Sommer ist meine Lieblingsfarbe - Claudia Schaumann - E-Book
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Sommer ist meine Lieblingsfarbe E-Book

Claudia Schaumann

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Beschreibung

Was passiert, wenn du alles hast, was du immer wolltest? Und trotzdem nicht glücklich bist?

Ava ist 43 und hat alles, wovon sie immer geträumt hat: einen tollen Mann, drei bezaubernde Kinder, drei Hühner und ein wunderschönes Haus in Hamburg Vierlanden, gleich hinter dem Deich. Dennoch fragt sie sich in letzter Zeit immer öfter, ob das schon alles war und ob sie wirklich glücklich ist. Oder ist sie irgendwo falsch abgebogen? Als sie völlig unerwartet eine Nachricht von ihrem Ex-Freund Pinto erhält, wirbelt das ihren Alltag ganz schön durcheinander. Ava entdeckt das Kribbeln im Bauch und ihre Leidenschaft für Farbe und alte Möbel wieder. Und verliebt sich noch einmal ganz neu. In sich selbst – und in ihren Traummann ...

Das humorvoll-turbulente Romandebüt der SPIEGEL-Bestsellerautorin und erfolgreichen Bloggerin und Instagrammerin (»wasfuermich«).

»Ein sehnsuchtsvoll-schöner Roman über ungerade Lebens- und Liebeswege – frisch vom Deich direkt ins Herz!« Karla Paul

»Die Gefühlsachterbahn einer Frau, die vermeintlich alles im Leben hat und trotzdem mehr will – ich habe so mit Ava mitgefiebert!« Alexa von Heyden

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 481

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Buch

Ava ist 43 und hat alles, wovon sie immer geträumt hat: einen tollen Mann, drei bezaubernde Kinder, vier Hühner und ein wunderschönes Haus in Hamburg Vierlanden, gleich hinter dem Deich. Dennoch fragt sie sich in letzter Zeit immer öfter, ob das schon alles war und ob sie wirklich glücklich ist. Oder ist sie irgendwo falsch abgebogen? Als sie völlig unerwartet eine Nachricht von ihrem Ex-Freund Pinto erhält, wirbelt das ihren Alltag ganz schön durcheinander. Ava entdeckt das Kribbeln im Bauch und ihre Leidenschaft für Farbe und alte Möbel wieder. Und verliebt sich noch einmal ganz neu. In sich selbst – und in ihren Traummann …

Autorin

Claudia Schaumann, geboren 1977, arbeitete nach ihrem Volontariat als Redakteurin bei großen Tageszeitungen und Magazinen. In ihrer zweiten Elternzeit gründete sie den Blog WASFÜRMICH, der inzwischen zu den größten deutschen Blogmagazinen gehört. Sie hat vier Kinder, betreibt neben dem Blog einen sehr erfolgreichen Instagram-Kanal und schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene.

Claudia Schaumann

Sommer ist meine Lieblingsfarbe

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe März 2024

Copyright © 2024 by Claudia Schaumann

Copyright © dieser Ausgabe 2024

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Gaeb & Eggers.

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Covermotive: © FinePic®, München

LS · Herstellung: ik

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-30939-8V002

www.goldmann-verlag.de

Kapitel 1

Ava

Alles begann mit einer WhatsApp-Nachricht. Abends, müde, auf der Couch. Ich war sogar zu kaputt gewesen, um mir ein Glas von meinem Lieblings-Sauvignon-Blanc zu holen. Die Nachricht kam von einer unbekannten Nummer, ich wollte sie erst gar nicht öffnen. Wollte gar nicht wissen, wer da schon wieder etwas von mir wollte. Dass er es war, konnte ich ja nicht ahnen. Bis dahin war es ein stinknormaler Montag gewesen.

Drei Stunden zuvor hatte ich Len zum Tischdecken verdonnert. Im goldgelben Abendlicht stand mein Sohn mit blankem Oberkörper vor der Küchenvitrine und balancierte einen Stapel blau-weiße Royal-Copenhagen-Teller wie seinen Fußball auf der flachen Hand.

»Isst Papa mit?«, wollte er wissen.

Ich schnappte nach Luft.

Bevor ich etwas sagen konnte, beantwortete er seine Frage seufzend selbst. »Natürlich nicht.«

Klirrend ließ Len einen der Teller wieder in der weißen Vitrine verschwinden. Ich stand an der Spüle, stopfte tropfnasse Salatblätter in die Schleuder und zog unnötig heftig am Band, damit sie sich drehte. Ich war so müde. Überall Krümel. Kratzer auf der Eichenarbeitsplatte. Dreckige Kindersocken auf dem Boden. Mein Geduldsfaden war kurz davor zu reißen – genau wie der Seilzug der Salatschleuder.

Es rumste. Erschrocken schaute ich auf und sah, dass Len die übrigen Teller wie Frisbeescheiben auf die hellgraue Leinentischdecke warf. Dann riss er die Besteckschublade mit so viel Schwung auf, dass ich fürchtete, er würde sie gleich in der Hand halten. Oder der Schrank könnte ihn erschlagen. Mein Mittlerer bestand neuerdings nur noch aus Muskeln. Der sportlichste meiner Söhne war neun Jahre alt, gerade zwei Stunden beim Training gewesen und hatte noch immer Energie ohne Ende. Ich war 43, hatte den ganzen Tag gefühlt gar nichts gemacht, schon gar keinen Sport, und war todmüde.

Seit einer Ewigkeit wollte ich endlich mal wieder laufen gehen. Vielleicht würde ich mich anschließend besser fühlen. Aber der Alltag war auch ohne Joggen schon anstrengend genug.

Len wollte Fußballstar werden, da war er sich absolut sicher. Ständig erzählte er mir, was er sich mit seinen verdienten Millionen alles kaufen würde. Und er liebte es, sein Leben wie ein Sportreporter zu kommentieren. Manchmal auch meins.

»Ava Altmann, 43 Jahre, befindet sich in der heißen Endphase dieses Abendbrotmatches«, rief er aufgeregt. Die honigfarbenen Sommersprossen auf seiner Stupsnase leuchteten in der Abendsonne. »Gerade steckt sie in einem gefährlichen Zweikampf mit einer Tomate. Wer wird als Gewinner aus diesem Duell hervorgehen …?«

Ich schaute ihn träge seufzend an. Len imitierte perfekt den aufgedrehten Tonfall eines Reporters. Obwohl es in meinem Kopf dröhnte, musste ich lachen. Sein Grinsen mit den hübschen Grübchen war einfach ansteckend.

Ich ging zum Kühlschrank und holte noch ein paar weitere Tomaten aus dem Gemüsefach. Weil es heute Mittag nur für Fertigmilchreis gereicht hatte, sollte es wenigstens zum Abendessen ein bisschen was Gesundes geben. Aber kaum schnitt ich in die erste Tomate, spritzte sie ihr Innenleben an die Wand.

»Ein fieses Foul von Ava Altmann«, kommentierte mein Sohn. »Ihre Gegnerin liegt verletzt am Boden. Wird Altmann dafür vom Platz fliegen? Zumindest eine rote Tomatenkarte sollte ihr sicher sein.« Er lachte laut über seinen Witz.

»Du fliegst gleich – und zwar hier raus!«, drohte ich.

Dann schnappte ich mir seufzend ein Stück Küchenrolle und wischte die Flecken von den altweißen Metrofliesen. Jan würde durchdrehen, wenn er wüsste, dass die Fugen seiner liebevoll ausgewählten Kacheln rote Flecken hatten.

Ach, Jan. Durch das lichtgraue Sprossenfenster schaute ich über den Vorgarten und die grüne Wiese zu dem kleinen, rot geklinkerten Häuschen mit den bodentiefen Fenstern hinüber. Jan hatte seit zehn Jahren sein eigenes Architekturbüro im sanierten Schafstall, vorne auf dem Hof, direkt an der schmalen Deichstraße. Damit hatte er sich einen lang gehegten Traum erfüllt. Die großen Fenster ließen viel Licht herein, die alten Balken machten es gemütlich, und die modernen, glänzenden Büromöbel bildeten einen gelungenen Kontrast zum Landhausstil.

Jans Meisterstück aber war unser Haus. Es stand auf einer ehemaligen Streuobstwiese hinter dem ausgebauten Stall und sah mit seinen weißen Fachwerkbalken im Rotklinkergiebel, den Sprossenfenstern, den beiden Gauben und der weißen Holzveranda aus wie aus der Jahrhundertwende – dabei hatte Jan es eigens für uns entworfen. Ich liebte dieses Haus – von den grün-grauen Zementfliesen aus Marokko im Flur bis hin zu den weißen Holzschnörkeln am Dach. Aus unserem Schlafzimmerfenster in einer der Gauben konnte ich über den Deich und die weiten Wiesen bis hinüber zur Elbe sehen, die sich hier in Vierlanden, im äußersten Zipfel Hamburgs, gemächlich durch die Landschaft schlängelte. Im Frühling und Sommer hörten wir abends im Bett die Deichschafe mähen, und es roch nach Wiese. Jeder, der unser Haus zum ersten Mal sah, seufzte, weil es so schön war. Nur ich seufzte in letzter Zeit immer öfter, weil unsere Jungs es so heruntergerockt hatten.

Auch das Fenster vor mir war fettfingergetupft. Ich spürte eine drängende Unruhe im Bauch, alle Fenster mal wieder gründlich zu putzen, obwohl ich Fensterputzen hasste. Wann hatte ich angefangen, unser schönes Haus bloß noch als To-do-Liste zu sehen?

Jan und ich hatten oft darüber gesprochen, dass das Haus eines Architekten immer auch sein Werbeplakat war. Ich starrte hinüber zu seinem Büro, und es kam mir vor, als könnte ich auf magische Weise durch Wände gucken. Hinter rotem Klinker, mattweiß verputzten Wänden und einem deckenhohen Aktenstapel in Popelbeige saß ganz sicher mein Mann und grübelte über einem Bauplan.

»So praktisch!«, hatte er anfangs geschwärmt, als er sich sein Büro bei uns auf dem Hof einrichtete. »Ich bin immer in deiner Nähe!«

In Wahrheit schien mir gerade nichts weiter weg als der ehemalige Schafstall dort drüben.

»Was gibt’s heute?« Leo war so plötzlich hinter mir aufgetaucht, dass ich zusammenzuckte. Und bevor ich etwas sagen konnte, verdrehte mein Ältester die Augen und maulte. »Bloß Salat? Mann, Mama, ich hab so Hunger!«

Er hatte sich den ganzen Nachmittag in seinem Zimmer verschanzt. Eine Vier in Mathe plus eine Musikarbeit am nächsten Tag ergaben schlechte Laune. Ich konnte es ihm nicht verübeln.

Mein Blick wanderte über seine Hand, die ein paar Tomatenstücke mopste, über seine schmalen Arme und Schultern bis zu seinem Gesicht. Wo mein Sohn bis vor Kurzem zarte Pausbäckchen gehabt hatte, sprossen neuerdings ein paar Pickel. In seinem weißen Poloshirt hing der leicht säuerliche Geruch von Schweiß. Mein Großer wurde groß.

Ich schob ihn sanft zur Seite und rettete die übrigen Tomatenstücke in eine kleine Schale.

»Linus!«, rief ich. »Das darfst du zum Tisch tragen.«

Im Gegensatz zu seinen beiden großen Brüdern half mir mein Jüngster noch richtig gern. Jetzt aber kam er auf nackten Füßen schluchzend angerannt und krallte sich an meinem Bein fest. Soweit ich seinem Schimpfen entnehmen konnte, wollte er im Flur mit Len kicken und durfte nicht. Ich hörte den Lederball auf die Fliesen platschen und überlegte, was wohl gleich kaputtgehen würde. Irgendwas ging immer zu Bruch. Heute war ich allerdings selbst zu kaputt, um etwas gegen die Ballerei zu sagen. Leo kickte nun auch mit, immerhin spielten sie nicht im Wohnzimmer.

Ich strich Linus über die weichen Haare und sagte: »Lass die Großen. Stell mal schnell die Tomaten auf den Tisch, dann spiele ich Fußball mit dir.«

Diese Vorstellung schien noch schlimmer zu sein als die Tatsache, dass Leo und Len ihn nicht dabeihaben wollten. Linus fing augenblicklich an zu kreischen, als hätte ich gedroht, seine Paw-Patrol-Plastikhunde ins Tierheim zu bringen. Ich beugte mich zu ihm runter, um ihm die Tomatenschüssel wieder aus der Hand zu nehmen, bevor ein Unglück passierte.

Zu spät.

Es rumste. Der Ball knallte gegen den Küchenschrank, prallte ab und erwischte meinen Arm. Platsch machten die Tomaten und landeten in einem stückigen See auf den Holzdielen. Leo und Len grinsten mich vom Flur aus an.

»Ähhhhh … Tschuldigung, Mama, war echt keine Absicht!«, rief Len.

Ich schielte auf die Uhrzeit am Backofen. Noch etwas über eine Stunde bis zur Couch. Wenn ich mich beeilte. Ich wedelte mit der Küchenpapierrolle, und meine beiden Großen maulten. Sie wussten genau, dass sie die Sauerei selbst wegwischen mussten.

Ausgerechnet jetzt klingelte mein Handy. Ich schielte kurz drauf. Mein Vater. Auch das noch. Da konnte ich jetzt nicht drangehen. Den musste ich später zurückrufen.

»Söne Sweinerei!« Linus tapste begeistert im Tomatenmatsch hin und her.

Seine Brüder stritten sich um die Küchenrolle. Ich atmete tief durch und riss beiden ein Stück Papier ab. Dann hob ich Linus hoch und trug ihn ins Bad, um ihm die Füße zu waschen.

»Ich will gleich nichts mehr sehen, klar!«, rief ich beim Rausgehen.

Als ich wiederkam, war der Matsch noch da, bloß sorgfältig verteilt. Zwei zerknüllte, rosa angelaufene Küchenpapierstücke lagen daneben. Die meisten der kleinen Tomatenkerne steckten in den Dielenritzen – neben ein paar Sesamkörnern, Staub und Bastelglitzer. Die Ritzen erinnerten sich besser als ich, was meine Kinder und ich den ganzen Tag lang so trieben.

Von den großen Jungs war nichts mehr zu sehen. Und, noch ungewöhnlicher, auch nichts zu hören. Das Telefon hatte ebenfalls aufgehört zu klingeln, dafür meldete sich in meinem Kopf jetzt das schlechte Gewissen. Was, wenn meinen Eltern etwas passiert war?

Ich fröstelte. Von irgendwoher zog es.

Als ich in den Flur schaute, stellte ich fest, dass die Jungs in den Garten verschwunden waren und mal wieder vergessen hatten, die Haustür zu schließen. Aber statt wie sonst Machtdietürzu! zu brüllen, war ich erleichtert, meine Kinder ausnahmsweise nicht mehr mit Tischdecken, Hausaufgaben oder Klavierüben nerven zu müssen.

Stattdessen trat ich hinaus und schloss für einen Moment die Augen. Hier in der Sonne war es warm. Unter süßen Ramblerrosenduft mischte sich die Würze von Lavendel. Ich hörte eine Biene brummen, und eine leichte Brise pustete mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Die frische Luft tat gut.

Nur fünf Minuten, sagte ich mir, atmete tief ein und lehnte mich an den Türrahmen, nur fünf Minuten.

Dann aber fiel mir mein Vater ein, ich zog eilig das Handy aus der Hosentasche und rief ihn zurück.

Niemand ging ran. Also war es sicher nichts Dringendes, versuchte ich mich zu beruhigen. Hoffentlich nicht.

Seit meine Mutter vor einem Jahr einen Schlaganfall gehabt hatte, pflegte mein Vater sie rund um die Uhr, dabei war er bereits 86. Meine Eltern wohnten noch immer in ihrer großen Wohnung, vier Stunden Fahrzeit von Hamburg entfernt, und wollten keine Hilfe annehmen. Am Telefon allerdings jammerte mein Vater regelmäßig, wie traurig es war, dass meine Mutter kaum mehr gehen und sprechen konnte. Und wie anstrengend für ihn, sich um sie zu kümmern. Doch jedes Mal, wenn ich mich um eine mobile Pflege oder sogar ein betreutes Wohnen bei uns in der Nähe kümmern wollte, lehnte er ab.

»So einfach ist das alles nicht!«, klagte er.

»Ich weiß«, stimmte ich ihm zu, »aber es wird ja auch nicht einfacher, wenn wir nichts tun.«

Nach jedem dieser Gespräche hatte ich ein furchtbar schlechtes Gewissen.

Zurück in der Küche, setzte ich mich auf den Boden und begann träge, mit Daumen und Zeigefinger die winzigen Tomatenkerne von den Dielen zu pulen. Einen nach dem anderen. Jeder Kern neu und doch gleich. Wie die Tage in meinem Leben.

Seufzend lehnte ich mich mit dem Rücken an den Küchenschrank und entdeckte mein Spiegelbild in der Backofenscheibe gegenüber. Meine Jeans schnitt in meinen Schlabberbauch, mein Shirt hatte unappetitliche Flecken, und aus meinem Zopf hatten sich unordentliche Strähnen gelöst. Ich streckte mir selbst die Zunge raus und zog die Jeans ein Stück höher.

Plötzlich musste ich daran denken, wie Jan und ich den Bodenbelag unter meinem Hintern ausgesucht hatten.

»Auf jeden Fall Echtholz!«, hatte Jan gemeint, und seine meerblauen Augen hatten geleuchtet.

Ich hatte nie zuvor jemanden getroffen, den geölte Eiche so glücklich machen konnte. Genau das liebte ich an ihm. Jan sah mit seinen zerzausten dunkelblonden Haaren und dem Dreitagebart aus wie ein Surfer, träumte aber von einem Haus mit Echtholzdielen – und mit mir.

Im Küchenstudio stand ich bloß da und schaute zu, wie er mit dem Verkäufer sprach, der schnell von einem freundlich distanzierten Verkäufergesäusel zu einem ehrlich interessierten Fachgesprächston wechselte. Jan schwärmte von verschraubten Dielen, und der Verkäufer gab ihm recht. Ich bewunderte beide – Jan und die Echtholzdielen mit den vielen Astflecken. Sie erzählten so viel über die Geschichte des Baumes. Ich bekam Bauchkribbeln bei der Vorstellung, was dieser Boden wohl in ein paar Jahren für Geschichten über uns erzählen würde. An Tomatenkerne hatte ich damals nicht gedacht.

Während die beiden Männer über Dielenbretter strichen, streichelte ich über den Rücken unseres Babys im Tragetuch. Es schlief. Leo war acht Wochen alt und das bravste Baby der Welt, außer man legte ihn in einen Kinderwagen. Dann brüllte er vom Deich bis Dulsberg. Es war okay, ich trug ihn gern, ich hatte ihn sowieso am liebsten ganz nah bei mir. Und oft trug ihn auch Jan. So viel Stärke und Verletzlichkeit auf einmal. Mir wurde jedes Mal schwindelig vor Glück, wenn ich meinen Mann mit unserem Baby vor der Brust sah.

Heute war das Baby von damals vierzehn und verputzte mir gegenüber die fünfte Scheibe Brot. Ich hatte die Jungs nach einer Weile dann doch zum Abendbrot gerufen, und nach der fünften Aufforderung waren sie endlich laut feixend hereingestürmt.

Len knabberte freiwillig an einer Möhre, und Linus bettelte nach Leberwurst. Als ich endlich ganz hinten im Kühlschrank welche fand und ihm eine Schnitte damit schmierte, biss er nicht einmal ab.

»Du musst doch was essen!« Seufzend strich ich ihm übers Haar.

Alle meine Jungs waren in dem Alter zart gewesen. Und ich hatte bei allen Angst gehabt, dass sie nicht genug aßen, sich nicht entwickeln, nicht groß werden würden. Heute war der Große größer als ich – trotzdem hatte ich beim Kleinsten immer noch Angst.

Linus kräuselte seine Nase. Das tat er immer, wenn ihm etwas nicht passte. Schon bei der Geburt hatte er eine tiefe Falte zwischen den Augen gehabt. Ganz so, als wäre er wütend – auf mich, auf die kalte Welt um ihn herum und auf die resolute Hebamme, die ich furchtbar unsympathisch fand, bis sie nach der Geburt ehrlich begeistert mit russischem Akzent jubelte: »Drrrrrei Jungz! Wunderrrrrbarrrr!«, noch bevor ich enttäuscht sein konnte, dass es wieder kein Mädchen war.

Bis heute hatte Linus eine feine blaue Linie über der Nasenwurzel. Ich fand sie wunderschön.

»Wenn du nichts isst, bleibst du für immer ein Baby!«, rief Leo mit schiefer Stimmbruchstimme und grinste ein mächtiges Großer-Bruder-Grinsen.

Ich warf ihm einen bitterbösen Blick zu, aber es war zu spät.

Linus lief rot an, kippelte vor Wut mit dem Tripp Trapp, der kippte nach vorn – und er landete mit der Nase in der Leberwurst.

»Du bist überhaupt kein Baby«, versuchte ich, ihn zu beruhigen, während ich rosa Wurstpaste aus seinem Gesicht wischte. »Du bist schon total groß.«

Aber Linus beruhigte sich nicht. Während Leo mir von einem Streit in der großen Pause und Len von seinem besten Tor auf dem Sportplatz erzählte, lief im Hintergrund lautstark Linus’ Beleidigt-Beat.

Ich schielte zur Ofenuhr. Ein paar Happen noch, und wir hatten es geschafft. Endlich Schlafenszeit. Klavier üben konnten sie auch morgen. Ich konnte nämlich nicht mehr.

Gerade als ich sagen wollte: »Teller wegbringen und ab zum Zähneputzen!«, hörte ich hinter mir das Scheppern der Besteckschublade.

»Deckt ihr jetzt nicht mal mehr für mich mit?«, fragte Jan und holte sich einen Teller aus der Vitrine.

»Papa!«, riefen die beiden Großen fröhlich, und sogar Linus schniefte bloß noch.

»Schatz!«, sagte ich überrascht und versuchte zu lächeln. Ein Abend mit Jan auf der Couch wäre doch mal wieder schön.

Aber hätte er nicht bitte ein bisschen eher kommen können? Es roch nach verbranntem Toast. Ich stützte müde den Kopf in beide Hände – und hörte mir noch einmal die Schulhofgeschichten an.

Obwohl auch Jan kaputt aussah, bestand er aufs Klavierspielen (»Wir zahlen den Unterricht schließlich!«), putzte die Zähne nach (»Bei mir hat da leider keiner drauf geachtet!«) und bestaunte einen neuen Torjubel (»Das sind meine Jungs!«).

Als Küche und Zähne endlich sauber waren, alle ruhig in ihren Betten lagen und nicht mehr nach Wasser oder dem x-ten Kuss verlangten, als die Uhr über dem Ofen eine vorwurfsvolle 21:32 anzeigte und im Hintergrund die Geschirrspülmaschine rauschte, als ich auf dem Sofa zur Seite rutschte, um Jan Platz zu machen, rief der aus dem Flur: »Sorry, Schatz, aber ich muss noch mal rüber ins Büro!«

Zerstreut lief er hin und her, offenbar hatte er mal wieder seinen Schlüssel verlegt. Früher hatten wir oft darüber gelacht, dass wir beide so chaotisch waren. Heute machte mich seine Sucherei wahnsinnig.

Jans Jeans war über seine schmale Hüfte gerutscht, ich konnte ein Stück seiner karierten Unterhose sehen. Hüpfend schlüpfte er in ein Paar rote Sneaker. Er machte sich nicht viel aus Klamotten: Jeans, weißes Poloshirt oder Hemd, je nach Anlass. Aber Sneaker hatte er gern. Mindestens ein oder zwei Paare lagen täglich im Flur herum – knallbunte Riesen in Größe 44, eilig neben die unzähligen bunten Kinderschuhe geschmissen.

»Wie jetzt?«, rief ich.

Jan zuckte stirnrunzelnd mit den Schultern, raufte sich das Haar, warf erst mir einen Luftkuss und dann die Haustür zu. Rumms – da saß ich mal wieder allein auf dem Sofa.

Draußen trug der dämmernde Himmel Rosarot über dem schwarzen Scherenschnitt der Bäume am Horizont. Vielleicht ahnte der was. Drinnen blickte ich müde über die verstreuten Legosteine und Sammelkarten unter dem Couchtisch.

Hunderttausendmal habe ich mich später gefragt, was wohl passiert wäre, wenn Jan nicht noch mal im Büro verschwunden wäre. Wenn wir nebeneinander auf der Couch gesessen und gemeinsam geschwiegen hätten, später eingenickt und irgendwann gemeinsam die Treppe hoch ins Bett gewankt wären.

Vielleicht wäre all das, was danach kam, nie geschehen. So aber griff ich um 21:46 Uhr nach meinem Handy und entdeckte zwischen 24 neuen WhatsApps in diversen Elternchats die Nachricht. Seine Nachricht. Ich war schlagartig hellwach.

Kapitel 2

Er

Das Erste, was ich von ihr sah, war ihr Lächeln. Die Lippen schmal und bonbonrosa, der eine Mundwinkel ein ganzes Stück höher als der andere. Ihr Lächeln hatte etwas unperfekt Perfektes, mit einem Grübchen bloß auf einer Seite. Den Kopf hielt sie ein wenig schräg, wie ein neugieriges kleines Mädchen.

Dann wanderte mein Blick ein Stück höher, bis zu ihren Augen – und mir blieb die Luft weg. Sie waren riesig, beinahe zu groß für ihr Gesicht, und strahlend blau. Sie funkelten im Scheinwerferlicht wie die Oberfläche eines Sommersees. Und: Sie lächelten ebenfalls.

Sie stand gleich vorne am Eingang der kleinen Discobar auf dem Kiez, in die mich meine Kumpels gegen meinen Willen hineingedrängelt hatten. Gefühlt stolperte ich gegen eine Wand aus Hitze, Schweiß und Rauch, der Boden klebte von verkipptem Bier, und aus großen Boxen wummerten Schlager. Dein ist mein ganzes Herz und Ohne dich schlaf ich heut Nacht nicht ein. Eigentlich unerträglich. Ich hatte in einen der Läden mit Indiemusik auf der anderen Kiezseite gewollt.

Jetzt aber setzte ich wie in Zeitlupe einen Fuß vor den anderen, um sie noch ein wenig länger betrachten zu können. Sie unterhielt sich mit einer anderen Frau, einer Freundin vermutlich. Ich schwappte mit der Menge weiter, ich konnte nichts dagegen tun. Aber genauso wenig konnte ich meinen Blick von ihrem leuchtenden Gesicht abwenden. Feine, überbelichtete blonde Haarsträhnen umrahmten es wie ein Gemälde, und bei jeder Bewegung wippte ihr zierlicher Zopf.

Mir war auf der Stelle klar, dass ich dieses Gesicht nicht so schnell aus dem Kopf bekommen würde. So wie man noch lange einen hellen Fleck sieht, wenn man direkt in die Sonne geguckt hat.

Dann, als ich exakt auf ihrer Höhe war, schaute sie lachend auf – offenbar hatte ihre Freundin etwas wirklich Komisches gesagt –, und genau in dem Moment trafen sich unsere Blicke. Sie lachte so herzlich, dass ich ihre perfekt geformten Zähne sah. Mein Herz machte einen dämlichen Hechtsprung, und auf meinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, als hätte sie mich angesteckt.

Sie hielt mitten im Lachen inne und sah mir direkt in die Augen. Dann hob sie überrascht die Augenbrauen, legte den Kopf noch ein wenig schiefer und lächelte mich an. Ich war ihr aufgefallen. Mir lief ein Schauer über den Rücken.

Kapitel 3

Ava

Es klingt verrückt, aber die WhatsApp-Nachricht brachte mich so durcheinander, dass mit ihr eine neue Zeitrechnung begann. Ich fing an, alles in meinem Leben in ein Vor-der-Nachricht und ein Nach-der-Nachricht einzuteilen. Das erste Mal Duschen nach der Nachricht (irgendwie heißer als sonst), seit einer Ewigkeit mal wieder Wimperntusche (fast eingetrocknet) und die ersten gepackten Brotdosen (vor Aufregung die Butter vergessen). Ich bewegte mich wie auf Sprungfedern durchs Haus, lief nach oben, um einen Pulli für Linus zu holen und kam mit leeren Händen wieder herunter. Als Len mich bat, ihm seine Wasserflasche hinten in den Ranzen zu stecken, goss ich das Wasser in den Topf des Gummibaums und wollte die Flasche in den Geschirrspüler stellen.

»Mama!«, beschwerte sich Len, »was machst du denn da?«

Ja, was machte ich? Ich versuchte, mich genauso zu verhalten wie sonst auch. Es waren doch nur ein paar Worte. Aber diese Nachricht hatte mich mit der Wucht der Alsterfontäne, die ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte, aus meinem Alltag geschleudert. Ich kam so selten raus aus unserem Dorf.

Als die Kinder endlich aus dem Haus waren, stand ich am Fenster, trank gierig ein Glas Leitungswasser und fragte mich, wie ich weitermachen sollte. Der ungemähte Rasen glänzte smaragdgrün in der Sonne. Überhaupt sah der Maimorgen da draußen viel bunter aus als sonst. Der Gartenzaun schien mich mit seinen spitzen weißen Holzzähnen regelrecht anzugrinsen, dabei brauchte er dringend einen neuen Anstrich. Himmel, was war bloß mit mir los?

Eilig öffnete ich den Metallriegel des Küchenfensters und schob es auf, um frische Luft hereinzulassen. Aber die schwere Süße des Flieders machte es nicht besser. Eine Biene taumelte brummend von Blüte zu Blüte, und ein überlanger Zweig der Kletterrose Rambling Rector drängelte sich an mir vorbei. Meine beste Freundin Sam hatte uns die Pflanze zur Hochzeit geschenkt, und sie machte ihrem Namen alle Ehre. Inzwischen war sie bis in den ersten Stock hochgeklettert. Noch schneller als die Kinder wuchs die. Entschlossen schob ich den piksenden Zweig wieder nach draußen und schloss das Fenster.

Es wurde auch für mich Zeit, in die Schule zu gehen. Lustlos setzte ich mich auf die unterste Stufe der Eichentreppe und schlüpfte in meine Sneaker.

Einen Moment später polterte Jan an mir vorbei die Treppe herunter. Ich beugte mich zur Seite, um ihm Platz zu machen. Während ich mir die Schuhe zuband, wartete ich darauf, dass er etwas sagte, aber er tastete bloß angestrengt ganz oben im Flurregal nach seinem Portemonnaie.

Ich hob die Augenbrauen. »Morgen, Schatz!« Es klang schlechter gelaunt, als es klingen sollte.

Er hielt seine schwarze Lederbörse in der Hand, schaute prüfend auf die Scheine, dann ins Kleingeldfach.

»Schatz …?«, wiederholte ich ein wenig lauter.

»Morgen!«, grüßte er leise zurück. Überrascht, aber gleichzeitig entschuldigend, so als hätte er mich doch gehört.

Unüberhörbar laut klingelte sein Handy. Er schob eilig das Portemonnaie hinten in seine Jeanstasche, räusperte sich, rief mit fester Stimme »Jan Altmann« ins Telefon und hob grüßend die Hand zum Abschied, bevor er laut redend das Haus verließ.

Mit einem Rumms knallte die Haustür zu.

Ich zuckte zusammen.

Bevor auch ich mich auf den Weg machte, tastete ich nach dem Handy in meiner Hosentasche und spürte ein sanftes Kribbeln im Bauch, als ich über seine glatte Oberfläche strich.

Wenig später saß ich auf einem viel zu kleinen Stuhl in einem ehemaligen Kunstraum der örtlichen Grundschule. Es roch nach Holz, farbverstopftem Abfluss und überreifem Apfel. Ich rutschte auf dem harten Stuhl hin und her, um die Position zu finden, in der ich so wenig Rückenschmerzen wie möglich bekommen würde. Ich war eindeutig zu alt hierfür.

Draußen auf dem Schulhof schwang eine Schaukel hin und her. Es sah aus, als genieße sie die Ruhe zwischen den lauten Pausen.

»Herzlich willkommen zu unserem Elternvertretertreffen!«, begrüßte Steffi gut gelaunt unsere kleine Runde.

Steffi war meine Mamafreundin im Dorf, und das, obwohl wir total unterschiedlich waren. Während ich kaum mit dem Haushalt hinterherkam, vertrieb sie neben ihrer Teilzeitstelle als Arzthelferin Naturkosmetik per Network-Marketing. Außerdem hatte sie ein Faible für Nageldesign. Mindestens alle zwei Wochen präsentierte sie mir neue Kunstwerke auf ihren frisch gefeilten Minileinwänden. Heute leuchteten ihre Nägel wassermelonenfarben, mit einem feinen grünen Streifen und winzigen schwarzen Punkten. Ich dagegen hatte gestern Abend vor Aufregung alle meine Nägel abgeknabbert.

Schnell versteckte ich meine Hände unter dem Tisch – bis Steffi mich blöderweise mit dem Protokoll beauftragte. Verdammter Mist!

»Erster Diskussionspunkt«, sagte Steffi, »der saugefährliche Zaun auf dem Schulhof.« Sie nahm einen Schluck Kaffee aus dem Einwegbecher der örtlichen Bäckerei und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen anklagend in die Runde.

Steffi engagierte sich seit sechs Jahren in der Elternarbeit. Ich war genauso lange dabei. Gleich als Leo eingeschult wurde, hatte ich damit angefangen. Ich war damals so neugierig auf alles, was da kommen würde, und so stolz auf mein Schulkind.

Vielleicht war mein Engagement auch ein bisschen der Tatsache geschuldet gewesen, dass ich mich noch nicht von ihm lösen mochte. Denn plötzlich gab es keinen ausführlichen Bericht einer Erzieherin mehr, was er alles gemacht und gegessen und mit wem er sich gestritten hatte, sondern bloß sein gebrummtes »War okay« auf mein enthusiastisches »Und, wie war’s in der Schule?«. Durch die Elternvertretung fühlte ich mich ihm näher.

Am Anfang fand ich das alles wahnsinnig aufregend und schnippelte bestens gelaunt alle zwei Wochen mit den Kindern Obst für den Schulkiosk. Leo sah mich, und – noch besser – ich sah Leo. Ab der dritten Klasse interessierte er sich dann immer weniger für mich, und auch ich fand das Schnippeln nicht mehr ganz so spannend.

Weil ich aber auf keinen Fall ein Kind bevorzugen wollte, stellte ich mich auch bei Len zur Wahl. Und im nächsten Jahr würde Linus in die Vorschule kommen. Verrückt, wie schnell die Zeit verging! Da musste ich wohl oder übel noch mal ran. Dabei hatte ich inzwischen weder Lust auf die Schnippelei noch auf die ellenlangen Diskussionen mit den anderen Elternvertretern. Aber es war, wie es war.

Und ich war offenbar nicht die Einzige, der es so ging. Torsten, der einzige Mann in unserer kleinen Runde, biss in sein Mettbrot. Ein beißender Zwiebelgeruch wehte herüber. Torsten saß die letzten Wochen hier gefühlt nur noch ab, weil sein Sohn nach den Sommerferien auf die Stadtteilschule gehen würde. Barbara Brockenmeyer malte sich mit Blick in einen kleinen Make-up-Spiegel ihre schmalen Lippen nach und zog dabei seltsame Grimassen. Nur Mareike, die neu in der Runde war, saß aufrecht da, nickte kräftig mit dem Kopf und schien Steffi recht zu geben.

»Ich finde, der Zaun ist okay«, rief Barbara, ohne den Lippenstift wegzulegen. »Die Kinder müssen eben einfach davon wegbleiben.«

»Aber Kinder sind doch Kinder!« Steffi stellte ihren Becher mit einem solchen Rumms auf den Tisch, dass ein paar Kaffeespritzer auf ihren Unterlagen landeten. Leg dich nicht mit Zucker an – er ist raffiniert stand auf den Einwegbechern unseres Dorfbäckers. Bei uns auf dem Land war Zucker noch nicht Staatsfeind Nummer eins.

Für Steffi war die Sache größer als ein Zaun. Es ging ihr ums Prinzip, nämlich um eine kinderfreundliche Welt für ihre Jungs. Für die kämpfte sie wie eine Löwin. Sie versuchte immer, ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Ich bewunderte ihre Energie.

Während Steffi sich darüber aufregte, wie gefährlich ein kaputter Zaun auf dem Schulhof war, über den die Kinder natürlich trotz Verbot drüberklettern und sich dabei den Hals brechen würden – ratsch, Steffi schnitt bei diesen Worten mit der flachen Hand die Luft vor ihrem Hals wie mit einem Messer durch –, dachte ich daran, wie Pinto mich geküsst hatte.

Ich schnappte nach Luft, weil ich plötzlich sein Aftershave riechen konnte. Ich sah sein Gesicht deutlich vor mir, hörte uns beide schnell atmen, vielleicht weil ich ihn geneckt hatte und grinsend vor ihm weggelaufen war. Er holte mich ein, und seine Augen funkelten, als er mich packte und an sich drückte und endlich küsste. Ich strich mir die Haare aus der schwitzenden Stirn.

»Hast du das?«, fragte Steffi.

Ich blinzelte, aber die Truppe vor mir wurde nur langsam scharf.

»Äh, was hab ich?« Erschrocken griff ich nach dem Blatt Papier vor mir, auf das ich dieses Mal, zum allerersten Mal, nicht die klitzekleinste Notiz für das Protokoll gemacht hatte.

Hastig versuchte ich, mir mit dem Blatt ein wenig frische Luft zuzufächeln – aber es knickte ein.

»Wo bist du denn heute Morgen?«, feixte Steffi, schob aber zum Glück gleich die nächste Frage hinterher: »Jetzt sag schon, was hältst du davon?«

Ich starrte hilflos auf ihre helle Haut, die roten Haare, den kleinen Silberring in ihrer Unterlippe und ihre große Oberweite, die sie täglich mit einer anderen wild gemusterten, weit aufgeknöpften und halb durchsichtigen Bluse betonte. Als ob ich dort lesen könnte, was ich sagen sollte.

Steffi war ein wenig jünger als ich, erst Mitte dreißig, hatte aber wie ich drei Jungs. Meine beste Freundin Sam und ich hatten ihr den Namen »Deichsheriffin« verpasst, was böser klang, als wir es meinten. Steffi wusste einfach immer über alles und jeden Bescheid, hatte zu allem eine Meinung und außerdem einen perfekten Putzplan, aka -fimmel, und daher stets ein beneidenswert sauberes und ordentliches Zuhause. Ab und zu, wenn unsere Mittleren miteinander spielten, blieb ich auf einen Kaffee. Den servierte mir Steffi zusammen mit dem neusten Dorftratsch auf ihrer schwarzen, blitzblank geputzten Küchenanrichte. Sie war erfrischend offen, sprach alles aus, was sie dachte, und brachte mich mit ihren Spitzen über unsere Dorfmitbewohner regelmäßig zum Lachen. Ich hatte sie wirklich gern, auch wenn sie jedes Mal versuchte, mir eine Probierpackung ihrer Naturkosmetik aufzuschwatzen, die ich schon x-mal abgelehnt hatte, weil ich seit Jahren dieselbe Creme benutzte.

Beim Abschied nahm sie mich jedes Mal so fest in den Arm, dass mir beinahe die Luft wegblieb. Manchmal hatte ich Kopfweh von ihrem Erzähltempo, aber sie war diejenige im Dorf, die mir zuhörte, wenn die Kinder mir mal wieder den letzten Nerv raubten. Und sie war es auch gewesen, die trotz ihres dicht getakteten Alltags auf meine beiden Großen aufgepasst hatte, als ich mit Linus im Bauch plötzlich Wehen bekam. Ich war froh, dass ich sie hatte. Vor allem, weil Sam so weit weg in der City wohnte.

Jetzt schaute mich Steffi mit hochgezogenen Augenbrauen an. Mareike lächelte, Barbara bleckte ihre Lippenstiftlippen, und Torsten drehte sich eine Zigarette.

»Ja, also der Zaun, ich weiß auch nicht«, sagte ich schnell, »wie viel würde das denn kosten, den zu erneuern?«

Steffi boxte mir stirnrunzelnd in die Seite. »Mensch, Ava, wir sind längst nicht mehr beim Zaun. Jetzt sind wir beim Salat. Der hat nämlich immer braune Stellen. Darum überlegen wir, ob wir nicht gleich einen Antrag auf Bio-Essen stellen sollten.«

Bitte nicht die Essensdiskussion, dachte ich. Nicht heute. Die ging immer Stunden und endete im Streit.

»Also Bio, ja klar, meinetwegen«, sagte ich. »Wenn das alle wollen, ist doch gut.«

»Das ist es ja!«, warf Mareike ein und sah mich durch die runden Gläser ihrer Goldrandbrille streng an. »Wenn wir Bio fordern, werden sich etliche beschweren, dass das Essen zu teuer wird.«

Mareike war die Mama von Maja-Sophie aus Klasse eins. Beide trugen täglich Leinenkleider, jeden Tag in einer anderen Naturfarbe, immer im passenden Mama-Tochter-Look. Ihre braunen Haare mit den zarten grauen Strähnen darin trug sie meist streng aus dem Gesicht gebunden.

Steffi seufzte.

»Wann werden solche Leute endlich verstehen, dass einem die Ernährung seines Kindes einiges wert sein sollte?«, fragte Barbara Brockenmeyer.

Ihre Stimme hatte das Volumen einer Altistin in der Oper. Ich war mir nicht sicher, ob sie rein physisch überhaupt in der Lage war, leiser zu sprechen. Vielleicht lag es daran, dass Barbara bereits drei Kinder durch die Pubertät begleitet hatte. Wer wusste schon, ob ich in ein paar Jahren nicht auch klingen würde wie eine dauertrompetende Elefantin.

Ich kannte Barbara nur aus der Elternvertretung, wusste wenig über sie, außer dass ihr Mann ein wichtiger Kunde von Jan war. Drei ihrer vier Kinder studierten bereits. Nur Carl, der Nachzügler, war noch in der Grundschule. Und mit ihm Barbara, in all ihrer korallenroten Kaschmirpracht, bereit, bei ihrem letzten Kind noch mal alles zu geben. Ich hatte ein bisschen Angst vor ihr.

Mareike lächelte verzweifelt. »Es geht ja nicht darum, dass es einem nicht wichtig ist, sondern darum, dass sich einige Familien das schlicht nicht leisten können.«

Mareike wollte es immer allen recht machen. Den Armen, den Reichen, den Fürsorglichen, den Benachteiligten, den Veganern.

»Dann muss das Geld für diese Familien aus Spenden finanziert werden, basta!«, rief Barbara. »Denken wir uns eben etwas Schönes für das nächste Schulfest aus, um richtig viel Kohle zu scheffeln.«

Steffi seufzte erneut. »Hast du denn eine Idee, was das sein könnte, Barbara?«, fragte sie und zeigte dann auf Mareike, die sich schon seit einiger Zeit meldete.

»Wenn wir sowieso schon dabei sind«, schlug sie vor, »sollten wir vielleicht nicht nur über Bio, sondern gleich über vegan nachdenken.«

Jetzt stöhnte Torsten. »Ach nö, nicht die Nummer schon wieder! Für meinen David ist Fleisch sein Gemüse. Was anderes krieg ich in den Jungen nicht rein.« Er knüllte knisternd die Brötchentüte zusammen und zielte auf den Papierkorb.

Treffer.

»Ausgewogen und gesund schließt ja ab und zu Fleisch auch nicht aus«, warf Steffi ein.

»Mit solchen halben Sachen bekommen wir die Klimakrise nie in den Griff«, mahnte Mareike.

»Jetzt sind wir aber bei unseren Kindern und nicht beim Klima!«, rief Barbara.

»Das gehört doch zusammen!«, widersprach Mareike entschieden.

Ich starrte aus dem Fenster und dachte an Pintos weiche Lippen. Mir lief ein Schauer den Rücken herunter.

»Das macht Ava sicher gern«, hörte ich jemanden sagen, so laut, dass es selbst durch meinen rosa Gedankennebel zu mir durchdrang.

Ich schreckte auf.

»Barbara hatte gerade eine gute Idee«, klärte mich Steffi auf. »Sie meinte, dass wir mal ein Meinungsbild bei allen Eltern einholen könnten, bezüglich Bio und vegan. Und Barbara meinte, dass du vielleicht Lust hast, dich darum zu kümmern.«

Ich starrte Barbara erschrocken an. »Ähhh, was …?«, stotterte ich. »Aber warum ich?«

»Na ja«, Barbara schenkte mir ein schmales apricotfarbenes Lächeln, »du hast doch einen kleinen Sohn, der die ganze Grundschulzeit noch vor sich hat. Für dich lohnt es sich also noch richtig. Und du bist die Einzige, die zurzeit nicht arbeitet.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Also, ähm, ich …«

»Ach, danke, Ava!«, rief Steffi und griff mit ihren Melonennägeln eilig nach Handy und Schlüssel. »Und Ava, die Orga für den Tag der offenen Tür nächste Woche übernimmst du doch auch wieder, oder? Keiner kennt sich damit so gut aus wie du.«

Mareike nickte mir lächelnd zu, Barbara rauschte aus dem Raum, ließ aber einen übersüßen Maiglöckchenduft zurück. In Kombination mit Mett löste er leichte Übelkeit in mir aus. Torsten tippte sich flüchtig zum Gruß an die Stirn und verschwand ebenfalls.

Anscheinend war für die anderen alles klar. Und ich war viel zu durcheinander, um etwas zu sagen.

Draußen hakte sich Steffi bei mir unter und zog mich schnellen Klackerschrittes den schmalen Bürgersteig entlang. Ihr üppiger Busen waberte auf und ab.

»Jetzt sag schon«, raunte sie, »was ist denn heute mit dir los?«

»Ach nix, bisschen Kopfweh«, murmelte ich.

Steffi und ihr Lippenpiercing kamen grinsend näher. »Die brüllende Barbara war heute mal wieder die Krönung, oder?«, sagte sie leise. »Als ob die so viel zu tun hätte. Die rückt doch in der Firma ihres Mannes auch nur die Blumen zurecht. Na ja, egal, auf jeden Fall ist es superlieb von dir, dass du das mit der Umfrage übernimmst. Und den Tag der offenen Tür natürlich auch.«

»A-also ich …«, versuchte ich zu protestieren. »Also eigentlich …«

»Du machst das immer sooo schön!«, flötete Steffi. »Du hast einfach so viele gute Ideen. Diese tollen Girlanden, die du letztes Mal genäht hast! Die aus diesen alten Blumenstoffen. Erst dachte ich, das würde altbacken aussehen. Aber ne, das war echt richtig schön.«

Ich hätte mich ohrfeigen können, dass ich keinen vernünftigen Satz herausbrachte. Nicht mal ein einziges Wort. Dabei hätte ein Nein gereicht. Denn je mehr ich drüber nachdachte: Das, was Barbara Brockenmeyer mir da soeben eingebrockt hatte, das wollte ich nicht machen.

Steffi blieb stehen und tätschelte mir den Rücken. »Du, mach dir keine Gedanken! Ich helfe dir doch. Wenn du was brauchst oder Probleme hast, ruf einfach an.«

Ich musste wirklich fertig aussehen, auf jeden Fall legte Steffi mir ihre großen Hände auf die Oberarme und schaute mich mitleidig an. »Manometer, deinem Kopf scheint’s echt schlecht zu gehen! Aber zum Glück kannst du dich ja jetzt hinlegen. Ich muss mich beeilen, muss in die Praxis. Tschüss, Avi.«

Wie in Zeitlupe ging ich den schmalen Bürgersteig neben der kopfsteingepflasterten Dorfstraße entlang bis zu unserer Familienkutsche und ließ mich in den durchgesessenen Sitz plumpsen. Weiße Blütenblätter segelten von den üppig blühenden Bäumen über mir auf die Windschutzscheibe. Vom Kindergarten wehte leises Geschrei herüber. Eigentlich war doch alles gut.

Eigentlich …

Ich schloss die Augen und schnappte nach Luft. Dann holte ich mein Handy aus der Tasche und las noch mal seine Nachricht, obwohl ich sie längst auswendig kannte:

Ava, wie geht’s dir? Ich muss seit einigen Tagen verrückterweise ständig daran denken, wie verrückt wir aufeinander waren. Kuss, Pinto

Ich konnte nicht glauben, dass er Kuss geschrieben hatte. Ich konnte nicht glauben, dass er überhaupt geschrieben hatte. Er brachte mich total durcheinander. Und so langsam ahnte ich, dass er noch viel mehr durcheinanderbringen könnte. Was sollte ich bloß tun?

Kapitel 4

Ava

Ich tat, was ich zu tun hatte. Ich stellte eine Waschmaschine an, legte die Klamotten aus zwei Wäschekörben zusammen und verteilte sie in den Schränken. Ich räumte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und goss die Stauden im Garten mit der cremefarbenen Henkelgießkanne, die aussah wie eine übergroße Kaffeekanne. Dann schnitt ich ein paar faustgroße Pfingstrosen, rosa Bartnelken und üppige Margeriten ab, um sie in einer bauchigen Vase zu arrangieren. Als ihr Duft mir in die Nase stieg, musste ich lächeln. So flirrend frisch und blumig roch es nur im Frühsommer, wenn man den langen Winter noch in der Nase hatte.

Anschließend machte ich mir einen Kaffee, stellte ihn neben den gezackten Schatten des Blumenstraußes auf den sonnigen Küchentisch und räumte noch schnell den Kühlschrank auf. Als ich fertig war, war der Kaffee kalt. Ich kippte ihn weg, und schon war es Zeit, Linus aus dem Kindergarten abzuholen. Auf dem Weg zum Auto verjagte ich zwei unserer Hennen aus meinem Staudenbeet.

Ich freute mich auf Linus’ fröhliches Gesicht. Seine Pausbacken waren das letzte bisschen Kleinkindmäßige im Haus. Und das würde ich heute verdammt noch mal so richtig genießen. Vor ein paar Tagen hatte ich im Internet ein Rezept für einen Kuchen mit Eiscreme entdeckt. Drei weitere Zutaten bloß. Vielleicht würde ich den heute mit meinem Kleinen backen.

Als ich ankam, spielte Linus gerade mit anderen Kindern in der Sandkiste. Ich beobachtete, wie er sich mit seinem Freund Luca unterhielt. Die beiden sahen sich ständig an und kicherten. Als er mich an der Abholpforte entdeckte, stampfte er wütend durch den Sand auf mich zu.

»Is will hier nis weg.«

In meinem Herz pikste es, aber dann hockte ich mich vor ihn. »Wie schön, dass du so einen Spaß hattest, mein Schatz«, sagte ich. »Du kommst ja morgen wieder. Jetzt darfst du mit mir nach Hause fahren.«

Er schüttelte empört den Kopf, sodass seine hellen Haare durch die Luft wirbelten wie ein zarter Tüllrock. »Will aber nis.«

Ich seufzte leise. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich war zu alt dafür, eine geduldige Mama zu sein.

»Ach, Linu Lausemaus, wir machen uns das ganz schön zu Hause, okay? Ich dachte, wir backen einen Kuchen zusammen. Luca wird bestimmt auch gleich abgeholt.«

Kuchen schien ein Zauberwort zu sein. Auf jeden Fall guckte Linus nicht mehr ganz so sauer und lief zu seiner Erzieherin, um sich zu verabschieden.

»Was für einen Kuchen backen wir?«, fragte er, als er an meiner Hand neben mir her zum Auto hüpfte.

»Einen Eiskuchen«, raunte ich.

Linus blieb abrupt stehen. »Eiskuchen mag is nis«, sagte er entschieden.

Ich bückte mich, um ihm in die Augen zu schauen. »Doch, ganz sicher. Du magst ja Eis, und du magst Kuchen. Also magst du Eiskuchen bestimmt besonders gern.«

Das schien ihn zu überzeugen. Er hüpfte weiter, ließ sich ohne Murren anschnallen und rannte zu Hause fröhlich in die Küche.

Während ich die beiden Großen überreden musste, mit ihren Hausaufgaben anzufangen, sie dann zu überzeugen versuchte, dass die Zusatzaufgaben zwar Zusatzaufgaben hießen, aber auf jeden Fall gemacht werden sollten, wenn man ein guter Schüler sein wollte, und sie anschließend kontrollierte – bei Mathe achte Klasse tat ich nur noch so –, fragte Linus zehnmal, ob er schon mal das Eis für den Kuchen rausholen dürfe.

»Ja, dann hol es halt!«, antwortete ich beim elften Mal, während ich mit Len darüber diskutierte, ob man ich träume wirklich klein schrieb, obwohl es doch der Traum hieß.

Als die Hausaufgaben fertig waren – und ich mit meinen Nerven eigentlich auch –, hatte Linus das halbe Eis bereits mit den Fingern aus der Packung geschleckt. Ich wischte seine Hände und sein Gesicht sauber, stellte eine große Backschüssel auf die Küchenanrichte und ließ ihn die restliche Eiscreme in die Schale füllen. Die Sonne malte helle Punkte auf die hölzerne Küchenplatte. Linus sang vor sich hin. O Tannenbaum, wie ich schmunzelnd feststellte.

»Mmh, Mama, was wird das denn?«, fragte Leo, der plötzlich neben uns aufgetaucht war.

»Ein Eiskuchen«, antwortete ich und zog Linus’ Hand aus dem zerlaufenen Eismatsch, »falls es noch einer wird.«

Linus hatte sich von mir auf die Küchenplatte setzen lassen, baumelte mit seinen kleinen, erdbraunen Nackefüßen an meine Hüfte und leckte seine Finger ab.

»Klingt spitze, Mamuschka!«, rief mein Großer, jetzt schon wieder aus dem Flur. Einen Moment später steckte er noch mal kurz den Kopf zur Tür herein, prellte seinen Fußball ein-, zwei-, dreimal auf den Dielenboden und verkündete: »Ich treff mich mit Freunden auf dem Fußballplatz.«

»Warte, ich will mit!«, Len sprang vom Tisch auf, an dem er Englischvokabeln üben sollte.

»Kannst du denn alle Vokabeln?«, rief ich ihm hinterher.

»Perhaps I can«, antwortete Len.

Dann hörte ich ein vertrautes Miteinanderkichern im Flur.

»Ich meine: Of course I can«, rief Len. »Tschüss, Mamchen, heb uns ein Stück Kukukuchen auf!« Dann knallte die Tür hinter ihnen zu.

Ich tippte Linus auf seine kleine Stupsnase. »Jetzt können wir beide in Ruhe Kuchen backen.«

Linus verschränkte seine kleinen Ärmchen und schob die Augenbrauen zusammen. »Will nis backen. Will auch zum Sportplatz und mit Leo und Len Fußball bielen.«

Ich strich ihm seufzend über die weichen Haare. »Aber Linus, du bist noch zu klein, um allein zum Fußballplatz zu gehen.«

Einen Moment fürchtete ich, er könnte vorschlagen, dass ich einfach mitgehen solle. Dabei hatte ich überhaupt keine Lust, einem Rudel vorpubertierender Jungs beim Kicken zuzusehen. Und dabei meinen Kleinsten zu trösten, den sie natürlich nicht mitspielen lassen würden.

Zum Glück tröstete sich Linus längst mit dem Eis an seinen Fingern. Ich ließ ihn staubend Mehl und Backpulver in die Schüssel kippen, und während er der Küchenmaschine beim Rühren zuschaute, wischte ich den feinen Mehlstaub von der Küchenanrichte, vom Fußboden und von Linus’ Füßen.

Wir sahen durch die Backofenscheibe zu, wie der Kuchen goldbraun wurde. Linus drückte mit seiner kleinen Hand meine große, und ich steckte meine Nase in sein Haar und sog den köstlichen Duft von Vanille und einem Vormittag im Freien ein. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich war genau im richtigen Alter, um das hier so richtig zu genießen.

»Du bist so zuckersüß!«, säuselte ich und küsste Linus’ Nacken. »Ich könnte dich aufessen.«

Ich tat so, als knabberte ich an ihm, und Linus kicherte zufrieden. Plötzlich pupste er kräftig gegen meinen Bauch.

»Linus!«, rief ich empört und musste laut lachen.

»Mama, is bin so süß, is pupse Zucker.«

Als der Kuchen fertig und ein wenig ausgekühlt war, schnitt ich eine dicke, saftige Scheibe ab und legte sie Linus auf den Teller. Er biss hinein, verzog seinen kleinen Mund und kräuselte die Nase.

»Bäh, is mag keinen Eiskuchen!«

Ich aß das Stück, obwohl ich eigentlich gar keinen Appetit hatte. Dabei überlegte ich, ob ein Eiskuchenbüfett vielleicht eine schöne Idee für den Tag der offenen Tür wäre. Immerhin würde das schnell gehen. Jede Familie könnte einen Kuchen mit einer anderen Eissorte backen. Und es wäre etwas, was wir die letzten fünf Jahre noch nicht hatten.

Linus jammerte, dass er eeeendlich mit dem Nachbarskind spielen wolle, also ließ ich ihn ziehen. So hatte ich Zeit, den verdammten Hühnerstall zu putzen. Das war dringend mal wieder dran. Vorher versuchte ich aber noch kurz, meinen Vater anzurufen. Dieses Mal ging er sofort ans Telefon.

»Ja?«, meldete er sich.

»Papa, ich bin’s«, flötete ich so fröhlich wie möglich. »Du hattest angerufen. Ist alles in Ordnung mit Mama?«

»Ach, Ava, du. Ach ja.«

Er lallte ein wenig und klang, als hätte er gerade geschlafen. Oder ein Glas Wein getrunken. Ich hoffte auf Ersteres.

Mein Herz wummerte nervös. »Papa, wie ist es denn?«

»Schlecht …«, sagte er leise. »Ava, deine Mutter ist wirklich sehr, sehr krank.«

Das stimmte leider. Seit ihrem Schlaganfall vor etwas über einem Jahr war meine Mutter ein Pflegefall. Und ich lebte seither täglich mit einem schlechten Gewissen.

Ich hielt kurz das Handy ein Stück von mir weg, schloss die Augen und seufzte leise. Dann holte ich Luft und zwang mich zu einem Lächeln.

»Ich weiß, Papa, ich weiß.«

»Sie ist doch gerade erst 75!«

Ich presste die Lippen zusammen. »Ich weiß, Papa. Das ist alles ganz, ganz doof.«

»Sie sagt fast nichts mehr. Liegt nur rum.«

»Das hat doch der Schlaganfall gemacht, Papa. Sie kann ihre rechte Seite nicht mehr bewegen.«

»Aber sie stöhnt immer nur und sagt, dass alles scheiße ist. Ich halte das nicht mehr lange aus.«

Ich kniff die Augen zusammen. »Soll ich kommen, Papa? Brauchst du Hilfe?«

»Nein, nein. Du hast genug zu tun.«

»Soll ich mich nicht doch um eine Pflegekraft kümmern, die dich unterstützt?«

Dieses Gespräch führten wir mindestens einmal die Woche. Er räusperte sich, schmatzte kurz, brummte. Ich schnappte leise nach Luft.

»Ich … ich … ich«, stotterte er. »Wir haben jetzt jemanden, die kommt jeden Morgen.«

»Eine mobile Pflege?«, fragte ich erleichtert. »Wirklich? Wie toll, dass du dich darum gekümmert hast!« Sofort hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich ihm dabei nicht geholfen hatte.

»Ja, aber ich weiß nicht, ob das was is’ … Die wäscht sie bloß kurz und ist ja auch so teuer. Und die hat eine pinke Jacke an, so eine … eine Bomberjacke. Die glänzt.«

Ich verzog das Gesicht. »Papa, das ist doch ganz egal, was die Pflegerin anhat. Ist sie denn nett?«

Wieder ein Brummen. Räuspern. »Jaja, nett ist sie.«

»Na, dann ist doch gut. Sagt bitte Bescheid, wenn ihr Hilfe braucht. Und ich komme euch ganz bald besuchen.«

»Du hast doch da bei dir genug zu tun. Und dann diese lange Fahrt. Ich will nicht, dass du hier herunterrast.«

»Aber wir müssen uns doch mal wieder sehen.«

»Jaja, irgendwann. Mach’s gut.«

»Willst du mir Mama noch kurz geben?«, fragte ich schnell. Aber mein Vater hatte bereits aufgelegt.

Kurz überlegte ich, ob ich noch mal zurückrufen sollte. Aber höchstwahrscheinlich würde er sowieso nicht drangehen.

Also schnappte ich mir Eimer, Lappen und Drahtbürste und machte mich auf den Weg in den Garten. Auf dem geschwungenen Kiesweg blieb ich mit meinem Shirt an einer Ramblerrosenranke hängen. Vorsichtig machte ich mich frei und ging durch das knöchelhohe Gras bis zu den Hühnern.

Alle drei Hennen kamen sofort angepest und schauten mich mit ihren bernsteinfarbenen Knopfaugen erwartungsvoll an. Agnes, Annegret und Agatha wohnten hinten im Garten, in einem weißen Stall mit Walmdach unter einem knorrigen Apfelbaum. Dahinter lag unsere Obstbaumwiese und irgendwann, viele Wiesen, Windräder, Vororte und Autobahnkilometer weiter die Hamburger Alster. Heute zierten ein paar kleine, zerzupfte Wolken den knallblauen Himmel darüber.

Offiziell hatten wir die Hühner für die Kinder angeschafft, nachdem sie uns wochenlang mit Haustieren in den Ohren gelegen hatten. Irgendwann hatte ich dann Hühner vorgeschlagen, weil ich die auf den Fotos in meinen Gartenzeitschriften immer so hübsch fand. Und weil sie weder laut bellten noch regelmäßige Spaziergänge brauchten und außerdem frische Bio-Eier legten. Die Kinder waren begeistert. Außer, als es ans Stallsaubermachen ging. Das übernahm ich ziemlich schnell allein. Ich hasste es. Die stickige, stinkige Luft stand in dem engen Stall, und ich konnte beim Schrubben nicht mal aufrecht stehen.

Henne Agatha kam vorbei, wackelte skeptisch mit dem Kopf und sah beinahe so aus, als würde sie sich über mich lustig machen.

»Boak!«, machte ich leise, und sie legte den Kopf noch schräger.

Während ich versuchte, mit der Drahtbürste die zementartige Hühnerkacke von der kleinen Holztreppe zu kratzen, tauchten plötzlich zwei weiße Adidas-Turnschuhe neben dem Stall auf. Jan hatte schlechte Laune, sein Schnaufen verriet ihn.

»Was machst du, Schatz?«, fragte er überflüssigerweise. Noch bevor ich »Kacke kratzen!« antworten konnte, redete er weiter: »Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein nerviges Bauherrenpaar ich gerade habe. Wirklich unverschämt und unglaublich anstrengend!«

Ich seufzte. Jan hatte ständig nervige Bauherren. Eigentlich sprach er über nichts anderes als über nervige Bauherren. Bloß, dass ich dieses Mal ahnte, um wen es ging.

»Lass mich raten, es sind die Brockenmeyers?« Ich musste husten, weil die Stallluft so staubig war.

»Ich sage dir lieber nichts Genaues«, raunte Jan und atmete wütend aus. »Ich will dich nicht in eine komische Situation bringen.«

»Okay«, sagte ich nur. Ich fand die Situation bereits komisch.

Im nächsten Moment kratzte ich mir aus Versehen mit der Drahtbürste über die Haut. »Aua!«, jaulte ich und merkte, wie mir die Tränen kamen.

»Alles gut?«, fragte Jan und sah mich durch den Hühnerdraht an. Seine grau schimmernden Haare hingen ihm schlaff in die blasse Stirn. Unter den Augen hatte er dunkle Ringe. »Wieso musst du das hier überhaupt schon wieder machen?«, brummte er. »Sind ja schließlich die Hennen der Jungs.«

»Ich hatte nach dem Hausaufgaben-Fight einfach keine Kraft mehr für einen Hühnerstallputz-Fight.«

»Pick your fights, was, Schatz?«, sagte Jan, und ich konnte hören, dass er ausnahmsweise lächelte.

Genau das hatten wir früher immer gesagt, als unser Großer noch klein war. Und wir keine Ahnung hatten, was für Fights uns noch so picken würden.

Jan murmelte schon wieder wütend vor sich hin. Wahrscheinlich regte er sich noch immer über seine Bauherren auf. »Ich sag’s dir, ich bin so müde!«, sagte er dann lauter.

Ich auch, dachte ich und schaute mich nach dem Lappen um. Rumms – mein Kopf knallte gegen das flache Stalldach.

»Brauchst du was?«, fragte Jan.

»Den Lappen!«, stöhnte ich.

Er reichte ihn mir und fragte dabei: »Kochst du heute Abend was?«

Ich schnaufte. »Es gibt Nudeln. Wie soll ich was Ordentliches kochen, wenn ich hier Kacke kratzen muss?«

»Ist ja schon gut! Ich wusste nicht, dass du auch schlechte Laune hast.«

»Ich habe überhaupt keine schlechte Laune!«, sagte ich.

Jan gurrte. Oder war es Agatha? Die stolzierte erhobenen Kammes an uns vorbei.

»Schatz, übrigens habe ich für übermorgen Abend zwei wichtige Kunden zum Grillen eingeladen. Könntest du dafür ein bisschen Fleisch und Brot besorgen? Kein großes Ding, bloß ein bisschen was Leckeres. Du machst das immer so nett. Und ich komme gerade nicht vom Schreibtisch weg.«

Ich seufzte. Ein voll gekackter Stall, drei Kinder, ein hungriger Mann, eine Elternumfrage, ein Tag der offenen Tür und jetzt noch ein Grillfest. Warum hatte eigentlich jeder ständig noch eine Aufgabe mehr für mich?

Ich dachte kurz an Pintos Nachricht. In diesem Moment, mit den Knien in der Kacke und meinem Handy drüben im Haus, kam sie mir ausgesprochen absurd vor.

»Es tut mir leid, Schatz!«, sagte Jan. »Danach wird es ruhiger im Büro. Ganz bestimmt.«

Das sagte er ständig.

»Wer kommt denn überhaupt?«, fragte ich seufzend.

»Jochen und Barbara Brockenmeyer.«

Ich griff nach der Drahtbürste. Brüll-Barbara. Nicht sein Ernst.

»Ach nö.«

»Ich weiß, du kannst sie nicht besonders gut leiden. Aber sie sind nun mal meine wichtigsten Kunden. Und eigentlich sind sie wirklich ganz lustig.«

War ja klar, dass es sich bei den anstrengenden Bauherren, über die Jan anfangs gestöhnt hatte, um die Brockenmeyers handelte. Trotzdem versuchte er sie mir jetzt als lustig zu verkaufen, damit ich nicht noch schlechtere Laune bekam. Na toll.

»Redest du jetzt nicht mehr mit mir?«, fragte Jan.

»Was soll ich denn sagen?«

»Weiß ich auch nicht.« Jan seufzte. Dann stapfte er zurück in Richtung Büro.

Als der Stall endlich sauber war, die Hennen gurrend auf ihren Stangen saßen und ich schnaufend das Haus betrat, stolperte ich als Erstes über zwei Paar Turnschuhe und ein Paar Torwarthandschuhe im Flur. Dann fand ich meinen Kuchen, zerrupft und durch die halbe Küche gekrümelt. Ich hätte weinen können.

»Juuuuuuungs!«, rief ich. »Spinnt ihr? Könnt ihr euch nicht Scheiben abschneiden, statt im Kuchen zu wühlen wie die Schweine? Und überhaupt: Macht das sofort wieder sauber!«

Meine drei Söhne sahen mich vom Sofa aus unschuldig an.

»Mama, chill mal! So lecker war der Kuchen jetzt auch nicht«, meinte Len lässig.

Erst schnappte ich nach Luft, dann nach meinem Handy, und dann schloss ich mich im Bad ein. Ich klappte den Toilettendeckel zu, setzte mich darauf und atmete tief aus.

Ich sehnte mich so sehr danach, mal wieder nur ich zu sein. Nicht bloß die Mutter von und die Frau von. Ich wollte laute Musik hören und sie in jeder Pore spüren. Prosecco trinken, bis alles um mich herum prickelte. Laut lachen und tanzen und mich mit Sam schweißnass und schwankend auf irgendeinem Kiezklo abpudern. Ich wollte Blicke auf mir bemerken und jemandem tief in die Augen gucken, und ich wollte das Knistern vor einem Kuss fühlen. Das davor war das kribbelndste. Ich wollte mich endlich mal wieder lebendig fühlen.

Mir geht’s gut. Was machst du so?, tippte ich mit zitternden Händen in das Textfeld unter seine Nachricht und hielt die Luft an. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz bis in meine Fingerspitzen klopfte.

Draußen rief Linus nach mir. »Mama!« Und dann: »Mamaaaaaa!«

Deine Ava, schrieb ich ins Textfeld – und löschte es wieder.

Alles Liebe, Ava. Gelöscht.

Kuss, Ava. Um Himmels willen, nein!

Schließlich tippte ich Gruß, Ava und drückte schnell auf Senden, damit ich es mir nicht wieder anders überlegen konnte.

Es dauerte keine zwei Minuten, da schrieb er zurück. Ich knabberte nervös an meinem Ringfingernagel. Linus’ Gebrüll klang jetzt ganz nah.

Ich würde dich gern sehen. Am Freitag um halb zehn in unserem Café? Dicker Kuss, Pinto.

Ich starrte eine ganz Weile aufs Display, während Linus gegen die Tür hämmerte. Mein Magen grummelte. Schließlich schob ich das Handy in die Hosentasche, schnappte nach Luft und schloss die Tür auf. Ich nahm Linus hoch und drückte meine Nase in sein Flauschhaar, aber er schob mich weg. Sein »Mamaaa!« hatte sich schon wieder erledigt. Ich stellte Nudelwasser an und hoffte, dass die Jungs mein Herz nicht so wild hämmern hörten wie ich.

Erst als das Wasser blubbernd hochkochte, gestand ich mir ein, dass ich an diesem Abend auf keinen Fall mit meinen Männern Nudeln essen wollte, als wäre nichts gewesen.

Kapitel 5

Er

Ich stand noch immer an exakt derselben Stelle auf dem klebrigen Linoleum des kleinen Kiezclubs und starrte in ihre Richtung, als wartete ich auf einen Bus.

»Bier?«, fragte mein Kumpel Philip.

Ich nickte beiläufig und verbog mich dann, um an ihm vorbeischauen zu können.

Durch die tanzende Menge konnte ich sie nicht mehr sehen. Einen schrecklichen Moment lang dachte ich, sie könnte gegangen sein. Doch dann entdeckte ich ihren schimmernden Zopf. Ich tat, als hörte ich Philip zu, indem ich ab und zu nickte, während er mir etwas Unverständliches ins Ohr lallte. Weil alle um mich herum tanzten, bewegte ich mich alibimäßig mit der Masse mit. In Wahrheit hielt ich mich an meinem Astra fest und dachte wie ein Irrer darüber nach, wie ich sie ansprechen könnte. Was um alles in der Welt ich diesen unglaublichen Augen Aufregendes erzählen könnte, damit sie bloß nicht aufhörten zu strahlen.

Ich ließ ihre wippende Zopfspitze nicht aus den Augen. Aber als ich mich endlich entschlossen hatte, zu ihr zu gehen, mit Herzklopfen bis zum Hals und ohne einen Plan, was ich sagen sollte, da torkelte eine Teenietruppe in Richtung Ausgang, und ich konnte nicht nur ihre seeblauen Augen sehen, sondern auch meinen Kumpel Björn, diesen Blödmann, der bloß kurz Zigaretten hatte holen wollen und ihr in diesem Moment etwas ins Ohr flüsterte, das sie so sehr zum Lachen brachte, dass sich ihre Nase auf hinreißende Weise kräuselte.

Kapitel 6

Ava