So wie blaues Meer - A.B. Mars - E-Book

So wie blaues Meer E-Book

A.B. Mars

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Beschreibung

Clarissa E. Miller kommt zehn Jahre nach dem Vorfällen rund um Anna Bessett und ihren gewalttätigen Ehemann Duncan James Avery nach Lake Havasu City, um ein Buch über Annas Geschichte zu schreiben. Auf der Suche nach der Hauptperson trifft sie auf den attraktiven Jackson Perry, der sich schützend vor Anna, die inzwischen mit seinem besten Freund verheiratet ist, stellt und für Clarissa zu einem schwer überwindbaren, aber auch schwer zu ignorierenden Hindernis wird. Doch nicht nur Jack stellt ein Problem für ihr Vorhaben dar, auch die Briefe eines Unbekannten jagen ihr immer mehr Angst ein, der Mädchen entführt und quält, und ihr damit droht, dass ihr das gleiche Schicksal widerfahren würde, sollte sie das Buch tatsächlich schreiben und veröffentlichen. Als die Drohungen immer schlimmer werden, vertraut sie sich schließlich Jack an, der selbst mit den Geistern seiner Vergangenheit zu kämpfen hat, in der Hoffnung, dass sie sich gegenseitig helfen können. Doch wird es Jack gelingen, die Vergangenheit ruhen zu lassen, um Clarissa beizustehen? Und kann sie ihm genug vertrauen, um der zart aufblühenden Liebe zwischen ihnen trotz aller Gefahr eine Chance zu geben?

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Seitenzahl: 1573

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Für meinen Papa

Schwere Zeiten sind dazu da, dass man sie als Familie gemeinsam durchsteht und sich gegenseitig wieder aufhilft, wenn man fällt.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Epilog

Prolog

Clarissa E. Miller stand in der Besuchertoilette des Wandsworth Prisons in London und sah in den Spiegel, während sie darauf wartete, dass ihre Nervosität nachließ und ihre Professionalität zurückkehrte.

Sie war Journalistin mit Leib und Seele. Sie hatte das Schreiben seit jeher geliebt. Es hatte sie schon immer fasziniert die Geschichten von anderen Personen zu hören, sie aufzuschreiben und darüber einen Artikel zu verfassen. Und sie hatte sich immer gut dabei gefühlt, weil es eine Sache war, in der sie wirklich gut war. Vielleicht die einzige Sache, in der sie richtig gut war.

Clarissa war noch nie ein Mensch gewesen, der vor Selbstbewusstsein und Selbstachtung nur so strotzte. Sie war nie ein Mensch gewesen, der uneingeschränktes Vertrauen in sich selbst, seine Erscheinung und seine Fähigkeiten hatte. Sie hatte immer schon mit Komplexen zu kämpfen gehabt, mit Zweifeln, was ihre eigene Person betraf, mit Problemen, wenn es darum ging, sich im Leben zurechtzufinden. Sie war nie jemand gewesen, der seine Zukunft klar vor sich sah, der große Ziele hatte, die er im Leben erreichen wollte und der genau wusste, wo er in zehn Jahren sein wollte. Aber sie hatte gewusst, dass sie schreiben wollte. Sie hatte gewusst, dass sie Geschichten erzählen wollte und das hatte ihr immer zumindest ein Ziel gegeben, auf das sie hatte zustreben können. Sie hatte Journalismus studiert, obwohl die Voraussetzungen nicht vielversprechend gewesen waren und ihre Mutter sie mit keinem Cent unterstützt hatte. Sie hatte sich durchs Studium geackert, hatte gelernt und nebenbei jede freie Minute gearbeitet, um sich das Geld fürs Studium zu verdienen und sie war verdammt stolz gewesen, als es sich am Ende tatsächlich ausgezahlt hatte. Als sie am Ende ihren Abschluss mit einer glatten Eins gemacht und eine Ehrenurkunde in der Hand gehalten hatte, mit der es ihr freistand, sich bei den größten Zeitungen Londons zu bewerben. Und eine dieser großen Zeitungen hatte sie genommen.

Natürlich hatte sie am Anfang nur kleine Artikel schreiben dürfen, hatte sich durch Todesanzeigen, Kontaktanzeigen und kleine Kommentare zu Nebenthemen kämpfen müssen, bevor ihre Position einigermaßen gesichert war. Aber nach zwei Jahren hatte sie angefangen mehr zu wollen. Sie wollte größere Dinge in Angriff nehmen, größere Dinge leisten, größere Artikel schreiben und hatte zu diesem Zweck noch mehr und härter gearbeitet als in ihrem Studium. Sie spielte sogar mit dem Gedanken, ein Buch zu schreiben, einen Roman zu verfassen, der unzählige Leute berühren und gefangen nehmen würde, doch dieses Vorhaben war in den letzten Monaten immer wieder bitter gescheitert. Weil ihr bisher noch keine Geschichte zu Ohren gekommen war, die es wert gewesen wäre, ein Buch darüber zu schreiben. Und weil sie selbst zu eingespannt gewesen war, um ihrer Fantasie so große Flügel zu verleihen, dass sie sich eine mehrere hundert Seiten starke Geschichte einfach ausdenken konnte. Doch dann, kurz vor Weihnachten, hatte das Glück gleich doppelt bei ihr zugeschlagen. In Form eines Auftrags ihres Chefs, der ihr nicht nur einen großen Artikel auf Seite eins einbringen würde, sondern dessen Inhalt sie auch noch dermaßen inspiriert hatte, dass sie endlich glaubte zu wissen, über wessen Geschichte sie ein Buch schreiben wollte.

„Miss Miller.“ Ein Klopfen an der Tür ertönte und gleich darauf die tiefe Stimme des Detektives, der sie zur Toilette gebracht hatte. „Ihr Besuchstermin beginnt in fünf Minuten.“

„Ja, ich komme sofort.“, rief sie.

Sie holte ihr Puderdöschen aus ihrer Tasche und puderte ihre Nase, die sie persönlich immer ein wenig zu lang für ihr ansonsten kleines Gesicht gefunden hatte, bevor sie den korallenfarbigen Lippenstift öffnete und ihren schmalen Mund mit der vollen Unterlippe nachzog. Ihre von Natur aus helle, fast schon blasse Haust schimmerte leicht im hereinfallenden Sonnenlicht und da ihre Bäckchen vor Aufregung leicht rot angehaucht waren, hielt sie es für unnötig, auch noch Rouge aufzulegen. Sie fuhr sich durch ihr rotes Haar, das ihr in wilden Locken bis auf die Schultern fiel und sah sich ein letztes Mal in die Augen, die ihr katzengrün entgegen funkelten, bevor sie sich straffte und tief durchatmete.

„Ok, Showtime, Clarissa.“ Sie trat aus der Toilette und an die Seite des Polizisten, der ihr nur kurz zunickte und ihr somit bedeutete, ihm zu folgen.

„Sie haben eine Viertelstunde Zeit, ihre Fragen loszuwerden und mit dem Häftling zu sprechen. Denken Sie daran, dass es Ihnen untersagt ist, ihn zu umarmen oder zu berühren und falls Sie den Anschein erwecken sollten, ihm irgendetwas zustecken zu wollen, werden Sie sofort aus dem Raum entfernt.“

„Ja, das ist mir alles bekannt.“

„Sie sollten keine spitzen Gegenstände in seiner Gegenwart benutzen oder hervorholen.“, warnte sie der Polizist weiter.

„Ich habe meine Stifte und meinen Notizblock bereits abgegeben.“ Clarissa verdrehte die Augen. „Ist er denn wirklich so ein Schwerverbrecher?“

Der Polizist lächelte leicht. „Er hat zehn Jahre wegen Vergewaltigung, körperlicher Misshandlung und versuchtem Mord bekommen, die bald um wären. Der zuständige Richter hält ihn allerdings immer noch für zu gefährlich, um ihn tatsächlich freizulassen. Es wurde ein psychologisches Gutachten erstellt, das deutlich macht, dass Häftling Nr. 101 zum jetzigen Zeitpunkt nicht geläutert genug ist, um auf Leute losgelassen werden zu können.“

Die Journalistin runzelte die Stirn. „Heißt das, seine Haftstrafe wird verlängert?“

„Er wird im Sommer in die Psychiatrie überführt. Der Richter hofft, dass er dort wieder zu seiner geistigen Gesundheit zurückfindet.“ Der Detektive blieb vor einem Raum stehen, der als Besucherraum ausgewiesen war und streckte die Hand aus. „Ihre Tasche.“

Mit einem Seufzen reichte Clarissa ihre Tasche an den Kollegen des Polizisten weiter, der bereits vor dem Raum wartete. „Meine Klamotten darf ich aber anlassen, ja?“

„Sie wurden bereits gründlich durchsucht, daher dürfte keine weitere Gefahr bestehen.“

„Wunderbar.“ Sie wischte sich die Hände an ihrer Jeans trocken und sah den Polizisten an. „Wollen wir dann?“

„In Ordnung.“ Der Ranghöhere gab seinem Kollegen ein Zeichen, woraufhin dieser die Tür aufsperrte, sodass Clarissa zusammen mit ihrem Beschützer in den Raum treten konnte, in dem Häftling Nr. 101 bereits an einem Tisch saß, während zwei weitere Polizisten hinter ihm Stellung bezogen hatten.

„Miss Miller, vermute ich.“ Die Hände des Insassen waren mit Handschellen am Tisch festgeschnallt und auch seine Beine waren mit Ketten gefesselt, sodass er sich nicht erheben konnte.

„Richtig.“ Clarissa ließ einen Blick über den Mann gleiten, der in all den alten Artikeln, die sie über ihn gefunden hatte, so anders ausgesehen hatte, wie sie ihn jetzt vor sich sah. Nichts erinnerte an den einstigen Glanz des Prinzen von London, der unter dem Namen Duncan James Avery bekannt gewesen war. „Mr. Avery, es freut mich, Sie kennen zu lernen.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“ Er deutete auf den Stuhl, der ihm gegenüber am Tisch stand und Clarissa setzte sich in Bewegung, um sich hinzusetzen.

Die eisblauen Augen, von denen sie bereits gelesen hatte, glitten analysierend über sie und am liebsten wäre sie wieder aufgestanden und gegangen, so unangenehm war ihr sein Blick.

„Nun, ich habe gehört, Sie wollen einen Artikel über mich schreiben.“ Sein Lächeln wirkte genauso kalt wie seine ganze Gestalt, doch nichts täuschte mehr darüber hinweg, dass er ein wahres Monster war, das seine Ehefrau jahrelang gequält, misshandelt und zum Sex gezwungen hatte, bevor diese den Mut gefunden hatte, zu flüchten.

„Nicht ganz. Ich schreibe einen Artikel über die Firmenfusion von Avery ImEx mit der französischen Extrader.“

Ein verkniffener Ausdruck erschien auf dem Gesicht von Duncan James Avery, das aufgedunsen und teigig wirkte. „Wie charmant. Wollen Sie mich etwa fragen, wie es mir gefällt, dass meine Firma von der französischen Konkurrenz geschluckt wird?“

„Ich kann mir vorstellen, dass es Ihnen nicht gefällt, dass Ihre Firma den Bach hinuntergeht und nur gerettet werden kann, wenn sie mit der Konkurrenz fusioniert.“, meinte Clarissa souverän. „Allerdings sind Sie der Hauptschuldige, warum es überhaupt so weit kommen konnte, wenn ich das richtig verstanden habe.“

Sein Mund, um den sich tiefe Falten eingegraben hatten, verzog sich verärgert. „Sind Sie hier, um mich zu beleidigen?“

„Nein.“ Clarissa beugte sich vor, nahm all ihren Mut zusammen. „Ich bin hier, um Sie zu fragen, ob Sie eine Ahnung haben, wo Ihre Ex-Frau sich im Moment aufhält.“

Duncans Augen traten fast aus ihren Höhlen und seine Augenbrauen hoben sich bis unter seine Haare, die ihm stumpf und strähnig in die Stirn fielen. „Meine Ex-Frau?“

„Ja. Suzanna Elizabeth Avery.“

Duncan sprang auf, was sofort die beiden Polizisten, die hinter ihm standen, auf den Plan rief. „Sie fragen mich allen Ernstes nach diesem Miststück? Nach dieser Hure, die mein Leben zerstört hat?“

„Mr. Avery, beruhigen Sie sich.“ Clarissa erhob sich ebenfalls und hoffte, dass man ihr nicht ansah, wie erschrocken sie war. „Ich möchte einfach nur wissen, wo man sie finden kann. Wo sie sich aufhält.“

„WO MAN SIE FINDEN KANN?“ Der Häftling flippte komplett aus und riss an den Ketten, die ihn festhielten. „Bei dem verdammten Hurensohn in Lake Havasu City wird sie sein, den sie mir vorgezogen hat. Wird sich in der Gewissheit suhlen, mich vernichtet zu haben. Wird sich in der Sicherheit wiegen, von niemandem mehr verletzt oder getötet werden zu können. Aber da hat sie sich getäuscht. Da hat sie sich mächtig geschnitten. Denn wenn ich hier raus komme, werde ich sie mir holen. Ich werde sie umbringen. Ich werde sie töten. Ich werde sie in ihre Einzelteile zersägen und sie hinterher diesem Hurensohn schicken, damit er sieht, was er davon hat, dass er mir meine Frau wegnehmen wollte. Ich werde sie alle töten. SIE ALLE!“

Die Polizisten hielten Duncan James Avery mittlerweile mit aller Kraft fest und versuchten, ihn im Zaum zu halten, doch dieser schien sich mittlerweile so in seinen Wahnsinn hineingesteigert zu haben, dass er selbst die Knüppel nicht mehr spürte, die auf ihn eindroschen.

„Los, wir gehen.“ Der Beamte, der sie in den Raum begleitet hatte, legte ihr die Hand auf die Schulter und machte eine auffordernde Kopfbewegung.

„Aber…“ „Kein aber mehr. Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, gehen wir jetzt.“ Er zerrte sie zur Tür, an die er dreimal klopfte, sodass ihnen aufgesperrt wurde und brachte sie dann in schnellen Schritten den Flur hinunter, bevor sie den Gefängnistrakt durch eine weitere Gittertüre verließen.

„Glauben Sie mir jetzt, dass Duncan James Avery nicht die Spur geläutert ist?“ Der Polizist drückte sie auf einen Stuhl, als er sah, wie blass sie war.

„Er hält mit seinen Absichten nicht hinterm Damm. Er prahlt damit, was er tun wird, sobald er frei kommt.“

„Er ist wahnsinnig.“ Clarissa fuhr sich durch ihr rotes Haar.

„Komplett. Aber nicht wahnsinnig genug, um als unzurechnungsfähig eingestuft zu werden. Er wäre durchaus in der Lage, einen Mord eiskalt von vorne bis hinten durchzuplanen. Deshalb lassen wir normalerweise auch niemanden außer seine Mutter zu ihm.“

Die Journalistin sah hoch. „Sie denken, er könnte auch mich auf seine Liste setzen, weil ich ihn verärgert habe.“

„Seine Frau ist nur der Anfang, hat er uns einmal gesagt. Danach wird er sich an all denjenigen rächen, die ihn fallen lassen und verhöhnt haben. Die genommen haben, was ihm gehört.“

Sie atmete tief durch, erhob sich hinterher und schüttelte den Kopf. „Nun ja, in diesem Fall ist es ja gut, dass er wohl so schnell nicht frei kommt.“

Sie wandte sich zum Ausgang.

„Miss Miller.“ Der Polizist folgte ihr. „Ich weiß nicht, was sie vorhaben oder was sie überhaupt beabsichtigt haben, aber Sie sollten trotzdem vorsichtig sein. In solchen Fällen zu stochern, kann gefährlich werden.“

„Keine Sorge, ich weiß schon, was ich tue.“ Sie reichte ihm die Hand. „Ich habe zwar nicht ganz bekommen, was ich wollte, aber zumindest einem kleinen Hinweis kann ich folgen. Und ich versichere Ihnen, was ich vorhabe, ist nicht gefährlich.“

„Nun, das hoffe ich. Das hoffe ich sehr für Sie. “ Der Beamte schüttelte ihre Hand freundlich und entließ sie hinterher nachdenklich aus dem Gefangenentrankt des Wandsworth Prison in die Freiheit.

Kapitel 1

Clarissa Miller saß in ihrem Auto und fragte sich, wo um alles in der Welt sie hier nur gelandet war. Sie fuhr auf einer Straße mitten durch das Nichts und alles, was sie links und rechts von sich sehen konnte, war nichts als roter Sand. Roter Sand, der bei jedem Windstoß, den ihr Auto erfasste, aufgewirbelt wurde und zusätzlich gegen ihre Scheibe rieselte, sodass die Sicht zwischendurch immer wieder gleich null war. Im Radio warnten sie schon seit Stunden alle zehn Minuten vor den massiven Winden, die Sandverwehungen im Staate Arizona mit sich bringen würden und Clarissa musste jedes Mal den Kopf schütteln, wenn sie davon hörte.

Sandverwehungen. Alles, was sie kannte und je gehört hatte, waren Schneeverwehungen. Und die hatte es massenhaft gegeben, als sie gestern Morgen von London weggeflogen war.

Ja, es hatte geschneit, als sie ihre Heimatstadt London gestern verlassen hatte. Hier jedoch schien die Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel und es hatte Temperaturen, die ihr den Schweiß auf die Stirn trieben und in kleinen Rinnsalen ihren Rücken hinunterlaufen ließen. Für einen Tag Anfang Februar war es hier eindeutig zu warm. Viel zu warm. Ihre Jacke hatte sie bereits am Flughafen von Los Angeles ausgezogen und in den Kofferraum ihres Mietwagens gepackt, aber mittlerweile wurde ihr auch ihr dicker Strickpulli so warm, dass sie daran dachte, auch diesen auszuziehen und nur im Top weiterzufahren, dass sie unter ihrem Pulli trug.

Wenn sie überhaupt noch lange weiterfahren würde….

Schön langsam wurde ihr das alles nämlich ein wenig zu dumm und sie fragte sich, ob sie wohl jemals ankommen würde, da ihr die Fahrt mittlerweile endlos erschien. Aber sie war ja selbst schuld. Sie hatte es schließlich so gewollt. Entgegen aller gut gemeinten Ratschläge. Sie wollte von Los Angeles mit dem Auto weiterfahren, um die Gegend zu erkunden und ein wenig besser kennenzulernen. Sie wollte die Reise so gestalten, um so die Frau womöglich besser zu verstehen, sich besser in die Frau einfühlen zu können, wegen der sie überhaupt erst hier war. Wegen der sie die glücklichsten Wochen ihres Lebens erlebt hatte, wie sie sich noch vor ein paar Stunden sicher war.

Ja, das letzte Jahr hatte wirklich gut geendet für Clarissa und genauso gut hatte das neue danach angefangen.

Nach fünf Jahren in der Redaktion einer großen Londoner Zeitung hatte sie ein paar Tage vor Weihnachten die Nachricht bekommen, dass ihr Chef ihr endlich genügend Vertrauen und Aufmerksamkeit schenkte, um ihr einen großen Artikel für die Seite eins schreiben zu lassen. Seit drei Jahren kämpfte sie bereits darum, weil sie wusste, dass sie gut war, weil sie allen zeigen wollte, dass sie etwas gut konnte und weil sie wollte, dass andere ihrem Talent vertrauten, um ihm selber weiterhin vertrauen zu können.

Schließlich hatten ihr die Misserfolge, was ihr Vorhaben, ein Buch zu schreiben, betraf, schon genügend zugesetzt. Doch dann hatte sie ihr Chef in sein Büro zitiert und sie gefragt, ob sie sich zutrauen würde, einen Artikel über die größte Firmenfusion des Jahres zu schreiben. Mit allen wichtigen Hintergründen und Informationen, die es dazu zu finden gäbe.

Mit einer ausführlichen Geschichte, wie die Firma, die einst ein Glanzstück Londons gewesen war, so weit hatte fallen können.

Clarissa war sofort begeistert gewesen. Sie war Feuer und Flamme gewesen. Und ihr Chef hatte ihr nicht erst sagen müssen, dass das ihre Chance für einen Durchbruch wäre. Ihre Chance bei der Zeitung aufzusteigen und ein eigenes Büro zu erhalten. Sie hatte selbst gespürt, dass diese Geschichte der größte Erfolg ihrer Karriere werden könnte. Und sie hatte Recht gehabt.

Während ihrer Recherchen und ihrer Suche nach Hintergrundinformationen und Geschichten rund um Avery ImEx und ihren Begründer, war sie auf eine Sensationsgeschichte gestoßen, die ihr Journalistenherz sofort hatte höher schlagen lassen. Denn der Sohn des Firmengründers, der die Firma nach dessen Tod geerbt und zu großem Erfolg geführt hatte, saß seit fast zehn Jahren im Gefängnis, weil er seine eigene Ehefrau jahrelang gequält und aufs Schlimmste misshandelt hatte.

So lange bis diese geflüchtet und zu diesem Zweck ihren eigenen Tod vorgetäuscht hatte. Clarissa fand unzählige Artikel, die über das schillernde Ehepaar verfasst worden waren, sie sah die deutlichen Verletzungen, die Suzanna Elizabeth Avery auf einigen Bildern aufwies und sie fand die Steckbriefe, mit denen die vermisste Frau vor zehn Jahren im ganzen Land gesucht worden war. Was sie nicht fand, war, wo die Frau, die keineswegs tot war, sich heute aufhielt. Sie forstete die Archive der Zeitung aufs Genaueste durch, doch in jedem Bericht, den sie über den folgenschweren Ausgang der Geschichte fand, wurde nur beschrieben, dass Duncan James Avery seine Ehefrau schließlich in einer amerikanischen Wüstenstadt im Westen der USA gefunden und beinahe getötet hätte. Die Beweise gegen ihn waren erdrückend gewesen und die folgende Gerichtsverhandlung war nach einer mutigen Aussage seiner mittlerweile Ex-Ehefrau wie vermutet verlaufen und hatte mit einem Schuldspruch und zehn Jahren Gefängnis geendet. Was nicht nur das Ende von Mr. Avery selbst gewesen war, sondern auch das seiner Firma, deren Ruf natürlich für immer zerstört war.

Doch wo war Suzanna Elizabeth Avery heute? Wo hielt sie sich auf? Was war aus ihr geworden? Wie hatte sie die Geschichte überlebt und überstanden? Wie lebte sie nun, zehn Jahre nach all diesen tragischen Ereignissen? Das waren Fragen die Clarissa brennend interessierten, auf die sie dringend Antworten haben wollte und es hatte sie zu Tode frustriert, dass wirklich nichts, aber auch gar nichts über sie zu finden war.

Und so hatte sie die Idee gehabt zu Duncan James Avery ins Gefängnis zu gehen und ihn ganz unverblümt nach seiner Ex-Frau zu fragen. Ok, vielleicht war dieses Vorhaben ein wenig zu unüberlegt und voreilig gewesen, aber zumindest hatte sie dadurch einen Anhaltspunkt bekommen, wo sie suchen müsste. Wo sie Antworten finden könnte. Wo sie die Geschichte finden könnte, über die sie ein Buch schreiben wollte. Die Frau, die Gegenstand ihres ersten Romans werden sollte.

Genau darum war sie nur zwei Tage, nachdem der Artikel über die Firmenübernahme, den sie geschrieben hatte, erschienen war, zu ihrem Chef gegangen und hatte ihn darum gebeten, diese Reise machen zu dürfen. Ihr Chef war überrascht gewesen, hatte anfangs nicht sonderlich begeistert reagiert, aber am Ende hatte sie ihn tatsächlich mit ihrer Euphorie anstecken können. Und dass ihr Artikel so gut angekommen war und er viele positive Kritiken dafür bekommen hatte, war auch nicht ganz unnütz für ihre Sache gewesen. Sie hatte ihm versprechen müssen, ihn auf dem Laufenden zu halten und weiterhin von Arizona aus für die Zeitung zu arbeiten und zu schreiben, aber ansonsten hatte er zugestimmt, dass sie diese Reise antreten und bis zu drei Monate in Arizona bleiben könnte, wenn sie Erfolg hätte und Suzanna Elizabeth Avery finden würde.

Dieses Angebot hatte sie natürlich freudestrahlend angenommen und schon am nächsten Tag ihren Flug nach Los Angeles gebucht.

Sie sah wieder aus dem Fenster und fragte sich, was eine Frau wohl fühlen musste, wenn sie von London hierher in diese Gegend kam, wo nichts als Sand und vertrocknete Pflanzen zu finden waren. Wie sich Suzanna Elizabeth Avery gefühlt haben musste, als sie hier angekommen war, um sich vor ihrem Ehemann zu verstecken. Nach stundenlanger Reise, einem ermüdenden Flug und einer noch anstrengenderen Autofahrt.

Nun, wenn sie sich so gefühlt hatte, wie Clarissa sich gerade fühlte, war es wohl keine allzu schöne Ankunft gewesen. Clarissa hatte nämlich schön langsam die Schnauze gestrichen voll. Seit sie in Los Angeles angekommen war, waren über sechs Stunden vergangen. Und fünf dieser sechs Stunden war sie nun schon mit dem Auto unterwegs. Fünf dieser sechs Stunden verbrachte sie auf der Straße, die schön langsam vor ihren Augen zu verschwimmen schien, während Clarissa mit ihrer Müdigkeit kämpfte und sich wünschte, dass diese verdammte Stadt endlich in Sicht kommen würde.

Sie wischte sich über die Stirn, als sie merkte, dass der Scheiß ihr in die Augen rann und blinzelte hinterher ein paar Mal verwundert, als sie dachte, in der Ferne tatsächlich etwas Glitzern zu sehen. War das Wasser?

Sie sah etwas genauer hin. Und waren das nicht erste Häuser, die man dort in der Ferne auftauchen sehen konnte?

Clarissa stieß einen Freudenschrei aus, als ihr bewusst wurde, dass es keine Fata Morgana war und setzte sich aufrechter hin, um sich besser umsehen zu können.

Die Häuser der Stadt kamen immer näher und langsam konnte Clarissa erkennen, dass die Stadt ein gewisses Flair besaß. Die Gebäude wirkten nicht allzu alt, stabil gebaut und hatten einen gewissen Charme. Da standen höhere Gebäude neben niedrigen, und aufwendig gestaltete Häuser neben unscheinbareren. Es gab eine Reihe von Restaurants, die sie vom Highway aus sehen konnte und endlich kam auch die Brücke in Sicht, von der sie im Internet bereits gelesen hatte und die sie nehmen musste, um zu ihrem Hotel zu kommen. Die englische Brücke.

Dass sie als Londonerin noch nie etwas über diese Brücke gehört hatte, schien ihr fast unmöglich. Unmöglich war es allerdings auch, dass sie als Journalistin noch nie auf diese Geschichte gestoßen war. Doch diese Stadt besaß tatsächlich eine Brücke, die original einmal in London gestanden hatte, danach an diese Stadt verkauft und schließlich hier Stein für Stein wieder aufgebaut worden war. Diese Brücke wurde geschmückt von unzähligen englischen Fahnen, die links und rechts der Brücke aufgestellt waren, und Clarissa fragte sich zum wiederholten Male, ob dieses Bauwerk wohl etwas mit der Entscheidung Suzannas zu tun hatte, hierher zu kommen und sich hier niederzulassen, beziehungsweise sich hier vor ihrem Ehemann zu verstecken.

Nun, sie würde es herausfinden. Bald. Hoffentlich.

Als das Island Inn Motel in Sicht kam, das Hotel, in dem sie sich ein Zimmer gemietet hatte, verlangsamte sie ihr Tempo noch ein wenig mehr und bog schließlich auf den Parkplatz ein, der sehr groß war und weitläufig wirkte.

Als sie wenig später das Hotel betrat, sah sie sich zuerst interessiert um, bevor sie zur Rezeption ging.

Die Hotelhalle wirkte nicht besonders geschmückt oder glamourös, war nur ausgelegt mit dunklen Fließen und roten Teppichen, aber Glamour war es auch nicht, wonach Clarissa suchte. Die Rezeption links war ebenfalls einfach gehalten, gab durch seine weiße Farbe nicht wirklich einen Farbkleckser, und nur eine junge Frau saß dahinter und tippte etwas in ihr Handy ein. Außer der jungen Frau hinter der Rezeption war nur ein Mann in der Halle anwesend, der in einiger Entfernung zur Rezeption stand und sich mit einem älteren Ehepaar unterhielt. Der Mann wirkte ziemlich geschäftig in seinem dunkelblauen Anzug und den polierten Schuhen und mit einem leisen Kopfschütteln, da sie solche Menschen noch nie verstanden hatte, wandte Clarissa sich ab und marschierte stattdessen auf die junge Frau zu.

„Hallo.“

Die junge Frau sah von ihrem Handy auf. „Hallo.“ Sie lächelte. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich habe ein Zimmer reserviert. Clarissa Miller.“

„Miller, ja?“ Die Rezeptionistin tippte den Namen in den Computer ein.

„Ein Einzelzimmer für zwei Wochen?“

„Richtig.“ Clarissa lächelte ebenfalls. „Kann sein, dass ich allerdings länger bleibe.“

„Oh, das dürfte um diese Jahreszeit kein Problem sein. Die Touristen kommen erst in drei, vier Monaten.“ Die junge Frau tippte weitere Sachen in den Computer ein. „Ich brauche noch einige Daten von Ihnen.“ Sie schob einen kleinen Zettel zu Clarissa. „Eine Adresse, Telefonnummer und die Nummer ihres Mietwagens, falls sie einen haben.“

Clarissa nickte. „Habe ich.“ Sie füllte den Bogen aus und gab ihn hinterher an die Frau an der Rezeption zurück.

„Oh, Sie kommen aus England.“

„Ja.“

„Aus London?“

„Genau.“

„Haben Sie unsere englische Brücke schon gesehen?“

„Kaum zu übersehen, wenn man zu diesem Hotel möchte.“

„Stimmt.“ Die Frau lächelte schüchtern. „Ich bräuchte noch Ihre Kreditkarte.“

„Natürlich.“ Clarissa nahm die Kreditkarte aus ihrem Portmonee und reichte sie über die Rezeption.

„Kennen Sie die Geschichte der Brücke?“

„Ja, ich habe davon im Internet gelesen.“

„Sind Sie deshalb hier? Wollen Sie sich ein Stück englisch-amerikanische Geschichte ansehen?“

„Unter anderem.“ Die Journalistin lächelte freundlich und sagte sich, dass das Mädchen ihre Fragerei ja nicht böse meinte.

„Entschuldigen Sie.“ Die Frau schien dennoch etwas bemerkt zu haben. „Sie haben sicher eine lange Reise hinter sich und sind müde.“ Sie schob zwei Karten über die Rezeption. „Ihre Kreditkarte und das ist Ihre Zimmerkarte.

Sie haben das Zimmer dreiunddreißig. Es liegt den Flur hier links hinunter auf der rechten Seite.“

„Danke.“

„Gerne.“ Die Frau nickte. „Frühstück servieren wir von sieben bis zehn Uhr morgens im Frühstücksraum, der den Gang rechts hinunter liegt.

Abendessen kann man fantastisch auf dem McCullogh Boulevard, der nicht weit von hier liegt und wo sie mehr als eine Möglichkeit finden, zu speisen.“

„In Ordnung.“

„Kann ich sonst noch irgendetwas für Sie tun?“

„Nein, danke.“

„Dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.“

Clarissa nickte wieder und wollte schon gehen, als sie doch noch einmal zögerte. Wenn dieses Mädchen schon so gesprächig war, vielleicht konnte sie ihr dann auch sagen, wo sie Suzanna finden könnte. Vielleicht kannte sie die Frau und konnte ihr etwas über sie erzählen. Dann konnte sie morgen gleich mit ihren Recherchen anfangen.

„Vielleicht können Sie mir doch noch helfen.“

„Sicher.“ Die Frau setzte wieder ihr freundliches Lächeln auf.

„Kennen Sie zufällig eine Suzanna Elizabeth Avery?“

Das Gespräch, das der Mann im Anzug hinter ihr mit dem älteren Ehepaar geführt hatte, verstummte.

Die Frau an der Rezeption sah sie verständnislos an. „Wen?“

„Suzanna Elizabeth Avery. Sie müsste hier in der Stadt leben. Oder zumindest gelebt haben. Sie kommt ebenfalls aus England.“

„Nein. Tut mir leid.“ Die Rezeptionistin schüttelte den Kopf.

„Sind Sie sich sicher? Sie müsste schon ziemlich lange hier leben. Etwa zehn Jahre.“ „Nein, wirklich.“ Das Mädchen wurde etwas unsicher. „Ich habe noch nie von ihr gehört.“

„Entschuldigung.“ Der Mann im Anzug trat nun zu ihnen. „Maggie, wieso machst du nicht zehn Minuten Pause? Ich übernehme die Rezeption so lange.“

Maggie sah von Clarissa zu dem Mann und schien nicht ganz sicher zu sein. „Mr. Perry….“

„Schon in Ordnung, Maggie. Ich kläre das hier.“

„Na gut.“ Maggie verließ zögernd die Rezeption. „Aber falls Sie mich doch brauchen…“ „Werde ich dich holen.“ Der Mann lächelte sie beruhigend an und Maggie verließ wenig später das Gebäude.

Clarissa betrachtete den Mann. „Habe ich etwas falsch gemacht?“

„Jackson Perry.“ Der Mann reichte ihr die Hand. „Ich bin hier im Hotel für die Buchführung verantwortlich.“

„Oh toll.“ Clarissa wusste nicht, was genau Mr. Perry von ihr wollte.

„Stimmt etwas mit meiner Kreditkarte nicht?“

„Das hoffe ich doch nicht.“ Er lächelte leicht. „Ich habe zufällig Ihr Gespräch mit Maggie mitangehört.“

„Verstehe.“ Sie war sich immer noch nicht sicher, was los war. „Darf man mit Ihren Angestellten nicht reden?“

„Doch.“ Er wirkte etwas verärgert. „Es kommt nur darauf an, über was.“

„Oh.“ Clarissa machte große Augen. „Habe ich etwas Verbotenes gefragt oder gesagt?“

„Wie man es nimmt.“ Er führte sie ein Stück von der Rezeption weg und sah sich in der Halle um. „Woher kennen Sie den Namen Suzanna Elizabeth Avery?“

Jetzt wurde sie hellhörig. „Kennen Sie die Frau?“

„Woher haben Sie den Namen?“, fragte Jackson nachdrücklich.

„Ich….ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“

„Glauben Sie mir, es geht mich etwas an. Darum frage ich Sie jetzt ein letztes Mal…woher haben Sie den Namen?“ Seine Stimme klang leise, doch die Bedrohung war dennoch deutlich herauszuhören.

„Ich bin Journalistin!“, rief Clarissa aufgeregt. „Ich habe vor kurzem einen Artikel über die Firmenübernahme von Avery ImEx geschrieben und bin dabei auf den ehemaligen Chef Duncan James Avery und seine Frau Suzanna gestoßen. Zufrieden?“

„Und jetzt sind Sie hier, um sie zu finden und einen Sensationsartikel über sie und ihr heutiges Leben zu schreiben, oder wie?“

„Das heißt, Sie kennen Suzanna?“ Clarissa merkte, wie sie aufgeregt wurde.

„Ja, ich kenne Anna. So heißt sie nämlich seit über zehn Jahren und so wird sie auch von allen genannt. Sie werden also niemanden finden, der weiß, wer Suzanna Elizabeth Avery ist und Ihnen Auskunft über sie geben kann.“,

machte ihr Jackson klar.

„Scheinbar gibt es schon jemanden. Wie es scheint, muss ich nur den Richtigen fragen.“, meinte Clarissa.

„Jetzt hören Sie mir mal zu.“ Er nahm sie bei den Schultern. „Anna ist seit fast neun Jahren mit meinem besten Freund verheiratet und dadurch auch eine meiner besten Freundinnen. Und wenn Sie glauben, Sie können jetzt hierher kommen und den Frieden und das Glück meiner Freunde zerstören, nur, weil sie einen Sensationsartikel schreiben wollen….

„Ich will keinen Sensationsartikel schreiben!“ Sie riss sich wütend von ihm los. „Ich möchte ein Buch über Ihre Freundin schreiben.“

„Sie….Sie möchten, was?“ Nun schien Jackson mehr als irritiert.

„Ich möchte ein Buch über sie schreiben. Ich hab ein wenig von ihrer Geschichte und ihrer Person gelesen und ich fand sofort, dass diese Frau etwas ganz Besonderes ist und dass ihre Geschichte vor allem so faszinierend ist, dass sie einfach aufgeschrieben gehört. Ihre Freundin hat es verdient, mehr Aufmerksamkeit für ihre heldenhaften Taten und ihre mutigen Entschlüsse zu bekommen.“

„Moment, nur damit ich das richtig verstehe.“ Jack sah sie ernst an. „Sie finden Anna und ihre Geschichte so faszinierend, dass sie ein Buch über sie schreiben wollen? Ein richtiges Buch?“

„Ja, ein richtiges Buch.“

Als Jackson Perry laut zu lachen begann, sah Clarissa ihn überrascht an.

„Entschuldigung, aber das gefällt mir.“ Er lachte weiter. „Ja, das ist wirklich gut.“

„Schön, dass Sie sich so wahnsinnig amüsieren.“ Clarissa verschränkte die Arme und sah den Mann mit dem dunklen, fast schwarzen Haar kopfschüttelnd an.

„Verzeihung.“ Jackson wischte sich die Lachtränen aus den hellen, grünen Augen.

„Ja, sicher.“ Sie funkelte ihn ihrerseits aus ihren ebenfalls grünen Augen an.

„Sagen Sie mir jetzt, wo ich Ihre Freundin finden kann, oder nicht?“

Jack zögerte. „Hören Sie….“ Er atmete tief durch. „Anna ist mir wirklich wichtig. Ich mag sie sehr. Und ich möchte nicht, dass sie verletzt oder bedrängt oder zu etwas gezwungen wird, was sie nicht will.“ Er sah Clarissa in die Augen. „Aber die Idee mit dem Buch gefällt mir.“

„Und was heißt das jetzt?“, wollte Clarissa wissen.

„Wenn Sie mir versprechen, dass Sie dieses Thema sensibel angehen, verrate ich Ihnen, wo Sie Anna finden können.“

Sie blickte in diese faszinierenden grünen Augen, die beinahe schon türkis schienen, und wusste, dass er es ernst meinte. „Wenn Sie mich in die Wüste schickt, nachdem ich ihr mein Vorhaben mitgeteilt habe und ihr meine Ideen dargelegt habe, werde ich gehen, ohne weiter nachzubohren.“

„Ehrenwort?“

Sie sah ihn etwas skeptisch an, aufgrund der Wortwahl, nickte aber.

„Ehrenwort.“

„Na gut.“ Jackson nickte Maggie zu, die wieder von draußen hereinkam.

„Anna hat einen eigenen Laden in der Innenstadt.“

„Sie hat einen Laden?“, fragte die Journalistin verwundert.

„Anna filzt leidenschaftlich und ist ziemlich begabt darin. Sie führt den Laden mit zwei anderen Mädels aus der Stadt und die drei sind ziemlich erfolgreich.“, informierte sie Jack.

„Okay, und wo ist dieser Laden?“

„Er liegt direkt am Highway und ist deshalb kaum zu übersehen. Er heißt Marie´s Dream.“

„Marie´s Dream.“ Clarissa speicherte den Namen in ihrem Kopf ab. „Und dort finde ich Ihre Freundin?“

Jack sah auf die Uhr. „Nun, heute sicher nicht mehr.“ Er lächelte. „Aber wenn sie morgen zwischen neun Uhr morgens und ein Uhr mittags dort vorbeischauen, treffen Sie sie bestimmt an.“

„Marie´s Dream, direkt am Highway.”, wiederholte Clarissa.

„Neben dem UPS Store.”, gab ihr Mr. Perry einen weiteren Tipp.

„Also gut, dann werde ich den Laden schon finden.“

„Sicher.“ Jack sah wieder auf die Uhr. „Ich muss jetzt leider los.“

„Natürlich.“ Clarissa ging zurück zur Rezeption. „Danke für Ihre Hilfe.“

„Bedanken Sie sich nicht zu früh.“ Er klopfte auf die Rezeption. „Maggie, ich fahre dann nach Hause. Falls Mr. Doyle dich fragen sollte, die Abrechnung von Januar liegt auf seinem Schreibtisch.“

„In Ordnung.“

„Dann bis morgen.“

„Bis morgen, Mr. Perry.“, verabschiedete sich Maggie.

„Gute Nacht, Mrs…“ „Miss Miller.“, antwortete Clarissa.

„Miss Miller.“ Jack lächelte. „Und denken Sie an Ihr Versprechen.“

„Mit Sicherheit.“ Clarissa sah ihm nach, wie er das Hotel verließ und fragte sich nicht zum ersten Mal in den letzten Stunden, wo sie hier gelandet war und ob es wirklich richtig war, was sie vorhatte.

Kapitel 2

Als Clarissa am nächsten Tag um kurz nach zehn Uhr vormittags vor dem Laden stand, in dem sie angeblich Suzanna Elizabeth Avery finden könnte, musste sie zugeben, dass Jackson Perry nicht gelogen hatte. Der Laden war tatsächlich kaum zu übersehen.

Neben dem UPS-Store, der klein und unscheinbar war, wirkte der Laden umso größer und imposanter. Die Front des Hauses war in einem leuchtenden Orange gestrichen und das Schild aus Messing, das über der Eingangstür hing, gab einen tollen Kontrast, vor allem, da die verschnörkelte Schrift darauf, die den Namen des Ladens verkündete, in einem verträumten Lila-Ton gehalten war, die mit weiß umrandet wurde.

Das große Schaufenster neben der Eingangstüre enthielt drei Modepuppen, die jeweils auffällige Kreationen mit noch auffälligeren Accessoires trugen.

Und dennoch hatte Clarissa noch nie etwas so Einzigartiges, etwas so Schönes gesehen. Und auch hier musste sie zugeben, dass sie das überhaupt nicht erwartet hatte. Sie hatte wirklich vieles erwartet, aber nicht das. Und diese Tatsache machte sie fast noch neugieriger auf die Frau, wie sie ohnehin schon gewesen war.

Entschlossen ging sie auf die Eingangstüre des Ladens zu und betrat diesen wenig später mit erwartungsvollem Blick.

Das erste, was ihr auffiel, als sie ins Innere kam, waren drei Frauen, die hinten beim Verkaufstresen standen und scheinbar miteinander stritten.

Eine der Frauen, die, die gerade das Wort führte, war deutlich sichtbar schwanger, wenn auch noch nicht sehr weit fortgeschritten, wie das kleine Kugelbäuchlein vermuten ließ. Sie trug ihr kastanienbraunes Haar in einem schulterlangen Bob und fuchtelte aufgeregt mit ihren Händen, während sie redete.

Die Frau, die der Schwangeren gegenüberstand, hatte das auffälligste und faszinierendste Haar, das Clarissa je gesehen hatte. Das Haar hatte die Farbe der tiefsten und schwärzesten Nacht und glänzte im Licht so intensiv, das Clarissa sich für einen Augenblick fragte, wie man solches Haar bekommen konnte. Es fiel ihr seidig und glatt bis fast zu den Hüften und als sie den Kopf aufgeregt schüttelte, leuchteten zarte lila Nuancen darin auf. Die Frau war groß und sehr schlank und auch sie drückte durch ihre Körperhaltung aus, dass das Gespräch nicht nach ihren Vorstellungen verlief.

Die dritte Frau, die zwischen den beiden stand, hatte unzählige freche, blonde Locken, die sich um ihren Kopf ringelten und aufgeregt tanzten, wenn sie sich bewegte. Sie war einen ganzen Kopf kleiner als die anderen beiden und obwohl auch sie schlank war, hatte sie sehr kurvige Hüften, in die sie jetzt ihre Hände stemmte.

„Verdammt, du kannst nicht einfach diese schwere Kiste durch den Laden schleppen und so tun, als wärst du nicht im fünften Monat schwanger.“,

rief nun die Schwarzhaarige so laut, dass Clarissa es hören konnte.

„Wieso, willst du sie etwa schleppen?“, konterte die Schwangere.

Clarissa versuchte, sich so gut wie möglich unsichtbar zu machen, und sah sich unauffällig um.

„Ja, zum Beispiel.“, meinte die Schwarzhaarige.

„Ach, du bist ja nicht schwanger, nicht wahr?“, sagte die Brünette aufgeregt.

Clarissa betrachtete die gemütliche Sitzecke, die direkt hinter dem Schaufenster angerichtet war, und das Regal, das die Sitzecke vom hinteren Teil des Ladens abtrennte.

„Ja, vielleicht bin ich das, aber ich bin noch nicht so weit wie du und daher ungefährdeter.“

„Du redest kompletten Unsinn, weißt du das?“ Die Schwangere stemmte nun auch die Hände in die Hüften. „Du bist noch nicht mal über den dritten Monat hinaus und daher wesentlich gefährdeter als ich. Jede Frau weiß, dass die ersten drei Monate die kritischen sind.“

„Okay, Mädels.“ schaltete sich nun die Blonde ein. „Wieso lasst ihr dann die schweren Sachen nicht einfach mich tragen?“

Beide Frauen wandten sich der Kleineren sofort zu.

„Hast du nicht gestern erzählt, du denkst, du seist auch wieder schwanger?“, fragte die mit dem schwarzen Haar.

„Und hast du nicht heute Morgen einen Schwangerschaftstest gemacht?“,

sagte die Brünette.

„Ja, genau. Wie war das Ergebnis?“, wollte die andere zusätzlich wissen.

Die kleine Blonde wurde plötzlich furchtbar blass und legte sich die Hand auf den Magen. „Also wirklich, Mädels. Es…ich….scheiße!“ Sie schlug sich die Hand vor den Mund und drehte sich urplötzlich um. „Entschuldigt mich.“

Sie lief wie von der Tarantel gestochen in den hinteren Teil des Gebäudes und wenig später hörte man eine Tür schlagen.

Die beiden zurückgebliebenen sahen sich amüsiert an und sagten dann wie aus einem Mund: „Positiv.“ Beide fingen an zu lachen und seufzten anschließend vernehmlich.

„Tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe.“, sagte schließlich die Schwarzhaarige.

„Schon ok. Ich weiß doch, dass ihr euch nur Sorgen macht.“, meinte die andere.

„Naja, Mike würde uns die Ohren abschneiden, wenn dir etwas passieren würde, weil wir nicht auf dich aufpassen.“

„Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.“

„Ja, sicher.“

Clarissa sah sich die Bilder an, die an den Wänden hingen und ebenfalls verkauft wurden, da sie mit Preisschildern versehen waren.

„Wir werden eine Aushilfe brauchen, wenn Emma jetzt auch noch wieder schwanger ist.“, sagte die Brünette. „Oder besser zwei.“

„Du weißt, dass Sheila uns sicher gerne hilft.“, meinte ihre Freundin.

„Sheila hat doch selbst ein kleines Kind.“

„Sie ist meine große Schwester und sicher mehr als froh, wenn sie dem Hausfrauenjob mal wieder entfliehen kann. Sie war schließlich vorher jahrelang Verkaufsführerin in einer Boutique.“

„Ja, mag sein. Aber sie wird auch nur stundenweise aushelfen können.“ Die Schwangere überlegte. „Was ist mit Eddie?“

„Emmas kleiner Bruder?“ Die Dunklere sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Eddie sagt immer, er könne überall arbeiten. Und seine Comics kann er auch nebenbei zeichnen.“

„Oder er vergisst neben seinen Comics wieder, dass unsere Kunden bedient werden wollen.“

„Ach komm.“ Die Schwangere lachte. „Die Sache mit Mrs. Clemens ist doch schon lange vergessen. Und du weißt selbst, dass diese Dame nicht immer einfach ist.“

„Dennoch ist sie eine Kundin.“, meinte die Schwarzhaarige.

„Na gut. Wir überlegen einfach noch bis Montag und fragen auch Emma, was sie meint.“

„Ja, von mir aus.“

Beide wandten sich zeitgleich in Richtung Verkaufstresen und erblickten im selben Moment Clarissa, die nun bei dem gläsernen Schmuckregal neben dem Tresen stand.

„Oh, hallo.“ Die Frau mit dem Kugelbäuchlein setzte ein Lächeln auf.

„Hallo.“, sagte Clarissa schüchtern.

„Ich…ich hoffe, Sie stehen noch nicht lange hier?“ Die Brünette schien etwas beschämt.

„Nein. Nein, keine Angst.“

„Oh, gut.“ Sie lächelte wieder. „Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?“

„Ja, vielleicht.“ Nun kam Clarissa näher. „Ich suche…“ Sie zögerte kurz.

„…Anna. Ich suche Anna.“

„Nun, die haben Sie gefunden.“ Die Frau streckte ihre Hand aus. „Ich bin Anna. Anna Williamson.“

Die Journalistin war einen Moment überrascht, fing sich aber schnell.

„Clarissa Miller.“ Sie schüttelte die ihr dargebotene Hand.

„Freut mich.“ Anna lächelte noch immer. „Was kann ich für Sie tun?“

„Ich….“ Clarissa überlegte, wie sie am besten vorgehen sollte, während sie Anna noch einmal verstohlen betrachtete. „Ich bin gestern erst hier angekommen und im Island Inn Motel abgestiegen. Mr. Perry hat mir gesagt, wo ich Sie finden kann.“

„Sie kennen Jacko?“ Annas Gesicht strahlte. „Nun, was hat er Ihnen über mich erzählt?“

„Gar…gar nichts.“ Clarissa war etwas irritiert. „Er hat mir nur gesagt, dass ich Sie hier im Laden finden könnte.“

„So, so.“ Nun wirkte Anna etwas skeptischer. „Und warum wollten Sie mich finden?“

„Ich bin Journalistin und komme aus London.“

Annas Gesicht fiel vollkommen in sich zusammen.

„Ich war eigentlich auf der Suche nach Suzanna Elizabeth Avery.“

Die Schwarzhaarige kam alarmiert zu ihnen und stellte sich neben ihre Freundin.

„Diese Person existiert nicht mehr.“, sagte Anna und drehte sich um.

„Aber Sie waren diese Person, nicht wahr?“, wagte sich Clarissa ein Stückchen weiter vor.

Anna wandte sich wieder ihr zu. „Was auch immer Sie hier wollen, Sie haben die lange Reise umsonst gemacht. Mein Name ist Anna Williamson.

Als ich vor fast zehn Jahren hierher kam, war mein Name Anna Bessett.

Alles andere gehört nicht mehr zu meinem Leben.“

„Das glaube ich Ihnen gerne.“, gab sich die Journalistin verständnisvoll. „Ich würde dennoch gerne mit Ihnen reden.“

„Weshalb?“, wollte die Schwangere wissen.

„Weil ich gerne ein Buch über Sie schreiben würde.“

„Was?“ Jetzt war die Schwangere eindeutig überrascht und auch die Schwarzhaarige riss die Augen auf.

„Ich möchte ein Buch über Sie schreiben. Über Ihre Erlebnisse, über Ihren Mut, über Ihre Heldentaten und nicht zuletzt über Ihr außergewöhnliches Leben.“

„Über mein….“ Anna blickte zu ihrer Freundin und sah der Blonden entgegen, die gerade vom rückwärtigen Teil des Gebäudes zurückkam.

„Habe ich das gerade richtig gehört? Diese Frau hat gesagt, sie will ein Buch über dich schreiben?“, fragte diese ebenso irritiert.

Anna und die andere nickten.

„Das ist ja ein Ding!“ Die Blonde lachte überrascht.

„Ok, ich glaube, ich muss mich jetzt erst einmal setzen.“ Die Schwangere ging hinüber zu der Sitzecke und ließ sich in einen Sessel gleiten.

Clarissa folgte ihr zaghaft. „Lassen Sie mich Ihnen einfach mein Vorhaben und meine Ideen erklären, ja?“ Sie setzte sich ebenfalls hin. „Bevor Sie mich in die Wüste schicken, lassen Sie mich Ihnen erzählen, wie es dazu kam, dass ich diese Idee überhaupt hatte.“

Anna sah auf. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das überhaupt hören will.“

„Ich kann nicht mehr tun, als Sie darum zu bitten.“ Clarissa atmete tief durch. „Ich habe Ihrem Freund, Mr. Perry, versprochen, Sie nicht zu bedrängen oder zu etwas zu zwingen, was Sie nicht wollen, aber schicken Sie mich nicht weg, bevor Sie mich angehört haben.“

Anna sah ihre Freundinnen an, die sich rechts und links auf der Lehne ihres Sessels niederließen.

„Anhören kannst du es dir ja mal. Das kostet dich nichts.“, meinte die Dunkle.

Die Blonde zuckte die Schultern. „Ja, genau. Und danach kannst du immer noch nein sagen.“

Anna atmete tief durch. „Na gut.“ Sie sah zu der Journalistin. „Dann erzählen Sie mal.“

Clarissa lächelte und beugte sich vor. „Ich arbeite seit fünf Jahren für die London Times als Journalistin und bekam Ende Dezember, also vor rund sechs Wochen, den Auftrag, einen großen Artikel über die Firmenübernahme oder die Firmenfusion, je nachdem wie man es nennen will, von Avery ImEx mit der französischen Extrader zu schreiben.“ Sie sah die drei der Reihe nach an. „Ich weiß ja nicht, wie gut Sie noch über die Ereignisse in London und die Firma Ihres Mannes informiert sind, aber….

„Ex-Mannes.“, unterbrach Anna sie sofort.

„Gar-nicht-Mannes.“, korrigierte die Schwarzhaarige weiter. „Schließlich wurde eure Ehe vor über neun Jahren rechtskräftig annulliert.“

„Richtig.“, sagte Anna. „Und nein, ich bin überhaupt nicht darüber informiert.“

„Verstehe.“ Clarissa nickte. „Auf jeden Fall war dieser Artikel mein erster großer Auftrag und ich habe mich deshalb auch richtig reingehängt und mich hingesetzt und ordentlich recherchiert. Und da stieß ich natürlich zwangsläufig auf den Gründer der Firma, James Sebastian Avery, und seinen Sohn, Duncan James Avery, der die Firma nach dessen Tod zu großem Erfolg geführt hat, wodurch überhaupt erst der Ausbau und die Außenstelle in Paris möglich wurden.“

„Ach, und diese Außenstelle hat die Hauptfirma nun geschluckt?“, fragte die Blonde.

„Nein.“, antwortete Clarissa. „Die Außenstelle wurde schon vor etlichen Jahren von Extrader geschluckt, weil sie zu wenig Umsatz machte und zu wenig Gewinn abwarf. Die Vorstände in London haben lange darum gekämpft, die Hauptstelle zu retten, aber deren Übernahme war nur der nächste logische und ehrlich gesagt auch unausweichliche Schritt.“

„Und wie kam es zu diesem Absturz?“, wollte die Kleinere der drei weiter wissen.

„Eben da beginnt meine eigentliche Geschichte.“ Die Journalistin lehnte sich zurück. „Denn auch ich habe mich das gefragt und kam so zu der Geschichte von Duncan James Avery und seiner Frau Suzanna Elizabeth Avery. Ich las alles über den angeblichen Unfall seiner Frau im August vor zehn Jahren, darüber, dass sie diesen Unfall und ihren angeblichen Tod nur vorgetäuscht hatte, um ihrem Ehemann zu entkommen, der sie jahrelang gequält, misshandelt und erniedrigt hatte, und auch über den grandiosen Showdown in einer amerikanischen Wüstenstadt, wo er sie nach fast einem Jahr wiederfand. Ich habe durch meine Recherchen erfahren, dass er seine Frau damals beinahe getötet hätte, dass sie aber mutig gegen ihn gekämpft hätte und am Ende sogar seine Verhaftung möglich machte. Ja, und dann kam der große Prozess, der wahnsinnige Wellen warf, die aufsehenerregende Verurteilung zu zehn Jahren Haft mit anschließender Verwahrung in einer psychischen Heilanstalt, und natürlich die damit einhergehende Annullierung der Ehe, die die Hölle auf Erden gewesen sein musste.“

Da Anna nur leicht lächelte, entschied Clarissa weiter fortzufahren.

„Der Skandal um Duncan James Avery hat der Firma natürlich großen Schaden zugefügt, den die Vorsitzenden auch in jahrelanger Arbeit nicht mehr richten konnten und so war die Übernahme nicht abzuwenden. Der Ruf der Firma war so zerstört durch die Vorkommnisse um den ehemaligen Chef, dass sich nur noch wenig Kunden fanden, die damit umgehen konnten und wollten.“

„Wow, das ist ja ein Ding.“ Die Blonde lehnte sich zurück. „Du hast ihn wirklich zerstört.“

„Emma!“, rief die Schwarzhaarige entsetzt.

„Was denn? Stimmt doch.“, meinte diese.

Anna beugte sich vor. „Das erklärt aber noch nicht, wie sie auf die Idee kamen, ein Buch über mich zu schreiben.“

„Naja, ich habe diese Geschichte gelesen, habe all die Artikel gesehen, die während Ihrer Ehe mit Duncan James Avery erschienen, und fand sofort, dass Sie eine faszinierende Persönlichkeit sein mussten. Ich habe Bilder gesehen, auf denen sie deutlich sichtbare Verletzungen trugen, alle angeblich zustande gekommen durch Unfälle und unglückliche Zufälle, und ich konnte nicht umhin, mir zu wünschen, diese Frau, diese Person, die all das jahrelang so tapfer ertragen hatte, kennen zu lernen. Und bei all dem erkannte ich schließlich, dass meine Kreativität von den wenigen Informationen, die ich über Sie bekommen konnte, nur so angeregt wurde und dass Ihre Geschichte mir tausende Ideen bescherte, die einfach niedergeschrieben gehörten.“ Sie seufzte. „Ich muss dazu sagen, ich möchte schon seit Monaten ein Buch schreiben. Seit Monaten suche ich nach einem Thema, einer Geschichte, die mich genügend interessiert und inspiriert um ein paar hundert Seiten darüber schreiben zu können. Bisher bin ich kläglich gescheitert und das möchte ich Ihnen nicht verschweigen.“

„Aber meine Geschichte verspricht Erfolg?“, wollte die Schwangere wissen.

„Ja.“, sagte die Reporterin überzeugt. „Und dabei weiß ich bisher nur einen kleinen Teil. All das, was ich noch nicht weiß, ist wahrscheinlich die weitaus größere Sensation.“

„Ich…ich weiß nicht.“ Anna war ihre Unsicherheit anzumerken.

„Bitte.“ Clarissa rutschte auf dem Stuhl nach vorne. „Geben Sie mir zwei Wochen. Oder auch nur zwei Tage, wenn Ihnen das lieber ist. Danach können Sie entscheiden, ob Sie mir eine Chance geben oder nicht. Ob Sie das wirklich wollen oder nicht.“

Anna sah wieder ihre Freundinnen an.

„Also, mir gefällt die Idee. Ich fand schon immer, dass deine Geschichte Stoff für einen Roman hergibt.“ Emma zuckte die Schultern.

„Verdient hättest du es auf jeden Fall, dass die Menschen einmal erfahren, was für eine Heldin du wirklich bist.“, meinte auch die Schwarzhaarige.

„Also wirklich, Keira. Ich bin doch keine Heldin.“ Anna fühlte sich unwohl damit.

„Viele Leute, die dich kennen, die deine Geschichte kennen, sehen das anders.“, informierte sie Keira.

Anna atmete tief durch.

„Anna, du kannst doch immer noch nein sagen, wenn dir die Sache am Ende wirklich nicht gefällt.“, redete ihr Emma ins Gewissen. „Aber einen Versuch wäre es doch wert.“

Die Schwangere sah zu Keira, die ebenfalls nickte.

„Also gut.“ Anna stand auf. „Sie bekommen Ihre Chance.“

„Wunderbar.“ Clarissa erhob sich strahlend. „Ich danke Ihnen vielmals.“

„Danken Sie mir nicht zu früh.“ Die Schwangere seufzte. „Das größte Hindernis steht Ihnen vielleicht noch bevor.“

Als ihre Freundinnen sich mitleidig ansahen, zog die Journalistin die Stirn in Falten. „Das größte Hindernis?“

„Mike.“, sagten Emma und Keira wie aus einem Mund.

Keira lächelte. „Mike ist Annas Ehemann und schlimmer als jede Glucke, das können Sie mir glauben.“

„Ja, das können Sie ihr glauben.“ Emma nickte weise. „Keira ist nämlich ebenfalls eine Williamson.“

Die Schwarzhaarige streckte ihre Hand aus. „Ich bin Keira Williamson. Ich bin Annas Schwägerin, verheiratet mit dem Bruder ihres Ehemannes.“

„Verstehe.“ Clarissa nickte, obwohl sie eigentlich nicht wirklich wusste, was das alles bedeuten sollte.

„Und ich bin Emma O´Leary. Nicht verschwägert oder verheiratet mit einem Mitglied aus der Williamson Familie, aber so etwas wie Ehrenmitglied der Familie.“

„Okay.“ Clarissa schüttelte auch ihre Hand.

Anna lächelte im Hintergrund. „Sie sollten sich auf einiges gefasst machen, wenn Sie das tatsächlich durchziehen wollen.“ Sie ging hinter den Tresen.

„Ich werde heute bis drei Uhr hier im Laden sein. Wenn Sie um diese Zeit wieder hierher kommen, nehme ich Sie mit zu mir nach Hause. Dann können Sie meinen Mann und den Rest der Familie kennenlernen.“

„Das hat aber Zeit. Das muss nicht sofort sein.“, meinte die Reporterin.

„Ich denke, je früher Sie erfahren, womit Sie es zu tun bekommen, desto besser.“

„Na gut.“ Clarissa nickte und sah zur Tür, als diese bimmelnd aufging.

„Wir bekommen Kunden. Tut mir leid.“

„Oh, kein Problem.“ Clarissa sah verwundert zu den drei Ladys, die herein marschierten. „Ich komme einfach um drei wieder.“

„Ja, bis dann.“

Als Clarissa aus dem Laden schritt, schüttelte sie den Kopf und versuchte zu rekonstruieren, was da drinnen gerade vor sich gegangen war.

Sie hatte sich Suzanna Elizabeth Avery ganz anders vorgestellt. Anna, verbesserte sie sich. Anna Williamson. Sie hatte nicht gedacht, dass sie so selbstbewusst, so geradlinig, so stark in ihrem Auftreten sein würde. Sie hatte nicht mit einer solchen Ausstrahlung gerechnet. Und sie hatte auch nicht damit gerechnet, dass die Frau verheiratet und schwanger sein würde. Sie war jahrelang von einem Mann gequält und misshandelt worden, womöglich hatte er sie sogar dazu gezwungen mit ihm zu schlafen, und trotzdem hatte sie sich scheinbar nicht verschlossen und wieder einem Mann vertraut, genug zumindest, um ihn zu heiraten und ein Kind von ihm zu bekommen.

Nein, das hatte Clarissa wirklich nicht erwartet. Sie hatte auch keine Geschäftsfrau erwartet, die ihren Laden dermaßen gut und raffiniert führen und gestalten würde, dass der Erfolg vorprogrammiert war und die Kunden gezwungen waren, immer wieder zu kommen, da die Anziehung einfach zu groß war.

Clarissa seufzte und drehte sich noch einmal um, um zurück auf den Laden zu sehen. Aber seit sie hier angekommen war, war schließlich nichts so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Bisher war keine Sache so gewesen, wie sie es erwartet hatte. Und darin, das Unerwartete zu akzeptieren und in etwas Großartiges umzusetzen, das wusste sie schon jetzt, würde wohl die größte Herausforderung ihres Lebens liegen.

Kapitel 3

Clarissa saß seit fast einer Viertelstunde bei Anna im Wagen und die Fahrt war bisher schweigend verlaufen, als Anna schließlich von der Hauptstraße abbog und in eine Sandstraße einbog.

Als Clarissa um kurz vor drei Uhr wieder im Laden erschienen war, hatte die Frau namens Keira nur gesagt, sie finde es echt mutig, dass sie tatsächlich wieder gekommen sei, und Emma hatte gelacht, doch dann war Anna bereits die Treppe herunter gekommen, hatte sich von ihren Freundinnen verabschiedet und zu Clarissa gesagt: „Kommen Sie, mein Mann sieht es nicht gerne, wenn ich zu spät nach Hause komme.“ Das waren die letzten Worte gewesen, die sie seither zu Clarissa gesagt hatte, auch wenn Clarissa nicht genau wusste, warum Anna seither nicht mehr mit ihr sprach.

Nach wenigen Metern kam in einiger Entfernung eine Ranch in Sicht, die auf dem modernsten Stand schien und von hier aus sehr, sehr groß wirkte.

Ein großes, zweistöckiges Haus aus grauem Stein stand vor großen, weitläufigen Stallungen, und etwas weiter links konnte Clarissa ein weiteres Haus erkennen, dass allerdings hinter zahlreichen Pflanzen verborgen war.

Überhaupt wurde die ganze Ranch von vielen grünen und saftigen Bäumen und Sträuchern umgeben, die sie vor allzu vielen neugierigen Blicken zu schützen schienen, zugleich aber auch den Eindruck einer absoluten Idylle erweckten.

Die Journalistin setzte sich aufrechter hin, um das alles ein wenig genauer betrachten zu können und hatte sogar kurze Zeit das Bedürfnis, sich verwundert die Augen zu reiben, so unglaublich erschien ihr auf den zweiten Blick diese üppige Pflanzenpracht in dieser unfruchtbar scheinenden Gegend. All dieses Grün inmitten all diesem beinahe aggressiv wirkenden Rot wirkte auf Clarissa wie eine Fata Morgana.

Als Anna neben ihr zu lachen begann, wandte sich die Reporterin ihr zu und sah sie verwirrt an.

„Entschuldigung, aber du erinnerst mich gerade total an mich. Genauso muss ich damals ausgesehen haben, als Mike mich das erste Mal hierher brachte.“ Sie blickte ihr in die Augen. „Es ist doch ok, wenn wir uns duzen, oder?“

„Ja, natürlich.“ Clarissa sah wieder aus dem Fenster. „Das hier gehört alles deinem Mann?“

Anna nickte. „Das Land gehörte bereits lange vor Mikes Geburt seiner Familie. Sein Vater hat diese Ranch hier gebaut und als er sie Mike überschrieben hat, hat dieser sie ausgebaut. Das, was du jetzt siehst, ist zum Teil auch erst in den letzten Jahren entstanden.“

„Haben dein Mann oder du Zauberkräfte?“, fragte die Londonerin.

„Weshalb?“ Anna fuhr in den Hof ein. „Wegen all der Pflanzen?“

Clarissa nickte.

„Nein. Aber den Trick soll dir mein Mann selbst verraten. Er kann das viel besser erklären.“ Anna hielt den Wagen an und sah lächelnd durch die Frontscheibe auf drei kleine Jungs, die im Hof herumtollten und mit drei Hunden spielten, die um sie herumtobten.

„Huch, da ist ja ganz schön was los.“

„Ja.“ Anna strahlte und stieg aus dem Wagen, woraufhin einer der Jungs inne hielt und hochsah.

„Mom ist da!“

„Mummy ist gekommen!“

„Mummy!“

Die drei Jungs kamen auf Anna zugelaufen und die größeren beiden umarmten ihre Mutter glücklich und klammerten sich hinterher an ihre Beine, während Anna sich leicht bückte, den Kleinsten auf ihre Arme hob und zärtlich auf die Wange küsste.

„Hallo, meine Lieblinge. Na, wie geht es euch?“

„Gut.“

„Jimmy hat heute das erste Mal Männchen gemacht.“

„Und ich bin auf Sam geritten.“, rief der Kleinste.

„Du bist auf Sam geritten, so, so.“ Anna lachte und sah zu Clarissa.

Diese sah etwas irritiert aus. „Sind das deine?“

„Ja, das sind meine.“, antwortete Anna glücklich. „Darf ich dir vorstellen, das ist Daniel, mein Ältester.“ Sie drehte den Kopf des Jungen, der an ihrem linken Bein klammerte, zu Clarissa. „Das ist Jeremy, mein Zweitältester.“ Der Kopf des Jungen am rechten Bein wurde zu Clarissa gedreht. „Und das ist mein Jüngster, Sammy.“ Sie drückte dem Jungen, der auf ihrer Hüfte saß und Anna sehr ähnlich sah, einen weiteren Kuss auf.

„Sagt hallo zu Clarissa.“

„Hallo!“, tönte es aus drei Kindermündern.

Die Hunde, die vorher mit den Jungs gespielt hatten und ebenfalls gelaufen kamen, als Anna ausstieg, sprangen fröhlich um Anna und ihre Söhne herum und bellten aufgeregt.

„Na, ist ja gut.“ Sie streichelte einem der Hunde über den Kopf. „Ich freue mich ja auch, euch wiederzusehen.“ Sie lachte ausgelassen, als der Deutsche Schäferhund sie an der Hand ableckte.

„Die gehören wohl auch zur Familie.“, meinte Clarissa amüsiert, als sie sah, dass nun auch der Golden Retriever mit seiner Zunge über Annas Arm strich.

„Und wie.“ Sie beruhigte die Hunde mit ihrer sanften Stimme und Streicheleinheiten. „Das sind Sam, Micky und der kleine Jimmy.“ Sie beugte sich zu dem Schäferhund. „Micky ist dreizehn und gehörte deshalb schon zur Familie, noch bevor ich hierher kam. Auch Sam, der bald zwölf wird ist schon lange hier auf der Ranch.“ Sie ging mit Sammy am Arm in die Hocke und streichelte den kleinsten, der leise zu winseln begonnen hatte. „Jimmy hier ist ein Australien Shepard und kam erst vor ein paar Wochen zu uns.

Er ist knappe drei Monate alt und wurde zusammen mit seinen Geschwistern im Rotary Park gefunden, wo sie wohl kurz nach der Geburt ausgesetzt worden waren. Zack, unser Tierarzt, hätte die drei beinahe nicht durchbekommen, aber es waren drei tapfere kleine Kerle und als sie aus dem Gröbsten raus waren, nahmen wir Jimmy zu uns. Chuck lebt jetzt bei Keira und ihrem Mann Dylan, und Jones hat Zack selbst behalten.“

„Mein Gott, bist du süß!“ Clarissa ging ebenfalls in die Hocke und kraulte den Welpen hinter den Ohren. „Wer setzt denn so was wie dich einfach aus?“

„Tja, das fragen wir uns auch.“ Anna stand wieder auf. „Passiert aber leider immer wieder.“ Sie sah in Richtung der großen Stallungen und ein sanftes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, weshalb auch Clarissa sich erhob, um zu sehen, wer oder was sie so zum Lächeln brachte.

Von den Stallungen kam ein großer und muskulöser Mann herüber, dessen Haar strohblond war und in der Sonne beinahe zu leuchten schien. Auf seinem gebräunten Gesicht mit den markanten Gesichtszügen lag ebenfalls ein zärtliches Lächeln und seine intensiv grünen Augen schienen zu glänzen, als er Anna erblickte.

„Dachte ich mir doch, dass der Aufstand hier draußen nur bedeuten kann, dass du nach Hause gekommen bist.“ Er trat zu Anna und küsste sie so zärtlich und mit einer solchen Hingabe, dass Clarissa kurz das Bedürfnis hatte, sich unsichtbar zu machen, um nicht zu stören. „Hallo, Liebling.“

„Hi, Baby.“ Annas Lächeln hätte nicht glücklicher sein können.

Er nahm Sammy aus ihren Armen. „Und habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich nicht immer von Mummy durch die Gegend tragen lassen?“ Er warf ihn sich über die Schulter und der Junge kreischte ausgelassen und strampelte mit seinen kleinen Beinen, sodass der Mann ihn ein paar Sekunden später am Boden absetzte. „Na los, ab mit euch!“

Sowohl alle drei Jungs, als auch die Hunde reagierten wie auf Kommando und rannten wild schreiend und bellend wieder davon, was die beiden grinsend betrachteten.

„Wo ist Stella?“, fragte Anna und holte ihre Tasche aus dem Auto.

„Sitzt in der Küche und macht Hausaufgaben.“ Der Mann blickte nun zu Clarissa. „Wie es scheint, hast du noch jemanden mitgebracht.“

„Richtig.“ Anna trat zu der Journalistin. „Das ist Clarissa Miller.“

„Freut mich.“ Er streckte ihr die Hand entgegen. „Mike Williamson. Ich bin Annas Ehemann.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“, erwiderte Clarissa höflich.

„Sind Sie eine Kundin von Anna?“, wollte ihr Ehemann wissen.

„Nein…ich….“ Sie blickte unsicher zu Anna.

Diese lächelte. „Clarissa ist hier, weil sie ein Buch über mich schreiben will.“

„Sie will ein Buch über dich schreiben?“, fragte Mike, schien allerdings nicht sonderlich überrascht. „Wie das?“

„Weil sie denkt, meine Geschichte gäbe guten Stoff für ein Buch ab.“,

meinte seine Frau und blickte ihn misstrauisch an.

„Tatsächlich?“ Mike sah Clarissa durchdringend an. „Nun, da hat sie wohl nicht ganz unrecht.“

Anna kniff die Augen zusammen. „Du wirkst gar nicht sonderlich überrascht.“

„Was?“ Er sah gespielt erschrocken drein. „Natürlich bin ich überrascht.“

„Nein, bist du nicht.“, beharrte Anna. „Ich kenne dich. Du wusstest schon davon.“

„Ich…“ Als er Annas Blick sah, überlegte er sich seine Antwort augenscheinlich anders. „Vielleicht hatte ich schon eine kleine Ahnung.“

„Eine kleine Ahnung?“ Anna stemmte erwartungsvoll die Hände in die Hüften.

Mike seufzte. „Jacko hat mich heute Vormittag angerufen. Er hat mir erzählt, dass gestern eine Frau im Hotel abgestiegen sei, die nach dir gefragt hätte und ihm gegenüber zugegeben hätte, ein Buch über dich schreiben zu wollen. Er hat mir gesagt, dass er ihr nach reichlichen Überlegungen die Adresse deines Ladens gegeben hätte und dass sie vorhätte, heute zu dir zu gehen.“

„Super! Bravo!“ Anna setzte sich ärgerlich in Bewegung. „Er wollte, dass du es verhinderst.“

„Nein, er wollte nicht, dass ich es verhindere.“ Mike folgte ihr und Clarissa sah keine andere Möglichkeit, als den beiden ebenfalls hinterher zu laufen.

„Er hat mir nur die Möglichkeit gegeben, einzugreifen.“

„Oh, fantastisch!“, rief Anna und drehte sich mit blitzenden Augen zu ihm um. „Wie freundschaftlich.“