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Kayla Drake wurde seit ihrer frühesten Kindheit auf eine Aufgabe vorbereitet, die ihr vom Schicksal in die Wiege gelegt wurde und die sie mit fünf anderen Auserwählten, fünf Wesen mit besonderen Fähigkeiten zusammenführen würde. Sie weiß um die Gefahren, die sie dabei erwarten können und ist bereit für die Zusammensetzung der verschollenen Splitter des Steins des Lebens zu kämpfen und wenn nötig, ihr Leben dafür zu geben. Doch als sie auf Alexander McLoyd trifft, den Vampir, der einst von ihrem größten Feind Marcus Black aus Rache verwandelt worden war, geraten ihre Vorsätze und Prinzipien gewaltig ins Wanken und schon bald wird sie mit Dingen konfrontiert, die ihre eiserne Entschlossenheit auf eine harte Probe stellen. Sie erlebt Gefühle, denen sie sich nie ausliefern wollte und muss schließlich für sich selbst, aber auch für ihr Team und Alex entscheiden, ob sie diese zulassen oder lieber fest in sich verschließen will. Denn während sie sich auf den letzten großen Kampf vorbereiten, wird immer klarer, dass es um Leben und Tod für sie alle geht und sie alles verlieren könnten, sollten sie nur einen falschen Schritt tun.
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Seitenzahl: 1373
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Für all meine verrückten Kolleginnen,
ohne die es eine ganz bestimmte Szene in diesem Buch nie so geben würde
(Ich glaube, ihr wisst, wovon ich spreche)
Danke für eure Unterstützung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Epilog
Glossar
Serena zog die rosafarbene Decke, die sie während ihrer Schwangerschaft selbst gehäkelt hatte, über dem kleinen Körper ihrer sechs Wochen alten Tochter Katie zurecht und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, während Katie selbst vollkommen friedlich in ihren Armen schlief und scheinbar nichts um sich herum wahrnahm. An Serenas Seite ging ihr Mann Kyle, einen Arm um ihre Taille geschlungen und den Blick wachsam auf das gerichtet, was vor ihnen lag. Den Blick auf den Weg gerichtet, der zu dem Heiligtum führte, das sie besuchen wollten, um den Segen für ein langes und gesundes Leben ihrer kleinen Tochter zu erbitten.
Hinter Serena ging ihre ältere Schwester Selene, die ihren kleinen Sohn Lucas an der Hand hatte, der schon bald fünf Jahre alt werden würde und Serena wusste, dass ihre Schwester und deren Mann Luke, der ebenfalls dabei war und die andere Hand ihrer Schwester fest in seiner hielt, seit ein paar Wochen versuchten, ein Geschwisterchen für ihren Jungen zu zeugen. Selene hatte Serena bei der Geburt von Katie geholfen, war gekommen, um ihr beizustehen und nachdem sie ihr einige Stunden nach Beginn der Wehen ihre Tochter in den Arm gelegt hatte, hatte sie ihr gestanden, dass sie und Luke auch noch einmal ein Kind haben möchten, dass auch sie gerne dieses Wunder noch einmal erleben möchte, ein kleines Lebewesen mit dem Mann, den sie liebte, zu erschaffen und anschließend gemeinsam großzuziehen. Und genau deshalb waren Selene und ihr Mann heute ebenfalls mitgekommen, um das Große Heiligtum, den Stein des Lebens, wie er auch genannt wurde, darum zu bitten, ihnen erneut ein Kind zu schenken.
Als ihr Mann Kyle den Griff um ihre Taille ein wenig verstärkte und sie mit einer kleinen Kopfbewegung dazu aufforderte, ihren Blick nach vorne zu richten, sah sie hoch und entdeckte das warme und sanfte Licht, das von dem Kristall ausging und seine gesamte Umgebung taghell erscheinen ließ, obwohl die Sonne in Wirklichkeit bereits vor fast einer Stunde untergegangen war.
„Mein Gott, er ist wunderschön.“ Serena verlangsamte ihren Schritt ein wenig und lehnte sich dabei an Kyle. „Ich habe schon so viele Geschichten über den Stein des Lebens gehört, aber ich hätte mir nie zu träumen gewagt, dass er tatsächlich von solcher Erhabenheit ist.“
„Man kann seine Magie förmlich fühlen.“ Selene blieb neben ihr stehen, schloss ihre Augen und richtete ihr Gesicht gen Himmel. „Spürst du das? Diese unglaubliche Kraft, die von ihm ausgeht? Diesen Zauber, der die ganze Umgebung einzuschließen scheint?“
„Er muss wirklich verdammt mächtig sein, wenn man bedenkt, von wie vielen Schichten und Schutzschilden er umgeben ist und es dennoch schafft, seine Macht so demonstrativ auszustrahlen.“ Luke stellte sich hinter seine Frau und legte ihr die Hände auf die Schultern. Kyle betrachtete den mächtigen Stein, der auf einem großen Felsbrocken lag, dessen Oberfläche so glatt geschliffen war, dass er das Licht des Kristalls beinahe spiegelte. Eine gewölbte Glasglocke war über den funkelnden Kristall gestülpt, sodass niemand ihn berühren konnte und der Zauber einer mächtigen Hexe, der Hüterin des Steins, wie man sie nannte, schützte ihn zusätzlich vor dem Zugriff Fremder, die seine Macht vielleicht missbrauchen wollen würden.
„Wenn seine Macht es nicht schaffen würde, durch die Schutzschilde zu dringen, würden nicht jährlich so viele Leute hierher pilgern, um den Segen des Steines zu erbitten und ihm ihre geheimsten Wünsche anzuvertrauen, in der Hoffnung, dass sie durch ihn und seine Kraft in Erfüllung gehen würden.“
„Das allein ist nicht der Grund.“, meinte Serena. „Sie kommen jedes Jahr am letzten Tag des Jahres in Scharen hierher, weil es genügend Beweise gibt, dass der Zauber des Kristalls wirkt. Weil es genügend Geschichten darüber gibt, dass sich die Wünsche und Sehnsüchte der Leute tatsächlich im darauffolgenden Jahr erfüllt haben, wenn sie zuvor hier gewesen waren und sie dem Stein anvertraut hatten.“
„Und genau darum sind auch wir hier.“ Selene lächelte ihre jüngere Schwester an. „Weil wir hoffen, dass der Stein des Lebens uns erhört und uns das gibt, was wir uns für die Zukunft am meisten wünschen.“ „Ein langes und gesundes Leben voller Glück und Freude für unsere kleine Tochter.“, erwiderte Serena und sah verträumt auf ihr schlafendes Kind hinunter.
„Und die Chance auf ein weiteres Kind, auf ein gesundes und munteres Geschwisterchen für unseren kleinen Sohn, der uns jeden Tag so viel Freude bereitet und unser Herz mit Liebe füllt.“ Luke beugte sich zu seiner Frau und küsste sie auf die Schläfe, bevor er nach Lucas griff und ihn sich schwungvoll auf die Schultern setzte, was diesen erfreut aufkreischen ließ. „Darum lasst uns gehen und unsere Wünsche aussprechen, bevor das Jahr zu Ende geht und wir unsere Chance vertan haben.“
Serena sah ihrem Schwager schmunzelnd nach. „Dein Mann gibt gerne den Ton an, oder?“
Selene zuckte die Schultern. „Er ist ein geborener Anführer. Das wusste ich schon, als ich ihn das erste Mal sah.“
„Aber das hat dich nicht davon abgehalten, dich unsterblich in ihn zu verlieben, nicht wahr?“ Die Jüngere stupste ihre Schwester an der Schulter an.
„Nein. So wie dich der Umstand, dass Kyle von königlichem Blut und der Anführer des schottischen Wolfsrudels war, nicht davon abgehalten hat, ihm Hals über Kopf dein Herz zu schenken, oder?“
Selene schubste zurück.
„Ich denke, die MacPhee-Schwestern stehen einfach auf starke Männer, auf Anführer, die anderen zeigen, wo es lang geht, während sie sich zu Hause von ihren Frauen problemlos führen lassen.“ Kyle grinste und raubte seiner Frau einen kurzen Kuss, bevor er seinem Schwager folgte und in Richtung des Kristalls davonschlenderte.
„Das kommt nur davon, weil ihr Angst vor uns und unseren Kräften habt.“, rief Serena ihm nach und wandte sich hinterher ihrer Schwester zu. „Die beiden glauben wirklich, sie hätten die Hosen an, nicht wahr?“
„Lassen wir sie doch in dem Glauben.“ Selene legte einen Arm um ihre Schwester. „Ein zufriedener Ehemann verhält sich artiger als ein unzufriedener, glaub mir.“
„Pff.“ Serena musste lachen. „Wenn du glaubst, dass das auf Kyle zutrifft, kennst du ihn kein Stück.“
„Er vergöttert dich, Serena.“ Selene führte die Jüngere gemächlich in Richtung Altar. „Dich und die Kleine ebenfalls. Das kann ein Blinder sehen.“
„So wie seit vielen Jahren jeder sehen kann, was Luke und du füreinander empfindet, entgegen aller Regeln.“ Serena legte der Älteren die Hand auf den Arm. „Selene, was da damals geschah…“
„…ist Vergangenheit und heute vollkommen unwichtig.“, unterbrach Selene ihre Schwester sofort.
„Nein, ist es nicht.“ Serena hielt Selene zurück, als diese einfach weitergehen wollte. „Wir haben nie wirklich darüber gesprochen, aber dieser heilige Ort hier scheint wie prädestiniert dafür, endlich einmal ein paar Dinge auszusprechen.“
„Serena…“
„Viele Leute haben damals nicht gutgeheißen, dass du dich mit Luke McLoyd, einem Jäger, eingelassen hast. Viele Leute waren lange Zeit gegen eure Beziehung, weil eine Hexe einfach nicht mit einem Jäger zusammen sein sollte. Noch dazu mit einem irischen.“ Serena ließ sich nicht davon abbringen, zu sagen, was sie sagen wollte. „Und ich war so jung, dass ich den Fehler gemacht habe, auf diese Leute zu hören. Auf unseren Zirkel zu hören, der mit aller Kraft verhindern wollte, dass du Luke heiratest.“
„Serena, hör auf.“, bat die Ältere.
„Nein.“ Serena schüttelte den Kopf. „Du hast mir vertraut. Und du warst immer für mich da. Nachdem Mum gestorben war, hast du mich großgezogen. Und als auch Dad starb….es gab nur noch uns beide und ich hätte dir mehr vertrauen sollen. Hätte genauer hinsehen sollen, hätte mir nicht von den anderen so viel einreden lassen sollen, weil ich dich doch eigentlich am besten kannte. Weil ich doch eigentlich am besten wusste, dass du nie jemand warst, der leichtfertig gegen Regeln verstieß oder Dinge tat, die nicht in Ordnung waren. Ich hätte wissen sollen, dass es dir ernst ist, hätte schon viel früher erkennen sollen, wie sehr du Luke tatsächlich liebst und dass ich das nicht getan habe, tut mir leid.“
„Serena, du warst kaum sechszehn. Du warst viel zu jung, um all diese Dinge verstehen zu können. Darum mache ich dir überhaupt keinen Vorwurf.“
„Ich mag damals kaum sechszehn und daher sehr jung gewesen sein. Doch in diesem Alter hattest du bereits die Mutter- und die Vaterrolle für mich übernommen, da Dad in dem Jahr starb, in dem du sechszehn geworden warst.“
„Ich habe getan, was ich tun musste und ich bereue keinen Tag und keine Sekunde davon, Serena.“, machte Selene ihr klar.
„Und das musst du auch nicht. Aber ich bereue, dass ich dir und Luke Steine in den Weg gelegt habe, die es nicht gebraucht hätte. Vor allem, da du vor drei Jahren ohne weiteres akzeptiert hast, dass ich mich in einen Werwolf verliebt habe. Und zudem noch in den Rudelführer.“ Serena atmete tief durch. „Du hast das Ganze nie hinterfragt, hast nie an mir gezweifelt und du hast mich und Kyle unterstützt, wo du nur konntest.“
„Vielleicht eben, weil ich es am eigenen Leib erlebt hatte, wie schlimm es sein kann, wenn jemand deine Liebe zu einem Menschen zerstören möchte, nur, weil er anders ist, weil er einer Gruppe angehört, die feindlich angesehen wird, die für unpassend empfunden wird.“, überlegte Selene. „Ich habe selbst erlebt, dass das Herz sich nicht betrügen und vor allem nicht von Konventionen leiten lässt. Von völlig fehlgeleiteten Konventionen, möchte ich dazu sagen, weil die Jäger eigentlich nichts tun, was wir nicht auch schon getan haben. Sie beschützen die Erde vor dem Bösen. Und wenn Hexen böse werden und schwarze Magie anwenden, dürfen wir doch unseresgleichen ebenso töten. Warum sollten wir also Jäger dafür verurteilen, wenn sie böse Hexen töten, die anderen Schaden zufügen?“
„Du warst schon immer stärker und standhafter in solchen Dingen. Hast dir immer deine eigene Meinung gebildet und diese trotz Gegenwind vertreten, wenn du überzeugt davon warst, dass es richtig ist.“, wusste die Jüngere.
„Und ich war überzeugt davon, dass Kyle der Richtige für dich ist, weil ich gesehen habe, was er für dich empfindet. Weil ich erkannt habe, wozu er bereit wäre, um dich und eure Beziehung, eure Liebe zu schützen und zu verteidigen.“ Selene ließ ihren Blick zu ihrem Schwager gleiten, der neben ihrem Mann stand und herzhaft über etwas lachte, was dieser wohl gesagt hatte. „Kyle ist ein guter Mann und ein guter Rudelführer. Er und seine Wölfe verletzen keine Menschen und sie haben einen Weg gefunden, friedlich mit uns allen zusammenzuleben. Warum also hätte ich euch Steine in den Weg legen sollen?“
„Weil viele das alleine aus Rache getan hätten.“, meinte Serena.
„Aus Rache?“ Selene sah ihre Schwester ungläubig an. „Serena, du bist meine Schwester. Meine kleine, süße, unschuldige Schwester. Welchen Grund hätte ich jemals gehabt, mich an dir zu rächen?“
Die kleine Schwester schüttelte den Kopf. „Dass du das nicht verstehst und keinen Grund zur Rache siehst, sagt alleine schon aus, was für ein gutes und weiches Herz du hast. Und darum bin ich unglaublich froh, dich als Schwester zu haben.“
Selenes Augen wurden ganz weich und sie zog die Jüngere an sich. „Und so wird es auch immer bleiben. Wir beide gegen den Rest der Welt, ja?“
„Ja.“ Serena schlang ihren Arm um die Taille der Älteren. „Und jetzt lass uns zu unseren Männern gehen, bevor sie uns holen kommen.“
Die beiden schlenderten Arm in Arm und lächelnd zu ihren Männern, die bereits vor dem Altar auf sie warteten und ihnen die Hände entgegenstreckten, als sich plötzlich dunkle Wolken vor den fast vollen Mond schoben und das Licht um sie herum mit einem Mal zu schwinden schien. Wind kam auf und wehte eisig über die felsige Landschaft der Insel hinweg und ein Kreischen ertönte aus dem Himmel, das Serena und Selene die Köpfe hochreißen ließ, während Luke bereits nach dem Schwert griff, das fast immer im Waffengurt an seiner Hüfte ruhte. Kyle stellte sich schützend vor seine Frau und die kleine Tochter, die sich unruhig zu bewegen begann, und mit einem Mal schossen geflügelte Wesen durch die dunklen Wolken, die noch finsterer als der Nachthimmel wirkten.
„Vampire.“ Luke zog das Schwert aus der Scheide und hob seinen Sohn von seinen Schultern. „Selene, nimm Lucas und versteckt euch.“
„Nein.“ Selene nahm ihren Sohn zwar an der Hand, stellte sich aber entschlossen neben ihren Mann. „Ich kann helfen. Ich kann meine Magie einsetzen, um die Vampire aufzuhalten.“
„Ich werde Luke helfen.“ Kyle stellte sich kampfbereit neben seinen Schwager, während seine Augen gelb aufleuchteten. „Ihr müsst die Kinder von hier wegbringen.“
„Die Kinder und die anderen Leute, die sich noch hier aufhalten.“ Luke ließ einen Blick über die Gegend schweifen, wo sich unzählige Leute in kleinen Grüppchen unweit des Altars eingefunden hatten und nun mit schreckgeweiteten Augen in den Himmel blickten.
„Aber…“, wollte Serena einwenden.
„Kein Aber.“ Kyle drehte sich zu ihr um und nahm sie bei den Schultern. „Bring unsere Tochter in Sicherheit, Serena. Sie braucht dich, so wie auch all die Leute hier eure Hilfe brauchen.“
„Ihr könnt sie mit eurer Magie besser beschützen als wir. Wir eignen uns eher für den Kampf.“, ergänzte Luke.
„Luke…“
„Geh, Selene.“ Er trat zu ihr und küsste sie kurz, aber dennoch voller Liebe und Vertrauen. „Wir kommen hier schon zurecht.“ Er beugte sich auch zu seinem Sohn hinab und küsste ihn auf das flachsblonde Haar, das er von ihm selbst geerbt hatte. „Pass gut auf deine Mutter auf, mein Sohn, ja?“
Lucas nickte mit ernsten Augen und begann an der Hand seiner Mutter zu ziehen.
„Serena.“ Selene streckte ihre andere Hand nach ihrer Schwester aus.
„Ich…“ Serena sah unentschlossen auf ihre Tochter hinab, bevor sie die Augen wieder auf ihre Schwester richtete und eine Entscheidung traf. „Nimm du Katie mit.“ Sie drückte ihre Tochter in die Arme der Älteren. „Bring die beiden irgendwohin, wo sie in Sicherheit sind und nimm die anderen mit. Ich werde Kyle und Luke hier helfen und sie mit meiner Magie unterstützen.“
„Aber…“
„Serena, nein.“, protestierten ihre Schwester und ihr Mann gleichzeitig.
„Doch.“, erwiderte sie entschieden. „Selene hat Recht, wenn sie sagt, dass ihr die Unterstützung von uns gebrauchen könntet. Und ihr habt Recht, wenn ihr sagt, dass nur eine von uns die Leute und die Kinder mit Magie beschützen kann. Darum teilen wir uns einfach auf, sodass eine von uns euch helfen kann und die andere die Menschen hier beschützt.“
„Und warum gehst du dann nicht mit den anderen und den Kindern und lässt mich hierbleiben?“, wollte Selene wissen. „Katie ist noch viel kleiner als Lucas. Sie braucht dich viel mehr als mein Sohn mich im Moment.“
„Weil ich dir vertraue und weil wir im Moment auch gar keine Zeit mehr für lange Diskussionen haben.“ Serena hob ihre Hände, als sich die ersten Vampire aus dem Himmel stürzten und auf die Menschen losgehen wollten. „Incendere!“
Der Feuerzauber traf die drei Vampire so unvorbereitet, dass ihnen keine Möglichkeit mehr blieb, auszuweichen oder anderweitig zu reagieren, sodass sie wie wahre Feuerbomben zur Erde fielen, was die ersten Menschen veranlasste, schreiend davonzulaufen.
„Na los.“, rief Serena ihrer Schwester zu, die den Ernst der Lage erkannte und daher beschloss, einfach zu tun, worum sie gebeten worden war.
Deshalb nahm sie ihre kleine Nichte noch fester in den Arm, verstärkte den Griff um die Hand ihres Sohnes und rief den anderen Leuten zu, dass sie ihr folgen sollten, während sie einen Schutzzauber aussprach, der alle in ihrer Umgebung mit einem Schutzschild umgeben würde, solange bis sie außer Reichweite der Vampire wären.
„Da kommen die nächsten.“ Luke hatte seiner Frau ein paar Sekunden lang mit erstem Gesicht nachgesehen, jetzt schwang er sein Schwert kampfbereit und stürzte sich den zwei Vampiren entgegen, die ein paar Meter neben ihnen landeten und ihrerseits zum Kampf übergingen.
„Du hättest gehen sollen.“, sagte Kyle neben ihr. „Luke und ich hätten das schon geschafft.“
„Ich weiß.“ Serena griff nach seiner Hand. „Zusammen sind wir trotzdem stärker.“
„Was soll ich dazu noch sagen?“ Ihr Mann hob ihre Hand zu seinem Mund und hauchte einen Kuss darauf. „Starrsinniges Weib.“
Sie schmunzelte und warf sich im selben Moment zur Seite, als ein Vampir direkt auf sie zuflog und sie beinahe gerammt hätte.
„Na warte.“ Kyle hatte sich innerhalb von Sekunden in einen Wolf verwandelt und ging auf den Vampir los, der hinter ihnen gelandet war und seine Zähne fletschte.
„Kyle!“ Serena wollte ihrem Mann helfen und den Vampir mit einem Zauber schwächen, doch sie wurde von hinten gepackt und weggezogen. „Was zum…“ Sie befreite ihre Hände so weit, dass sie nach hinten schlagen konnte und sprach gleichzeitig einen Schmerzzauber aus. „Dolor!“
Der Vampir, der sie geschnappt hatte, ging vor Schmerz in die Knie und lockerte seinen Griff um sie, sodass sie sich ganz befreien konnte, sich blitzschnell umdrehte und den Untoten durch einen erneuten Feuerzauber genau wie seine Komplizen zuvor verbrennen ließ.
„Alles in Ordnung?“ Luke, der die beiden Vampire von zuvor geschickt enthauptet und einem weiteren auf dem Weg zu seiner Schwägerin das Schwert mit der Silberklinge mitten durch sein kaltes, totes Herz gejagt hatte, berührte Serena an der Wange, wo sie wohl einen Kratzer davongetragen hatte.
„Ja, alles gut.“ Sie wischte sich selbst das Blut von der Wange und sah zu Kyle, der seinem Gegner gezielt die Kehle durchgebissen hatte, sodass das Blut nur so floss. „Wie viele glaubst du, dass noch kommen werden?“
„Keine Ahnung.“ Luke sah in den Himmel, wo sich weiterhin etliche geflügelte Gestalten aufhielten. „Die Frage ist eher, was genau sie überhaupt hier wollen.“
„Könnt ihr das denn nicht erraten?“
Beide wirbelten herum, als sie die tiefe, kalte Stimme vernahmen, die zu ihnen sprach.
„Marcus Black.“ Luke erkannte den uralten und mächtigen Vampir sofort, der ihm als Jäger schon unzählige Male in Form von Geschichten begegnet war, dem er bisher allerdings erst ein einziges Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüber gestanden war.
„Mein Ruf scheint mir wie immer vorauszueilen.“ Marcus zeigte ein sarkastisches Lächeln. „Du bist einer der McLoyds, nicht wahr? Luke McLoyd, wenn mich nicht alles täuscht.“
„Der älteste Sohn.“, bestätigte Luke. „Falls du dich nicht mehr daran erinnerst, dass wir schon einmal gegeneinander gekämpft haben.“
„Stimmt, ich erinnere mich, auch wenn es schon viele Jahre her ist.“ Der Vampir machte ein nachdenkliches Gesicht. „Die McLoyds und die McKennans. Zwei der bekanntesten und mächtigsten Jägerfamilien Irlands. Die Frage ist nur, was dich damals und heute nach Schottland führte. Schaffen es die McEwans, eure schottischen Freunde, nicht mehr alleine, gegen uns zu kämpfen?“
„Die McEwans sind nicht der Grund, warum ich hier bin.“ Luke hob sein Schwert. „Aber vielleicht verrätst du mir ja den Grund, warum du hier bist.“
Auf dem Gesicht des Untoten breitete sich ein gemeines und grausames Lächeln aus und er hob eine seiner klauenhaften Hände, woraufhin eine Frau aus den Schatten hinter ihm trat. „Darf ich euch vorstellen, das ist Morag, meine Hexe. Morag, zeig unseren Freunden, warum wir hier sind.“
Die Hexe hob ihre Hände, begann, eine Beschwörungsformel zu murmeln und kurz darauf konnten Serena, Luke und Kyle dabei zusehen, wie die Schutzschilde um den Stein herum schmale Risse bekamen, die immer größer wurden und das Ganze zu sprengen drohten.
„Du willst den Stein des Lebens.“, wurde Serena mit Schrecken klar und sie hob ihre Hände, um die Hexe daran zu hindern, die Schutzschilde zu durchdringen. „Repellunt!“
Die Hexe wurde tatsächlich nach hinten gestoßen und verlor kurz ihren Halt, doch nur Sekunden später schleuderte sie ihre gesamte Magie in Richtung des Steins und die Schutzschilde barsten mit einem schrecklichen donnernden und klirrenden Geräusch.
„Nein!“ Ohne zu zögern, warf Serena sich nach vorne, schloss ihre Hand um den Kristall, bevor einer der anderen es tun konnte und zog ihn schützend an ihren Körper, wo sie augenblicklich seine Macht auf sich abstrahlen fühlte.
„Du verdammte kleine Hure.“ Marcus schoss auf sie zu, um ihr den Stein des Lebens abzunehmen und wurde dabei dermaßen heftig von der Seite gerammt, dass ihm für einen Moment die Luft wegblieb, die er eigentlich gar nicht mehr zum Leben brauchte.
„Kyle!“ Serena sah, wie Kyle sich auf Marcus stürzte, um sie zu schützen, doch auch sie kannte all die grausamen Geschichten über den jahrhundertealten Vampir, der keine Opfer scheute, um zu bekommen, was er haben wollte. „Luke, kümmere dich um die Hexe. Ich helfe Kyle.“
Luke hinterfragte ihre Bitte, ihren Befehl keine Sekunde lang, da er genügend Kämpfe erlebt hatte, um zu wissen, dass es manchmal um Sekunden gehen konnte, weshalb er sofort mit seinem Schwert auf die Hexe losging und geschickt den Zaubern auswich, die sie auf ihn abfeuerte.
„Rigescunt indutae!“ Serena rannte zu Kyle und Marcus, die sich auf dem Boden wälzten und dabei erbittert mit Zähnen und Klauen gegeneinander kämpften, wobei sie einen Lähmungszauber aussprach, der Marcus nur leider verfehlte, da er sich in dem Moment wegrollte.
„Ihr verdammten…“ Marcus war mehr als wütend, als er Kyle endlich zu greifen bekam, ihn fest packte und von sich runterschleuderte. „Was glaubt ihr eigentlich, mit wem ihr es hier zu tun habt? Was glaubt ihr eigentlich, wem ihr euch hier in den Weg stellt?“
„Es ist mir scheißegal, wer du bist, den Stein des Lebens wirst du niemals bekommen.“, versprach ihm Serena.
„Das werden wir ja sehen.“ Marcus war so schnell in seinen Bewegungen, dass sie vor Serenas Augen verschwammen, doch die Macht des Kristalls, den sie in den Händen hielt, half ihr, sich dennoch zu wehren und Marcus mit einem Zauber zurückzuschleudern, bevor er sie erreichen konnte.
„Du kleines Biest.“ Der Untote kam blitzschnell wieder auf die Beine und gab zwei seiner Lakaien gleichzeitig ein Zeichen aus dem Himmel zu schießen, sodass Serena an zwei Fronten gleichzeitig hätte kämpfen müssen, was ihr unmöglich gelingen konnte.
SERENA! Der Schrei explodierte regelrecht in ihrem Kopf und sie spürte, wie sie weggerissen wurde, wie jemand auf ihr landete und gleichzeitig ihren Sturz etwas abmilderte, bevor ein hohes Jaulen, ein schmerzerfülltes Heulen ertönte und dieser Jemand von ihr heruntergerissen wurde.
„Kyle, nein.“ Serena wusste, wer sie zur Seite gestoßen und mit seinem eigenen Körper geschützt hatte, sie wusste, woher der Schrei in ihrem Kopf gekommen war und sie traute sich kaum, die Augen zu öffnen und sich aufzusetzen, weil sie glaubte zu wissen, was sie sehen würde. „Du elender Wolf willst dich mir wirklich ein zweites Mal in den Weg stellen?“ Marcus schritt zu dem Wolf, der gerade mit den zwei Lakaien kämpfte, die ihm bereits ein paar tiefe Wunden in die Flanken und oberhalb der Schnauze gerissen hatten, und stieß ihm seine langen Krallen mitten in den Rücken.
Mit einem weiteren Heulen bäumte sich Kyle auf und schlug seinerseits mit seinen Wolfsklauen nach Marcus, doch dieser schleuderte ihn von sich und wandte sich stattdessen wieder Serena zu, die sehen konnte, wie Kyle noch ein paar Sekunden zuckte, bevor er erschlaffte und besinnungslos liegenblieb.
„Nein, bitte, nicht.“ Serena war starr vor Schock und Wut und Trauer, weshalb es ihr nicht gelingen wollte, auf die Beine zu kommen. „Kyle, bitte, nicht.“
„Oh, hat dir dieses kleine Wolfsvieh etwa so viel bedeutet?“ Marcus zog sie rücksichtslos auf die Beine. „Wenn du willst, dass ich dich und die anderen hier auf der Insel nicht auch noch töte, solltest du mir lieber den Stein aushändigen. Und zwar sofort.“
Serena sah noch immer hinüber zu der Stelle, wo Kyle blutend und regungslos lag, was plötzlich eine solche Wut durch sie hindurchfegen ließ, dass sie Marcus ins Gesicht spuckte und den Stein nur umso fester nahm. „Fahr zur Hölle, du Monster.“
„Oh, da lass ich dir gerne den Vortritt.“ Der Vampir holte mit seiner Klaue aus, doch bevor er zuschlagen konnte, wurde er mit einer solchen Wucht von ihr fortgestoßen, dass Serena einen Moment lang nicht wusste, wie ihr geschah.
„Lass bloß die Finger von meiner Schwester.“, ertönte im selben Moment eine Stimme unweit von ihr.
„Selene.“ Serena hätte die Stimme aus hunderten erkannt und als sie den Kopf drehte, sah sie tatsächlich ihre Schwester ein paar Meter von ihr entfernt stehen, die Hände kampfbereit gehoben und bereits den nächsten Zauber aussprechend, der die beiden Lakaien von Marcus traf, die an Ort und Stelle grausam starben, als ihr Blut in ihrem Körper verdampfte.
„Wie…“ Marcus hatte sich wieder aufgerappelt und sah mit blitzenden Augen zu Selene, die bedrohlich auf ihn zukam.
„Scher dich zum Teufel, Marcus Black, oder stirb hier mit deinen Lakaien auf grausamste Weise.“ Selene hob ihre Hände in den Himmel, wo weiterhin ein paar seiner Vampire flogen und schickte einen mächtigen Feuerzauber hinauf, der dutzende innerhalb von Sekunden in Flammen aufgehen ließ, sodass sie brennend zur Erde stürzten und als Häufchen Asche endeten. „Na, was sagst du?“
Marcus drehte sich um, als er ein Geräusch hinter sich vernahm und Luke herannahen sah, mit einem blutverschmierten Schwert und dem Kopf seiner Hexe in der Hand, die er wohl erledigt hatte.
„Das werdet ihr mir büßen.“ Der Untote wusste, dass er verloren hatte und nur mehr gewinnen konnte, wenn er floh und den Kampf um den Stein vertagte. „Ihr alle hier werdet dafür büßen. Denn ich werde euch verfolgen und einen nach dem anderen töten, bis der Stein endlich mir gehört. Das ist ein Versprechen.“
Mit diesen Worten erhob er sich in die Lüfte und verschwand in den dunklen Wolken, die sich wenig später ebenfalls verzogen, sodass das Licht des Mondes den Blick auf die blutige Szene freigeben konnte, die sich vor Serenas Augen ereignet hatte. Die blutige Szene, die das Leben ihres geliebten Mannes gefordert hatte, wie Serena in der Tiefe ihres Herzens wusste, auch ohne, dass sie zu ihm hinüberging und seinen leblosen Leib berührte. Denn der funkelnde, machtvolle Kristall in ihrer Hand sagte ihr das und sandte ihr bereits Bilder, die sie am liebsten verdrängen und so schnell wie möglich vergessen wollte. Bilder von Krieg, Bilder von Blut und von Tod, Bilder von unzähligen Kämpfen, die all ihren Lieben das Leben kosten würden. All ihren Lieben und auch ihr. Doch die Entscheidung war getroffen worden und was auch immer sie jetzt tun würde, es war nie wieder rückgängig zu machen, dessen war sie sich bewusst. Deshalb ließ sie den Stein des Lebens, der nach wie vor machtvoll in ihrer Hand pulsierte, in ihre Rocktasche gleiten, straffte sich entschieden und ging zu ihrem Mann hinüber, um sich für immer von ihm zu verabschieden. Um sich für immer von dem Leben zu verabschieden, dass sie vor einer Stunde noch dachte, dass sie führen würde. Denn das Ende hatte seinen Anfang genommen.
Nahe Selfoss, Island, mehr als hundert Jahre später…
Kayla, die Werwölfin, stand im strömenden Regen mit gefletschten Zähnen und zitterndem Leib, während sich ihr das Fell sträubte und ein lautes Knurren aus ihrem Maul kam.
Adam, der Damönenjäger, stand ihr gegenüber, sein Schwert kampfbereit erhoben und jeden Muskel seines Körpers angespannt, während er abwartete, welchen Schritt Kayla als nächstes tun würde. Regen tropfte ihm aus den goldblonden Haaren, die ihm in die Augen hingen, welche beinahe dieselbe goldene Farbe hatten und jede ihrer Bewegungen wahrzunehmen schienen. Jede ihrer Bewegungen beinahe zu analysieren schienen, was ihm allerdings nicht viel helfen würde, wenn Kayla es wirklich darauf anlegen und ihn mit ihren Zähnen und Krallen angreifen würde. Zumindest glaubte sie das fest, als sie zum Sprung ansetzte und sich mit Anlauf auf ihn werfen wollte, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Adam reagierte sofort, stellte sich noch breitbeiniger hin und rammte seine Füße regelrecht in den schlammigen Boden, doch bevor Kayla bei ihm ankommen und ihn rammen konnte, wurde sie von der Seite attackiert und somit von Adam fortgestoßen.
Kayla jaulte auf, als sie dermaßen hart in die Seite getroffen wurde, dass sie beinahe ihre Rippen knacksen hören konnte, doch ihr blieb keine Zeit, sich darauf zu konzentrieren, da der elende Vampir Alex, der sich auf sie geworfen hatte, mit ihr durch den Schlamm rollte und sie unter sich zu begraben versuchte.
Verdammter Blutsauger, sandte sie Alex über ihre Gedanken zu und jaulte ein weiteres Mal auf, als er es wirklich schaffte, sich auf sie zu setzen und sie somit auf dem Boden festzunageln. Mit einem fast schon diabolischen Grinsen holte er mit seinen Krallen aus und war gerade dabei, sie auf Kayla herabfahren zu lassen, als ein weiteres Teammitglied einschritt und Kayla so vor größeren Verletzungen schützte.
„Rühr sie nicht an!“, rief Mia, die Nixe, ihm zu, die unweit von ihnen stand und mit ihrer Peitsche ausgeholt und zugeschlagen hatte, sodass sich deren Ende fest um Alex´ Handgelenk gewickelt hatte. „Runter von ihr.“
Mia zog fest an der Peitsche und zwang Alex so dazu, dass er von Kayla runterging und ihren Körper freiließ, doch der Vampir selbst dachte nicht daran, sich so leicht überwältigen zu lassen, schloss seine Finger um das Leder, das ihn festhielt, und zog seinerseits ruckhaft und mit aller Kraft daran, sodass es Mia war, die aus dem Gleichgewicht kam und nach vorne stolperte.
„Du solltest den Mund lieber nicht zu voll nehmen, kleine Nixe.“, warnte Alex sie und zog sie noch weiter zu sich heran, während er ihr seine Vampirzähne deutlich zu sehen gab. „Das kann schlimme Folgen haben.“ Noch einmal zog er an der Peitsche, sodass Mia auf die Knie fiel, dennoch kam er nicht mehr dazu, sich ihr soweit zu nähern, dass er seine Zähne in ihren Hals schlagen konnte, da das Geräusch von schlagenden Flügeln knapp über ihm ertönte. Er spürte den Luftzug, als Sam, der Gestaltwandler, als riesiger Drache über ihn hinwegflog und dann wurde er von dessen mächtigen rot geschuppten Schwanz mit einer solchen Heftigkeit getroffen, dass er meterweit über die Landschaft flog und wohl ziemlich unsanft gelandet wäre, hätte ihn nicht ein schnell ausgesprochener Zauber davor bewahrt.
„Ita supernatare sinito!“ Liv, die Hexe, deren rote Locken ihr durchnässt am Kopf klebten, bremste Alex mitten in der Luft ab und ließ ihn sanft zur Erde schweben, wo er wenig später im Schlamm liegen blieb, während er noch leicht Sternchen sah.
Du hilfst dem Blutsauger? Wirklich? Kayla bebte vor Wut, setzte erneut zum Sprung an, um sich auf Liv zu werfen, doch diese sprach einen schnellen Schutzzauber aus, der die Wölfin einfach abprallen ließ, bevor sie die Hexe erreichen konnte.
„Wage es ja nicht, auf meine Freundin loszugehen.“ Adam war innerhalb von Sekunden zur Stelle, als er sah, was Kayla vorhatte und schwang sein Schwert, um der Wölfin damit einen Hieb zu versetzen. Doch Mia konnte das nicht zulassen, holte zum wiederholten Male mit ihrer Peitsche aus, die sich zielsicher um die Klinge von Adams Schwert schlang, und riss ihm dieses aus der Hand, sodass es platschend in der tropfnassen Wiese landete.
„Was zum…“ Adam drehte sich vollkommen überrumpelt und überrascht zu Mia um und als er erkannte, was sie getan hatte, als er realisierte, dass sie es war, die ihm das Schwert abgenommen hatte, kniff er seine Augen zu Schlitzen zusammen. „Das hättest du nicht tun sollen, álainn Mia.“
„Was…“ Die Nixe mit den ungewöhnlich türkisfarbenen Augen wich zwei Schritte zurück, als sie sah, dass der Jäger seinen zweiten Dolch aus der Innentasche seiner Jacke zog und damit auf sie zukam.
„Lass sie in Ruhe, verstanden.“ Sam, der mittlerweile wieder gelandet war und sich von einem Drachen zurück in einen Menschen verwandelt hatte, kam von der Seite angeschlittert und stellte sich schützend vor die Frau, die er liebte.
„Ich nehme auch gerne mit dir Vorlieb.“, verkündete Adam, der im Moment durch und durch Jäger war.
„Dann soll es so sein.“, erwiderte Sam entschlossen und schüttelte sich das kupferfarbene Haar aus dem Gesicht.
Adam hob seinen Dolch und ging mit einem Schrei auf den Gestaltwandler los, der geschickt auswich und Mia dabei mit sich zog, die ebenfalls einen Schrei ausstieß, als sie fiel.
„Praesidium!“ Liv, die auf den Treppen stand, die zur Veranda des Hauses, in dem Sam wohnte, hinaufführten, sandte unumwunden einen Schutzzauber in Mias und Sams Richtung, der Adam von den beiden abprallen ließ und ihn daran hinderte, Sam oder Mia zu verletzen.
„Du…“ Ein wenig atemlos hob der Jäger seinen Blick zu seiner Freundin, die ihn mit einem milden Lächeln bedachte. „Dir ist schon klar, dass der Freund von meinem Feind automatisch auch mein Feind ist, oder?“
„Wie…?“ Liv sah ungläubig dabei zu, wie Adam seinen Dolch mit voller Wucht in ihre Richtung schleuderte, was sie dazu veranlasste, einen Hechtsprung die Treppen hinunter zu machen, damit das Wurfgeschoss sie nicht treffen konnte. Und obwohl der Schlamm hoch aufspritzte, als sie unten landete, vollzog sie eine geschickte Drehung, schickte dem Dolch noch im selben Moment einen Zauber nach, der ihn abfing und ließ ihn schließlich zu Boden fallen, wo er klirrend auf der Veranda landete. Durch die Ausübung des Zaubers war sie allerdings abgelenkt, sodass sie nicht gleich mitbekam, dass Adam sich ihr von hinten genähert hatte und erschrocken nach Luft schnappte, als er ihr die Beine wegkickte und sich auf sie warf, während sie der Länge nach im Matsch landete.
„Du solltest dir wirklich besser überlegen, was du tust und wem du zur Hilfe eilst, mo dearg.“, gab Adam ihr zu verstehen, während er über ihr thronte.
„Und du solltest mich besser kennen und wissen, dass ich mir von niemandem etwas sagen lasse.“ Ohne allzu sehr zu zögern, rammte sie ihr Knie nach oben und traf Adam relativ unsanft zwischen den Beinen, was ihn aufstöhnen ließ. „Glaub bloß nicht, du könntest ungestraft einen Dolch auf mich schleudern.“ Mit all ihrer Kraft stieß sie Adam von sich herunter und rollte mit ihm herum, sodass sie am Ende auf ihm saß und ihn am Boden festhielt.
„Ich wusste doch, dass du ihn abbremsen oder von dir stoßen würdest.“, versicherte Adam ein wenig atemlos, obwohl er wusste, dass sie nicht wirklich stark zugestoßen und ihn durchaus geschont hatte. „Wäre ich mir nicht hundertprozentig sicher gewesen, dass du ihm ausweichen und entkommen kannst, hätte ich es doch niemals getan.“
„Ach ja?“ Liv beugte sich zu ihm hinunter. „Hättest du das nicht?“
„Das weißt du doch.“ Adam nutzte die Gunst der Stunde, packte Liv bei den Aufschlägen ihrer Jacke und zog sie zu sich hinunter, um sie ausgiebig zu küssen.
„Sieht ganz danach aus, als wäre der Kampf beendet.“ Sam sah amüsiert zu seinen Freunden hinüber, die völlig ungeniert und gleichgültig gegenüber des Regens, der auf sie hinabprasselte, knutschten, als gäbe es kein Morgen.
„Ich weiß nicht, ob er das ist.“ Mia, die noch auf dem matschigen Boden saß, blickte zu ihrem Freund hoch, der ihr grinsend die Hand entgegenstreckte, um ihr aufzuhelfen. „Schließlich entscheidet jeder von uns selbst, wann der Kampf zu Ende ist, oder?“ Sie ergriff seine Hand, doch anstatt sich aufhelfen zu lassen, zog sie ruckartig und so fest daran, dass Sam stolperte und ebenfalls zu Boden ging.
„Du kleines Biest!“ Sam fing sich sehr schnell wieder und rollte sich auf sie, jedoch hatte er keine Rache dabei im Sinn, sondern wollte es vielmehr seinen Freunden gleichtun.
„Sam!“ Mia erriet seine Absicht und stieß ein kleines Kreischen aus, doch da packte er sie bereits mit seinen schlammverschmierten Händen, ließ diese in ihre hüftlangen, silberblonden Haare gleiten, die sie zu einem Zopf gebunden hatte und küsste sie dermaßen leidenschaftlich, dass ihr beinahe die Luft wegblieb.
„Na, wunderbar.“ Kayla hatte sich in der Zwischenzeit von einem Wolf zurück in einen Menschen verwandelt und trottete daher nackt und mit rollenden Augen zur Veranda, wo sie nach der Jacke griff, die sie dort bereitgelegt hatte. „Jetzt geht das wieder los.“
„Eifersüchtig?“ Alex kam von hinten auf sie zugeschlendert, aber das Lächeln, das er im Gesicht trug, verriet, dass er eher amüsiert als verärgert über die Knutscherei seiner Freunde war.
„Nein, genervt trifft es viel eher.“ Kayla schlüpfte in die Jacke und schloss sie fröstelnd bis zum Hals. „Ist dir schon einmal aufgefallen, dass beinahe jede Trainingsstunde, die wir in den letzten Wochen gemeinsam absolviert haben, so endet wie gerade jetzt?“ Sie sah wieder auf Adam und Liv, bevor ihr Blick zu Sam und Mia glitt, was sie das Gesicht verziehen ließ. „Irgendwann liegen sich unsere vier Turteltäubchen knutschend in den Armen und der Kampf, der voranging, ist komplett vergessen.“
„Wie hättest du es denn gerne?“, wollte der Vampir wissen. „Möchtest du, dass wir uns gegenseitig ernsthaft verletzen? Möchtest du, dass wir unsere Kämpfe so bestreiten, als seien wir echte Feinde, die daher keine Rücksicht aufeinander nehmen?“
„Nein.“ Sie rollte abermals mit den Augen. „Aber knutschen müssen wir deswegen auch nicht immer am Ende des Kampfes, oder?“
„So wie ich das sehe, knutschen wir beide nicht.“ Alex grinste sie herausfordernd an.
„Sehr witzig.“ Sie boxte ihn auf die Brust und wandte sich anschließend der Treppe zu.
„Kayla, wir sind immer noch Verbündete, Freunde, die sich gegenseitig gern haben und sich eben nicht feindlich gesinnt sind, weshalb wir auch versuchen, uns nicht ernsthaft zu verletzen. Weshalb es eben manchmal dazu kommen kann, dass wir uns am Ende des Kampfes eher in den Armen liegen als zerstritten getrennte Wege zu gehen, was doch auch gut ist, meinst du nicht?“
„Ja, schon klar.“, meinte Kayla ein wenig mürrisch. „Wobei, was das verletzen angeht…“ Sie rieb sich ihre Rippen, die immer noch leicht schmerzten von dem Angriff, den Alex auf sie vorgenommen hatte.
„Ach komm, du wirst es überleben.“, zog er sie auf und boxte sie auf den Oberarm. „Ich dachte, du wärst härter im Nehmen.“
„Ich bin verdammt hart im Nehmen.“, machte sie ihm klar. „Aber manchmal habe auch ich schlechte Tage.“
„Manchmal?“ Alex zog die Augenbrauen hoch, die genauso schokoladenbraun wie seine Haare waren. „Also, ich will ja nicht wieder gemein sein, aber in meinen Augen hast du nur schlechte Tage, seit wir dich kennen.“
„Ha, ha, sehr witzig.“ Ein wenig beleidigt ging Kayla zur Haustür und schlüpfte ins Innere, wo sie angenehme Wärme empfing.
„Okay, in Ordnung.“ Alex war ihr in gemächlichem Tempo gefolgt.
„Dann erzähl mir einfach, warum du heute einen schlechten Tag hast.“
„Ich habe schlecht geschlafen, ok?“, sagte sie kurz angebunden.
„Außerdem bin ich bis auf die Knochen durchgefroren, nass wie ein Pudel und von unten bis oben voller Schlamm, was die Sache nicht gerade besser macht.“
„Das ist nichts, was sich nicht mit einer heißen Dusche wieder richten ließe.“, besänftigte der Vampir sie.
„Darum werde ich genau diese Dusche auch in Anspruch nehmen, sobald ich meinen ersten Schluck Kaffee hatte. Und danach will ich ein riesengroßes, kalorienreiches Frühstück.“ Kayla ging schnurstracks zur Kaffeemaschine und füllte sie mit Wasser.
„Lass mich raten: Du willst zwar Frühstück, aber darum kümmern sollen sich wieder andere.“ Alex lächelte süffisant.
„Das kann der knutschende Jäger da draußen übernehmen, der uns heute im strömenden Regen hat trainieren lassen.“, erwiderte sie verstimmt.
„Marcus wird sich nicht nur die Nächte aussuchen, in denen gutes Wetter herrscht, um uns anzugreifen, das ist dir schon klar, oder?“, gab Alex ihr zu verstehen. „Darum trainieren wir bei beinahe jedem Wetter.“
„Ja, ja, ich weiß. Darum habe ich ja auch nicht wirklich protestiert, als Adam darauf beharrt hat, die Trainingsstunde heute Morgen wie beinahe jeden Tag streng durchzuziehen. Obwohl es aus Kübeln schüttete und die Temperaturen nicht gerade angenehm sind. Was sie hier in Island nie zu sein scheinen.“ Kayla holte das Kaffeepulver aus einem Schrank und begann, es löffelweise in den Filter zu geben.
„Wann hat es dir in den letzten Wochen schon einmal an einem Platz gefallen?“ Alex lehnte sich neben ihr an die Küchentheke. „Als wir in Schottland waren, wo Liv Mia und Sam ihr Zuhause gezeigt hat, hat es dir auch zu viel geregnet und es war zu kalt. Dann sind wir nach Irland, da Sam zudem Adams Haus noch nicht kannte und dort hat dir zu viel Nebel geherrscht und es war zu zugig. Zurück in Jersey, wo wir Mia geholfen haben, alle restlichen Formalitäten ihr Haus und den Nachlass ihrer Mutter betreffend zu regeln, war es dir zu grau, zu wolkenverhangen und zu rau vom Klima. Also sind wir wieder nach Island gekommen, wo wir Sams und Mias Geburtstag gefeiert haben und jetzt passt es dir hier auch nicht, weil es regnet und die Temperaturen für Mai zugegebenermaßen noch ziemlich niedrig sind. Aber ich glaube, du wirst kein Land finden, wo jeden Tag die Sonne scheint und es immer angenehm warm ist.“
„Klar und außerdem hängt meine Laune eigentlich gar nicht direkt mit dem Wetter und den Temperaturen zusammen, sondern es liegt eher an der allgemeinen Situation, da ich mich einfach ständig so fühle, als würde ich unter Starkstrom stehen.“, gab sie preis und fuhr sich dabei unwirsch durch ihr kurzgeschnittenes schwarzes Haar.
„Kayla.“ Alex stieß sich von der Küchentheke ab und wollte gerade zu der Wölfin treten, als die Haustüre aufgerissen wurde und die anderen vier lachend das Haus betraten.
„Auf jeden Fall wirst du wirklich immer besser, Mia.“, lobte Adam die Nixe gerade, die daraufhin ein wenig rot anlief.
„Ich habe dich entwaffnet, was eigentlich so gut wie niemandem gelingt, soweit ich weiß.“
„Verdammt richtig.“ Der Jäger legte einen Arm um die blonde Schönheit und küsste sie auf die Schläfe. „Du kannst echt stolz auf dich sein und brauchst gar nicht so kleinlaut klingen. Oder, was meinst du, Uropa?“
Alex verdrehte kurz die Augen, als er hörte, wie Adam ihn nannte, schenkte Mia danach aber ein aufmunterndes Lächeln. „Du hast dich heute, eigentlich sogar schon die letzten Trainingsstunden, echt verdammt gut geschlagen. Denn auch mich überlistet normalerweise niemand so einfach.“
„Ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan.“, meinte Mia und sah auf sein Handgelenk.
„So ein Unsinn.“ Er zeigte ihr, dass seine Haut vollkommen unversehrt, wenn auch ziemlich schmutzig war. „Ich bin nicht so leicht zu verletzen, weißt du doch.“
„Außerdem nimmst du für die Trainingsstunden extra die andere Peitsche, die keine Silbernieten eingearbeitet hat, sodass du Alex nicht verletzt.“, erinnerte Liv sie, während sie zum Kühlschrank marschierte.
„Was machst du da?“ Adam blickte ihr nach und runzelte die Stirn.
„Nachsehen, was ich uns zum Frühstück machen kann.“, informierte die Hexe ihn und holte eine Schachtel Eier heraus.
„Willst du nicht erst duschen?“, wollte ihr Freund irritiert wissen.
„Um das Frühstück können sich doch auch die anderen kümmern.“
„Das Haus gehört Sam, darum darf er zuerst duschen.“, gab Liv ihm zu verstehen.
„Nein, Mia und ich werden raus in den Badeteich gehen.“ Sam schmunzelte und zog Mia dabei an sich. „Ihr könnt die Dusche also gerne für euch haben. Und Frühstück machen wir anschließend gemeinsam.“
„Okay.“ Liv sah etwas nachdenklich aus. „Was ist mit euch beiden?“
Ihr Blick wanderte zu Alex und Kayla. „Wollt ihr vielleicht zuerst duschen?“
„Wieso willst du allen anderen den Vortritt lassen?“, fragte Adam ein wenig verärgert. „Du bist genauso durchnässt und dreckig wie alle anderen hier.“
„Und du kannst es scheinbar kaum erwarten, deine Angebetete in die Dusche zu zerren, wo du ihr nicht nur die Kleider vom Leib zerren, sondern auch noch ganz andere Sachen mit ihr anstellen kannst, was?“
Alex´ blaue Augen funkelten belustigt.
„Oh Mann, das ist doch echt ätzend.“, verkündete Kayla. „Ich werde sicher nicht nach euch duschen, wenn ich dabei Gefahr laufe, alle möglichen ekligen Körperflüssigkeiten zu entdecken.“
„Kayla!“ Liv war empört und ein wenig beschämt zugleich.
„Ist doch wahr.“ Ohne eine Entschuldigung marschierte die Wölfin in Richtung Flur. „Seid mir nicht böse, aber in diesem Fall werde ich jetzt als erste duschen.“
„Das…“ Adam sah ihr ein wenig fassungslos nach. „Hey, du hättest auch einfach höflich fragen können, ob du als erstes darfst.“
„Ja, ja, bla, bla.“, hörte man Kayla noch rufen, dann fiel die Tür zum Bad ins Schloss.
„Unsere kleine Wölfin ist heute ja wieder prächtig gelaunt, was?“
Kopfschüttelnd trat Adam zur Kaffeemaschine, die mittlerweile eine halbe Kanne Kaffee ausgespuckt hatte.
„Was hast du erwartet, wenn du mein Schwesterherz im strömenden Regen zum Kampftraining zwingst?“ Sam grinste den Jäger an. „Wir sind dann mal weg.“
„Schon ok, raus mit euch.“ Adam winkte Sam und Mia nur zu, während er sich eine Tasse Kaffee einschenkte. „So schlimm war das Training doch gar nicht, oder?“
„Ich glaube auch nicht, dass es nur am Training und am schlechten Wetter liegt, dass Kayla mal wieder um sich schlägt.“, gab Alex zu bedenken. „Sie sagt, sie hätte schlecht geschlafen.“
„Kayla?“ Der Jäger zog die Augenbrauen zusammen. „Wann bitte schläft Kayla jemals schlecht?“
„Wenn sie etwas sehr beschäftigt oder sie sich um etwas große Sorgen macht.“, glaubte Liv zu wissen. „Kayla zeigt uns viel zu selten, was wirklich in ihr vorgeht, aber ein paar Sachen habe ich trotzdem schon über sie herausgefunden.“
„Die Situation momentan macht sie mürbe. Sie hat mir gegenüber einfach so zugegeben, dass sie sich fühlt, als würde sie ständig unter Starkstrom stehen und das bedeutet schon etwas.“, informierte der dunkelhaarige Vampir seine Freunde.
„Irgendwie verständlich, oder?“ Liv holte eine Pfanne aus einer Schublade und stellte sie auf den Ofen. „Sie weiß, dass du und sie die nächsten sind, die einen Splitter finden müssen. Aber seit sieben Wochen ist so gut wie nichts passiert. Und mit so gut wie nichts, meine ich, eigentlich gar nichts. Wir haben keine neuen Hinweise gefunden, es sind keine neuen Rätsel aufgetaucht oder irgendwie zu uns gelangt und was unsere Feinde anbelangt, herrscht auch vollkommene Funkstille.“
„Stimmt.“, erkannte Alex. „Seit dem letzten Kampf auf Jersey, der mit dem Fund von Mias Splitter endete, haben wir von Marcus nichts mehr gehört. Und soweit wir gehört haben, wurde er auch nirgendwo gesichtet, nicht wahr?“ Er wandte sich Adam zu, der sich an den Tisch gelehnt hatte.
„Nein.“ Der blonde Jäger stellte seine Tasse zur Seite. „Ich habe wie immer ein paar Kollegen gebeten, ihre Augen offen zu halten und mir zu schreiben, falls sie etwas hören oder sehen, aber bisher war das nicht der Fall. Marcus scheint wieder einmal wie vom Erdboden verschluckt.“
„Mit dem kleinen Unterschied, dass wir ihn letztes Mal, als er wie vom Erdboden verschluckt war, nachhaltig verletzt hatten, ihn beinahe getötet hätten, was dieses Mal nicht der Fall war.“, erinnerte sich Liv.
„Letztes Mal hat er ganz klar verloren und danach war er lediglich drei Wochen verschwunden, um seine Wunden zu lecken. Dieses Mal hat er eigentlich gar nicht so richtig verloren, schließlich wurde Sam schwer verletzt und auch Mia hätte sterben können, wenn wir nicht alle so besonnen reagiert hätten.“
„Was es Marcus erlaubt hat, sich unverletzt mit seiner Hexe und seiner Jägerin aus dem Staub zu machen, während wir damit beschäftigt waren, Sam zu verarzten und Mia zu beruhigen.“, wusste auch Alex noch sehr genau. „Dennoch hält er sich jetzt schon länger still als jemals zuvor.“
„Was vermuten lässt, dass er irgendetwas plant.“, meinte Adam. „Und wenn Marcus Black, der tausend Jahre alte Vampir, etwas plant, ist das niemals gut.“
„Oder er weiß etwas, was wir nicht wissen.“, überlegte die Hexe, in deren roten Locken sich Schlammspritzer verkrustet hatten.
„Vielleicht hat er irgendetwas erfahren, was ihn beschäftigt und ihn deshalb so lange zurückhält.“
„Das ist auch eine Möglichkeit.“, gab ihr Alex Recht. „Aber so oder so, es bedeutet nichts Gutes, dass so lange nichts passiert, da muss ich Kayla Recht geben und da verstehe ich ihr Unbehagen.“
„Hat sie noch mehr gesagt, als nur, dass sie schlecht geschlafen hat und ständig unter Starkstrom steht?“, wollte Liv wissen, während sie die Eier in die heiße Pfanne schlug, in der ein Stück Butter zerlaufen war.
„Nein, aber das wird sie sicher noch.“, war Alex sich sicher.
Adam machte große Augen. „Willst du sie etwa zwingen, uns mehr zu sagen? Ich glaube nicht, dass das so gut wäre.“
„Sie weiß, wie das hier läuft und sie muss mit uns reden, weil wir ein Team sind. Weil wir Freunde sind und uns gegenseitig helfen wollen.“, meinte der Vampir. „Sie kann sich nicht immer in ihr Schneckenhaus verziehen und alles mit sich selbst ausmachen. Sie muss endlich lernen, dass es wichtig ist, sich zu öffnen. Dass es richtig ist, sich uns anzuvertrauen, egal, wie schwer ihr das fallen mag.“
„Viel Glück dabei, mein Freund.“ Adam prostete ihm mit seiner Kaffeetasse zu. „Das wird nicht gut ausgehen, wenn du mich fragst.“
„Soll ich mit ihr reden?“, fragte Liv, die zusätzlich Speck in die Pfanne gegeben hatte.
„Nein.“, sagte Alex entschieden. „Denn wenn sie und ich demnächst eng zusammenarbeiten sollen, wird es auch Zeit, dass sie endlich ihre lächerliche Abneigung gegenüber mir aufgibt.“
„Ich glaube nicht, dass es sich dabei um Abneigung handelt.“, murmelte Liv und holte sich einen warnenden Blick von Adam ein.
„Ich weiß, was du denkst, Liv.“, informierte Alex sie unumwunden.
„Und Kayla weiß das genauso. Aber was es auch ist, was zwischen uns steht, wir müssen es aus der Welt schaffen und es ist besser, gleich damit anzufangen, als darauf zu warten, dass wir weitere Hinweise bekommen und dann festzustellen, dass wir unfähig sind, zusammen zu arbeiten.“
„Alex…“, wollte Liv einwenden, doch der Vampir richtete sich bereits auf.
„Kayla hat gerade das Wasser in der Dusche abgestellt.“
„Und jetzt willst du zu ihr ins Bad stürmen und sie zur Rede stellen, kaum, dass sie aus der Dusche ist?“ Adam war sich nicht sicher, ob das die richtige Vorgehensweise war.
„Nein, ich werde in unserem gemeinsamen Zimmer auf sie warten.“, erklärte Alex. „Schließlich war das schon einmal ein erster Fortschritt, dass wir es schaffen, uns mittlerweile ein Zimmer zu teilen, oder?“
„Da keiner von uns Teammitgliedern ein dermaßen großes Haus besitzt, dass jeder sein eigenes Zimmer haben könnte, tut sie das doch nur gezwungenermaßen.“ Adam entmutigte seinen Freund, der im Endeffekt sein Urgroßvater war, nicht gerne, aber er hielt auch nicht viel davon, die Wahrheit zu verschleiern.
„Ich habe zuvor auch auf der Couch geschlafen und könnte das jederzeit wieder tun. Würde das jederzeit wieder tun, weil ich aus unserem Team derjenige bin, der am wenigsten Schlaf braucht.“ Alex wollte allerdings ebenfalls nicht so einfach klein bei geben.
„Jetzt hört doch auf, zu diskutieren.“, schritt Liv ein. „Das bringt doch ohnehin nichts.“ Sie atmete tief durch und nahm die Pfanne vom Ofen.
„Versuch, mit ihr zu reden, Alex. Und falls sie nichts sagen will, werden wir es gemeinsam beim Frühstück versuchen, etwas aus ihr herauszukitzeln. Ist das ein Deal?“
„Ja.“ Alex beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange.
„Gut.“ Liv lächelte, während sie die Pfanne in den Backofen schob, um das Frühstück warm zu halten. „Ich werde mir jetzt frische Sachen holen, damit Adam und ich duschen können, sobald Kayla aus dem Bad ist.“
„Wir duschen also zusammen?“ Adam richtete sich erwartungsvoll auf.
„Wenn du schnell genug bist, vielleicht.“, zog ihn die Hexe auf.
„Du hast keine Ahnung, wie schnell ich sein kann.“ Er holte Liv mit nur drei großen Schritten ein und warf sie sich schwungvoll über die Schulter.
„Adam, du Spinner!“, kreischte Liv auf und zappelte in seinen Armen.
„Hör auf zu zappeln, mo dearg.“ Adam schlug ihr sanft auf den Po. „Die nächsten fünfzehn Minuten gehörst du ganz mir.“
„Das…“ Liv schnappte ein wenig empört nach Luft, obwohl Alex sehen konnte, dass sie insgeheim lächelte.
„Und dir noch mal viel Glück, mein Freund.“, rief Adam Alex noch über die Schulter zu, dann verschwand er mit Liv auf dem Flur und ließ Alex innerlich tief seufzend in der Küche zurück.
„Was zum Teufel soll das?“
Als Alex zwei Minuten später das Zimmer betrat, das er sich mit Kayla teilte und in dem neben dem Bett, in dem Kayla schlief, ein nagelneues Schlafsofa stand, das Sam extra für ihn besorgt hatte, stand die Wölfin mit nassen Haaren und nur einem Handtuch bedeckt vor ihrer Reisetasche und zuckte schreckhaft zusammen, als sie ihn sah.
„Kannst du nicht zuerst anklopfen, wenn du reinkommst?“
Alex zog seine dunklen Augenbrauen hoch. „Seit wann bist du so empfindlich?“
„Ich komme gerade aus der Dusche und stehe halb nackt hier, wie du sehen kannst.“, informierte sie ihn.
„Ja, und ich habe dich in den letzten Wochen schon wesentlich nackter gesehen als gerade, falls du dich erinnerst.“ Er ließ sich auf das Sofa gleiten. „Wenn ich genauer darüber nachdenke, standst du erst vor knapp einer Stunde vollkommen nackt und schlammbeschmiert vor mir. Was ist also dein Problem?“
„Es ist ein kleiner Unterschied, ob ich aufgrund meiner Verwandlung nackt vor euch stehe oder du hier hereinplatzt, wenn ich gerade aus der Dusche komme.“, machte sie ihm klar.
„Warum?“ Alex runzelte die Stirn. „Weil du jetzt nicht schmutzig und schlammbespritzt bist?“
„Ahhh, vergiss es einfach.“ Sie warf die Hände in die Luft und zog sich danach einen dicken Kapuzenpulli über den Kopf, bevor sie das Handtuch fallen ließ.
Alex betrachtete sie einen Moment und sah ihr dabei zu, wie sie eine Jeans und einen Slip aus ihrer Reisetasche zog, den sie wenig später über ihre Beine streifte. „Kayla, was ist los?“
„Was?“ Während sie die Jeans zuknöpfte, drehte sie sich zu ihm um und sah ihn verwirrt an.
Alex richtete sich auf. „Wir konnten vorhin nicht mehr weitersprechen, weil die anderen von draußen in die Küche kamen, aber ich würde gerne wissen, was dir solche Sorgen macht.“
„Ist das dein Ernst?“ Ein wenig irritiert blickte sie zu ihm, während ihre sturmgrauen Augen ihm verrieten, dass sie nicht einordnen konnte, was er von ihr wollte.
„Natürlich ist das mein Ernst.“ Er erhob sich vom Sofa. „Kayla, wir beide sind die letzten, die einen Splitter suchen müssen. Wir beide sind diejenigen, die die letzten beiden Splitter, die noch übrig sind, finden sollen. Daher möchte ich wirklich, dass du mit mir sprichst. Dass du mir anvertraust, was in dir vorgeht und was dich so sehr beschäftigt. Weil wir nun einmal ein Team sind. Weil wir auserwählt wurden, ein Zweierteam innerhalb des großen Teams zu bilden, was zumindest mir wirklich etwas bedeutet.“
„Ach, und du glaubst, mir bedeutet das nichts?“, fuhr sie ihn an. „Du denkst, mir wäre das nicht wichtig, dass es jetzt an uns hängt, die Sache nicht nur zu beenden, sondern wenn möglich auch zu einem guten Ende zu führen?“
„Nein, das habe ich doch gar nicht gesagt.“, lenkte er sofort ein. „Ich meinte doch nur…“
„Ja, du meintest nur, meine mürrische Art könnte alles verderben, wenn ich sie nicht endlich ablege.“ Sie griff nach dem Handtuch, das noch auf dem Boden lag und schleuderte es aufs Bett. „Was willst du, Alex? Willst du, dass ich dir in die Arme falle und dir weinend mein Herz ausschütte? Willst du, dass ich schluchzend vor dir zusammenbreche und dich bitte, mir beizustehen, weil ich es alleine nicht schaffen kann?“
„Kayla, hör auf.“ Er trat zu ihr und packte sie bei den Oberarmen. „Hör sofort auf damit, denn damit tust du uns beiden keinen Gefallen, ich hoffe, das weißt du.“
„Ja.“ Ruckhaft riss die Wölfin sich los und drehte sich um. „Ja, das weiß ich, verdammt.“ Sie senkte ihren Kopf und atmete ein paar Sekunden lang schwer, bevor sie sich straffte. „Es ist jetzt vier Monate her, seit das alles angefangen hat und manchmal erscheint es mir immer noch wie ein bescheuerter Traum.“ Sie wandte sich ihm wieder zu. „Ich meine, es hat alles mit einem Traum angefangen. Mit einem Traum, in dem ich Adam und Liv das erste Mal zusammen sah, weil er am Neujahrsmorgen bei ihr auftauchte. Dann warst du ein paar Tage später da und am Ende bin ich selbst in den Traum hineingeschlittert und seither ist nichts mehr wie es war.“
„Kayla…“ Er machte einen Schritt auf sie zu, doch sie hob sofort ihre Hand.
„Ich wusste, was mich erwarten würde. Ich wusste es mein ganzes Leben lang, weil mein Vater, mein elender Vater, mich von klein auf darauf vorbereitet hat. Ach, was sage ich, er hat mich gezeugt, weil er wusste, dass ich eine der Auserwählten sein würde. Und weil er wollte, dass er dann in der ersten Reihe sitzt, wenn die Suche nach den Splittern losgeht.“
„Dann geht es hier um Erik McCarter?“ Alex runzelte die Stirn.
„Nein, es geht nicht um Erik McCarter oder die Tatsache, dass er nur Monate, bevor er mich mit meiner Mutter gezeugt hat, eine andere Frau verführt und gevögelt hat, die von der Blutlinie her dazu bestimmt war, einen Auserwählten zur Welt zu bringen, um gleich zwei Trümpfe in der Hand zu halten.“, regte die Dunkelhaarige sich auf. „Es geht nicht darum, dass ich seit ein paar Wochen einen Halbbruder habe, von dem ich fast dreißig Jahre lang nichts wusste und es geht auch nicht darum, dass Erik Sams Mutter genauso hintergangen und betrogen hat wie meine Mutter. Ich meine, meine Mutter ist wenigstens eines einigermaßen natürlichen Todes gestorben, bei der Geburt des Kindes, das mein Vater gar nicht mehr wollte und von dem meine Mutter überraschend noch einmal schwanger geworden war. Sams Mutter dagegen wurde umgebracht. Erik hat sie absichtlich und in vollem Bewusstsein umgebracht und das wiegt wesentlich stärker.“
„Und trotzdem ist er indirekt auch am Tod deiner Mutter Schuld.“, sagte der Vampir einfühlsam. „Er ist dennoch für den Tod deiner Mutter verantwortlich, weil er sie einfach verlassen hat und sich keinen Deut darum geschert hat, was aus ihr werden würde.“
„Mag sein, aber es geht hier wirklich nicht um den Mann, der sowohl mein als auch Sams Vater ist und uns seit ein paar Wochen im Rücken sitzt, weil er die Splitter für sich will.“ Kayla ließ sich resigniert aufs Bett sinken. „Glaub mir, ich hasse den Kerl und ich hasse die Tatsache, dass wir mit ihm noch einen Feind mehr haben, aber hierbei geht es trotzdem um ganz andere Dinge.“
„Dann sag mir, worum es geht.“ Alex setzte sich neben sie. „Sag mir, was dich so sehr aufwühlt.“
Sie atmete tief durch. „Adam hat Liv gefunden, nachdem Selene, die Hexe, die einst den Stein des Lebens zerstört hat und in sechs Splitter zerspringen ließ, ihm einen Traum von ihr geschickt hat. Danach haben sie dich gefunden oder du hast sie gefunden, wie man es auch sehen will, weil Liv dich in einer Vision mit deinem Cousin, Selenes Sohn sah, wie ihr eine Höhle durchsucht habt. Die Höhle, in der ihr schließlich zusammengefunden habt. Ich habe euch gefunden, weil auch ich Träume geschickt bekam, weil auch ich durch einen Traum den Auftrag bekam, euch zu finden. Und dann kam Mia zu uns, weil ihre Träume ihr gesagt haben, wo wir auf sie warten würden und dass wir sie brauchen.“
Alex nickte, konnte ihr durchaus folgen. „Und am Ende haben wir gemeinsam Sam gefunden, weil Mia von ihm ebenfalls geträumt hatte und weil Liv und sie zusammen diesen Traum erforscht haben, sodass wir Sams Aufenthaltsort erfahren konnten.“
„Richtig.“ Kayla war froh, dass er verstand, was sie ihm sagen wollte. „Liv ist eine Hexe und Seherin, daher hatte sie seit ihrer Kindheit Visionen, sah Dinge in ihren Träumen, bekam Bilder von Geschehnissen, die schon lange zurücklagen und die Vergangenheit begründeten, gesandt. Für sie war das daher nichts allzu Neues und sie hat gelernt, damit umzugehen. Für uns anderen lag die Sache ein wenig anders. Wir alle kannten solche Träume nicht und mussten erst einmal herausfinden, was sie bedeuten und was genau sie uns sagen wollen.“
„Trotzdem sind wir ihnen gefolgt und haben uns alle dadurch gefunden, haben alle herausgefunden, was die Träume bedeuteten und uns sagen wollten.“, ergänzte Alex.
Kayla blickte ihn ernst an. „Genau. Und darum bin ich mir auch ziemlich sicher darin, was der Traum zu bedeuten hat, den ich letzte Nacht hatte und was er mir sagen will. Doch gleichzeitig jagt mir das eine Heidenangst ein.“
„Moment.“ Alex stutzte kurz. „Das heißt, du hast letzte Nacht von etwas geträumt, das uns weiterhelfen könnte? Du hattest einen Traum, der die Mission betrifft?“