Swinger – oder: Jeder mit jedem!
Erotische Berichte über Flotte Dreier, Gruppensex, Freundschaft Plus, FFM & Swingerclubs
Bianca Demel & Stefan Meyer
Impressum
Copyright by Bianca Demel & Stefan Meyer, 2o24
Herausgeber: Bianca Demel & Stefan Meyer
Kontaktanschrift: Büro Heinrich Bien (BHB), Lauthstrasse 54, 8o999 München
Wichtige Informationen für die Nutzer dieses Buchs: Herausgeber und Autoren haben größtmögliche Sorgfalt aufgewendet, dieses Buch zu publizieren. Alle Informationen in diesem Buch sind sorgfältig von Herausgebern und Autoren erwogen und geprüft. Für die Richtigkeit der Informationen kann keine Garantie übernommen werden. Der Herausgeber und die Autoren übernehmen keine juristische Verantwortung für die Nutzung der publizierten Inhalte und Informationen. Eine Haftung der Autoren, des Herausgebers und seiner beauftragten Personen für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Das Werk ist einschließlich seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ohne Zustimmung des Herausgebers ist unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
1. Auflage, Juni 2o24
Autoren: Bianca Demel & Stefan Meyer
Projektleitung und technische Publikation: Stefan MeyerIllustrationen & Fotos: Hermann ZeichenCover: Hermann Zeichen (Design & Foto)
Was ist drin?
Unmoralisch, versaut, lüstern: Mitten aus dem erotischen Tumult berichten die Autoren über ganz unterschiedliche sexuelle Konstellationen jenseits eingespielter Zweierbeziehungen.
In der Welt von Swingern, Freundschaft Plus und dem legendären flotten Dreier (kurz FFM) werden kreative, ausgefallene und manchmal sogar ziemlich unanständige Spielarten von ganz normalen Menschen ausgelebt.
Dabei geht es nicht nur um Sex, schließlich springen verheiratete Paare weit über ihren moralischen Schatten und vergnügen sich gemeinsam oder auch alleine mit anderen auf speziell organisierten Sex- und SM-Partys, bitten fremde Frauen, dem eigenen Freund einen ganz speziellen Fetisch-Wunsch zu erfüllen, oder nutzen den Urlaub auf dem Campingplatz, um den Nachbarn in den Zelten links und rechts in der Nacht näher zu kommen.
Und das ist bei Weitem nicht alles, was die beiden erfahrenen Journalisten in ihren Recherchen und Interviews herausfinden konnten: Mehrfach wurden sie fast in erotische Spiele hineingezogen, besuchten Swingerclubs und trafen sich mit Paaren, die ihre intimsten Wünsche (Stichwort: Bukkake und Bastonade) mit Fremden Menschen erfolgreich umsetzen konnten.
Die erfahrenen Autoren erzählen unterhaltsam, mit ganz viel Humor und liefern dem Lesen ganz viel Hintergrundinformationen aus einer erotischen Welt, auf die Sie vielleicht neugierig sind, es aber bisher nicht gewagt haben, diese Grenze allein oder mit ihrem Partner zu überschreiten.
Auch dieses Buch ist wieder stimmungsvoll Illustriert vom Karlsruhe Fotografen Hermann Zeichen, der regelmäßig in Swingerclubs und auf Sexpartys auf der ganzen Welt seine erotisch-düsteren Bilder macht.
Passt's?
Normalos: + + o o o
Interessierte: + + + + +
Profi-Swinger: + + + o o
SM-Liebhaber: + + + o o
Fetischisten: + + + o o
Und bitte:
Achtung!
Alle Personen und Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Die hier beschriebenen Praktiken (ob sexuell oder nicht) sind Fiktion und sollten nicht in die Tat umgesetzt werden, denn sie können die geistige und körperliche Gesundheit aller Beteiligten gefährden. Also: Nur lesen, nicht nachmachen!
Hinweis zu den Fotos: Sämtliche Bilder, Collagen und Zeichnungen sind unabhängig von diesem Buch entstanden und dienen nur der Illustration der Kapitel. Die erwähnten Personen sind auf den Bildern nicht dargestellt.
Und weil es gerade ein aktuelles Thema ist: Die Texte in diesem Buch sind frei von künstlicher Intelligenz und von richtigen Menschen mit zwanzig fleißigen Fingern getippt worden.
Sie werden von uns professionell unterhalten und nicht mit sinnfreien Leertexten überschwemmt. Alles, was Sie hier lesen, ist von zwei gut ausgebildeten und routinierten Gehirnen so sorgsam wie möglich recherchiert und aufgeschrieben worden!
Gruppenbild
Swingerclubs sind meine zweite Heimat.« Manchmal sehen seine Bilder aus wie Urlaubsfotos von lachenden Menschen, manchmal ist nur ein leeres Doppelbett auf den schwarzweißen und eher düsteren Bildern zu sehen.
Wer den Fotokünstler nicht kennt, fällt beim ersten Blick schnell auf scheinbar harmlose Szenen und unauffällige Motive herein.
»Fotos können eine völlig andere Wirkung erzielen, wenn der Zusammenhang oder Aufnahmeort unbekannt ist.«
So wird das schlichte Bett mit den weißen Kissen darauf plötzlich zu einer Sex-Spielwiese, die gerade Pause hat, als Zeichen verrät, dass er dieses Bett in einem Swingerclub in Tokio aufgenommen hatte kurz bevor sich die ersten Gäste darauf vergnügten.
Darüber hinaus fachen zwei Sessel und ein kleines Sofa, die vor dem Schlafmöbel stehen, unsere Phantasie weiter an.
»Danach lag sogar die Matratze auf dem Boden und die Kissen waren alle zerrissen.« Ungewöhnlich für die unanständige und gleichzeitig zivilisierte japanische Gesellschaft. »Eine teuflische Mischung«, meint der Fotograf, der oft dorthin fliegt, um Fotos zu machen.
Der kantige Mann liebt seine Arbeit: »Eigentlich nehme ich mit einer optischen Maschine nur das auf, was mir vor die Linse kommt.« Fotos können nicht lügen, aber sie schweigen beim Betrachten und der Zuschauer ist meistens ganz weit von dem Ort entfernt, wo sie aufgenommen wurden.
»Aktfotografie ist eine gute Möglichkeit, nah an unbekleidete Frauen ranzukommen«, urteilt Zeichen in seiner sehr ehrlichen Art, über die Motivation vieler Fotografen.
»Dazu kommt das Machtgefälle, wenn ich angezogen bin und die anderen nackt sind.« Und dann wechsele dieses Gefüge wieder, wenn die Kamera leise klickt: »Diese Fotografen wollen natürlich schöne Bilder von ihren Modellen machen, um sich bei ihnen einzuschmeicheln.«
Zeichen denkt ganz anders: »Wenn ich die Kamera hebe, dann erkläre ich damit meinen Modellen, dass dies ihre Chance ist, sich so zu geben, wie sie sich gerne sehen wollen.« Wenn er auf den Auslöser drückt, dann zeigen die Menschen vor der Linse häufig nicht wie sie sind, sondern wie sie gerne sein möchten.
»Manchmal halte ich aber auch einfach nur drauf«, erklärt er seine zweite, völlig andere Strategie. Dann ist er froh, wenn zunächst niemand merkt, dass er jede Menge Bilder macht. »Heimlich gemachte Bildern können heute leider nicht mehr veröffentlicht werden.«
Allerdings ist auch sein Anspruch gestiegen, seit er Ende de 70er Jahre angefangen hat, in der Sex-Szene zu fotografieren.
»Mir gefallen Bilder besser, in denen die Kamera eine sichtbare Rolle spielt.« Der Mann mit den kurzen, grauen Haaren und den kantigen Gesichtszügen steht selbst gerne im Mittelpunkt.
Das Gleiche gilt für seine Motive: Dominas, Fetischisten mit extremen Vorlieben wie Lack, Stahl und Gasmasken und Amateur-Pornodarsteller verstecken sich nicht, wenn die Chance besteht, dass ihre Leidenschaft kunstvoll in die Öffentlichkeit getragen wird.
Nachdem er ein paar Bilder von einer Gruppensex-Szene in einem Hamburger Swingerclub gemacht hatte, gab es Ärger: »Eine Frau hat mich festgehalten und gebettelt, ich solle weiter fotografieren, sonst würde sie nicht zum Orgasmus kommen.«
Zeichen kennt die Szene und die Szene kennt ihn.
Mittlerweile sind seine Sessions eine Schau für sich, weil seine Ansprüche an Motiv und Beleuchtung über die Jahre angestiegen sind. »Spontan und heimlich kriege ich keine Bilder mehr hin, die mir gefallen.«
Wie für alle vorigen Bücher auch, liefert der Fotograf uns wieder eine eindrucksvolle Auswahl von Motiven, die zwar nicht immer haargenau zu den Themen der Kapitel passen, aber für sich eine ganz spezielle Geschichte erzählen und für die richtige Stimmung beim Lesen sorgen.
Und auch wenn die Qualität der Fotos in der Druckversion lange nicht an die scharfen und delikaten Originale herankommt (also dafür am besten auf einem großen Tablet mit hoher Auflösung lesen), hoffen wir trotzdem, dass Ihnen die Illustrationen gefallen und für eine erotische Atmosphäre sorgen.
Jeder mit jedem
Als Journalisten setzen wir uns neugierig und manchmal auch pflichtbewusst mit Themen auseinander, die nicht im Dunstkreis unseres eigenen Lebens stattfinden.
Dazu gehört auch Sexualität in eher ungewöhnlichen Formen und außergewöhnlichen Spielarten.
Wir züchten auch keine Rassehunde, konsumieren keine harten Drogen, backen keine 12-stöckigen Hochzeitstorten und fesseln und schlagen unsere Partner nicht beim Sex – aber wir haben über all das in unserer beruflichen Laufbahn berichtet.
Am ausführlichsten und am meisten haben wir mittlerweile tatsächlich über Sex geschrieben, obwohl wir uns erst seit zwei Jahren diesem Thema widmen. Und dass Sie nicht schlecht von uns denken: Das Spektrum unserer Themen ist so breit, dass die erotischen Veröffentlichungen – auch wegen ihres Umfangs als ganze Bücher und nicht nur als kurze Nachrichtenmeldungen – alles andere bereits jetzt in den Schatten stellen.
Drei Bücher über BDSM (Bondage, Dominanz, Sadismus und Masochismus) und ein weiteres Buch über Menschen, die ungewöhnliche Fetische ausleben. Dazu kommen zwei weitere Bände voll mit Tipps und Tricks rund um hochgradig perverse, sadomasochistische und ausgefallen schmerzhafte Sexspiele.
Diesen Sinneswandel hätten wir uns an dem Abend im Motel im Westen der Vereinigten Staaten selbst nicht vorstellen können.
Freiwillig und ohne persönliches Interesse an dem Thema über eintausend Buchseiten füllen?
Journalisten sind neutrale Berichterstatter, die distanziert und mit dem Blick eines Unbeteiligten ein Thema mal freundlich, aber oft kritisch und natürlich hochgradig professionell betrachten.
Unsere Position und Perspektive befinden sich tendenziell eher beim Leser. Aus seiner Sicht, mit seinem Wissen und auch mit seinen Meinungen und Vorurteilen tasten wir uns behutsam an eine Geschichte heran und versuchen, eine Brücke zwischen Publikum und Interviewpartnern zu bauen, ohne völlig auf das eine oder andere Ufer herüber zu wechseln.
Parteien ergreifen Partei! Meinung findet sich in deutschen Medien ausschließlich in schmalen Kommentaren an den Rändern der Tageszeitungen und kurz vor dem Ende der öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen.
Tiefere Einblicke und ein breites Verständnis unterschiedlicher Ansichten und Standpunkte zu vermitteln geht nur, wenn der Berichterstatter zwischen den Stühlen steht und alle Argumente sorgfältig abwägt, die später in einem Text stehen, den Menschen lesen, um sich selbst ein Bild von einem Thema machen zu können, ohne bedrängt und beeinflusst zu werden.
Dabei muss der Journalist zwar nah dran sein, sollte sich aber nicht mit reinziehen lassen. Wir tun also nicht, worüber wir schreiben! Und das ist häufig auch besser so.
Fertige Berichte mit Themen, die uns wichtig sind und bei denen wir eine offensichtlich eigene Meinung haben, werden von unseren Auftraggebern nicht selten mit der Aufforderung zur Überarbeitung zurückgeschickt.
Persönliche Gefühle dringen durch jede Ritze in einem Text, wie Wasser durch die Planken eines sinkenden Schiffes. Keine gute Basis für einen Artikel, der wie ein sicherer Dampfer einen Ozean überqueren muss und zahlreiche Untiefen zu überstehen hat.
Aber manchmal zerplatzt auch bei uns die kühle Objektivität wie eine Seifenblase, wenn wir zu nah dran sind und Freude oder Schmerz am eigenen Leibe spüren können!
So schrieben wir im Jahr 2o2o über einen Ölteppich in der Nordsee, der die Küste vor Aberdeen in Schottland zu verseuchen drohte.
Die Ursache für die Verschmutzung war angeblich nicht zu finden, obwohl sie vermutlich unübersehbar im Meeresboden verankert direkt vor der Küste lag: Eine gewaltige Ölplattform in der Nähe meldete, dass es kein Leck gebe. Die Mitarbeiter darauf wie der Konzern dahinter verweigerten jedoch jedes Gespräch mit uns und zahlreichen anderen Kollegen.
So verbrachten wir Stunden bei starkem Seegang auf dem Schiff einer Umweltschutz-Organisation und fischten mit Probengläsern immer mehr verklumptes Öl aus dem Wasser.
Auch die Aufnahmen der von den Aktivisten und Fernsehsender gesteuerten Drohnen hoch über dem Schiff zeigten kein gutes Bild: Der Teppich schillerte über Kilometer in wunderschönen Regenbogenfarben auf der Wasseroberfläche.
Auf dem Weg zurück in Richtung Ufer rasten wir mit einem aufgeblasenen Gummi-Tender über das Wasser. Während der Fahrt kamen wir nahe an der besagten Bohrinsel vorbei und musterten den stählernen Kasten auf den dürren Stelzen durch unsere Ferngläser, entdeckten aber keine Spur von Menschen auf der künstlichen Insel im Meer.
Wir fragten uns, wer dort arbeitet und wie das Leben auf so einem stählernen Ungetüm aussehen mag, das kein Sonnendeck mit Liegestühlen und keine großen Fenster für die darauf lebenden Männer bietet.
Angeblich arbeiten mittlerweile 20 Prozent Frauen auf diesen Plattformen, wo früher ausschließlich Männer zwei Wochen lang in langen Schichten schufteten und danach vier Wochen frei hatten.
»Da drauf treibt es jeder mit jedem«, bellte der Steuermann des Boots von hinten über unsere Schultern.
Der überhitzte Umweltschützer löste damit in unserem Kopf ein unanständiges Gedanken-Feuerwerk aus, das Bianca später als das Maschinenraum-Szenario bezeichnete: Muskulöse, hart arbeitende und schmutzige Körper, Rauch, Feuer, der Lärm der Motoren, schweres Werkzeug und jede Menge Schweiß.
Eigentlich kein Platz für prickelnde Erotik und doch warb ein fast schwarzes Light-Getränk viele Jahre vorher bereits im Fernsehen mit diesem Klischee in leicht abgewandelter Form: Junger Mann mit Rasenmäher, der sich zuerst das T-Shirt auszieht und dann die kühle Flasche an den Mund setzt, während im Hintergrund eine Gruppe Frauen deswegen völlig ausrastet.
Damals hatten wir schon diesen Gedanken: Würden sich die Frauen den Mann teilen? Und wenn, wie würde das aussehen: Reihum oder alle gleichzeitig und zusammen?
Werbung muss immer in die Phantasie der Betrachter eindringen. Wenn auch nicht immer auf so unanständige Art und Weise. Aber das liegt natürlich an der Phantasie des jeweiligen Empfängers der Verkaufs-Botschaft. Aber die einfache Regel gilt: Sex sells!
Trotz hitziger Gedanken kamen wir unterkühlt (obwohl es August war), nass und hungrig im Hafen an und hatten keinerlei verwertbare Informationen für eine gute Geschichte – außer den Anblick einer giftigen Schicht Schweröl, die schweigend auf den Wellen dümpelte und nicht verraten wollte, woher sie gekommen war.
Wir waren wütend, weil wir so gut wie nichts schreiben konnten, da uns Fakten fehlten oder sogar Beweise dafür, dass irgendjemand die offensichtliche Katastrophe verursacht hatte – auch nicht die einzige Ölplattform in der Nähe der fatalen Pfütze.
Bianca ließ es am Abend vor dem Laptop im Pub laufen und schrieb sich den angestauten Frust von der Seele. Stefan spülte seine Verbitterung zuerst mit warmen Ale hinunter und griff dann ebenfalls (zu) beherzt in die Tasten.
Wir schrieben einfach nur, um uns besser zu fühlen. Eine professionelle Arbeit war das Ergebnis bei Weitem nicht.
Und es kam, wie es kommen musste: »Geht gar nicht«, lautete das Feedback unseres Auftraggebers, der eigentlich sogar ökologisch ausgerichtet war.
»Teilt die Freude, aber auf keinen Fall euren Frust mit den Lesern!« Natürlich hatten wir uns nicht über diese Rückmeldung gewundert, obwohl uns diese Begründung bis heute sehr gut gefällt. Das Zitat ist mittlerweile zu einem wichtigen Grundsatz unserer Arbeit geworden.
Wir schrieben den kompletten Text ein paar Tage später neu, als unsere Gemüter sich wieder etwas abgekühlt hatten.
Und noch mehr haben wir aus dieser Geschichte für unsere Arbeit mitgenommen: »Da treibt es jeder mit jedem«, ist ein Satz geworden, den wir immer dann und mit einem Grinsen im Gesicht aussprechen, wenn wir bei etwas nicht wissen, was uns genau erwartet: Sei es Besuch einer Bonsai-Schule, Die Aufführung eines neues Theaterstücks oder die Recherchen in einem Altersheim.
Bis vor drei Jahren haben wir fast ausschließlich nur mit einem konkreten Auftrag über ein Thema geschrieben. Aber die Medienlandschaft hat sich verändert, seit wir Anfang der 90er Jahre mit dem professionellen Schreiben begonnen haben (Stefan hatte seinen Start übrigens bei einem lokalen Radiosender in Nordrhein-Westfalen).
Mit dem Zusammenschrumpfen der Tageszeitungen, die einen großen Anteil veröffentlichter Wörter ausmachten, ist der Platz für kreative Mehrseiter rar geworden – ehrlich gesagt: Bis auf ein paar kleine Ausnahme-Medien ist er gar nicht mehr vorhanden. Und wenn doch eine längere Story publiziert werden soll, dann produzieren Redaktionen solche Geschichten nur noch mit fest angestellten Mitarbeitern oder lassen sie von nicht-journalistischen Fachleuten schreiben.
Selbst-recherchierte Reportagen freier Journalisten sind nicht mehr sehr gefragt. Solche Themen können übereifrige Autoren höchstens noch mehr oder weniger honorarfrei auf dem eigenen Blog veröffentlichen.
Die mobile Einsatztruppe unabhängiger Journalisten, zu denen wir gehören, liefert heute meistens Interviews und Hintergrundrecherchen zu tagesaktuellen Themen (wenigstens dafür wird immer noch eine Menge Platz im Programm freigehalten).
Alles, was von den Nachrichtenagenturen nicht herausgefunden wird, weil Details jenseits eines passenden Verhältnisses von Nachfrage und Kosten liegen, sammeln Spezialisten wie wir ein.
Geschwindigkeit und Mobilität sind die Erfolgsfaktoren für unsere Arbeit geworden.
Als 2o22 die ersten Meldungen über das Zugunglück in Burgrain eintrafen, schrieben wir im Auto während der Fahrt von Enschede nach Garmisch-Partenkirchen insgesamt vier andere Berichte fertig, während wir uns beim Fahren abwechselten.
Bei unserer Ankunft hatten wir außerdem schon viele Zeilen für den ersten Artikel über das Unglück formuliert, von dem wir uns erst Stunden später ein eigenes Bild machen konnten.
Nehmen einzelne Themen zu viel Platz in den Medien ein, dann rückt die Nachfrage nach speziellen Informationen und Randthemen so sehr in den Hintergrund, dass die Aufträge sich teilweise auf null reduzieren.
Solche Arbeitspausen sind wir gewöhnt. Ein wiederkehrender Klassiker, zu dem wir meistens nur sehr wenig beizusteuern haben, sind zum Beispiel die Bundestagswahlen.
Aber eine dieser Zwangsunterbrechungen trieb uns in eine scheinbare nicht enden wollende Langeweile: Corona war eine goldene Zeit für Zeitungen, Radio und Fernsehen, weil mit wenig Aufwand viel Platz mit Themen gefüllt werden konnte, die das Publikum gierig in sich aufsaugte.
Jeder noch so unbedeutende Virologe konnte sich minutenlang zu den besten Sendezeiten äußern. Über die Qualität der Aussagen schweigen wir an dieser Stelle.
Freie Journalisten wie wir hatten frei – auch weil wir keinen sympathischen Virologen kannten, sonst hätte die Lage für uns vermutlich besser ausgesehen (und diese Bücher über Sex, von denen Sie eines gerade in der Hand halten, wären niemals entstanden).
Als wir mit dem Schreiben in den 90er Jahre begannen, war so eine Durststrecke immer die gute Gelegenheit für eine selbst initiierte Reportage – und jeder richtige Journalist hat eine Liste mit Themen, über die sie oder er schreiben will, wenn sich eine Gelegenheit dafür bietet.
Wir haben damals über Diamantenhändler, untergegangene Atom-U-Boote, Nazi-Villen auf den Kanarischen Inseln und ziemlich lebensmüde Seiltänzer geschrieben.
Die Medien wollten in der Sauren-Gurken-Zeit (auch Sommerloch genannt) am liebsten Sexgeschichten.
Wochenmagazine brachten in den 90er-Jahren gerne Fotoreportagen über Dominas und Edel-Prostituierte.
Ein paar Jahre später wanderte das Thema Sex langsam auch in die Frauen- und Lifestyle-Magazine: (Un-)Befriedigte Frauen, die Wahrheit über den G-Punkt, Gemüse als Männer-Ersatz. Oder in Fragen gekleidet: Wie viele Männer braucht eine Frau? Sollte ich es mit dem Nachbarn tun? Welche Gegenstände lassen sich in eine Vagina einführen?
Diesen großen, frivolen Spaß machten wir damals nicht mit.
Spießig hielten wir uns an ernsten und politischen Themen fest – weil wir vermutlich nicht reif dafür waren, mit Humor und Augenzwinkern über ein so delikates Thema zu schreiben.
Unsere umfangreichste Geschichte im Winter 1997 titelte "Futter für das Federvieh" und wurde sogar ins Englische und Französische übersetzt.
Heute laufen solche (absurden) Themen gelegentlich noch in den aussterbenden Lokalmedien. Aber und ob Sie es glauben oder nicht: Es gibt tatsächlich ein halbes Dutzend Bücher über das Thema Vögel-Fütterung im Garten!
Diese entsetzliche Erkenntnis war tatsächlich der Anstoß für uns, über Sex zu schreiben. Dank Internet finden auch die speziellsten Themen zu einer gewissen Zahl interessierter Leser, die nicht unbedingt am Wühltisch in der Buchhandlung vorbeikommen und schon gar nicht ein Sexbuch an einer echten Kasse bezahlen würden.
Als Corona die Welt fest im Griff hatte, strichen wir die zerknitterten Listen mit unseren heimlichen Themen-Favoriten auf dem Tresen eines Cafés in der Altstadt von Enschede glatt. Das war unser Kreativ-Lokal, weil dort lange Zeit das Internet nicht (richtig) funktionierte. Es blieb dort nichts, als vorwiegend und intensiv mit Kopf zu arbeiten.
Den Vogelfutter-Büchern wollten wir keine Konkurrenz machen.
Aber unsere Recherche- und Schreibleistung machte uns optimistisch, dass wir generell in der Lage sein würden, ganze Bücher schreiben zu können und diese selbst zu veröffentlichen, statt auf Aufträge der Medienhäuser warten zu müssen.
Für den Anfang und auch langfristig sollte es auf jeden Fall ein Thema sein, dass uns Spaß macht! Recherche-Genie Bianca entdeckte zusätzlich die lebendige Subkultur der Sexgeschichten, die von Hobby-Autoren in riesiger Zahl als E-Books veröffentlicht werden.
Lifestyle, Yoga und ungewöhnliche Ernährungstipps wären eine Alternative gewesen, aber irgendwie reizte es uns, einen Blick auf einen verborgenen Teil der Gesellschaft zu werfen und in voller Breite, Länge und Tiefe die erotischen Gelüste und Ausschweifungen ganz normaler Menschen zu beschreiben.
Das war es, was uns interessierte!
Und so ist auch dieses Buch über die zahlreichen Spielarten der Sexualität jenseits der klassischen Zweierbeziehung entstanden. Lesen Sie von den überraschenden Machenschaften, wenn mehr als zwei Menschen erotische Phantasien in die Tat umsetzen!
> Bianca & StefanEnschede, März 2o24
Neulich an der Wand im Flur…
Ih habe ganz unten angefangen und zuerst immer eine kleine Kommode vor die Liste geschoben.« Wir stehen im düsteren Flur des winzigen Reihen-Mittelhauses und können es nicht fassen, was wir gerade betrachten.
Der süße Duft vom Backen liegt in der Luft und das Dröhnen des Rührmixers dringt aus der Tür zur Küche in den schmalen Flur des Reihenmittelhauses herüber.
Gleich gibt es Pflaumen-Streusel mit richtiger Schlagsahne (nicht aus der Dose und nicht geschäumt mit Hilfe von CO2-Kapseln).
Günthers Lächeln traf uns bereits auf der Schwelle der Haustür mit voller Wucht und löst eine unglaubliche Flut angenehmer Gefühle aus. Und er hört nicht auf damit, uns anzustrahlen.
»Wir mussten später die Namen unserer normalen Freunde auch mit draufschreiben«, erklärt der äußerst extrovertierte Mann, »aber die ahnen vermutlich sowieso, was wir seit fast fünfzig Jahren treiben.«
Die Kommode ist verschwunden.
Günthers Schrift sieht aus wie gedruckt.
Martin, Ingeborg, Doris, Sieglinde, Heinrich… »Wir haben Anfang der 60er Jahre begonnen, das aufzuschreiben.« Rosa und Günther sind 79 und 80 Jahre alt – und auf dem Campingplatz haben sie nach eigenen Aussagen immer noch jede Menge Sex mit anderen, fremden Paaren, die sie danach meistens nie wieder sehen.
»Ein paar können wir immer mit ganz viel Charme überzeugen.«
Heute müssten die beiden einen breiten Kleiderschrank vor die Wand schieben, um die endlose Liste mit Namen zu verbergen. Es sind tausende, obwohl wir nicht die zum Zählen haben und auch Günther nicht weiß, wie viele es genau sind.
Die Liste reicht von der Fußleiste am Boden bis knapp eine Handbreit über unsere Hüften.
Wir schwimmen in einer brodelnden Mischung aus Bewunderung und Entsetzen. Um diese Zahl an Sexualpartnern auch nur annähernd zu erreichen, müssten wir an Wiedergeburt glauben und ein paar tausend Jahre und mehrere Leben lang sexuell ziemlich aktiv sein… Oder muntere Swinger werden, wie dieses Ehepaar, das wir gerade zu Hause besuchen, wobei wir diese Zahl nie und nimmer erreichen würden.
»Wenn wir die Namen nicht wissen, hat mein Mann sich einfach welche ausgedacht«, gibt Rosa zu, die mit einer riesigen Platte voller Pflaumenkuchen aus der Küche auftaucht und damit ins Wohnzimmer verschwindet.
Das selbstgemachte Gebäck sieht so gut aus, dass wir unsere Blicke einen Moment vom »Denkmal der Lust und Leidenschaft« abwenden können.
»Schlagsahne zum Kuchen?«, fragt sie noch im Vorbeigehen und ohne auf eine Antwort zu warten (die ohnehin »ja« wäre) – als seien wir hier, um Rezepte und Urlaubstipps auszutauschen. Oder vielleicht, um ebenfalls als zwei weitere Namen auf dieser Wand zu enden.
Wir hatten es nicht weit zu dem Camping-Pärchen, die nur die Wintermonate zu Hause verbringen, seitdem sie beide nicht mehr arbeiten müssen. Keine zwei Stunden fahren wir von Enschede zum Dollart, einer großen Bucht an der Mündung der Ems.
»Auch vorher waren wir schon fast jeden freien Tag unterwegs«, erklärt Rosa. Manchmal luden sie das Zelt nur für die Nacht von Samstag auf Sonntag in den Kofferraum und machten sich auf den Weg zu irgendeinem Campingplatz nach Norden an der Küste oder auf einer der Inseln.
»Bella Venezia«, sagt Günther, dessen Bräune im Gesicht und auf den Armen sich über die Wintermonate ziemlich gut gehalten hat.
Morgen steuert er das Gespann aus seinem alten Diesel (der Wagen ist ein ehemaliges Taxi) und den beigefarbenen Wohnwagen nach Süden bis zu ihrem langjährigen Stammplatz in der venezianischen Lagune.
1.400 Kilometer in 20 Stunden hat der rüstige (und angeblich noch ziemlich potente) Rentner sich vorgenommen – wie schon viele Jahre vorher auch.
»Wir machen drei oder vier Schlafpausen auf Rastplätzen an der Autobahn«, sagt der kleine Mann und sucht mit dem Finger die ersten Zeilen in der Mitte der Wand ab. »Vier Paare, bevor wir unseren Standplatz erreicht haben, ist unser Rekord für die Anreise«, fügt er hinzu und wir hören echten Stolz in seiner Stimme.
»Eine gemütliche Flasche Wein, ein wenig Plaudern und dann wird mit ein wenig Glück schon gefummelt…«
Rosa ist unsicher, aber sie schätzt, dass ihr Ehemann im Schnitt weniger als fünf Minuten braucht, bis er seine Hand unter einen fremden Rock schiebt.
»Das klingt vielleicht übertrieben«, ergänzt sie, »aber er ist wirklich schnell bei den meisten Frauen.« Und die fremden Partner schauen neugierig zu und machen ebenfalls willig mit, wenn Fremde sich an ihnen vergreifen.
Unser Blick streift über die letzten Einträge auf der Liste: Ricarda, Kai, Uli (w), Peter, Lea, Lars, Cathy, Henry… – den Namen nach zu urteilen, allesamt deutlich jünger als die beiden Rentner.
»Unsere Liebe kennt keine Grenzen«, setzt der Mann zu einem Witz an und wir ahnen, was folgt: »Jedenfalls nicht innerhalb der Legalität.« Recht und Gesetz scheinen die einzigen Einschränkungen zu sein, die die beiden bei ihrem regen Treiben sehen.
Irgendwie können wir uns tatsächlich vorstellen, dass die beiden auch auf junge Menschen eine gewisse Anziehung ausüben. Vielleicht ist es die Gutmütigkeit und das herzliche Vertrauen, das die beiden unaufhaltsam und unaufhörlich ausstrahlen, wie radioaktiver Abfall. Wirklich begründen können wir dieses Gefühl aber nicht.
»Einfach unglaublich sympathisch und offen«, denken wir, während Günther einen weiteren Witz reißt, an den wir uns später aber nicht mehr erinnern können, weil die Notizbücher noch in der Tasche stecken.
Minuten später sitzen wir nebeneinander auf der schokoladenbraunen Couch, während Günther den grünen Fernsehsessel mit eingebauter Fußstütze belegt und Rosa sich auf einen Stuhl nahe der Tür setzt, um blitzschnell auf weitere Wünsche ihrer Gäste (nach Essbarem) reagieren zu können.
Die Kirche im Dorf irgendwo zwischen Ems und Jadebusen, wo die beiden aufgewachsen sind, wirft sogar einen Schatten nach Süden Wir schmunzeln über diese Beschreibung, als wir Günthers Anspielung verstanden haben.
Bevor wir die Kulisse einer verbohrten Spießergesellschaft in unserem Kopf hochklappen können, erklärt Rita uns die Zustände damals im Dorf ihrer Kindheit: »Derbe Sprüche waren genauso normal, wie unsittliche Scherze und munteres Treiben.«
Ein Beispiel, das sie uns ohne zu Zögern direkt nach Filterkaffee und dem ersten Stück Kuchen liefert: »Beim Schützenfest haben wir Frauen am Rande des Waldes die Röcke hochgezogen und den Männern unseren Schritt gezeigt.«
Das waren Zeiten damals…!
Ihre Tante hatte der Gruppe von sechs Freundinnen schon beim Umziehen am Nachmittag geraten, auf Unterhosen zu verzichten. »So mussten wir keine Gymnastik machen für die Vorstellung.« Im Dorf schien es eine unausgesprochene Regel zu geben, unter der strengen, düsteren Tracht keine Wäsche zu tragen.
Angeblich revanchierten sich die unbekümmerten Männer damit, dass sie die Hosen unterließen und gemeinsam masturbierten, während die Damen interessiert zusagen und immer wieder selbst zugriffen, um ihre ersten praktischen Erfahrungen mit männlichen Geschlechtsteilen zu machen.
»Immer wenn einer gekommen ist, haben wir geschrien und gejubelt, als würde eine Rakete abgefeuert werden«, erinnert sich Rosa an diese Zeit. »Manche waren so mutig und haben sogar mit dem Finger probiert wie es schmeckt.«
Günther zog am Wochenende mit Rosas bester Freundin zum Tanzen und danach in eine Scheune, die auf dem Weg lag. Er teilte das Zimmer mit seinem Bruder und trotz aller Frivolität galten ein paar einfache Regeln, zu denen auch das Verbot von Frauen im eigenen Zimmer gehörte.
»Vielleicht sind wir deswegen Camper geworden, weil wir so oft in Ställen, auf dem Heuboden oder im Wald geschlafen haben.« Wir verstehen den Unterschied zwischen schlafen und miteinander schlafen, der in diesem Satz allerdings so unklar wie eindeutig bleibt.
Rosa lief eines Abends hinter den beiden her. »Die Konkurrenz war groß, weil es insgesamt nicht viele Männer gab und noch weniger, die hübsch, fleißig und gut bestückt genug waren, um sie heiraten zu können.«
»Kleiner Schwanz, kleiner Spaß«, fällt Günther seiner Frau ins Wort. Er erwartet von uns allerdings keine höflich-amüsierte Reaktion, als er den bösen Blick seiner Frau bemerkt.
In der Scheune und ohne wirklich etwas sehen zu können, trennte Rosa die beiden beherzt voneinander, als das Finale des Abends längst vorbei war.
Nachdem die zierliche Frau der Rivalin ein Veilchen verpasst und sie ein für allemal vertrieben hatte, musste er sich zusammenreißen und es ein zweites Mal mit seiner brandneuen Freundin treiben.
»Das war quasi mein erster Dreier«, sagt Günther, »allerdings mit einem kleinen zeitlichen Versatz zwischen den Damen.«
Sein Vorname leitet sich ab aus den beiden althochdeutschen Begriffen "gund" und "heri", was zusammengesetzt "im Heer kämpfen" bedeutet. Wir sahen den darauf folgenden Witz von ihm kommen: »Kämpfen in einem Heer aus nackten, lüsternen Frauen.« Sogar der Name passt scheinbar ins Gesamtbild.
Trotzdem lachen wir wieder höflich mit und bemerken die intensiven Blicke unserer Gastgeber. Und weil wir vor dem Treffen klare Absprachen getroffen hatten, verzichten wir darauf, die Erzählung der beiden zu unterbrechen, um grundsätzlich zu werden und erneut die Regeln unserer Arbeit zu erklären.
Trotzdem wundern wir uns vom Anfang bis zum Ende über die Herzlichkeit der beiden Profi-Swinger, die wir über ein anderes Paar kennengelernt haben, die ihnen vor einem Jahr auf einem Campingplatz auf der Insel Usedom begegnet sind.
Ob intimer Kontakt stattgefunden hat, können wir nicht sagen – obwohl wir die Vornamen nicht auf der Wand entdecken konnten, sind wir ganz und gar nicht sicher, wie die Begegnung schließlich ausgegangen ist.
Wir zitieren aus einer E-Mail: "Die Stiche der blutgeilen Mücken waren harmlos im Vergleich zu den beiden, die den gesamten Campingplatz in ihre versauten Spiele mit reingezogen haben. Es gab Nächte, in denen wir wegen des Krachs im Wohnwagen neben uns nicht schlafen konnten."
Aber zurück zu den Anfängen: »Viele entfernte Verwandte, bei denen die Gefahr bestand, dass sie Familie etwas erfuhr, und ein paar Meckerziegen, die ihren Zeigefinger gar nicht mehr runter nahmen«, sagt Günther trocken und nachdenklich. »Und wer Kinder hatte, konnte sich auch nicht mehr so viel rumtreiben.«
Vorher hatte er aber angeblich kein Problem damit, Rosa zu ermutigen, ihre Freundinnen zu gemeinsamen Übernachtungen jenseits von kuscheligem Wärmeaustausch zu bewegen. Genauso offen zog er für sie andere Männer in das Spiel mit ein: »Wir machten ein Sandwich viele Jahr bevor wir das erste mal von dieser Bezeichnung gehört hatten.«
Nachdem drei junge Erwachsene verschwitzt und erschöpft auf dem Heuboden lagen und nach Luft schnappten, machten sie sich Gedanken darüber, wie es hieß, wenn zwei Männer gleichzeitig in beide Öffnungen einer jungen Frau eindrangen.
»Wir fanden es alle zusammen erregend und lustig und haben uns keine Gedanken über Anstand und Moral gemacht.«
Nicht einmal Gleitmittel und Kondome hat es gegeben als Rosa und Günther jung waren: »Familienplanung war Glückssache und von Geschlechtskrankheiten hatten wir damals noch gar nichts gewusst.«
Aber das Heimatdorf hatte Grenzen, die in wenigen Minuten mit dem Rad und nach ein paar heißen Nächten auch in Bezug auf Klatsch und Tratsch schnell erreicht waren. Wenn nicht sogar weit überschritten, denn als der erste Sohn noch kein Jahr alt war, zogen sie in die Weltstadt des Nordens: Emden.
"Urlaub ist Freiheit", hat Günther heute auf die Rückseite seines Wohnwagens mit roten Klebebuchstaben tapeziert (grüßen Sie, wenn sie das Gespann auf der Autobahn überholen und laufen Sie, wenn der Spruch neben Ihrem Standplatz zu lesen ist).
»Früher waren wir zuerst mit einem Zelt aus grüner Plane unterwegs.« Auf Norderney, auf dem ersten Campingplatz in der ersten Nacht, brach die empfindliche Konstruktion zweimal zusammen, als sich vier sehr betrunkene junge Menschen drinnen hemmungslos vergnügen wollten.
Als sie am nächsten Tag aus dem Knäuel aus hartem Stoff krochen, das vorher ein Zelt gewesen ist, war der Platz neben ihnen bereits verlassen und kalt. Nur die platt gedrückten Grashalme bezeugten, dass sie das nicht alles nur geträumt hatten.
»Am Ende der Ferien gab es zwei Gruppen von Campern auf dem Platz«, erinnert sich Günther, »die eine Hälfte lächelte uns verliebt an und die anderen hielten Abstand mit ängstlichen Ausdrücken im Gesicht.«
Das war noch, bevor Rosa sich zum ersten Mal die Anti-Baby-Pille verschreiben ließ.
»Sie hatte den ganzen Urlaub schiss, schwanger zu sein«, erinnert Günther sich und ergänzt: »Wenn schon denn schon!«
Vor allem am Strand beim Baden in den eiskalten Wellen versuchten sie, attraktive Pärchen zu überreden, es mit ihnen zu treiben, statt sich still und (moralisch richtig) zu zweit in das eigene Zelt zu verziehen.
»Ich habe immer so getan, als wolle ich die Frauen mit dem eigenen Körper im eisigen Wasser wärmen.«
Wir können uns nicht vorstellen, von einem Fremden rücklings umarmt zu werden, während wir bis zum Bauchnabel in der kühlen Nordsee stehen.
Aber die Rechnung der beiden ist oft aufgegangen: »Mein Mann fing an, nach der Rückkehr alle Namen auf die Wand zu schreiben.«
Urlaub ist eine unverbindliche Freiheit für die beiden – vor allem in sexueller Hinsicht. »Wir waren in gut Form durch die Arbeit in der Werkstatt und auf der Baustelle, waren lustig und sind praktisch mit jedem sofort in Kontakt gekommen.«
Von da an sind sie mit wirklich jedem intim geworden, der nicht floh oder sich wehrte.
Als die 60er-Jahre immer ungezügelter wurden, hatten die in Sachen Rauschmittel eher zurückhaltenden Eheleute ein zweifaches Problem: »So viele Männer mit butterweichen Penissen«, erinnert sich Rosa an die Nebenwirkungen von zuviel Alkohol und Gras.
Aber das war nur die eine Herausforderung: »Der Campingplatz in Ungarn war ein einziges Gerammel und zwar Tag und Nacht«, fügt Günther hinzu.
Die Konkurrenz in dieser Zeit war gewaltig.
»Und wir hatten noch keinen Wohnwagen.« Bevorzugt gingen die Urlauber sprichwörtlich »in die Kiste«, statt sich in einem offenen Zelt auf dem kratzigen Rasen zu wälzen, auf dem meist nur ein paar einfache Schlafsäcke aus Baumwolle ausgebreitet waren.
Der Vorteil des Paares war die bereits angesammelte Erfahrung.
»Wir haben traurige Szenen erlebt, wie junge Leute zusammengefunden haben«, erinnert Günther sich und lacht verschmitzt. »Wenn man genug geladen hatte, genügte ein zufälliger Augenkontakt und schon zuckelten zwei junge Paare zusammen ins Gebüsch.« Und nach fünf Minuten seien sie wieder draußen gewesen, weil »es« nicht funktioniert hatte.
Weil wir beide genau aus dem Ende dieser Ära stammen, machen wir eine innere Notiz, die eigenen Mütter nach der Schwangerschaft zu befragen und schnellstmöglich einen Vaterschaftstest nachzuholen.
Anfang der 80er Jahren hatten sie dann ihre eigene »Kiste«, um mit Urlaubsbekanntschaften in dieselbige zu springen. Und Günther legte noch einen drauf, nachdem er die Freigabe seiner persönlichen Finanzministerin dafür bekommen hatte.
»Betamax«, flüstert der Mann und zieht die Augenbrauen nach oben.
Wir wissen vage, dass es sich dabei um dicke, quadratische Videobänder handelte, die bereits Mitte der 80er wieder ausstarben und anderen Formaten Platz machten (für die Leser in unserem Alter: VHS und Video2ooo).
»Der Rekorder wog fast zwanzig Kilo.« Der Wohnwagen lag damit ein ganzes Stück tiefer auf der Straße.
Unsere Recherchen haben übrigens ergeben, dass Günther mit dem Gewicht des Geräts tatsächlich nicht übertrieb. Und er hatte genau zwei Filme, die er stolz auf dem ebenfalls großen Fernseher in der Sitzecke hinten im Wagen vorführen konnte: »Schlüpper und Streicher«, versucht er, uns den Film als ein großartiges Frühwerk menschlicher und ziemlich nackter Interaktion zu verkaufen.
»Ich konnte die ganze Zeit nur daran denken, wie schlecht die Filme nachvertont waren«, erinnert sich Rosa an die Zeit zwischen Sonnenuntergang und der täglichen Portion Gruppensex. »Und die Musik war die reinste Folter.«
»Wir waren die Sensation auf dem Campingplatz.« Nur wenige Paare waren brüskiert, als Günther den Porno auf der Mattscheibe zündete. »Wir haben ein gutes Händchen für Menschen, die offen und dafür bereit sind.«
Pannen waren die absolute Ausnahme. Nahezu niemand konnte dem charismatischen Pärchen mit der starken Libido widerstehen. »Nicht einmal das Personal auf den Plätzen haben wir ausgelassen.«
"Tödliche Seuche" titelte im Juni des Jahres 1983 (Ausgabe 23) das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Sex mit Fremden wurde plötzlich undenkbar für große Teile der Bevölkerung.
Die Immunschwäche-Krankheit (als HIV oder Aids weltbekannt wie gefürchtet geworden) lag wie ein böser Fluch über der gesamten westlichen Welt. »Wir haben versucht, fest daran zu glauben, dass es nur ein Problem von Schwulen sei und die meisten Menschen sich in den USA infizierten.«
Europäische Campingplätze schienen weit weg von der männlichen Leder-Szene in den Vereinigten Staaten zu sein. »Wir haben gemeinsam beschlossen, uns davon nicht einschränken zu lassen.« Aber es gehören ja immer mehr als zwei Menschen zu einer deftigen Runde Gruppensex…
Wenn die beiden in der Mitte der 80er Jahre den Portwein und die Pralinen auf den Plastiktisch und dem Sonnendach stellten, gab es als Ergebnis zwei Möglichkeiten: Entweder die anderen waren zurückhaltend und »keusch wie die Mönche«, oder sie waren mental immun gegen das Virus.
»Wird schon gut gehen«, war die am meisten verbreitete Meinung, mit der nach einem guten Schluck und einem oder zwei süßen Happen doch gemeinsamer Sex vollzogen wurde.
»Wir haben in den 80ern auf Analverkehr völlig verzichtet und auch sehr früh angefangen, Kondome zu benutzen«, erinnert sich Rosa. »Ich war es, die in der Apotheke danach fragen musste.«
Wir sehen ihr an, dass es schwerer für sie war, vom Fachpersonal diese Hygieneartikel zu verlangen, als Fremden einen Blowjob zu verpassen, während andere ihr dabei zusahen.
Ihr Mann lässt sich von einer tödlichen Krankheit und von unerotischen Hilfsmitteln aus Latex die Laune ganz und gar nicht verderben: »Wir duschen danach, war die beste Ausrede, die ich mir damals anhören musste.«
Als wir tiefer bohren, können wir spüren, dass die beiden damals wie heute kein gutes Gefühl dabei hatten. »Wir hätten vermutlich unzählige Leute infiziert«, geben sie heute zu.
»Trotzdem haben wir einfach weiter gemacht«, beschreibt Rosa ihre damalige Gefühlslage, »Lust lässt sich nicht einfach so abschalten wie das Licht in der Küche.«
Trotzdem konnte Günther jahrelang viel weniger Namen an die Wand schreiben. »Es lief Werbung im Fernsehen, wo erklärt wurde, dass sich das Virus nicht überträgt, wenn aus der Kaffeetasse eines Infizierten getrunken wird.«
Selbst die große Zuckerdose voller Kondome auf dem absenkbaren Tisch im Wohnwagen half manchmal nicht. »Die Abneigung dagegen war riesig im Vergleich zu heute.«
Aber die Lage sollte sich langsam wieder ändern.
Als im ersten Drittel der 90er Jahre die erotische Stimmung lockerer wurde (irgendwann nach dem dramatischen Tod des legendären Sängers Freddie Mercury von der Band Queen durch HIV) waren sie körperlich nicht mehr so gut in Form.
»Ich habe gemerkt, dass ich älter werde, als ich den Wohnwagen nicht mehr alleine abhängen konnte.« Sex als Dank für die Hilfe beim Rangieren und Einparken war aber immer noch locker drin und ein ziemlicher guter Start in die Ferien.
»Mit der Zeit sind unsere Sexpartner immer älter geworden«, beschreibt Rosa ihre erotische Zielgruppe für die abendlichen Spiele. Im ersten Moment hatten wir das falsch verstanden: Zu den jungen Sexpartnern kamen die älteren Jahrgänge hinzu.
»Insgesamt hatten wir eher mehr als weniger Sex.« Mehr interessante Menschen und viel öfter Orgien mit mehr als einem weiteren Pärchen waren die Ursache für ganz viele Namen, die sich auf der Wand im Flur sammelten.
»Darf ich vorstellen: Erfahrung und Erfahrung im Einsatz«, stellt Günther die Vorstellung von sich und seiner Frau nach, indem er mit dem Daumen erst auf Rosa und dann auf sich deutet. Danach schiebt er sich ein weiteres Stück Pflaumenkuchen auf den kleinen und ziemlich kitschigen Teller mit Goldrand und Rosenmuster.
Das Publikum auf den Campingplätzen ist mit der Zeit bunter geworden: »Während Corona hat sich jeder ein Wohnmobil oder mindestens so ein Pop-Up-Zelt gekauft«, berichtet der Mann, während er mehr und mehr Kuchen kaut.
»Mit denen konnte man nicht viel anfangen«, meint seine Frau. »Die hatten sogar während sie schliefen den Wahn, dass alles sauber sein und perfekt funktionieren muss.«
Das früher lockere und legere Leben auf dem Campingplatz verwandelte sich für ein paar Jahre in eine Technologieschlacht: »Die haben stundenlang die Handbücher ihrer schicken, vollintegrierten Wohnmobile gewälzt.« Günther kann kaum reden vor lachen. »Und wenn das Wasser dann immer noch nicht warm wurde, haben sie die Rücktrittsbedingungen mit der Lupe studiert, so frustriert waren sie dann.«
Auf einem Parkplatz an der Allianz-Arena im Norden von München, wo übernachtet werden darf, rückte in einer Nacht zweimal die Polizei an.
»Unseren spießigen Nachbarn waren wir viel zu laut.«
Dass die Wandstärke in einem Wohnmobil dünner als im soliden Eigenheim ist, hatte die unerfahrenen Freiluft-Urlauber irritiert und verärgert gleichzeitig.
»Dafür haben wir es dort mit zwei richtig jungen Pärchen getrieben.«
Günther hatte auf dem Parkplatz zwischen Stadion und Autobahn seinen grauen Führerschein vorher beim Wein rausgeholt und herumgezeigt.
»Wir können das Alter von jungen Leuten nicht mehr so gut einschätzen«, sagt Rosa. Make Up (bei Frauen und Männern), Tätowierungen und teure Stylings verbergen das biologische Alter hinter einer glänzenden Fassade. »Auch ich wurde ruhiger, als die vermutlich jüngste der Frauen ihre Fahrerlaubnis auf den Tisch legte und ich einen Blick auf das Geburtsdatum werfen konnte.«
Die Gruppe lachte herzlich über die alten oder biometrischen Bilder, während Rosa und Günther sich auf das Geschehen danach ohne weitere Bedenken freuen konnten.
Zwei einfache Argumente sind ihr Erfolgsrezept: »Wir haben immer erzählt, was wir schon alles mit anderen gemacht haben«, fängt Günther von hinten an.
»Es liegt mit Sicherheit daran, dass wir ehrlich sagen, wie schön, sympathisch oder erotisch wir die anderen finden«, meint Rosa. Einfach gerade heraus damit! Keine Umwege, keine komplizierten Erklärungen.
So hat das Gehirn auch keine Zeit, um vernünftige Zweifel zu entwickeln. »Warum nicht?!«, lautete die häufigste Antwort, wenn die beiden überhaupt auf eine Antwort gewartet und nicht gleich mit den Intimitäten angefangen haben.
Einer durchtrainierten Frau hatte sie im letzten Jahr beim Spaziergang an der norditalienischen Lagune gestanden, dass sie gerne mal an so einer sportlichen Frau lecken würde.
»Kein Problem«, hatte die Zufallsbekanntschaft geantwortet, ohne den Blick vom Dunst über dem Wasser abzuwenden. »Aber sie bestand darauf, dass ihr Mann und mein Mann dabei zusehen.«
Kurz vor dem Ende des Gesprächs bemerken wir (vermutlich) eine stille Kommunikation zwischen den beiden. Günther schaut seine Frau an und spielt mit Blicken, während sie ihr Gesicht ernst zusammenzieht und so vorsichtig mit dem Kopf schüttelt, dass wir nicht sicher sind, ob wir es überhaupt sehen.
Wir wollen es gar nicht wissen!
Zu unserer Erleichterung (oder weil Günther seine unanständigen Gedanken hinter etwas anderem verstecken will) schlägt uns das Paar schließlich vor, dass wir bis zum Ende ihres Urlaubs die Liste an der Wand im Flur anführen sollen.
»Auch wenn wir es nicht mit euch getrieben haben, war es ein erotisches Erlebnis«, sagt der Mann leicht frustriert und versucht, uns vielleicht doch mit seinem charmanten Lächeln zu überzeugen.
Wir lehnen nicht ab, aber wir stimmen auch nicht sofort zu. Einfach gesagt: Die Hosen bleiben oben.
Und wir stellen uns vor, dass irgendwann einmal dieser Teil des Hauses wie ein Stück der Berliner Mauer in einem historischen Museum hinter Glas aufgebahrt werden könnte – vielleicht eine kulturgesellschaftliche Ausstellung oder die Geschichte einer bisher unbekannten Geschlechtskrankheit.
Als sie unser Zögern registriert, reagiert Gattin Rosa schnell und souverän: »Er setzt euch mit auf die Liste, schreibt die Namen aber ganz klein und in Klammern.« Diplomatie pur.
Wir vermuten, dass Rosa sich auch dann so verhält, wenn die beiden ein Paar mit zu wilden Sex-Vorschlägen überrumpeln. Dann sagt die liebevolle, fast zarte Frau etwas, das sehr ehrlich klingt: »Wir gehen nicht oft leer aus.«
»Einverstanden«, sagen wir und verstehen, wie erfolgreich die beiden auch in den anstehenden Ferien in der Bucht von Venedig sein werden.
> Rosa & GüntherEmden
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Ganz kurzer Ausflug in die sachlich unterkühlten Sozialwissenschaften. Wir wunderten uns ziemlich, als wir DAS bei Wikipedia gelesen haben: "Viele soziale Beziehungen sind zwischen zwei Personen (Dyade) NICHT möglich, sondern treten erst ab DREI Personen auf (Triade)", erklärt das Online-Lexikon gleich im ersten Absatz eines Artikels über Formen der Partnerschaft.
Der deutsche Soziologe und Philosoph Georg Simmel stellt am Anfang des 2o. Jahrhunderts diese These über das Grundmodell menschlicher Beziehungen auf (ohne dabei an das sexuelle Durcheinander zu denken, das erst Jahrzehnte später mit der Hippie-Ära im großen Stil in der Gesellschaft aufschlägt).
Und nochmal ein Zitat von Wikipedia, das Sie aufmerksam lesen sollten (weil Sie ein Buch über komplizierte sexuelle Konstellationen in den Händen halten): "Simmel zeigt, dass der Übergang von der Zwei zur Drei nicht bloß einen quantitativen Zuwachs, sondern eine neue Qualität darstellt."
Das lässt sich auch einfacher sagen: Je mehr Personen beteiligt sind (an was auch immer), desto mehr Spaß macht es!
Auf einem Foto sieht der deutsche Philosoph und Soziologe aus wie ein Schuljunge mit Brille und Vollbart. Bei unseren Recherchen haben wir festgestellt: Sexuelle Einstellungen sind immer unsichtbar verborgen in ganz normalen Menschen.
So harmlos er aussah, Simmel war offensichtlich seiner Zeit sexueller Spießigkeit und dem strengen Glauben an die hochgradig anständige Ehe weit voraus!
Dank dieses intellektuellen Schwergewichts ist alles jenseits der klassischen Zweierbeziehung scheinbar wissenschaftlich gerechtfertigt, damit ziemlich normal, fast schon langweilig-gewöhnlich und gesellschaftlich voll und ganz toleriert.
Zusammengefasst (und ganz stark vereinfacht) würde diese Aussage bedeuten: Nur keine Hemmungen!
Die Nachbarn von oben und unten haben in diesem Moment wildesten Sex mit allem und jedem… Sie müssen nur das Ohr aufs Laminat legen und lauschen!
»Und warum treibt ihr es nicht miteinander?«
Der Satz schlägt ein, wie ein Blitz, obwohl wir ihn nicht das erste Mal zu hören bekommen.
Mario aus Duisburg ist bei Weitem nicht der einzige, der uns diese Frage stellt. Aber er tut das so selbstverständlich und mit einem derart freundlichen Lächeln, dass wir tatsächlich zusammenzucken, als hätte der Mann uns ertappt und ein lange verborgenes Geheimnis zwischen zwei (»…wir sind wirklich nur…«) Arbeitskollegen aufgedeckt.
Nach sechs Büchern über Sex und zahlreichen Gesprächen mit Freunden, Lesern und natürlich unseren Interviewpartnern (mittlerweile weit über einhundert Treffen bei Kaffee, Wein und Bier), müssen wir unser offensichtliches Interesse an diesen Themen entweder mit unserem beruflichen Ethos rechtfertigen (fremden Menschen sensationelle Geheimnisse zu entlocken) oder zugeben, dass wir gerne über Dinge schreiben, die uns auf sehr spezielle Art und Weise selbst anmachen.
Und: Leider können wir in dieser Reihe von Argumenten den finanziellen Erfolg nicht anführen, weil das Schreiben von Sex-Lektüre zwar unglaublich viel Spaß, aber leider nicht reich macht!
Schnell rausreden konnten und können wir uns am besten mit einem Zitat des russischen Schriftstellers Maxim Gorki: "Man muss nicht in der Bratpfanne gelegen haben, um über ein Schnitzel zu schreiben."
Ganz so einfach ist es aber nicht immer und wir haben uns auch in ruhigen Moment gelegentlich selbst Gedanken darüber gemacht, warum wir ausgerechnet und mittlerweile so viel über ungewöhnliche Sexualpraktiken schreiben.
Als die ersten Fragen dieser Art bei uns aufschlugen, haben wir mit einem knallharten Vergleich die für uns schlüpfrige wie bedrängende Lage so nüchtern wie möglich aufgeklärt: Eines der härtesten Interviews, die wir jemals geführt haben, fand im berüchtigten East-Block von San Quentin statt – das fast genauso bekannt ist wie das stillgelegte und eine halbe Stunde entfernte Alcatraz-Gefängnis in der Bucht von San Francisco.
Aber lesen Sie selbst…!
Lucky Pierre
"At San Quentin" lautet der Titel einer legendären Platte des amerikanischen Country-Musikers Johnny Cash und war im Jahr 1969 bereits sein viertes Konzert in diesem Gefängnis.
Außerdem war die Show in San Quentin nur eine Wiederholung für den Musiker: Bereits ein Jahr vorher spielte Cash im Folsom State Prison in der Nähe der kalifornischen Hauptstadt Sacramento. Die Aufnahme des Konzerts wurde ebenfalls veröffentlicht.
Das Album wurde über sechs Millionen Mal verkauft (eine gigantische Anzahl für die sechziger Jahre) und hielt sich über zwei Jahre in den amerikanischen Charts. Berüchtigte US-Gefängnisse schienen gut für legendäre Geschichten (und künstlerisch-kommerziellen Erfolg) zu sein.
»Strafgefangene sind das beste Publikum der Welt«, begründete der Sänger übrigens seine Vorliebe für diese damals wie heute ungewöhnlichen Locations.
Zwei Stunden saßen wir dort ein paar Jahrzehnte später einem Mann aus der "Condemned Row" gegenüber (in anderen Gefängnissen oft als "Death Row" bezeichnet, also dem Todestrakt), den das Gespräch kaum berührte, während uns die Fragen und Antworten über seinen Mord und seine Verurteilung zum Tode emotional tief erschütterten und bis heute in den Knochen stecken.
Bei einem Bankraub stand ihm ein Wachmann im Weg, der nicht einmal eine Waffe hatte – so erschreckend einfach kann der Mord eines Menschen erklärt werden.
Am Ende drehte sich das Gespräch um sein Leben als nicht-krimineller, anständiger Bürger, der er nie gewesen ist: »FFM« hätte er gerne gemacht, wenn der Überfall nicht stattgefunden hätte oder ohne das Gewaltverbrechen ausgegangen wäre.
Wir wussten zuerst nicht, was er damit meinte und mussten raten: So hielten wir ihn für ausgesprochen aufgeschlossen, weil er als Wunsch für sein (fiktives) anständiges Leben anscheinend eine Stadt unserer Heimat besuchen wollte.
Dass mit FFM nicht Frankfurt am Main gemeint war, fanden wir tatsächlich erst am Abend im Motelzimmer in Castro Valley heraus, als wir mit Laptops und Pizzakartons auf unseren (getrennten) Betten lagen und das Interview in einen ersten, groben Text-Entwurf verwandelten, in dem das theoretische Leben des Mannes jenseits des Mordes natürlich nicht fehlen durfte.
An dieser Stelle kamen wir ins Stocken und fingen an, unruhig nach der Bedeutung der Abkürzung im Internet zu suchen.
Dann hatten wir die Lösung gefunden: Wir waren einem Sträfling mit gehobener Ausdrucksweise auf den Leim gegangen, der uns nur von seinen unanständigen Sex-Träumen erzählt hatte, oder?
Threesome (übersetzt: "flotter Dreier") ist im Englischen die üblichere Bezeichnung für die kleinste Form von Gruppensex. Abkürzungen, die für die daran beteiligten Geschlechter stehen, werden wesentlich seltener benutzt (im Deutschen wie auch auf Englisch).
Mögliche Kombinationen – über FFM hinaus – sind außerdem: MMF, MMM und FFF, wobei M für "male" ("männlich") und F für "female" ("weiblich") steht. Bisher fehlen hier Kombinationen mit weiteren Geschlechtern.
Wer ins psychologische Dickicht der Dreierbeziehung einsteigen will, sollte einen Blick in das Buch des englischen Wissenschaftlers Ryan Scoats werfen, der sich in einer umfangreichen Studien mit dieser leicht erweiterten Form der Zweierbeziehung ausführlich beschäftigt hat ("Understanding Threesomes: Gender, Sex, and Consensual Non-Monogamy", 2o21).
Sicher waren wir uns nicht mit dem, was der Häftling wirklich mit der Abkürzung gemeint hatte, weil der Mann konsequent nur die drei Buchstaben verwendete – und wir während des Gesprächs leider überhaupt nicht weiter auf diese Erwähnung eingegangen sind und ganz harmlos wie anständig weiter an Main-Hattan in Hessen dachten.
Oder war das doch ein großes Missverständnis und wir haben in dem Mann fälschlicherweise einen Perversen gesehen?
Vielleicht wollte er doch nur zum Filmfest nach Montreal reisen (Festival des Films du Monde) oder den mazedonischen Fußballverband ("Fudbalska Federacija na Makedonija") besuchen. Die Fachschule für Foto- und Filmtechnik in Potsdam haben wir recht schnell als unwahrscheinliches Lebensziel eines kriminellen Kaliforniers ausgeschlossen.
Auch beim Anhören der Aufnahme (wir hatten damals ausnahmsweise ein Diktiergerät dabei) fanden wir keine weitere Formulierung in den letzten Teilen des Gesprächs, die unseren schäbigen Verdacht bestätigte oder widerlegte.
Damals hatten wir noch gar keine Bücher über Sex geschrieben, waren aber durch die ungewöhnliche Ausdrucksweise des Insassen hellhörig geworden. Denn: Sex ist immer ein interessantes Thema!
Außerdem waren Erotik und Ernährungstipps die weißen Flecken im sonst recht umfangreichen Themen-Teppich, den wir für unzählige Medien Jahr für Jahr weben und stetig erweitern.
Am Ende des Gesprächs auf dem Band zuckten wir beim Zuschlagen der Stahltüren erneut zusammen.
Obwohl der Miniaturlautsprecher das Geräusch in ein lächerliches Klappern verwandelte, hatte sich das gewaltige Original wie ein plötzliches Donnern beim Gewitter tief in unsere Köpfe eingebrannt. So ging uns die schlechte Wiederholung erneut durch Mark und Bein.
Das Band lief weiter und spielte ein paar mehr Sekunden bedrückende Gefängnis-Atmosphäre ab: Das Rasseln der Kette zwischen den Fußfesseln des Mannes, das Kratzen des Metallstuhls auf dem Beton-Fußboden, Klimpern schwerer Schlüssel und die Schritte der Wächter.
»Lucky Pierre geht zurück in die Zelle«, rief ein Wachmann (in Kaugummi-Amerikanisch) im Hintergrund.
Dann war die Aufnahme zu Ende und das Gerät verstummte.
Bianca tippte aus Gewohnheit den Namen (Spitznamen?) bei einer Suchmaschine ein und ihr Gesicht fing plötzlich an zu glühen. Es war die verstörende Mischung aus Stolz, Überraschung und Peinlichkeit, die aus ihr herausdrang.
Auf dem Bildschirm stand die Lösung geschrieben: Lucky Pierre ist entweder die Bezeichnung für die mittlere Person im Schichtbetrieb eines flotten Dreiers oder der Kosename für den Mann bei einem FFM.
Der Name hat seinen Ursprung vermutlich im Titel eines pikant-lustigen Trickfilms ("The Adventures of Lucky Pierre" / "Die Abenteuer von Lucky Pierre"), der Anfang der 60er Jahre zum Trend der Nudie-Cutie-Filme und damit zu den allerersten Eroktikfilmen überhaupt gehörte (mehr Infos zu bewegenden bewegten Nacktbildern finden Sie bei Wikipedia unter: https://en.wikipedia.org/wiki/Nudity_in_film#Nudie-cuties).
Baum pflanzen, Haus bauen, Kind zeugen – die ausführliche Version dieses Spruchs wird dem religiösen Revolutionär Martin Luther zugeschrieben.
Bei dem Mann im orangefarbenen Overall, mit dem wir Stunden zuvor gesprochen hatten, standen offensichtlich andere Dinge ganz oben auf der Liste unerfüllter Wünsche.
Wir hatten ohnehin keine philosophischen Höhenflüge von ihm erwartet, aber auch nicht die niedrigsten Tiefen einer westlich zivilisierten Gesellschaft, die damals bei uns auf die stabile Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau und vielleicht noch den zwei weiteren, gleichgeschlechtlichen Kombinationen daraus bestand. Schließlich gibt es die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen in Deutschland erst seit 2o17.
Dem Sträfling aus dem Todestrakt wird sogar die auf zwei Personen reduzierte Form seines Wunsches versagt bleiben.
Sogenannte Liebeszellen sind zwar in TV-Serien öfter zu sehen, aber in der Wirklichkeit von US-Gefängnissen sind sie tatsächlich rar, für Gewaltverbrecher völlig außer Reichweite und garantiert kein Bestandteil der wenigen Freiheiten, die solche Menschen überhaupt noch besitzen.
Und so hatten wir es am Schluss der abgedruckten Reportage auch geschrieben: Das Glück, einen geliebten Menschen für einen Moment in den Armen zu halten, wird ihm versagt bleiben.
Damals war es für uns schon unmoralisch genug, einem verurteilten und geständigen Schwerverbrecher so viel Platz in einem Medienbericht mit seinen teilweise ungewöhnlichen Meinungen und Ansichten zu bieten.
Seine sexuell ebenfalls düstere Seele (gemessen an unseren damaligen Vorstellungen von dem, was als normal bezeichnet wird) hatten wir in dem Text absichtlich ausgespart, obwohl uns die Erinnerung an seine Worte heute noch nachhängt, genauso wie das Donnern der schweren Stahltüren.
Obwohl wir mit einem Mörder gesprochen hatten, sind wir sehr friedliebende Menschen (geblieben). Gegen die Todesstrafe sind wir ohnehin.
Unser damaliger Interviewpartner ist übrigens noch am Leben.
In San Quentin wurde seit 2oo6 die Todesstrafe nicht mehr vollzogen und in Kalifornien wurde das entsprechende Gesetz, das die Todesstrafe erlaubte, im Jahr 2o19 zumindest in diesem Bundesstaat vollständig ausgesetzt.
Lucky Pierre ist also höchst wahrscheinlich immer noch dort und träumt von sexuellen Beziehungen, weit über eine einzige Liebe hinaus!
Mittendrin und nicht dabei
Unsere eigenen Erfahrungen mit Gruppensex hätten für ein Buch nicht ausgereicht – vermutlich nicht einmal für ein einziges Kapitel.
Unsere tendenziell eher anständige wie biedere Phantasie vermutlich auch nicht – wobei wir bisher noch nicht wirklich ausprobiert haben, auf wie viele offene Ohren die Geschichten von unserem (ganz normalen) Sexualleben stoßen würden.
Aber das Handwerkszeug für Berichte von Paaren und Einzelpersonen mit speziellen Vorlieben hatten wir längst in der Tasche: Wir inserierten ein paar wenige Zeilen in Online-Foren und hatten schnell Dutzende von spannenden Kontakten hergestellt, die uns in zahlreiche Städte in Deutschland, Österreich und der Schweiz führten – immer in unserem rostigen Kleinwagen, wenn möglich in Kombination mit Aufträgen zu anderen Themen.
Unsere Stärke ist das Gespräch mit anderen Menschen!
Und wenn wir schon nicht über tagesaktuelle politische Themen schreiben, wollten wir über etwas persönliches, menschliches und aufregendes schreiben, ohne auf einen kleineren oder größeren Weltuntergang warten zu müssen.
In unterhaltsamen bis haarsträubenden Gesprächen hörten wir unzählige Geschichten, die – ähnlich wie in San Quentin und nicht unbedingt weniger drastisch – weit weg von unseren persönlichen Erfahrungen lagen.
Aber wir kamen beim Thema BDSM so in Schwung, dass der gesammelte Stoff aus den Interviews mühelos für mehr als drei Bücher über die dunklen Seiten der Sexualität genügte. Und auch in diesem Buch streifen mehrere Kapitel solche Machenschaften.
BDSM war für uns eine exotische Sensation – und auch nach den vielen Büchern über das Thema ist es immer noch faszinierend, mit Menschen über diese mittlerweile mehr oder eher weniger gesellschaftsfähigen Praktiken zu sprechen. Besonders dann, wenn Bianca im Rausch der Recherche Interviewpartner auftreibt, die richtig ungewöhnliche Dinge erzählen.
Dabei ist Sadomasochismus kein Sport ausschließlich für Paare und kein Hobby, das nur in düsteren Schlafzimmern und im Kartoffelkeller praktiziert wird.
Der Drang, die perversen Leidenschaften zu teilen, öffentlich zu vollziehen oder mit und an Fremden auszulassen, schien an allen Ecken der Gespräche unverhohlen durch.
Ohne den Anspruch auf eine systematische oder vollständige Darstellung wollen wir Ihnen einen kleinen Blick auf Gespräche geben, in denen bereits eine Kombination von BDSM und Gruppensex erwähnt oder sogar umgesetzt worden ist.
Der Sprung zur Seite, das Ausleihen des unterwürfigen Partners und das Teilen der Macht über einen anderen Menschen begegnete uns immer wieder, während wir die Bücher über SM schrieben.
Beispiel gefällig? Ein kleiner Kick sollte es bei Rita werden, die ihren Sklaven (Ehemann) Paul in voller Fesselung auf dem Flur geparkt hatte (Details in "kink!" und dort im Kapitel "Neulich im Treppenhaus").
Zwangsjacke, Fessel-Hose und eine schwere, geschnürte Ledermaske hatten ihn weitgehend unbeweglich gemacht.
Der Mann wurde von seiner strengen Herrin (Ehefrau) barfuß in Trippelschritten vor die Wohnungstür geführt, wo er eigentlich nur ein paar Minuten und ganz alleine den Nervenkitzel genießen sollte, dass jemand ihn so fixiert im Treppenhaus entdecken könnte.
»Es war seine Idee, zwei Hände voll Holzschrauben um ihn herum zu streuen, damit er sich gar nicht mehr vom Fleck bewegen kann«, erzählt Rita in dem Gespräch mit dem Pärchen.
Es kam, wie es nicht kommen sollte: Natürlich öffnete wenige Sekunden später zwei Stockwerke weiter unten jemand die Eingangstür und schaltete das Licht im Treppenhaus ein.
Paul fiel mehr, als er wegen der Schrauben gehen konnte, zurück in die eigene Wohnung und landete flach auf dem Fußboden. Seine Frau konnte den Fall nicht verhindern, sondern nur etwas bremsen und damit zumindest schlimmere Verletzungen vermeiden.
»Hätte uns jemand entdeckt, wären wir wahrscheinlich sofort ausgezogen«, vermutet Rita und ist sich gleichzeitig sicher, solche Experimente garantiert nicht mehr zu wiederholen.
»Als ich SM für mich entdeckt hatte, musste ich mich entscheiden, mit wem ich diese Form der Sexualität wirklich teilen will«, erzählt Paul.
»Sex ist eine ganz normale Facette einer Beziehung«, erklärt er. »Aber wenn es um Dominanz und Unterwerfung geht, spielt eben nicht mehr jeder gerne mit.«
Bei zwei potenziellen Freundinnen war er vorher mit seinen Wünschen »grausam« gescheitert. »Und damals stand ich noch gar nicht auf den Kick, andere am Spiel zu beteiligen oder mich wenigstens ein bisschen in die Öffentlichkeit damit zu trauen.«
Weitere offene und aufgeschlossene Menschen hatten seinen Weg in dieser Zeit nicht gekreuzt, bis er seiner jetzigen Frau begegnet war, die gar keine Erfahrung mit solchen Spielen hatte, aber offen für Neues war und sich schließlich darauf eingelassen hat.
»Wir haben mit Kleinigkeiten angefangen«, sagt sie und muss beim Gedanken daran lachen, ohne ihre Gedanken mit uns zu teilen. »Das ganz große SM-Programm haben wir nicht aus dem Stand gemacht. Das hat eine lange Weile gedauert.«
Eine »rote Linie« habe sie damals schon überschritten, sagt die Hobby-Domina.
Dieses Bild hat uns bis in dieses Buch begleitet.
Da existiert eine fast unsichtbare Grenze zwischen dem, was als normal bezeichnet wird, und allen anderen Praktiken – und dazu gehören definitiv BDSM wie Gruppensex.
Trotz aller Aufklärung schnappt die Freizügigkeit der Gesellschaft munter hin und her, landet aber in der Regel bei der Notfall-Strategie Wohnungswechsel, wie das SM-Paar es uns beschrieben hatte.
»Der Ausflug auf den Flur ist schon irgendwie der Wunsch, unser Treiben für andere sichtbar zu machen oder es mit anderen teilen zu können«, sagt Sklave Paul, wird hochgradig rot im Gesicht und Schweißperlen rinnen von seiner Stirn.
Bei dem Paar – wie bei vielen anderen Menschen auch, die ungewöhnliche Triebe lieben und leben – spreizt sich der Wunsch nach dem Teilen der eigenen Sexualität auf einem breiten Spektrum, dass aber immer in die gleiche Richtung zeigt: »Es ist die Vorstellung davon, dass jemand mitbekommt, wie pervers wir sind«, beschreibt Rita ihre Motivation, den eigenen Mann im Leder-Outfit in den Hausflur zu stellen.
»Wenn andere mitmachen, dann wäre das die höchste Form der Bestätigung«, ergänzt sie, wobei sie nicht sagen kann, warum sie das für ihre eigene Intimität überhaupt braucht.
»Ich würde mich sicher besser fühlen.« Dieser Satz geht uns unter die Haut.
Paul beschreibt das andere Ende der Skala, die weit im haarsträubenden Wunschtraum endet: »Wie irre wäre es, wenn die geile Nachbarin mich so sehen und bei unserem Spiel mitmachen würde?!«
Die Farbe in seinem Gesicht färbt sich dabei noch intensiver, sodass wir uns fast Sorgen machen, dass er auf der Stelle kollabieren könnte.
Verständnis für die eigenen, gesellschaftlich untauglichen Leidenschaften spielt offensichtlich ganz und gar keine untergeordnete Rolle. »Wir würden gerne Leute kennen, die mitmachen«, ergänzt er und spricht ganz leise dabei, während sie liebevoll seine Hand hält.
Bis vor kurzem hat das Paar diesen Schritt nämlich nicht gewagt.
Szenenwechsel: Anderer Ort, anderes Paar, gleiche Spielart.
»Mir ist das eigentlich ganz leicht gefallen«, schildert Sabine ihre Erfahrungen, »weil beim SM keine romantischen Gefühle im Spiel sind.«