SOULFIRE! - Stevie Van Zandt - E-Book

SOULFIRE! E-Book

Stevie Van Zandt

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Beschreibung

An der Seite vom Boss Bruce Springsteens rechte Hand erzählt Steven Van Zandt gehört zu den letzten wahren Rock'n'Rollern. Mit seinem Kopftuch, den schweren Stiefeln und der Gitarre in Hüfthöhe symbolisiert er den Rebellen und zugleich den Romantiker der endlosen Highways der USA. Als Mitglied von Springsteens E Street Band spielte Van Zandt auf Megaerfolgen wie "Darkness On The Edge Of Town", "The River" oder "Born In The U.S.A.", und während seiner Aktivitäten als Solokünstler schrieb er Songs für Meat Loaf, Pearl Jam sowie Jackson Browne. In den Achtzigern sorgte der auch Little Steven genannte Ausnahmemusiker für viel Aufsehen, da er im Rahmen des Ensembles Artists United Against Apartheid mit dem Album "Sun City" gegen das südafrikanische Regime opponierte. Seinem Ruf folgten Künstler wie Bob Dylan, Pete Townshend, Miles Davis, Lou Reed und Peter Gabriel. Van Zandt erzählt in seiner Autobiografie von der harten Jugend in New Jersey, dem Ruf des Rock'n'Roll und der immens erfolgreichen Zusammenarbeit mit Bruce Springsteen, der er viel Raum widmet. Doch auch Themen wie die Schauspielerei, das Wirken als Philanthrop und das Engagement für sozial schlechtergestellte Jugendliche kommen zur Geltung. Sein einnehmender Erzählton offenbart einen Träumer, einen modernen amerikanischen Rosenkavalier, der die Welt der hart arbeitenden Menschen, der unerfüllten Wünsche und der Sehnsucht nach der wahren Liebe beschwört.

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Seitenzahl: 710

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Stevie Van Zandt

Soulfire!

Originalversion redigiert von Ben Greenman

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Paul Fleischmann

Deutsches Lektorat von Hollow Skai

www.hannibal-verlag.de

Zitat

In jenem Bewusstseinszustand, der New Jersey zu sein scheint, liegt irgendwo zwischen dem Bruce Springsteen Stadium und der Bon Jovi Arena eine kaum bekannte Straße namens Little Steven Boule­vard. Auf ihr befinden sich zahllose Souvenirläden, die alle dem ­Consigliere Little Steven gewidmet sind. Dort gibt es nur Krimskrams erster Güte: Gangster-Memorabilia, Little-Steven-Geld- und Handtaschen, Bandanas und Kopftücher, Little-Steven-Glaswaren, Kaffeetassen, Little-Steven-Fahnen, Schlüsselanhänger, Aufkleber und Aufnäher, Stifte und Gitarrenplektren, Little-Steven-Papp­kameraden zum Aufstellen, Puzzles und Buttons. In dieser Straße kann man ein Vermögen ausgeben, sich jeden Song anhören, den er je gespielt hat, jede Fernsehserie ansehen, in der er je aufgetreten ist. Man kann auch seine Underground-Garage und Little Stevies Underground-College besichtigen. Das alles findet man dort. Ebenso wie Exemplare dieses Buchs hier. Es erfüllt alle Kriterien und bietet Anekdoten bis zum Abwinken. (Etwa auf Seite 235 – zum Niederknien, sage ich euch. Aber das ist nur eine von Hunderten.)

Hier handelt es sich in der Tat um eine lehrreiche Geschichte voller haarsträubendem Humor, weltlichen Weisheiten und wildentschlossenem Wagemut. Kein Zweifel, der gute Stevie beweist immer wieder aufs Neue, dass er weiß, wovon er spricht.

Bob Dylan

Widmung

Für Maureen,

meine unerwiderte Liebe

Impressum

Deutsche Erstausgabe 2021

© 2021 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-716-9

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-715-2

Titel der Originalausgabe: Unrequited Infatuations – Odyssey of a Rock and Roll Consigliere (A Cautionary Tale)

© 2021 by Renegade Book, LLC

ISBN Hardcover: 978-0-306-92542-9

Published by Hachette Books, an imprint of Perseus Books, LLC, a subsidiary

of Hachette Book Group, Inc.

Coverfoto © Mark Weiss

Grafischer Satz in deutscher Sprache: Thomas Auer

Übersetzung: Paul Fleischmann

Deutsches Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden.

Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug ­genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Inhalt

Ouvertüre

Vorwort

Kapitel 1 Zeit der Erleuchtung

Kapitel 2 An der Quelle

Kapitel 3 Rauf auf die Bühne

Kapitel 4 Southside Johnny & The Kid

Kapitel 5 Das Business

Kapitel 6 Las Vegas!

Kapitel 7 Asbury Park – Jetzt erst recht!

Kapitel 8 Der Boss der Bosse

Kapitel 9 Ich will noch nicht nachhause

Kapitel 10 L.A. A Go Go

Kapitel 11 Jetzt wird’s ernst!

Bilderstrecke 1

Kapitel 12 Der Punk trifft den Paten

Kapitel 13 Taufe

Kapitel 14 Checkpoint Charlie

Kapitel 15 Wie Hemingway

Kapitel 16 Voice of America

Kapitel 17 Auf dem Boden der Tatsachen

Kapitel 18 Der atemlose Projektionist

Kapitel 19 Revolution

Kapitel 20 Auf keinen Fall in Sun City!

Kapitel 21 Freedom – No Compromise

Kapitel 22 Der Heros in tausend Gestalten

Kapitel 23 Sieben Jahre in der Wüste

Bilderstrecke 2

Kapitel 24 Eine Nacht in der Oper

Kapitel 25 An der Wegkreuzung

Kapitel 26 Gangster am Tage – DJ bei Nacht

Kapitel 27 Ein verdammt cooler Super Bowl

Kapitel 28 Lilyhammer

Kapitel 29 Once upon a Dream

Kapitel 30 Die goldenen Nymphen

Kapitel 31 Botschafter am Hofe Ronald McDonalds

Kapitel 32 Soulfire

Kapitel 33 Summer of Sorcery

Kapitel 33⅓Epilog

Danksagungen

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Ouvertüre

Die in der Ferne erklingende Musik beschleunigt und verlangsamt wie eine Vinyl-Schallplatte auf einem verzogenen Plattenteller. Sie bäumt sich gegen eine zarte Brise auf, bevor sie dann doch nachgibt. Gleichzeitig ertönen das sanfte Klirren zerbrechenden Glases und ein paar müde wirkende Autohupen in jener mysteriösen Dunkelheit, die sich in der fremdartig-toxischen Einöde hinter den Stadtgrenzen ausbreitet. Der Nachhall feuchtfröhlicher Zechgelage durchschreitet seine nächtliche Metamorphose, verformt durch die umliegende Geräuschkulisse, bis er in das Rascheln der Blätter draußen auf der Terrasse mündet, auf der in dieser besonders knackigen Dezembernacht im Greenwich Village unser Held sein Schicksal bedenkt.

Der Winter geht um und Bewusstsein erweist sich als Ladenhüter.

Es will sich einfach nicht an den Mann bringen lassen.

Zum Teufel, nicht einmal geschenkt wollen es die Leute haben!

Höre ich da etwa den eisigen Wind durch die erstarrten, grauen Straßen blasen? Oder handelt es sich bei diesen Echos vielmehr um Hohn und Spott?

Einst war Bewusstsein kaum zu erlangen – und auch damals war die Nachfrage gering.

Informationen wurden vom Klerus, Hexendoktoren und machthungrigen Autoritäten streng rationiert. Das waren Menschen, denen wir törichterweise die Aufgabe überließen, das Leben für uns zu begreifen und zu interpretieren.

Alle hundert Jahre fühlte sich dann jemand erleuchtet genug, um seine Erkenntnisse zu teilen. Darauf folgten zumeist die Exkommunikation, ein Leben hinter Irrenhausmauern oder ein qualvoller Tod auf dem Scheiterhaufen, wo unsere dankbare Gesellschaft diese Visionäre bei lebendigem Leib verbrannte.

Wer mochte schon den Buddha, als er unter uns weilte? Nur ein paar obdachlose Gefolgsleute, die darauf hofften, eines Tages zu verstehen, was zum Geier dieser gemütlich-füllige Mann tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte.

Wen konnte Jesus schon für sich gewinnen? Gerade einmal ein Dutzend Typen und ein oder zwei Ex-Huren.

Sokrates und Robert Johnson erhielten im Gegenzug für ihre Einsichten jeweils denselben Lohn. Einen finalen Schluck aus dem Schierlingsbecher.

Nein, mein Freund, man muss sich schon etwas Besseres einfallen lassen, als die Wahrheit unters Volk bringen zu wollen. Dann schon lieber etwas Nützliches. Zum Beispiel Krieg, Steuern, eine Regierung, auslaugend-bedeutungslose Schufterei, gefälschte Wall-Street-Bilanzen, sexuelle Frustration, Leid, falsche Hoffnungen, Krankheit, Knarren, Drogen, Benzin, Agrarwirtschaft, Angst, Schnaps, Gift, Hass. Wir brauchen Sündenböcke. Erfülle unser spirituelles Vakuum mit Religion.

Wir werden uns als unersättliche Konsumenten erweisen. Sprich möglichst herablassend mit uns. Wie zu Kindern. Damit wir auch ja begreifen. Es grassiert ohnehin gerade eine Pandemie der Dummheit, also wird das niemandem auffallen.

Wir werden dir überallhin folgen.

Eltern, Lehrer, Priester, Ärzte, Politiker, Philosophen, Poeten, Künstler, Götzen, der Allmächtige, der Heilige Geist – sind eure Möglichkeiten wirklich so beschränkt? Eure Nachkommen brauchen Zuwendung und ihr haltet euch mit was bitte auf?

Die Kinder des Dezembers sind Waisen.

Der Winter geht um und Bewusstsein erweist sich als Ladenhüter.

Vorwort

Stille.

Er lag unter einer Decke hinten im Wagen auf dem Boden, umhüllt von einer irren, unheimlichen Stille.

Niemand sprach ein Wort. Kein Radio. Nur das gemächliche Brummen des Motors. Er lag da ganz allein mit seinen Gedanken. Und eines sei euch gesagt: Das gefiel ihm gar nicht.

Seine beiden Mitverschwörer schmuggelten ihn an einer Militärblockade vorbei hinein in die schwarze Township Soweto. Die „einheimischen Unruhen“, wie die Regierung es gern formulierte, kochten alle paar Jahre wieder hoch, doch in letzter Zeit traten sie regelmäßiger auf. Inzwischen handelte es sich um einen Dauerzustand.

Nicht ganz zufällig war die Polizei weniger zuverlässig als noch zuvor. Die Beamten beschlichen gemischte Gefühle, wenn es darum ging, ihre eigenen Familienmitglieder und Nachbarn bei Demonstrationen zu verprügeln. Oder wenn sie wegsehen mussten, wenn Leute aus ihrem Bekanntenkreis im Knast gefoltert und gelegentlich ermordet wurden.

Die Regierung, die ihr Vertrauen in die Polizei verloren hatte, setzte nun in einem beispiellosen Schritt auf das Militär. Es bewachte jeden einzelnen Checkpoint, den man auf dem Weg in das riesige Ghetto oder aus ihm hinaus passieren musste. Nicht etwa zum Schutz der Einwohner, sondern um sie einzupferchen und einfacher abschlachten zu können, sobald konstruktive Ansätze dem Blutvergießen weichen mussten. Die Lage war noch nie so angespannt gewesen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um zur falschen Zeit die falsche Hautfarbe zu haben. Deshalb auch die Sache mit der Decke.

Die sich schier uferlos ausbreitende Township war nicht ans Stromnetz angeschlossen, weshalb ein dichter Nebel von Öl- und Kohlerauch in etwa einem Meter Höhe über dem Boden hing und die Rätselhaftigkeit und immanente Gefahr des Augenblicks noch stärker betonte. Es fühlte sich an wie ein von einer Twilight Zone inspiriertes Fahrgeschäft in einem von Dostojewski ersonnenen Disneyland. Oder wie eine Außenmission in Star Trek, bei der er das entbehrliche Crewmitglied war, ein sogenanntes Redshirt. Die Jungs im roten Oberteil mussten immer über die Klinge springen. Die Farbe der Uniform entsprach in diesem konkreten Fall seiner Hautfarbe. Klar?

Jedes Land besitzt seinen ganz eigenen Geruch. In Südafrika liegt der süßliche Duft von Jacaranda, Zuckerrohr und Bananenstauden in der Luft. Gelegentlich durchschnitt diesen eine ätzende Brise, die eine Mischung aus verbranntem Gummi und Menschenfleisch transportierte. Dieser Gestank ergab sich, wenn angeblichen Verrätern mit Benzin gefüllte Reifen übergeworfen und in Brand gesteckt wurden, um sie hinzurichten.

Das nannte sich Necklacing.

Neben der Kombination aus betörender Schönheit und glühendem Hass war auch noch das charakteristische Aroma einer Revolution wahrnehmbar. Und er liebte jede einzelne beängstigende, irre Minute, Baby!

Der finale Showdown stand unmittelbar bevor und er hatte einen Sitzplatz direkt am Ring ergattert. Er war unterwegs zu einem höchst geheimen und absolut illegalen Treffen mit einer der allerbrutalsten Gruppierungen der südafrikanischen Revolutionsbewegung, der Azanian People’s Organisation (AZAPO). Es galt herauszufinden, wie diese tickten und bestenfalls ihre Zustimmung zu jener Strategie zu erhalten, die er sich zur Unterstützung ihres Freiheitskampfes hatte einfallen lassen.

Im Südafrika des Jahres 1984 war es verboten, dass sich drei schwarze Männer zur selben Zeit am selben Ort versammelten. Es war illegal, den Kulturboykott gegen das Land zu befürworten. Das galt vor allem für die Schwarzen, als die sie vom Staat klassifiziert wurden. Auch war es ein Kapitalverbrechen, eine Schusswaffe zu tragen, oder Umgang mit jemandem zu pflegen, auf den dies zutraf.

Er sollte nun gegen all diese Gesetze verstoßen. Die AZAPO repräsentierte die Frontsoldaten. In den Augen der am Hungertuch nagenden Massen waren sie Helden. Für die Regierung waren sie hingegen Terroristen.

Nicht geplant hatte er, in der nächsten Stunde ihre Strategie zur Revolution zu kritisieren und ein Plädoyer zu halten, um sein Überleben zu sichern.

Wie hatte es diesen Halb-Hippie von einem Gitarristen nur hierher verschlagen?

Sieben glorreiche Jahre lang galten Bruce Springsteen und die E Street Band als das „Rat Pack“ des Rock’n’Roll. Er schlüpfte dabei bereitwillig in die Rolle Dean Martins. Wann immer eine Party auf dem Programm stand, rief man ihn an. Politik war hingegen nicht sein Ding. Vielmehr war er der Spaßmacher. Ein Hofnarr. Immer für einen Lacher gut. Sex, Alk, Drogen, Rock’n’Roll … und noch einmal eine Extraportion Sex! Yo, Barkeeper, noch eine Lokalrunde!

Damit er nun unter dieser Decke liegen musste, hat schon so einiges schieflaufen müssen.

Dennoch war es nur logisch, dass ein gestandener Rock’n’Roller aus New Jersey sich auf die Risiken von Inhaftierung und Tod einließ. Dies entsprach der Logik seiner neuen Denke, die er sich erworben hatte, indem er zu einem ganz anderen Menschen geworden war.

Er hatte Tag und Nacht mit der E Street Band gearbeitet und voller Stolz dazu beigetragen, sie zur größten und besten Formation auf dem Planeten zu machen. Dann, in einem Augenblick vollkommener Klarheit (oder auch kompletten Wahnsinns), verließ er die Gruppe, um herauszufinden, wer er wirklich war und wie die Welt funktionierte. Jetzt oder nie, lautete sein Motto. Sobald man sich auf dem Weg zu Reichtum befand, gab es in der Regel kein Halten mehr. Die Reichen hatten einfach zu viel zu verlieren. Er entschied sich aber für das Abenteuer und gegen das Geld.

Was für ein Depp.

Gleich zu Beginn seiner verrückten Reise hatte er eine überraschende Erkenntnis erlangt. So war er zu dem Schluss gekommen, dass er mit ausführlicher Recherche jedes politische Problem nicht nur analysieren, sondern sogar lösen könnte. Ganz egal, wie komplex dieses auch sein mochte! Natürlich war es etwas ganz anderes, die Lösung adäquat umzusetzen. Aber eigentlich recherchierte er ja nur, um Material für Songs zu sammeln. Zumindest vorerst.

Ihm war schon seit jeher bewusst gewesen, dass er die Fähigkeit besaß, musikalische Projekte auf ein höheres Niveau zu hieven: Song, Arrangement, Text, Produktion – sucht euch etwas aus! Jahrelang hatte er für andere Schlechtes in Gutes, Gutes in Großartiges und Großartiges in noch Großartigeres verwandelt.

Das war keinesfalls reines Honigschlecken.

Selbst im Kunst- und Kreativbereich kann das Talent, Dinge reparieren und verbessern zu können, sowohl Segen als auch Fluch sein.

Die Sache mit dem Segen erklärt sich von selbst.

Der Fluch-Aspekt unterteilte sich in drei Ebenen. Zunächst freuten sich nur die wenigsten Menschen über Ratschläge, ganz egal, was sie sagten. Sie wollten sich der Illusion hingeben, alles selbst auf die Reihe gebracht zu haben. Manchmal heuchelten sie Interesse und ignorierten einen Ratschlag dann einfach. Außerdem war es nicht unbedingt ein Kinderspiel, auf diese Weise seinen Lebensunterhalt zu verdienen, da andere den Wagen steuern durften, während er sich darum kümmern musste, dass die Räder gut geschmiert liefen. Mitunter musste er auch vom Wagen abspringen, um Reparaturen vorzunehmen.

Der größte Wermutstropfen bestand jedoch darin, dass es ihm niemals gelang, diese wunderbare Logik auch auf sein eigenes Leben anzuwenden. Der Frust über die geschäftliche Seite lenkte ihn von den Genüssen der Kunst ab. Es spielte keine Rolle, wie sehr er dagegen ankämpfte, der wahnhafte Teufel, der tief in ihm wohnte, wartete immer noch auf jenen magisch-mystischen Mäzen, der doch schon längst die Bildfläche hätte betreten müssen.

Als ihm bewusstwurde, dass sein Können über den künstlerischen Bereich hinausreichte, nämlich bis hinein in die reale Welt und das echte Leben, war das ein ziemlicher Schock. Immerhin empfand er sich selbst als Halbidioten, der gerade einmal so die High School beendet hatte. Ganz zu schweigen davon, dass der Normalzustand seines Verstandes, wenn er sich nicht gerade aktiv mit etwas befasste, von einer chaotischen Kombination aus Frustration, Ungeduld, Selbsthass und Besessenheit von künstlerischen und philosophischen Fragestellungen geprägt war.

Aber das war doch schließlich der Grund, warum Künstler letztendlich Künstler werden wollten, oder? Um aus dem Chaos Ordnung zu erschaffen. Um das Irrationale in einen rationalen Rahmen zu fassen. Um Antworten auf die unbeantwortbaren Fragen zu finden. Um eine Struktur zu kreieren, die als Unterschlupf vor den widersprüchlichen Wirbelstürmen zu fungieren vermochte, die unablässig seinen Verstand quälten. Oder ging es etwa nur um Rache? Am besten sich gar nicht erst darauf einlassen, dachte er. Es roch alles schlichtweg zu sehr nach emotionaler Schwelgerei.

Die neue Erkenntnis, dieses Bewusstsein, dass er sein Talent auf die großen Probleme der Welt fokussieren konnte, lehrte ihn aber, dass seine Bestimmung, zumindest für die nähere Zukunft, darin bestand, ein politisch engagierter Rockmusiker zu sein.

Jedoch nicht so, wie sich Jackson Browne, Bonnie Raitt, Graham Nash und John Hall politisch engagierten. Das waren allesamt Helden, die sich an vorderster Front betätigten. Sein Interesse lag – zumindest anfangs noch – im Journalismus. Er kombinierte ihn mit seiner Kunst. So wie das Bob Dylan als Folk-Künstler tat. Nein, er wollte der erste Künstler sein, der seine Kunst ganz in den Auftrag politischer Themen stellt – jeder einzelne Song auf jedem einzelnen Album würde sich auf eine größere Problemstellung beziehen. Das hatte noch niemand gewagt, zumindest nicht in einer solchen Regelmäßigkeit.

Aber warum nicht?

Zunächst einmal waren alle anderen zu intelligent dafür. Immerhin handelte es sich hierbei um ein Manöver, das sich als Karriere-Killer herausstellen konnte, was ihnen klar war. Ihm aber war das egal. Bei seiner Selbstsuche hatte das Thema Karriere für ihn keine Priorität gehabt. Diese kurzsichtige Naivität sollte sich als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen.

Ihn kümmerte ausschließlich das Abenteuer seines Lernprozesses. Sein Leben hatte noch einmal von vorne begonnen. So war er zu einem Suchenden geworden, der sich auf die Suche begab, um die Wahrheit zu absorbieren und gleichzeitig Lügen als solche bloßzustellen. Er machte nun alles wett, was er in der Schule versäumt hatte. Vielleicht, ja, nur vielleicht, gelang es ihm dabei, seiner Existenz einen Sinn zu verleihen.

Als er seine Solokarriere in Angriff nahm, hatte er sich insgesamt fünf Alben vorgenommen, die sich um fünf unterschiedliche politische Problemstellungen drehen sollten. Doch als seine kreative Leidenschaft nun auf seine Nachforschungsarbeiten prallte und er sich intensiv mit den Themen aus der echten Welt befasste, über die er schrieb, wurde alles nur noch komplizierter.

Südafrika lieferte hierfür wohl das beste Beispiel.

Die Herausforderung, die sich ihm für den Rest seines Lebens stellen würde, manifestierte sich nun in dieser Szene auf dem Boden zwischen den Vorder- und Rücksitzen dieses Wagens. Das Fahrzeug wurde einen Augenblick langsamer und dann wieder schneller. Waren sie etwa durch den Checkpoint gewunken worden? Er befand sich gerade auf seiner zweiten Südafrika-Reise, um die Recherchearbeiten zu seinem dritten Album abzuschließen.

Als er da so unter seiner Decke kauerte, hätte er eigentlich Angst verspüren müssen. Doch sämtliche Angst war aus seinem Leben gewichen. Das war ihm bereits auf dem Flug von New York nach Südafrika aufgefallen. Fliegen war nie sein Ding gewesen. Die Turbulenzen hatten ihm immer schon zu schaffen gemacht. Doch mit einem Schlag wurde ihm klar, dass er das alles überwunden hatte.

Er hatte es überwunden, weil er alles in den Sand gesetzt hatte. So hatte er sein ganzes Leben darauf hingearbeitet, sich den unmöglich geglaubten Traum vom Rockstar zu erfüllen. Dann, als dieser auf wundersame Weise Wirklichkeit geworden war, ließ er alles zurück.

Von diesem Augenblick im Flugzeug an, als er all seine Angst ziehen ließ, sollte der Suizid zu seinem permanenten Wegbegleiter und Versucher avancieren. Sich nicht länger vor dem Tod zu fürchten, war, wie sich herausstellte, ein großer Nutzen. Es erlaubte ihm, sich an alle denkbaren Orte zu begeben und sie zu untersuchen, ohne sich dabei auch nur im Geringsten um seine eigene Sicherheit zu scheren.

Er hatte seine Band, seinen besten Freund, seine Karriere und seinen Lebensunterhalt verloren. Einfach alles. Warum? Nur um der abstrakten Vorstellung, seine Existenz rechtfertigen zu können, hinterherzuhecheln?

Er war sich ja noch nicht einmal im Klaren darüber, ob er überhaupt ein Frontman sein wollte. Offenbar war er in dieser Hinsicht ein Naturtalent, aber er brauchte es einfach nicht. Alle großartigen Frontmänner benötigten das Rampenlicht. Die Bewunderung. Die Bestätigung. Wollten angehimmelt werden. All dies schien eine Lücke in ihren Herzen auszufüllen.

Er selbst benötigte manche dieser Dinge, aber nicht in diesem Ausmaß und nicht auf eine herkömmliche Art und Weise. Wenn er als Junge davon träumte, in seinen Lieblingsbands spielen zu dürfen, war er nie der Frontman. Bei den Beatles war er George, und Keith bei den Stones. Bei den Kinks identifizierte er sich mit Dave. Bei den Yardbirds mit Jeff und mit Pete bei The Who.

Es war ihm ein Genuss, Leute zu beobachten, etwa in einem Straßencafé, wo er einfach nur sein konnte. All das war passé, wenn man im Mittelpunkt stand. Dann wurde man ununterbrochen umringt. Man wusste nicht, ob man nicht ständig unter Beobachtung stand. Dieser Gedanke brachte seine Klaustrophobie zum Vorschein.

Trotzdem stand er nun im Mittelpunkt, auch wenn er sich unter einer Decke versteckte. Das war schon ein seltsamer Zustand. Irgendwie komisch, aber auch sehr befreiend. Die Situation brachte eine überraschende Klarheit mit sich. Plötzlich kam es ihm so vor, als hätte er endlich seine Bestimmung gefunden.

Wie jeder Held der griechischen Mythologie, der sich gegen unvermeidbare tragische Resultate sträubte, begab er sich auf seine Reise. Seine Odyssee. Unnachgiebig, ruhig und, ja, ohne Furcht. Auf irrationale Weise wildentschlossen, sie zu meistern.

Der Wagen hielt an.

Sie befanden sich nun … ja, wo denn eigentlich? Alle Häuser sahen gleich aus. Acht Mitglieder des Exekutivausschusses der AZAPO, jedes mit einer Machete am Hosenbund, warteten bereits, um ihn ins Kreuzverhör zu nehmen.

Er sah hoch durch den Dunst, der die Township in einen ebenso trostlosen wie undurchdringlichen Nebel hüllte, hinauf in den kristallklaren afrikanischen Himmel. Hatte das Leben einst hier seinen Ausgang genommen? Oder endete es hier?

Der ewige Geist der Weltenmutter flüsterte in sein Ohr.

Dein Schicksal erwartet dich!

Er lächelte seine Kompagnons an, um ihre Nerven zu besänftigen, und zuckte gelassen mit den Schultern.

Dann trat er ein …

Kapitel 1 Zeit der Erleuchtung

1950er & 1960er

Wenn du etwas tun willst, mach es gefälligst richtig.

William Van Zandt, Sr., Ratschlag an seinen faulen ältesten Sohn

Meine erste Erleuchtung hatte ich 1961 im Alter von zehn Jahren in meinem Zimmer in der Wilson Avenue 263 in New Monmouth, Middletown, im amerikanischen Bundesstaat New Jersey, als ich gerade zum 55. Mal hintereinander „Pretty Little Angel Eyes“ von Curtis Lee hörte.

So machten wir das damals eben.

Ein Song, der im Radio lief, konnte dein Leben zum Stillstand bringen und wieder in Gang setzen. Als Jugendlicher konnte dir der richtige Song in den Sixties das Gefühl geben, vollkommen zu sein. Er rettete einem den Tag.

Es führte kein Weg daran vorbei, eine tolle Platte selbst zu besitzen. Man musste dafür seine Mom überreden, einen in die Stadt zu kutschieren, damit man dort voller Ehrfurcht einen jenen Teenager-Tempel, als die wir Plattenläden empfanden, aufsuchen konnte. Das war wie ein Besuch in der Kirche, der Synagoge oder einem Schwitzzelt.

Meine üblichen Pilgerstätten befanden sich in der Gemeinde Red Bank. Auf der einen Straßenseite lag Jack’s Record Shoppe und gegenüber davon Jack’s Music Shoppe. Die Schreibweisen waren eine frühe Verneigung vor der British Invasion. Dort kaufte ich ein paar Jahre später auch meine erste Gitarre. Die Läden gibt es noch heute, was eigentlich unglaublich ist.

Bei Jack’s handelte es sich um ein wunderschön eingerichtetes Gotteshaus, das es hinsichtlich seiner Ausstattung mit jeder europäischen Kathedrale aufnehmen konnte. Ich stöberte in Dutzenden Körben, um die Platte ausfindig zu machen, die ich im Radio gehört hatte. Dann trug ich sie zur Ladentheke und überreichte dem Verkäufer meine hart verdienten 79 Cents. Zuhause hörte ich die Scheibe dann immer und immer wieder, bis sie zu einem Teil meiner selbst, ja, meines Körpers wurde.

Wir waren die zweite Generation Kids, die mit dem Rock’n’Roll aufwuchs. Das hieß, wir waren erst die zweite Generation, die in der Lage war, sich ihre Schallplatten in der Privatsphäre ihrer eigenen Zimmer anzuhören. Die 45er-Single wurde von RCA 1949 auf den Markt gebracht und war eine Reaktion auf die LP, die mit ihren 33 1/3 Umdrehungen in der Minute im Jahr zuvor eingeführt worden war. Tragbare Plattenspieler folgten kurze Zeit später. Bis dahin standen die Plattenspieler nämlich in den Wohnzimmern und waren in dasselbe Möbelstück integriert, das auch den Fernseher und das Radio beherbergte. Wenn nicht dieser tragbare Apparat auf der Bildfläche erschienen wäre, hätte es den Rock’n’Roll vielleicht nie gegeben.

Ein Plattenspieler im Wohnzimmer setzte die Erlaubnis – oder zumindest die Toleranz – der Eltern voraus, eigene Musik zu hören. Ohne tragbare Endgeräte hätte die erste Generation Rock-Kids niemals Little Richard, Bo Diddley oder Jerry Lee Lewis lauschen dürfen.

Die ältere Generation empfand diese musikalischen Pioniere der 1950er als Kuriosität und Bedrohung. Eine seltsame Kombination. Ihre Bühnenpossen, schrillen Outfits und das offenkundige Nichtvorhandensein jeglichen Talents (zumindest wie es die Eltern definierten) war zum Brüllen komisch. Andererseits wirkten diese Vögel aber auch gefährlich, da ein unbehaglich anmutendes Element schwarzer Kultur alles zusammenzuhalten schien. Was für Auswirkungen würde das auf Kids haben, die ohnehin mehr Freizeit hatten, als ihnen eigentlich guttat?

Rock hätte genau an dieser Stelle bereits im Keim erstickt werden können. Aber stattdessen zog er hoch in die Zimmer der Jugendlichen.

Es entstammt nicht nur meiner Fantasie, wenn ich behaupte, dass man in den 1960ern Musik nicht nur hörte, sondern sie spürte. Die Schallwellen drangen in deinen Körper ein. Die Nadel, die analoge Impulse weiterleitete, die auf wundersame Weise aus in Plastik geritzten Rillen übertragen wurden, ermöglichte eine tiefgründigere, körperlichere Kommunikationsebene als das moderne Musik in digitaler Form vermag.

Ich weilte zufällig gerade in London, als das Beatles-Album Sgt. Pepper das 20-jährige Jubiläum seines Erscheinens feierte. Die Plattenfirma EMI, die damals auch mein Label war, lud ein paar Leute ein, sich die alten analogen Vierspuraufnahmen in den Abbey Road Studios anzuhören. Vorher und nachher habe ich nie etwas Vergleichbares gehört. Anschließend war war ich zwei Tage lang high. Ganz ohne Drogen.

Mithilfe von Musik waren einst große Durchbrüche im Umgang mit autistischen Kindern geglückt. Diese Fortschritte hörten aber auf, als die Welt auf digital umsattelte.

Ich habe einmal gelesen, dass man eine Platte zweihundert Mal anhören kann, bevor sie abgenutzt ist. Irgendwann verschwinden die hohen Frequenzen. Die Technologie konnte nicht mit der Leidenschaft und Ausdauer der Teenager mithalten. Ich überschritt dieses Limit ziemlich oft, etwa mit „Twist and Shout“ von den Isley Brothers, „Sherry“ von den Four Seasons und „Duke of Earl“ von Gene Chandler. Dann musste ich losziehen und mir diese Singles noch einmal besorgen.

Da saß ich nun also und ließ mich auf „Pretty Little Angel Eyes“ ein. Obwohl ich nicht mehr weiß, was ich heute zum Frühstück hatte, erinnere ich mich noch lebhaft daran, dass ich damals aus dem Fenster blickte und meinen Nachbarn Louie Baron erspähte. Gleichzeitig wurde ich von einem Hochgefühl ergriffen. Die Musik hatte mir auf eine neue und unerwartete Weise zu einem Endorphinrausch verholfen.

Am liebsten wäre ich die Treppen hinuntergeeilt, um Louie zu umarmen und ihm zu sagen, dass er mein Freund war und Freundschaft alles bedeutete. Und dass Liebe und Musik imstande wären, die Welt zu retten. Vor mir offenbarte sich in glasklaren Bildern eine wunderschöne Zukunft. Sie stand der gesamten Menschheit offen.

Meine erste Erleuchtung.

Natürlich hielt ich mich im Zaum.

Meine Wonne ließ mich nicht völlig verblöden. In jenen Tagen umarmten sich Männer nicht.

Ich war immer schon ein wenig behäbiger als die meisten anderen Kinder. Meine Ekstase löste daher nicht sofort große Neugier aus. Wer steckte hinter dieser Musik? Wie wurde sie gemacht? Konnte ich sie etwa auch machen? Diese Gedanken nisteten sich erst ein paar Jahre später bei mir ein. Doch meine Begeisterung für Musik sollte letztlich meinen religiösen Eifer ablösen.

Habe ich erwähnt, dass ich ein sehr religiöser Junge war? Ich besuchte regelmäßig die Sonntagsschule, akzeptierte Jesus als meinen persönlichen Heiland und empfing mit neun oder zehn das Sakrament der Taufe. So läuft das bei den Protestanten im Gegensatz zu den Katholiken, die bald nach der Geburt getauft werden. Dort überlässt man nichts dem Zufall.

Ein paar Jahre lang war ich dann lammfromm.

Der Gottesdienst am Ostermorgen war die große Härteprüfung. Da musste man schon um vier Uhr morgens aufstehen, um es rechtzeitig bis um 6 Uhr auf einen Berggipfel in den Highlands zu schaffen. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich meine Eltern dorthin begleiteten, nur ein paar Kirchenälteste und eine Gruppe Fundamentalisten. Der Respekt, den sie mir entgegenbrachten, gefiel mir. Ich konnte ihn in den Augen der Leute erkennen. Zwei oder drei Jahre lang nahm ich an dieser Messe teil.

Ich wollte immer zu den Eingeweihten gehören. Zu den Typen mit den Insider-Infos. Dafür war ich bereit, Zeit zu investieren. Im Alter von zehn Jahren vermutete ich, dass Religion die passenden Antworten für mich bereithielt. Zusätzlich lag mir metaphysisches Zelotentum quasi im Blut. Das Bedürfnis, Teil von etwas Größerem zu sein, sowie der Wunsch nach Zugehörigkeit, sind feste Bestandteile der menschlichen Natur. Es ist der Fanatismus, der sowohl religiöse Eiferer als auch Rock’n’Roller von zurechnungsfähigeren Zeitgenossen unterscheidet.

Es könnte auch sein, dass ich bloß meinen neuen Vater beeindrucken wollte. Eigentlich war ich ja katholisch erzogen worden, bevor meine Mutter noch einmal heiratete und das Team wechselte. Zumindest gab sie das vor. Insgeheim aß sie am Freitag auch weiterhin Fisch und rief den Heiligen Antonius an, wann immer etwas verloren ging.

***

Als ich acht Jahre alt war, holte uns der einzige Vater, den ich je als solchen anerkennen sollte, William Van Zandt, von Boston, wo ich auf die Welt gekommen war, zu sich nach New Jersey. Von dort aus konnte ich mich daran machen, meiner Bestimmung nachzugehen.

Er war ein witziger Kerl. Kurzgeraten, kräftig, ruhig, extrem stoisch. Ein Ex-Marine und als Republikaner ein Anhänger Barry Goldwaters. Seine Nase war vom Boxen geplättet. Die hatte er sich entweder bei den Marines oder beim Golden-Gloves-Turnier geholt. Als Junge hatte er Trompete gespielt, aber ich kann mich nicht daran erinnern, ihn jemals spielen gesehen zu haben. Ironischerweise, oder was auch immer das richtige Wort ist, hätte somit wohl die Trompete mein erstes Instrument sein sollen. Aber ich habe nicht die Lunge dafür. Sie ist atmosphärischer als alle anderen Instrumente – vor allem für Filmmusik. Nichts kann mit dem Einstieg zu Der Pate mithalten. Dasselbe lässt sich auch über Miles Davis’ Musik zu Fahrstuhl zum Schafott sagen.

Die einzigen Platten, die mein Vater auf dem großen Plattenspieler im Wohnzimmer auflegte, waren von Arthur Prysock. Wenn er besonders gut aufgelegt war, sang er sogar mit. Er besaß eine gute Stimme.

Jeden Dienstagabend verbrachte er bei der Society for the Preservation and Encouragement of Barber Shop Quartet Singing in America (SPEBSQSA). Mittlerweile nennt sich dieser Verein zu seinem eigenen Glück Barbershop Harmony Society bzw. BHS. Wenn ich heute daran zurückdenke, dann könnte es sein, dass seine gesanglichen Aktivitäten mit seinem Barbershop-Quartett, den Bayshore Four, meine lebenslange Vorliebe für Doo-Wop und Harmoniegesang im Allgemeinen mitbegründet hat. Heute gelten die Mills Brothers, ihres Zeichens Söhne von Barbershop-Quartett-Sängern, und die Ink Spots als direkte Überleitung zu den Wurzeln des Doo-Wop.

Es ist mir heute zutiefst peinlich, aber ich kann mich nicht daran erinnern, mich jemals mit ihm über sein Leben unterhalten zu haben – etwa darüber, was er als Kind so getrieben hatte, oder auf wen er damals abfuhr. Was seine Träume waren.

Meine Mutter sprach nie über meinen leiblichen Vater. Aber das muss damals schon eine missliche Lage gewesen sein, da sich in jenen Tagen Leute eigentlich nie scheiden ließen. Vor allem keine Katholiken. Und schon gar keine Katholiken mit Kindern. Ich empfand meine Mutter nie als sonderlich rebellisch veranlagt, aber dieses Vorgehen muss für damals als besonders rebellischer Akt durchgehen. Ich weiß nur, dass er jung starb. Ich hätte vielleicht mehr Details erfragen sollen, doch kam mir das gegenüber meinem Vater als unangebracht vor.

Sie entsprach dem weiblichen Ideal der 1930er und 1940er. Mit der großen Ausnahme ihrer Scheidung akzeptierte sie das Leben so, wie es war. Null Ehrgeiz. Keine Meinungen. Kein Drama. Sie hielt sich an die Spielregeln, war eine fantastische Köchin und hatte ein freundliches Lächeln. Als ich jung war, schien sie stets gutgelaunt zu sein. Die Gesellschaft erwartete und gestattete nicht viel. Sie lebte für ihre Kinder. Zu diesem Zeitpunkt beschränkte sich das auf mich.

Wir zogen zunächst zu ihren Eltern, Adelaide und Sam Lento, weshalb zwei Onkel und zwei Tanten dabei behilflich waren, mich aufzuziehen. Dafür brauchte es wohl ein ganzes Dorf … Itaker!

Als wir nach New Jersey übersiedelten, folgte uns die Familie. Nana Lento betonte, dass das mit mir, dem ersten Enkelkind, zu tun gehabt hatte. Das war offenkundig eine große Sache für italienische Familien. Da letzten Endes gleich vier ihrer fünf Kinder in Jersey sesshaft wurden, versammelten wir uns jeden Sonntag bei ihr zuhause, nur einen Spaziergang von der Kirche entfernt. Dort gab es dann eine typisch italienische Mahlzeit – eine Mischung aus Mittag- und Abendessen, die sich vom frühen Nachmittag bis zum Abend erstreckte. Mit Ehefrauen und -männern sowie Kindern waren wir wohl so um die 15, mitunter auch 20 Leute.

Mein Großvater väterlicherseits war schon lange tot. Ich weiß über ihn nur, dass er einen Job als Pitcher bei den New York Giants ablehnte, bevor diese nach San Francisco umzogen, weil sie ihm nicht genug bezahlen wollten. Außerdem war er bei einem Golfturnier in South Carolina einmal Zweiter hinter Bobby Jones.

Nana Van Zandt besuchten wir einmal im Monat in Hackensack. Sie war ein ziemliches Original, stammte aus den Carolinas und glich Granny aus The Beverly Hillbillies aufs Haar. Eines Tages fand ich eine verzogene alte Akustikklampfe auf ihrem Dachboden, von der mein Vater sagte, sie hätte einst seinem Vater gehört.

Der Vater meiner Mutter, Grampa Sam Lento, spielte ebenfalls Gitarre. Er brachte mir das einzige Volkslied seines alten Dorfes im süditalienischen Kalabrien bei. Diese Nummer verfügte über eine einfache, sich wiederholende Melodie. Vielleicht war er der Ansicht, dass ich nicht mehr verkraften könnte.

Sam war ein archetypischer italienischer Schuster traditioneller Prägung und im Sommer arbeitete ich in seinem Laden in Keansburg. Er ließ immer einen der praktisch identischen Popsender WABC und WMCA laufen. Ich kann heute noch die Schuhpolitur riechen und das Surren der Maschinen hören, wenn „Where Did Your Love Go?“ im Radio dudelt.

Niemand wollte etwas über Sams Herkunft erzählen. Wir wussten nur, dass er Kalabrien ganz plötzlich verlassen hatte und irgendwann im italienischen Viertel von Boston ein erfolgreiches Schuhgeschäft betrieb, bevor er schließlich runter nach Jersey zog.

Ich stelle mir gern vor, dass er der ’Ndrangheta Geld geklaut und sich dann abgesetzt hatte. Das hätte überhaupt nicht zu ihm gepasst, aber es ist ein netter Gedanke.

Nana Lento, eine echte Stimmungskanone, stammte aus Neapel. Stellt sie euch vor wie Martin Scorseses Mutter Catherine in Goodfellas. Sie war immer für einen Lacher gut – wenn auch oft unabsichtlich. So wie damals, als meine Schwester Kathi zu Thanksgiving ihren jüdischen Freund mitbrachte und Nana ihn fragte, ob seine Leute diesen Feiertag ebenso begingen. Sollte das Showbiz bereits genetisch bei mir verankert gewesen sein, dann stammte das betreffende Erbgut dafür von ihr. Sie hatte stets blendende Laune und war immer lieb zu uns, vor allem zu mir. Aber meinem Großvater setzte sie gnadenlos zu. Vielleicht war sie ja enttäuscht von ihm, weil er nicht reich geworden war, was ja in den meisten Ehen der Fall ist. Oder vielleicht lag es auch daran, dass Sams Mutter, wie mir Nana oft berichtete, sich permanent über ihren Akzent lustig gemacht hatte. Was auch immer es war, sie ließ es an ihm aus. 40 Jahre lang.

Er nahm es still hin. Auch er war Stoiker. In der italienischen Variante. Vielleicht spielte auch mehr omertà als Stoizismus eine Rolle. Alte Schule eben. Seine Augen lächelten auf eine Weise, die nahezulegen vermochte, dass er Dinge wusste, über die er niemals sprechen würde. Auch mit ihm hätte ich mich gern öfter unterhalten.

Die Zusammensetzung meines Blutes lässt mein Leben nie langweilig werden.

Der kalabrische Anteil lässt sich nicht leugnen. Simpel. Nicht intelligent genug, um das zu unternehmen, was am besten für die finanzielle Situation, die Karriere oder das gesellschaftliche Ansehen wäre, wenn man gleichzeitig dafür seine Ideale verraten müsste. Null Ehrgeiz. Ein calabrese ist zufrieden mit seiner Position als Arbeiter. Er ist ein loyaler Fußsoldat. Arbeit und Familie stehen an erster Stelle. Legt euch bloß nicht mit ihm an. Eine Kränkung vergisst er nie. Aber es braucht schon viel, um ihn wütend zu machen. Doch wenn es einmal so weit ist, dann wird er nicht ruhen, bis die Rache sein ist. Ganz egal, was es kosten mag.

Der Neapolitaner hingegen ist süchtig nach Action. Er bleibt ständig in Bewegung, repariert Dinge und tauscht sie aus. Er ist zwar ambitioniert, verfügt aber über keinerlei Geduld. Seine Devise lautet „learning by doing“. Er freundet sich rasch mit Leuten an. Wenn er erst einmal einen Fuß in der Tür hat, baut er seine Position stetig aus. Er ist nicht so hinterlistig und verschlagen wie manche Sizilianer, aber er kann, wenn es die Situation verlangt, ein guter Schauspieler sein.

Es ist jedenfalls eine ständige Herausforderung, diese vererbten Eigenschaften gemäß der jeweiligen Situation richtig auszubalancieren.

***

Eigentlich hatte ich eine schöne Kindheit. Im Park, der drei Blocks von meinem Haus entfernt lag, trieb ich Sport. Ich war zwar ein wenig zu klein, aber das kaschierte ich, indem ich einfach schneller und unerschrockener war als die meisten anderen. Allerdings wollte ich so schnell wie möglich erwachsen werden. Ich hasste es nämlich, ein Kind zu sein. Das hatte keine traumatischen Gründe. Es war mir nur einfach zuwider. Wahrscheinlich, weil ich nicht mein Leben selbst bestimmen konnte.

Ich wollte schon damals immer derjenige sein, der ich mal werden würde. Es war mir ein Anliegen, zu erfahren, was wirklich Sache war, denn es kam mir so vor, als ob alles, was in der Welt passierte, vor uns Kindern geheim gehalten wurde.

In der Schule war ich ganz okay. Das Leben war einfach und gut. Das Land war so reich, wie es nie wieder sein sollte. Am Esstisch wurde darüber gesprochen, wann (und nicht ob) endlich die Vier-Tage-Woche eingeführt würde – und damals arbeitete in den Mittelklasse-Suburbs zumeist nur ein Elternteil.

Mir waren zu dieser Zeit, in den 1950ern, keinerlei Probleme unseres Landes bewusst. Das blieb noch bis in die 1960er so, als die politische Lage quasi explodierte. Der wichtigste Bauunternehmer in unserer vorstädtischen Wohnanlage, der schwarz war, hatte einen Sohn, der ungefähr in meinem Alter war und mein erster richtiger bester Freund wurde. Ich hatte keine Ahnung, dass Weiße und Schwarze keinen Umgang miteinander pflegen sollten. Meine Mutter sagte auch nichts.

Wir machten uns einen Spaß daraus, mit unseren Fahrrädern dem Lieferwagen des Kammerjägers hinterherzufahren, aus dem giftiger Nebel zu uns nach draußen quoll. Ich weiß auch nicht, wie wir das überlebt haben. Vielleicht hat diese Behandlung aber auch wie eine Impfung funktioniert und mein Immunsystem richtiggehend kugelsicher gemacht.

Die meisten Familien der Mittelschicht hatten einen Pool im Garten, waren Mitglied in einem Strandclub oder schickten ihre Kinder ins Ferienlager. Bei mir war Letzteres der Fall. Allerdings übernachtete ich nicht dort. Ich bin ja ein relativ fanatischer Umweltschützer, doch ich selbst fühlte mich draußen in der Natur nie wirklich wohl.

Um sechs Uhr morgens wurde ich mit dem Bus abgeholt, der mich um 18 Uhr auch wieder zuhause ablieferte. Im Ferienlager lernte ich Schwimmen, bastelte indianische Armreifen und versuchte mich an Pfeil und Bogen. Vor allem erinnere ich mich aber an eine Jukebox, die im Freiluft-Essbereich aufgebaut war. Ich weiß noch gut, wie „Yakety Yak“ von den Coasters durch das ganze Camp hallte. Das war wahrscheinlich der erste Rock-Song, den ich jemals gehört habe.

Ansonsten erinnere ich mich nur noch an einen anderen Jungen, der mir erzählte, er würde hinter dem Autokino wohnen, weshalb er Filme von seinem Zimmer aus sehen konnte. In manchen waren auch nackte Frauen zu bestaunen. Davon war ich ziemlich beeindruckt – und angesichts seines kolossalen Glücks auch ganz schön neidisch.

Im Ferienlager wurde ich so braun, dass eine lokale Immobilienmaklerin meine Mutter bat, mich doch im Haus zu behalten, weil ihr schon einige Verkäufe durch die Lappen gegangen waren, da ihre Kunden glaubten, ich wäre schwarz. Meine Mutter meinte, sie sollte schnellstens Land gewinnen. Da ich das Gespräch mitgehört hatte, musste sie es mir nun erklären: „Manche Menschen haben etwas gegen Schwarze.“

„Warum?“, hakte ich nach.

Sie konnte es mir nicht erklären.

Ich verstand es damals nicht – und tue es auch heute nicht.

Ein paar Jahre später, es muss so 1963 oder 1964 gewesen sein, besuchten meine Freunde Tom Boesch, Louie Baron, wohl auch Louies Bruder Robert, Ernie Heath und ich an einem Tag im Sommer das Schwimmbad in Keansburg. Ernie entstammte der einzigen schwarzen Familie weit und breit. Wir waren gerade erst eingetroffen, als Tom uns zu verstehen gab, dass wir wieder aufbrechen sollten. Was war denn passiert? Er erklärte, dass man Ernie nicht ins Becken lassen würde. Das machte mich völlig fertig.

Eines Tages kam mein Vater, der als Baustelleninspektor arbeitete, sehr wütend nachhause. Aufgrund einer Förderungsmaßnahme für Minderheiten musste er ein paar weiße Jungs entlassen und ein paar schwarze Typen einstellen. So sauer hatte ich ihn noch nie erlebt.

Goldwater-Republikaner waren anders gestrickt. Sie ähnelten eher den heutigen Libertarians. Der Begriff „konservativ“ war damals gleichbedeutend mit „Kümmere dich um deinen eigenen Kram“ … Zum Beispiel interessierten sie sich nicht dafür, was Erwachsene in ihren Schlafzimmern trieben.

Das änderte sich dann alles mit Reagan, der als Erster die religiösen Fundamentalisten in die Republikanische Partei und somit in den politischen Prozess einlud, was der Trennung von Kirche und Staat widersprach. Religiöser Extremismus ist der Grund dafür, dass halb Amerika nicht an die Gleichstellung von Frauen oder an LGBTQ-Rechte glaubt.

Echte Konservative hätten nämlich Drogen, Abtreibungen, ja, ganz egal was legalisiert! Die Fundamentalisten glaubten nicht an föderalistisch vorgeschriebene Bürgerrechte. Für Föderalismus hatten sie grundsätzlich nichts übrig. Vielmehr glaubten sie an die Macht der einzelnen Bundesstaaten. Das ist auch so ziemlich das Einzige, was die wahren konservativen Republikaner aus der Zeit meines Vaters mit den sogenannten konservativen Republikanern von heute gemeinsam haben. Wenn die Gesetzgebung der Bundesstaaten immer an erster Stelle stünde, hätten wir aber heute noch die Sklaverei. Eine heikle Angelegenheit also.

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Mein Vater ging zwar nicht oft auf die Pirsch, aber er war trotzdem ein Jäger. Einmal begleitete ich ihn, aber ich brachte es nichts übers Herz. Ich verstehe nicht, wie man das Töten wehrloser Tiere als Sport bezeichnen kann. Mich kotzt ja sogar das Fischen an. Einem Lebewesen einen Haken durch die Backe ziehen und es daran aus dem Wasser reißen, während es ums Überleben kämpft? Warum sollte das akzeptabel sein? Ich bin der geborene Veganer, allerdings folge ich diesem Ernährungsmodell nicht ohne Unterbrechungen, was ein wenig heuchlerisch ist.

Könnt ihr euch meinen Vater und mich im selben Haushalt vorstellen? Wir waren der personifizierte Generationenkonflikt.

Mein politisches Desinteresse überdauerte sogar das Attentat auf Präsident Kennedy, das sich an meinem 13. Geburtstag ereignete. Ich fragte mich bloß, ob jetzt meine Party abgesagt würde.

Es gibt noch einen bedeutungsvollen Moment, den ich erwähnen möchte, bevor ich das Kapitel über meinen Vater abschließe. Er war ein richtig harter Hund und hatte nichts übrig für Albernheiten. Eines Tages ließ ich gegenüber meiner Mutter den Klugscheißer raushängen und machte einen frechen Kommentar. Ganz instinktiv verpasste er mir eine heftige Backpfeife.

Daraufhin standen wir beide ein Weilchen unter Schock, wofür jeder seine eigenen Gründe hatte. Danach war es nie mehr ganz so wie zuvor.

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Die Lieblingsfernsehserie meiner Kindheit war Zorro. Ob sie wohl meinen Bandana-Look beeinflusst hat? Wahrscheinlich sogar. Helden hatten es mir angetan, nicht nur Zorro, sondern auch Tarzan, Conan, Errol Flynn in seinen Rollen als Robin Hood und Captain Blood, James Cagney als Rocky Sullivan und Eddie Bartlett, Paul Newman als Rocky Graziano und Billy The Kid, oder auch Marlon Brando in Der Wilde. Mein Onkel Sal kaufte mir sogar eine Lederjacke, wie sie Marlon im Film trägt. Auch James Bond fand ich cool. Beim einzigen Mal, als ich mit meinem Vater ein Autokino besuchte, sahen wir uns 007 jagt Dr. No an.

Und dann gab es da noch pädagogisch besonders wertvolle Mentoren. Etwa Moe, Larry und Curly. Abbot und Costello. Maynard G. Krebs. Die Bowery Boys. Kooky, Toody und Muldoon. Soupy Sales. Sgt. Bilko. Sid Caesar. Die Marx Brothers, Professor Kelp und Buddy Love. Irgendwie verwunderlich, dass irgendjemand von uns bis heute überlebt hat …

Als 1961 die West Side Story ins Kino kam, besuchte ich eine Vorstellung im Carlton Theater (dem heutigen Basie) in Red Bank, fünf oder sechs Blocks von Jack’s entfernt. Der Film hatte in zweierlei Hinsicht einen nachhaltigen Effekt auf mich. Zum einen war da dieses Gang-Dingens. Uns Fünftklässlern aus den Vororten erschien das dermaßen cool, dass wir gleich unsere eigenen Banden formierten und in der großen Pause mit Bleistiften aufeinander losgingen.

Für mich ging es bei den Gangs nicht um Konflikte und Kon­kurrenzkämpfe. Vielmehr sprachen sie meinen natürlichen Instinkt an, irgendwo dazugehören zu wollen. Ich weiß auch noch, wie ich als Rädelsführer bestraft wurde.

Außerdem setzte ich mich zum ersten Mal intensiv mit Latino-Musik auseinander. Einen Vorgeschmack hatte ich bereits durch Zorro, „Malagueña“ von Connie Francis, „La Bamba“ von Ritchie Valens, „El Watusi“ von Ray Barretto und „Tequila“ von den Champs erhalten, doch die Musik der West Side Story gehört bis heute zu meinen absoluten Favoriten.

Ich liebte die Sharks. Es sollte ein Football-Team mit diesem Namen geben. Die New Jersey Sharks. Dann könnten die (New York) Jets gegen die Sharks antreten.

Ich wollte Bernardo mit seinem lila Hemd sein. Pepe. Indio. Ich wollte Anita flachlegen! Der Tanz in der Turnhalle und die Szene auf dem Dach mit „America“ verschlagen mir bis heute die Sprache.

Auch die Musik zu anderen Filmen zeigte große Wirkung auf mich. Natürlich weiß ich um den Einfluss von Ennio Morricones Arbeiten für Sergio Leone Spaghetti-Western (siehe auch meinen Song „Standing In The Line of Fire“ von meinem Album Soulfire). Doch ab und an schreibe ich ein Riff und realisiere, dass es aus Miklos Rozsas Filmmusik zu Ben Hur oder König der Könige stammt. Oder dass es Jerry Goldsmiths Musik zu Der Wind und der Löwe ähnelt. Ich frage mich auch, ob Jimmy Page weiß, dass er das Riff zu „Immigrant Song“ von Richard Rodgers „Bali Ha’I“ aus South Pacific übernommen hat.

Oder habt ihr euch je gefragt, woher Morricone die Idee für sein irres Intro-Riff in Zwei glorreiche Halunken hatte? Dann zieht euch nur mal die Tarzan-Filme mit Johnny Weissmüller rein. Aber lasst das unser kleines Geheimnis bleiben. Kennt jemand von euch die Verjährungsfrist von Dschungelkommunikation? Johnnys Nachlassverwalter könnte da noch auf die Idee kommen …

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Entgegen einem weitverbreiteten wissenschaftlichen Gerücht ereignete sich der Urknall nicht vor 13 Milliarden Jahren, sondern am 9. Februar 1964.

Zu behaupten, dass Ed Sullivan ein ungewöhnlicher Fernsehmoderator war, ist eine maßlose Untertreibung. Stellt euch nur einmal Quasimodo vor, wie er sich bemüht, einen auf schnucklig zu machen. Aber high auf Pilzen.

Ed Sullivan moderierte eine Unterhaltungssendung für die ganze Familie, die jeden Sonntag lief. Immer im selben Raum und zur gleichen Zeit, auf dem Schwarz-Weiß-Fernseher unseres Hauses. Irgendwann kauften wir uns ein zweites Gerät für den Hobbyraum im Keller. Die Nachbarn waren damals schier geplättet ob unseres Reichtums und unserer Dekadenz.

Ed lieferte in regelmäßigen Abständen historische TV-Meilensteine und brachte Woche für Woche 60 Millionen Zuschauer dazu, die Fernseher einzuschalten. Jede Show, die gegen ihn antrat, scheiterte. Vor allem weil die anderen Produzenten nicht begriffen, dass die Leute nicht nur wegen des Unterhaltungsprogramms zuschauten, sondern weil sie hören wollten, wie Ed die Namen allseits bekannter Stars falsch aussprach.

Seine Show bot dem Publikum Acts für jede Altersgruppe und sämtliche Geschmäcker. Für die Erwachsenen traten russische Jongleure, italienische Opernsängerinnen, Komiker und Broadway-Stars auf. Für die Kinder gab es Puppen wie Topo Gigio (an dessen Seite Ed Sullivan Sketche absolvierte). Und für die Teenager lud Ed die aktuell angesagtesten Acts ein.

Außerdem muss man ihm zugutehalten, dass er bereits in den rassistischen 1950ern schwarze Künstler einlud, als das noch längst nicht die Regel war. So lieferte etwa Bo Diddley 1955 einen infamen Auftritt ab. Beim Soundcheck hatte er noch den schnöden Popsong „Sixteen Tons“ gecovert, doch in der Show spielte er stattdessen spontan seine erste Single „Bo Diddley“. Das brachte ihm einen Hit ein, begründete seine Karriere und führte obendrein zu einem lebenslangen Auftrittsverbot in Eds Show.

Ein Jahr später katapultierte Elvis Presleys erster Auftritt bei Sullivan ihn und das neue Genre des Rock’n’Roll an die Spitze der Charts. Nichts sollte jemals mehr so sein wie zuvor. Manche würden sagen, dass Elvis’ erster Auftritt in der Ed Sullivan Show der Urknall für den Rock’n’Roll darstellte, doch auf mich trifft das nicht zu.

Aber so aufregend Bo und Elvis auch gewesen sein mochten, so war Amerika doch völlig unvorbereitet, als an jenem Abend im Februar 1964 Ed Sullivan für sein Teenager-Publikum die Beatles gebucht hatte.

Das war meine zweite Erleuchtung.

Als die Beatles bei Ed Sullivan gastierten, war das, als ob ein Raumschiff im Central Park landen würde. Nur hatten wir Raumschiffe bereits in Filmen wie Der Tag, an dem die Erde stillstand gesehen. Die Beatles erschienen ohne Vorwarnung und ohne Präzedenzfall auf der Bildfläche. Sie waren völlig fremdartig, absolut einzigartig und das auf eine Art und Weise, wie sie niemals wieder passieren wird. So etwas Krasses kann man nur einmal bringen. Wirklich alles an ihnen war speziell. Ihre Haare, ihre Klamotten, ihr Sound, ihre Einstellung, ihre Intelligenz, ihr Witz – und vor allem ihr Akzent.

Aber in erster Linie waren sie anders, weil sie zu viert waren – eine richtige Band. Das war neu. Bis dahin hatten einzelne Pioniere wie Little Richard, Chuck Berry und Elvis im Mittelpunkt des Musikbusiness gestanden. Oder Doo-Wop-Gesangsgruppen wie die Cadillacs, die Dubs, die Channels und die Jive Five, Soul-Formationen wie die Temptations, die Contours und die Miracles, und auch Instrumental-Combos wie die Ventures, die Surfaris und die Tornados. Die Four Seasons und die Beach Boys waren bis zu einem gewissen Grad auch richtige Bands. Sie spielten live und nahmen im Studio mithilfe von Session-Musikern auf. Dennoch waren sie fest in der Vergangenheit verankert – die Beach Boys mit ihren albernen High-School-Pullis, oder die Four Seasons, die wie deine italienischen Onkel aussahen …

Für mich war der erste echte Rockstar Rick Nelson, der bei The Adventures of Ozzie and Harriet mitspielte, als ich acht oder neun war. Ich freute mich immer schon darauf, wenn er am Ende einer Folge einen Auftritt hinlegte, und war enttäuscht, wenn dies nicht der Fall war.

Vor den Beatles hatte es nur eine einzige echte Rock’n’Roll-Band gegeben, nämlich die Crickets, die die Beatles dazu inspiriert hatten, ihre Gruppe nach einem Insekt zu nennen. Die Gruppe veröffentlichte Platten sowohl als The Crickets als auch unter dem Namen Buddy Holly, um doppelt so oft im Radio gespielt zu werden. Obwohl es sich bei diesem Act immer um dieselbe Band handelte, erinnerte man sich später bloß an Buddy Holly, was auf seinen plötzlichen frühen Tod zurückzuführen war. Es war ein stolzer Moment für mich, als wir 2012 endlich den Crickets und ein paar anderen verdienten Musikern, die im Hintergrund wirkten, Einlass in die Rock And Roll Hall of Fame verschafften.

Die Beatles veränderten die Welt buchstäblich über Nacht. Am 8. Februar 1964 gab es in Amerika noch keine Band. Am 10. Februar fand man welche in jeder Garage.

Was machte Bands so attraktiv?

Eine Band transportierte etwas völlig anderes als individuelle Acts. Bei einem Solokünstler ging es um eine Einzelperson. Ich, ich, ich. Eine Persönlichkeit. Ein Rampenlicht. Entweder man verliebte sich in den Typen oder eben nicht.

Bands kommunizierten hingegen Freundschaft. Familie. Sie standen für Begriffe wie „Gang“ oder „Posse“. Hier ging es um ein Team – und letztendlich um die Gemeinschaft. Jeder Jugendliche konnte sich nun die passenden vier oder fünf Freunde suchen. So wie in Die drei Musketiere, die ebenfalls zu meinen Favoriten zählten. Nur noch besser. Einer für alle, alle für einen!

Mein Bruder Billy kam sieben Jahre nach mir und vier Jahre vor unserer Schwester zur Welt. Der Altersunterschied war zu groß, um viele Erfahrungen miteinander teilen zu können. Ich bereue es, dass es mir nicht gelungen ist, dies dennoch zu tun. In erster Linie erinnere ich mich daran, dass ich mich mit meinem Bruder darüber stritt, was wir während des Abendessens in der Glotze laufen ließen. Er wollte I love Lucy und ich Star Trek. Da war es schon ironisch, dass der erste Film, in dem er nach seinem Umzug nach Hollywood auftrat, ausgerechnet Star Trek: Der Film war. Er spielte darin einen Außerirdischen auf der Brücke der Enterprise. Und nicht minder ironisch war es, dass ich mich später für Latino-Musik begeisterte, die ich wahrscheinlich zum ersten Mal von Ricky Ricardo in I love Lucy präsentiert bekam.

Mein Bruder und ich teilten uns ein Zimmer und erlebten zusammen einen ganz besonderen Augenblick. Nachts schmuggelte ich immer mein Transistor-Radio unter meine Bettdecke. Eines Abends lief dann „I Want to Hold Your Hand“, die erste Hit-Single der Beatles in den USA. Ihre amerikanische Plattenfirma hatte ihre ersten vier Singles allesamt abgelehnt, obwohl sie alle Hits in England waren. Letzten Endes verlangte der englische Mutterkonzern auf Druck des Beatles-Managers Brian Epstein und des Produzenten George Martin, dass Capitol Records „I Want to Hold Your Hand“ veröffentlichte.

Ich lauschte. Billy, der im Bett neben meinem lag, hörte ebenfalls zu. Als der Refrain einsetzte und die Band diese unglaublich hohen Noten beim Wort „hand“ sang, mussten wir beide lachen. Die Beatles strahlten etwas aus, nach dem Amerika sich nach dem Attentat auf Kennedy am meisten sehnte, etwas, das den Altersunterschied von sieben Jahren zwischen meinem Bruder und mir zu überbrücken imstande war – zügellose Freude. Unter anderem bin ich ihnen sehr dankbar für diesen Augenblick.

Für mich waren Bands mehr als nur ein sich im Wochenrhythmus erneuernder Modetrend. Sie standen für mich nicht nur für eine neue Musik. Sie verkörperten in meinen Augen auch nicht die Möglichkeit, gegen das Paradies zu rebellieren, das uns unsere Eltern geschenkt hatten.

Für mich bedeuteten sie ein neues Leben. Sie waren – ganz buchstäblich – mein Urknall. Plötzlich ergab meine Existenz einen Sinn. Danke. Das ist mein Stamm. Das ist meine Religion. Das ist meine Überzeugung. Mein Lebenssinn. Das bin ich!

Es gab da nur ein kleines Problem.

Die Beatles waren einfach ein bisschen zu gut. Ein bisschen zu kultiviert. Ja, sie waren aufregend, und allein deshalb, weil man sie mochte, hatte man schon das Gefühl, einem neuen Club anzugehören. Aber ganz egal, wie groß meine Fantasie war, ich konnte mir nicht vorstellen, es ihnen gleichzutun.

Sie waren perfekt. Ihr Haare waren perfekt. Ihre Anzüge waren perfekt. Die Harmonien. Sie konnten alle die Leadstimme übernehmen.

Dieses Problem sollte sich aber vier Monate später in Luft auflösen, als ich am 3. Juni 1964 von meinem dritten Augenblick der Erleuchtung ereilt wurde. Dean Martin präsentierte als Gastmoderator The Hollywood Palace, eine Show, die der von Ed Sullivan ähnelte und auf ABC ausgestrahlt wurde, als die Rolling Stones ihr amerikanisches Fernsehdebüt feierten.

Hier traf quasi meine Vergangenheit auf meine Zukunft.

Abgesehen davon, dass ich Italoamerikaner und ein Fan von Dino war (sowohl solo als auch im Duo mit Jerry Lewis), nahm ich mir seine Beziehung mit Frank Sinatra später als Vorbild für mein Schaffen in der E Street Band.

An diesem Abend machte sich Dino ununterbrochen über die Stones lustig. Ohne Erbarmen. So dämlich wie möglich. Als er sie ankündigte und auch nachdem sie eine rohe Coverversion von Muddy Waters’ „I Just Want to Make Love to You“ zum Besten gegeben hatten.

„Sie werden direkt im Anschluss an die Show nach London aufbrechen“, verkündete er, „um die Beatles zu einem Duell im Haare­ziehen herauszufordern.“

Das machte alle stinksauer – nur mich nicht. Gegenüber Keith Richards spricht man diese Story aber nur auf eigene Gefahr an.

Natürlich machte sich Dino lustig über sie. Das war ja seine Aufgabe! Sie waren neu! Jung! Laut! Sie spuckten sämtlichen traditionellen Werten ins Gesicht! Das waren alles Dinge, die seine Generation verabscheute.

Mick Jagger war ein anderer Typus Frontman.

Seine ungezwungene Attitüde stand im Kontrast zur Formalität der Beatles. Auch spielte er kein Instrument. Die meisten weißen Bands standen einfach nur da und spielten. Ihre Gitarren fungierten als eine Art Mauer zwischen dem Publikum und den Performern. Ein Frontman ohne Gitarre, der sich bewegte und tanzte, war bis dahin eine Sache der Schwarzen gewesen. Jagger und Eddie Brigati von den Rascals waren die großen Ausnahmen. Ganz vorn zu stehen, schenkte dem Performer die Freiheit, die Energie nicht nur aufs Publikum zu übertragen, sondern auch zu empfangen. Der Prediger, der Medizinmann, der Mambo, der Houngan, der Mystiker – besessen vom Spirit. Das war intimer. Sexueller.

Was mich für immer veränderte, war jener Umstand, der Dino am meisten verärgerte.

Mick Jagger lächelte nicht.

Wie konnte er es wagen, sich so undankbar zu verhalten, während ihm eine der Koryphäen des traditionellen Showbiz einen Auftritt vor einem landesweiten Publikum gewährte?

Plötzlich wurde mir klar, dass ich nicht perfekt sein musste. Nicht einmal fröhlich! Man musste ja nur einen Blick auf diese Jungs hier werfen. Sie waren ganz sicher nicht hässlich, aber sie wirkten zweifellos … primitiv. Man kann den Beatles nicht nachsagen, in irgendeiner Hinsicht „traditionell“ gewesen zu sein. Dafür veränderten sie die Welt zu nachhaltig. Aber immerhin waren sie auf konventionelle Weise attraktive Jungs. Die Stones sahen hingegen affenartiger aus. Sogar ihre Klamotten wirkten zusammengewürfelt und unüberlegt.

Sie waren die erste Punk-Band und luden alle zu ihrer Party ein.

Auf Wiedersehen, Schule und Noten, Gedanken ans College, gewöhnliche Jobs, Familienverband und amerikanische Monokultur im Allgemeinen.

Die Beatles und die Stones veränderten einfach alles.

Hinsichtlich meines Glaubensbekenntnisses hatte ich mich vom Katholiken zum Baptisten und nun zum Rock’n’Roll-Heiden gewandelt.

Die Gesellschaft sollte sich nie wieder davon erholen.

Dasselbe traf auch auf mich zu.

Kapitel 2 An der Quelle

1965–1967

Man ist nur so cool wie diejenigen, von denen man klaut.

Aus einem ungeschriebenen Buch

Sie kommen! Rennt um euer Leben!

Es hatte alles in den 1950ern begonnen, als die Amerikaner sich als die bestens abgesicherten Könige der Welt empfanden. Die notgeile Kriegsgeneration setzte an, die neu entstandenen Vorstädte mit einer neuen menschlichen Unterart zu füllen, deren Entwicklung irgendwann zwischen Pubertät und Erwachsenenalter ausgesetzt hatte. Sie konnten sie gar nicht schnell genug fabrizieren. Es dauerte auch nicht allzu lange, bis diesem Phänomen ein Name gegeben wurde. Es war, wie es Roger Corman auf einem seiner Filmplakate ausgedrückt hätte, die Attacke der Teenager.

Veranschaulicht durch das schockierend-undankbare wie aufschlussreiche Auftreten von Marlon Brando in Der Wilde, die Unzufriedenheit von James Deans Charakter in …denn sie wissen nicht, was sie tun, die zynische Weisheit der Beat-Poeten und die beispiellose Überwindung von Rassengrenzen in Elvis’ Rock’n’Roll, entpuppte sich der Teenager als ideale Zielscheibe für den Zorn der Erwachsenen. Frei, frech und furchtlos sowie zu arrogant (oder naiv), um die Regeln zu kennen (oder zu beachten), die die vorangegangenen tausend Generationen junger Leute in ihre Schranken gewiesen hatten, präsentierten sie sich nun der Welt. Nicht nur ausgestattet mit noch nie dagewesenem Taschengeld, sondern außerdem mit einer in dieser Form noch nie dagewesenen Freizeit.

Der Markt musste sich sputen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden.

Rock’n’Roll-Schallplatten! Transistor-Radios! Tragbare Schallplattenspieler! Karren! Klamotten! Gitarren! Bikinis! Hula-Hoop-Reifen! Strumpfhosen! Yo-Yos! Verhütungsmittel! Autokinos! Eiscafés! Comicbücher! Rollschuhe!

Nach oben schien es keine Grenzen zu geben.

Doch traf das nicht auf den Alltag der Teens zu. Die ersten Rock’n’Roll-Fans hinterließen ihre Spuren, bitte nicht falsch verstehen. Sie lieferten die Blaupausen für heiße Schlitten, Girls, den Strand, Exzesse …

Aber ihnen unterlief ein großer Fehler.

Sie wurden erwachsen.

Ein paar von ihnen behielten ihre Doo-Wop-Singles als Andenken an eine vergnügliche, aber kurze Phase der Befreiung, doch die meisten gliederten sich in ebenjene Gesellschaft ein, gegen die sie seinerzeit noch aufbegehrt hatten.

Wir würden uns nicht so schnell fügen.

Als unsere Generation aufkreuzte, war Rock’n’Roll schon längst dem Status eines vorübergehenden gesellschaftlichen Phänomens entwachsen. Hier ging es schon nicht mehr um Rebellion, oder gar um Showbiz. Man hatte es mit einem Lifestyle zu tun.

Mit etwas Neuem, das eine Gefahr für den Status quo darstellte. Was würde wohl passieren, wenn wir uns weigerten, erwachsen zu werden?

Für immer.

***

Meine erste Band waren The Mates. Ein Bandname, der der Welt klarmachen sollte, wie sehr wir von der British Invasion beeinflusst waren.

Ich übernahm den Gesang zusammen mit Tom Boesch, der in unserer Jugendzeit mein bester Freund war und mir Bob Dylan näherbringen sollte. Komplettiert wurden wir von zwei reicheren Kids namens John Miller und Kerry Hauptli. Toms Vater war Siebdrucker. Er kreierte für uns einen Bass-Drum-Aufdruck mitsamt eigenem Logo, was uns schlagartig eine Stufe über den anderen lokalen Bands positionierte.

Daraus entwickelte sich eine Herangehensweise, die ich für den Rest meines Lebens beibehalten sollte: Kopfüber hinein in die Action und dann „learning by doing“.

Wir traten eine Zeitlang im Rahmen eines längeren Gastspiels am Clearwater-Pool in Highlands auf. Im Anschluss daran lösten wir uns auf. Leider kann ich mich nicht mehr an die Gründe dafür erinnern. Der erste Song, den ich jemals vor Publikum sang, war Bob Dylans „Like A Rolling Stone“.

Hier eine typische, von Hand geschriebene Setlist aus jenen Tagen, die John aufbewahrt hat:

Als Nächstes schloss ich mich Buddy Norris’ Gruppe an, die sich The Shadows nannte. Cooler Name. Allerdings wusste ich nicht, dass er eigentlich von einer englischen Band geklaut war.

Ich frage mich, ob ihm das selbst klar war.

Von hier an wird alles ein wenig unübersichtlich. Entweder Buddy oder unser alter Mates-Bassist John Miller lud mich zur Probe ein. Ich kannte Buddy, weil er nur ein paar Blocks von mir zuhause auf dem höchsten Hügel in Middletown wohnte.

Meine Tante Angie, die ihre Kinder (und gelegentlich auch mich) zu verwöhnen pflegte, hatte mir so ein neues Ding gekauft, ein Skateboard. Das hatte jemand erfunden, damit sich Teenager auch auf dem Land am Surf-Trend beteiligen konnten, den die Beach Boys losgetreten hatten. Zum Thema Skateboard gab es sogar einen eigenen Hit-Song mit dem Titel „Sidewalk Surfin’“ von Jan and Dean. Nachdem es Jan Berry selbst nicht geglückt war, eine Skateboard-Hymne zu komponieren, bat er Brian Wilson und Roger Christian, den Beach-Boys-Klassiker „Catch A Wave“ mit einem neuen Songtext zu versehen. Sie ließen ihn nicht hängen.