Schloss gab unter Alviss’ geschickten Fingern nach und schnappte auf. Finnegans Arme fielen kraftlos herunter. Gallad fing ihn auf und wickelte ihn gleichzeitig fester in den Mantel. Dann zog er mit zitternden Händen die Pfeife heraus und rief Andrash, ehe er den Blick hob und Imogen ansah.

Pures Entsetzen stand in seiner blassen Miene geschrieben. Entsetzen, das ihr galt und dem, was sie getan hatte. Rasch wandte sie den Blick ab.

Sie ließ sich auf die Knie fallen, hob die Hände und legte sie Finnegan auf die Wangen. Seine Haut war eiskalt und verkrustet mit altem Blut. Aber sie spürte, dass er atmete, dass da noch Leben in ihm war, wenn auch schwach und klein und verängstigt.

»Wir müssen ihn hier wegschaffen«, sagte Gallad und hob ihn auf die Arme.

Sie nickte, zog ihren Umhang ebenfalls aus und legte ihn Finnegan über. »Er muss irgendwohin, wo sie ihn nicht finden und wo es warm ist.«

Gallad nickte. »Ich weiß einen sicheren Ort.«

Andrash kam beinahe geräuschlos zu ihnen geflogen und wieherte, als Gallad mit dem noch immer bewusstlosen Finnegan auf den Armen zu ihm trat. Unruhe erfasste das große Tier, offenbar ausgelöst von dem Blutgeruch seines Herrn, doch er beruhigte es mit leisen Worten. Alviss lief zu ihnen und half ihm, Finnegan auf den Rücken des Windpferdes zu bekommen und dann ebenfalls aufzusitzen. Gallad pfiff einmal laut durch die Zähne.

»Sithril wird Andrashs Geruch folgen«, sagte er und ergriff die Zügel, ehe er sich nach Adhohan und seinen Leuten umsah, die etwas abseits mit erschrockenen Gesichtern stehengeblieben waren. »Bringt euch in Sicherheit, ehe Gendix Verstärkung ruft. Wir werden nicht vergessen, was ihr für uns getan habt!«

Die Männer nickten ihm zu und traten dann den Rückzug an. Nach wenigen Schritten waren sie in den Schatten der Toreinfahrt verschwunden und Gallad schnalzte mit der Zunge.

Kraftvoll und lautlos erhob sich Andrash in die Lüfte und trug ihn und Finnegan in die Nacht hinaus, just in dem Moment, als Sithril im Innenhof landete.

Alviss ergriff die Stute am Zügel und schwang sich mühelos hinauf. »Wir müssen los!«

Sie zögerte. Ihr Blick fiel auf die zerfetzten Körper der Soldaten. Männer, die sie getötet hatte. Sollte sie nicht irgendetwas fühlen? Entsetzen? Reue? Oder zumindest Abscheu oder Ekel? Doch da war nichts dergleichen. Nur das Gefühl von Genugtuung. Sie hatten es verdient, flüsterte eine leise Stimme in ihr und Imogen stimmte ihr zu. Sie mochten nicht selbst Hand an Finnegan gelegt haben, aber sie hatten es auch nicht verhindert. Sie hatten ihn hier hängen lassen. In der Kälte. Geschunden und dem Tode nahe. Vielleicht sogar zu nahe ...

Gendix war der wahre Schuldige. Gendix und Vulmer. Mit neu erwachter Rachegier hob sie den Blick in Richtung des Anwesens, in dem immer mehr Lichter angingen. Sie hatte doch nicht alle erwischt. Es wäre ein Leichtes, das nun nachzuholen.

Träge regte sich etwas in ihr ...

»Imogen!«

Erschrocken wirbelte sie zu Alviss herum, die sie wütend anstarrte.

»Komm her und lass uns verschwinden!«

Alviss trieb Sithril an, schneller zu fliegen, immer schneller Andrash hinterher, obwohl der schneidende Wind ihnen die Tränen in die Augen trieb und den Atem nahm. Imogen zitterte so stark, dass ihre Zähne schmerzhaft aufeinander klapperten. Nach wenigen Minuten waren ihre Finger so kalt wie ihr Herz und sie spürte ihre Beine nicht mehr.

Dennoch konnte Imogen an nichts anderes denken als an Finnegan. Wie sehr er frieren musste, nackt und zerschunden. Und ob ihm dieser Ritt durch den eisigen Nachthimmel nicht den Rest geben würde.

Sie versuchte, sich davon abzulenken, doch dann kam ihr Gallads Blick in Erinnerung. Dieses Entsetzen, das sie darin gesehen hatte. In Augen, die schon so viel Tod und Leid erblickt hatten. Augen, die sie nie wieder so ansehen würden wie zuvor. Vor ... ihrer Tat.

Es war das Richtige, murmelte eine Stimme in ihr. Gnade und Barmherzigkeit hatten diese Männer nicht verdient. Denn Finnegan hatten sie sie auch nicht geschenkt.

Irgendwann sank Gallad mit Andrash tiefer. Der Morgen graute und tauchte die Umgebung in ein unwirkliches Grau. Nebel stieg von den unter ihnen liegenden Feldern auf und verschleierte die Umrisse. Doch auch so hätte Imogen nicht gewusst, wo sie sich befanden. Wie weit sie geflogen waren in dieser Eiseskälte, die sich scheinbar unwiderruflich bis in ihre Knochen gefressen hatte.

Im Schutz der Nebelschwaden gelangten sie ungesehen zwischen die Bäume eines kleinen Forstes und landeten vor einem Bauernhaus. Es besaß zwei Stockwerke und zwei Nebengebäude, eins davon sicherlich ein Stall, das andere vielleicht eine Werkstatt, und schien unbewohnt zu sein. Der Garten vor dem Eingang war kaum mehr als solcher zu erkennen und es brannte kein Licht hinter den wie dunkle Löcher gähnenden Fenstern.

Imogen ließ sich aus dem Sattel gleiten und brach beinahe zusammen, weil ihre Beine taub waren. Alviss musste sie stützen, ehe sie in der Lage war, mit steifen Gliedern zu Gallad zu laufen.

Der hob gerade den bewusstlosen Finnegan herunter und wies mit dem Kopf auf die Tür. »Im Obergeschoss ist ein Schlafzimmer mit Kamin. Zweite Tür links.«

Imogen hastete den schmalen Weg entlang, den die Natur noch nicht zurückerobert hatte, und rüttelte an der Tür. Verschlossen. Kurzerhand warf sie sich dagegen und, als sich nichts tat, trat sie kräftig mit dem Fuß gegen das Schloss, bis die Tür aufschwang. Wut und Sorge trieben sie an und sie war selbst erschrocken über ihre neu gewonnene Kraft.

»Ich hätte auch einen Schlüssel gehabt«, sagte Gallad und lief an ihr vorbei.

Vor ihnen tat sich ein Wohnraum mit angrenzender Küche auf. Alviss und sie folgten ihm die knarrende Treppe hinauf.

Im ganzen Haus war es kalt, die Luft roch abgestanden und staubig, als wäre lange niemand hier gewesen. Auch hörte sie keine Geräusche von anderen Bewohnern. Im besagten Zimmer angekommen, wollte Gallad Finnegan auf das große Himmelbett legen, doch Imogen hielt ihn zurück und griff nach dem Bettzeug.

»Lieber vor den Kamin.«

Alviss packte mit an und gemeinsam zerrten sie die Matratze direkt vor den Kamin, warfen Decke und Überdecke daneben. Gallad bettete Finnegan darauf, der sich noch immer nicht rührte, und wickelte ihn behutsam aus den nassen Umhängen. Seine Hände waren blau und zitterten, der Schrecken und die Angst um seinen langjährigen Freund standen ihm überdeutlich ins Gesicht geschrieben. Er hielt inne, sein Kopf sackte ihm auf die Brust. Wenig später verkrampften sich seine Schultern, bebten fast so sehr wie die Hände, mit denen er auch das letzte Stück Stoff beiseitezog.

Das ganze Ausmaß von Finnegans Verletzungen lag blutig vor ihnen ausgebreitet.

Imogen schloss entsetzt die Augen. Sie wollte es nicht sehen. Konnte es jetzt nicht ertragen. Nicht, so lange noch Leben in ihm war und sie ihm helfen mussten.

»Ist er ...?« Sie hörte ihre Stimme, konnte sich aber nicht erinnern, gesprochen zu haben.

»Er atmet noch«, sagte Alviss, weil Gallad schwieg, und deckte Finnegan mit den trockenen Decken zu.

Gallad atmete tief durch, konnte die abgrundtiefe Panik aber nicht aus seinem Blick verbannen, als er sich zu Alviss umwandte. »Reite ins Dorf und frage nach einer Heilerin. Nicht weit vom Haus entfernt verläuft eine schmale Straße. Halte dich dort ostwärts, dann kommst du direkt darauf zu. Geld findest du im rechten Küchenschrank hinter einem losen Brett. Nimm es und bezahl, was nötig ist.«

Alviss nickte, warf noch einen verzagten Blick auf Finnegan und rannte nach unten.

Während sich Gallad daran machte, ein Feuer zu entzünden, kniete sich Imogen neben Finnegan, fasste nach seiner Stirn und erschrak. »Er ist so kalt!«

Sie hob die Decken vorsichtig an, bis sie seine Brust freigelegt hatte. Seine Haut war unter dem ganzen Blut leichengrau. Der Flug hatte ihm nicht gutgetan, aber welche andere Wahl hatten sie gehabt? In der Stadt hätten sie sich nicht lange verstecken können. Gendix’ Leute hätten sie früher und später aufgespürt.

Wenn er jetzt an einer Unterkühlung starb, war alles umsonst gewesen!

Sie blickte zu Gallad, der mit gezielten Bewegungen auf den Zunder einschlug. Erste Funken stoben auf, dennoch würde es noch eine Weile dauern, bis die dickeren Scheite brannten und die lebensspendende Wärme im Raum verbreiteten, die Finnegan so dringend brauchte.

Sie musste sich etwas einfallen lassen.

Kurzerhand stand sie auf und zog sich die nasse Kleidung aus. Gallad warf ihr einen fragenden Blick zu, drehte sich dann aber hastig weg, als er erkannte, was sie vorhatte.

»Das Feuer dauert zu lange«, erklärte sie und ließ auch ihr Unterkleid zu Boden gleiten. »Wir müssen ihn unbedingt aufwärmen. Schnell! Die Wunden können wir später versorgen. Er hat zu viel Blut verloren und sein Körper ist unterkühlt.«

»Woher ...?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.

»Ich hab es ...«, antwortete sie und kroch nackt zu Finnegan unter die Decken, »in einem Buch gelesen. Wir müssen ihn schnellstmöglich aufwärmen und im Moment haben wir nichts Besseres als unsere Körperwärme.« Sie erschauerte, als sie seine eiskalte Haut berührte, dennoch rückte sie ganz nah an ihn heran.

Gallad nickte und blies in die ersten kleinen Flammen, ehe er ein paar Zweige darüber legte.

Zitternd beobachtete Imogen Finnegans Gesichtszüge, betete zu den Göttern, dass sie ihm die Kraft gaben durchzuhalten. Vorsichtig spürte sie in ihn hinein. Einige Rippen fühlten sich unter ihren tastenden Sinnen lädiert an und sie hatten ihm ein Bein gebrochen. Doch darum würde sie sich später kümmern. Zuerst musste wieder Leben in ihn zurückkehren.

Als das Feuer ausreichend brannte, legte Gallad weitere Holzscheite darauf und stand einen Moment unschlüssig neben dem Lager. Dann zuckte er die Schultern und zog sich ebenfalls aus. Stahlharte Muskeln und mit Narben übersäte, braun gebrannte Haut kamen zum Vorschein. Hastig wandte Imogen den Blick ab, bis er auf der anderen Seite unter die Decken gekrochen war und sie wieder sorgfältig über den noch immer bewusstlosen Finnegan gebreitet hatte.

»Er fühlt sich wie ein Eisblock an«, sagte er und schüttelte sich.

Dann schwiegen sie. Und warteten.

Die Stille wurde nur vom gelegentlichen Knacken der Holzstücke im Feuer unterbrochen. Grau kroch der Morgen durch das Fenster zu ihnen ins Zimmer. Die Vögel zwitscherten, nicht ahnend, was in dieser Hütte im Wald vor sich ging.

Imogen hatte eine Hand auf Finnegans Brust gelegt. Sie spürte die Wunden unter ihren Fingern, die zwar nicht mehr bluteten, aber trotzdem behandelt werden mussten. Doch sie konzentrierte sich auf das langsame Pochen seines Herzens. Wollte es dazu zwingen, weiterzumachen und ja nicht aufzugeben. Finnegan durfte nicht sterben!

Die Wut in ihr blieb stumm. Sie konnte nur Leben nehmen, nicht retten.

Gallad sah sie über seinen Freund hinweg an. Der Feuerschein tanzte orangerot auf seinen vor Schreck blassen Zügen. Dennoch erkannte sie die Fragen, die in seinem Blick lagen.

»Ich hab nicht gewusst, dass ich meine Kräfte auf diese Weise einsetzen kann«, sagte sie leise. »Dass ich zu so etwas fähig bin ... Aber als ich ihn da hängen sah ... hilflos und geschändet ...« Bei der Erinnerung traten ihr Tränen in die Augen und das Wesen in ihr rührte sich, schabte an seinem Gefängnis. Vorsichtig, fragend. Sie hob den Kopf und begegnete Gallads Blick. »Sie hatten es verdient.«

»Nicht so, Imogen«

»Sie haben ihn da einfach hängen lassen. Nackt und blutend!«

»Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber diese Männer haben nur Befehle befolgt«, widersprach er sanft.

Imogen wusste, dass es falsch war, was sie getan hatte. Aber es hatte sich so richtig angefühlt. So gerecht. Nach allem, was sie Finnegan angetan hatten. Nach allem, was man ihr angetan hatte! »Ihr hättet sie doch auch getötet.«

»Ja. Aber nicht so. Imogen, ich hab dich gesehen. Du warst nicht mehr du selbst.«

Gallad hatte recht. Die Imogen von früher, die verschüchterte Herzogstochter, hätte das nicht tun können. Diese Frau war sie nicht mehr. Sie war jetzt so viel mehr. Dieses Wesen in ihr war kein Fremdkörper. Es war keine fremde Macht, die sich dort eingenistet hatte, sondern es gehörte zu ihr. War ein Teil von ihr. Etwas, das sie stark machte, das ihr dabei half, anderen endlich die Stirn zu bieten. Es würde sich nun, da es sich einmal erhoben hatte, nicht wieder in sich zurückziehen. Und wenn Imogen ehrlich war, wollte sie das auch nicht. Sie wollte nicht mehr schwach und hilflos sein. Sie wollte sich wehren können. »Du irrst. Genau das bin ich jetzt.«

»Sie werden dich jagen.«

Beinahe hätte sie gelacht, doch diese ganze Situation war zu schrecklich. »Das tun sie doch sowieso schon, Gallad.« Für einen Moment wurde ihr Herz schwer bei der Vorstellung, dass sie von nun an immer über die Schulter würde blicken müssen, egal, wohin sie sich in Sithia wandte. »Ich würde es wieder tun. Für Finnegan. Für euch.«

Er hob die Hand und legte sie auf ihre, die über Finnegans Herzen ruhte. Sie fühlte sich schwielig und herrlich warm und vertraut an. »Pass nur auf, dass es dich nicht verschlingt. Da ist so viel mehr in dir als diese Zerstörungswut. Lass nicht zu, dass der Nifrim dir das nimmt.«

Sie warf einen Blick auf Finnegans Gesicht. Er hatte etwas Ähnliches zu ihr gesagt. In Rotkar, als sie diesem Mann die Finger gebrochen hatte. Und plötzlich war sie da: die Scham über das, was sie getan hatte. Imogen schluchzte auf. Sie hatte diese Männer kaltblütig umgebracht. Sie war eine Mörderin!

Gallads Griff um ihre Hand wurde fester. »Sch ... Es ist alles gut, Imogen. Du kannst nichts dafür. Ohne dich hätten wir Finnegan nicht so leicht befreien können. Vielleicht hätte es sogar einen von uns getroffen. Aber, Imogen ...«

Sie blickte auf.

»Versprich mir, dass du diese Kräfte beherrschen lernst.«

Sie nickte.

»Gut. Konzentrieren wir uns darauf, dass Finnegan wieder auf die Beine kommt, in Ordnung?«

Sie wischte sich hastig die Tränen fort. »Denkst du, er wird es schaffen?«

»Er ist zäh«, antwortete er langsam. »Er ist zäh ...«

Ein paar Atemzüge schwiegen sie. Gallad hielt weiterhin ihre Hand, als wolle er ihr zeigen, dass sich für ihn nichts geändert hatte. Dass er sie noch immer mochte. Sich nicht vor ihr fürchtete.

Zu gern hätte sie das geglaubt, aber dann erinnerte sie sich wieder an dieses Entsetzen in seinem Blick.

»Imogen Knochenbrecherin«, sagte er plötzlich leise.

»Wie bitte?«

»So werden sie dich nennen.«

Sie runzelte die Stirn. »Das ist kein sehr schmeichelhafter Name.«

»Aber passend. Und furchteinflößend. Genau darauf kommt es an. Mit solchen Spitznamen können sie den Hass auf die Nifrim schüren.«

»Das hat Mutter auch immer gesagt. Es kommt darauf an, was die Leute sehen sollen. Nicht, was sich in Wirklichkeit dahinter verbirgt.«

»Deine Mutter ist eine kluge Frau.«

»Sie hat mich gehasst. Weil ich nicht so war, wie sie mich haben wollte. Ich war nie gut genug für sie.« Wieder brannten Tränen in ihren Augen und sie wandte wütend den Blick ab.

»Vielleicht hat sie aber auch schon früh erkannt, was wirklich in dir schlummert. Und wollte dir dieses Schicksal ersparen.«

Imogen schnaubte und schwieg, weil sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte. Vielleicht hatte er recht und ihre Mutter hatte sie nur beschützen wollen. Trotzdem hatte sie ihr die Liebe verweigert, die sie gebraucht hatte. Die ihr zugestanden hatte. Eltern hatten die Pflicht, ihre Kinder zu lieben. Es war ihre Aufgabe. Und darin hatte ihre Mutter versagt. Ebenso wie Finnegans.

Wie anders wäre ihrer beider Schicksal verlaufen, wenn sie ein liebevolles und verständnisvolles Zuhause gehabt hätten? Ein Heim, in das man gern zurückkehrte. Menschen, die man liebte und von denen man geliebt wurde. Das hatte Imogen erst hier bei der Roten Hand kennengelernt. Da war ihr bewusst geworden, wie kalt ihr Elternhaus gewesen war. Vielleicht hatte Namys das auch gespürt und deshalb mit ihrer ganz eigenen Wärme aus Frohsinn und Leichtigkeit gegen diese Kälte angekämpft. Für sich, aber ebenso für Imogen, ihre Schwester.

Das Frösteln, das sie nun überkam, hatte nichts mit der Kälte im Raum zu tun, denn die hatte sich mittlerweile in die dunklen Ecken zurückgezogen, vertrieben von dem lodernden Feuer in Gallads Rücken.

 

»Er fühlt sich schon wärmer an, oder?«, fragte er irgendwann.

Imogen entzog ihm ihre Hand, befühlte Finnegans Stirn und Wangen und horchte nach seinem Herzen. Es schlug kräftiger und die unverletzte Haut war wieder rosiger. Als sie in sein Gesicht blickte, öffnete er die Augen und tat einen langen Atemzug. Und verzog vor Schmerz das Gesicht, ehe er erst sie, dann Gallad musterte.

»Warum sind wir nackt?« Seine Stimme klang rau und schwach.

Dennoch war es das Schönste, was sie jemals gehört hatte. Dieses Mal trieb die Freude ihr Tränen in die Augen und das dunkle Wesen in ihr schnurrte zufrieden.

»Willkommen zurück, alter Freund«, sagte Gallad und die Erleichterung war ihm deutlich anzuhören.

Finnegan schloss die Augen, riss sie wieder auf und suchte Imogens Blick.

»Ich bin hier«, raunte sie ihm zu. Du bist jetzt in Sicherheit, fügte sie in Gedanken hinzu.

Er nickte leicht. Eine Träne rann ihm aus dem Augenwinkel und für einen Moment erhaschte sie einen Blick auf seine Seele. Seinen Schmerz, seine Qual. Auf die vielen Narben und Wunden dort. Und sie war sich nicht sicher, ob all das jemals wieder heilen würde.

2. Kapitel

Etwas wurde ihr genommen.

Alviss hatte zwei Dörfer entfernt eine Heilkundige gefunden, die bereit gewesen war, mit ihr zu kommen. Der Morgen war weit fortgeschritten, als sie mit ihr zurückkehrte. Finnegan war mittlerweile soweit aufgewärmt, dass sich Gallad und Imogen wieder angezogen hatten. Sie hatten versucht, ihm etwas heißen Tee einzuflößen, doch er war nach seinem kurzen Aufwachen zurück in die Ohnmacht gefallen. Was vielleicht auch besser war.

Sein Bein hatte Imogen mit ihren Kräften gerichtet, noch bevor die Heilkundige eingetroffen war. Es war ihr überraschend leichtgefallen, den Bruch zu finden und die Knochen wieder zusammenzufügen. Dafür hatte sie nicht einmal diese Wut gebraucht. Sie wusch es vorsichtig sauber und umwickelte es mit einem Leinenstreifen, als die Alte hereinkam.

Auf ihren Befehl hin hievten sie Finnegan in das Bett. Gallad sah danach aus, als wäre es ein enormer Kraftakt gewesen. Und das war es für ihn auch, wie Imogen erkannte. Nur nicht bezogen auf seine Körperkräfte. Zum zweiten Mal sah er seinen Freund aus Kindertagen auf diese Weise zugerichtet und dem Tode nahe. Lange konnte er sich beherrschen, zwang sich mit zusammengebissenen Zähnen, bei ihm zu bleiben und ihr und der Heilerin zur Hand zu gehen, doch irgendwann wich er mit bleicher Miene zurück.

»Ich kann das nicht«, murmelte er. »Ich kann das einfach nicht.«

»Es ist in Ordnung«, beruhigte Imogen ihn sofort. »Ich bleibe bei ihm. Geh doch runter und hole neues Feuerholz, damit wir hier immer einen guten Vorrat haben.«

Er nickte ihr dankbar und voller Scham zu.

»Wenn du ihm folgen willst, Mädchen, keiner macht dir Vorwürfe«, sagte die Heilerin.

»Ich bleibe«, antwortete sie bestimmt, auch wenn sie all ihren Mut zusammennehmen musste.

Tradil war eine alte Frau mit dünnem, schneeweißem Haar und von Altersflecken übersäten faltigen Fingern. Und sie stellte keine Fragen. Sie hatte Finnegan gründlich und mit fachmännischen Handgriffen untersucht, um ihm nicht noch mehr Schmerzen zu bereiten, und sich dann an die Arbeit gemacht.

Mit einem Ruck renkte sie Finnegans rechten Arm wieder ein, was ihn aus seiner Ohnmacht riss. Er wollte sich aufbäumen und sie mussten ihn gemeinsam bändigen, ehe er begriff, was geschah, und zurück ins Bett sank.

Sein Gesicht, sein schönes Gesicht, war von unzähligen Schlägen geschwollen, die Lippen aufgeplatzt. Die Augen riesengroß und so voll unverhohlener Pein, dass Imogen nicht lange hineinblicken konnte. Tiefe Furchen bedeckten seinen Rücken und seine Brust. Mit Blut und Dreck verkrustet. Imogen wusste nicht, welche Art von Peitsche solche Striemen hinterließ, und wollte es sich auch nicht vorstellen. Viele dieser Wunden musste Tradil wieder öffnen, um den Dreck herauswaschen zu können, damit sie sich nicht entzündeten. Imogen ging ihr bei dieser scheußlichen Arbeit zur Hand, so gut sie konnte, und störte sich nicht einmal an den eher rüden Anweisungen der Alten.

Schon bald lag Finnegan erneut in seinem eigenen Blut, das das weiße Laken tränkte, auf den sie ihn nackt gebettet hatten.

Er versuchte, nicht zu schreien, doch es gelang ihm nicht immer. Bei jedem gepressten Laut und Schmerzensschrei zuckte Imogen zusammen, als würden die grausigen Peitschenhiebe nun auf sie niedergehen. Immer und immer wieder.

Irgendwann verlor er erneut das Bewusstsein und sie atmete erleichtert auf.

»Na, endlich«, murmelte Tradil. »Ein Segen für ihn. Und uns. Beeilen wir uns, Mädchen, damit wir fertig werden, ehe er wieder zu sich kommt.«

 

Nachdem alle Wunden versorgt und sämtlicher Dreck abgewaschen war, wickelten sie Finnegan in eine frische Decke, die Gallad aus einem der anderen Räume geholt hatte, und ließen ihn ausruhen.

Tradil kochte eine stärkende Suppe aus Gemüse, das Alviss von einem erneuten Ritt mitgebracht hatte. Die sollten sie ihm – notfalls mit Gewalt – einflößen, sobald er zu sich kam.

»Er muss viel trinken«, wiederholte sie streng. »Holt mich, wenn er Fieber bekommt.«

»Danke«, sagte Imogen, griff nach den Händen der Frau und küsste sie. »Ich weiß gar nicht, wie wir das wiedergutmachen können.«

»Ihr tut schon genug«, erwiderte die Alte.

»Ihr wisst, wer wir sind?«, fragte sie erschrocken und blickte erst Gallad, dann Alviss an. Die beiden saßen im Wohnraum an dem einfachen Tisch und sahen aus, als würden sie jeden Moment einschlafen, schienen sich aber nicht weiter an ihren Worten zu stören.

»Wir alle kennen die Geschichten von Finnegan Lavorthe und seiner Roten Hand«, antwortete Tradil. »Ich hab ihn gleich erkannt. Ihn und den jungen Burschen hier. Gallad, den Beschützer.«

»Aber er trägt doch immer eine Maske«, warf Imogen verstört ein. Sie wusste mittlerweile, dass sie sich in Bruhém befanden. Von Udria aus waren sie ins Landesinnere geflogen, in eine ländliche Gegend, fernab der nächsten großen Stadt.

»Jetzt weiß ich auch, warum. Er ist zäh, Mädchen.« Die Alte zwinkerte ihr zu, packte ihre Sachen zusammen und verließ ohne ein weiteres Wort das Haus.

Gallad stemmte sich mit einem Stöhnen auf die Beine. »Ich werde Tradil nach Hause bringen und mich ein bisschen umhören.« Er sah erst Alviss, dann Imogen durchdringend an, die Augen müde. »Niemand kennt dieses Haus. Nicht einmal unsere Vertrauten. Seid dennoch wachsam.«

Imogen nickte und blickte ihm mit einem mulmigen Gefühl hinterher.

»Du solltest auch etwas essen«, sagte Alviss.

Die beiden hatten sich bereits von der Suppe bedient, doch Imogen hatte keinen Hunger. »Ich muss nach Finnegan sehen.«

»Nein«, widersprach Alviss streng, stand auf und drückte sie auf einen der Stühle. »Du musst etwas essen und dann wirst du dich ausruhen. Ich weiß, was diese Fähigkeiten mit Finnegan anstellen, und du siehst aus, als würdest du jeden Moment umfallen.« Sie füllte Imogen eine Schüssel, stellte sie ihr hin und setzte sich zu ihr. »Er wird es schaffen«, sagte sie nach einer Weile.

Imogen nickte matt. Die Suppe tat ihr gut, vertrieb die Kälte aber nicht, die sich seit diesem unheilvollen Blick in Finnegans Seele in ihr ausgebreitet hatte.

Der Nifrim in ihr regte sich.

Gendix und Vulmer waren dafür verantwortlich. Und sie würden dafür bezahlen.

»Willst du darüber reden?«, fragte Alviss.

Imogen überlegte einen Moment. Alviss konnte sie vermutlich viel besser verstehen als Gallad oder Finnegan. Immerhin war sie selbst ein Opfer gewesen und hatte sich klein und hilflos gefühlt. Dennoch schüttelte sie den Kopf. Alviss griff nach ihrer Hand, sagte aber nichts mehr. Und dafür war sie ihr unendlich dankbar.

***

Die kommenden Tage wich Imogen nicht von Finnegans Seite und beruhigte Gallad in seiner stummen Qual, weil er es nicht über sich brachte, Finnegan erneut beim Leiden zuzusehen. Sie gab ihm alle möglichen Aufgaben, damit er sich nicht nutzlos fühlte und noch mehr schämte; Wasser holen, sich um die Pferde kümmern, Holz hacken und auf die Zimmer verteilen, Lebensmittel und Kleidung für Finnegan besorgen, das Haus putzen. Alles, was ihr einfiel. Dankbar nahm er jeden noch so unnützen Arbeitsauftrag an.

Finnegan bekam hohes Fieber, wälzte sich stöhnend hin und her, ohne dabei wach zu werden. Er schrie im Schlaf, murmelte unverständliche Worte und schlug manchmal sogar um sich. Einige der Wunden rissen durch diese Bewegungen auf und Imogen hatte Mühe, ihn so weit zu beruhigen, dass sie sie wieder verbinden konnte.

Sie holten Tradil, doch die Alte konnte nicht viel mehr machen, als nach seinen Wunden zu sehen und ihm Wadenwickel anzulegen.

»Wenn er einen starken Willen hat, wird er es schaffen«, sagte sie, bevor sie endgültig ging und Imogen in ihrer Verzweiflung zurückließ.

Sie hatte ihr gezeigt, was zu tun war, und mehrmals täglich tauschte Imogen die Verbände aus, rieb die Paste darauf, die Tradil ihr dagelassen hatte, und betete zu den Göttern. Nachts tupfte sie ihm die schweißnasse Stirn, wechselte die Laken, sobald sie durchgeschwitzt waren, oder legte ihm eine weitere Decke über, wenn er so stark fror, dass seine Zähne unkontrolliert aufeinander klapperten. Sie fühlte sich hilfloser als jemals zuvor in ihrem Leben. Und so voller Angst, dass sie manchmal kaum atmen konnte.

Wenn Finnegan zwischendurch ruhig schlief, horchte sie alle paar Augenblicke nach seinem Herzen – stets in der Angst, es hätte aufgehört zu schlagen.

Alviss half ihr, so gut sie konnte, doch auch sie litt unter dem Anblick ihres Anführers – zusätzlich zu den Erinnerungen an ihre eigenen schrecklichen Erlebnisse.

Dann dachte Imogen daran, dass Gallad all das schon einmal durchgemacht hatte, und sie konnte verstehen, warum er für ein weiteres Mal nicht mehr die Kraft aufbrachte.

Sie selbst nahm ihre Kraft aus ihrer Wut. Eine Wut auf Laivina, auf alle Königinnen. Doch vor allem auf Gendix und Vulmer. Und auf Namys, die sie verraten hatte.

Mittlerweile war sie sich sicher, dass ihre Schwester dafür verantwortlich war. Es gab keine andere Möglichkeit, dass Venali sie so schnell hatte aufspüren können. Er war zu Besuch bei ihrem Ehemann gewesen und Namys war schwach. Wahrscheinlich hatte ein strenger Blick genügt und sie hatte von dem Treffen mit ihrer totgeglaubten Schwester und dem mysteriösen Fremden erzählt, der kein anderer als der gesuchte Finnegan Lavorthe sein konnte. Kopf der Roten Hand.

Imogen ballte die Fäuste. Verraten. Erst von der Mutter und dann von der Schwester. So wenig liebten und achteten die beiden sie wirklich. Jetzt war es deutlich geworden. All die Jahre hatte Namys ihr etwas vorgespielt, die fröhliche, immer positive Schwester gemimt, die weder über ihre Pummeligkeit noch über ihre mangelnde Schlagfertigkeit urteilte. Doch Namys war schwach, sie war biegsam, formbar. Nicht ein einziges Mal hatte sie Mutter die Stirn geboten, um Imogen zu unterstützen. Stets hatte sie daneben gestanden, wenn Imogen Schelte oder eine unsinnige Strafarbeit bekommen hatte. Stumm hatte sie zugehört, wenn Mutter Imogen niedergemacht, sie beschimpft und beleidigt hatte. Nie hatte Namys Stellung bezogen, zu ihr gehalten. Und nun ... nun hatte sie ihr wahres Gesicht gezeigt in aller Hässlichkeit und Niedertracht. Ihre Schwester hatte sie verraten und im Stich gelassen, wie es Mutter bereits getan hatte. Sie, die Auffällige, die Dicke, Unbeholfene. Sie, der Nifrim.

Imogen löste die verkrampften Finger und blickte auf Finnegan, der mit schweißnasser Stirn ausnahmsweise einmal ruhiger schlief. Blass und ausgemergelt lag er da. Sohn einer Königin. Nifrim.

Deutlicher denn je wurde Imogen klar, dass es kein Zufall war, dass er und sie sich begegnet waren. Zeit ihres Lebens war sie anders gewesen. Niemals hätte sie geahnt, dass diese göttliche Kraft in ihr steckte, aber im Nachhinein ergab so vieles plötzlich einen Sinn. Sogar ihr Wissensdurst und ihre Leidenschaft für das geschriebene Wort. Dadurch wusste sie Dinge, die ihr, ihnen allen schon oft geholfen hatten. Kein Wissen war unnütz, auch wenn Mutter sie immer davon hatte überzeugen wollen.

Sie war nicht unnütz.

Aber Namys war es. Und sie würde dafür bezahlen, dass sie Imogen verraten hatte. Sie würde für jeden einzelnen Peitschenhieb büßen, den Finnegan hatte erleiden müssen.

***

»Nun reicht es aber langsam! Seit über einer Woche hast du dieses Zimmer nicht mehr verlassen. Entweder, du gehst jetzt freiwillig oder ich zerre dich mit Gewalt hinaus.« Alviss baute sich vor ihr auf, die Arme in die Hüften gestemmt. Als sie Imogens Blick sah, nahm sie die Hände herunter und seufzte. »Ich kann dich verstehen, Imogen. Aber, guck, das Fieber ist gesunken und er schläft doch schon viel ruhiger. Du bist ihm keine Hilfe, wenn du zusammenbrichst, weil du dir keine Ruhe gegönnt hast. Ich werde hier bei ihm bleiben und dich sofort rufen, wenn sich etwas verändert, in Ordnung?«

Widerwillig erhob sich Imogen und streckte den Rücken durch. Sie wollte nicht gehen, aber Alviss hatte recht. Langsam zehrte diese ständige Sorge an ihrer Substanz. Ihre Augen brannten und ihre Hände waren schon ganz zittrig. Sie war erschöpft, das hatte ihre Freundin gut erkannt, auch wenn sie sich bisher immer wieder erfolgreich zum Durchhalten gezwungen hatte.

»Du rufst mich sofort«, wiederholte sie eindringlich.

Alviss nickte und schob sie dann zur Tür hinaus.

Mit steifen Knien stieg Imogen die Treppe hinunter, wo ihr Gallad entgegenkam und mitten in der Bewegung erstarrte. »Ist etwas passiert?«

»Nein. Alviss ist bei ihm.«

Er atmete erleichtert aus. »Ich ... ich sollte bei ihm sein ...« Er warf einen gequälten Blick nach oben.

»Es ist in Ordnung.« Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Keiner macht dir einen Vorwurf. Wenn ich ehrlich bin ... ich weiß nicht, ob ich das ein weiteres Mal mitmachen könnte.«

Gallad rieb sich über das Gesicht. Erst jetzt bemerkte sie, wie blass und abgehetzt er aussah. Die Augen waren gerötet und dunkel umschattet und das Kinn von langen Bartstoppeln übersät. Er wirkte verloren. Verloren, hilflos und voller Scham.

Behutsam schob sie ihn zum Tisch, drückte ihn auf einen der Stühle und setzte sich neben ihn. »Du hast schon so viel für Finnegan getan. Er weiß, dass er immer auf dich zählen kann.«

»Dennoch hab ich das Gefühl, ihn im Stich zu lassen«, erwiderte er leise und sie sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, das auszusprechen.

»Wir sind nur zu dritt und werden überall gesucht. Es ist wichtig, dass jemand die Umgebung im Auge behält, und dafür bist du der Beste. Jeder hat hier eine Aufgabe, Gallad. Und deine ist nicht weniger wichtig.«

Er seufzte schwer. »Aber es sollte nicht deine Aufgabe sein, mit ihm zu leiden.«

»Vielleicht doch«, widersprach sie leise. »Finnegan meinte, die Götter hätten mich nicht grundlos zu euch geführt. Und ich glaube das auch. Du hast ihn einmal wieder aufgebaut, nun ist es an mir, etwas von dem zurückzugeben, was ich von ihm und von euch allen bekommen habe. Ich hab es bisher so viel besser gehabt im Leben als ihr. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn du einen Teil der Verantwortung abgibst. Im Gegenteil. Er wird es schaffen, Gallad.«

Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich weiß nicht, Imogen. Finnegan war längst nicht mehr der, mit dem ich aufgewachsen bin. Nach diesen Foltern ... Was, wenn sie ihn diesmal endgültig gebrochen haben?«

»Sowas will ich nicht hören! Finnegan wird wieder gesund. Er ist jung und er weiß, dass wir ihn brauchen.« Dass ich ihn brauche.

»Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ich hab nur solche Angst ...«

»Die haben wir auch«, gestand sie. »Wir müssen einfach abwarten. Wie Tradil gesagt hat. Doch ich bin mir sicher, dass die Götter auf Finnegans Seite sind.«

Gallad rieb sich über das Gesicht und als er sie daraufhin ansah, war etwas seiner bisherigen unerschütterlichen Zuversicht zurückgekehrt. »Soll ich dir zu essen machen?«

Sie schüttelte den Kopf und stand auf. »Später gern. Jetzt werde ich ein bisschen vor die Tür gehen und mir die Beine vertreten.« Sie wusste, dass er gern ihre Gesellschaft gehabt hätte und eine Aufgabe – und sei es auch nur so etwas Simples, wie ihr Essen zuzubereiten. Doch sie konnte seine Anwesenheit im Moment nicht ertragen. Konnte seine Furcht nicht aushalten, die sich wie ein Fieber auf sie übertrug.

Was, wenn er recht hatte und sie Finnegan gebrochen hatten? Wenn tatsächlich nichts mehr von dem Mann übrig war, in den sie sich verliebt hatte? Was sollte sie dann tun? Wie damit umgehen?

Allein bei dem Gedanken daran wollte sie am liebsten schreien und sie lief rasch nach draußen, ehe Gallad ihre Tränen sah, die ihr heiß in den Augen brannten.

Es war Nachmittag, was sie bisher kaum zur Kenntnis genommen hatte. Die Sonne stand hoch am Himmel, hatte aber keine Kraft mehr. Fröstelnd schlang Imogen die Arme um sich und lief ein paar Schritte. Kurz überlegte sie, sich einen Mantel zu holen, doch da war sie bereits an der umzäunten Koppel angekommen, auf der Andrash und Sithril grasten. Der Hengst hob sofort den Kopf und kam schnaubend zu ihr.

»Du sorgst dich sicher auch um deinen Herrn«, raunte sie ihm zu, als er tatsächlich vor ihr stehenblieb und sich von ihr streicheln ließ.

Er schüttelte den Kopf, sodass seine volle, tiefschwarze Mähne nur so flog. Imogen sah sich um und entdeckte an der Hauswand einen Eimer mit Äpfeln, aus dem sie zwei holte. Sithril war mittlerweile ebenfalls neugierig nähergekommen und nahm ihr den Apfel vorsichtig von der ausgestreckten Hand. Für einen Moment vergaß Imogen ihre Scheu und staunte darüber, wie weich sich so ein Pferdemaul anfühlte. Dann drängte sich Andrash näher und schnappte nach ihr. Erschrocken wich sie zurück und sah ihn erzürnt an.

»Blödes Vieh!«, murmelte sie, den Apfel noch immer in der Hand, den der Hengst nicht aus den Augen ließ. Sie hob die Frucht höher. »Den hättest du wohl gern, wie? Dann solltest du das nächste Mal ein bisschen freundlicher zu mir sein!«

Sie drehte sich um und ging wieder zum Haus. Andrash wieherte ihr nach, doch sie ließ den Apfel zurück in den Eimer fallen.

Gallad stand im Hauseingang, einen Umhang in der Hand, wie sie gerührt bemerkte.

»Dieser blöde Gaul kann mich einfach nicht leiden«, schimpfte sie.

»Offenbar nicht«, erwiderte er und lachte leise. »Komm wieder rein, ehe du dir noch was wegholst. Soll ich dir Wasser warm machen für ein Bad? Wir haben einen Zuber hinten.«

Diesmal lehnte sie seine Fürsorge nicht ab. Ein heißes Bad klang tatsächlich trotz aller Sorgen verlockend.

 

In dieser Nacht blieb Alviss bei Finnegan und Imogen schlief im Zimmer gegenüber. Zumindest versuchte sie es. Sie war fürchterlich erschöpft und nach einem ausgiebigen Bad und Essen zu müde, um die Augen offenhalten zu können. Dennoch fand sie nicht in den Schlaf. Stattdessen horchte sie auf jedes Geräusch im Haus. Jedes Knacken von Holz, Rauschen von Blättern draußen. Jeden Schmerzenslaut Finnegans.

Irgendwann musste sie trotzdem eingeschlafen sein, denn als sie erwachte, war die Sonne bereits aufgegangen und hatte sogar schon den Frühnebel vertrieben. Sie wusch sich flüchtig, kleidete sich an und lief zu Finnegans Zimmer.

Gallad saß auf dem Stuhl neben seinem Bett, das Hemd nur nachlässig in die Kniehosen gesteckt, die blonden Haare zerzaust. In der Hand hielt er eine Schüssel und einen Löffel. Finnegan schlief.

»Ihm geht es gut«, sagte er und stand auf. »Ich hab Alviss ins Bett geschickt und Finnegan etwas Suppe einflößen können.«

»Er ist aufgewacht?«, fragte sie, schüttelte ihre Starre ab und trat näher.

»Nicht richtig. Er hat wirres Zeug gemurmelt, aber einen Großteil der Suppe geschluckt. Das ist ein gutes Zeichen, oder?«

Sie nickte und blickte auf Finnegan hinab. Schweiß glänzte auf seine Haut und er sah blass, doch nicht mehr ganz so verkrampft aus. Sie legte ihre Hand auf seine Stirn. Sie war warm, nicht heiß. Vielleicht hatte er es wirklich überstanden? Sie hoffte es. Denn diese Unwissenheit, diese ständige Angst, er könnte den Kampf gegen das Fieber doch noch verlieren, zermürbte sie.

Sie setzte sich vorsichtig zu ihm auf die Bettkante. »Ich kann jetzt bei ihm bleiben, wenn du willst.«

»Wenn es dir nichts ausmacht, bleibe ich noch eine Weile hier«, erwiderte Gallad und stellte die Schüssel auf dem Boden ab.

So saßen sie eine Weile schweigend zusammen und sahen Finnegan beim Schlafen zu. Irgendwann wurde Gallad unruhig und sie schickte ihn mit der Bitte fort, ihr Frühstück zu holen, und atmete tief durch, als er gegangen war. Sie vergewisserte sich, dass Finnegan gut zugedeckt war, und öffnete das Fenster. Eisige Luft schlug ihr entgegen und vertrieb den Geruch nach Krankheit und Tod. Brachte neues Leben herein. Hoffentlich ...

Nachdem sie das Fenster geschlossen hatte, setzte sie sich auf den Stuhl und faltete die Hände im Schoss. Die Sorge um Finnegan war nicht das Einzige, das sie hier oben hielt.

Sie ging Alviss und Gallad aus dem Weg, weil sie wusste, dass sie ansonsten darüber würden sprechen wollen, was geschehen war. Was Imogen getan hatte. Seit Finnegans Befreiung sahen die beiden sie mit anderen Augen. Sie versuchten, es zu verbergen, benahmen sich ihr gegenüber normal. Aber Imogen hatte es dennoch bemerkt. Sie wollte nicht darüber reden, was sie getan hatte. Wollte nicht einmal daran denken. Hier, bei Finnegan, konnte sie alle Erinnerungen beiseiteschieben, sich ganz auf ihn konzentrieren und auf ihre Gebete und die Geschichten, die sie ihm in den langen Stunden erzählte. In der Hoffnung, dass er ihre Stimme in diesem Delirium hörte und sie ihm ein Trost war.

»Ich liebe dich«, flüsterte sie nicht zum ersten Mal.

 

Mit der Zeit ging es Finnegan immer besser und das Fieber verschwand vollends. Dennoch schlief er viel und war nur selten lange wach. Selbst in diesen Momenten wirkte er abwesend und noch einsilbiger als zuvor.

Wie befürchtet, hatte diese erneute Folter auch auf seiner Seele Spuren hinterlassen. Trotzdem zwang sich Imogen, wenigstens einmal am Tag nach draußen zu gehen, und überließ Alviss oder Gallad die Krankenwache.

Sie ging dann meist im Wald spazieren, blieb aber in Rufweite. Der Winter war nun unverkennbar eingekehrt und sie war froh über den dicken Umhang. Die Bäume hatten ihr Blätterkleid abgeworfen und streckten die dürren, nackten Äste in einen blaugrauen Himmel, der den Geruch nach Schnee mit sich trug. Nie begegnete sie jemandem, entdeckte nur gelegentlich Spuren von Wildtieren, auch mal Hufabdrücke im vom Regen aufgeweichten Boden. Vermutlich von Sithril, mit der Gallad oder Alviss regelmäßig einige Dörfer weiter ritten und Lebensmittel besorgten und was sie sonst zum Leben brauchten.

Andrash war in der Zwischenzeit noch unbändiger geworden und ließ sich von den beiden nicht reiten. Imogen sah ihm an, dass er seinen Herrn vermisste. Obwohl sie Angst vor diesem riesigen, wilden Tier hatte, ging sie jeden Tag zu ihm. Es war zu einem kleinen Ritual geworden, dass sie dann stets einen Apfel für ihn und für Sithril dabeihatte. Und dass er sich ruhig verhalten musste, wenn er ihn haben wollte. Die ersten Male hatte er nicht nur die Stute rüde beiseite gedrängelt, sondern sogar nach Imogen geschnappt und sie einmal so heftig angestoßen, dass sie umgefallen war. Daraufhin hatte sie sich geschworen, sich diesem vermaledeiten Vieh nie wieder zu nähern. Und doch stand sie am darauffolgenden Tag auf der Koppel und versuchte, ihm Manieren beizubringen.

Nach vier Tagen hatte sie ihn so weit, dass er mit scharrenden Hufen abwartete, bis Imogen der Stute ihren Apfel gegeben hatte und sich ihm zuwandte.

Sie legte die Frucht auf ihre ausgestreckte Hand und hob die andere. Ein Zeichen, das sie sich überlegt hatte, und das ihn daran erinnern sollte, sich ihr ruhig und langsam zu nähern. Tatsächlich trat er vorsichtig auf sie zu, reckte den muskulösen Hals vor und schnupperte nach dem Apfel.

Imogen machte einen Schritt zurück. Andrash schnaubte mürrisch, folgte ihr aber. Dann zog sie die Hand weg, bis sie neben ihrem Körper war und Andrash nun ganz nah an sie herantreten musste. Wieder hob sie die andere Hand und der Hengst kam langsam näher, den Blick auf sie gerichtete, nicht den Apfel. Und da erkannte sie, dass er ihr schlichtweg nicht traute. Vielleicht hatte sich ihre generelle Angst vor Pferden auf ihn übertragen oder ihre unbeholfene Art im Umgang mit ihm hatte ihn verunsichert. Sie wusste es nicht, hatte aber zum ersten Mal das Gefühl, mit ihm auf Augenhöhe zu sein.

Er war keine mordlustige, kaum zu bändigende Bestie, sondern ein Lebewesen wie jedes andere. Auch er kannte Angst und Trauer, Schmerz und Hunger.

Sie wartete, bis er an sie herangetreten war, und gab ihm dann den Apfel. Gleichzeitig legte sie ihm die erhobene Hand auf den schlanken Hals, streichelte sein seidiges, schwarz glänzendes Fell. Und er blieb bei ihr stehen. Als würde er es genießen.

»So ist es gut«, raunte sie ihm zu. »Braver Andrash.«

Sie ließ die Bewegungen größer werden, streichelte nun seinen ganzen Hals entlang bis hinunter zur Brust. Auch wenn er sie nicht aus den Augen ließ, rührte er sich nicht von der Stelle, obwohl er den kleinen Apfel bereits verschlungen hatte. Irgendwann hatte er genug, stupste sie an, diesmal fast schon liebevoll, drehte sich um und trabte davon. Imogen sah ihm einen Moment mit einem nicht gekannten Glücksgefühl nach und ging dann zurück zum Haus, noch immer mit einem Lächeln im Gesicht.

Sie hängte den Umhang neben der Tür an den Haken, zog die nassen Schuhe aus und schlüpfte in die gefütterten Lederpuschen, die Gallad für sie besorgt hatte.

»Du glaubst nicht, was eben passiert ist«, sagte sie zu ihm, den sie im hinteren Bereich werkeln hörte, und drehte sich in die Richtung.

Vor Schreck blieb ihr fast das Herz stehen. Finnegan saß an dem kleinen Tisch und grinste sie matt an. Er sah müde und blass aus, aber er war angezogen und hatte sich sogar die Haare zurückgebunden. Gallad stand neben ihm und stellte ihm gerade ein Brett mit Brot, Wurst und Käse hin. Alviss saß am gegenüberliegenden Ende, die Beine auf der Tischecke übereinandergeschlagen.

Die Szene wirkte so normal. So alltäglich – und nach den langen Wochen des Bangens und der Sorge um ihn so unwirklich.

Er war wieder auf den Beinen! Und er war sogar die Treppe herunter gekommen und saß hier am Tisch. Als wäre nichts gewesen. Als wäre er nicht beinahe erfroren, nachdem man ihn halb tot geprügelt hatte. Als hätte er nicht tagelang im Fieber gelegen. So hohem Fieber, dass es ihn eigentlich von innen heraus hätte verbrennen müssen.

Eine so immense Erleichterung durchströmte Imogen mit einer Gewalt, die ihr den Atem raubte. Langsam hob sie die Hand an den Mund, eher mechanisch, und registrierte, wie sich Finnegans Blick veränderte. Wie die Freude über die gelungene Überraschung etwas anderem wich. Etwas ...

Sie blinzelte, weil ihre Sicht plötzlich verschwamm, und hatte das Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen. Ohne ein Wort drehte sie sich um und floh nach draußen, hastete mit steifen Beinen in den Hof und stützte dort die Hände auf die Oberschenkel. Ihr Magen rebellierte und fast hätte sie sich übergeben.

Finnegan hatte es geschafft. Er war wohlauf. Er würde nicht sterben!

Sie unterdrückte ein Schluchzen und fühlte sich mit einem Mal so unglaublich kraftlos, dass sie Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten und nicht hier und jetzt zusammenzubrechen. Finnegan würde nicht sterben. Das Schicksal würde ihn ihr nicht wegnehmen. Er würde leben und ...

Die Tür hinter ihr wurde geöffnet und langsame, schleifende Schritte näherten sich. Hastig wischte sie sich über die Augen, richtete sich auf und drehte sich um.

Finnegan war ihr nachgekommen und es kostete ihn riesige Mühe, diese wenigen Schritte zu gehen.

Er war ihr nachgelaufen!

»Was ...?«, fragte er, doch da flog sie ihm schon entgegen, umarmte ihn um die Mitte, hielt sich an ihm fest und stützte ihn gleichsam, als er zurücktaumelte.

»Ihr Götter!«, hauchte sie, noch immer fassungslos, und barg das Gesicht an seiner Brust. »Du bist wieder auf den Beinen!«

»Ja«, erwiderte er leise und schloss sie in die Arme.

Eine weitere Welle der Erleichterung brach über ihr zusammen und sie holte zitternd Luft, wagte aber nicht, ihn loszulassen. Aus Angst, dass sie sich das alles nur einbildete. Dass sie noch immer an seinem Bett saß, die schlaffe, kalte Hand hielt, den Geruch von Krankheit in der Nase, und dies hier nur träumte.

»Ich hab dich gehört«, flüsterte er so leise, dass sie es fast nicht gehört hätte. »Als ich schlief. Ich hab deine Stimme gehört.«

Ihr Herz machte einen Satz und schien daraufhin auf seine doppelte Größe anzuschwellen. Sie holte Luft, wollte etwas sagen, aber ihr Kopf war wie leer gefegt. Sie konnte nur in diese dunklen Augen blicken, die sie bereits so gut kannte, und die nun lächelten. Schöner, als jeder Mund lächeln könnte. Und dieses Lächeln galt ihr. Ihr allein.

Die Tür wurde erneut geöffnet und Gallad trat geräuschvoll zu ihnen nach draußen. »Auch wenn du wieder auf den Beinen bist, solltest du es nicht übertreiben.«

Zusammen halfen sie Finnegan zurück ins Haus, wo er zittrig und mit Schweiß auf der Stirn auf einen Stuhl sank.

»Du musst dich schonen«, sagte Imogen und versuchte, streng zu klingen.

Sein Grinsen zeigte ihr, dass es ihr nicht besonders gut gelang. Er griff nach Messer und Brot, doch seine Finger zitterten so stark, dass sie ihm beides abnahm und eine Scheibe für ihn abschnitt.

»Ich glaube nicht, dass du jetzt schon Wurst und Käse verträgst«, sagte sie, legte ihm aber dennoch von beidem mundgerechte Stücke hin.

»Ich könnte einen ganzen Bären verschlingen«, erwiderte er und zwinkerte ihr zu.

 

Finnegan verputzte mehr, als sie ihn jemals hatte essen sehen, und schlief danach fast sofort ein. Gallad schaffte es gerade noch, ihn nach oben zu bringen.

Am nächsten Morgen kam er allein die Treppe herunter, die glücklicherweise ein sehr stabiles Geländer besaß, an dem er sich schwer abstützte. Weitere Hilfe lehnte er ab, meinte, er müsse schleunigst auf die Beine kommen. Diese Zähigkeit, dieser Wille, sich wieder zu erheben, brachte auch bei Imogen die endgültige und erleichternde Kenntnis: Finnegan hatte es geschafft. Erstaunlicherweise spürte er von dem gebrochenen Bein, das Imogen mit ihren Kräften geheilt hatte, kaum etwas.

»Das ist bemerkenswert«, meinte sie, nachdem sie ihn darauf angesprochen hatte.

Sie saßen zusammen in seinem Zimmer und Imogen hatte nach den Wunden gesehen. Die meisten waren dank Tradils Paste gut verheilt, nur einige hartnäckige nässten noch und waren stark gerötet. Sie konnte ihm ansehen, dass es ihm unangenehm war, dass sie ihn so sah: verletzt und mit all den Narben auf dem Körper. Alte und frische. Aber Imogen kümmerte es nicht. Er war Finnegan und für sie spielte es keine Rolle, wie seine Haut aussah.

»Ich hab dir gesagt, unsere Kräfte wirken in zwei Richtungen«, erwiderte er. »So wie du mühelos Knochen brechen kannst, kannst du sie auch zusammenfügen.«

»Das ist unglaublich!«, unterbrach sie ihn aufgeregt. »Nifrim mit meinen Kräften wären die perfekten Heiler und Feldscherer. Sie könnten so viel Gutes bewirken.«

Finnegan nickte. Sie reichte ihm sein Hemd und wusch sich die Hände in der Schüssel. Unter gedämpften Schmerzenslauten schlüpfte er hinein und am liebsten hätte sie ihm geholfen, wusste aber, dass er das nicht wollte.

»Stimmt. Wenn alle Nifrim deine Kräfte hätten.«

Sie setzte sich mit fragender Miene zu ihm. »Was meinst du damit?«

»So ausgeprägt habe ich Croms Kräfte noch nie gesehen«, antwortete er. »Es gibt viele Nifrim unter den Heilern auf den Dörfern, die ihre Gabe ganz unauffällig einsetzen können. Die meisten verfügen über Amriels Macht. Sie können nicht im eigentlichen Sinne heilen, sondern helfen dem Körper bei der Heilung. Sie spüren und wissen, welche Heilkräuter am besten wirken, und was der Körper in dem Moment gerade braucht. Als würde der Körper selbst sie um Hilfe bitten und ihnen sagen, was zu tun ist. Dadurch können sie effektiver behandeln. Aber niemand kann so etwas.« Er stand auf, stellte sich auf das kürzlich noch gebrochene Bein und ging dann leicht in die Knie. »Es fühlt sich an, als hätte mir jemand dagegen getreten. Mehr nicht. Als wäre der Knochen niemals verletzt gewesen.«

»War er aber. Ich hab es gespürt.« Oder hatte sie es sich nur eingebildet? Es war eine aufregende und verstörende Nacht gewesen. Vielleicht hatte sie nur geglaubt, das Bein wäre gebrochen?

Er griff behutsam nach ihrer Hand. »Ich weiß. Du hast die Knochen zusammenwachsen lassen. Du hast etwas getan, das sonst niemand kann. Du hast deine volle Kraft umgekehrt.«

Sie runzelte die Stirn. Hatte sie das? Es war ihr nicht bewusst gewesen. Sie hatte nur den zerbrochenen Knochen gesehen und ihn zusammen gefügt. Es kam ihr richtig vor, nachdem sie selbst so viele gebrochen hatte.

»Ich hab immer gedacht, die Wut wäre dein Antrieb«, fuhr Finnegan fort. »Aber ich glaube, die Wut ist nur das Resultat aus etwas viel Größerem. Mächtigerem.«

»Und das wäre?«

»Mitgefühl. Sorge. Verletzlichkeit.«

Imogen schnaubte. »Das klingt für mich nicht wie eine größere Macht, sondern eher wie Schwächen.«

»Der Nifrim in dir ist stark. Genährt von deiner Wut. Doch diese Wut entstand aus Verletzlichkeit. Deine Mutter hat dich verstoßen und weder dein Vater noch deine Schwester standen dir bei. Niemand hat dich wirklich gesehen, dich und deine Bedürfnisse ernst genommen. Dennoch hast du dich um sie gesorgt. Hast versucht, es ihnen recht zu machen, ihnen weiteren Kummer zu ersparen. Es mag für dich wie ein Widerspruch klingen, aber für mich ist es ganz klar.« Er sah sie fest an. »Dein Mitgefühl, deine Sorge um andere sind deine eigentlichen Stärken. Damit kannst du den Nifrim nähren und lenken.«

Für ihn mochte das die Wahrheit sein, aber Imogen wusste, dass es anders war. Dieses Wesen in ihr war zornig und es ernährte sich von Wut. Sie trug so viel davon in sich. Wut, die sie sich schon so lange verbat, sich verkniff, weil es ihr so beigebracht worden war. Haltung bewahren. Immer Haltung bewahren. Es schickte sich nicht, wütend oder aufbrausend zu sein. Als Dame von Stand hatte man zurückhaltend, liebreizend und beherrscht zu sein. Der Nifrim in ihr war nichts davon. Und er war es leid, so zu tun als ob. Ebenso wie Imogen es satthatte.

»Ich hatte kein Mitgefühl mit den Männern, die ich ...« Sie stockte, wagte noch immer nicht, laut auszusprechen, was sie getan hatte. Doch dann straffte sie die Schultern und sah Finnegan mitten ins Gesicht. Sie würde sich nicht verstecken und nicht rechtfertigen. Denn die Männer hatten bekommen, was sie verdient hatten. »Es ist fürchterlich, was ich getan habe. Aber es tut mir nicht leid!«

Sie sah ihn noch einen Moment an und, als er nichts erwiderte, stand sie auf und ging.

***

Mitten in der Nacht schreckte Imogen hoch. Sie hatte schlecht geträumt, von Blut und brechenden Knochen und ihrer Familie. Namys, die hinter ihrem Rücken über sie lachte. Zusammen mit ihrem Gemahl, dem Herzog Elhorn. Sie hatte den Mann zwar noch nie gesehen, aber gewusst, dass er es war.

Müde stand sie auf, wusch sich das Gesicht und stützte sich dann schwer auf den kleinen Waschtisch.

Dieser Traum ...

Konnte sie es wirklich über sich bringen, ihre Schwester zu töten? So war sie nicht. Oder doch?

Noch niemals in ihrem ganzen Leben hatte sie jemandem etwas Schlechtes gewünscht. Nicht einmal ihrer Mutter. Imogen hatte sie häufig verflucht, sich aber nicht ein einziges Mal vorgestellt, ihr würde etwas Schreckliches widerfahren. Vielmehr hatte sie gehofft, ihre Mutter würde sich ändern, ein liebevoller Mensch werden, der sie liebte und respektierte.

Doch das war nie geschehen. Stattdessen hatte sie sie verstoßen. Ausgesetzt wie einen räudigen Köter.

Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden.

Was machten diese Nifrim-Kräfte mit ihr?

Noch immer war sie überzeugt davon, das Richtige getan zu haben, als sie Finnegan retteten. Und, weit schlimmer, sie wusste, dass sie es wieder tun würde.

Sie dachte an den Sammler zurück, diesen widerwärtigen Mann, der seine Kräfte nur auf eine Weise nutzte: Um sich von dem Leid anderer zu nähren. War er von dem Nifrim in sich verdorben worden? Oder war er schon immer so gewesen? Gewissenlos und ohne Anstand und Mitgefühl? Würde sie ebenfalls zu so jemandem werden? Jemand, der, ohne darüber nachzudenken oder es zu bereuen, über Leichen ging?

Finnegan war anders. Er tat, was nötig war, aber er hatte Mitgefühl, sorgte sich nicht nur um die Leute, die ihm nahestanden, sondern um alle, denen es schlecht ging. Er war nicht böse oder in der Seele verkommen, obwohl er so ein mächtiger Nifrim war.

Auch Imogen konnte ihre Kräfte für das Gute einsetzen. Indem sie Knochen heilte, als wären sie nie gebrochen gewesen. Würde sich dieses Wesen in ihr, der Nifrim, damit zufriedengeben? Imogen hatte gespürt, wie sehr es dem Nifrim gefallen hatte, sich zu entfalten. Sich zu erheben und dann von der Leine gelassen zu werden. Er war anstandslos zu ihr zurückgekehrt. Doch wie lange würde er dort bleiben? Und was hatte sie ihm entgegenzusetzen, wenn er beschloss, sich zu befreien?

Sie schauderte, als ihr klar wurde, dass es nicht viel war. Denn, sie mochte es sich kaum eingestehen, aber sie wollte, dass sich der Nifrim erhob. Sie wollte diese Kraft spüren. Sie nutzen. Sie entfesseln. Wollte diese Macht, die Überlegenheit. Sie wollte ...

Hastig schüttelte sie den Kopf und richtete sich auf.

Das war nicht richtig. So durfte sie nicht denken!

Finnegan hatte recht. Sie verfügte über Mitgefühl und sorgte sich um andere. Sie konnte lieben und lachen, Freude und Trauer empfinden. Sie fand Gefallen an schönen Geschichten, genoss es mittlerweile, im Wald spazieren zu gehen und den Vögeln zu lauschen. Sie war niemand, der zerstörte. Sie war nicht wie der Sammler. Oder die Königinnen, die ihre Macht missbrauchten. Und so wollte sie auch nicht werden. Niemals!

Imogen wollte sich gerade ins Bett legen, als sie einen gedämpften Aufschrei hörte. Sofort lief sie zur Tür und spähte in den dunklen Flur hinaus. Alles war ruhig. Niemand sonst schien etwas gehört zu haben.

Da war es wieder. Und es kam aus Finnegans Zimmer.

Imogen überwand den Flur und öffnete leise die Tür. Eine Kerze brannte auf dem Nachttisch und in ihrem flackernden Schein wälzte sich Finnegan unruhig in seinem Bett hin und her. Die Decken hatte er abgestrampelt, obwohl es eiskalt im Raum war, da das Feuer im Kamin nur noch vor sich hin glomm.

Voller Angst, er könne wieder Fieber bekommen haben, trat sie an ihn heran und berührte ihn sanft an der Schulter. Sein Hemd war schweißnass, doch er selbst fühlte sich nicht heiß an. »Finnegan?«

Er schlug um sich, das Gesicht in purer Mordlust verzerrt.

Hastig wich Imogen zurück. So einen Ausdruck hatte sie noch nie bei ihm gesehen. Abgrundtiefer Hass und eine Wut, die alles übertraf, was sie kannte, spiegelten sich in seinen Zügen. Als würde der Nifrim sein wahres Gesicht zeigen. Seine Augen allerdings wirkten trübe.

Mit einem Ruck kam er hoch und blieb schwer atmend sitzen.

»Finnegan?« Vorsichtig trat sie näher. »Ich bin es. Imogen.«

Langsam, als würde er gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfen, wandte er ihr das Gesicht zu. Erst allmählich wurde sein Blick klarer. Er hob die Hand und wischte sich über die Stirn. Die Hand zitterte. »Was ist passiert?«