Spiel der Herzen - Marie Cordonnier - E-Book

Spiel der Herzen E-Book

Marie Cordonnier

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Beschreibung

Frankreich – Versailles 1763: Die blutjunge Clarisanne ahnt nicht, dass sie die neue Mätresse des Sonnenkönigs werden soll. Mit ihrem Charme und ihren Kartentricks erobert die bezaubernde junge Frau aus der Provinz den königlichen Hof von Versailles. Sie weiß, was dem König gefällt, aber Madame de Montespan duldet keine Rivalinnen – weder am Spieltisch noch gar im Bett des Sonnenkönigs. Clarisanne betrübt das nicht, denn sie erregt mit ihrem Kartenglück die Aufmerksamkeit eines Mannes, der nicht nur zu den bestaussehenden, sondern auch zu den aufregendsten Höflingen ganz Frankreichs gehört.

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Marie Cordonnier

ISBN 978-3-86466-237-9
This ebook was created with BackTypo (  http://backtypo.com) by Simplicissimus Book Farm © 2014 by BestSelectBook_Digital Publishers Digitalised by DokuFactory Groß-Umstadt

Table of contents

PROLOG

Chateau d'Eure, am letzten Tag des Mai im Jahre 1673

1. KAPITEL

Versailles — Sommer 1673

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

PROLOG

Chateau d'Eure, am letzten Tag des Mai im Jahre 1673

Das schmale, feine Antlitz der Braut wirkte geisterhaft blass. Sie glich den steinernen Standbildern, welche die Sarkophage ihrer Vorfahren schmückten. Ihr bescheidenes, graues Samtgewand hatte bessere Tage gesehen und glich auch hierin der kargen, kleinen Kapelle, in der die Damen und Herren von Mallet-Jobis ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Der letzte von ihnen erst vor wenigen Tagen, und manch einem der Dienstboten, Pächter und freien Bauern, die auf dem Steinboden des Gotteshauses knieten, erschien die Eile unziemlich, mit der seine Tochter nun verehelicht wurde.

Allein, die Herrin, die dort vorne in ihrem geschnitzten Betstuhl kniete und den Rosenkranz zwischen den Fingern hielt, hatte ihre Zusage gegeben, und niemand wagte, ihre Autorität in Zweifel zu ziehen. Sie war eine fromme und strenge Dame, und wenn ihr das Alter eines ganzen Lebens, das zwischen der zarten Braut und dem betagten Bräutigam lag, nichts galt, so würde das schon seine Richtigkeit haben. Sie hatten gelernt, ihrem Urteil zu vertrauen.

Hinzu kam, dass auch die Braut dort vorne am vergangenen Lichtmesstag das 18. Lebensjahr erreicht hatte und es somit hoch an der Zeit gewesen war, einen standesgemäßen Gatten für sie zu finden. In ihren Kreisen war dies wichtiger als alles andere, und die einfachen Bauern maßten sich nicht an, dies zu kritisieren.

Für Clarisanne Mallet-Jobis, die in diesem Moment ihren Namen gegen den der Dame de la Langre, Baronin de Cassin eintauschte, war diese ganze Hochzeit ein

Spuk. Ein seltsam fremdartiges Geschehen, das sich außerhalb ihres Begreifens ereignete. Die Ereignisse, die ihr bis dato so gleichförmiges Leben aus der Bahn geworfen hatten, versetzten ihren sonst so regen Verstand in gnädige Betäubung. Diese Lähmung ermöglichte es ihr, wie die gehorsame Marionette eines Jahrmarkts-Komödianten genau das zu tun, was von ihr verlangt wurde. Was ihre Mutter unbeugsam als unabänderlich bezeichnet hatte.

»Dein Vater hat den schändlichen Ausweg eines Feiglings aus seinen Schwierigkeiten gewählt«, hatte sie mit ihrer tonlosen, leicht heiseren Stimme verkündet, nachdem der Baron mehr als eine Stunde mit ihr gesprochen hatte. »Er hat sich in seinen Dolch gestürzt, weil er nicht wusste, wie er seine Spielschulden bezahlen sollte. Er hat das Schloss, die Ländereien und sogar meinen Schmuck verspielt.«

Bis zu diesem Punkt hatte Clarisanne trotz allen Schreckens noch denken können. Das Schloss, das unweit der kleinen Quelle stand, aus der die Eure entsprang, war kaum mehr als ein großer Gutshof und ohnedies baufälliger, als ihm guttat; die Ländereien, seit sie denken konnte, so hoch belastet, dass auch die beste Ernte wenig daran änderte. Der erwähnte Schmuck schließlich bestand aus einem Flussperlen-Collier mit den dazu passenden Ohrgehängen. Zu bescheiden, um wie alles andere versetzt werden zu können. Die Zeiten, da das Haus Mallet-Jobis vermögend und stark gewesen war, gehörten der Vergangenheit an.

Das Herrschaftsgebäude war von ihren Vorfahren erbaut worden, und der bescheidene Pachtzins hatte immerhin über Jahre hinweg eine dünne Fassade stolzer Bescheidenheit aufrecht erhalten. Ohne dieses Einkommen wäre ihnen nur die Alternative des Armenhauses geblieben. Denn wie der Reichtum, war auch die Größe des Hauses Mallet-Jobis geschwunden. Es gab nicht einmal mehr Verwandte, die ihnen Unterschlupf gewährt hätten.

Es gab nur dieses völlig unerwartete Angebot eines Mannes, der in Clarisannes Augen nicht viel mehr als ein Greis zu sein schien.

»Er möchte dich zu seiner Gattin machen, Kind! Er ist auf der Suche nach einer wohlerzogenen, frommen Gemahlin. Einer Dame, die weiß, was sich gehört und ihm keine Schande macht. Einer Gattin, die ihn an den Hof des Königs begleitet!«

So sehr Clarisanne in ihrer stillen, ländlichen Idylle davon geträumt hatte, an den Hof zu gehen, sie wagte trotz allem einen Widerspruch. »Aber Maman, er ist alt! Uralt! Älter als Vater!«

Der scharfe Knall der Ohrfeige, die ihr dieser Protest eingetragen hatte, war trotzdem weniger schneidend gewesen, als die Stimme ihrer Mutter, die sich um keine Nuance gehoben hatte. »Du tust, was man dir befiehlt. Oder willst du, dass deine Mutter im Armenhaus landet? Tu deine Pflicht als Tochter!«

Pflicht! Wie dieses Wort die bisherigen 18 Jahre ihres Lebens begleitet hatte! Ginge es nach ihrer Mutter, das Leben bestünde nur aus lästigen Geboten. Aber sie wollte trotzdem nicht an diesen alten Mann verschachert werden, dessen dünne Beine das Gewicht des massigen Körpers kaum zu tragen vermochten und der mit Garantie untere dieser voluminösen Perücke mit den linealscharfen Lockenreihen kahl wie ein glänzender Herbstapfel war. Doch niemand ließ ihr die Möglichkeit einer Wahl.

Dazu erzogen, Vater und Mutter in bedingungslosem Gehorsam untertan zu sein, wagte Clarisanne auch dieses Mal keinen Widerspruch, der eine Tat nach sich zog. Allein, die Abneigung blieb. Die Angst, das Gefühl etwas Unwiderruflich Falsches zu tun, raubte ihr den Schlaf, die Kraft und die Fähigkeit zu logischem Denken. Sie murmelte ihren Eheschwur, ließ sich den schweren Goldring über die Finger schieben und bot dem Baron die eisig blassen Lippen zum Kuss. Es kam ihr weniger wie eine

Eheschließung, denn wie eine Beerdigung vor. Das Begräbnis ihrer dummen, romantischen Hoffnungen.

Der endgültige Abschied von allen Träumen und Wünschen, die sie den gegebenen Umständen zum Trotz gehegt hatte. Kein silberner Ritter war am Horizont erschienen, der sie anbetete, wie Abbélard dies mit Heloise getan hatte. Kein tapferer Kämpfer entführte sie auf seine Burg, um sie dort in seine Arme zu schließen und für immer mit ihr glücklich zu sein. Bilder aus alten Stundenbüchern und die romantischen Legenden vergangener Tage hatten sich in ihrem Herzen zu einer Illusion verwoben, die nun von der Gestalt eines alten Mannes in kostbarem Brokat, mit goldenen Seidenstrümpfen an den dürren Säbelbeinen, zerstört wurde. Ihm gehörte sie nun, mit Leib und Seele.

Der Mann, der in diesem Moment die eisigen Lippen küsste, dachte ähnliches, wenngleich bei ihm das Gefühl von Triumph und Vorfreude überwog. Dabei hätte er beim ersten Anblick des Schlosses und der nachlässig verwalteten Ländereien am liebsten den Toten erneut in die Ewigkeit befördert. Monsieur Mallet-Jobis hatte bei Hofe sehr wohl den Eindruck von Reichtum und Eleganz vermittelt. Dass er dafür sein Erbe ausgeplündert hatte, war nicht vorauszusehen gewesen. Die Gans, die angeblich goldene Eier legte, war nur eine schäbige, zerrupfte Ente gewesen.

Doch das Wesen, das ihn bei der Gräfin anmeldete und einließ, hatte seinen Zorn besänftigt und seinen diabolischen Verstand in Bewegung gebracht. Wenngleich ihre Kleidung eher der einer Magd glich und der dunkle Barchentrock, das schäbige Mieder und die bescheidene Leinenbluse an ihrer Figur schlotterten, beging er keinen Herzschlag lang den Fehler, dieses Mädchen für eine Dienstbotin zu halten. Er ahnte, wen er vor sich hatte.

Clarisanne de Mallet-Jobis besaß das feinste, delikateste Gesicht, das er je erblickt hatte. Ein ovales Antlitz mit leicht schräg stehenden Augen, einer feinen, geraden Nase und einem anbetungswürdig zärtlichen Mund. Doch diese Schönheit wurde noch gesteigert durch ein paar vorwitzige Löckchen in blassem Altgold, die unter der braven Haube hervorspitzten und sich um Stirn und Schläfen kringelten, und die dunkleren Wimpern der sittsam gesenkten Lider, die sich wie ein dichter, unglaublich langer Kranz über zart getönten Wangenknochen fächerten.

Da sich das Leinen des Hemdes, vom vielen Waschen dünn geworden, wie Batist um ihre Schultern legte, blieb ihm auch die herausfordernde Wölbung der schönen jungen Brüste nicht verborgen und der Schwung der runden Hüften, die auf eine fragile Taille folgten. Das Mädchen war ein Leckerbissen. Eines Königs würdig, der weibliche Schönheit zu schätzen wusste und jene belohnte, die ihm diese Schönheit zuführten. Er hatte sich getäuscht, Mallet-Jobis besaß Reichtum. Man musste ihn nur richtig einsetzen.

Und so kam es, dass unmittelbar nach dieser hastigen Hochzeit die stattliche, wenn nicht gerade luxuriöse Kutsche des Barons das Chateau d'Eure verließ. Clarisanne sah den vertrauten Umriss der Dächer hinter den Bäumen verschwinden und lehnte sich in die Polster des Gefährts zurück. Sie starrte auf den kleinen Strauß Fèldblumen in ihrer Hand, damit sie ihren Gemahl nicht ansehen musste.

So oft und so brennend hatte sie sich gewünscht, das alte Haus zu verlassen. Nun, da sie es tat, hatte sie Mühe, ihre Angst zu verbergen.

1. KAPITEL

Versailles — Sommer 1673

»Wahrhaftig, ich möchte dir den Schädel spalten und diesen kühlen Verstand herausreißen! Gibt es nichts Menschliches in dir, das dein Herz berührt? Man möchte meinen, ich hätte ein Monster geboren! Ein steinernes Denkmal ohne Gefühle!«

Wie seltsam, dass ihm diese vergessene und beileibe nicht erwünschte Rede seiner Mutter ausgerechnet heute in den Sinn kam. Vielleicht, weil er selbst nicht wusste, welche Ungeduld ihn antrieb, welches Ziel er ins Auge fassen sollte. Der Reiter zügelte sein Pferd, und der nachtschwarze Hengst blieb ebenso reglos stehen wie sein Herr im Sattel saß. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, das Tier folge auch der Blickrichtung des Menschen und betrachte wie jener versunken das schimmernde Wunder der Baukunst, das am Horizont vor ihnen aufragte.

Die gleißende Sonne, die schon am Vormittag davon kündete, dass dieser Junitag heiß und schwül werden würde, legte eine Wolke aus goldener Gaze über den wachsenden Gebäudekomplex. Versailles, das alte Jagdschloss der französischen Könige, glich in nichts mehr dem bescheidenen Domizil von früher. Seit Monsieur Le Vau im Jahre 1668 den Auftrag erhalten hatte, eine neue Fassade für die Gartenseite des Schlosses zu entwerfen, hatte sich der Palast in Dimensionen vergrößert, die den schweigsamen Mann stets auf Neue erstaunten, wenn er sich diesem goldenen Bienenkorb näherte. Die hervorragendsten Mitglieder des französischen Adels wetteiferten dort um die Gunst und die Aufmerksamkeit eines Mannes, der sich mit knapp 35 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Macht und seiner Kraft befand.

Louis Dieudonné von Frankreich, mächtigster König des Abendlandes und unbestrittener Souverän eines Reiches, das sogar bis über die Weiten des Ozeans hinausreichte, war dabei, mit Versailles den Mittelpunkt des Abendlandes zu schaffen. Das Zentrum der Künste, der Kultur, der Eleganz und der Macht befand sich bereits in den noch nicht ganz fertigen Mauern.

Das musste sogar der kritische Reiter zugeben, der sich nachdenklich fragte, was in Dreiteufelsnamen er unter all diesen prächtigen Pfauen zu suchen hatte, die sich dort in der Sonne der Gnade Seiner Majestät spreizten.

Er wusste längst, dass dies nicht der Ort war, nach dem er gesucht hatte. Der jene ruhelose Jagd beendete, die ihn über die Meere und wieder zurück getrieben hatte. Vom König mit Ehren überhäuft, von den Schmeicheleien des Hofes umworben und von den Schönen des Palastes mit mehr Liebe verwöhnt, als es einem einzelnen Manne zustand, fühlte er sich dennoch seltsam leer und fehl am Platze.

Die Schwermut machte ihn gereizt und trieb ihn zu einem tollkühnen Galopp, der die lästigen Spinnweben aus seinem Geist vertreiben wollte und den der ungezügelte Hengst nur zu gerne einschlug. Gemeinsam glichen sie so dem düster wilden Reiter der Apokalypse. Als sie aus heiterem Himmel der schwerfälligen, verstaubten Reisekutsche in den Weg brachen, der man die lange Reise aus der Provinz ansah, war die Katastrophe unvermeidlich.

Die Straße zum Schloss glich ohnehin einem Sturzacker, denn die Karren, die in unablässiger Folge Handwerker und Holz, Werkzeug, Gips und Steine für den Bau Seiner Majestät herbeischafften, hatten sie längst ruiniert. Der müde Kutscher tat zwar sein Möglichstes, die Reisenden vor den Stößen der gröbsten Löcher zu bewahren, aber es gelang ihm nur unvollkommen. Als der schwarze Schatten eines Pferdes vor ihm in die Allee stürmte, erschrak er dermaßen, dass er prompt in das nächste tiefe Loch fuhr. Das häßliche Krachen einer brechenden Achse wurde übertönt durch das Wiehern der Pferde und die heiseren Stimmen der fluchenden Männer.

Auf die junge Frau, die durch diesen Unfall aus ihrer lähmenden Erstarrung gerissen wurde, wirkte die Gestalt, die sich gegen den Rahmen des offenen Kutschenfensters abzeichnete, wie eine Vision. Ein Erzengel in schwarzem Leder, der entschuldigend seinen federgeschmückten dunklen Hut schwenkte und sich mit volltönender Stimme für den Schaden entschuldigte, den er verursacht hatte.

Während sich vor ihrem Auge das Bild klärte, hörte sie die erboste, zeternde Stimme ihres Gatten, die ihm zornig antwortete. Aber die Debatte schien in einer anderen Welt stattzufinden.

Sie sah nur die Sonne, die sich in silbriger Helle auf dem blonden Haar brach, das im Nacken mit einem Lederband gehalten wurde. Das Antlitz, in dem sich männliche Härte mit der klassischen Schönheit vollkommener Formen paarte. Eine gerade geschnittene, edle Nase, eine hohe Stirn und ein Mund, um dessen lebendig spöttische Lippen ihn jede Frau beneiden konnte. Beherrscht wurde dieses Ebenmaß von zwei strahlend blauen Augen, die jedoch in so nachlässiger Kühle auf ihr ruhten, dass sie sich ihrer zerzausten und ärmlichen Erscheinung bewusster denn je war.

»Packt Euch von dannen, rücksichtsloser Lümmel, der Ihr seid!« kreischte der Baron im überkippenden Falsett, und das Bild vor dem Fenster verschwand. Es machte dem seidig blassen Sommerhimmel Platz. Ein Lachen entfernte sich im Stakkato trommelnder Hufe, und unwillkürlich preßte sie die Hand auf die Stelle, wo unter dem dünnen Stoff ihres engen Gewandes das Herz plötzlieh so raste als wäre sie persönlich hinter dem Pferd hergerannt.

»Was ... wer war das ...?«

Thibaut de la Langre, der Baron de Cassin, wischte sich mit einem spitzenbesetzten Tuch die rote, schweißbedeckte Stirn und wandte sich endlich seiner Begleiterin zu, die er über dem unerwarteten Ärger vergessen hatte. Unwillkürlich glätteten sich ein paar der tief eingegrabenen Falten in seinen scharfen Zügen.

Indes blieben noch genügend davon übrig, um klarzustellen, dass er im Gegensatz zu jenem Adonis den Zenit seines Lebens bereits überschritten hatte. Seine fahle Haut trug die Flecken des Alters, und eine voluminöse, braune Perücke verlieh ihm lediglich flüchtige Eleganz. Da er im übrigen nur von mittelgroßer, leicht vornübergeneigten Gestalt war und sein schwammiger Körper von überraschend dünnen Beinen in feinsten Seidenstrümpfen und Kniebundhosen getragen wurde, bildete er einen so krassen Gegensatz zu jenem Erzengel, dass der jungen Frau unwillkürlich nach der Frage auch noch ein Seufzer entschlüpfte.

»Einer jener unverschämten Lümmel, die glauben, ihnen gehöre das Königreich, nur weil Seine Majestät sie mit seiner Aufmerksamkeit auszeichnet. Habt Ihr Euch irgendwo gestoßen? Seid Ihr verletzt?«

»Nein, nein! Ich bin nur entsetzlich erschrocken«, flüsterte Clarisanne und wich wieder tiefer in den Schatten der Ecke zurück, in der sie den größten Teil dieser erschöpfenden Reise verbracht hatte. »Macht Euch keine Sorgen um mich ...«, fügte sie hinzu, sich an die Höflichkeit erinnernd, die sie ihm nun schuldete.

Er war ihr Gatte. Wie auch immer er zu diesem Titel gekommen war, sie hatte vor Gott geschworen, ihm zu gehorchen und ihm zu dienen. Sie war fromm genug, dieses Versprechen ernst zu nehmen und jung und ahnungslos genug, um zu glauben, dass es ihr irgendwie gelingen würde, in dieser aufgezwungenen Ehe ihr Glück und ihre Zufriedenheit zu finden. Nahm sie der Baron nicht mit nach Versailles an den Hof? Nie hatte sie gedacht, dass sie jemals den König von Angesicht zu Angesicht sehen würde. Dass sie ihm als Baronin de Cassin ihre Reverenz erweisen würde.

Die Zukunft lag ehrenvoll und vielversprechend vor ihr, und das Gestern gehörte der Vergangenheit an. Sie hatte Geringfügigkeit und Unterordnung gelobt. Aber als sie zitternd die Augen schloss und sich um Fassung bemühte, manifestierte sich vor ihrem inneren Auge nicht das Bild ihres Gemahls, sondern das eines blonden Erzengels hoch zu Ross. Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen Mann von solcher Schönheit gesehen!

»Wahrhaftig, Seine Majestät sollte besser für die Sicherheit der Straße nach Versailles sorgen«, schimpfte ihr Gatte und machte sich wohl oder übel daran, das Gefährt zu verlassen, das bedenklich schief in einem tiefen, trockenen Loch zum Halten gekommen war. Es blockierte die vielbefahrene Straße, und eine herbeinahende Staubwolke aus Richtung Paris bewies, dass sie gezwungenermaßen Hilfe bekommen würden, wenn nicht der gesamte Verkehr zum Schloss von ihrer Reisekutsche lahm gelegt werden sollte. Es war nur eine Frage der Zeit.

Eine Verzögerung, die der jungen Frau plötzlich sehr recht kam, obwohl sie sich eben noch leidenschaftlich danach gesehnt hatte, dem engen, ruckelnden und stoßenden Käfig des Fahrzeugs zu entkommen. Alles war so schnell gegangen, seit sie das Haus ihres Vaters verlassen hatte, dass sie kaum Zeit gehabt hatte, nachzudenken.

Nicht einmal an der fröhlichen Feier der Pächter hatte sie teilnehmen dürfen. Nur eine hastige Umarmung ihrer befremdlich weinenden Mutter war ihr gegönnt gewesen, dann folgten endlose, staubige Landstraßen. Herbergen, die sie in ihrer verwirrten Erschöpfung kaum richtig wahrgenommen hatte und nun dieser letzte närrische

Streich des Schicksals, so kurz vor ihrem Ziel. Konnte das Fahrzeug repariert werden? Und wenn nicht, wo würde ihr Gemahl Ersatz dafür herbeizaubem? Clarisanne hatte ihr Elternhaus noch nie verlassen. Sie wusste nicht, was man tat, wenn man auf einer Landstraße liegenblieb.

Von einer übervorsichtigen, ängstlichen, aber um so strengeren und frommen Mutter erzogen und in der behüteten, wenngleich äußerst bescheidenen Sicherheit eines kleinen Landgutes aufgewachsen, glich sie in der Welt ihres fremden Gemahls einer staunenden Novizin. Einem ahnungslosen Kind, das seine zögernden, ersten Schritte noch zu lernen hatte.

»Kommt, meine Liebe, ihr müßt aussteigen! Madame de Perier wird uns in ihrer Kutsche mitnehmen!«

Clarisanne blinzelte erschrocken. Sie hatte weder die Ankunft des anderen Fahrzeuges noch die Worte gehört, die ihr Gatte mit den Insassen des Gefährts gewechselt hatte. Sie musste endlich aufhören zu träumen, ehe ihr Gatte sie wegen dieser unpassenden Neigung schalt. Für eine verheiratete Frau schickten sich keine Träume mehr.

Schüchtern griff sie nach seiner Hand und ließ sich aus der Kutsche helfen. Am liebsten hätte sie ihre Finger sofort wieder zurückgezogen. Es war immer noch der Griff eines Fremden – eine kalte, leicht feuchte Berührung, die einen unangenehmen Schauer über ihren Rücken jagte. Aber sie erinnerte sich zum unzähligen Mal der Ermahnungen ihrer Mutter, in denen stets die Worte gehorchen, dulden und Demut eine besondere Rolle gespielt hatten.

»Es ist das Los der Ehefrau, sich dem Manne zu unterwerfen«, hatte sie ihr gepredigt. »Er ernährt dich, kleidet dich, gibt dir ein Dach über dem Kopf und schenkt dir Kinder. Du bist ihm dafür zu Dank und Artigkeit verpflichtet, vergiß es nie!«

Durch die dünnen Sohlen ihrer Schuhe spürte sie die steinige Straße, und die Sonne blendete sie zusammen mit der Kutsche, die von vier starken Apfelschimmeln gezogen, angehalten hatte. Eine derartige Masse an goldenen Fransen, Troddeln und goldgeschnitzten Ornamenten schmückte das Gefährt, dass nicht einmal der Staub das Glänzen beeinträchtigen konnte.

Die Pracht verschwamm vor ihren Augen, und sie hörte die scharfe Stimme ihres Gemahls: »Erlaubt, dass ich Euch meine Gattin Clarisanne de la Lengre vorstelle. Wie Ihr seht, steht uns noch eine Menge Arbeit bevor, aber ich denke, es wird sich lohnen.«

Clarisanne versank in eine respektvolle Reverenz und senkte demütig die Lider. Jedoch nicht ohne einen interessierten Blick hinter ihren dichten Wimpern auf die Dame zu werfen, die ihnen einen Platz in ihrer Kutsche anbot und allem Anschein nach eine gute Bekannte des Barons zu sein schien.

Die Ähnlichkeit der Dame mit ihrer Kalesche war so unübersehbar, dass in Clarisannes verborgenem Blick ein heimliches Lachen tanzte. Auch an ihrer schweren Samtrobe baumelten dichte Reihen goldener Troddeln, und glänzende Goldschleifen verbreiterten die viel zu schmalen Schultern. Die Edelsteine in den weiß gepuderten Locken wurden nur noch vom Glitzern der Neugier in den blassen, hellen Augen übertroffen.

»In der Tat, mein Lieber, Ihr seid zu beglückwünschen!« hörte Clarisanne sie lachen, und sie spürte gleichzeitig, dass damit etwas ganz anderes ausgedrückt wurde. So als unterhielten die beiden sich über ein geheimes Vergnügen, dessen Sinn ihr selbst verborgen blieb.

»Kommt herein, mein Kind! Ihr seht erschöpft aus«, wurde sie dann freundlich eingeladen. »Nehmt Platz, meine Zofe wird sich zum Kutscher nach vorne setzen.«

»Ihr seid zu gütig, Madame ..., flüsterte Clarisanne tonlos und folgte der Aufforderung.

Ein paar Atemzüge später ließ sich ihr Gatte schnaufend neben ihr nieder, und die Dame zog an einem bestickten Band, worauf sich die Kalesche wieder in Bewegung setzte. Beide waren im Nu in ein Gespräch vertieft, in dem es vor unbekannten Namen und Ereignissen nur so wimmelte, und Clarisanne überließ sich erneut dem Luxus ihrer eigenen Gedanken. Sie war es gewohnt, zu schweigen und sich in ihren Träumen zu verlieren. Alle guten Vorsätze vermochten nichts gegen diese lebenslange Gepflogenheit.

Die endlosen Stunden der Gebete, der Näharbeiten und der Stickereien, die ihre Mutter für unerläßlich bei ihrer Erziehung gehalten hatte, wären ohne diese Fähigkeit für sie kaum zu ertragen gewesen. Sie konnte sich gegen die Wirklichkeit abschotten und sich ganz in ihre Welt der Illusionen zurückziehen.

Die unerwarteten Ereignisse lieferten ihr zudem reichlich Stoff für ihre romantischen Fantasien. Der Ritter, der durch ihre kindlichen Träume geisterte, seit sie begriffen hatte, dass sie nicht für ein Leben in einem Kloster geschaffen war, hatte endlich ein Antlitz bekommen. Sein Bild hatte sich in ihr Herz gegraben, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Clarisanne ahnte nicht, dass ein versonnenes Lächeln auf ihren Zügen stand, während sie von Madame Perier scharf beobachtet wurde.

»Gut, mein Freund«, sagte die Dame in diesem Moment. »Ich werde mich Eurer kleinen Frau annehmen, Ihr habt mich überzeugt. Sie bedarf der Führung durch eine kluge, weibliche Hand, damit sie sich richtig verhält und passend präsentiert wird. Seit Monsieur wieder geheiratet hat, ist zudem eine gewisse, ländliche Naivität bei Hofe in Mode gekommen ...«

»Ich wusste, dass ich mich auf Euch verlassen kann«, entgegnete der Baron, und sein hinterhältiges Lächeln fand ein maliziöses Echo in den Augen der überaus prächtig gewandeten Edeldame.

»Und Ihr versichert mir, dass Ihr Euch dem Kind nicht genähert habt?«

Der Baron räusperte sich und machte eine unmerkliche Geste zur Seite, aber Clarisanne sah aus, als schliefe sie – erschöpft von der Reise und den neuen Ereignissen mitgenommen.

»Haltet Ihr mich für unbesonnen?« dämpfte er trotzdem argwöhnisch seine Stimme. »Ihr wißt, wie sehr Seine Majestät es schätzt, wenn ihm Einmaliges geopfert wird. Ich beabsichtige, die Unschuld meiner Gemahlin so teuer wie möglich zu verkaufen, meine Beste. Sorgt Ihr mir nur dafür, dass sie dem Leben bei Hofe gewachsen ist und imstande ist, das Interesse unseres anspruchsvollen Seigneurs für längere Zeit an sich zu fesseln...«

»Es könnte möglich sein, durchaus ...« Madame de Perier lächelte nachdenklich. »Die Montespan beginnt ihm langsam auf die Nerven zu gehen. Ihre Szenen, ihre Forderungen, die unmäßige Protektion ihrer Familie und ihrer Schützlinge, sie verliert das Maß. Noch fesselt sie ihn durch ihre unbestreitbaren Fähigkeiten im Alkoven, aber sie hat die erste Frische der Jugend verloren. Immerhin hat sie ihm mehrere Kinder geboren und neigt bereits ein wenig zu sehr zur Fülle, auch wenn sie ihre Mieder gnadenlos schnüren läßt ... Ihr habt recht!«

Die Edeldame musterte erneut das selig schlafende Mädchen. Ihr Blick drang durch das bescheidene Reisekleid hindurch. Als erfahrene Frau erahnte sie die anmutigen Proportionen und die Frische der ländlichen Unschuld.

»Sie ist ein Leckerbissen! Eines Königs würdig. Seine Majestät wird uns dankbar sein!«

»Sehr dankbar, meine Liebe!«

Clarisanne hörte nichts davon. Sie träumte von einem Mann mit silbernen Haaren und saphirblauen Augen. Von einem kriegerischen Engel, der hoch zu Ross in ihr Leben gestürmt war und von dem sie wusste, dass sie alle die Jahre nur auf ihn gewartet hatte.

2. Kapitel

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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