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Ein gesellschaftskritischer Roman in dem die impertinente und törichte Lebedame Susi durch eine klassische Intrige die Oberhand über den sie liebenden Baron Astolf gewinnt.
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Seitenzahl: 284
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Susi
Friedrich Spielhagen
Inhalt:
Friedrich Spielhagen – Biografie und Bibliografie
Susi
Erster Band.
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
Zweiter Band.
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Susi, F. Spielhagen
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849636449
www.jazzybee-verlag.de
Romanschriftsteller, geb. 24. Febr. 1829 in Magdeburg als Sohn eines preußischen Regierungsrates, verbrachte sein Jugend in Stralsund (ein großer Teil seiner späteren Romane spielt an diesem Teile der Ostseeküste und auf der Insel Rügen), absolvierte hier das Gymnasium, studierte von 1847 an anfangs die Rechte, dann Philologie und Philosophie in Berlin, Bonn und Greifswald, war einige Zeit als Lehrer tätig, widmete sich aber bald ausschließlich der Literatur. Neben Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen, von denen wir die »Amerikanischen Gedichte« (Leipz. 1856, 3. Aufl. 1871) nennen, veröffentlichte er schon in Leipzig die Novelle »Klara Vere« (Hannov. 1857) und das Idyll »Auf der Düne« (das. 1858), die jedoch nur geringe Beachtung fanden. Eine um so glänzendere Aufnahme fand der erste größere Roman Spielhagens: »Problematische Naturen« (Berl. 1860, 4 Bde.; 22. Aufl., Leipz. 1900), mit seiner abschließenden Fortsetzung: »Durch Nacht zum Licht« (Berl. 1861, 4 Bde.). Dieser Roman gehörte durch Lebendigkeit des Kolorits und eine in den meisten Partien künstlerisch ansprechende Darstellung zu den besten deutschen Romanen seiner Zeit. S. war inzwischen 1859 von Leipzig nach Hannover und Ende 1862 nach Berlin übergesiedelt, wo er kurze Zeit die »Deutsche Wochenschrift« und das Dunckersche »Sonntagsblatt« redigierte. Auch von der Herausgabe von Westermanns »Illustrierten deutschen Monatsheften«, die er 1878 übernommen, trat er 1884 wieder zurück. Sein zweiter großer Roman: »Die von Hohenstein« (Berl. 1863, 4 Bde.), der die revolutionäre Bewegung von 1848 zum Hintergrund hatte, eröffnete eine Reihe von Romanen, welche die Bewegungen der Zeit zu spiegeln unternahmen. War hierdurch ein gewisses Übergewicht des tendenziösen Elements gegenüber dem poetischen unvermeidlich, und standen die Romane: »In Reih' und Glied« (Berl. 1866, 5 Bde.) und »Allzeit voran!« (das. 1872, 3 Bde.) wie die Novelle »Ultimo« (Leipz. 1873) allzu stark unter der Herrschaft momentan in der preußischen Hauptstadt herrschender Interessen, so erwiesen andre freiere Schöpfungen den Gehalt, die Lebensfülle und die künstlerische Gewandtheit des Verfassers. Neben der Novelle »In der zwölften Stunde« (Berl. 1862), den unbedeutenderen: »Röschen vom Hofe« (Leipz. 1864), »Unter Tannen« (Berl. 1867), »Die Dorfkokette« (Schwerin 1868), »Deutsche Pioniere« (Berl. 1870), »Das Skelett im Hause« (Leipz. 1878) und den Reiseskizzen: »Von Neapel bis Syrakus« (das. 1878) schuf S., unabhängiger von den momentanen Tagesereignissen oder sie nur in ihren großen, allgemein empfundenen Wirkungen auf das deutsche Leben darstellend, die Romane: »Hammer und Amboß« (Schwer. 1868, 5 Bde.), »Was die Schwalbe sang« (Leipz. 1872, 2 Bde.) und »Sturmflut« (das. 1876, 3 Bde.), ein Werk, worin der Dichter, besonders im ersten und letzten Teile, auf der vollen Höhe seiner Darstellungskunst steht, und worin er in glücklicher Symbolik das Elementarereignis der Ostseesturmflut mit der wirtschaftlichen Sturmflut 1873 im Zusammenhange erzählt; den Roman »Platt Land« (das. 1878, 3 Bde.), die seine, nur etwas allzusehr zugespitzte Novelle »Quisisana« (das. 1879) sowie die Romane: »Angela« (das. 1881, 2 Bde.), »Uhlenhans« (das. 1884, 2 Bde.), »An der Heilquelle« (das. 1885), »Was will das werden« (das. 1886, 3 Bde.), »Noblesse oblige« (das. 1888), »Ein neuer Pharao« (das. 1889), »Sonntagskind« (das. 1893, 3 Bde.), »Susi« (Stuttg. 1895), »Zum Zeitvertreib« (Leipz. 1897), »Faustulus« (das. 1898), »Opfer« (das. 1900), »Frei geboren« (das. 1900), »Stumme des Himmels« (1903). Eine Abnahme der dichterischen Kraft Spielhagens ist seit der »Sturmflut« nicht zu verkennen; seine Darstellungsweise geriet immer mehr in den Stil des in sich selbst eingesponnenen Reflektierens, statt des einfach konkreten Gestaltens. Auch kam S. über den Standpunkt des liberalen Achtundvierzigers und des Liberalen aus der Konfliktszeit nicht mehr recht hinaus, und der große Meister der Zeitschilderung verstand nicht mehr den »neuen Pharao«. Nur in den kleineren Werken: »Deutsche Pioniere« und »Noblesse oblige«, streifte S. vorübergehend das Gebiet des historischen Romans. Mit dem nach einer eignen Novelle (Berl. 1868) bearbeiteten und an mehreren Theatern erfolgreich aufgeführten Schauspiel »Hans und Grete« (das. 1876) wendete er sich auch der Bühne zu. Größern Erfolg hatte das Schauspiel »Liebe für Liebe« (Leipz. 1875), in dem die Kritik neben novellistischen Episoden einen wahrhaft dramatischen Kern anerkannte. Außerdem brachte er die Schauspiele: »Gerettet« (Leipz. 1884), »Die Philosophin« (das. 1887) und »In eiserner Zeit«, Trauerspiel (das. 1891). Von S. erschienen ferner: »Vermischte Schriften« (Berl. 1863–68, 2 Bde.), »Aus meinem Skizzenbuch« (Leipz. 1874), »Skizzen, Geschichten und Gedichte« (das. 1881), »Beiträge zur Theorie und Technik des Romans« (das. 1883), »Aus meiner Studienmappe« (Berl. 1891), »Neue Beiträge zur Theorie und Technik der Epik und Dramatik« (Leipz. 1898), »Am Wege«, vermischte Schriften (das. 1903) und eine Sammlung seiner formschönen »Gedichte« (das. 1892) und »Neuen Gedichte« (das. 1899). Die letzte Ausgabe seiner »Sämtlichen Romane«, die alle zahlreiche Auflagen erlebten, erschien in 29 Bänden (Leipz. 1896 ff.). S. schrieb auch seine Selbstbiographie: »Finder und Erfinder, Erinnerungen aus meinem Leben« (Leipz. 1890, 2 Bde.), die aber wesentlich nur die innere und äußere Entstehungsgeschichte seiner »Problematischen Naturen« erzählt. Vgl. Karpeles, Friedrich S. (Leipz. 1889), und die Festschrift zu Spielhagens 70. Geburtstag: »Friedrich S.« (das. 1899).
Eine Hofgeschichte
Nach der Meinung der beiden aufwartenden Diener war die Tafel seit mindestens zehn Minuten zu Ende. Friedrich, der das Dessert herumgereicht hatte, stand mit müßigen Händen da; Johann spähte vergebens nach einem leeren Glase und wiegte sich in der Hoffnung, die kaum angeschänkte Flasche Röderer, die er am Henkel hielt, in die Küche retten zu können.
»Wir sitzen Ihnen zu lange, gnädige Frau,« flüsterte der Kammerherr von Brenken, der zu Susis Rechten saß. »Ich sehe es Ihnen an.«
»Ich mag die Leute nicht, die mir alles ansehen,« antwortete Susi in demselben leisen Ton. »Uebrigens haben Sie diesmal ausnahmsweise recht. Aber Astolf –«
»Wenn Sie ihm einen Wink gäben!«
»Als ob er auf Winke reagierte! Ich winke schon seit einer Viertelstunde. Und dabei hat er Ihren reizenden Toast noch nicht einmal erwidert!«
»Sie beschämen mich, gnädige Frau! Reizenden Toast! Lieber Gott! nicht annähernd, nicht im entferntesten so reizend wie sie, der ich ihn brachte.«
Susi errötete bis in die kleinen Ohren.
»Sie müssen so nicht reden,« erwiderte sie mit einem Schmollen, das ihr allerliebst stand; »Sie wissen, ich mag das nicht. Aber Astolf ist wirklich unerträglich. Haben Sie einen Bleistift, Herr von Brenken?«
Odo griff in die Brusttasche seines Fracks und produzierte ein Visitenkartentäschchen, dessen Silberstift er der Dame reichte.
Sie schrieb hastig auf die Rückseite ihrer Tischkarte ein paar Worte und winkte Friedrich herbei. Im nächsten Moment war Friedrich hinter den Stuhl seines Herrn getreten.
»Herr Baron –«
»Was soll's?«
Astolf warf einen Blick auf das Kärtchen, das der Diener neben seinen Dessertteller auf den Tisch gelegt hatte. Er schlug sich vor die Stirn, suchte vergebens die Augen Susis, die bereits wieder mit Brenken sprach, lachte ein kurzes verlegenes Lachen, räusperte sich verstohlen, hob seine große Gestalt vom Stuhl auf, klingte an das Glas und sagte:
»Meine Damen und Herren! Sie haben es sich selber zuzuschreiben – insonderheit unsre verehrte Excellenz von Bartenstein zu meiner Rechten und unser liebes Fräulein von Merbach zu meiner Linken – wenn ihm, der das Glück hat, Sie an seiner Tafel zu sehen, eher das Gewissen als die Stunde schlägt; und ihm auch nicht einmal das Gewissen schlagen würde, wäre es ihm nicht durch sie geweckt worden, die ihm der liebe Gott eigens zu dem Zwecke zur Gesellin gab. Hier halte ich in meiner großen Faust ein Kärtchen, auf welchem auf dem Avers: ›Die Wirtin‹ und auf dem Revers von einer zierlichsten, kleinsten, weißesten Hand in kaum entzifferbaren Lettern, die mir trotzdem wie Flammenschrift in die Seele brennen, geschrieben steht: ›Willst du nicht endlich unsre Gäste leben lassen?‹ Meine Damen und Herren, wenn ich es recht bedenke: eine gar nicht aufzuwerfende Frage! Ob ich Sie leben lassen will? Ja, wie arm wäre mein eigen Leben, würde es nicht durch Ihr Mitleben so herrlich bereichert und verschönert? Wahrlich, ich bin nicht undankbar gegen die Segnungen, mit denen der Himmel mich begnadigt hat. Im Gegenteil! ich danke Gott täglich aus vollem Herzen dafür, daß er mich hier sitzen läßt auf einer Scholle, auf der meine Vorfahren schon vor dreihundert Jahren saßen; daß er mir gegen mein Verdienst und Würdigkeit ein solches Weib beschert und unsern Bund mit einem Töchterlein gesegnet hat, dessen ersten, heute wiederkehrenden Geburtstag Sie mit den glücklichen Eltern zu feiern gekommen sind. Dennoch verstehe ich Wallensteins schönes Wort: ›Ueber alles Glück geht doch der Freund, der's fühlend erst erschafft, der's teilend mehrt!‹ Meine Damen und Herren! Ich müßte Sie nun bitten, Ihre Gläser auf Ihr eigenes Wohl zu leeren. Das wäre kein Unglück. Warum sollte man – besonders wenn man ein Deutscher ist – nicht gelegentlich einmal auf seine eigene Gesundheit trinken! Aber ich weiß, mehr Freude macht es Ihnen doch, und fröhlicher werden die Gläser zusammenklingen, wenn ich meine Dankbarkeit gegen die Freunde zusammenfasse in dem Namen dessen, den Freund zu nennen mir die Ehrfurcht verbietet, und der es mir doch in der idealsten Bedeutung des Wortes Zeit meines Lebens gewesen ist. Und der auch heute, wie er selbst die Gnade gehabt hat, mir zu depeschieren, in unsrer Mitte sein würde, hätte er der Einladung an den benachbarten Hof nicht Folge leisten müssen. Meine verehrten Freunde, auf das Wohl seiner Hoheit, unsres gnädigen geliebten Herzogs und Herrn!«
Bereits bei den Worten »im Namen dessen« hatte sich die verständnisvolle Gesellschaft von ihren Sitzen erhoben und stimmte nun diskret in das dreimalige Hoch ein, das Astolf mit seiner lauten Stimme in den Saal schmetterte. Er blickte ein wenig verwundert drein, als die Herrschaften nicht wieder Platz nahmen, sondern dem Beispiel der schönen Wirtin folgten, welche den Arm ihres Kavaliers, des Oberhofmarschalls, genommen hatte und von der Tafel zurückgetreten war.
»Schade!« sagte Astolf, während er seine Dame aus dem Speisesaal in den Salon führte; »wir saßen noch so nett beisammen!«
»Volle anderthalb Stunden, lieber Baron,« erwiderte Excellenz von Bartenstein. »Zu viel für ein so zartes Wesen, wie unsre liebe Susi. Ich habe es ihr angesehen.«
Astolf teilte mit einer gewissen Hast rechts und links seine Händedrücke und sein »gesegnete Mahlzeit!« aus. Er hatte es so eilig zu Susi zu kommen. Endlich war er bei ihr und streckte ihr beide Hände weit entgegen:
»Gesegnete Mahlzeit, liebste Susi!«
»Aber Astolf!« flüsterte Susi errötend.
Es hatte wirklich ausgesehen, als ob er sie vor der Gesellschaft umarmen wollte, und sie hatte das satirische Lächeln in den matten, immer halbverschleierten Augen von Brenkens, der nahe dabeistand, wohl bemerkt.
»Freilich!« murmelte Astolf, die geliebte Hand, die er nur an den Spitzen der zarten Finger hatte ergreifen dürfen, wieder fallen lassend.
Die alte Geschichte! Er war und blieb der plumpe Bär, der in dem Ausdruck seiner Empfindungen nicht Maß zu halten wußte, und damit anstieß, wie mit seinen großen Gliedmaßen, für die er selten den rechten Platz fand.
»Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Speech,« sagte von Brenken herantretend. »Hat er nicht brillant gesprochen, gnädige Frau?«
»Spricht er denn jemals anders?« sagte Susi, die großen dunkelblauen Augen, wie in zärtlicher Bewunderung, zu ihrem Gatten erhebend.
»O, du – du –« murmelte Astolf.
Und nun hätte er wirklich die ungeheure Unschicklichkeit begangen und die holde Gestalt an seine Brust gezogen, wenn in diesem Augenblick nicht Friedrich mit dem Kaffeebrett und Johann mit den Likören auf der Tablette zwischen sie getreten wäre.
Die Herrschaften schoben sich, die Tassen in den Händen, plaudernd durcheinander; wie immer war der Herzog das Hauptthema der Unterhaltung. Wie schade, daß er gestern abend zur Jagd hatte fahren müssen! Und er ging immer so ungern an den Nachbarhof, dessen steife Etikette ihm ein Greuel war! Ja, wenn es mit der Etikette gethan wäre! Aber die Geschichten, die da passieren! Jetzt wieder die Affaire mit der Komtesse – Gnädigste, ich schweige ja schon, obgleich ich es aus dem Munde unsres gnädigsten Herrn selber habe! Was ich sagen wollte: Hoheit mußten diesmal hinüber, weil Prinz August drüben ist und, wie die Dinge nun einmal liegen, es in Berlin sehr übel bemerkt wäre, hätte Hoheit sich entschuldigen lassen. – Und wie zartfühlend von ihm, den trip beinahe ohne Gefolge zu machen, bloß mit Breitenbach und Nöda, weil sie nicht zu den Intimen unsrer lieben Wirte gehören und also gewissermaßen bei einem Familienfeste abkömmlich waren. – Ja, Hoheit ist stets die Delikatesse selbst! – Und dann, gnädigste Gräfin, vergessen wir nicht: ein Jugendfreund, wie unser Vachta, hat bei Hoheit noch immer einen Stein im Brette vor uns voraus. – Den Sie ihm doch nicht mißgönnen werden, cher Baron? – Ums Himmelswillen! den ich so begreiflich, so völlig in der Ordnung finde! – Ach! sieh da!
Die Flügelthür nach dem Hausflur hatte sich aufgethan und unter dem Vortritt einer behäbigen Matrone in großer weißer Haube war eine hübsche junge Altenburger Bäuerin erschienen, die in ihren kräftigen nackten Armen eine große Wolke Spitzen trug, in welcher man, wenn man genau zusah, ein kleines blondes Kinderköpfchen entdecken mochte. Die Damen drängten sich herzu: Wie entzückend! – Nein, zu süß! – Der Mama wie aus den Augen geschnitten! Finden Sie nicht? – Ich meine, um das Mündchen herum hat es einen Zug von dem Papa. – Aber keine Spur!
»Meine Damen, ich werde Ihnen die Vergleichung erleichtern,« rief Astolf, der Amme die Spitzenwolke abnehmend und sie in seinen eigenen mächtigen Armen triumphierend herumzeigend.
»Um Gotteswillen, er wird es doch nicht fallen lassen,« sagte Fräulein Merbach angstvoll zu Susi. »Fürchten Sie sich wirklich nicht?«
»Ich fürchte mich nie,« erwiderte Susi lächelnd.
»Das ist wahr. So zart Sie sind. Sie haben erstaunlich starke Nerven. Ich muß Sie immer wieder deshalb bewundern.«
»Aber Astolf, nun ist es genug!«
Susi hatte Frau Poltrok einen Wink gegeben; Frau Poltrok das Baby Astolf, der eben mit ihm in dem Nebenraum verschwinden wollte, abgenommen, es der Amme wieder in die Arme gedrückt und verließ stolz, wie sie gekommen, mit dem ihrer Obhut anvertrauten Schatz den Salon.
»Nun haben Sie das Beste versäumt,« sagte Astolf, zu dem Lieutenant von Rörlach und dem Maler Fritz Sommer tretend, die in dem Nebenraume die große Scene verplaudert hatten. »Ich wollte es Ihnen eben bringen, aber die Weiber haben es mir konfisziert – Baby nämlich.«
»O, wie schade!« rief der Lieutenant.
»Na, dann ein andermal!« sagte Astolf, und sich zu dem Künstler wendend:
»Ich habe Sie noch gar nicht gefragt: fleckt's mit Ihrem Porträt von Hoheit?«
»Das ist eine ver– eine schwierige Sache,« erwiderte der Maler. »Malen Sie mal jemand, den Sie nicht zum Sitzen kriegen!«
»Hoheit ist so viel in Anspruch genommen,« meinte der Lieutenant entschuldigend.
»I, er hätte schon Zeit,« sagte der Maler. »Er hat auch im Anfang zweimal wirklich jedesmal eine halbe Stunde ausgehalten. Dann hat er die Sache satt gehabt; und wenn ich ihn jetzt einmal auf zehn Minuten zum Sitzen bringe, kann ich von Glück sagen. Na, acht Tage will ich die Geschichte noch mit ansehen. Dann heißt es: sauve qui peut!«
»Der Herzog läßt Sie nicht weg,« sagte der Lieutenant.
»So brenne ich durch. In meinem Atelier in Karlsruhe stehen zwei angefangene Bilder, die ich für Wien fertig haben muß. Da beißt kein Mäuslein ein Fädlein ab.«
»Haben Sie die Skizze meiner Frau von Lenbach schon gesehen?« fragte Astolf, dem die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, peinlich war.
»Von Lenbach?« rief Sommer erstaunt, »Der Tausend, wie kommen Sie denn dazu?«
»Wir waren auf unsrer Hochzeitsreise in vorvorigem Herbst eine Woche in München, Ich kannte Lenbach von früher. Meine Frau sollte ihm durchaus sitzen.«
»Das will ich glauben,« sagte der Maler lächelnd, »Na, lassen Sie doch einmal sehen!«
»Darf ich mich anschließen?« fragte, herantretend, Fräulein von Merbach.
»Sie kennen es ja bereits. Gnädigste,«
»Das kann man nicht oft genug bewundern.«
Ein paar andre Gäste hatten sich hinzugesellt.
»Ich muß die Herrschaften dann aber die enge Hühnersteige in mein Arbeitszimmer hinaufführen,« sagte Astolf.
»Eine große Ehre!« rief der Oberjägermeister von Feuchtleben. – »Sie müssen nämlich wissen, da hat er auch die reizenden Zeichnungen und Skizzen der gnädigen Frau aufgestellt; und die hütet er argwöhnisch vor jedermann, wie ein Drache seine Schätze.«
»Das ist ja interessant,« sagte der Maler.
»Sie werden anders denken, wenn Sie sie gesehen haben,« sagte Susi, die in der Thür erschienen war.
»Was gilt die Wette, gnädige Frau?«
»Ich wette nie, wenn ich sicher weiß, daß ich gewinnen muß. Astolf, konntest du unsre Gäste nicht damit verschonen?«
»Aber Susi! Nicht wahr, Herr Sommer, Raphaels verlangen Sie von meiner Frau nicht?«
»Wer verlangt jetzt noch nach Raphaels?« erwiderte der Maler, spöttisch lächelnd. »Ich hoffe, die gnädige Frau schwört zum plain air,«
»Na, versteht sich,« rief Astolf mit seinem breiten herzlichen Lachen, »Großartig, sage ich Ihnen! Komm doch mit, Susi! Kannst dann gleich hören, was Herr Sommer sagt,«
»Ich denke, es ist besser, ich höre es weder gleich, noch später,« erwiderte Susi anmutig lächelnd und hinter der Portiere in dem Salon verschwindend, während Astolf die Gesellschaft in sein Arbeitszimmer hinaufführte, einen großen Kandelaber mit brennenden Kerzen in der Hand für den Fall, daß die Lampen, welche Friedrich auf sein Geheiß oben angezündet hatte, nicht die gebührende Helligkeit verbreiten sollten.
Der Salon war ganz verlassen; nur Herr von Brenken lehnte mit übereinander geschlagenen Armen an einem Pfosten der offenen Balkonthür. Susi stellte sich an den andern. Brenken ließ die Arme sinken.
»Nun, gnädige Frau, Sie wollen nicht Zeugin Ihres Triumphes sein?«
»Der gute Astolf! Einem Kenner, wie Herrn Sommer, meine Stümpereien zu zeigen! Und bei künstlichem Licht sind die Sachen vollends unmöglich.«
»Offen gestanden, gnädige Frau, ich ziehe auch das Mondlicht vor, wenigstens in diesem Augenblicke. Sehen Sie, wie träumerisch es da drüben auf dem Hügelrücken liegt! Und wie scharf die schwarzen Silhouetten der Bäume sich von dem hellen Hintergrunde abheben! Und dazu das dumpfe Rauschen des Baches! Es ist göttlich.«
»Wissen Sie, Brenken, Sie sind niemals komischer als wenn Sie sentimental werden?«
»Niemals komischer? Also bin ich es auch sonst manchmal in Ihren schönen Augen?«
»Manchmal?«
»Wollen Sie durchaus, daß ich mich hier vom Balkon herabstürze?«
»Was hätten Sie davon?«
»Freilich, ob ich lebe oder tot bin – für Sie ist es gleichgültig. Und das der Lohn für meine Anbetung!«
»Sie haben mir gesagt: alle Männer beteten mich an.«
»Die reine Wahrheit!«
»Dann können Sie doch aber nicht verlangen, daß die Anbetung eines Einzelnen mir besonders imponiert.«
»Es käme vielleicht nur darauf an, wer der betreffende Einzelne ist.«
»Sie werden indiskret, lieber Brenken,«
»Kann ich gar nicht, gnädige Frau; ich bin die Diskretion selbst.«
»Das ist vielleicht zu viel behauptet. Immerhin kann ich Ihnen zugeben. Sie sind diskreter als die meisten. Sie hätten, glaube ich, einen vortrefflichen Ehemann abgegeben.«
»Ja, ich habe meinen Beruf kläglich verfehlt. Wie Sie, gnädige Frau, den Ihren, als Sie heirateten.«
»Jetzt werden Sie impertinent.«
»Gnädige Frau, ich wiederhole nur die Worte, die ich – wann war es doch? richtig, vorgestern abend aus einem erlauchten Munde hörte.«
»Und was glauben Sie, daß der erlauchte Mund damit hat sagen wollen?«
»Ja, gnädige Frau, da fragen Sie mich zu viel. Vielleicht daß Sie viel, viel zu schön sind, um nicht in den Herzen aller, die in Ihre Nähe kommen, eine wilde Leidenschaft zu entflammen, und so für den einen, den Sie beglückt haben, tausend Unglückliche zu machen.«
»Zu denen auch der – eh bien! der Herzog gehört?«
»In allererster Linie.«
»Und Ihre Diskretion, die ich noch eben rühmte?«
»Geheimnisse, die sich selbst verraten, verrät man nicht.«
»Herr von Brenken, Sie vergessen – scheinen wenigstens zu vergessen: ich bin eine tugendhafte Frau.«
»Mein Gott, Gnädigste, was hat das mit der Tugend zu thun? Schlechterdings gar nichts. Alle Welt weiß, daß Sie Ihren Gemahl lieben, wie er es verdient. Er ist in diesem Reiche der Herr; wir andern alle sind nur Vasallen. Eine Königin muß viele haben, das bringt ihre Würde so mit sich. Wenn sich unter die Schar ein Herzog mischt – warum nicht? Vasall ist und bleibt Vasall.«
»Wenn Sie es so nehmen!«
»Wie sollte ich anders!«
»Und der Herzog es so nimmt!«
»Davon bin ich –«
Brenken konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Friedrich war vom Flur her in den Salon gestürzt gekommen, atemlos rufend:
»Hoheit, der Herzog sind eben vorgefahren!«
Brenken verfärbte sich; Susi sah mit einem Blick, daß er es nicht gewußt hatte. Auch sie war sehr rot und dann ebenso blaß geworden; aber ihre Stimme klang vollkommen ruhig:
»Laufen Sie, Friedrich, und melden Sie es dem Herrn! Und Sie, lieber Brenken, bitte, gehen Sie ihm schnell entgegen und erklären Sie die Situation!«
Friedrich und der Kavalier waren nach zwei Seiten davongerannt. Susis erste Bewegung, als sie sich ganz allein fand, war, nach dem Pfeilerspiegel in der Ecke des Salons zu eilen; aber dazu blieb keine Zeit: Brenken mußte dem Herzog bereits auf der Treppe begegnet sein; schon vernahm sie die wohlbekannte, laute, etwas schnarrende Stimme. So trat sie denn nur ein paar Schritte nach der Thür zu, weg von dem Kronleuchter, unter dem sie gestanden hatte: ein grelles Licht, das von oben fällt, wirft immer so häßliche Schatten über das Gesicht. Ihr Busen hob sich einmal hoch unter dem weißen Spitzenkleide. Dann stand sie ruhig da, die großen Augen mit ihrem glänzendsten Blick auf die Thür gerichtet, ein Lächeln auf den erwartungsvoll halbgeöffneten Lippen. So sollte er sie sehen.
Und so sah er sie, als Brenken jetzt die Thür vor ihm aufgerissen hatte. Einen Moment zögerte er auf der Schwelle – ganz unwillkürlich: sie war so zauberhaft schön! tausendmal schöner noch als das Bild von ihr, das ihm seine Phantasie auf dem langen Wege hierher beständig vorgegaukelt! Dann kam er auf sie, die ihm langsam entgegenging, mit raschen Schritten zu, die Hand der sich tief Verbeugenden fast heftig ergreifend und an seine Lippen führend.
»Verzeihen Sie, meine gnädigste Frau, daß ich wie Nikodemus in der Nacht komme! C'était plus fort que moi. Wollte Ihnen zu dem schönen Tage doch auch meine persönlichen Glückwünsche unterthänigst darbringen. Nehmen Sie, bitte, freundlich dies für die kleine Alix entgegen! Sie soll es tragen, wenn sie einmal die große Alix ist.« Er hatte bei den letzten Worten ein Etui produziert und geöffnet. Ein wundervolles Brillantkreuz an einem zarten goldnen Kettchen funkelte darin.
»Hoheit,« begann Susi, das Etui entgegennehmend; aber der Herzog ließ sie nicht weiter sprechen.
»Und diese bescheidene Blume für Sie,« fuhr er fort, eine blaßrosa prächtige Nelke aus dem Knopfloch seines Fracks lösend und ihr überreichend. »Ich habe sie selber drüben aus einem Gewächshaus abgeschnitten und sie den Weg hierher wie meinen Augapfel behütet. Na, und da sind ja denn auch die andern Herrschaften!«
Sie hatten es, als Friedrich mit der aufregenden Meldung kam, eilig genug gehabt; aber die enge Treppe war nicht so schnell zu passieren gewesen, und die längere Flucht der Gemächer wollte auch durchschritten sein. Astolf, immer drei Stufen der Treppe auf einmal nehmend, war ihnen auf seinen langen Beinen um ein Beträchtliches vorausgeeilt. Sein gutes Gesicht strahlte vor Glück, als er jetzt auf seinen Herzog zustürzte, der ihm die Hand weit entgegenstreckte.
»Nun, mein Alter, gelt, das ist eine Ueberraschung! – Sieh da, unsre verehrte Gräfin! Immer alert! Wahrhaftig, Sie beschämen unsre jungen Damen! – Na, lieber Feuchtleben, ein wahres Glück, daß Sie nicht mit drüben waren. Ein eingelapptes Treiben, wie ich es noch nie gesehen habe: lucus a non lucendo. Prinz August – Sie kennen ihn ja: er pflegt kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Dafür ist er denn heute nach dem Dejeuner abgedampft, anstatt bis morgen zu bleiben. Gott sei Dank, so durfte sich denn meine Wenigkeit auch eklipsieren. Ja, meine Herrschaften, Sie sehen mich hier, wie ich von der Frühstückstafel drüben aufgestanden, in den Extrazug gesprungen bin, aus dem Zug in den Wagen und me voilà – ohne Hexerei – pure Geschwindigkeit, beflügelt durch den Wunsch, unsrer lieben Wirtin persönlich zu sagen, welch herzlichen Anteil ich an ihrem Glücke nehme. Und nun bitte ich die Herrschaften, sich meinetwegen nicht weiter zu derangieren. Ich muß sonst annehmen, daß ich als Störenfried gekommen bin.«
Der Herzog machte, sich leicht verneigend, eine Handbewegung gegen die Gesellschaft, die in einem Halbkreise um ihn herumgestanden hatte, und schritt auf den Kamin zu, in welchem – nur der Form wegen, denn der Oktoberabend war fast sommerwarm – ein Feuer aus Fichtenscheiten flackerte. Astolf, der ihm gefolgt war, rückte einen Fauteuil zurecht; Susi hatte Johann, der mit einem Theebrett an der Thür stand, eine Tasse abgenommen, die sie ihm nun darbot:
»Danke, danke, meine gnädigste Frau! Unter der Bedingung, daß ich Sie für eine Minute der Gesellschaft entziehen darf, um Ihnen eine Bitte vortragen zu können. Du mußt hier bleiben, Astolf; die Sache geht dich auch an, und sogar sehr. Also hören Sie!«
Susi hatte sich neben den Herzog in einen zweiten Fauteuil gesetzt; Astolf stand auf der andern Seite, seine große Gestalt herabbeugend, damit ihm keines von des Herren leise gesprochenen Worten entgehen möchte:
»Die Sache ist die: Sie wissen, gnädigste Frau, ich lasse mich für die Herzogin zu ihrem Geburtstage am fünfzehnten nächsten Monats malen. Ganz unter uns: ich bin mit Sommers Bild sehr wenig zufrieden, die Herzogin noch weniger, obgleich ich gerade auf ihren Wunsch den jungen Mann habe kommen lassen. Er kann keine Männerköpfe malen; es gelingen ihm nur weibliche Porträts, – meint jetzt auch die Herzogin. Nun weiß ich, gnädigste Frau, daß sie sich schon lange gerade ein Bild von Ihnen wünscht. Wie wäre es, wenn wir ihr damit ein Geburtstagsgeschenk machten? Ich gebe Ihnen mein Wort: ein lieberes könnte ihr nicht gemacht werden.«
Susi hatte mit gesenkten Augen dagesessen; jetzt hob sie die langen seidenen Wimpern und blickte an dem Herzog vorbei zu ihrem Gatten auf.
»Nun, Astolf?« sagte der Herzog.
»Aber, Hoheit,« murmelte Astolf, »wie könnte ich – wie könnten wir anders als für eine so hohe Gnade dankbar sein. Es ist nur –«
»Astolf muß morgen auf vierzehn Tage verreisen,« fiel Susi ein. »Mein Papa hat ihn so dringend gebeten; Astolf hat nur noch Babys Geburtstag abgewartet. Und ich müßte doch wohl währenddessen in der Stadt sein. Und unser Stadthaus –«
»Wir wollten erst nach meiner Rückkehr übersiedeln,« sekundierte Astolf. »Und –«
»Nun ist guter Rat teuer,« sagte der Herzog lächelnd. »Aber liebe – Verzeihung, gnädige Frau! ich hätte beinahe: liebe Kinder gesagt – die Sache ist doch seltsam einfach. So ist die gnädige Frau währenddessen der werte Gast der Herzogin auf dem Schloß.«
»Wenn die Frau Herzogin die Gnade haben wollte,« sagte Susi.
»Also abgemacht!« rief der Herzog.
»Und Baby?« schwebte auf Astolfs Zunge. Aber Susi hatte sich dieselbe Frage doch gewiß auch eben in dem Moment vorgelegt und, so oder so, eine befriedigende Antwort darauf gefunden. Es war Susis Ressort. Wenn sie fand, daß es sich machen ließ, durfte er doch nichts dagegen haben. Dennoch, leicht war es ihm nicht ums Herz, und da fiel ihm ein, was der Maler vorhin gesagt hatte: er wolle es höchstens nur noch acht Tage mit ansehen.
»Wenn ich Herrn Sommer vorhin recht verstanden habe,« begann er, »ist seine Zeit so kurz bemessen, daß er eben nur noch mit dem Porträt von Hoheit fertig zu werden hoffen kann.«
»Ei, das wäre!« sagte der Herzog, sich im Fauteuil aufrichtend. »Das wollen mir doch gleich mal in Ordnung bringen. Bitte, Astolf, schicke mir den jungen Mann her! Sie, gnädige Frau, müssen hier bleiben und mir den Durchgänger festhalten helfen.«
In dem Moment, als Astolf sich gewandt hatte, Herrn Sommer herbeizuholen, den er in der fernsten Ecke des Salons mit Fräulein von Merbach sprechen sah, neigte sich der Herzog ein wenig zu Susi und flüsterte, während seine glühenden Blicke die holde Gestalt verzehren zu wollen schienen:
»Wollen Sie mir wirklich meine Bitte gewähren?«
»Von Herzen, Hoheit,« sagte Susi ebenso leise, die Wimpern langsam hebend und seinem Blick standhaltend.
»Das ist ein liebes, liebes Wort, für das ich Ihnen tausendmal die kleinen Hände küsse. Ach, gnädige Frau, Sie wissen. Sie ahnen ja gar nicht, wie unsäglich –«
Er konnte nicht weiter sprechen, da er die Kommenden unmittelbar hinter sich hörte. Langsam wandte er den Kopf.
»Ah, sieh da unser großer Künstler, mit dem ich ein kleines Hühnchen zu pflücken habe! Bitte, lieber Sommer, setzen Sie sich! Und du, lieber Astolf, entschuldige mich noch für einen Augenblick bei deiner Gesellschaft.«
Astolf war zurückgetreten, der Herzog wandte sich zu dem Maler, der in einer geringen Entfernung, dem Befehl folgend, auf einem Sessel Platz genommen hatte.
»Also, lieber Sommer, ich höre. Sie wollen uns höchstens noch acht Tage schenken.«
»Hoheit wissen, wie beschränkt ich in meiner Zeit bin.«
»Davon sogleich. Haben Sie Lenbachs Porträt der gnädigen Frau gesehen?«
»Es kann sich wohl kaum für ein Porträt ausgeben, Hoheit – eine Skizze, und die man sogar flüchtig nennen möchte, wenn es nicht eben Lenbach wäre, der sie gemacht hat.«
»Das heißt?«
»Das heißt, Hoheit, daß Lenbach auch in den flüchtigsten Strichen Lenbach bleibt. Er ist offenbar zur größten Eile gezwungen gewesen; sonst –«
»Sonst?«
»Hätte er sich einen so – sehr dankbaren Vorwurf gewiß nicht entgehen lassen.«
Der Herzog blickte Susi an; Susi hatte die Augen niedergeschlagen; um ihre Lippen spielte die Andeutung eines Lächelns.
»Gewiß nicht,« sagte der Herzog. »Es wäre eine sträfliche Undankbarkeit gewesen. Und wäre es das nicht für jeden Künstler, dem ein – wie sagten Sie doch? – ein so sehr dankbarer Vorwurf geboten würde?«
»Zweifellos, Hoheit. Jeder Künstler würde sich glücklich schätzen.«
»Und wenn Sie nun der Glückliche wären?«
Die klaren, blauen Augen des Malers fixierten für einen Moment scharf Susi, die auf die Nelke herabblickte, welche sie in ihrem Schöße zwischen den zarten Fingern unbeweglich hielt. Das Licht des Kronleuchters hinter ihr schimmerte durch ihr reiches, leichtgelocktes, goldiges Haar – das schöne Haupt schien mit einer Aureole umgeben. Von dem dunkeln Hintergrunde der Tapetenwand zur Seite setzte sich in halb überschnittenem Profil das blasse Gesicht mit seinen zarten, klassisch reinen Zügen scharf ab, daß es anzusehen war wie die herrlichste griechische Kamee, Sie so zu malen! Gerade so! Der Künstler fühlte, wie sein Herz klopfte und seine Stirn heiß wurde.
»Aber ich bin es nicht, Hoheit,« sagte er mit unsicherer Stimme.
»Sie sind es!« rief der Herzog. »Die Herzogin wünscht dringend das Porträt der gnädigen Frau von Ihrer Hand. Die gnädige Frau will die Güte haben, Ihnen die nötigen Sitzungen zu gewähren – natürlich in Ihrem Atelier im Schloß, Wann können wir beginnen, gnädige Frau?«
»Wenn ich Hoheit, der Frau Herzogin bereits morgen –«
»Natürlich, morgen! Je eher, je besser! Also abgemacht! Abgemacht!«
Der Herzog hatte sich erhoben, Susi und der Maler waren mit ihm aufgestanden.
»Ich hätte nur noch eine Bitte, Hoheit,« sagte der Maler.
»Ist im voraus gewährt,« rief der Herzog in dem Ueberschwang seiner glückseligen Stimmung. »Welche ist es?«
»Daß ich das Porträt im nächsten Jahre – für dieses ist es zu spät – in München ausstellen darf.«
Des Herzogs Augenbrauen zuckten in die Höhe. Das hatte er nicht erwartet! Das geliebte Bild – er sah es bereits in seinem Kabinett hängen – so lange – auf Monate – weggeben zu sollen! Es war eine grenzenlos unverschämte Forderung. Aber er hatte im voraus alles bewilligt! Ein blitzschneller Blick Susis, der ihn, Gewährung bittend, streifte, gab den Ausschlag.
»Ich dachte es mir,« sagte er, »Ihr Künstler thut nun einmal nichts um Gottes willen. Und wenn die gnädige Frau nichts dagegen hat – nun gut, ich sehe schon. Sie haben einen Stein bei ihr im Brett. Enfin, wir sind d'accord. Aber, meine gnädige Frau, es ist für mich die höchste Zeit; die Herzogin erwartet mich zum Thee.«
Er hatte es nicht so eilig. In der Gesellschaft, die sich wieder zu einem Halbkreis um ihn formiert hatte, waren noch einige Personen mit ein paar gnädigen Worten zu beglücken. Es blieb nicht dabei; einmal im Plaudern, schien er kein Ende finden zu können. Daß der hohe Herr, wenn er wollte, entzückend liebenswürdig war, wußten seine Getreuen, aber in einer so glänzenden Gebelaune hatten sie ihn selten gesehen. Er sagte den älteren Damen die verbindlichsten Dinge, neckte sich wie ein Schulknabe mit den jüngeren; hatte für den Oberhofmarschall die neueste bêtise von dem Hofe drüben; hänselte in liebenswürdigster Weise den Oberjägermeister, der nicht selten das Stichblatt seiner Scherze war; warf dann plötzlich einen Blick nach der Stutzuhr auf dem Kaminsims und rief:
»Wahrhaftig, ich muß fort, oder ich bekomme zu Hause die schönsten Schelte. Ich habe der Herzogin vom Bahnhof aus sagen lassen, daß sie mich um neun Uhr erwarten darf. Aber, gnädige Frau, ehe Sie mich los werden, müssen Sie mir noch eine Bitte erfüllen.«
Es war das erste Mal, seitdem er den Platz am Kamin verlassen, daß er sich wieder zu Susi wandte.
»Hoheit befehlen?« sagte Susi.
»Sehen Sie, gnädige Frau, ich habe gestern und heute drüben so viel trockenste Prosa schlucken müssen. Begnadigen Sie mich mit einem Stückchen Poesie! Singen Sie mir ein kleines Lied! Irgend eines! Von – ja, das wäre herrlich: von Brahms: ›Wie bist du meine Königin‹. Ich weiß, Sie haben es auf Ihrem Repertoir.«
Susi verneigte sich und schritt auf den Flügel zu, den dienstfertige Hände bereits geöffnet. Noch ein paar Momente, bis die Lichter angezündet waren und Fräulein von Merbach mit raschem Auge das betreffende Heft in dem Notenpult entdeckt hatte. Der Herzog stand in der Nähe des Flügels am Kamin, den einen Ellbogen auf den Sims stützend, die Gesellschaft in gemessener Entfernung schicklich gruppiert. Susi hatte ein paar leise präludierende Takte angeschlagen, die in das Vorspiel des Liedes übergingen. Dann erhob sie ihre Stimme.