Stadt, Land, Mord - Ann Granger - E-Book
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Stadt, Land, Mord E-Book

Ann Granger

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Beschreibung

Der eingefleischte Stadtmensch Lucas Burton vermag dem idyllischen Landleben rein gar nichts abzugewinnen. Und er soll auf makabre Weise Recht behalten. Normalerweise würden ihn keine zehn Pferde zu dem verlassenen Gutshof mitten im Nichts bringen, würde dort nicht ein lukratives Geschäft locken. Doch kaum angekommen, stolpert er über die Leiche eines jungen Mädchens.

Als er fluchtartig den Tatort verlässt, macht er sich verdächtig. Kein Wunder, dass er bald unerwünschten Besuch bekommt: Inspector Jessica Campbell hat den Mordfall übernommen. Es gibt nur wenig verwertbare Spuren für sie, und ihr neuer Chef, Alan Markbys Nachfolger, sitzt ihr ständig im Nacken. Der Druck ist groß. Und er wird noch größer, als man eine zweite Leiche entdeckt ...

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Seitenzahl: 472

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Inhalt

CoverInhaltÜber die AutorinTitelImpressumVorspannKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19

Über die Autorin

Ann Granger war früher im diplomatischen Dienst tätig. Sie hat zwei Söhne und lebt heute mit ihrem Mann in der Nähe von Oxford. Bestsellerruhm erlangte sie mit der Mitchell-und-Markby-Reihe und den Fran-Varady-Krimis. Nach Ausflügen ins viktorianische England mit den Kriminalromanen WER SICH IN GEFAHR BEGIBT und NEUGIER IST EIN SCHNELLER TOD knüpft sie mit STADT, LAND, MORD, dem ersten Band der Reihe um Inspector Jessica Campbell, wieder unmittelbar an die Mitchell-und-Markby-Reihe an.

Ann Granger

Stadt, Land, Mord

Jessica Campbells erster Fall

Aus dem Englischen von Axel Merz

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2009 by Ann Granger

Titel der englischen Originalausgabe: »Mud, Muck and Dead Things«

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2010/2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Gerhard Arth

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-8387-0670-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Leser der Geschichten um Mitchell und Markby werden Jess Campbell wahrscheinlich wiedererkennen, die im letzten Buch dieser Serie – Und sei getreu bis in den Tod (engl. That Way Murder Lies) – erscheint. Mit diesem neuen Buch habe ich Jess eine eigene Karriere eröffnet, die ebenfalls in den Cotswolds spielt. Ich hoffe, die geschätzten Leser erfreuen sich genauso an Jess Campbells kriminalistischen Abenteuern, wie sie es ihren zahlreichen freundlichen Leserbriefen zufolge bei der älteren Serie getan haben.

Kapitel 1

»Dreck, Mist und tote Dinge«, murmelte Lucas Burton. »Ich hasse das Land.«

Die Worte platzten aus ihm hervor, obwohl niemand in der Nähe war, der sie hören konnte – mit Ausnahme der kreischend protestierenden Krähen, die er von dem überfahrenen Kadaver an der Einfahrt aufgeschreckt hatte. Ein unangenehm schmatzendes Geräusch unter seinem Fuß hatte seinen entsetzten Blick nach unten geführt, und er hatte gesehen, wie sich der Schlamm unabänderlich über die Seiten seiner zuvor makellos polierten Schuhe nach oben arbeitete. Die Krähen landeten wieder bei ihrer Beute und setzten ihren Festschmaus fort. Sie hüpften zankend und laut zeternd umher und kämpften in einem ungestümen Gedränge um die besten Stellen. Ihre kleinen schwarzen Augen glitzerten verschlagen. Es fiel ihm schwer, nicht zu glauben, dass diese Rüpel der Vogelwelt ihn auslachten.

Lucas hob den Schuh aus dem zähen Schlamm. Es gab ein unheilvolles, saugendes Geräusch, und der Abdruck seiner maßgefertigten Budapester begann sich augenblicklich mit trübem Wasser zu füllen. Er humpelte zu einem nahe gelegenen Stapel von verrottenden Holzpaletten und bemühte sich vergeblich, den Dreck von den Sohlen abzustreifen. Was auch immer die Bestandteile dieses speziellen Drecks waren – Lucas wollte lieber nicht eingehender darüber nachdenken –, er klebte wie Leim. Mit einem resignierenden Seufzer gab er seinen Kampf gegen den Dreck auf. Er war gestrandet, und es spielte keine Rolle, ob er kehrtmachte oder weiterging. Er würde sich schmutzig machen.

Der vereinbarte Treffpunkt war ein heruntergekommener, anscheinend verlassener Bauernhof auf dem Kamm eines Hügels an einer kaum befahrenen Nebenstraße. Die Aussicht von hier oben war spektakulär, doch Lucas war nicht in der Stimmung, sie zu genießen. Auf drei Seiten erstreckte sich eine Hügellandschaft. Auf der vierten, hangabwärts, wuchs ein dichtes Gehölz und versperrte die Sicht auf das, was am Fuß des Hangs lag.

»Mitten in der tiefsten Wildnis!«, murmelte Lucas böse. Selbst der Klang seiner eigenen Stimme erschien ihm auf obskure Weise tröstend. Doch das war genau der Zweck dieses Treffpunkts. Der Grund, warum dieses verlassene Gehöft ausgewählt worden war. Es lag weit abseits und war dennoch leicht über die Straße erreichbar, und es bestand nur eine geringe Chance, gestört zu werden, außer von wild lebenden Tieren. Zum damaligen Zeitpunkt hatte er den Vorschlag als brillant empfunden. Jetzt fragte er sich nervös, ob die Person, mit der er sich treffen wollte, einen schrulligen, wenig reizvollen Sinn für Humor hatte. Ganz ähnlich den verdammten Krähen draußen auf dem Asphalt bei ihrer Beute.

Wenigstens war der Treffpunkt so leicht zu finden gewesen, wie man ihm zugesichert hatte. »Das Gehöft hieß früher Cricket Farm«, hatte sein Informant ihm erzählt. »Frag mich nicht, warum. Wir haben keine Grillen in diesem Land, oder? Ich schätze, der Name bezieht sich auf das Spiel.«

»Und du bist sicher, dass dieses verdammte Gehöft verlassen ist?«, hatte Lucas gefragt. »Du weißt selbst, wie das mit diesen verlassenen Orten ist. Keine Seele zu sehen, wie auf der verdammten Marie Celeste, und dann, bevor man sich’s versieht, ist man von Kühen umzingelt.«

»Entspann dich, der Bauernhof ist seit Jahren verlassen. Die Gebäude stehen leer, und das Wohnhaus ist halb verfallen und vernagelt. Vertrau mir.«

Ein frommer Wunsch, den Lucas nicht so ohne weiteres erfüllen mochte. Sie hatten ihre Bekanntschaft nach einer Pause von mehreren Jahren erst kürzlich erneuert. Damals war sie produktiv gewesen, und Lucas hatte große Hoffnung, dass es wieder so werden würde. Bis zu diesem Moment hatte er keinerlei Zweifel daran gehegt, doch hier, an diesem gottverlassenen Fleck, wurde ihm höchst unbehaglich klar, wie wenig er eigentlich über den anderen wusste. Im Allgemeinen vertraute er seiner Menschenkenntnis, doch im Prinzip war er ein Spieler, und jeder Spieler wusste eines genau: Früher oder später begeht man einen Fehler.

Er hätte Gummistiefel mitnehmen sollen. Nein, Korrektur: Er hätte den Treffpunkt selbst aussuchen sollen. Lucas blickte sich mit zunehmenden Zweifeln um.

»Der Mercedes ist von der Straße aus nicht zu sehen«, hatte der andere ihm versprochen.

Er war sich dessen nicht so sicher. Leere Ställe, Scheunen und Geräteschuppen säumten zwei Seiten des Hofs und verfielen unter einem bleiernen Himmel langsam zu Ruinen. Auf der dritten Seite stand das einstige Farmhaus, Fenster und Tür vernagelt. Die Bretter waren zu einem hellen Grau verwittert. Jahre mussten vergangen sein, dachte er, seit dieses Haus das Heim einer Familie gewesen war. Heute ließ nur noch ein Haufen Müll in einer Ecke des Hofs vermuten, dass sich überhaupt jemals ein Mensch hierher verirrte. Der Haufen erweckte seine Aufmerksamkeit so sehr, dass er ihn einige Minuten lang untersuchte. Es war eine merkwürdige Mischung aus alten Waschmaschinen, Herden und allen möglichen Dingen aus Metall. Alles rostete leise vor sich hin, und er fragte sich, wie um alles in der Welt es wohl hierhergekommen war. Ob jemand den Kram illegal abgeladen und sich auf diese Weise die Gebühren für die Entsorgung gespart hatte? Obwohl mit dieser Art von Schrott Geld zu verdienen war. Metallschrott, dachte Lucas und schürzte die Lippen. Auch wenn es in diesem Fall der Mühe kaum wert war.

Es gab eine breite Lücke, wo der Hof an die Straße grenzte. Rechts und links standen verrostete Pfosten schief im Boden. Das schwere Tor, das einst zwischen den Pfosten gehangen hatte, lag wahrscheinlich auf dem Schrotthaufen unter all dem anderen Zeug. Die Pfosten bildeten eine Art Einfahrt und führten das Auge des Betrachters zu seinem geliebten Mercedes in der würdelosen Umgebung. Besser, er versteckte den Wagen. Aber wo?

Die nächstliegende Möglichkeit war der offene Kuhstall mit dem Wellblechdach direkt vor ihm. Die Blechpaneele hatten sich gelockert und klapperten im böigen Wind, der über die Hügel strich. Er überquerte den Hof und warf einen Blick hinein. Es war nicht viel zu erkennen – das Innere des Stalls war dunkel, und es herrschte ein schwacher Geruch nach den früheren Bewohnern, oder besser gesagt, nach ihren Ausscheidungen. Er unternahm ein paar vorsichtige Schritte ins Innere. Es erschien ihm wenig sinnvoll, einfach den Wagen hineinzufahren und sich vielleicht die Reifen an einem achtlos liegen gelassenen Stück Metall aufzuschlitzen.

Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerlicht. Er konnte Stallboxen erkennen. Altes, moderiges Stroh auf dem Boden. Unerwartet spürte er, wie sich in ihm Neugier regte. Was war geschehen, dass dieser einst so geschäftige Ort in solches Elend verfallen war? Mehr noch, brachliegendes Farmland zum richtigen Preis wäre eines Kaufs durchaus wert, falls es ihm gelang, eine Baubewilligung zu erwirken.

Das war wiederum eine Idee, die ernsthafter Überlegung wert war. Ein solches Projekt war heutzutage weit mehr nach seinem Geschmack als ein kleiner Haufen Schrott. Ein solches Projekt wäre groß und profitabel. Allein um diesen Hof herum konnte man sechs Häuser im Cottage-Stil errichten, vielleicht sogar acht, wenn man sie ein wenig enger zusammenquetschte. Stadtmenschen mit einer romantischen Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land mochten so etwas. Sie kämen niemals auf den Gedanken, in der Stadt ein so kleines Heim zu kaufen. Doch hier draußen waren sie bereit, gutes Geld auf den Tisch zu blättern für einen Kaninchenstall mit einem falschen Kamin in der Zimmerecke und einer hübschen »Aussicht«.

Er stellte sich diese begehrenswerten Behausungen vor: Erbaut aus Cotswold-Stein (nicht dem echten, sondern einer billigen Imitation), spitze Holzdächer über den Eingangstüren und ein Parkbereich für alle Bewohner. Individuelle Garagen erhöhten nur die Kosten und nahmen wertvollen Platz ein. Zögernd, beinahe widerwillig verdrängte er die Vision von einer lukrativen Investition aus seinen Gedanken. Lucas war nicht hergekommen, um nach Bauland zu suchen, auch wenn er sich rühmte, ein Auge für Gelegenheiten zu haben. Einige der besten Geschäfte seiner Karriere hatten so ihren Anfang genommen: eine zufällige Begebenheit, eine rasche Entscheidung. Eine Lücke sehen und sich darauf stürzen.

Er drang tiefer in den Stall vor. Hinter ihm stand der silbergraue Mercedes als Silhouette eingerahmt im Freien, und Lucas hatte das Gefühl, als gehörte der Wagen in eine andere Welt als die, die er nun betreten hatte – eine »Dadraußen«-Welt, die zwar unangenehm, aber normal war. Er hatte eine »Hier-drin«-Welt betreten, in der andere Regeln galten, und er war nicht ganz sicher, was das für Regeln waren. Einen kurzen Moment lang überkam ihn die irrationale Angst, nicht zurückkehren zu können, abgeschnitten zu sein, von dem Moment an, als er den unwiderruflichen Schritt über die Schwelle des Kuhstalls gemacht hatte, unter das klappernde Blechdach, durch dessen große Löcher Regen und Tageslicht ins Innere fielen. Er war nicht nur einfach an einem anderen Ort, sondern auch in einer anderen Zeit, die zu einer verschwundenen Kultur gehörte. Er war durch den Spiegel getreten. Er spürte einen Anflug von etwas, das er seit Jahren nicht mehr gekannt hatte – Panik – und wandte sich um in Richtung Tageslicht und dem vertrauten Universum, das er so unbedacht verlassen hatte.

Beinah hatte er den Ausgang erreicht und damit die Sicherheit (wie sein Verstand ihm beharrlich weiszumachen versuchte), als er den merkwürdigen Haufen auf dem Boden zu seiner Linken bemerkte. Er musste beim Hereinkommen fast darauf getreten sein, doch seine Augen hatten sich noch nicht an das Dämmerlicht gewöhnt, und er hatte ihn nicht gesehen. Er stockte. Das Gefühl von Panik wuchs zu einem Klumpen in seinem Bauch. Übelkeit stieg in ihm auf.

»Sei kein verdammter Narr!«, schalt er sich. »Das ist nur ein Haufen Müll wie alles andere.«

Doch er fühlte sich von dem Haufen angezogen wie von einer magnetischen Kraft. Er musste ihn untersuchen, und wenn nur aus dem einen Grund, sich zu beweisen, dass nichts dahintersteckte und seine Angst unbegründet war. Jetzt stand er direkt davor. Ja. Nur ein alter Mantel. Was ist bloß los mit dir, Lucas?, schalt er sich. Siehst du neuerdings Gespenster?

Es war nichts weiter als ein schmutziger, alter, rosafarbener Mantel. Nicht mehr, nicht weniger. Ein Frauenmantel wahrscheinlich, nach der Farbe zu urteilen. Für einen Moment verebbte seine Angst, nur um im nächsten mit Vehemenz zurückzukehren. Der Mantel war gar nicht so alt, wie Lucas im ersten Augenblick geglaubt hatte, und schmutzig war er auch nicht. Nicht annähernd alt und schmutzig genug, um achtlos weggeworfen zu werden. Er gehörte nicht hierher. Das Stück zerrissenes Sackleinen gleich daneben, das schon eher. Aber was hatte ein neuer und obendrein teuer aussehender Mantel hier zu suchen? Warum war der Mantel so achtlos weggeworfen worden?

Seine Schuhe waren inzwischen so schmutzig, dass er sich nicht länger bemühte, sie einigermaßen sauber und trocken zu halten. Er schob einen Fuß vor und schubste den Mantel an. Etwas Schweres, Nachgiebiges lag darunter, das – wie ein weiterer Schubser erkennen ließ – sich bis unter das Sackleinen fortsetzte. Irgendjemand hatte etwas darunter versteckt. Ein größeres Objekt, groß genug, dass Mantel und Sackleinen nötig waren, um es zuzudecken.

Lucas zuckte zusammen und wich einen Schritt zurück. Doch er konnte sich nicht abwenden und davonlaufen, sosehr er das wollte. Ein mächtiger Wunsch, den zugedeckten Gegenstand zu untersuchen, stand im heftigen Widerstreit mit einem beinahe genauso starken Widerwillen, ihn zu berühren. Die bloße Vorstellung von physischem Kontakt stieß ihn ab. Er blickte sich suchend um und entdeckte eine alte Heugabel, die vergessen an der Wand einer Stallbox lehnte. Lucas ging sie holen und streckte sie nach dem Sackleinen aus, um es mit den Zinken behutsam hochzuheben und freizulegen, was sich darunter verbarg.

Durchdringend süßlicher Gestank schlug über Lucas zusammen und verdrängte den anhaftenden Geruch nach Vieh. Im Dreck vor ihm lagen zwei Beine in blauen Jeans, die Füße in Turnschuhen.

»Nein, oh nein!«, flüsterte Lucas. »Nein. Das kann nicht sein …« Seine Hand zitterte. »Los, weiter, du Schlappschwanz!«, befahl er sich. Er zielte nach dem Mantel und schleuderte ihn zur Seite, um den Rest des Gebildes am Boden aufzudecken. Plötzlich erfüllte ein Rauschen seine Ohren. Die Wände des Kuhstalls wichen erst zurück und stürzten dann auf ihn ein. Er hatte den Dreck und den Mist erlebt, und jetzt hatte er zu allem Überdruss ein totes Ding gefunden.

Keinen Fuchs, der draußen auf der Straße überfahren und zerfetzt worden war, sondern ein menschliches Wesen, das aus trüben, blutunterlaufenen Augen anklagend zu ihm hochstarrte. Ein Mädchen, ein junges Mädchen. Ihr Unterkiefer war wie im Schrei herabgesunken und gab den Blick frei auf gleichmäßige, weiße Zähne. Die blau angelaufene Zunge quoll ein wenig hervor, und ihre Unterlippe war blutig, als hätte sie sich selbst heftig darauf gebissen.

Lucas würgte und schleuderte die Heugabel beiseite. Er stolperte rückwärts aus dem Kuhstall und torkelte über den Hof zu seinem Mercedes. Ohne auf den an seinen Schuhen klebenden Dreck zu achten, den er nun überall auf dem mit Teppich ausgelegten Fahrzeugboden verteilte, drehte er mit zitternden Fingern den Zündschlüssel, bis der Motor ansprang. Er setzte quer über den Hof zurück, wendete und schoss mit durchdrehenden Reifen nach vorn und durch die Einfahrt nach draußen.

Glücklicherweise kam kein Fahrzeug des Weges, weder aus der einen noch aus der anderen Richtung. Selbst wenn es ihm wie durch ein Wunder gelungen wäre, einen Zusammenstoß zu vermeiden, der andere Fahrer hätte ihn unweigerlich gesehen. Es war wichtig, dass er unentdeckt blieb. Lucas raste voller Panik davon und wurde erst langsamer, als er den Fuß des Hügels erreicht hatte, hinter dem Wäldchen, wo er in der Einfahrt zu einem Feld anhielt. Hektisch kramte er nach seinem Mobiltelefon.

Gott sei Dank wurde sein Anruf sofort entgegengenommen.

»Hör zu!«, krächzte er. »Fahr nicht hin! Ich meine, fahr nicht zu diesem Treffpunkt, zur Cricket Farm, verdammt! … Wo bist du? … Dann dreh um und fahr zurück nach Hause! … Keine Diskussionen! Ich erklär dir alles später. Mach es einfach, okay?«

Er schwitzte und kämpfte gegen die Übelkeit an, die in seiner Speiseröhre nach oben stieg. In seiner Hast, die Farm zu verlassen, bevor irgendjemand ihn sah, hatte er wahrscheinlich jede Menge Spuren hinterlassen: die Reifenabdrücke des Mercedes, seine Fußabdrücke, Fingerabdrücke auf dem Griff der Heugabel. Nun, es spielte keine Rolle, Herrgott noch mal. Die Chancen standen gut, dass der Regen alles wegspülte, noch bevor der Tag zu Ende war. Es hatte in letzter Zeit genug geregnet, um Noahs Arche flottzumachen, und die Vorhersage hatte noch mehr versprochen. Der Regen würde die Reifenspuren und Fußabdrücke wegwaschen. Und die Fingerabdrücke – meine Güte, die waren sicher verschmiert, unvollständig, nicht zu gebrauchen. Vielleicht vergaßen sie sogar, die Heugabel zu kontrollieren. Wer? Die Polizei, wer sonst.

Warum sollte die Polizei überhaupt zur Cricket Farm fahren? Niemand fuhr dorthin. Außer natürlich ihm selbst. Dummerweise. Trotzdem. Niemand würde die … würde dieses Ding finden, für Wochen und Monate. Das Wichtigste war, dass niemand je erfuhr, dass er dort gewesen war. Nur sie beide hatten von ihrer Verabredung gewusst. Er würde nicht reden, und der andere würde es nicht wagen.

Ein Rattern und Rumpeln kündigte an, dass sich von hinten ein anderes Fahrzeug näherte, und zwar mit recht hoher Geschwindigkeit. Lucas stieß einen Fluch aus. Das Fahrzeug kam den Hügel herunter, vorbei an der Cricket Farm und geradewegs auf ihn zu. Ihm blieb nicht genügend Zeit, den Motor zu starten und wegzufahren. Er tat das Einzige, das ihm übrig blieb. Er duckte sich tief und hoffte, dass, wer auch immer vorbeikam, annehmen würde, dass niemand im Wagen war.

Das Fahrzeug ratterte vorbei. Lucas tauchte vorsichtig wieder auf und spähte über das Armaturenbrett nach vorn. Er erhaschte einen kurzen Blick auf das Heck eines Pferdeanhängers. Es war ein Anhänger für ein einzelnes Tier, mit einer Rampe am Heck, die hochgeklappt wurde und so eine halbe Tür bildete. Hänger wie dieser wurden in der Regel von einem Landrover oder einem ähnlichen Fahrzeug gezogen – genau das, was man in dieser Gegend erwartete. Rappelnd verschwand das Gespann hinter der nächsten Kurve; der Hänger schien leer zu sein, was erklärte, wieso der Fahrer so schnell fuhr. Irgendein Landei, das seinen Geschäften nachging und sich nicht für Lucas und seinen Wagen interessierte.

Langsam beruhigte sich sein Puls wieder, und er begann, seine nächsten Schritte zu planen. Zuerst musste er von hier verschwinden. Gab es vielleicht etwas, das er noch vorher erledigen sollte? Und was war hinterher?

Ein guter Staatsbürger hätte natürlich die Polizei gerufen und den grausigen Fund gemeldet. Doch gute Staatsbürger wurden nicht von schlechtem Gewissen geplagt wie Lucas.

Eigentlich war sein Gewissen stets ein bereitwilliges Ding gewesen. Es erhob nur selten Einwände gegen irgendetwas. Stattdessen hatte Lucas einen stark ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb, der nun machtvoll einsetzte. Er hatte einen Fehler begangen, indem er hierhergekommen war. Er hatte einen Fehler begangen, sich überhaupt auf diese ganze dumme Geschichte einzulassen. Jetzt die Behörden zu informieren wäre der dritte Fehler, der die beiden anderen noch verschlimmern würde. Er konnte es sich nicht leisten, Erklärungen abzugeben. Die Polizei versprach einem immer, diskret vorzugehen, wenn sie verzagte Zeugen aufmuntern wollte – doch es war nichts Diskretes an den Bullen, in Uniform oder nicht, wenn sie zur Haustür getrampelt kamen – oder gar auf die Arbeit, ins Büro! – und anfingen Fragen zu stellen. Eine Säule der Gesellschaft darzustellen, Vertrauen in anderen zu erwecken, das war ein großer Teil von Lucas’ Handwerkszeug. Und wenn irgendein Idiot in der Bar des Golfclubs oder im lokalen Pub jedem in Hörweite erzählte, dass die Polizei bei Lucas Burton gewesen war (»Ehrlich, ich hab sie mit eigenen Augen gesehen, als sie wieder gefahren sind!«), dann schlug das sicher einige Wellen und geriet lange Zeit nicht in Vergessenheit. Das war das Dumme an den Bullen – selbst in Zivil war für jeden Einäugigen offensichtlich, wer und was sie waren. Und selbst wenn es Lucas gelang, eine überzeugende Geschichte zu erfinden und die Bullen abzuwimmeln, hatte seine weiße Weste einen Fleck erhalten, der sich so schnell nicht wieder auswaschen ließ.

Wie wäre es dann mit einem anonymen Anruf?

Nicht vom Mobiltelefon aus, oh nein. Viel zu riskant – die Daten des Anrufs wurden sicher gespeichert und konnten bis in diese Gegend zurückverfolgt werden. Vielleicht sogar bis zu seinem Telefon. Öffentliche Fernsprecher gab es in der Gegend nicht. Das nächste Festnetztelefon befand sich im nächsten Pub, und zweifellos würde er dort irgendjemandem auffallen, weil er ein Fremder war. Vielleicht würde man ihn sogar belauschen.

Nein, kein anonymer Anruf bei den Bullen.

Sollte doch jemand anders die Leiche finden, oder vorzugsweise auch nicht.

Lucas stieg aus dem Wagen und umrundete das Fahrzeug langsam. Der Mercedes war von oben bis unten vollgespritzt mit Schlamm, und wenn jemand ihn so nach Hause kommen sah, fiel es garantiert auf.

In der Nähe gab es eine Pfütze. Lucas drückte sein Taschentuch darin aus und versuchte den Dreck abzuwaschen, doch das machte es nur noch schlimmer. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass ihn niemand sah. Seine Bemühungen, die Schuhe zu säubern, verliefen gleichermaßen erfolglos.

Schließlich gab er auf und warf einen Blick auf seine Uhr. Er hatte fast zwanzig Minuten verschwendet! War das möglich?

Jemand hätte vorbeikommen können und beobachten, wie er sich zum Narren machte, indem er versuchte, seinen Wagen mit einem Taschentuch zu waschen.

In diesem Moment fing es wieder an zu regnen. Dicke Tropfen landeten platschend auf der Windschutzscheibe und in seinem Gesicht. Gleich würde es wieder schütten. Er würde von hier verschwinden. Nach Hause fahren. Der Mercedes musste warten. Er würde ihn später waschen und die Spuren von dieser elenden Farm beseitigen.

Während er davonfuhr, sinnierte er, dass dieses unwillkommene Abenteuer seine Vorbehalte gegen das Land bestätigt hatte. Es hielt immer die eine oder andere hässliche Überraschung parat. Und wenn es keine Kühe waren, dann waren es Tote.

Kapitel 2

Der Landrover mit dem leeren Pferdeanhänger ratterte an dem Schild mit der Aufschrift Berryhill Stables, Livery and Equestrian Centre. Inh. P. Gower vorbei. Gleich hinter dem Wegweiser zum Reitstall bog das Gespann von der Straße ab und setzte seine Fahrt über einen unbefestigten Schotterweg fort, bis es mitten auf dem Hof zum Halten kam.

Die Stallboxen standen sich in zwei parallelen Reihen gegenüber. Der Wassertrog war eine alte Emaillebadewanne. Penny (alias P. Gower) und ihre verfügbaren Helfer gaben sich alle erdenkliche Mühe, das Gehöft sauber zu halten, doch es hätte nicht schaden können, dachte sie melancholisch, wenn alles ein wenig schicker gewesen wäre. Die Leute waren durchaus bereit, mehr Geld zu bezahlen, wenn ihre Tiere in einem »richtigen« Stall standen, in einer gemauerten Box, und wenn man einen überdachten Reitplatz anzubieten hatte und … na ja.

Penny seufzte. Träume waren schön und gut, aber sie kosteten Geld. Man musste investieren, um Profit zu machen, sagten die Leute jedenfalls immer wieder. Doch man kann nicht investieren, was man nicht hat. Abgesehen davon war sie zufrieden mit dem, was sie erreicht hatte. Der Hof mochte nicht der schickste sein, doch als sie ihn gekauft hatte, war er eine verfallene Ruine gewesen. Sie hatte hier wahre Wunder vollbracht. Leider war das nur wenigen Besuchern bewusst.

Beim Geräusch von Pennys Ankunft erschienen ein oder zwei neugierige Köpfe mit gespitzten Ohren über den Halbtüren, doch Solo, einst der Erste, der das vertraute Geräusch des Motors identifiziert und ihr einen gewieherten Gruß zugeworfen hätte, tauchte nicht auf.

Der Reitstall hatte Besucher. Es waren zwei Fahrzeuge. Eins parkte neben dem »Büro«, das andere unten beim Tor zur Koppel. Der Wagen neben dem Büro, ein dunkelblauer Passat, gehörte Andrew Ferris. Der matschbespritzte ältere Jaguar bei der Koppel war ihr ebenfalls bekannt; er gehörte Selina Foscott. Das hatte Penny gerade noch gefehlt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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