Sklerose - Helmut Krebs - E-Book

Sklerose E-Book

Helmut Krebs

0,0

Beschreibung

Sklerose ist eine Verhärtung, die als Folgeerkrankung vielfach durch Alterung entsteht. Die deutsche Gesellschaft altert und erstarrt zunehmend. Der Heidelberger Philosoph Helmut Krebs erhellt in seiner Analyse die Hintergründe. Die Leitbilder und Ideologien der Mitte, zu der nahezu jeder in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gehören möchte, lassen sich als Konservatismus der Besitzstandswahrer kennzeichnen. Es ist ein Wohlfühlstaat entstanden, der die Mitte absichert und vor Veränderungen schützt. Helmut Krebs zeichnet in seiner Analyse des Zeitgeistes die tieferliegenden, prägenden Leitbilder nach und kontrastiert sie mit einer liberalen Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 306

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

V

ORWORT

E

INLEITUNG

1. Die alternde Gesellschaft

Der Staat des Guten oder das umgekehrte Mephistoprinzip

Zahlenvergleiche

Beispiel Japan

Kapitalneubildung

A. D

ER ÖKONOMISCHE

A

SPEKT ODER DIE SATURIERTE

W

OHLSTANDSINSEL

2. Grundlagen

Die Verbraucherherrschaft

Die Verbilligung der Grundversorgung

Der allgemeine Wohlstand als Spielraum sozialer Formung

3. Die Besonderheiten der hochentwickelten Marktwirtschaft

Die Dominanz der Mittelschichten auf dem Verbrauchermarkt

Sekundäre ökonomische und außer-ökonomische Kaufmotive

4. Das interventionistische Wirtschaftssystem

Die heutigen Tendenzen des Interventionismus

Die Sicherheitsbedürfnisse der Platzhirsche

Zugangshemmnisse als Protektion des Alten gegen das Neue

Umverteilung

Bedingungsloses Grundeinkommen und Altersrente

Subventionen allgemein

Verbrauchersubventionen

Preisregulierung

Exkurs: Preise und ihre Funktion

Produzentensubvention

Die Bilanz der Umverteilungen

Die politische Funktion der Umverteilung

B: D

ER SOZIOLOGISCHE

W

ANDEL UND DIE FÜHRENDE

R

OLLE DER AKADEMISCHEN

M

ITTELSCHICHTEN

5. Die Tendenzen der alternden Gesellschaft

Einige Folgen der Feminisierung

6. Der Verbraucherschutz

Die Ambivalenz des Verbraucherschutzes

Die neue Klasse der Ökologisten

Die Interessen der Ökologisten

Der Ökologismus als Trittbrettfahrer des Umweltschutzes

7. Die gewachsenen Sicherheitsbedürfnisse

C. D

ER

Z

EITGEIST

8. Die herrschenden Ideen

Das Problem der herrschenden Klasse

Der extreme Egalitarismus

Politischer Elitarismus

9. Der gealterte Sozialismus

Der Sonderfall der „Gleicher-Berechtigung“ der Frau

10. Kritik des Egalitarismus

11. Elitaristische Ideen und Strömungen

Elitarismus ist die Perversion der Ungleichheit

Ihr sollt vollkommen sein!

12. Die romantischen Wurzeln des Elitarismus

Pädagogik

Die Lebensreformbewegung

Rückwärtsgerichtete Gesellschaftsbilder und Programme

Der Ökologismus der Nationalsozialisten

13. Die Rekonstruktion elitärer Ideologien im Gewand des Anti-Elitarismus

Die beiden grundlegenden Mythen im Nachkriegsdeutschland

Der deutsche Konsens der Gegenwart

Der Ökologismus als neoelitäres Programm

Der Gott Natur und seine Priester

Der Ökologismus und die moralischen Werte

Irrationalismus oder Der unverwüstliche Rudolf Steiner

Irrtümer der Nullwachstumsideologie

Regionalismus und geschlossene Kreisläufe

Die Nachhaltigkeitsideologie: Die Evolution ist nicht zyklisch

Das Vorsorgeprinzip

Politisierung der Wissenschaft

Der neue Anti-Säkularismus

Kritik des Neo-Elitarismus

D: D

IE ALTERNDE

G

ESELLSCHAFT UND DIE

F

REIHEITSBEWEGUNG

14. Der Kapitalismus ist das soziale und ökologische Erfolgsmodell schlechthin

Die Chancen des Liberalismus

A

NHANG

Systemische Betrachtungen

Zwei Deutungen politischer Macht

Marx

Hume

Erklärungskraft der beiden Modelle

B

EIGABEN

Freiheit und Sicherheit als konkurrierende Bedürfnisse

Das Handeln und das Bedürfnis

Die beiden Bedürfnisklassen

Freiheit

Sicherheit

Gegenüberstellung der beiden Handlungstypen

Die Verführbarkeit des Sicherheitsbedürfnisses

Die Sicherheitsindustrie und der Wohlfahrtsstaat

Das Argument für die Freiheit

Der Unterschied zwischen der Rechten und der Linken und warum ich weder das eine noch das andere bin

Egalitarismus und Elitarismus (Kulturalismus und Biologismus)

Extremer Egalitarismus

Extremer Anti-Egalitarismus

Zwischenergebnis

Der klassische Liberalismus im politischen Spektrum

Die Themen der amerikanischen Rechten und der deutsche Liberalismus

Weder rechts noch links – freiheitlich

Konservatismus und Freiheit

N

ACHWORT

VORWORT

Die Mitte ist das Maß aller Dinge. Politisch positionieren sich alle namhaften Parteien in und um die Mitte. In Umfragen tendieren die Menschen selbst zur Mitte. Wirtschaftlich prägen Mittelschicht und Mittelstand Deutschland. Kulturell mangelt es daher genauso an Eliten und Querdenkern wie in der Politik. In der Mitte haben es sich die Deutschen bequem eingerichtet. Und es geht uns gut. Nur ein wenig oberhalb und unterhalb, links und rechts von der Mitte beginnt bereits die Zone des Unbehagens.

Mit gewissen Abweichungen lässt sich dieser Befund auf erhebliche Teile des Westens übertragen. Die Mitte hat sich durchgesetzt. Die Mitte prägt unser Leben. Der Mitte-Mensch gibt sich aufgeschlossen, wenn nicht mondän, so doch progressiv, fortschrittlich.

Allerdings trügt das Selbstbild. Helmut Krebs zeigt in seinem Essay auf, welches Geistes Kind die Menschen der Mitte sind – der Konservatismus der Besitzstandwahrer dominiert Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zugleich ist ein zielloser Interventionismus zum Markenzeichen der Mitte geworden. Ziellos, weil es kein geordnetes Ganzes oder eine ideologische Leitidee gibt, dem die Eingriffe dienen. Von Sonderinteressen geleitete Eingriffe in das Leben von Menschen, pragmatisch, technokratisch und flexibel bis zur Labilität kennzeichnen das Agieren der Sozialingenieure. Ein neuer Sozialismus ist nicht das Ziel, das wäre zu weit von der Mitte entfernt, genauso wie eine freie Marktwirtschaft, die als zu radikal gefürchtet wird. Also muss einmal mehr ein dritter Weg her.

Das Leitbild der Mittelschichten ist zwar diffus. Helmut Krebs verleiht ihm aber klare Konturen und prägt den Begriff „Wohlfühlstaat“. Das passt zum Sicherheitsstreben der Menschen in einer alternden Gesellschaft. Der Philosoph aus Heidelberg schreibt: „In dem Maße wie die Mittelschichten ihren Einfluss auf die Politik durchsetzen, wandelt sich das heutige Leitbild des Staates zu einem komplexeren Wohlfühlstaat“ und fährt fort: „Das alte Leitbild der merkantilistischen Ära, der Polizeistaat, steht wieder auf im Gewand eines Staates des absoluten Guten. Instrument und Folge dieser Idee ist die ausufernde Bürokratie.“

Der erwünschte Interventionismus besteht zu einem wesentlichen Teil aus einer großen Umverteilungsmaschine. Keineswegs handelt es sich indes nur um ein materielles Unterfangen. Vielmehr ist der Staat zum Adressat ethischer Ansprüche an die Gesellschaft avanciert. Es bleibt naturgemäß nicht bei einzelnen Forderungen der Mittelschicht. Tatsächlich gestalten die politischen Parteien die Gesellschaft nach dem Leitbild der wählenden Mitte. Ein Bündnis ist entstanden, nicht einmal das – die tonangebende Politik und die Mittelschicht sind einfach deckungsgleich. Die Große Koalition symbolisiert das unübersehbar.

Geistig, aber auch materiell hemmt der Interventionismus die Entwicklung, verlangsamt er die Geschwindigkeit, mit der Wohlstand und Wohlfahrt für alle greifbar werden. Je freier eine Marktwirtschaft, desto besser geht es den relativ Ärmsten. Diese Erkenntnis ist keine Parole, sondern empirisch gesättigte Erkenntnis. Der Interventionismus hingegen lähmt das Unternehmertum, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte erstarren allmählich. All das geschieht im Namen des Guten. Ziel der Subventionen ist kein Sozialismus, keine autoritäre Herrschaft, sondern eine Subventionierung aller Parteien. Angewandt auf den Fall des berühmten Milchpreisbeispiels von Ludwig von Mises sind es die Konsumenten und die Produzenten, die zugleich unterstützt werden sollen. In Zeiten nie dagewesenen Wohlstands schient jeder hilfsbedürftig geworden zu sein. Die unweigerliche Folge ist ein allgegenwärtiger Staatseinfluss, eine permanente Präsenz des Politischen, ein latenter Primat der Politik in allen Lebensbereichen. Die Omnipräsenz der Bürokratie prägt unausweichlich unser Leben, und sie versperrt uns viele Wege in die Zukunft. Für eine alternde Gesellschaft scheint das unproblematisch zu sein, tatsächlich gilt das allenfalls für die Mittelschicht hier und heute. Gleichwohl, so ließe sich hinzufügen, sind die Masse unserer Probleme erst politisch geschaffen worden.

Das diffuse Leitbild zeigt sich auch in einem verbreiteten Mangel ökonomischer Kenntnisse. So wird der Ökologismus von Menschen getragen, die von Staat abhängig sind und allenfalls wenig und kaum Substanzielles über Wirtschaft wissen: „Sie sind vom Zeitgeist fehlgeleitete Absolventen der Massenuniversität, mit geringen Beschäftigungsaussichten“, urteilt Helmut Krebs nicht zuletzt gestützt auf persönliche Erfahrung.

Abhilfe bietet der Heidelberger Philosoph mit seiner prägnanten Darlegung der sozioökonomischen Lage in der alternden Mittelstandsgesellschaft. Gestützt auf die Klarheit und Genialität von Ludwig von Mises wird die Errungenschaft der Markt- als Verbraucherwirtschaft – als Herrschaft der Verbraucher – dargelegt und mit dem Wirtschaftssystem des Interventionismus kontrastiert.

Ebenso aufschlussreich dürften die Ausführungen über den sozialen Wandel sein, der durch Alterung, Feminisierung und Akademisierung geprägt ist und in Ideologien wie Ökologismus, Egalitarismus und dem modernen Wahn des Gender Mainstreaming zum Ausdruck kommt. Wer darüber hinaus den geistigen Wurzeln von Mittelschichtmoden nachspüren möchte, darunter Veganismus und Yoga, der findet sie im zweiten großen Teil des Essays zur Ideologie. Das Stichwort lautet Elitarismus.

Für mich trifft Helmut Krebs den Geist der Zeit. Das gilt über die Analyse des Zeitgeistes mit seinen Wurzeln Romantik, Egalitarismus und Elitarismus hinaus. Der Preisaufschlag bei sogenannten ethischen Produkten entspreche dem Opfer, das der Kirchgänger in den Klingelbeutel werfe: „Befriedigt werden Bedürfnisse der Selbstdarstellung und Einordnung in die Bezugsgruppe. Doch ein Opfer ist es eher nicht.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Nur naive Menschen können annehmen, dass solche ethischen Käufe eine merkliche Wirkung auf die Verhältnisse in der Welt irgendwo haben. Doch hier zählt nicht die reale Wirkung, sondern die Geste. Man nennt es ethischen Konsum, doch er ist eher Ich-Produktion als der Verzehr einer Sache. Er dient der Stabilisierung des Egos sowie der Abgrenzung gegen andere Gruppen.“

Der nachfolgende Essay bietet für Menschen der Mitte wertvolle, zugleich enervierende Aufklärung und birgt zudem für alle prinzipientreue Freunde einer freien Gesellschaft eine Botschaft: Wir leben in einer Welt, die nach den Wünschen der Bürger gestaltet wurde, wohl gemerkt nach den Wünschen der Masse in der Mitte. Angela Merkel personifiziert die Identität von Staat und Bürger. Allerdings stellt die massenhafte Einwanderung den Wohlfühlstaat vor die absehbar größte Herausforderung. Die Mitte wird schon bald einer großen Unterschicht gegenüberstehen. Dann stehen Wohlfühlen und die damit verbundenen Ideologien zur Disposition. Ein neuer Realismus wird Raum greifen. Und die Herrschaftsfrage wird sich in den Vordergrund drängen.

Auf alle Herausforderungen hat der Liberalismus eine schlagende Antwort. Der wahre Liberalismus ist unparteiisch und für jeden Menschen da. Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlfahrt für alle gehören zu den positiven Konstituanten, die Ablehnung von Macht, Bevormundung und Gleichmacherei zu den negativen, d.h. abwehrenden Leitideen. Da der Liberalismus einst eine Strömung für die Massen war und in seinem Kern unparteiisch geblieben ist, sind wahre Liberale gut für die Zukunft vorbereitet. Diese frohe Botschaft lässt sich dem Essay auch entnehmen. Lassen Sie sich vom Querdenken inspirieren!

Berlin, im November 2015

Michael von Prollius

Einleitung

„Heutzutage sind die bekanntesten Chimären die der Stabilität und Sicherheit.“1

„Unter Sklerose versteht man eine Verhärtung von Organen oder Gewebe durch eine Vermehrung des Bindegewebes. Die Sklerose ist also keine eigenständige Krankheit, sondern Folge einer anderen Grunderkrankung. … Die befallenen Organe werden hart und verlieren ihre Elastizität.“ (Wikipedia)

Marx und Engels zeichneten vom Kapitalismus das Bild einer revolutionären Gesellschaft. Die dramatische Schilderung der Veränderungen und die geradezu eschatologisch-futuristische Dämonisierung des Kapitalismus als Moloch, der alle menschlichen Werte zerstört und „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose,bare Zahlung‘“2, ist Ausdruck der Furcht, die die Angehörigen der alten Klassen hegen. Es ist zugleich eine grotesk verkehrte Schilderung, die nur in einem Punkt zutrifft, nämlich in der Feststellung, dass der Kapitalismus revolutionär3 ist. Die permanente Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, sowohl der Arbeits- als auch der Lebenswelt, als Folge der Steigerung der Arbeitsproduktivität ist nicht zu Ende. Es ist ein nie endender Prozess, vorausgesetzt, die Grundlagen werden nicht zerstört: der Frieden, die freie Marktwirtschaft und der Rechtsstaat.

Auf dem Weg des Fortschritts verstärken sich die Bedürfnisse nach Erfüllung jener menschlichen Werte, deren Vernichtung die bürgerliche Revolution nach Marx und Engels angeblich besiegelt hat. Eine freie, kapitalistische Gesellschaft fördert gerade den zivilisatorischen Humanisierungsprozess und stellt ihn auf eine solide „materielle“ Grundlage, d.h. sie befreit den Menschen aus der Notwendigkeit der Plackerei und Schufterei fürs nackte Überleben.

In meinen Augen ist die Hauptgefahr des Interventionismus, d. h. des Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik betreibenden Staates, dessen Mechanismen in diesem Essay analysiert werden sollen, nicht ein Rückfall in die Barbarei einer totalitären Gesellschaft in der Art der Nazidiktatur oder eines SED-Staates. Diese Befürchtung der liberalen Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich A. von Hayek4 waren begründet wegen der dominierende sozialistischen Ideologie, die die öffentliche Meinung aller Industriestaaten beherrschte, bis sie nach 1945 und insbesondere in den Jahren vor 1989 ihre hegemoniale Stellung verlor.

Es droht uns auch kein Rückfall in einen rohen Naturzustand des Bürgerkrieges wie 1919 oder in den arabischen Ländern heute. Diese Tendenz ist charakteristisch für junge Gesellschaften, in denen die Sterblichkeitsrate unter der Geburtenrate liegt und die expansive Bevölkerung über die wirtschaftliche Entwicklung hinausschießt. Eine große Zahl überwiegend männlicher Jugendlicher formiert sich zu kriegerischen Verbänden, während die Staatsführungen an Einfluss verlieren, gar scheitern und verfallen.5 Der Krieg wird zur Erwerbsquelle, wie dies in Deutschland im Dreißigjährigen Krieg für Wallensteins Soldaten der Fall war.

Wir leben in einer Zeit des Interventionismus. Doch wird er von den Akteuren der Politik nicht mehr wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Instrument zur letztendlichen Herbeiführung des Sozialismus eingesetzt. Die Leitidee ist nun ein mittlerer Weg zwischen Sozialismus und einem negativen Bild von Kapitalismus, das noch immer stark durch die Deutung des Kommunistischen Manifests geprägt ist. Kapitalismus wird von seinen Gegnern als eine Gesellschaft gesehen, in der Arbeiter ausgebeutet werden, Reichtum unverdient ist, die sogenannte Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter öffnet, die Lebensbedingungen sich immer weiter verschlechtert, wenn den schwachen Arbeitern nicht mit der Macht des Staates und der Gewerkschaften geholfen wird. Kapitalismus ist in diesem Zerrbild schuld an Arbeitslosigkeit, Wirtschafts- und Finanzkrisen, zunehmende Umweltzerstörung, Erschöpfung der Rohstoffe, Hunger und Armut usw. Nichts von alledem ist richtig.

Das Leitbild der interventionistischen Politik unserer Tage ist merkwürdig verschwommen und namenlos. Es ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als der Sozialismus vorherrschte. Man gab dieses Ziel auf, aber nicht die Politik, die dahin führen sollte. Wohin führt sie dann? Es ist eine Kernthese dieses Essays, dass die heutige Form des Interventionismus ziellos agiert. Sie tendiert aus ihrer immanenten Logik zu einer Hemmung der wirtschaftlichen Kräfte, zur Lähmung des Unternehmergeistes. Sie verlangsamt das Tempo der Entwicklung, sie zielt auf die Bewahrung des bestehenden und lässt die Verhältnisse kaum merklich erstarren. Es handelt sich nicht um ein bewusst gewähltes Ziel. Im Gegenteil: Allerorten werden Reformen diskutiert und „auf den Weg gebracht“. Man hört von Umgestaltung, Verbesserung, Wende. Es wird reguliert, verbessert und nachgebessert. Die Unüberschaubarkeit des Steuerrechts ist legendär. Allein die von der EU-Bürokratie geschaffenen Gesetzessammlungen nehmen auf Dünndruckpapier einen Umfang von zwei laufenden Metern ein. Die Akteure möchten alles besser gestalten. Sie glauben, dass ihre Ziele für alle gut und ihre Maßnahmen nützlich sind. Die Reformer halten sich für fortschrittlich, sind aber faktisch konservativ. Sie ersetzen freies Handeln durch Vorschriften und drosseln die wirtschaftliche Dynamik. Niemand strebt bewusst nach Erstarrung. Sie ist aber ein unvermeidliches Resultat einer interventionistischen Politik, dessen hervorstechendstes und „nachhaltigstes“ Ergebnis die Bürokratie ist.6

Konservativ nenne ich Ideologien, die die Sklerotisierung der Gesellschaft befördern. Als die beiden Hauptströme des Konservatismus mache ich die Spielarten sozialistischer und ökologistischer Denkrichtungen mit ihren Leitideen der „sozialen Gerechtigkeit“ und der „Nachhaltigkeit“ aus. Die Reformer wähnen sich fortschrittlich; sie betreiben tatsächlich einen Konservatismus der Besitzstandswahrer.

Um die wirkungsmächtigen Ideologien geht es mir in diesem Buch, auch um die ökonomischen und sozialen Hintergründe, auf dem sie wirken. Ich berühre viele politische Streitfragen, doch der Leser darf keine programmatischen Vorschläge erwarten. Dies würde den Rahmen weit übersteigen und muss anderen Publikationen vorbehalten bleiben.7

1. Die alternde Gesellschaft

„Die Großregulatoren in Berlin und Brüssel maßen sich einen Erziehungsauftrag an, statt schlicht die Freiheit des Einzelnen zu schützen. Jedes Problem wird mit einer Richtlinie erschlagen. Es gibt Vorstände, die sitzen morgens mit ihren Rechtsberatern zusammen und nachmittags mit ihren Versicherungsleuten. Ein soziales System, das nicht 10 Prozent an krimineller Energie toleriert, wird mit mechanischer Konsequenz totalitär. Denn das oktroyierte Perfektionsideal hört nie auf, Sicherheitslücken zu finden. Irgendwann haben sie alles verboten, was nicht explizit erlaubt ist.“8

Der Staat des Guten oder das umgekehrte Mephistoprinzip

Wir sind gewohnt, in Maßnahmen des Staates interessengeleitete Übervorteilungen der Mehrheit durch privilegierte und mächtige Minderheiten zu sehen. Diese Deutung ist tief in unserem Denken verwurzelt und sie mag zutreffend sein, wenn die politischen Akteure von einem sozialistischen Sendungsbewusstsein geleitet werden, wenn sie Exponenten einer Oligarchie sind oder Militärdiktatoren. Sie erscheinen vielen auch für die Beschreibung der heutigen Politik treffend, weil Gruppeninteressen Anlass und Ziel politischen Handelns sind. Die Hintergründe der Politik sind jedoch keine Verschwörungen oder Geheimpläne. Die Ähnlichkeit ist also nur oberflächlich.

Meiner Ansicht nach ist eine andere Deutung des heutigen Gesellschaftssystems und seiner Machtmechanismen zutreffender als der Verdacht auf Klassenkampf und Klassenherrschaft, dem Gemeinplatz des marxistischen Denkens. Gewiss, nach wie vor sind Menschen überwiegend von eigennützigen Zielen geleitet. Aber zu glauben, dass die mächtigen Eliten eine finstere Verschwörerbande sei, die ihre wahren Ziele versteckt, verzerrt die Tatsachen aus einer Froschperspektive. Unsere Gesellschaft ist nicht in undurchdringliche Klassenschranken unterteilt, sie ist offen und durchlässig. Die Zugänge zu Machtpositionen sind keiner besonderen Kaste vorbehalten. Jeder kann mit Tüchtigkeit und Glück aufsteigen, während andere fortwährend absteigen. Die Absichten der Akteure decken sich mehr oder weniger mit dem, was sie sagen. Es gibt keine Geheimgesetze und keinen geheimen Plan. Der Staat befindet sich nicht in den Händen einer allmächtigen kleinen Gruppe, einem Politbüro oder einem Diktator. Die gesetzlichen Entscheidungen werden öffentlich gefällt, sind verbindlich und werden im Großen und Ganzen auch beachtet. Die Regierung wird durch das Parlament kontrolliert. Entscheidungsmacht wird durch allgemeine, freie, geheime und gleiche Wahlen erteilt. Die Politik ist mehr denn je von der Mehrheitsmeinung des Volkes abhängig. Sie wird unablässig mit demoskopischen Methoden erforscht und berücksichtigt.

Wir dürfen annehmen, dass die Akteure der Macht im Selbstverständnis handeln, gerechte und moralisch gute Lösungen zu finden. Ihr Ziel ist es, das freie Spiel der ungebundenen Kräfte, das negativ bewertet wird, durch eine vermeintlich harmonische Ordnung zu ersetzen. In der Regel sind die Beschlüsse auch sinnvoll und durchdacht, jedenfalls im Rahmen der Systemlogik. Wir haben es bei der Bürokratie in den hochentwickelten Ländern mit überdurchschnittlich fähigen Fachleuten zu tun. Nur haben ihre Maßnahmen eine Nebenwirkung: Sie erdrosseln das Spiel.9 Mephisto nannte sich den Geist, der stets das Böse will und stets das Gute schafft. Hier ist es umgekehrt.

Ludwig von Mises wies auf ein historisch bedeutsames Beispiel für eine solche Erstarrung hin, auf China ab dem 13. Jahrhundert.10 Zum Übergang einer einstmals dynamischen Hochkultur, die tausend Jahre an der Weltspitze stand, nach Jahren der Aufstände zu einer viele Jahrhunderte währenden Stagnation trugen Lehren bei, die die Werte der Gleichheit, der Harmonie und des Gleichgewichts betonten, wie z. B. Feng Shui, das heute in den Kreisen unserer akademischen Mittelschichten zunehmend beliebter wird. In ihren Werten mischen sich Dünkel und Erschlaffung eines Konservatismus der Saturiertheit. In die Vorstellung der Überlegenheit mischt sich die Furcht vor dem Verlust des Lebensstandards und des gesellschaftlichen Status zu einem Motiv des Bewahrens. Nichts anderes ist der Wesenskern des Ökologismus, der Lehre von der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Sklerose Chinas vollzog sich in den Jahrhunderten des Aufstiegs Englands zur reichsten Nation unter ähnlich ungünstigen klimatischen Bedingungen einer kleinen Eiszeit.11

Zahlenvergleiche

Dies ist keine wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung. Aber einige wenige Zahlen helfen, das Ausmaß der Probleme zu verstehen. Die folgende Grafik zeigt das reale prozentuale Wirtschaftswachstum (pro Jahr) in Deutschland.12

Der Trend setzt sich bis heute fort. Der Zuwachs des Bruttoinnlandsprodukts sank in den letzten 10 Jahren im langfristigen Durchschnitt von 2 % auf 0 %.13 Die anderen europäischen Länder stagnieren in vergleichbarer Weise. Der Motor des wirtschaftlichen Fortschritts ist längst nicht mehr das „alte“ Europa. Es wanderte Mitte des 20. Jahrhunderts von England nach Amerika und von dort nach Asien. Die folgende Grafik zeigt den Vergleich mit Indien. Reale Zuwachsraten des BIP von 1951 bis 2008.14

Die Stadt ist das Zentrum der wirtschaftlichen Entwicklung. Wo Städte entstehen und größer werden, ist der Puls der Zeit. Die größte Stadt Europas ist Istanbul (13 Milionen Einwohner, mehrheitlich im asiatischen Teil). Zweiundzwanzig Metropolen sind größer. Sie liegen in Japan, Indonesien, Indien, auf den Philippinen, in Südkorea, in China, Pakistan, den USA, Brasilien, Mexiko, Russland, Bangladesh, Ägypten, Thailand und Argentinien. Paris (10 Millionen) ist die größte rein europäische Stadt (Platz 28). Lagos, Shenzin, Rio de Janeiro, Kinshasa und Tianjin sind die nächst größeren.

Ein Vergleich der Wirtschaftsleistung ausgewählter Länder im Zeitraum von zwei Jahrzehnten zeigt die starken Unterschiede in der Dynamik:15

LandBruttoinlandsprodukt (Mrd. $)in %Ø p.a. in %Durchschnittsalter 20101619922013Japan3.5104.902139,61,6044,7Deutschland1.8503.635196,53,2744,3USA5.91016.800284,35,1037,1Australien3001.561520,38,1736,8Indien2701.877695,29,6725,5

Europa gehört auch demografisch zu den alten Gesellschaften. Ein Vergleich der Bevölkerungsanteile von Alterskohorten im Jahre 200517 zeigt dies:

Prozentuale Verteilung der AltersgruppenGebiet0—1415—59> 60> 80Welt28,361,410,31,3Entwickelte Länder17,062,920,13,7Weniger entwickelte Länder30,961,08,10,8Europa15,963,520,63,5Nordamerika20,562,716,73,5Asien28,062,79,21,0

Der Vergleich der entwickelten mit den weniger entwickelten Länder zeigt, dass etwas mehr als 60 % die Last der übrigen tragen. Aber in den entwickelten sind dies überwiegend alte, in den unterentwickelten überwiegend junge Menschen.

Die Zahl junger Menschen ist von Gewicht. Arbeit ist der knappste Wirtschaftsfaktor schlechthin. Alle stofflichen Faktoren können gekauft oder durch andere ersetzt werden. Das Angebot an Arbeitern18 kalibriert und limitiert die Produktion in einem Wirtschaftsgebiet. Ist Arbeit knapp, verteuert sie sich und die Produktion kann nur durch technische Verbesserungen gesteigert werden. Wird sie reichlich angeboten, ist sie billig und die Produktion kann expandieren.19 Die Industrialisierung Englands am Ende des 18. Jahrhundert und später konnte auf das hungernde, in die Städte flüchtende Landproletariat zurückgreifen. In den hochentwickelten Ländern schrumpft das Angebot an Arbeitern aufgrund der sinkenden Geburtenraten (gleichzeitig herrscht wegen nicht marktgerechter Tariflöhne chronische Arbeitslosigkeit). Auch dies ist einer der hemmenden Faktoren, auf die wir im Lauf unserer Untersuchung eingehen werden.

Beispiel Japan

Die Wirtschaftsentwicklung Japans entwickelte sich nach 1945 dynamischer als die der USA. Sie holten einen enormen Rückstand in wenigen Jahrzehnten weitgehend auf. Die Grafik zeigt einen Vergleich des Bruttoinlandsprodukts im Zeitverlauf.20

Figure 1.3 GDP per capita, japan and the United States, 1886-2005 (1990 dollars).

Doch etwa ab 1990 kam die Dynamik zu erliegen und hat sich bis heute nicht mehr erholt. Der Abstand zu den USA vergrößert sich daher wieder. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpft seither, begleitet von einem Sinken der Konsumgüterpreise.21 Als einer von mehreren Faktoren wird die negative Bevölkerungsentwicklung genannt. Japan altert. Seit 2006 schrumpft die Gesamtzahl, das Durchschnittsalter steigt22 und der Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung nimmt ab. Selbstverständlich ist die Bevölkerungsentwicklung nur ein, wenn auch gewichtiger Faktor für eine alternde Gesellschaft.

Kapitalneubildung

Der zweite entscheidende Faktor ist die Kapitalneubildung. Ludwig von Mises verglich China mit England, um der Frage nachzugehen, welche Bedingungen Dynamik und welche Stagnation befördern:

„China versuchte das Prinzip der Einkommensgleichheit in viel größerem Maße als England zu verwirklichen. Bodenbesitz wurde geteilt und unterteilt. Es gab keine Klasse von landlosen Proletariern. Aber im achtzehnten Jahrhundert war diese Klasse in England sehr zahlreich. Für eine sehr lange Zeit verzögerten die restriktiven Praktiken der nichtagrarischen Wirtschaft, gestützt durch traditionelle Ideologien, das Aufkommen des modernen Unternehmertums. Als aber die Laissez-faire-Ideologie den Weg für den Kapitalismus geöffnet hatte, indem sie die Fehlschlüsse des Restriktionismus völlig widerlegte, konnte die Entwicklung des Kapitalismus voranschreiten und ihr Schritttempo beschleunigen, weil die benötigte Arbeitskraft bereits bereit stand.“23

Es waren die Ideen der Gleichheit der Lebensbedingungen als Verwirklichung der Gerechtigkeit, die private Kapitalbildung in China und auch in den orientalischen Ländern in den vergangenen Jahrhunderten verhinderte.24 Dynamik mag einem Betrachter auf den ersten Blick als chaotisch und hart erscheinen, und das ist sie im Einzelfall auch. Der Markt erfordert immer wieder Veränderungen der beruflichen Tätigkeit, Umzüge, Geschäftsaufgaben und die Mühe des Neuanfangs. Wirtschaftliche Dynamik hebt aber mit der Zeit das Niveau aller und erweist sich in geschichtlicher Sichtweise als segensreich. Stabilität und Ordnung mögen dem Betrachter als humaner und zivilisierter erscheinen, und das sind sie auf den ersten Blick auch für manche. Aber sie lähmen die Wirtschaft, senken das Niveau und verschlechtern die Lebensbedingungen vor allem der mittleren und unteren Schichten, d.h. der Bevölkerungsmehrheit. In geschichtlicher Betrachtung sind sie unmenschlicher und unzivilisierter, denn der Mensch strebt unabänderlich nach der Überwindung seines Unbefriedigtseins.

Wir können ein erstes Resümee ziehen. Dynamik einer Wirtschaft besteht in einer hohen Zuwachsrate der Produktion. Diese basiert auf einem tatkräftigen Unternehmertum, das Gewinne erwirtschaften kann, sowie einer expansiven, möglichst jungen Bevölkerung, die sparsam lebt und dadurch zur Kapitalneubildung beiträgt. Stagnation der Wirtschaft besteht in einer geringen oder sogar negativen Zuwachsrate der Produktion. Diese basiert auf einem geschwächten Unternehmertum, dessen Gewinne von Staat und Gewerkschaften abgeschöpft werden, einer geringen Sparneigung und einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft.

Das Entscheidende für die Richtung und das Tempo gesellschaftlicher Entwicklungen sind die herrschenden Ideen. Sie bewegen die Menschen. Ideen sind die wahren geschichtsmächtigen Kräfte. Sie liegen den Handlungszielen zugrunde. Es gibt keine ökonomischen oder demografischen Gesetze, die sich nicht auf den Willen der handelnden Menschen zurückführen lassen. Aber der Wille des Menschen ist beeinflusst von den Ideen der Zeit. Der dritte Teil des Buches wird sich daher ausführlich mit den ideologischen Fragen befassen. Doch vorab wenden wir uns den ökonomischen und soziologischen Tatbeständen zu.

1 Ludwig von Mises: Human Action. A Treatise on Economics, Auburn, 1998, S. 71. (Dieses und die folgenden Zitate wurden vom Autor übersetzt.)

2 Marx/Engels: Das Kommunistisches Manifest, Kapitel 3.

3 Selbst dieses Zugeständnis ist problematisch. Marx versteht unter Revolution eine Umkehrung von Oben und Unten in der Herrschaftsstruktur. In Wirklichkeit sind die ständigen Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nur graduell und mehr oder weniger ausgeprägt im Rahmen eines evolutorischen Prozesses. In einer freien kapitalistischen Gesellschaft gibt es keinerlei Klassenherrschaft und ist daher auch nichts umzukehren. So lange eine demokratische Verfassung die friedliche Abwahl der Regierung ermöglicht, werden gewaltsame Revolutionen, d. h. Bürgerkriege, vermieden.

4 Vgl. Ludwig von Mises: „Middle-of-the-Road Policy Leads to Socialism“, in: dslb.: Planning for Freedom and Twelve other Essays and Addresses, South Holland, Ill., 1974, S. 18–35; Friedrich A. von Hayek: Der Weg zur Knechtschaft, München, 2011.

5 Gunnar Heinssohn veröffentlichte Studien zur Kriegsdemographie, vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Gunnar_Heinsohn (02.10.2015).

6 Begleiterscheinungen sind Inflation, Schwächung der Sozialsysteme und Staatsverschuldung.

7 Siehe: Krebs/v. Prollius: Zur Struktur staatlicher Aufgaben und ihrer Legitimität aus liberaler Sicht, Forum Freie Gesellschaft, 2015.

8 Reihard K. Sprenger in einem Interview in Cicero, 07.10.2015.http://www.sprenger.com/index.php/newsreader/items/interview-zu-das-anstaendige-unternehmen.html.

9 Vgl. Michael von Prollius: Die Dunkle Bedrohung: Verstaatlichung durch schleichende Bürokratisierung, online: Forum Freie Gesellschaft, 2015.

10 Mises: Human Action, a.a.O., S. 836 ff.; vgl. Markus Taube zur chinesischen Geschichte: http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/wirtschaft_artikel,-China-Tausend-Jahre-Ueberlegenheit-500-Jahre-Stagnation-und-ein-sensationelles-Comeback-_arid,296034.html (02.10.2015).

11 Kenneth J. Hsü: Klima macht Geschichte. Menschheitsgeschichte als Abbild der Klimaentwicklung, Zürich, 2000, S. 13–37.

12http://www.wiwiwiki.net/index.php? title=Datei:Wirtschaftswachstum_BIP_preisbedingt.jpg.

13 Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_Deutschlands (15.10.2015).

14https://rbi.org.in/Scripts/PublicationsView.aspx?id=13980. In den Jahren 1998 und 2008 schwankten die Raten im Bereich von 4,1 % und 9,8 %.

15http://www.crp-infotec.de/03welt/vergleichglobal/grafs/top15_bip_nominal.gif (02.10.2015).

16 Angaben nach statista, 2015.

17http://www.un.org/esa/population/publications/wpp2006/English.pdf (02.10.2015).

18 Unter Arbeiter sind alle in Produktions- und Handelsbetrieben tätigen Erwerbstätigen gemeint, also auch alle Angestellten, Manager, die mitarbeitenden Eigentümer.

19 „Die Preise bestimmen, welche Produktionsfaktoren verwendet und welche ungenutzt bleiben sollen. Die spezifischen Produktionsfaktoren werden nur verwendet, wenn für die nichtspezifischen Komplementärfaktoren keine wertvollere Verwendung verfügbar ist. Es gibt technische Verfahrensbeschreibungen, Land und nicht austauschbare Kapitalgüter, deren Produktionskapazität ungenutzt bleibt, weil ihre Verwendung eine Vergeudung des knappsten aller Faktoren ist, der Arbeit. Während unter den Bedingungen der heutigen Welt langfristig keine Nichtverwendung von Arbeit in einer freien Marktwirtschaft bestehen kann, sind die ungenutzte Kapazität von Land und von nicht austauschbaren Industrieanlagen ein regelmäßiges Phänomen.“ Ludwig von Mises: Human Action, Kap. 16.14.

20http://www.asiastudies.de/wp-content/uploads/2012/10/japanwirtschaft.pdf (02.10.2015).

21https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaft_Japans (02.10.2015).

22 1950 betrug es 22,3 Jahre, 2015 betrug es 46, 5 Jahre (statista 2015).

23 Ebd., Kap. 35.3.

24 „Aber China und die mohammedanischen Länder waren abgesehen von der Versklavung einer vergleichsweise kleinen Zahl von Menschen frei von der Starrheit der Kasten. Sie wurden von Autokraten beherrscht. Aber die einzelnen Untertanen waren gleich unter der Autokratie. Sogar Sklaven und Eunuchen wurden nicht am Zugang zu den höchsten Würden gehindert. Es ist diese Gleichheit vor dem Herrscher, auf die sich die Leute heute beziehen, wenn sie von den angeblichen demokratischen Bräuchen dieser Orientalen sprechen. Der Begriff der wirtschaftlichen Gleichheit der Untertanen, dem diese Menschen und ihre Herrscher anhingen, war nicht sehr gut definiert, sondern vage. Er war aber sehr klar in einer Hinsicht, nämlich, in der völligen Verdammung der Anhäufung eines größeren Vermögens durch eine Privatperson. Die Herrscher sahen in reichen Untertanen eine Bedrohung ihrer politischen Oberherrschaft. Alle Menschen, die Herrscher wie die Beherrschten waren davon überzeugt, dass niemand üppige Mittel anders anhäufen kann, als einem anderen das wegzunehmen, was ihm gehören sollte, und dass die Reichtümer der wenigen Wohlhabenden durch die Armut der vielen verursacht wurde. Die Situation von reichen Geschäftsleuten war in allen orientalischen Ländern extrem unsicher. Sie waren auf die Gnade der Amtsinhaber angewiesen. Selbst verschwenderische Bestechungsgelder konnten sie nicht gegen die Enteignung schützen. Das ganze Volk freute sich, wann immer ein reicher Geschäftsmann dem Neid und Hass der Verwaltungsbeamten zum Opfer fiel.“ Ebd., Kap. XXXV.3.

A. DER ÖKONOMISCHE ASPEKT ODER DIE SATURIERTE WOHLSTANDSINSEL

„Es gab immer und wird immer Leute geben, die aus eigennützigen Ambitionen eine Protektion ihrer persönlichen Interessen fordern und die hoffen, durch wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen Vorteile genießen zu können. Unternehmer, die alt und müde geworden sind und die dekadenten Erben von Leuten, die in der Vergangenheit erfolgreich waren, mögen die agilen Emporkömmlinge nicht, die ihren Reichtum herausfordern und ihre hervorgehobene gesellschaftliche Position. Ob ihr Wunsch, die wirtschaftlichen Bedingungen starr zu machen und Verbesserungen zu verhindern verwirklicht werden kann, hängt von dem Klima der öffentlichen Meinung ab. Die ideologischen Strukturen des neunzehnten Jahrhunderts … ließen solche Wünsche nicht zu. Als die technologischen Verbesserungen im Zeitalter des Liberalismus die traditionellen Methoden der Produktion, des Transports und des Vertriebs revolutionierten, forderten diejenigen, deren eigene Interessen verletzt wurden, keine Protektion, weil es ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen wäre. Aber heute wird es als eine legitime Aufgabe des Staates angesehen, einen effizienten Menschen am Wettbewerb mit weniger effizienten zu hindern. Die öffentliche Meinung sympathisiert mit den Forderungen mächtiger Interessengruppen, den Fortschritt aufzuhalten.“25

„Wenn der Mensch daran denkt, sich von der Herrschaft des Verstandes zu befreien, muss er wissen, was er damit aufgibt.“26

2. Grundlagen

Die Verbraucherherrschaft

Wenn wir ein Kaufhaus oder einen Supermarkt betreten, können wir uns die Leistungsfähigkeit und die Wirkungsweise der freien wie der gehemmten Marktwirtschaft veranschaulichen. Das Sortiment des Unternehmers ist auf die Bedürfnisse der Kundschaft abgestimmt. Was die Kunden kaufen, ordert der Ladenbesitzer bei seinen Lieferanten, den Produzenten bzw. Großhändlern erneut. Was schwer in den Regalen liegt, wird in kleinerer Stückzahl nachbestellt oder gar nicht. Immer wieder werden Neuheiten angeboten. Die Preise bilden sich durch ein unmerkliches Feilschen. Sie sind ausgezeichnet und nicht verhandelbar, wohl aber ist der Artikel gängig oder nicht. Der Händler offeriert einen neuen Artikel mit einem relativ hohen Einstiegspreis und gibt bei Schwerverkäuflichkeit schrittweise nach, bis der Verkauf sich verstärkt. Wenn die Ware überlagert ist, verkauft der Händler den Rest billiger, bisweilen sogar unter dem Einkaufspreis, um soviel gebundenes Kapital wie möglich zu liquidieren, und die Verkaufsfläche für neue Waren zugänglich und damit rentabler zu machen. Die Kunden steuern das Handeln des Anbieters durch ihre Käufe oder Kaufverzichte, während der Händler versucht, diese vorauszusehen.

Angebot und Nachfrage tauschen sich in einem stummen Gespräch aus. Der Konsument entscheidet und steuert letztlich den Unternehmer und damit die gesamte Wirtschaft. Die Order des Händlers steuert wiederum die Produzenten; auch hier wirken Marktgesetze. Das letzte Wort haben aber stets die Verbraucher, denn die Produktion ist auf den Konsum ausgerichtet. Die Verbraucherbedürfnisse sind der Ausgangspunkt des Informationsaustausches und der Endpunkt des Herstellungsprozesses. Die Marktwirtschaft optimiert die Produktion nach den Maßstäben der Verbraucherbedürfnisse. Wir können in diesem Sinne von einer Marktdemokratie sprechen. Weicht das Angebot von der Bedürfnisstruktur ab, wird es verändert und wieder angepasst.

In einer behinderten Marktwirtschaft werden diese Anpassungen abgeschwächt und umgelenkt, so dass das Angebot von den tatsächlichen Verbraucherbedürfnissen abweicht und die Preise verzerrt werden. Dies ist eine Definition für relative Verarmung. Die freie Marktwirtschaft verbessert die materiellen Lebensbedingungen aller Menschen, die Hemmung des freien Marktes sorgt demgegenüber für eine relative Verarmung. Sie betrifft alle Menschen, doch die ärmsten Schichten am meisten. Daraus wachsen neue Ansätze für Alimentierung und Umverteilung.

Doch die Unternehmer hießen nicht Unternehmer und die Händler nicht Händler, wenn sie nicht aktiv wären. Die Anbieter versuchen die Bedürfnisse der Verbraucher zu beeinflussen. Die Unternehmer können neue Produkte kreieren und die Händler neue Offerten machen. Sie beleben mit ihren Ideen den Markt und verändern das Verbraucherverhalten. Neue Produkte verdrängen alte, doch der Richter ist immer der Verbraucher. Er entscheidet, was ankommt und was liegen bleibt. Unternehmerisches Handeln ist auf die bestmögliche Erfüllung der jeweils dringendsten Bedürfnisse der Verbraucher, der Käufer, ausgerichtet. Der Gewinn ist die Folge einer vergleichsweise besseren Anpassung an die Verbraucherbedürfnisse, das heißt einem gelungen kaufmännischen Verhalten.27 Der Gewinn stellt einen Anreiz zur Optimierung der Wirtschaft im Interesse der Verbraucher dar. Sie belohnen verbraucherfreundliche Unternehmer. Weil sie zur Verbesserung der materiellen Lebensverhältnisse beitragen, sind sie aus moralischer Sicht gut für alle Menschen. Verluste sind die Folge schlechter Geschäftspolitik, d.h. einer unbefriedigenden Bedienung der Verbraucherbedarfe.

Wie kommt es, dass neue Waren erfunden und entwickelt, produziert und verkauft werden können? Ihre Herstellung erfordert neues zusätzliches Kapital, denn dieser Prozess verschlingt Kosten. Diese Mittel können aus den Erträgen oder den Rücklagen der Unternehmen gewonnen werden, indem alte Produkte vom Markt genommen werden. Das Neue ersetzt das Alte. Soll aber die Produktion insgesamt erweitert werden, so braucht es neues zusätzliches Kapital, das investiert wird. Es kann nur aus unverbrauchten Geldmitteln stammen. Es können bei einzelnen Unternehmen Kapitalrücklagen aus Gewinnen sein, die liquidiert werden, oder Kredite, die von Geldgebern bezogen werden. Doch woher beziehen die ihre Darlehen? Einzelne Produzenten können zu Lasten schrumpfender expandieren, doch wenn die Wirtschaft als Ganzes expandieren soll, so kann es nur aus der Umlenkung von Gütern vom Konsumbereich in den Produktionsbereich gelingen. Das ist mit dem Begriff Kapitalneubildung28 gemeint. Voraussetzung sind Ersparnisse der Verbraucher, die aus dem vorläufigen Verzicht auf den Verzehr erarbeiteten Einkommens gebildet werden. Kapitalneubildung im Großen setzt Sparen voraus. Die Verbraucher müssen auf Konsum verzichten und Geldmittel zurücklegen, die über die Banken als Kredite zu den Produzenten fließen. Betrug die Sparquote privater Haushalte 1970 noch rund 20 %, so bewegt sie sich heute um die 10 %.29

Neu gedrucktes Geld, also Inflation und Kreditausweitung, kann diese ersparten Mittel nicht ersetzen, weil sie letztlich nur zu einer Verteuerung der Preise führen und damit versanden. Sie führen der Produktion keine erarbeiteten Güter zu, sondern verwässern die nachfragende Geldmenge; sie senken die Kaufkraft der Geldeinheit. Was anfangs die Wirtschaft belebt, hemmt sie in der Folge durch die preistreibenden Effekte und dem Aufschwung folgt der Abschwung. Aus einem Strohfeuer entsteht kein wirtschaftlicher Fortschritt, oft genug aber Katzenjammer.

Somit steuern die Sparer auch die Marschzahl des Fortschritts. Sie bestimmen den Spielraum für den wirtschaftlichen Fortschritt. Wird der Sparanreiz geschwächt, verlangsamt sich die Kapitalneubildung und die Wirtschaft stagniert.

Die Investitionen verbessern die Arbeitsproduktivität. Bei gleichartigen Artikeln erhöht sich die Stückzahl pro Arbeitseinheit und damit sinken die Kosten und dadurch der Preis. Es können neue oder bessere Produkte auf den Markt gelangen. Es erhöht sich somit der Lebensstandard aller Verbraucher. Je höher der Lebensstandard ist, desto größer der Anteil des Einkommens, der gespart werden kann. Es handelt sich, so lange er nicht gehemmt wird, um einen sich selbst beschleunigenden Prozess.

Die Verbilligung der Grundversorgung

Die Verbilligung von Massenartikeln als Folge technischer Verbesserungen der Produktion ist eine wichtige Tendenz des Kapitalismus, der in seiner höheren Stufe dazu führt, dass die basalen Güter einen immer kleiner werdenden Posten in der Haushaltskasse ausmachen. Basale Güter nennen wir diejenigen, auf die als letzte verzichtet wird, wenn die Geldmittel schwinden. Die Produktion von Nahrung und Kleidung sind natürlich existenznotwendig.30 Dem folgen andere Produkte. Die Palette verbreitert sich in Richtung Luxusgüter exponentiell.

Der Warenkorb der Verbraucher und das Warensortiment verändern sich bei steigenden Einkommen. Mit dem Realeinkommenszuwachs werden ehemalige Luxusgüter wie Olivenöl, Armbanduhren oder Urlaubsreisen zu Massengütern. Sie wandern mit sinkenden Preisen die sozialen Schichten nach unten bis zum Discounter.

Die Verbilligung der Grundversorgung drückt sich in einem sinkenden Anteil der Lebensmittelkosten an den Gesamtausgaben der Haushalte aus: 1850 betrug er 61 %, 1950 noch 44 %, 2000 nur noch 14,7 %31 (siehe folgende Grafik). Die Zeit von 1950 bis 1970 wird Wirtschaftswunderzeit genannt. Mit den steigenden Einkommen sank rasch die Arbeitslosigkeit. Sie betrug 1950 im früheren Bundesgebiet 11 % und 1970 nur noch 0,7 %.32

Seit 1970 kehrt sich die Dynamik um. Die Massenarbeitslosigkeit33 wird chronisch und das Wirtschaftswachstum verliert an Dynamik. Es ist offensichtlich, dass sich die Aufmerksamkeit anderen Sektoren der Wohlstandsentwicklung zuwendet, wenn eine Dynamik erschlafft.

Grafik: Anteil der Lebensmittelkosten an den Gesamtausgaben der Haushalte

Der allgemeine Wohlstand als Spielraum sozialer Formung

Wenn die Versorgung mit Verbrauchsgütern eine Sättigung erreicht hat, wandelt sich der Prestigewert des Produkts. Die Ausstattung der Haushalte mit PKWs hat annähernd eine solche Sättigung erreicht. Es liegt in der Logik dieser Entwicklung, dass Car-Sharing-Modelle und Uber-Dienste in den verkehrsdichten Räumen erörtert werden. Diese Diskussionen sind sehr vernünftig, andererseits aber auch ein Nährboden für den Ökologismus. Die Grenze zwischen Vernunft und Ideologie ist hauchdünn. Katalysatoren und Rußfilter sind segensreiche Umweltschutzmaßnahmen. Doch das politisch gewollte Durchdrücken des E-Mobils ist wirtschaftlich und technischer Unfug, der nur schlüssig ist im Zusammenhang mit der Zappelenergie aus Wind und Sonne, deren Strom er als dezentralen Speicher aufnehmen soll.34