Sommer auf Saltön:  Das Hummerfest - Viveca Lärn - E-Book
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Sommer auf Saltön: Das Hummerfest E-Book

Viveca Lärn

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Beschreibung

Entdecken Sie einen der schönsten Orte Schwedens: „Sommer auf Saltön: Das Hummerfest“ von Bestsellerautorin Viveca Lärn jetzt als eBook bei dotbooks. Der Höhepunkt des Sommers auf der Schäreninsel Saltön rückt näher: das traditionelle Hummerfest. Da sorgt plötzlich eine erschreckende Neuigkeit für Aufregung: Die einzige Festhalle der Insel wurde für einen Flohmarkt gemietet – das Hummerfest kann nicht stattfinden! Sara, Emily und Johanna, die erst seit Kurzem auf Saltön leben, haben eigentlich ganz andere Probleme. Doch wie soll man sein eigenes Leben auf die Reihe kriegen, wenn sich um einen herum alles nur noch ums Hummerfest dreht? Da hilft nur eins: sich vom sonderbaren Lebensstil der liebenswürdigen Inselbewohner mitreißen lassen … „Man träumt unversehens von Ferien auf der Insel.“ Münchner Merkur Der zweite Roman der wunderschönen Saltön-Reihe – jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Inselroman „Sommer auf Saltön: Das Hummerfest“ von Viveca Lärn wird Fans von Inga Lindström und Åsa Hellberg begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 329

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Über dieses Buch:

Der Höhepunkt des Sommers auf der Schäreninsel Saltön rückt näher: das traditionelle Hummerfest. Da sorgt plötzlich eine erschreckende Neuigkeit für Aufregung: Die einzige Festhalle der Insel wurde für einen Flohmarkt gemietet – das Hummerfest kann nicht stattfinden! Sara, Emily und Johanna, die erst seit Kurzem auf Saltön leben, haben eigentlich ganz andere Probleme. Doch wie soll man sein eigenes Leben auf die Reihe kriegen, wenn sich um einen herum alles nur noch ums Hummerfest dreht? Da hilft nur eins: sich vom sonderbaren Lebensstil der liebenswürdigen Inselbewohner mitreißen lassen …

Über die Autorin:

Viveca Lärn wurde 1945 in Göteborg geboren. 1975 erschien ihr erstes Kinderbuch. Neben Romanen, Gedichten und Theaterstücken schrieb sie auch für Film und Fernsehen. Viveca Lärn ist heute eine der erfolgreichsten zeitgenössischen Autorinnen Schwedens. Sie wurde mit dem Astrid-Lindgren-Preis und der Nils-Holgersson-Plakette ausgezeichnet.

Viveca Lärns vierbändige Saltön-Reihe wurde äußerst erfolgreich als Fernsehserie verfilmt. Sie umfasst die folgenden Bände, die auch bei dotbooks erscheinen:

Sommer auf Saltön: Die Mittsommernacht

Weihnachten auf Saltön

Frühling auf Saltön

Die Website der Autorin: www.vivecalarn.com

***

Die Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Hummerfesten« bei Wahlström & Widstrand, Stockholm.

eBook-Neuausgabe August 2016

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel Sommer auf Saltön bei Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Originalausgabe 2000 Viveca Lärn

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2003 Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Hans Christiansson

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-623-2

***

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Viveca Lärn

Sommer auf Saltön:

Das Hummerfest

Roman

Aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann

dotbooks.

Kapitel 1

Das Meer war so warm wie selten. Das Wasser plätscherte friedlich gegen die Boote, die am Kai vertäut lagen, und die Möwen auf dem Dach der Hafenmeisterei wirkten matt und schlapp. Die Stege fühlten sich, wenn man barfuß ging, angenehm warm an.

Es gab keine schönere, aber auch keine wehmütigere Zeit auf Saltön als die Verlängerung des Sommers in einen warmen September. Wie still es war. Die Ferien waren vorbei und die Sommergäste abgereist. Keine Halbwüchsigen, keine Bierdosen. Keine Touristen, die mit ihren seltsamen Hüten und Mützen die Hafenpromenade bevölkerten.

Die Sonne stand hoch und brannte erstaunlich heiß von einem tiefblauen Himmel herab, die Luft war – wie eine Vorwarnung auf den Herbst – glasklar, die Konturen messerscharf. Die Steinklippen zeichneten sich fast graphisch gegen den Himmel ab.

Aber noch duftete es nach Sommer. Die Brennnesseln drängten sich an der Kaimauer, und das Heidekraut leuchtete violett auf den Berghängen.

Die drei Männer auf der Bank am Hafen sahen aus wie Statisten für eine Ansichtskarte von den Schären. Zwei trugen blaue Latzhosen, einer einen Overall und alle drei schwarze Holzschuhe. Einer rauchte sogar Pfeife. Sie saßen breitbeinig und selbstsicher da und blickten mit zusammengekniffenen Augen auf den Horizont, und jeder, der sie sah, konnte sich gut vorstellen, dass sie über den derzeitigen Makrelenfang oder die bevorstehende Hummersaison diskutierten.

Respekt einflößende Männer, praktisch veranlagt, mit einem Verhältnis zu Zahlen. Die Stirnen in tiefen Falten.

»Seht mal«, sagte der alte Olsson, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. »Da hinten am Bootsschuppen geht Blomgrens Emily.«

Fredberg spuckte seinen Snus aus. »Dass sie es überhaupt noch wagt, sich in der Stadt zu zeigen, das ist doch unglaublich. Ganz Saltön lacht sich halb tot über die dicke Alte.«

»Armer Blomgren«, sagte der Friseur. »Nicht nur, dass er von seiner Frau sitzen gelassen wird, nein, sie muss sich auch noch mit einem Touristen hinter den Trimmplatz legen, wo jeder zuschauen kann.«

»Und wer will das schon?«

»Aber das Schlimmste war ja, dass sie ihrem Mann das Auto geklaut hat.«

»Es war doch auf sie angemeldet.«

Die Männer wandten die düsteren Blicke dem Bugsierer Arvid zu, der vom Kai lostuckerte. Fredberg schüttelte den Kopf. »Nein, das Allerschlimmste war ja wohl, dass sie so unverschämt war zurückzukommen.«

»Und das ausgerechnet am Mittsommerabend, als der Tourist genug von ihr hatte und über alle Berge geradelt war. Das hat Blomgren mir selbst erzählt.«

»Der arme Mann. Das kann er ihr nicht verzeihen.«

»Ja, was hat sie denn gedacht? Ich glaube, mit den Frauen ist irgendwas nicht mehr in Ordnung, seit sie angefangen haben, ins Fitnessstudio zu gehen. Davon kriegen sie komische Ideen.«

Sie wurden von Gustafsson unterbrochen, der auf seiner hellgelben Kehrmaschine angefahren kam, mit der er den Sommer gleichzeitig hinausfegte und ihm nass hinterherwischte. Er ließ das Radio laufen, während er stehen blieb und sich erkundigte, worüber die Jungs redeten. Das Wetter? Das Trabrennen? Die Rente?

»Mensch, natürlich über die Hummersaison«, antwortete der Friseur eilig, denn Gustafsson war ein Zugezogener.

Im selben Moment begann im Radio die Tanzmusik. »Still«, brummte der alte Olsson. »Sie spielen Die letzten schlimmen Jahre. Das ist ein verdammt gutes Lied.«

Eine Windbö kam, und die Leinen am größten Segelboot knarrten, und die Wanten schlugen. Die einäugige Möwe hielt sich kerzengerade gegen den Wind, bis das Lied zu Ende war. Dann flog sie aufs Meer hinaus.

»Alles ist leer und schön ruhig, Olsson«, versuchte Gustafsson, »jetzt, wo alle Touristen weg sind.«

»Vor allem das Auftragsbuch.«

»Haben ja nicht alle eine Frau mit einer Bäckerei, so wie Fredberg. Inzwischen habt ihr wahrscheinlich schon wieder genug gespart für eine Reise nach Thailand, oder?«

»Das glaubst auch nur du.«

»Auf andere warten harte Zeiten.«

»Das musst gerade du sagen, der seine Wiese zum teuersten Parkplatz von den ganzen Schären gemacht hat.«

Gustafsson setzte seine Kehrmaschine wieder in Gang und ließ den Motor aufheulen. Seine Augenbrauen leuchteten kreideweiß in dem rotbraunen Gesicht. »Jetzt kann man die Tage bis zur Hummerpremiere schon an einer Hand abzählen. Herrlich!«

»Das kann auch nur einer sagen, der noch alle Finger hat«, sagte der alte Olsson und hielt seine rechte Hand hoch, an der Daumen und Zeigefinger fehlten.

»Ja, dann geht es für dich vielleicht zwei Tage früher los, Olsson«, sagte Fredberg und zwinkerte.

»Hummerpremiere, das klingt fast wie Oscarverleihung mit roten Teppichen, Limousinen, magersüchtigen Frauenzimmern und weibischen Kerlen mit Sonnenbrillen.«

»Hummerpremiere auf Saltön – da kommen sie alle wieder, aus Stockholm und aus Göteborg und sogar aus Deutschland. Aber nur für ein paar Tage.«

»Früher war alles einfacher, als Sommergäste noch Sommergäste waren und Fischer noch Fischer.«

Im selben Augenblick kam Emily kräftig strampelnd auf dem Fahrrad die Hafenpromenade heruntergefahren. Sie nickte den Männern zu und schenkte ihnen ein gnädiges Lächeln.

»Ganz schön eingebildet«, konstatierte der alte Olsson.

»Frage mich, ob sie das auch war, als sie hinter dem Trimmplatz auf der Wiese lag.«

»Dieser Tourist, also, der hatte Fahrradklammern an den Hosenbeinen!«

»Fahrradklammern? Meine Güte«, sagte der Friseur.

»Angeblich waren es die Fahrradklammern, die Emily so verrückt gemacht haben.«

»Was du nicht sagst! Vielleicht sollte man das auch mal probieren.«

***

»Es ist so schön, dass du wieder zu Hause bist, Emily.«

Blomgren strich seiner Ehefrau linkisch über den Rücken. Sie stand am Wohnzimmerfenster und sah hinaus. Weit hinten balancierte ein Lastkahn über den Horizont.

»Soso«, sagte Emily.

»Eins sage ich dir: Es war furchtbar, als du verschwunden warst. Ich dachte schon fast, du hättest mich verlassen.« Blomgren lachte nervös.

»Das hatte ich ja auch.« Emily wandte sich um und sah ihren Mann an. Diesen Ausdruck in ihren Augen kannte er gar nicht. Er erkannte sie überhaupt seit Mittsommer kaum wieder.

»Bitte sei nicht mehr sauer. Dieser unglückselige Mittsommerabend ist jetzt schon Monate her. Du machst das nicht nochmal, oder, Emily? Du bleibst doch jetzt für immer, nicht? Jetzt, wo wir ein neues Bett haben und so.«

Sie warf ihm einen gequälten Blick zu. Nach Emilys großer Revolte, ihrer grandiosen Mittsommerflucht, von der die halbe Insel redete, war sie sehr plötzlich zurückgekehrt. Doch als sie ihren Irrtum eingesehen hatte, musste sie Johanna Karlsson auf dem Schoß von Blomgren entdecken, und das alles auf den Gartenmöbeln, die Emily von ihrem Papa zum vierzigsten Geburtstag bekommen hatte. Die schöne druckimprägnierte Oberfläche der Möbel war von der unkultivierten Frau besudelt worden, die bis dato nur Blomgrens Klassenkameradin und Jugendschwarm gewesen war.

Während einer unangenehmen Nacht hatte sie Blomgren dazu gebracht, einzugestehen, dass er und Johanna auch im Ehebett gelegen hatten, einem Hochzeitsgeschenk von Emilys Onkel väterlicherseits.

Sowie Blomgren am nächsten Tag in seinen Laden gegangen war, hatte sie Donner und Sturm angerufen, die Spezialisten für alles. »Hier spricht Emily Blomgren. Kommen Sie bitte sofort mit Ihrem Lieferwagen her. Ich habe einen Auftrag für Sie.«

Emily hatte vierzig Minuten lang am Küchenfenster gestanden und hinausgestarrt, bis es endlich an der Tür klingelte. Sie hielt sich die schmerzende rechte Schulter. Während ihrer Flucht im Auto hatte sie bequemer gelegen als jetzt auf dem Wohnzimmersofa.

Donner und Sturm wurden nicht großartig begrüßt. »Das Bett und die Gartenmöbel.« Emily zeigte darauf.

»Aber die Sachen sind doch noch prima«, sagte Donner. »Können wir die Gartenmöbel nicht zum Tischtennisclub bringen? Da sitzen die Leute beim Kaffeetrinken regelrecht auf dem Fußboden.«

»Und das Bett könnte man an Saron abgeben«, schlug Sturm vor, der in der Erweckungsbewegung war. »Dann kommt es irgendwo in Afrika zum Einsatz. Da ist doch Ihre Tochter und missioniert. Vielleicht erkennt sie es wieder!«

Donner räusperte sich und verdrehte die Augen.

»Schon gut«, korrigierte sich Sturm, »Afrika ist groß. Das weiß ich selbst. Außerdem glaube ich eher, dass die von Saron es verkaufen und das Geld nach Afrika schicken, damit sich die Eingeborenen davon einen Traktor kaufen können.«

»Sie sehen zu viel fern«, sagte Emily. »Wie gesagt: Alles soll zur Brache hinter Månssons Delikatessenfabrik gebracht und dort verbrannt werden. Ja, ich weiß, dass das verboten ist. Wenn Ihnen jemand Schwierigkeiten macht, dann schicken Sie ihn zu mir.«

»Zu schade, dass das Mädchen vom Doktor verrückt geworden ist, wo doch der Doktor selbst so gut ist«, sagte Sturm, nachdem Emily die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. »Er hat mir 1962 die Mandeln rausgenommen. Davon hast du kaum was gemerkt, das sage ich dir.«

Als Blomgren an jenem Abend Ende Juni nach Hause kam, war die Tür zum Haus unverschlossen und alles unheilschwanger still. Aber das Auto und Emilys Fahrrad standen an ihrem Platz. »Emily?«

Er ging, den kleinen traurigen Strauß Chrysanthemen fest umklammert, durch das Haus. Die Spüle war blank geputzt, aber kein Essensgeruch, keine Musik aus dem Küchenradio. Er ging weiter ins Schlafzimmer. Das Doppelbett war verschwunden. An der Stelle des Kopfendes war die Tapete knallgelb. Seltsam, war die Tapete nicht blassgelb gewesen? Aber offenbar war das ganze Zimmer ursprünglich knallgelb gewesen. Wann denn bloß? Vor zehn Jahren vielleicht, als Paula noch zu Hause wohnte, dem Leben einen Sinn gab und das Haus mit ihrem Lachen erfüllte. Auf der Missionsstation in Afrika hatte sie nicht sonderlich viel zu lachen. Wenn doch nur Paula nach Hause käme und ihn unterstützte, jetzt, wo ihre Mutter ausgeflippt war.

Auf dem Porträtfoto auf seinem Nachttisch trug Paula eine Studentenmütze, hielt den Kopf ein wenig schief und hatte retuschierte Zähne. Er fand das schade, denn er mochte es, dass ihre Zähne unregelmäßig waren und ein wenig hervorstanden wie bei seiner Mutter.

Blomgren öffnete die Tür zum Badezimmer. Auf dem Spiegel stand mit rosa Lippenstift und in runden Buchstaben Fuck You geschrieben. Blomgren schüttelte den Kopf, als er das Putzmittel für Spiegel, Fenster und Fernsehschirme hervorholte. Er konnte nicht sonderlich viel Englisch. »Ach, Emily«, seufzte er, »was soll ich denn machen?«

Er trank etwas Wasser aus dem Zahnputzglas, um den schlimmsten Hunger zu stillen, und ging dann in den Garten hinaus. Emily saß in einem Decksliegestuhl unter einem Sonnenschirm und las ein Buch. Die Gartenmöbel waren weg. Man sah auf dem Rasen deutlich, wo sie gestanden hatten.

»Ich bin jetzt zu Hause, Emily.«

»–«

»Ich habe dir Blumen mitgebracht, Emily.«

»–«

»Es war heute sehr anstrengend im Laden, Emily. Wie ist es dir ergangen, Emily?«

»–«

»Was ist denn im Schlafzimmer passiert, Emily? Das Bett ist weg.«

»–«

»Was gibt es zum Abendessen, Emily?« Allmählich verstummte er, sah sich vergeblich nach einem Sitzplatz um und lehnte sich dann gegen die Hauswand.

Emily sah von ihrem Buch auf, nicht ohne vorher ihren dicken Zeigefinger auf die siebente Zeile platziert zu haben. »Keine Ahnung, was du heute Abend isst. Ich für meinen Teil habe im Kleinen Hund gegessen.« Sie wandte sich wieder ihrem Buch zu.

Blomgren sah zum Kellerfenster hinunter. Ein paar weiße Farbspritzer waren auf der Fensterscheibe gelandet, als er die Rahmen neu gestrichen hatte. Er hatte plötzlich das Gefühl, wenn er nur lange genug auf die Farbflecken schauen würde, dann würde alles wieder so werden wie vorher. »Vielleicht gibt es ja noch was in der Tiefkühltruhe, das ich in der Mikrowelle warm machen kann«, schlug er schließlich vor.

»Ja, wer weiß«, antwortete Emily, ohne aufzusehen.

Jeden Morgen dieser pochende Kopfschmerz, als wolle ihm der Kopf zerspringen. Die Morgensonne verhöhnte ihn, und er versuchte, das Geklapper der frühstückenden Sommergäste auf der Terrasse vom Kleinen Hund zu verdrängen, wenn er dort vorbeiradelte.

Nur Johanna lächelte ihn fröhlich an, und er bereute nicht eine Sekunde, dass er sie während Emilys Abwesenheit eingestellt hatte. Vielleicht hatte sie keine besonders gewinnende Art mit den Kunden, aber die Einwohner von Saltön hatten für eine gewinnende Art ohnehin nicht sonderlich viel übrig.

Die erste Nacht hatte er im Gartenhäuschen verbracht. Wo Emily geschlafen hatte, wagte er nicht zu fragen, doch als sie einander am folgenden Tag im Flur begegneten, hatte er mit Tränen in den Augen vorgeschlagen, ein neues Bett zu kaufen.

»Neue Betten«, verbesserte Emily ihn. Am selben Nachmittag war er mit ihr nach Göteborg gefahren – er hasste Göteborg –, um in dem schicksten Möbelgeschäft am Danska Vagen neue Betten zu kaufen. Emily hatte sich bereit erklärt, die neuen Gartenmöbel in einem barackenähnlichen Laden in der Nähe des Wasserwerkes an einer der hässlichen Einfallstraßen von Göteborg zu erstehen, obwohl sie damit Gefahr lief, dass ganz Saltön dieselben Möbel kaufen würde.

Aber sie hatte ja ihren Kapitänsstuhl, und der war einzigartig, denn er hatte auf dem Sonnendeck der Kungsholm gestanden und war tausendmal in salziger Gischt zwischen New York und Göteborg hin- und hergefahren. Emilys Vater hatte den Stuhl erworben, als die Amerikaschiffe an eine Kreuzfahrtlinie verkauft wurden und man in dem Zuge das Inventar an einen ausgewählten Kundenkreis veräußert hatte.

Doktor Schenker hatte an jenem Mittsommertag den Stuhl mehr als bereitwillig abgegeben, obgleich er darin saß, als Emily kam und fragte. »Meine liebe Tochter, ich würde dir alles geben, das ich besitze, wenn es dich nur ein wenig aufheitern könnte.«

»Der Kapitänsstuhl reicht schon, Papa. Und dass es dich gibt.« Emily fand, dass ihr Vater während des Sommers in sich zusammengesunken, ja, fast eingefallen war. Als sie ihn eines Tages im Supermarkt von hinten gesehen hatte, hatte es ihr das Herz zusammengeschnürt. »Es geht dir doch wohl gut, Papa? Alles so, wie es sein sollte?«

Er hatte erstaunt vom Gemüsestand aufgeschaut, eine Artischocke in der Hand. »Mein liebes Kind. Es geht mir seit fünfzehn Jahren nicht gut. Und um die Frage zu beantworten, ob alles ist, wie es sein sollte, bin ich wirklich nicht der Richtige.«

Der Kapitänsstuhl war aus Walnussholz handgearbeitet, mit einem marineblauen Markisenstoff und knubbeligen weißen Hauben an allen Ecken. Man konnte den Stuhl dreistufig verstellen, und er hatte einen separaten Fußschemel. Er roch nach Atlantik.

Emily träumte davon, den Liegestuhl auf eine Nostalgiereise mitzunehmen. Auf einem Deck in Richtung New York würde ihre Fähigkeit zum Tagträumen und zum Hoffen wiederkehren, und der schicke Liegestuhl würde ihr leise Ratschläge fürs Tontaubenschießen und Shuffleboardspiel zuraunen.

Leider gab es nur noch wenige Passagierschiffe. Auf einem Tanker hingegen würde eine dicke Endvierzigerin mit einem noch älteren Decksstuhl ganz schön auffallen. Die Wirklichkeit würde nie mit den Träumen mithalten können. Und doch hatte sie endlich einmal versucht, sie zu verwirklichen. Sie hatte ihren Bogen gespannt.

Die ungemütliche Atmosphäre zu Hause wich nicht, obwohl die Wochen vergingen und die Sommergäste schließlich ihre Autos mit Steinen, Muscheln, Paddeln und perforierten Luftmatratzen beluden und zurück in die Stadt fuhren.

***

»Hallo, Johanna«, hatte Blomgren um neun Uhr morgens am ersten Arbeitstag nach Mittsommer mit seiner sanften Stimme gesagt. Sie hatte nicht geantwortet, und darauf war er vorbereitet gewesen. Er hatte geübt. »Ja, nun hat uns der Alltag wieder. Meine Güte nochmal, wie schnell Mittsommer diesmal vorbeigegangen ist. Würdest du vielleicht so nett sein, als Erstes mal die Retouren zu zählen? Und dann werden wir wohl die Mittsommerdekoration abnehmen müssen, oder? Die dicke Stange aus grün bemaltem Gips nehme ich mit NACH HAUSE. EMILY hat sie gemacht.«

Ja, er würde es schon hinkriegen. Natürlich hatte er es nicht hingekriegt. Ihm waren die Augen übergelaufen, und die Gipsstange war kaputtgegangen, als er sie fallen ließ. Der Mann mit der Baskenmütze hatte neugierig hinter der Industrie Heute hervorgeschaut. Johanna, die blass war und verschlossen aussah, fing sofort an, die Scherben aufzufegen.

»Guten Morgen, Johanna«, musste er schließlich rufen, damit sie Notiz von ihm nahm. Immerhin war er ihr unmittelbarer Vorgesetzter.

»Guten Morgen, Thomas«, murmelte sie, ohne aufzusehen, während er sich intensiv bemühte, den vermaledeiten Knoten in dem Bindfaden um die Tageszeitungen aufzubekommen.

Die Jacke des Typen mit der Baskenmütze war zugeknöpft, obwohl das Thermometer vor dem Kioskfenster zwanzig Grad anzeigte. Er legte Industrie Heute weg und griff nach dem Playboy. »Hat Emily sich gestern über die Blumen gefreut?«, fragte er.

Blomgren sah verkniffen aus.

»Chrysanthemen waren es, oder? Das hat jedenfalls Agnes vom Supermarkt gesagt. Sie hat Sie noch nie zuvor Blumen kaufen sehen.«

»Wir haben übrigens noch geschlossen!«, schnauzte Blomgren den Mann mit der Baskenmütze an. Das war noch nie vorgekommen.

Johanna kehrte die Treppe zum Zigarrengeschäft, dass es nur so staubte. Blomgren hustete ein wenig, als sie an ihm vorbeifegte, aber er wich ihrem Blick aus. Er nahm sein Taschenmesser und schnitt den Bindfaden einfach durch.

Sowie Johanna außer Sichtweite war, rief Blomgren zu Hause an und trommelte nervös auf den Tresen, während er wartete. Nach dem siebten Klingeln ging Emily endlich ran. »Habe ich dich gestört? Warst du in der Waschlaiche?«

»Nein.«

»Emily, wir müssen reden.«

»Worüber?« Sie legte auf.

Blomgren seufzte so schwer, dass ein Lottoschein zu Boden segelte.

Der Mann mit der Baskenmütze sah interessiert von seiner Zeitung auf. »Ziemlich wenig los hier heute, Blomgren«, murmelte er. »Denn jetzt ist ja schließlich geöffnet.«

»Wahrscheinlich verjagst du alle.«

»Meinst du? Sei ganz beruhigt, ich werde jetzt mal eine Runde zum Friseur hinauf drehen und hören, was es Neues gibt.«

»Dann hat er ja wohl Zeitungen, die ich nicht habe.«

Der Mann mit der Baskenmütze lachte.

»Wo soll ich den Karton mit dem Mittsommerkram hinstellen?«

Blomgren sah Johanna verstohlen an. »Stell ihn einfach irgendwohin.«

Johanna stellte den Karton krachend auf den Glastresen genau auf Blomgrens linke Hand. Sie zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen. »Na, ist jetzt alles wieder so wie vorher? Die fette Emily ist wieder da, und ich bin abgemeldet?«

»Aber Johanna…«

»Johanna hier und Johanna da. Pass bloß auf, Thomas, ich bin noch nicht fertig mit dir.«

»Aber Johanna…«

»Ja, ich weiß, dass du verheiratet bist und dass Frau Fleischberg zurück ist, aber du liebst mich. Sie kann uns nicht länger alles kaputtmachen!«

Gegen seinen Willen breitete sich ein kleines Lächeln auf Blomgrens Gesicht aus, und seine Augen waren feucht, als er sich abwandte.

»Ich muss die Aushänger anbringen«, sagte er. »Die Abendzeitungen. Einer unserer schwedischen Popstars erzählt von ihrem Vater und seinen Alkoholproblemen. Das wird Platten- Birger freuen, denn sie hat gerade eine Platte herausgebracht. Wenn es mit dem Verkauf richtig gut läuft, dann wird Orvar vielleicht wieder einen Job bei ihm kriegen. Was des einen Not, ist des anderen Brot. Oder umgekehrt.«

***

Emily hielt ihre Hände gegen das Licht. Es waren immer runde, weiße, hausfrauliche und mütterliche Hände gewesen, mit mittellangen Nägeln, Perlmuttlack und blankem Ehering. Doch während der Mittsommerwoche hatten diese Hände Schrammen und Schwielen bekommen. Fünf Tage in der Natur. Seither hatte sie die Nägel kurz geschnitten und aufgehört, sie zu lackieren. Sie hatte die Gartenhandschuhe weggeworfen und mit den bloßen Fingern im Mohrrübenbeet gegraben. Sie stach sich, als sie Brombeeren und Himbeeren pflückte, und sie war stolz auf ihre neuen Hände. Mit diesen Fäusten war es ihr am Mittsommerabend gelungen, Johanna aus ihrem Heim zu treiben.

Nun, drei Monate später, drückte Emily die Hände gegen das geputzte Küchenfenster, ohne sich darum zu scheren, dass sie Abdrücke hinterließen. Das Leben zerrann ihr zwischen den Fingern.

Mama, Papa, Schule, Hund, Heim, die Post, Kino und Café mit Blomgren, Hochzeit, Schwangerschaft, Paula, Depression, Kindergeburtstage, wieder Schule, Heim und Herd, Weihnachten, Schlankheitskuren, Blomgrens Reise zum Vierzigsten, Krampfadern, Paula zieht aus, die Knie, Frühstücksbedienung, Ekstadt. Für all das war sie weder froh noch dankbar.

In Blomgrens sanfter Stimme schwang eine grausame Härte mit, wenn man aufmerksamer hinhörte als die Kunden in seinem Zigarrenladen. Nur von ihrem Vater hatte sie Wärme und Freundlichkeit erfahren. Er war der Einzige, der sich um sie scherte. Ihre Mutter war an anderen Menschen nicht interessiert gewesen. Sie hielt sich an ihre Kochrezepte. Die sahen sie nicht an und stellten keine bohrenden Fragen. »Emily, reif dich zusammen. Steh nicht einfach nur da.«

Der unwillkommene Schwiegersohn Blomgren hatte mit schwimmenden Augen während der quälenden Sonntagsmahlzeiten bei den Schwiegereltern geschwiegen und gelitten. Keiner widersprach Doktor Schenker, der da bräsig am Kopf der Tafel seine Phrasen drosch. Wenn seine Frau zwischendurch klagte und meckerte, dann taten alle so, als würde sie über das Wetter reden.

Die Fahrradklammern an Oberstudienrat Ekstedt, in die sich Emily zuerst verliebt hatte, erschienen ihr jetzt plötzlich lächerlich. Je länger sie an ihn dachte, desto mehr floss sein Gesicht mit dem Blomgrens zusammen. Streng genommen waren die beiden sich ganz schön ähnlich.

Sie fühlte sich allein gelassen, fror und erstickte gleichzeitig, war menschenscheu und hungrig nach Gesellschaft. Die Küche war ein Gefängnis, aber wenn sie auf die Terrasse, hinaus in die frische Luft, ging, fühlte sie sich noch eingesperrter.

Sie öffnete die Klappe zur Abstellkammer unter der Treppe, wo Blomgren aus unerfindlichen Gründen alte Zeitungen aufbewahrte. Sie suchte ziellos in ihnen herum. Jetzt, da das Haus nicht mehr ständig von dem Geruch nach frischem Backwerk und Braten durchzogen war, fand sie plötzlich, dass es nach Rentnern roch. Verfaulte Äpfel. Bald war das Leben vorbei.

Es klingelte in ihrer Tasche, und sie fischte das schnurlose Telefon hervor. Warum hatte sie überhaupt so ein Ding, wenn sie doch niemand brauchte? Ihr Vater war dran. »Warum kommst du nicht zu mir herauf, und wir trinken zusammen Kaffee?«

»Ich weiß nicht, Papa. Mir geht’s nicht so gut.«

»Ich weiß, was da hilft. Prinzesstörtchen! Ich werde sogleich zur Konditorei hinuntergehen und welche holen. Grün, oder?«

»Ja, Papa, ich komme. Aber ich nehme lieber rosa oder gelb.« Emily ging ins Badezimmer und knipste die Neonleuchte an. Sie besah sich im Spiegel, ohne die übliche Miene mit den hochgezogenen Augenbrauen und dem freundlichen, aber würdigen Lächeln aufzulegen. Wer war diese fremde, aufgedunsene Frau mit den traurigen hellblauen Augen? Der korrekte graue Pagenschnitt mit den hellen Strähnchen passte überhaupt nicht zu der Mondlandschaft, die er einrahmte. Angst, Einsamkeit und Fett. Wie hatte es so weit kommen können?

Gerade eben war sie doch noch ein kleines Mädchen mit kräftigen Waden gewesen, das im Faltenrock Himmel und Hölle spielte. Dann ein verschwitzter unglücklicher Teenager mit Fettwülsten überall. Und jetzt eine verschwitzte unglückliche Hausfrau, die nur am Sonntagmorgen auflebte, wenn sie die Frühstücksbedienung in der Pension Saltlyckan spielen durfte.

Im selben Moment klingelte wieder das Telefon, und Emily roch förmlich den trockenen Geruch der Missionsstation, in der ihre Tochter arbeitete.

»Paula!«

»Was, du bist da? Ich wollte mit Papa reden. Du hattest ihn doch verlassen. Schon vor Monaten!«

»Alles nicht so einfach.« Emily sah aus dem Fenster. Eine Bachstelze hüpfte hektisch auf den Steinen herum, wo sonst immer fein geschnittener Bacon für sie lag.

»Ich hoffe, dir ist klar, dass du dich blamiert hast«, sagte Paula am Telefon mit einer Paula-Stimme, die genau zu den ärgerlichen Bewegungen der Bachstelze passte. »Als ich mit Mirja von der Bank telefoniert habe, hat sie mir gesagt, dass du im Auto wohnen würdest. Im Wald! Und dass du Sex mit einem Touristen hattest. Draußen! Möge Gott dir deine Sünden vergeben. Aber daran denkst du ja wahrscheinlich nicht mal. Du interessierst dich natürlich nur für dich selbst.«

»Es waren ja nur fünf Tage«, murmelte Emily. »Ich wollte ein neues Leben anfangen.«

»Das ist doch lächerlich, Mama. Übrigens brauchen wir hier jede Menge Werkzeug. Würdest du bitte einen Rundruf auf Saltön starten und gebrauchtes Werkzeug sammeln und herschicken? Nicht zu gebraucht allerdings. Nicht so wie letztes Mal.«

»Ich weiß nicht, ob ich die Zeit habe…«

»Zeit? Du hast doch alle Zeit der Welt. Mal im Ernst: Wäre es nicht ein schönes Gefühl, zur Abwechslung mal etwas Nützliches zu tun? Einmal Gott zu dienen und nicht nur dem Mammon?«

Als Teenager hatte Emily Tagebuch geschrieben. Sie hatte jedes Jahr ganz genau ein rot eingeschlagenes Buch gefüllt. Große Begebenheiten hatten manchmal nur eingeschränkten Raum bekommen können. Ein rotes Tagebuch mit einem Goldherz für jedes Jahr. Sie hatte sie nicht nur mit einem kleinen Schloss versiegelt, sondern dazu noch mit einem roten Seidenband, das sie zu einer Rosette geknotet hatte.

Neun komplette Tagebücher hatte sie in ihr Haus mitgebracht, doch Blomgren hatte sie verbrannt. Er hatte sie ganz einfach in den Ofen gesteckt. »Jetzt bist du eine erwachsene Frau«, hatte er mit sanfter Stimme gesagt. »Schluss mit dem Mädchenquatsch.« Der stille, feine Blomgren, den alle Kunden verehrten.

Sie ging in die Spätsommerwärme hinaus und schloss die Tür hinter sich. Abends kamen immer noch Weberknechte hereingeflattert. Sie nahm das Auto den kurzen Weg zur Arztvilla hinauf, um niemandem begegnen zu müssen.

Routinemäßig schaute sie in den Briefkasten ihres Vaters. Ein paar Zeitschriften für das Wartezimmer und ein farbenfrohes Reklameblatt mit einer unglücklichen und verschwitzten dicken Frau, die mit verbundenen Augen auf einer Waage stand.

»Jetzt ist es Zeit. Freunde dich mit deinem Körper an. Hier und jetzt, auf Saltön. Startpaket für den Monatskurs nur 1.695 Kronen. Kochbuch inklusive.«

Ihr Vater hatte ein wenig ungeschickt gedeckt, wie immer mit dem Besteck auf der falschen Seite. Er sah seine Tochter erstaunt an, als sie den Teller mit den Törtchen wegschob. »Was ist denn mit dir los, Emily? Was ist passiert?«

»Keine Prinzesstörtchen mehr für mich, Paps. Jetzt fängt mein neues Leben an.«

»Ausgezeichnet«, sagte der Vater, »dann kriege ich zwei.«

***

Das Haus lag am äußeren Rand des Ortes, direkt oberhalb der Konservenfabrik in the middle of nowhere. In den fünfziger Jahren war Rut Janssons Kurzwarenladen darin gewesen, und danach hatte es mit seinen beiden großen Schaufenstern rechts und links von der Eingangstüre lange leer gestanden. Eine kurze Zeit in den Siebzigern hatten die Hare-Krishna-Leute es bewohnt und neugierigen Saltönbewohnern Linsensuppe angeboten. Das Kollektiv hatte mit Hilfe von Rut Janssons Ladeneinrichtung kleine gemütliche Feuerchen auf dem Holzfußboden gemacht. Die Mahagonischubladen hatten besonders gut gebrannt. Am Ende hatten sie keine Lust mehr und waren nach Göteborg zurückgekehrt, wo sie sich Anzüge gekauft und Plattenläden und Solarien eröffnet hatten.

In den achtziger Jahren war das Haus von einem Erfinder gekauft worden, einem Inventor. Das hatte jedenfalls in Neonbuchstaben auf dem Dach gestanden: Inventor Big Boy. Niemand hatte so richtig gewusst, was da drin vor sich ging, aber es mussten große Sachen sein. Der Gang an die Börse war nicht mehr weit, und bald würde es Ausbau und neue Arbeitsplätze geben!

Der Besitzer, Geschäftsführer und gleichzeitig Vorstandssprecher Percy Lilien Boy hatte sich vor dem Eingang der Firma von dem radelnden Reporter der Saltö Tidning interviewen lassen. Vor den Schaufenstern hingen schwarze Gardinen. Dann interessierte sich der Gerichtsvollzieher für das Haus, und Percy Lilien Boy wanderte ins Gefängnis.

Und dann kam das solide, multinationale Unternehmen Freunde-dich-mit-deinem-Körper-an und kaufte die Bruchbude. Das alte Haus wurde rosa angestrichen und bekam eine kleine Pizzeriamarkise über dem Eingang. Ein Rasen wurde ausgerollt, und die Fassade wirkte jetzt wie aus House and Garden ausgeschnitten. Rut Janssons Schaufenster wurden von riesengroßen Bildern mit lachenden und laufenden Menschen in Sporttrikots ausgefüllt. Schmal wie Bleistifte, aber mit riesengroßen weißen Zähnen. Auf giftgrünen Pfeilen stand, wie viel diese Menschen zuvor gewogen hatten und wie viel weniger sie jetzt wogen, da sie so große Zähne bekommen hatten.

Emily keuchte schwer außer Atem, als sie den Hügel hinaufkam. Sie hasste sich selbst und ihr rotes verschwitztes Gesicht. Sie öffnete ihre kleine Handtasche aus Schildpatt und holte das Lippenstiftetui heraus. Die Sonne brannte schonungslos, als Emily einen Blick in den Verkleinerungsspiegel (als ob das helfen würde!) warf. Sie war noch viel roter und verschwitzter, als sie gedacht hatte.

Gott im Himmel, es war wirklich hoffnungslos. Der Einzige, der sie hätte trösten können, war ihr Vater, aber in diesem Fall wäre er keine große Hilfe, denn er war ebenso dick wie sie. Sie sah sich gründlich um, ehe sie zur Tür ging. Für den Fall, dass irgendein übel gesinnter Mensch und womöglich die dämliche, magere und promiskuitive Johanna auftauchen sollte, hatte sie sich ein paar Antworten zurechtgelegt: »Ja, mein Gott, hat der Kurzwarenladen zugemacht? Und das, wo ich für die Freizeithose MEINES MANNES Knöpfe kaufen wollte. Himmel nochmal, wie die Zeit vergeht!«

Aber die Straße war leer und sonnenbeschienen. Emily atmete schwer und starrte auf die Tür. Könnte dies der Schlüssel zu allem sein?

Fünf Minuten vor drei versuchte sie die Glastür zu Freunde- dich-mit-deinem-Körper-an aufzumachen. Sie war verschlossen. Wie peinlich. Draußen am Bürgersteig parkten einige glänzende Autos, und sie meinte, aus dem offenen Fenster im zweiten Stock ein Radio zu hören.

Emily beschloss augenblicklich, wieder nach Hause zu gehen, und sie hatte gerade mit dem Abstieg begonnen, als sie eine gellende Jungmädchenstimme hörte. »Hallo, sind Sie Emily? Warten Sie doch, ich mache Ihnen auf!«

Emily wandte sich mit düsterer Miene um und sah eine junge gut geschminkte Frau in einem weißen Baumwollkleid mit fest gezurrtem Gürtel in der Türöffnung stehen.

Die Frau drohte scherzhaft mit dem Finger. »Das waren doch Sie, die angerufen haben, oder? Ich erkenne Sie wieder! Ich habe Sie nämlich irgendwann um Mittsommer herum unten beim Trimmplatz gesehen. Waren Sie das nicht, die da in einem Auto gewohnt hat? Eigentlich haben wir noch nicht auf, aber weil ich gesehen habe, dass Sie schon drauf und dran waren, wieder zu gehen, mache ich eine Ausnahme.«

Emily lächelte, denn sie war doch erleichtert, reingehen zu können, und fühlte sich noch sicherer, als das Mädchen die Tür hinter ihnen zuschloss. Die Eingangshalle war hellgelb wie Sahneeis mit echter Vanille, und in großen Ständern drehten sich Vollkornpakete und Packungen mit fettfreiem Mikrowellenpopcorn. Sie streckte ihre Hand aus. »Emily Blomgren.«

Das Mädchen nahm Emilys warme rechte Hand zwischen ihre beiden knochigen Hände. »Céline. Wir reden uns hier nur mit Vornamen an.«

Emily sagte sich, dass sie Céline überlegen war, weil ihr Vater Arzt war, ihr Mann den Zigarrenladen des Ortes besaß und sie selbst eine wohlgeratene, gut gewachsene Tochter hatte, die in Afrika verlobt war. Außerdem sprach sie deutsch, und das konnte Céline sicher nicht.

»Bitte schön, kommen Sie doch in mein Büro«, sagte Céline. »Ich bin hier die Geschäftsführerin, und ich war einmal fast so dick wie Sie. Hätten Sie das gedacht?«

Sie lachte herzlich und wies auf eine Fotografie auf dem Tisch, die einen fetten Teenager zeigte, der breitbeinig an einem Pool saß und Folienkartoffeln mit Crème fraîche aß. »Ja, sehen Sie nur hin, Emily. Das bin ich, die da sitzt. Unglaublich, nicht? Und Sie können so werden wie ich! Hätten Sie das gedacht?«

Emily betrachtete mit düsterer Miene Céline, die gewiss schlank war, aber aus gierigen Fettzellen zu bestehen schien, die sich danach sehnten, dass alles wieder so werden würde wie früher. Vor dem breiten Gürtel, dem kurzen Rock und dem fettfreien Popcorn.

»Ein halbes Jahr meines Lebens«, konstatierte Céline. »Natürlich kommt Ihnen das furchtbar lang vor (sie maß die Entfernung mit den Händen ab). Ich weiß genau, was Sie denken, Evelyn.«

»Emily.«

»Ich weiß genau, was Sie denken, Emily. Sie wollen in drei Wochen dreißig Kilo verlieren. Aber überlegen Sie doch mal selbst, Emily. Wie lange haben Sie gebraucht, um all diese Pfunde zuzulegen? Doch nicht nur drei Wochen, oder?« Sie zwinkerte bedeutungsvoll. »Ja, ich habe mein Ziel erreicht, und dann wurde ich hier angestellt, und jetzt bin ich Geschäftsführerin.«

Emily bezahlte den Kursbeitrag und bekam eine Quittung, auf der eine durchgestrichene Zimtschnecke als Logo abgebildet war. »Und jetzt kommt das Geschenk: Ehe die anderen kommen, bekommen Sie ein kleines Mantra von mir. Es gibt ein Wort, das Sie nie mehr sagen dürfen. Und das ist ‹Abnehmen›. Wenn Sie ‹Abnehmen› denken wollen, dann denken Sie einfach stattdessen das Mantra. Und Ihr Mantra ist: ‹Freunde dich mit deinem Körper an›.«

Wäre das hier immer noch ein Kurzwarenladen gewesen, dann hätte Emily jetzt ein paar Knöpfe kaufen, sich bedanken und auf Wiedersehen sagen können. »Ich will schnell abnehmen«, sagte Emily. »Ich habe es eilig.«

Céline öffnete den Mund wie ein Fisch, aber im selben Augenblick klingelte es an der Tür. Sie schaute auf ihre Heine goldene Uhr.

Draußen vor der Tür warteten mehrere Frauen unterschiedlichen Alters und Formats und ein großer, kräftiger grauhaariger Mann in den Vierzigern. Emily reckte ihren Hals, sog die Wangen ein und zerrte an ihrem Perlenhalsband, das sie einschnürte und unter dem Kinn schweißnass geworden war. Sie zog Céline am Arm. »Kann ich nicht so eine Art Privatstunden bekommen?«

Céline schüttelte ihren Arm ab und zog am Gürtel um ihre Taille. »Das kann ich Ihnen leider nicht bieten, Emily. Unser Hauptgeschäft in Stockholm hat in der Tat Einzelpersonenbetreuung für Prominente, die nicht von gewöhnlichen Leuten angeglotzt werden wollen. Aber Sie sind ja nicht berühmt. Machen Sie sich keine Sorgen, Emily. Bald finden Sie hier Kameraden. Oder Mitglieder, wie wir es nennen.«

Nachdem sie sich gewogen hatte, setzte sich Emily ganz nach hinten und studierte die anderen. »Hallo, fette Kameraden«, murmelte sie leise vor sich hin. Der einzige Mann in der Gruppe kam ihr bekannt vor. War er nicht der Polizist, der ihr geholfen hatte, als ein Tourist am Mittsommerabend vorigen Jahres ihren Zaun umgefahren hatte? Ganz genau. Nicht von hier. Er sah nicht einmal schwedisch aus mit seinem dicken grauen Haar. Er hatte keinen Hals.

Als Aufwärmübung mussten alle Mitglieder erzählen, wie sie zu dem Treffen hingekommen waren.

»Ich wollte ja eigentlich zu Fuß gehen«, sagte der Polizist, »aber ich habe das Auto genommen, weil ich so furchtbar ins Schwitzen gekommen wäre.«

»Und wie ist das, wenn Sie Streife gehen?«, kicherte ein riesenhaftes Mädchen in einem rosa T-Shirt. Die Arme standen ihr fast gerade vom Körper weg, und sie hatte erstaunlich kleine Füße. Emily schielte auf ihre eigenen.

»Witze auf Kosten anderer verbitten wir uns hier«, sagte Céline.

»Ist schon in Ordnung. Da sollten Sie mal hören, was die anderen auf der Wache sagen. Die vergleichen mich mit dem Polizisten bei den Simpsons.«

Alle, die Kabelfernsehen hatten, lachten. Dann wandte sich der Polizist plötzlich um und zwinkerte Emily zu, die sofort zu Boden sah.

Céline rief die Mitglieder zur Ordnung. »Mitglieder ist doch ein netteres Wort als Kunden! Schon bald werden Sie sich ganz einfach wie eine Familie fühlen.«

»Eine Familie von Mitgliedern?«, fragte Emily und zog eine Augenbraue hoch. Der Polizist drehte sich um und lächelte mit weißen Zähnen.

Die Mitglieder wurden jetzt aufgefordert, in ein Kästchen ganz unten auf der Gewichtskarte, auf der ihr aktuelles Gewicht in roten Ziffern leuchtete, ihr Wunschgewicht einzutragen. Emily, die neunundneunzig Komma neun Kilo wog, schrieb siebenundfünfzig, denn Blomgren hatte unvorsichtigerweise behauptet, dass Johanna das wiegen würde. Sie sah aus dem Fenster auf eine Hecke Ölandsginster und musste unwillkürlich an Ragnar Ekstedt denken. War er wieder in Kalmar? War er vielleicht stolz auf seine Mittsommerromanze? Gab er damit im Lehrerzimmer seiner Schule an? Oder hatte er Emily als schimpfliche Affäre aus seiner Erinnerung getilgt, während er neue Damen mittleren Alters umwarb, die in ihren Ehen nicht genügend Aufmerksamkeit bekamen? War sie nur eine neue Kerbe in seinem Holz? Wenn er sich auf ebenso freigebige und des Kochens mächtige Liebhaberinnen wie Emily spezialisiert hatte, dann war der Sommerurlaub für ihn ein voller Erfolg gewesen.

Von fern her hörte sie Céline ihre (über)gewichtige Geschichte erzählen, während sie mit einem kleinen Zeigestock in Form einer Porreestange auf einen Fettwulst auf dem Overheadbild zeigte. »Wahrscheinlich werden Sie nicht glauben, dass ich das bin.«

Die Mitglieder murmelten höflich. Einige schüttelten die Köpfe. Dann berichteten mehrere Mitglieder von ihren schlechten Essgewohnheiten, ein paar in entschuldigendem Tonfall, andere scherzhaft. Der Polizist lebte, seit seine Freundin ihn verlassen hatte, rund um die Uhr von Fastfood, und das Mädchen konnte an keinem Geschäft mit Süßigkeiten Vorbeigehen. Da hagelte es Ratschläge. »Kein Geld in der Tasche. Gehen Sie einen anderen Weg.«

Céline hörte höflich zu, lächelte ein wenig, reckte dann den Hals und ergriff das Wort: »Jetzt hat nur Emily noch nicht von ihren Problemen gesprochen.«

»Probleme? Meine Sorgen betreffen eher den Bereich Soufflé und Paté«, sagte Emily und lächelte wie eine Königin.

Kapitel 2

MacFie saß auf dem Brunnendeckel und betrachtete seine Katze. Sie sah alt und mitgenommen aus und hatte vom Schlaf verklebte Augen.

»Ja, du, Clinton«, sagte MacFie.

Clinton leckte sich die rechte Vordertatze.

»Ich habe gesagt, ja, du, Clinton.« Er betrachtete seine Hände, die Hände eines alten Mannes, stark, mitgenommen und mit braunen Flecken. Verdickungen an allen Knöcheln. Vom Hühnerhaus her hörte er Gregory Peck mitleidsvoll kollern. Clinton schielte auf seine Tatze. »Frauenzimmer sind eigentlich ein abgeschlossenes Kapitel für uns. Das waren sie jedenfalls.«

Clinton erhob sich, reckte sein Hinterteil und ging zehn Meter weiter und setzte sich unter einen Birnbaum. Zwei Hühner flatterten aufgeregt davon. »Aber als Sara in der Mittsommernacht zu mir auf die Insel gekommen ist, da wusste ich mit einem Mal, warum ich eine ganze Woche lang so rastlos gewesen war. Dass sie und ich eben kein abgeschlossenes Kapitel waren.«

Clinton folgte mit dem Blick einem Huhn, das zum Sandhaufen spazierte, wo es ein Bad nahm, sich plusterte und die Sandkörner durch Federn und Daunen rieseln ließ. MacFie musste lauter reden, damit die Katze ihm auch zuhörte.

»Und wie soll das jetzt weitergehen? Wir sind vierzig Jahre auseinander. Zweiundvierzig, wenn man ganz ehrlich sein will. Es wäre leichter, wenn ich eine Katze wäre. Dann wäre ich schon tot.«

Man konnte ein unterdrücktes Kichern von der anderen Seite der Schneeballhecke hören, und im nächsten Augenblick liefen sechs kleine Mädchen mit eingezogenen Köpfen auf dem Weg zum Badeplatz vorbei.

MacFie stand auf und holte Handschuhe und den Hut mit Schleier, der auf einem Haken an der Hauswand hing. Er ging zu seinen Bienenkörben hinüber. Clinton stand ebenfalls auf und folgte ihm.

Es wurde langsam Zeit, zu entscheiden, welche Völker überwintern durften. Vielleicht könnte er zwei Zusammenlegen. Die schwächste Königin wegnehmen und das schwache Volk mit einem stärkeren zusammenbringen, wenn er ein paar Zeitungen dazwischen tat.

»Ja«, sagte MacFie zu den Bienen, »die Zeiten werden schlechter. Ich muss Ihnen leider sagen, dass es noch sehr lange hin ist, bis die Stachelbeerbüsche wieder in Blüte stehen.«

Er wandte sich erneut der Katze zu. »Hast du dir schon mal überlegt, was Saras Vater wohl sagen wird? Er ist zehn Jahre jünger als ich. Er wird mich umbringen wollen. Das würde ich jedenfalls an seiner Stelle tun.« MacFie brach in Lachen aus. »Aber das ist es wirklich wert.«