Sprengstoff - Stephen King - E-Book

Sprengstoff E-Book

Stephen King

4,4
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Kampf mit allen Mitteln

Smalltown, USA, 1973: die erste Energiekrise. Aber der neue Highway soll trotzdem gebaut werden. Und die Planierraupe nähert sich unaufhaltsam dem Haus, in dem Barton Dawes seit 20 Jahren lebt. Ist es da ein Wunder, dass Dawes alles tut, um das zu verhindern?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 533

Bewertungen
4,4 (40 Bewertungen)
24
7
9
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Ein merkwürdiger Kunde, der da in Harvey’s Gun Shop schweres Gerät einkauft: eine Weatherby-Büchse für die Großwildjagd und einen Revolver Kaliber .44 Magnum, wie ihn Dirty Harry im Film benutzt. Ein Mann mittleren Alters, der sich mit Waffen nicht gut auszukennen scheint, aber freundlich, kreditwürdig und bescheiden ist. Ein Mann, der hart gearbeitet und es zu etwas gebracht hat. Barton Dawes ist Geschäftsführer einer Wäscherei, und das Haus, in dem er wohnt, gehört ihm. Doch nun bedroht der Ausbau eines Highways alles, was er liebt und wofür er lebt. Daher hat er beschlossen, etwas Außergewöhnliches zu tun, das Aufsehen erregt. Und in die Schlagzeilen kommt man am sichersten mit Tod und Zerstörung ...

Der Autor

Stephen King, geboren 1947, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Er hat weltweit über 400 Millionen Bücher in mehr als 40 Sprachen verkauft und erhielt den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk.

Im Anhang findet sich ein ausführliches Werkverzeichnis des Autors.

SCHREIBT ALS

RICHARD BACHMAN

SPRENGSTOFF

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Nora Jensen und Jochen Stremmel

Wilhelm Heyne Verlag

München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die OriginalausgabeROADWORKerschien bei Signet, New York
Vollständige deutsche Ausgabe 08/2013Copyright © 1984 by Richard BachmanCopyright © 1996 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG., MünchenCopyright © 2013 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München inder Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenCovergestaltung und Motiv: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich unter Verwendung einer Illustration von © Anja FillerSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad AiblingISBN: 978-3-641-10526-6V003
www.heyne.dewww.penguinrandomhouse.de

Zum Gedenken an Charlotte Littlefield

Sprüche 31, 10–28

PROLOG

Ich weiß nicht, warum. Sie wissen nicht, warum.

Höchstwahrscheinlich weiß Gott auch nicht, warum.

Das ist einfach Sache der Regierung, mehr nicht.

Interview mit dem Mann auf der Straße

zum Thema Vietnam, etwa 1967

Aber Vietnam war vorbei, und das Land machte Fortschritte.

An einem heißen Augustnachmittag des Jahres 1972 parkte ein Übertragungswagen des Senders WHLM in Westgate, genau am Anfang des Expressways Route 784. Um ein hastig zusammengeschustertes Podium hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt. Das Podium war mit einer Plane aus Fahnentuch bedeckt, die wie eine dünne Haut das Skelett aus nackten Holzplanken überzog. Dahinter standen oben auf einer begrasten Böschung die Mauthäuschen für den Highway, und dahinter erstreckte sich das offene Marschland bis zum Randbezirk der Vorstädte.

Ein junger Reporter namens Dave Albert machte schnell noch ein paar Interviews mit Passanten, während er und sein Team auf die Ankunft des Bürgermeisters und des Gouverneurs warteten, die feierlich den ersten Spatenstich tun sollten.

Er hielt das Mikrofon einem ältlichen Mann mit getönter Brille unter die Nase.

»Na ja«, sagte der Mann und blickte ängstlich in die Kamera. »Ich glaube, es ist eine großartige Sache für die Stadt. So etwas haben wir schon lange gebraucht. Es ist… eine großartige Sache für die Stadt.« Er schluckte, als er merkte, dass sein Verstand Echos seiner selbst sendete, starrte aber weiterhin wie gebannt in die surrende Kamera, das Zyklopenauge der Nachwelt. »Großartig«, fügte er mit matter Stimme hinzu.

»Vielen Dank, Sir, ich danke Ihnen vielmals.«

»Glauben Sie, dass sie es bringen werden? Heute Abend in den Nachrichten?«

Albert ließ ein professionelles, bedeutungsloses Lächeln aufblitzen. »Schwer zu sagen, Sir. Durchaus möglich.«

Sein Tonmann deutete zu den Mauthäuschen hinüber, wo soeben der Chrysler Imperial des Gouverneurs vorgefahren war, in der Sommersonne blinkend und glänzend wie eine chromverzierte Achterkugel. Albert nickte und streckte seinen Zeigefinger in die Höhe. Dann ging er mit seinem Kameramann auf einen Typ in einem weißen Hemd mit aufgerollten Ärmeln zu, der mit düsterer Miene zu dem Podium hinaufblickte.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns Ihre Meinung zu all dem hier mitzuteilen, Mr.…?«

»Dawes. Nein, durchaus nicht.« Er hatte eine leise, angenehme Stimme.

»Läuft«, murmelte der Kameramann.

Der Mann im weißen Hemd sagte in freundlichem Ton: »Ich halte es für ein Stück Scheiße.«

Der Kameramann verzog das Gesicht. Albert nickte, bedachte den Mann in dem weißen Hemd mit einem vorwurfsvollen Blick und bildete mit dem Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand eine Schere, die etwas zerschneidet.

Der ältere Herr hatte die Szene entsetzt beobachtet. Oben bei den Mauthäuschen machte der Gouverneur Anstalten, aus seinem Imperial zu steigen. Sein hellgrüner Schlips leuchtete in der Sonne.

Der Mann in dem weißen Hemd fragte höflich: »Werden Sie das in den Sechs- oder Elfuhrnachrichten bringen?«

»Ho-ho, Freund, Sie sind ja zum Schießen«, sagte Albert säuerlich und ging weg, um den Gouverneur zu erwischen. Der Kameramann trottete hinter ihm her. Der Mann im weißen Hemd beobachtete den Gouverneur, der jetzt vorsichtig den Grashang herunterkam.

Albert traf den Mann in dem weißen Hemd siebzehn Monate später noch einmal, aber da keiner von beiden sich an diese erste Begegnung erinnerte, hätte es ebenso gut das erste Mal sein können.

Teil eins

November

Late last night the rain was knocking on my window

I moved across the darkened room and in the lampglow

I thought I saw down in the street

The spirit of the century

Telling us that we’re all standing at the border.

Al Stewart

20. November 1973

Er tat immer wieder Dinge, über die nachzudenken er sich nicht gestattete. So war es sicherer. Es war, als hätte er eine Sicherung im Kopf, die immer dann heraussprang, wenn etwas in seinem Gehirn ihn fragen wollte: Aber warum tust du das? Dann wurde es sofort dunkel. He, Georgie, wer hat das Licht ausgeschaltet? Huch, das war ich. Irgendwas faul mit den Leitungen, nehme ich an. Eine Sekunde, ich dreh schnell die Sicherung wieder rein. Die Lichter gehen wieder an. Aber der Gedanke ist verschwunden. Alles in bester Ordnung. Machen wir weiter, Freddy– wo waren wir stehen geblieben?

Er ging gerade zur Bushaltestelle, als ihm das Schild in die Augen sprang:

MUNIHARVEY’SGUNSHOPMUNI

Remington Winchester Colt Smith & Wesson

JÄGERSINDHERZLICHWILLKOMMEN

Es schneite ein wenig, und der Himmel war grau. Es war der erste Schnee in diesem Jahr, und die Flocken fielen wie weißes Backpulver auf den Asphalt, wo sie sofort schmolzen. Ein kleiner Junge mit einer roten Pudelmütze ging mit weit geöffnetem Mund an ihm vorbei und versuchte, mit der Zunge eine Schneeflocke einzufangen. Sie wird sofort schmelzen, Freddy, dachte er, als er das Kind beobachtete, aber der Kleine bog den Kopf noch weiter in den Nacken und ging, mit dem Gesicht zum grauen Himmel, weiter.

Vor Harvey’s Gun Shop blieb er stehen, zögerte aber einzutreten. Neben der Tür stand ein Zeitungsständer, in dem die Spätausgabe der Tageszeitung steckte. Die Schlagzeile lautete:

UNSICHERERWAFFENSTILLSTANDHÄLTAN

Auf dem Kasten mit den Zeitungen klebte ein schmuddeliges weißes Schildchen:

BITTEBEZAHLENSIEIHREZEITUNG!

DERHÄNDLERMUSSFÜRSEINEVERLUSTE

SELBSTAUFKOMMEN

Drinnen war es warm. Der Laden war ein langer, nicht sehr breiter Raum. Es gab nur einen einzigen Gang. Links neben der Tür stand eine Vitrine mit Munitionsschachteln. Die .22er Patronen erkannte er sofort wieder, denn er hatte als Junge in Connecticut ein einschüssiges Kleinkalibergewehr besessen. Drei Jahre hatte er das Gewehr haben wollen, und als er es endlich bekam, hatte er nicht gewusst, was er damit anfangen sollte. Eine Zeit lang hatte er damit auf Konservenbüchsen geschossen, dann hatte er einen Eichelhäher geschossen. Der Eichelhäher war nicht sofort tot gewesen. Er hatte, umgeben von einem rosaroten Blutfleck, im Schnee gesessen und langsam den Schnabel auf- und zugemacht. Danach hatte er das Gewehr an den Nagel gehängt, wo es weitere drei Jahre geblieben war, bis er es für neun Dollar und einen Karton Comichefte an einen Jungen verkauft hatte, der in derselben Straße wohnte.

Die andere Munition war ihm weniger vertraut. Dreißig-dreißiger, dreihundertsechser und einige, die wie maßstabsgetreue Haubitzenpatronen aussahen. Welche Tiere tötet man denn damit?, fragte er sich. Tiger? Dinosaurier? Trotzdem faszinierten sie ihn, wie sie da so in der Vitrine lagen, wie Bonbons in den großen Glasbehältern eines Gemischtwarenladens.

Der Verkäufer oder Geschäftsinhaber unterhielt sich gerade mit einem dicken Mann in einer grünen Hose und einem grünen Flanellhemd. Das Hemd hatte zwei Brusttaschen mit dreieckigen Klappen. Sie verhandelten über eine Pistole, die in ihre Einzelteile zerlegt auf der Glasplatte einer weiteren Vitrine lag. Der Dicke schob das Verschlussstück mit dem Daumen zurück, und sie guckten beide in das geölte Patronenlager. Der Dicke sagte irgendetwas, und der Verkäufer oder Geschäftsinhaber lachte.

»Was, Selbstladepistolen blockieren immer? Das hast du von deinem Vater, Mac, gib’s zu.«

»Harry, du steckst bis zu den Augenbrauen voller Bockmist.«

Du steckst voller Bockmist, Fred. Bis zu den Augenbrauen. Ist dir das klar, Fred?

Fred antwortete, dass ihm das klar sei.

An der rechten Wand stand ein Glasschrank, der die gesamte Länge des Ladens einnahm. Er war voller Gewehre an Haken. Er kannte die doppelläufigen Flinten, aber alle anderen waren für ihn ein großes Geheimnis. Und doch gab es Menschen– zum Beispiel die beiden da hinten am Ladentisch–, die über diese geheimnisvollen Dinge mit der gleichen Selbstverständlichkeit sprachen, mit der er seine Buchführungskurse am College absolviert hatte.

Er ging weiter in den Raum hinein und betrachtete die Pistolen in der Vitrine. Er entdeckte ein paar Luftpistolen, einige .22er, eine .38er mit einem Griffstück aus Holz. Einige .45er und eine Waffe, in der er einen .44er Magnum erkannte, das Ding, mit dem Dirty Harry in dem gleichnamigen Film herumgelaufen war. Er hatte zugehört, wie Ron Stone und Vinnie Mason sich in der Wäscherei einmal über den Film unterhalten hatten. »Die würden einen Cop doch nie mit so einer Waffe in der Stadt rumlaufen lassen«, hatte Vinnie gesagt. »Mit so einem Ding kannst du einem Mann über eine Meile Entfernung ein Loch in den Bauch pusten.«

Der Dicke, Mac, und der Verkäufer oder Inhaber, Harry (wie in Dirty Harry), hatten die Pistole wieder zusammengesetzt.

»Ruf mich an, wenn die Menschler da ist«, sagte Mac.

»Mach ich… aber dein Vorurteil gegenüber Selbstladepistolen ist irrational«, antwortete Harry. (Harry musste doch der Inhaber sein. Ein Verkäufer hätte einen Kunden niemals irrational genannt.) »Musst du die Cobra unbedingt schon nächste Woche haben?«

»Das wär mir sehr recht«, sagte Mac.

»Ich kann nichts versprechen.«

»Das kannst du nie… aber du bist eben der gottverdammt beste Büchsenmacher in der Stadt, und das weißt du auch.«

»Klar weiß ich das.«

Mac streichelte noch einmal die Pistole auf dem Ladentisch und wandte sich ab, um zu gehen. Dabei rempelte er ihn an– Pass auf, Mac; wenn du das tust, lächle!– und verschwand durch die Ladentür. Unter seinem Arm klemmte eine Zeitung, und er konnte lesen:

UNSICHERERWAF

Harry wandte sich nun lächelnd und gleichzeitig kopfschüttelnd an ihn: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ich hoffe es. Aber ich muss Sie im Voraus warnen, ich habe von Schusswaffen keine Ahnung.«

Harry zuckte die Achseln. »Gibt es ein Gesetz, dass man die haben müsste? Soll es ein Geschenk für jemand sein? Zu Weihnachten vielleicht?«

»Ja, genau das«, sagte er, den Gedanken sofort aufgreifend. »Ich habe nämlich einen Cousin– er heißt Nick. Nick Adams. Er wohnt in Michigan, und er hat einen richtigen Gewehrfimmel. Sie kennen das sicher. Er ist ganz verrückt auf die Jagd, aber irgendwie steckt noch mehr dahinter. Es ist so etwas wie ein…«

»Ein Hobby?«, fragte Harry und lächelte.

»Ja, genau.« Er hatte Fetisch sagen wollen. Er senkte den Blick, und seine Augen fielen auf einen Aufkleber, der an der Registrierkasse befestigt war:

WENNSCHUSSWAFFEN

FÜRUNGESETZLICHERKLÄRTWERDEN

WERDENNURUNGESETZLICHE

SCHUSSWAFFENTRAGEN

Er lächelte und sagte zu Harry: »Wissen Sie, das ist wirklich wahr.«

»Ja, sicher«, sagte Harry. »Und Ihr Cousin…«

»Nun ja, das ist so eine Sache. Ich möchte ihn gern übertrumpfen. Er weiß, wie gern ich Boot fahre, und da hat er mir doch tatsächlich letztes Jahr zu Weihnachten einen Evinrude-Motor geschenkt. Sechzig PS. Er hat ihn mir per Express geschickt. Und was habe ich ihm geschenkt? Eine Jägerjacke. Ich bin mir vorgekommen wie ein totaler Armleuchter.«

Harry nickte mitfühlend.

»Vor ungefähr sechs Wochen habe ich dann einen Brief von ihm gekriegt. Er klingt so aufgeregt wie ein kleiner Junge, der eine Freikarte für den Zirkus bekommen hat. Sieht so aus, als hätte er sich mit ein paar Kumpels zusammengetan und eine Reise zu diesem Ort in Mexiko gebucht. Muss so eine Art freies Jagdgebiet sein…«

»Sie meinen, ein Reservat mit uneingeschränkter Jagderlaubnis?«

»Yeah, so was.« Er schmunzelte. »Man kann dort so viel Wild erlegen, wie man will. Es wird dort gezüchtet, wissen Sie. Rehe, Antilopen, Bisons, Bären, einfach alles.«

»Boca Rio vielleicht?«

»Ich kann mich einfach nicht richtig erinnern. Aber ich glaube, der Name war etwas länger.«

Harrys Augen hatten einen verträumten Glanz angenommen. »Der Mann, der gerade hier war, und noch zwei andere und ich, wir sind 1965 in Boca Rio gewesen. Ich habe ein Zebra geschossen. Verdammt noch mal, ein Zebra! Ich hab es ausstopfen lassen und zu Hause in meinem Hobbyraum aufgestellt. Das war die schönste Zeit, die ich je erlebt habe. Ich beneide Ihren Cousin.«

»Also, ich hab’s mit meiner Frau besprochen«, sagte er. »Sie meint, wir sollten es so machen. Wir hatten ein sehr gutes Jahr in der Wäscherei. Ich arbeite in der Blue-Ribbon-Wäscherei drüben in Western.«

»Ja, die kenne ich.«

Er hatte das Gefühl, als könnte er den ganzen Tag lang so mit Harry plaudern. Bis zum Jahresende könnte er so weitermachen und Wahrheit und Lügen zu einem wunderschönen, glänzenden Gobelin verweben. Sollte die Welt sich weiterdrehen. Scheiß auf die Ölkrise und die hohen Fleischpreise und den unsicheren Waffenstillstand. Wir wollen weiter über Cousins reden, die nie existiert haben, nicht wahr, Fred? Nur weiter so, Georgie.

»Wir haben dieses Jahr das Central Hospital dazubekommen und die Nervenheilanstalt und zudem drei weitere Motels.«

»Gehört das Quality Motor Court an der Franklin Avenue zu Ihren Kunden?«

»Ja.«

»Da hab ich ein paar Mal übernachtet«, sagte Harry. »Die Bettlaken waren immer sehr sauber. Komisch, man macht sich nie Gedanken darüber, wer eigentlich die Wäsche wäscht, wenn man in einem Motel übernachtet.«

»Wir hatten also ein recht gutes Jahr, und da habe ich mir gedacht, dass ich Nick ein Gewehr und einen Revolver schenken könnte. Ich weiß, dass er sich schon immer einen .44er Magnum gewünscht hat, darüber habe ich ihn oft reden hören.«

Harry holte die Waffe heraus und legte sie behutsam auf die Vitrine. Er hob sie auf. Sie lag gut in seiner Hand. Sie fühlte sich an, als wäre mit ihr nicht zu spaßen.

Er legte sie auf die Glasplatte zurück.

»Also, die Trommel in diesem Revolver…«, fing Harry an.

Er lachte und hob abwehrend die Hand. »Sie brauchen sie nicht anzupreisen, ich bin schon überredet. Ein Ignorant lässt sich leicht überzeugen. Wie viel Munition sollte ich dafür kaufen?«

Harry zuckte die Achseln. »Zehn Schachteln vielleicht? Er kann sich ja dann selbst mehr besorgen. Der Preis beträgt zweihundertneunundachtzig plus Steuer, aber ich würde sie Ihnen für zweihundertachtzig lassen, und die Muni gibt’s umsonst dazu. Wie hört sich das an?«

»Super«, sagte er und meinte es ernst. Und, weil noch etwas mehr angebracht schien, fügte er hinzu: »Es ist ein sehr schönes Stück.«

»Wenn er wirklich nach Boca Rio fährt, wird er es gut gebrauchen können.«

»Und nun das Gewehr…«

»Was hat er denn schon?«

Er zuckte die Achseln und breitete ratlos die Hände aus: »Tut mir leid, das weiß ich wirklich nicht. Zwei oder drei Flinten und etwas, das er einen Selbstlader nennt…«

»Remington?«, fragte Harry so eilig, dass er einen Schreck bekam. Es war, als wäre er durch hüfttiefes Wasser gewatet und hätte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen.

»Ich glaube, das war’s, allerdings könnte ich mich da auch täuschen.«

»Remington macht die besten«, sagte Harry und nickte, was ihn wieder etwas beruhigte. »Wie viel wollen Sie denn ausgeben?«

»Nun, ich will nicht lange drum herumreden. Der Motor hat ihn wahrscheinlich an die vierhundert gekostet. Ich möchte mindestens fünfhundert Dollar ausgeben. Nicht mehr als sechshundert.«

»Sie verstehen sich wirklich gut mit Ihrem Cousin, nicht wahr?«

»Wir sind zusammen aufgewachsen«, sagte er mit aufrichtiger Miene. »Ich glaube, ich würde für Nick meinen rechten Arm hergeben, wenn er ihn haben wollte.«

»Nun ja, ich werde Ihnen etwas zeigen«, sagte Harry und suchte einen Schlüssel aus seinem schweren Schlüsselbund, während er auf einen der Glasschränke zuging. Er öffnete die Tür, kletterte auf einen Hocker und nahm ein langes, schweres Gewehr mit verziertem Schaft herunter. »Die kommt zwar etwas teurer, als Sie sich vorgenommen haben, aber es ist ein wunderschönes Gewehr.« Harry reichte es zu ihm hinunter.

»Was ist das?«

»Das ist eine vierhundertsechziger Weatherby. Sie verschießt stärkere Munition, als ich sie im Augenblick vorrätig habe, aber ich kann Ihnen ohne Weiteres welche in Chicago bestellen. So viel Sie wollen. Es wird etwa eine Woche dauern. Ein fantastisch austariertes Gewehr. Die Mündungsenergie von diesem Baby beträgt über elftausend Joule… als wenn Sie mit einer Flughafenlimousine irgendwo dagegenfahren. Wenn Sie einen Bock damit am Kopf treffen, müssten Sie mit dem Schwanz als Trophäe vorliebnehmen.«

»Ich weiß nicht so recht«, sagte er in zweifelndem Ton, obwohl er schon beschlossen hatte, dass er dieses Gewehr wollte. »Ich weiß, dass Nick sehr viel an Trophäen liegt. Das gehört sozusagen…«

»Natürlich«, sagte Harry und nahm ihm die Weatherby aus der Hand, um den Verschluss zu öffnen. Das Loch wirkte groß genug, um darin eine Brieftaube zu verstauen. »Niemand fährt nach Boca Rio, um Fleisch mit nach Hause zu nehmen. Ihr Cousin schießt also in die Eingeweide. Mit diesem Teil brauchen Sie sich keine Sorgen mehr zu machen, dass Sie dem gottverdammten Tier zwölf Meilen weit durchs Hochland nachspüren müssen, während es sich die ganze Zeit quält, ganz davon zu schweigen, dass Sie Ihr Abendessen verpassen. Dieses Baby wird seine Eingeweide in einem Umkreis von sechs Metern verspritzen.«

»Wie viel?«

»Ich sag’s Ihnen, wie’s ist. Ich kann das Ding hier in der Stadt nicht verkaufen. Wer braucht schon so eine Panzerabwehrkanone, wenn es weit und breit nichts anderes zu schießen gibt als Fasanen? Und wenn man die auf den Tisch bringt, schmecken sie nur noch nach Abgasen. Im Einzelhandel kostet es neunhundertfünfzig, im Großhandel sechshundertdreißig Dollar. Ich könnte es Ihnen für siebenhundert geben.«

»Das macht dann… beinahe tausend Dollar.«

»Bei Einkäufen über dreihundert geben wir zehn Prozent Rabatt. Dann wären es nur noch neunhundert.« Er zuckte die Achseln. »Wenn Sie Ihrem Cousin dieses Gewehr schenken, gehen Sie sicher, dass er noch keins von dieser Sorte besitzt. Das garantiere ich Ihnen. Und wenn er es doch schon haben sollte, kaufe ich es Ihnen für siebenhundertfünfzig wieder ab. Das gebe ich Ihnen schriftlich, so sicher bin ich mir da.«

»Kein Witz?«

»Absolut. Absolut. Natürlich, wenn es zu teuer ist, ist es zu teuer. Wir können uns noch ein paar andere Gewehre ansehen. Aber das hier ist einfach spitze. Ich hab sonst nichts da, was er nicht schon besitzen könnte.«

»Ich verstehe.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Haben Sie ein Telefon?«

»Klar, im Hinterzimmer. Wollen Sie noch einmal mit Ihrer Frau darüber reden?«

»Ich halte es für besser.«

»Natürlich, kommen Sie.«

Harry führte ihn in ein vollgestopftes Hinterzimmer. Er sah eine Bank und einen vernarbten Holztisch, auf dem Waffenteile, Federn, Reinigungsflüssigkeit, Prospekte und etikettierte Fläschchen mit Bleikügelchen verteilt waren.

»Da ist das Telefon«, sagte Harry.

Er setzte sich, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer, während Harry in den Laden zurückging, um den Revolver einzupacken.

»Wir danken Ihnen für Ihren Anruf beim WDST-Wetterauskunftsdienst«, ertönte eine helle Tonbandstimme. »Leichte Schneefälle am heutigen Nachmittag, die am späten Abend in Schneeschauer übergehen…«

»Hallo, Mary?«, sagte er. »Ich bin gerade in einem Laden, der sich Harvey’s Gun Shop nennt. Ja, genau, wegen Nicky. Den Revolver, über den wir gesprochen haben, hab ich gekriegt, das war kein Problem. Er lag gleich im Schaukasten. Aber dann hat der Typ mir ein Gewehr gezeigt…«

»… Aufklarung bis morgen Nachmittag. Tiefsttemperaturen heute Nacht um null, Tageshöchsttemperaturen um sieben Grad. Mit Niederschlägen heute Nacht ist…«

»… also, was soll ich machen?« Harry stand hinter ihm in der Tür; er konnte seinen Schatten am Boden sehen.

»Yeah«, sagte er. »Das ist mir klar.«

»Wir danken Ihnen für Ihren Anruf beim WDST-Wetterauskunftsdienst. Beachten Sie bitte auch Bob Reynolds Nachrichtendienst an jedem Wochentag um sechs Uhr, um die aktuellen Meldungen zu hören. Auf Wiederhören.«

»Meinst du wirklich? Ich weiß, dass es eine Menge Geld ist.«

»Wir danken Ihnen für Ihren Anruf beim WDST-Wetterauskunftsdienst. Leichte Schneefälle am heutigen Nachmittag, die am späten…«

»Bist du dir sicher, Liebling?«

»…in Schneeschauer übergehen…«

»Na gut.« Er drehte sich auf der Bank und grinste Harry an, wobei er mit Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand einen Kreis bildete. »Doch, das ist ein netter Kerl. Er sagt, er würde mir garantieren, dass Nick noch kein solches Gewehr hat.«

»…bis morgen Nachmittag. Tiefsttemperaturen heute Nacht…«

»Ich liebe dich auch, Mary. Tschüs.« Er legte auf. Herrgott, Freddy, das war sauber. Das war es, Georgie, das war’s wirklich.

Er stand auf. »Sie sagt, ich soll’s tun, wenn mir das Gewehr gefällt. Und es gefällt mir.«

Harry lächelte. »Was werden Sie tun, wenn er Ihnen einen Thunderbird schenkt?«

Er lachte. »Ich werde ihn ungeöffnet zurückschicken.«

Als sie in den Laden zurückgingen, fragte Harry: »Scheck oder Karte?«

»American Express, wenn es Ihnen recht ist.«

»So gut wie Gold.«

Er holte seine Scheckkarte heraus. Auf dem Spezialstreifen auf der Rückseite stand:

BARTONGEORGEDAWES

»Sind Sie sich sicher, dass die Patronen rechtzeitig hier eintreffen, sodass ich Fred alles zusammen schicken kann?«

Harry blickte von dem Kreditkartenformular auf. »Fred?«

Er lächelte breit. »Nick ist Fred und Fred ist Nick«, sagte er. »Nicholas Frederic Adams. Ein alter Scherz aus unserer Kinderzeit.«

»Oh.« Harry lächelte höflich, wie Leute es tun, wenn sie einen Witz nicht verstehen können. »Würden Sie bitte hier unterschreiben?«

Er unterschrieb.

Harry holte ein dickes Buch unter dem Ladentisch hervor. Es war mit einer Stahlkette am Tisch befestigt, die durch ein Loch in der linken oberen Ecke neben dem Einband gezogen war. »Und hier bitte Ihren Namen und Ihre Adresse, für die Behörden.«

Seine Finger krampften sich um den Kugelschreiber. »Natürlich«, sagte er. »Nun sehen Sie sich das an. Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich eine Waffe, und gleich drehe ich durch.« Er schrieb seinen Namen und seine Adresse ins Buch:

Barton George Dawes, 1241 Crestallen Street West

»Die stecken ihre Nase aber auch in alles rein«, sagte er.

»Das ist nichts im Vergleich dazu, was sie gern tun würden«, sagte Harry.

»Ich weiß. Wissen Sie, was ich neulich in den Nachrichten gehört habe? Sie wollen jetzt ein Gesetz, dass Motorradfahrer einen Mundschutz tragen sollen. Einen Mundschutz, ich bitte Sie! Geht das die Regierung etwas an, wenn ein Kerl sich seine teuren Zahnbrücken ruinieren will?«

»Nicht wenn Sie mich fragen«, sagte Harry und legte sein Buch unter den Ladentisch.

»Oder denken Sie nur an die neue Highwayverlängerung, die sie drüben in Western bauen. Irgendein rotznäsiger Landvermesser sagt: ›Die geht hier durch‹, und der Staat verschickt einen Haufen Briefe, in denen steht: ›Tut uns leid, wir werden die 784-Verlängerung genau hier durch legen. Sie müssen sich ein neues Haus suchen.‹«

»Es ist eine gottverdammte Schande.«

»Genau das ist es. Was hat das Wort Enteignungsrecht schon für eine Bedeutung für jemand, der über zwanzig Jahre in dem Scheißhaus gelebt hat? Der dort seine Frau geliebt, seine Kinder großgezogen hat und von jeder Reise dorthin zurückgekehrt ist? Das ist doch bloß ein Begriff aus einem Gesetzbuch, den sie erfunden haben, um einen besser reinlegen zu können.«

Passauf, pass auf! Aber die Sicherung war ein bisschen langsam eingestellt, und manchmal kam ein bisschen durch.

»Alles in Ordnung?«, fragte Harry besorgt.

»Yeah. Ich habe ein paar von diesen Riesensandwiches zum Lunch gegessen, dabei sollte ich es besser wissen. Davon bekomme ich immer schreckliche Blähungen.«

»Versuchen Sie mal eine von diesen«, sagte Harry und zog ein Tablettenröhrchen aus seiner Brusttasche. Auf dem Aufkleber stand:

ROLAIDS

»Danke.« Er nahm sich eine von oben und warf sie ein, ohne sich um den kleinen Fussel daran zu scheren. Seht her, ich bin in einem Werbespot. Neutralisiert das Siebenundvierzigfache ihres Gewichts an überschüssiger Magensäure.

»Bei mir wirken sie immer«, sagte Harry.

»Was die Patronen angeht…«

»Ja, klar. Eine Woche. Höchstens zwei. Ich bestelle Ihnen siebzig Stück.«

»Sagen Sie, könnten Sie die Waffen hier für mich aufbewahren? Kleben Sie ein Schild mit meinem Namen drauf oder so. Ich bin wohl etwas überängstlich, aber ich hätte sie nicht gern bei mir zu Hause. Das ist albern, nicht wahr?«

»Jeder nach seinem Geschmack«, sagte Harry gleichmütig.

»Gut. Ich schreibe Ihnen meine Büronummer auf. Wenn die Kugeln da sind…«

»Patronen«, unterbrach Harry. »Patronen, nicht Kugeln.«

»Patronen«, sagte er lächelnd. »Rufen Sie mich an, wenn sie da sind. Dann hole ich die Sachen ab und bereite alles vor, um sie zu verschicken. Mit der Post– das wird doch gehen, oder?«

»Na klar. Ihr Cousin wird nur den Empfang bestätigen müssen. Das ist alles.«

Er schrieb seinen Namen auf eine von Harrys Visitenkarten, die folgendermaßen bedruckt war:

Harold Swinnerton 849-6330

HARVEY’SGUNSHOP

Munition Antike Waffen

»Sagen Sie mal, wenn Sie Harold sind, wer ist dann Harvey?«, fragte er.

»Harvey war mein Bruder. Er ist bereits vor acht Jahren gestorben.«

»Oh, das tut mir leid.«

»Es hat uns allen sehr leidgetan. Er kam eines Tages hierher, öffnete den Laden, schloss die Kasse auf und fiel tot um. Herzschlag. Er war der netteste Kerl, den man sich denken kann. Er konnte einen Rehbock aus zweihundert Meter Entfernung zur Strecke bringen.«

Er gab Harry zum Abschied die Hand.

»Ich werde anrufen«, versprach Harry.

»Passen Sie gut auf sich auf.«

Er ging wieder in den Schnee hinaus, vorbei an UNSICHERERWAFFENSTILLSTANDHÄLTAN. Es schneite jetzt ein bisschen stärker, und er hatte seine Handschuhe zu Hause gelassen.

Was hast du eigentlich da drinnen gemacht, George?

Plop, die Sicherung sprang raus.

Als er die Bushaltestelle erreicht hatte, war der Vorfall nur noch eine Erinnerung an etwas, das er irgendwo irgendwann einmal gelesen hatte. Weiter nichts.

Die Crestallen Street West war eine lange, kurvige Straße, die einen Hügel hinabführte. Früher hatte man von dort eine schöne Aussicht auf den Park und einen herrlichen Blick auf den Fluss gehabt, bis der Fortschritt in Form eines Hochhauses interveniert hatte. Vor zwei Jahren war es an der Westfield Avenue hochgezogen worden und blockierte seitdem den größten Teil des Panoramas.

Nummer 1241 war ein Bungalow mit versetzten Geschossen und einer Garage für einen Wagen. Der große Vorgarten war jetzt kahl und wartete auf den Schnee– richtigen Schnee–, der ihn bald bedecken sollte. Die Auffahrt war im letzten Frühjahr frisch asphaltiert worden.

Er ging hinein und hörte schon an der Tür den Fernseher, ein neues Modell, das sie sich im letzten Sommer angeschafft hatten. Auf dem Dach befand sich eine automatische Antenne, die er selbst dort oben installiert hatte. Sie war aufgrund dessen, was nun bald passieren würde, dagegen gewesen, aber er hatte darauf bestanden. Wenn sie dort oben angebracht werden konnte, so hatte er argumentiert, konnte man sie ebenso gut wieder abbauen, wenn sie dann umzögen. Bart, sei nicht albern. Das sind doch bloß Sonderausgaben… und für dich ist es eine überflüssige Arbeit. Aber er hatte den längeren Atem gehabt, und schließlich hatte sie nachgegeben. Um ihm seinen Willen zu lassen. Das sagte sie bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen ihm eine Sache wichtig genug war, um seine Meinung gegen die klebrige Melasse ihrer Argumente durchzusetzen. In Ordnung, Bart. Diesmal »lasse ich dir deinen Willen«.

Im Augenblick lauschte sie Merv Griffin, der sich mit einem Prominenten unterhielt. Der Prominente war Lorne Greene, der sich über seine neue Polizeiserie Griff ausließ. Lorne versicherte Merv, wie viel Spaß ihm diese neue Arbeit machte. Bald würde eine schwarze Sängerin, von der noch nie jemand gehört hatte, auftreten und ein Lied singen. »Ileft my Heart in San Francisco« vielleicht.

»Hallo, Mary«, rief er.

»Hallo, Bart.«

Auf dem Tisch lag Post. Er blätterte sie durch. Ein Brief an Mary von ihrer leicht verrückten Schwester in Baltimore. Eine Kreditkartenabrechnung– achtunddreißig Dollar. Ein Kontoauszug: 49 Abbuchungen, 9 Eingänge, Kontostand $ 954,47. Wie gut, dass er in dem Waffengeschäft mit seiner American-Express-Karte bezahlt hatte.

»Der Kaffee ist noch heiß«, rief Mary. »Oder möchtest du lieber einen Drink?«

»Einen Drink«, sagte er. »Ich mach ihn mir selber.«

Drei weitere Postsachen: eine Mahnung von der Stadtbibliothek, Facing the Lions von Tom Wicker. Wicker hatte vor einem Monat bei einem Mittagessen im Rotary Club einen Vortrag gehalten. Es war die beste Rede gewesen, die sie seit Jahren gehört hatten.

Eine persönliche Notiz von Stephan Ordner. Ordner war eines der hohen Tiere im Management von Amroco, der Gesellschaft, der das Blue Ribbon jetzt so gut wie ganz gehörte. Er lud ihn für Freitagabend ein, um das Waterford-Geschäft mit ihm zu besprechen– falls er nicht vorhabe, über Thanksgiving zu verreisen. Falls ja, bitte anrufen. Falls nein, sollte er Mary mitbringen. Carla freue sich immer, Mary zu sehen und bla, bla, bla und Blödsinn, Blödsinn, et cetera pp.

Und wieder ein Brief von der Straßenbaubehörde.

Er stand lange da und betrachtete ihn im fahlen Abendlicht, das durch die Fenster fiel. Dann legte er die gesamte Post auf die Kommode. Er machte sich einen Scotch on the rocks und ging damit ins Wohnzimmer.

Merv plauderte immer noch mit Lorne. Die Farben auf ihrem neuen Zenith-Fernseher waren besser als gut– sie waren magisch. Wenn unsere Interkontinentalraketen so gut sind wie die Farben auf unserem Fernseher, wird es eines Tages einen teuflisch großen Knall geben, dachte er. Lornes Haar schimmerte silbern, der unwahrscheinlichste Silberton, den man sich vorstellen konnte. Junge, eines Tages schnapp ich mir dein Haarteil, dachte er und kicherte. Das war ein Lieblingsspruch seiner Mutter gewesen. Er konnte selbst nicht sagen, warum ihm die Vorstellung eines glatzköpfigen Lorne Greene so komisch vorkam. Vielleicht eine verspätete hysterische Reaktion auf die Episode im Waffengeschäft.

Mary blickte lächelnd zu ihm auf. »Ein Witz?«, fragte sie.

»Nein, nichts«, sagte er. »Bloß meine Denke.«

Er setzte sich neben sie und gab ihr ein Küsschen auf die Wange. Sie war eine hochgewachsene, mittlerweile achtunddreißigjährige Frau, bei der man noch nicht wusste, in welche Richtung sich die Schönheit ihrer Jugendjahre im mittleren Alter entwickeln würde. Ihre Haut war makellos und ihre Brüste klein und fest. Sie aß ziemlich viel, aber ihr rascher Stoffwechsel hielt sie schlank. Sie würde noch lange nicht bei dem Gedanken zittern, sich im Badeanzug am öffentlichen Strand sehen zu lassen, egal, was die Götter sonst mit ihrer äußerlichen Erscheinung vorhatten. Er wurde sich plötzlich seines eigenen leichten Rettungsrings bewusst. Zum Teufel, Freddy, jeder leitende Angestellte hat einen Rettungsring. Das ist ein Erfolgssymbol, genau wie ein Oldsmobile Delta 88. Du hast recht, George. Gib nur auf die alte Pumpe und auf die Sargnägel acht, dann wirst du achtzig Jahre alt.

»Wie war’s heute?«, erkundigte sie sich.

»Ganz gut.«

»Hast du dir denn den neuen Standort in Waterford angesehen?«

»Heute nicht.«

Er war seit Ende Oktober nicht mehr draußen in Waterford gewesen. Ordner wusste das– ein kleiner Vogel musste es ihm gezwitschert haben–, daher die persönliche Notiz.

Das neue Gelände für ihre Wäscherei war eine verlassene Textilfabrik, und der schlaue irische Immobilienmakler, der den Verkauf abwickelte, rief ihn immer wieder an. Wir müssen das Ding unter Dach und Fach bringen, sagte der schlaue irische Immobilienmakler ihm immer wieder. Schließlich seid ihr nicht die Einzigen in Westside, die den Fuß in der Tür haben. Ich tue, was ich kann, sagte er zu dem schlauen irischen Immobilienmakler. Sie müssen sich nur ein wenig gedulden.

»Was ist mit dem Haus in Crescent?«, fragte sie. »Das mit den roten Ziegeln?«

»Kommt für uns finanziell nicht infrage«, sagte er. »Die wollen dafür achtundvierzigtausend.«

»Für den Schuppen?«, fragte sie entrüstet. »Das ist ja der reinste Diebstahl.«

»Ja, das ist es.« Er nahm einen großen Schluck Scotch. »Was schreibt die gute alte Bea aus Baltimore?«

»Das Übliche. Sie ist jetzt in einer bewusstseinserweiternden Hydrotherapiegruppe. Ist das nicht der Knaller? Bart…«

»Ja, das ist es sicher«, sagte er schnell.

»Bart, wir müssen in dieser Sache endlich was unternehmen. Der zwanzigste Januar rückt immer näher, und eines Tages stehen wir auf der Straße.«

»Ich tue, was ich kann«, sagte er. »Wir müssen uns nur ein wenig gedulden.«

»Das kleine Haus im Kolonialstil an der Union Street…«

»…ist schon verkauft«, fiel er ihr ins Wort und trank sein Glas leer.

»Das ist es ja, was ich meine«, sagte sie erzürnt. »Es wäre für uns beide gerade richtig gewesen. Mit dem Geld, das die Stadt uns für unser Haus und das Grundstück gibt, hätten wir es leicht bezahlen können.«

»Es hat mir nicht gefallen.«

»In letzter Zeit scheint dir überhaupt nicht mehr sehr viel zu gefallen«, sagte sie mit einem überraschend bitteren Unterton. »Es hat ihm nicht gefallen«, sagte sie zu dem Fernseher. Die schwarze Sängerin hatte angefangen. Sie sang »Alfie«.

»Mary, ich tue wirklich, was ich kann.«

Sie wandte sich um und sah ihm ernst in die Augen. »Bart, ich weiß, was dieses Haus dir bedeutet…«

»Nein, das weißt du nicht«, sagte er. »Du hast überhaupt keine Ahnung!«

21. November 1973

Über Nacht war eine dünne Schneeschicht über die Welt gefallen, und als die Bustüren sich öffneten und er auf den Bürgersteig trat, konnte er die Spuren der Menschen verfolgen, die vor ihm dort gewesen waren. Er bog um eine Ecke und ging die Fir Street hinunter, während er den Bus mit seinem leichten Tigerschnurren weiterfahren hörte. Johnny Walker fuhr an ihm vorbei. Er war auf dem Weg, seine zweite Wäscheladung an diesem Morgen abzuholen. Johnny winkte ihm aus der Kabine seines blau-weißen Lieferwagens zu, und er grüßte zurück. Es war kurz nach acht.

Der Arbeitstag in der Wäscherei begann um sieben Uhr in der Frühe, wenn Ron Stone, der Vorarbeiter, und Dave Radner, der die Aufsicht im Waschraum hatte, eintrafen und die Boiler einschalteten. Die Mädchen, die für die Hemden zuständig waren, stempelten ihre Karte um halb acht, und die Mädchen, die die Schnellbügler bedienten, kamen um acht. Er hasste das Untergeschoss mit der Wäscherei, in dem die stumpfsinnige Arbeit gemacht wurde, in dem die Ausbeutung stattfand, aber aus irgendeinem unverständlichen Grund mochten die Männer und Frauen, die hier arbeiteten, ihn gern. Sie sprachen ihn mit seinem Vornamen an. Und bis auf ein paar Ausnahmen konnte auch er sie gut leiden.

Er betrat das Gebäude durch den Lieferanteneingang und bahnte sich seinen Weg durch etliche Wäschekörbe, die noch vom letzten Abend rumstanden, weil die Wäsche noch nicht gebügelt war. Über alle Körbe war eine Plastikplane festgezurrt, um den Staub fernzuhalten. Weiter vorn befestigte Ron Stone gerade den Treibriemen einer altmodischen Waschmaschine, während Dave und sein neuer Gehilfe, ein gewisser Steve Pollack, der sein Studium abgebrochen hatte, die riesigen neuen Maschinen mit Hotelwäsche füllten.

»Hallo, Bart!«, begrüßte Ron Stone ihn. Er brüllte immer, anstatt zu sprechen. Während der dreißig Jahre Unterhaltung über das Getöse von Trocknern, Büglern, Hemdenpressen und Waschmaschinen hinweg war ihm das Brüllen in Fleisch und Blut übergegangen. »Diese beschissene Milnor gibt bald ihren Geist auf. Das Programm ist jetzt so durcheinander, dass Dave sie mit der Hand bedienen musste. Und die Schleuder fällt ständig aus.«

»Wir haben schon eine neue Kilgallon bestellt«, beschwichtigte er ihn. »Noch zwei Monate…«

»In Waterford?«

»Na klar«, sagte er ein wenig beschwingt.

»Noch zwei solche Monate, und ich bin reif fürs Irrenhaus«, sagte Stone düster. »Und dieser Umzug… das wird schlimmer als eine polnische Armeeparade.«

»Ich nehme an, die Aufträge werden sich stauen.«

»Stauen? In den ersten drei Monaten werden wir unter Aufträgen begraben sein. Und dann ist schon Sommer.«

Er nickte, weil er nicht weiter über das Thema reden wollte. »Was kommt heute als Erstes dran?«

»Holiday Inn.«

»Packt jeweils hundert Pfund Handtücher in jede Ladung. Du weißt ja, wie die immer nach Handtüchern schreien.«

»Ja, sie schreien nach allem.«

»Wie viel ist es denn?«

»Sie haben sechshundert Pfund eingetragen. Hauptsächlich von den Shriners. Die meisten sind noch bis Montag geblieben. Die schmuddeligste Wäsche, die ich je gesehen habe. Einige Laken starren vor Dreck.«

Er nickte zu dem neuen Jungen hinüber, Pollack hieß er. »Wie macht er sich?« Die Blue Ribbon hatte einen großen Verschleiß an Aushilfen im Waschraum. Dave nahm sie hart an die Kandare, und Rons Brüllerei machte sie zuerst nervös, dann wütend.

»Bis jetzt ganz gut«, sagte Stone. »Kannst du dich noch an den Letzten erinnern?«

Und ob er das konnte. Der Junge hatte es gerade drei Stunden ausgehalten.

»Yeah, ich erinnere mich. Wie hieß er doch gleich?« Ron Stone zog die Augenbrauen zusammen. »Ich weiß es nicht mehr. Baker? Barker? So ähnlich. Ich habe ihn letzten Freitag vor dem Supermarkt gesehen. Hat dort Flugblätter über einen Salatboykott oder so was verteilt. Das ist ein Ding, was? Wenn so ein Kerl es nicht an einer Stelle aushalten kann, zieht er gleich los und erzählt jedem, wie schlimm es ist, dass es in Amerika nicht so wie in Russland sein kann. Es bricht mir das Herz.«

»Kommt als Nächstes Howard Johnson dran?« Stone warf ihm einen beleidigten Blick zu. »Den nehmen wir doch immer zuerst.«

»Um neun?«

»Da kannst du deinen Arsch drauf verwetten.« Dave winkte ihm zu, und er grüßte zurück. Dann ging er nach oben, durch die chemische Reinigung, durch die Buchhaltung und in sein Büro. Er setzte sich auf seinen Drehsessel hinter seinem Schreibtisch und holte alle Papiere aus dem Eingangskorb, um sie durchzulesen. Auf dem Schreibtisch stand eine Plakette:

DENKNACH!

Es könnte eine neue Erfahrung sein

Er mochte das Schild nicht besonders, aber er ließ es da, weil Mary es ihm geschenkt hatte. Wie lange war das jetzt her? Fünf Jahre? Er seufzte. Die Vertreter, die in sein Büro kamen, fanden es außerordentlich witzig und lachten sich halb tot. Aber wenn man einem Vertreter Bilder von hungernden Kindern oder von Hitler beim Geschlechtsverkehr mit der Heiligen Jungfrau zeigte, lachte er sich ebenfalls halb tot.

Vinnie Mason, der kleine Vogel, der zweifellos in Steve Ordners Ohr gezwitschert hatte, hatte ein Schild auf seinem Schreibtisch, auf dem

DEMK

stand. Was sollte das schon für einen Sinn haben? DEMK? Darüber würde nicht mal ein Vertreter lachen, nicht wahr, Fred? Stimmt, George– kooo-rrreckt. Er hörte draußen vor dem Fenster einen schweren Dieselmotor vorbeidröhnen und drehte den Sessel, um hinauszuschauen. Die Straßenbauleute begannen ihren neuen Arbeitstag. Ein langer Tieflader mit zwei Bulldozern fuhr an der Wäscherei vorbei. Hinter ihm folgte eine Schlange ungeduldiger Autofahrer. Vom zweiten Stock aus, über der chemischen Reinigung, konnte man den Fortgang der Straßenbauarbeiten beobachten. Ein langer brauner Einschnitt zog sich durch die Geschäfts- und Wohnviertel des Westends wie eine tiefe Operationsnarbe, die mit Schlamm verpflastert worden war. Sie hatte schon die Guilder Street überquert und grub sich in den Park an der Hebner Avenue, in den er immer mit Charlie gegangen war, als er noch ganz klein… eigentlich ein Baby gewesen war. Wie hieß dieser Park noch mal? Er wusste es nicht. Ich glaube, einfach nur Hebner Avenue Park, Fred. Es gab dort einen kleinen Baseballplatz und ein paar Wippen und einen Ententeich mit einem Vogelhaus in der Mitte. Im Sommer war das Dach des Häuschens immer voller Vogelscheiße. Auch ein paar Schaukeln hat es dort gegeben. Charlie hat seine ersten Schaukelerfahrungen im Hebner Avenue Park gesammelt. Wie findest du das, Fred, altes Haus? Zuerst hat er fürchterliche Angst gehabt und geschrien wie am Spieß, und dann, als es Zeit war, nach Hause zu gehen, hat er geheult, weil ich ihn von der Schaukel runternehmen wollte. Auf dem Heimweg hat er dann den Vordersitz vollgepinkelt. War das alles wirklich schon vierzehn Jahre her?

Ein weiterer Tieflader fuhr mit einem Bagger vorbei.

Vor vier Monaten hatten sie den Garson-Block abgerissen, nur drei oder vier Querstraßen von der Hebner Avenue entfernt. Ein paar Bürohäuser, in denen einige Kreditanstalten untergebracht gewesen waren, einige Banken, Zahnärzte, Chiropraktiker und Fußärzte. Die waren ihm weniger wichtig, aber, Himmel, es hatte ihm wehgetan, das alte Grand Theater in sich zusammenstürzen zu sehen. Dort hatte er sich Anfang der Fünfzigerjahre seine Lieblingsfilme angesehen. Bei Anruf– Mord! mit Ray Milland oder Der Tag, an dem die Erde stillstand mit Michael Rennie. Der war vor Kurzem im Fernsehen wiederholt worden. Er hatte ihn sich unbedingt ansehen wollen, war dann aber vor dem Scheißfernseher eingeschlafen und erst bei der Nationalhymne wieder aufgewacht. Er hatte einen Drink auf dem Teppich verschüttet, und Mary hatte ihm am nächsten Morgen anständig den Marsch geblasen.

Das Grand, ja, das war wirklich etwas Besonderes gewesen. Heute gab es ja nur noch diese neumodischen Filmtheater in den Vorstädten, diese aufgeplusterten Gebäude inmitten von riesigen Parkplätzen. Kino I, Kino II, Kino III, Vorführraum, Kino MCMXLVII. Er war mit Mary einmal zu so einem Palast nach Waterford hinausgefahren, um sich den Paten anzusehen, und hatte sage und schreibe 2 Dollar 50 pro Karte bezahlt. Und drinnen hatte es dann ausgesehen wie in einer beschissenen Bowlingbahn. Keine Empore. Das alte Grand hatte noch einen Marmorfußboden in der Eingangshalle gehabt, eine große Empore und einen liebenswerten, altmodischen, fettverschmierten Popcornautomaten, bei dem die große Packung zehn Cent kostete. Das Original an der Tür, das deine Karte abriss (die dich sechzig Cent gekostet hatte), hatte eine rote Uniform getragen, wie ein Portier, und war mindestens sechshundert Jahre alt gewesen. Und er hatte immer wieder denselben Satz vor sich hingekrächzt: »Ich hoffe, Ihnen gefällt der Film.« Und drinnen sah man dann den großen Kronleuchter über dem Parkett. Niemand wollte direkt unter ihm sitzen, denn wenn er einmal runterfallen sollte, könnte man vermutlich nur noch mit einem Spachtel vom Boden abgekratzt werden. Das Grand war–

Er blickte schuldbewusst auf seine Armbanduhr. Jetzt hatte er schon fast vierzig Minuten vertrödelt. Herr im Himmel, das war gar nicht gut. Dabei hatte er noch gar nicht mal viel nachgedacht. Nur über den Park und das Grand Theater.

Ist etwas nicht in Ordnung mit dir, Georgie?

Könnte sein, Fred. Ich glaube, es könnte der Fall sein.

Er rieb sich mit einem Finger über die Wange und die Augen und stellte fest, dass er nass war. Er hatte geweint.

Er ging nach unten, um mit Peter zu reden, der die Aufsicht über die Auslieferungen hatte. Die Wäscherei lief jetzt auf Hochtouren. Die Heißmangeln dampften und zischten, als die ersten von Howard Johnsons Laken hindurchgezogen wurden. Die Waschmaschinen stampften und ließen den Boden vibrieren, und die Hemdenpressen zischten und pfiffen, während Ethel und Rhonda die Oberhemden einlegten.

Peter berichtete ihm, dass die erste Ladung in ihrem Lastwagen Nummer 4 verstaut sei, und fragte ihn, ob er sie noch anschauen wolle, bevor sie ausgeliefert würde. Er sagte, das wollte er nicht. Er fragte Peter, ob die Holiday-Inn-Wäsche schon rausgegangen sei. Peter antwortete, dass sie gerade aufgeladen würde und dass der blöde Arsch, der das Hotel leitete, schon zweimal angerufen und nach den Handtüchern gefragt hätte.

Er nickte und ging wieder nach oben, um nach Vinnie Mason zu sehen. Phyllis erklärte ihm, dass Vinnie und Tom Granger in das neue deutsche Restaurant gegangen seien, um einen Auftrag wegen der Tischtücher zu ergattern.

»Würden Sie ihn bitte in mein Büro schicken, wenn er zurückkommt?«

»Das werde ich, Mr. Dawes. Ach ja, Mr. Ordner hat angerufen und bittet um Ihren Rückruf.«

»Danke, Phyllis.«

Er ging zurück in sein Büro und nahm die neuen Sachen aus dem Eingangskorb, um sie durchzugehen.

Eine Firma bot ihm ein neu entwickeltes Bleichmittel namens Yello-Go an. Wo hatten die bloß immer diese blöden Namen her?, fragte er sich und legte den Zettel für Ron zur Seite. Ron liebte es, Dave mit den neuen Produkten zu ärgern, besonders, wenn er dabei fünfhundert Pfund umsonst für Testläufe herausschlagen konnte.

Ein Dankesschreiben von ihrer Gewerkschaftskasse. Er legte es zur Seite, um es später am Schwarzen Brett neben der Stechuhr auszuhängen.

Ein Werbeprospekt über eine Büromöbelgarnitur aus Fichtenholz. In den Papierkorb.

Ein Werbeprospekt über einen Anrufbeantworter, der Nachrichten weitergeben und eingehende Telefonanrufe bis zu dreißig Sekunden Dauer registrieren würde, wenn man nicht zu Hause war. Ich bin nicht da, Dummkopf. Leg auf! In den Papierkorb.

Ein Beschwerdebrief von einer Dame, die sechs Hemden ihres Mannes in die Reinigung gegeben und zwei mit verbranntem Kragen zurückerhalten hatte. Seufzend legte er ihn auf den Stapel, um sich später darum zu kümmern. Ethel hatte ihr Mittagessen wohl wieder mal in flüssiger Form zu sich genommen.

Ein Wassertestbericht von der Universität. Den würde er mit Ron und Tom Granger nach dem Mittagessen durchgehen. Auf den Stapel.

Ein Werbeprospekt von einer Versicherungsgesellschaft. Der gute Art Linkletter erzählte dir da, wie du an achtzigtausend Dollar rankommen könntest. Alles, was du dafür tun musstest, war, tot umzufallen. In den Papierkorb.

Wieder ein Brief von dem schlauen irischen Makler, der die Waterford-Fabrik verkaufen wollte. Er schrieb, dass eine Schuhfabrik an dem Projekt interessiert sei, immerhin keine geringere als die Thom-McAn-Schuhfabrik, also kein kleiner Fisch, und er erinnerte daran, dass die neunzig Tage Bedenkzeit für das Blue Ribbon am sechsundzwanzigsten November ausliefen. Aufgepasst, kleiner Wäschereimanager! Die Stunde naht! In den Papierkorb.

Noch eine Vertreternotiz für Ron. Diesmal sollte eine neue Reinigungsmaschine mit dem originellen Namen Swipe an den Mann gebracht werden. Er legte sie zum Yello-Go.

Er drehte sich gerade wieder zum Fenster um, als seine Sprechanlage summte. Vinnie Mason war aus dem deutschen Restaurant zurückgekehrt.

»Schicken Sie ihn rein.«

Vinnie kam sofort hereinmarschiert. Er war ein hochgewachsener junger Mann von fünfundzwanzig Jahren mit olivbrauner Haut und einer üppigen dunklen Haarmähne, die er wie immer zu salopper Unordentlichkeit zurechtgekämmt hatte. Er trug ein dunkelrotes Sportjackett und eine dunkelbraune Hose. Dazu eine Fliege. Sehr flott, findest du nicht auch, Fred? In der Tat, Georgie, in der Tat.

»Wie geht es Ihnen, Bart?«, fragte Vinnie.

»Gut«, sagte er. »Was haben Sie in dem deutschen Restaurant erreicht?«

Vinnie lachte. »Sie hätten dabei sein sollen. Der alte Kraut wäre vor Dankbarkeit fast auf die Knie gefallen, so glücklich war er, uns zu sehen. Wir werden die Universal ausschalten, wenn wir erst mal in der neuen Fabrik sind, Bart. Sie haben noch nicht mal einen Werbeprospekt hingeschickt, geschweige denn einen von ihren Leuten. Dieser Kerl kam gar nicht mehr damit zu Rande, die Tischtücher in seiner Küche zu waschen, glaube ich. Aber Sie sollten mal sehen, was für ein Lokal der hat. Eine richtige Bierhalle. Er wird die Konkurrenz in Grund und Boden stampfen. Dieses Aroma… mmmh!« Er wedelte mit den Händen vor dem Gesicht, um das Aroma anzudeuten, und holte dann eine Schachtel Zigaretten aus seinem Sportjackett. »Wenn das Geschäft richtig angelaufen ist, werde ich Sharon mal dorthin ausführen. Mit zehn Prozent Rabatt.«

In einer seltsamen Art von Überlagerung hörte er plötzlich Harry, denWaffengeschäftsinhaber, sagen: Bei Einkäufen über dreihundert Dollar geben wir zehn Prozent Rabatt.

Mein Gott, dachte er. Habe ich diese Schusswaffen gestern tatsächlich gekauft? Habe ich das wirklich getan?

Dieses Zimmer in seinem Gehirn wurde dunkel.

He, Georgie, was hast du…

»Wie groß ist der Auftrag?«, fragte er. Seine Stimme klang etwas belegt, und er räusperte sich.

»Vier- bis sechshundert Tischtücher pro Woche, wenn der Laden richtig läuft. Und die Servietten. Alles echt Leinen. Er möchte sie elfenbeinfarben. Ich hab ihm gesagt, das wäre kein Problem.«

Vinnie nahm jetzt eine Zigarette aus der Schachtel, langsam, sodass er das Etikett lesen konnte. Das war etwas, was er an Vinnie Mason nun wirklich nicht ausstehen konnte: seine Vorliebe für verflucht starke Zigaretten. Auf dem Etikett stand:

PLAYER’SNAVYCUT

ZIGARETTEN

MEDIUM

Also, wer um alles in der Welt außer Vinnie Mason rauchte Player’s Navy Cut? Oder Kind Stano? Oder English Ovals? Oder Marvels oder Murads oder Twists? Wenn jemand eine neue Marke namens Scheiße-am-Stiel oder Schwarze Lunge auf den Markt brächte, Vinnie würde sie rauchen.

»Ich hab ihm gesagt, dass wir jeweils zwei Tage für eine Ladung brauchen werden, solange wir noch in der alten Wäscherei sind«, sagte Vinnie und ließ ihn noch einen Blick auf die Zigarettenpackung werfen, bevor er sie wieder in seiner Jacke verstaute. »Wenn wir nach Waterford umziehen.«

»Darüber wollte ich gerade mit Ihnen reden«, erwiderte er. Soll ich ihm den Marsch blasen, Fred? Klar, zeig’s ihm, George.

»Tatsächlich?« Vinnie zündete sich mit einem schmalen goldenen Zippo die Zigarette an und musterte ihn wie ein englischer Charakterschauspieler mit hochgezogenen Augenbrauen durch den aufsteigenden Rauch.

»Ich habe gestern einen Brief von Ordner erhalten. Er möchte, dass ich ihn am Freitagabend besuche, um ein bisschen über den Waterford-Handel zu plaudern.«

»Oh?«

»Und heute Morgen bekam ich einen Anruf von Ordner, während ich kurz mal runtergegangen war, um etwas mit Peter Wasserman zu bereden. Mr. Ordner möchte, dass ich zurückrufe. Hört sich so an, als sei er fürchterlich gespannt darauf, etwas Neues zu erfahren, nicht wahr?«

»Das nehme ich an«, sagte Vinnie und setzte sein zweites Lächeln auf: Achtung, verschmutzte Fahrbahn– fahren Sie vorsichtig!

»Was ich gern wissen möchte, ist, warum Ordner ganz auf einmal so verdammt neugierig geworden ist. Das würde ich gern wissen.«

»Nun ja…«

»Kommen Sie schon, Vinnie, spielen Sie mir nicht das verschüchterte Zimmermädchen vor. Es ist schon zehn Uhr, und ich muss mit Ordner reden, ich muss mit Ron Stone reden, ich muss mit Ethel Gibbs über verbrannte Hemdkragen reden. Haben Sie in meiner Nase gebohrt, als ich nicht hingesehen habe?«

»Na ja, Sharon und ich waren Sonntagabend bei St…bei Mr. Ordner zum Abendessen eingeladen und…«

»Und da hat es sich zufällig ergeben, dass Sie eine Bemerkung über Bart Dawes gemacht haben. Sie haben ihm gesagt, dass Dawes die Waterford-Verhandlungen verzögert, während der Ausbau der 784-Verlängerung immer näher rückt, nicht wahr?«

»Bart!«, protestierte Vinnie. »Es war alles sehr nett. Es war sehr…«

»Ich bin mir sicher, dass es sehr nett war. Auch sein Brief, der mich vor den Richterstuhl zitiert, ist sehr nett. Ich nehme an, unser kleines Telefongespräch wird auch vollkommen nett sein. Darum geht es nicht. Es geht darum, dass er Sie und Ihre Frau in der Hoffnung zum Abendessen eingeladen hat, dass Sie etwas ausplaudern würden, und wie ich sehe, ist er nicht enttäuscht worden.«

»Bart…«

Er hob seinen Zeigefinger vor Vinnies Gesicht. »Hören Sie mir mal gut zu, Vinnie. Wenn Sie noch mehr solche Scheiße bauen, in die ich reintreten soll, dann können Sie sich nach einem neuen Job umsehen. Das können Sie mir glauben.«

Vinnie saß wie versteinert da. Seine Zigarette qualmte unbeachtet zwischen seinen Fingern.

»Ich will Ihnen mal etwas erzählen, Vinnie«, fuhr er mit normaler Stimme fort. »Ich weiß, dass ein junger Kerl wie Sie schon tausend Vorträge von alten Kerlen wie mir darüber gehört hat, wie wir die Welt auf den Kopf gestellt haben, als wir noch so jung waren wie ihr. Aber diesen Vortrag haben Sie verdient.«

Vinnie öffnete den Mund, um zu protestieren.

»Ich glaube nicht, dass Sie mir in den Rücken fallen wollten«, sagte er mit abwehrend erhobener Hand, um Vinnies Protest zuvorzukommen. »Wenn ich das annehmen würde, hätte ich Ihre Entlassungspapiere auf dem Tisch liegen gehabt, als Sie hier hereinmarschiert sind. Ich glaube nur, Sie haben sich ziemlich dämlich benommen. Sie sind in dieses großartige, eindrucksvolle Haus gekommen und haben vor dem Abendessen drei Gläser getrunken, und dann hat es eine Suppe gegeben und einen Salat mit Thousand-Island-Dressing und danach etwas Leckeres als Hauptgang, und all das ist von einem Dienstmädchen in einer schwarzen Uniform serviert worden, und Carla hat ihre Rolle als Dame des Hauses gespielt– aber ohne dabei auch nur im Geringsten herablassend zu sein–, und es hat Erdbeertörtchen oder Heidelbeerkompott mit frisch geschlagener Sahne zum Nachtisch gegeben und danach dann noch Kaffee mit Cognac oder Tia Marias, und dann hat sich Ihre Zunge wie von selbst gelöst. Ist es so gewesen?«

»Ja, so ähnlich war’s«, flüsterte Vinnie. Sein Gesicht zeigte eine Mischung von drei Teilen Scham und zwei Teilen abgrundtiefen Hasses.

»Er begann mit der Frage, wie es Bart ginge. Sie antworteten, Bart ginge es gut. Er sagte, dass Bart ein verdammt guter Mann sei, aber ob es nicht schön wäre, wenn er das Waterford-Geschäft etwas vorantreiben würde. Und Sie sagten, dass das in der Tat sehr schön wäre. Und er sagte, ach, übrigens, wie steht’s denn damit? Sie sagten, nun ja, das fällt wirklich nicht in meine Zuständigkeit, und er sagte, machen Sie mir nichts vor, Vincent, Sie wissen doch, was läuft. Und Sie sagten, alles, was ich weiß, ist, dass er den Handel noch nicht abgeschlossen hat. Ich hab gehört, dass die Thom-McAn-Leute an dem Grundstück interessiert sind, aber das ist vielleicht nur ein Gerücht. Daraufhin sagt er, na ja, bestimmt weiß Bart, was er tut, und Sie sagten, yeah, klar, und dann hat er Ihnen noch einen Brandy zum Kaffee angeboten und Sie gefragt, ob Sie glauben, dass die Mustangs es bis in die Play-off-Runde schaffen würden, und dann seid ihr wieder nach Hause gefahren, Sharon und Sie, und wissen Sie, wann er Sie das nächste Mal einladen wird, Vinnie?«

Vinnie sagte nichts.

»Sie werden wieder eingeladen werden, wenn Steve Ordner wieder einen Informanten braucht.«

»Es tut mir leid«, sagte Vinnie beleidigt und machte Anstalten aufzustehen.

»Ich bin noch nicht fertig.«

Vinnie setzte sich wieder und blickte mit glühenden Blicken in eine Zimmerecke.

»Vor zwölf Jahren habe ich Ihren Job gemacht, wussten Sie das? Zwölf Jahre, das kommt Ihnen wahrscheinlich sehr lange vor. Aber ich weiß kaum, wo die Jahre geblieben sind. Doch ich kenne den Job gut genug, um zu wissen, wie sehr es Ihnen gefällt. Und ich weiß, dass Sie ihn gut machen. Die Neuorganisation der chemischen Reinigung… dieses neue Nummernsystem… das war ein Meisterstück.«

Vinnie starrte ihn verdutzt an.

»Ich habe vor zwanzig Jahren in der Wäscherei angefangen«, fuhr er fort. »1953, da war ich zwanzig Jahre alt. Meine Frau und ich hatten gerade geheiratet. Ich hatte zwei Jahre Betriebswirtschaft studiert, und Mary und ich wollten eigentlich noch ein bisschen warten, aber wir haben die Interruptionsmethode angewandt. Wir legten uns gerade richtig ins Zeug, als jemand unter uns die Tür zuschlug und mir einen solchen Schreck einjagte, dass ich einen Orgasmus bekam. Davon ist sie schwanger geworden. Immer wenn ich mir heute besonders schlau vorkomme, erinnere ich mich bloß daran, dass eine zugeschlagene Tür für meine heutige Position verantwortlich ist. Es ist demütigend. Damals gab es noch kein so freizügiges Abtreibungsgesetz. Wenn man ein Mädchen schwängerte, dann heiratete man es oder man ließ es sitzen. Man hatte keine andere Wahl. Ich hab sie geheiratet und den ersten Job angenommen, der sich mir bot. Und das war hier in der Wäscherei. Waschraumaushilfe, genau der Job, den dieser Pollack-Junge da unten jetzt erledigt. Damals mussten wir noch alles mit der Hand machen. Wir mussten die nasse Wäsche aus den Maschinen zerren und sie in große Stonington-Schleudern packen, die fünfhundert Pfund von dem schweren Zeug fassten. Wenn man so eine Schleuder falsch belud, konnte sie einem den Fuß abreißen. Mary hat das Kind im siebten Monat verloren, und der Arzt sagte, dass sie nie wieder eines haben könne. Ich machte den Aushilfejob drei Jahre lang und brachte für fünfundfünfzig Arbeitsstunden genau fünfundfünfzig Dollar pro Woche nach Hause. Dann hatte Ralph Albertson, der damals Aufseher im Waschraum war, einen kleinen Auffahrunfall und starb auf der Straße an einem Herzinfarkt, während er noch mit dem anderen Kerl seine Versicherungsnummer austauschte. Er war ein guter Mann. Zu seiner Beerdigung hatte der ganze Betrieb geschlossen. Nachdem er anständig begraben war, bin ich zu Ray Tarkington gegangen und hab mich um seinen Job beworben. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich ihn bekommen würde. Ich wusste alles, was man im Waschraum wissen musste, denn Ralph hatte mir alles beigebracht.

Damals war das hier ein Familienbetrieb, Vinnie. Ray und sein Vater, Don Tarkington, haben ihn geleitet. Don hatte ihn von seinem Vater übernommen, der ihn 1926 gegründet hat. Die Arbeiter waren nicht in der Gewerkschaft organisiert, und ich nehme an, dass die Gewerkschaftsleute die drei Tarkingtons als patriarchalische Ausbeuter bezeichnen würden, die sich an ungebildeten Arbeitern und Arbeiterinnen bereicherten. Und das waren sie auch. Aber als Betty Keeson auf dem nassen Fußboden ausgerutscht ist und sich den Arm gebrochen hat, haben die Tarkingtons ihr die Krankenhausrechnung bezahlt und zehn Dollar Unterhaltskosten pro Woche, bis sie wieder arbeiten konnte. Und jedes Jahr Weihnachten haben sie in der Halle ein großes Weihnachtsbankett aufgebaut– die besten Hühnerpasteten, die du je gegessen hast, mit Preiselbeeren und Brötchen und Schokoladenpudding oder süßem Gebäck zur Auswahl als Nachtisch. Don und Ray schenkten jeder Frau ein Paar Ohrringe und jedem Mann eine neue Krawatte. Ich habe meine neun Krawatten immer noch bei mir zu Hause im Schrank hängen. Und als Don Tarkington im Jahre 1959 starb, habe ich eine davon auf seiner Beerdigung getragen. Sie passte überhaupt nicht zum Anzug, und Mary hat mir deswegen die Hölle heißgemacht, aber ich hab sie trotzdem getragen. Der Arbeitsplatz war dunkel, und die Tage waren lang, und die Arbeit war eine stumpfsinnige Plackerei, aber damals haben noch alle an einem Strang gezogen. Wenn die Schleuder kaputtging, dann krempelten sich Don und Ray ihre Hemdsärmel auf und standen zusammen mit uns anderen im Waschraum und halfen, die Wäsche mit der Hand auszuwringen. So war das damals in einem Familienbetrieb, Vinnie. So in der Art.

Als Ralph also gestorben war und Ray Tarkington mir sagte, dass er schon jemand andres eingestellt hätte, der sich um den Waschraum kümmert, da hatte ich keine Ahnung mehr, was eigentlich los war. Und Ray sagt zu mir: Mein Vater und ich möchten, dass Sie wieder aufs College gehen. Und ich sage, großartig– und wovon? Busmarken? Und er gibt mir einen Bankscheck über zweitausend Dollar. Ich schau ihn mir an und kann kaum glauben, was ich sehe. Ich sage, was ist das? Und er antwortet, ich weiß, das reicht nicht, aber es reicht für Ihre Studiengebühren, Ihr Zimmer und Ihre Bücher. Den Rest können Sie sich dann im Sommer hier verdienen, einverstanden? Und ich frage ihn, ob es eine Möglichkeit gibt, ihm dafür zu danken. Und er antwortet, ja, drei Möglichkeiten. Erstens das Darlehen zurückzahlen, zweitens die Zinsen bezahlen, drittens das, was ich gelernt habe, wieder in den Betrieb einbringen. Ich habe den Scheck mit nach Hause genommen und Mary gezeigt, und sie hat geweint. Hat einfach die Hände vors Gesicht geschlagen und geweint.«

Vinnie sah ihn jetzt mit ehrlicher Verblüffung an.

»Also bin ich 1955 wieder aufs College gegangen und habe 1957 meinen Abschluss gemacht. Danach bin ich zurück in die Wäscherei, und Ray machte mich zum Chef der Fahrer. Da habe ich dann neunzig Dollar die Woche verdient. Als ich meine erste Darlehensrate zurückzahlte, hab ich ihn gefragt, wie hoch die Zinsen seien. Er antwortet, ein Prozent. Was?,