Tatort Burgtheater - Reinhardt Badegruber - E-Book

Tatort Burgtheater E-Book

Reinhardt Badegruber

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Beschreibung

13 österreichische Autorinnen und Autoren machen sich im altehrwürdigen Burgtheater auf Mörderjagd. Ob in Logen, auf dem Schnürboden, in der legendären Kantine, auf der Bühne oder im Direktorenzimmer: das Verbrechen lauert überall!

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Seitenzahl: 268

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Edith Kneifl (Hg.)

Tatort Burgtheater

13 Kriminalgeschichten aus Wien

Falter Verlag

© 2015 Falter Verlagsgesellschaft m.b. H.

1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9

T: +43/​1/​536 60-0, E: [email protected], W: www.falter.at

Alle Rechte vorbehalten.

Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub: 978-3-85439-560-7

ISBN Kindle: 978-3-85439-564-5

ISBN Printausgabe: 978-3-85439-534-8

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016

Die Handlung der folgenden Kurzgeschichten ist frei erfunden.

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort ~ Edith Kneifl

Raoul Biltgen ~ Die Räuber

Gerhard Loibelsberger ~ Das Phantom des Burgtheaters

Clementine Skorpil ~ Knurre nicht, Pudel

Andreas Gruber ~ Letzter Vorhang

Jacqueline Gillespie ~ Etwas Übles kommt des Weges

Franz Zeller ~ Kabale, Liebe und Tod

Eva Holzmair ~ Memento

Reinhardt Badegruber ~ Es hat sich ausgeliebt

Günther Pfeifer ~ Black!

Peter Wehle ~ Mörderparabel

Beatrix Kramlovsky ~ Die Fratze

Thomas Schrems ~ Der eingebildete Tote

Edith Kneifl ~ Festmahl

Herausgeberin, Autorinnen und Autoren

Fußnote

Vorwort

»Die Schriftsteller sind Übertreibungsspezialisten«

Thomas Bernhard

Das Wiener Burgtheater, von den Wienern schlicht »die Burg« genannt, war immer für Skandale gut. Besonders Claus Peymann, der mit seiner Uraufführung von Peter Handkes Stück »Publikumsbeschimpfung« schon 1966 in Frankfurt die damalige Theaterwelt erschütterte, sorgte zwischen 1986 und 1999 als Direktor des Wiener Burgtheaters immer wieder für Aufregung. Denken Sie nur an »Heldenplatz« und die Empfindlichkeiten der damaligen österreichischen Politiker. Auch die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat mit ihrem nie im Burgtheater aufgeführten Stück »Burgtheater«, in dem sie die mangelhafte NS-Vergangenheitsbewältigung in Österreich anprangerte, einen Skandal hervorgerufen, stehen doch die Nazi-Verstrickungen der bis heute hierzulande hochverehrten Burgschauspielerin Paula Wessely im Zentrum der Satire.

Gleich nach der Eröffnung des neuen Hauses im Oktober 1888 beklagten sowohl Mitglieder des Ensembles als auch Zuschauer den Verlust an Intimität, da es große Probleme mit der Akustik gab. Daran hat sich trotz intensiver Bemühungen, diese zu beheben, bis heute nichts geändert: In den hinteren Reihen und auf den Stehplätzen versteht man nach wie vor nur die Hälfte. Das berühmte Burgtheaterdeutsch entwickelte sich übrigens aus der Notwendigkeit, die akustischen Mängel des Hauses zu kompensieren. Die Schauspieler mussten nicht nur laut, sondern auch sehr artikuliert sprechen – was so manchem deutschen Tragöden anfangs nicht gerade leichtfiel. All das tut den hervorragenden Inszenierungen am größten deutschen Sprechtheater keinen Abbruch.

Erbaut wurde das neue k.k. Hofburgtheater von dem genialen deutschen Theaterarchitekten Gottfried Semper und dem Wiener Architekten Carl Hasenauer. Obwohl die beiden Herren sich im Laufe der Arbeit zutiefst zerstritten, schufen sie eines der prunkvollsten Gebäude der Wiener Ringstraße. Nicht nur die prächtige Ringstraßenfassade mit den Dichterbüsten und den Gestalten aus den Dramen der jeweiligen Dichter, sondern auch die lebensgroßen Nischenfiguren, die Protagonisten aus berühmten Werken der Weltliteratur darstellen, beeindrucken uns Wiener und Touristen aus aller Welt bis heute. Besonders prachtvoll sind auch die beiden Feststiegen mit den Deckengemälden zur Geschichte des Theaters von Franz Matsch und den Brüdern Ernst und Gustav Klimt.

Nach der Comédie-Française ist das Wiener Burgtheater das älteste Theater Europas. Bis 1983 galt auf dieser vielleicht bedeutendsten Bühne im deutschen Sprachraum das sogenannte Vorhangverbot. In einer polizeilichen Theaterverordnung stand, dass sich vor dem Vorhang nur Gäste und Debütanten, nicht aber Ensemblemitglieder verbeugen durften. Das hohe Ansehen der »Schauspieler Seiner Majestät« erlaubte es ihnen nicht, sich vor dem einfachen Volk zu verbeugen. Kaiser Franz JosephI. war übrigens ein eifriger Theaterbesucher, der seine Geliebte Katharina Schratt, Burgtheaterschauspielerin bis zu ihrem Abgang im Jahre 1900, in all ihren Rollen bewunderte. Das k.k. Hofburgtheater wurde damals übrigens noch aus der kaiserlichen Privatschatulle finanziert.

Nach der Zahl der Mitarbeiter und dem Budget ist das Burgtheater auch heute eines der reichsten und größten Repertoiretheater der Welt. Kaum zu glauben, wenn man an den jüngsten Finanzskandal denkt, der das Haus in seinen Grundfesten erschütterte und nicht nur die Gemüter der theateraffinen Öffentlichkeit erhitzte. Diese Ereignisse waren unter anderem Anlass für mich, zwölf Kolleginnen und Kollegen einzuladen, Kurzkrimis über das Wiener Burgtheater zu schreiben.

Da keiner von uns Kriminalschriftstellern und -schriftstellerinnen die Hoffnung hegt, je mit seinen/​ihren Texten die hohen Weihen einer Burgtheater-Aufführung zu erlangen, schrieben alle frisch von der Leber weg, schreckten auch vor »Julius Cäsar« oder »Kabale und Liebe« nicht zurück, vergingen sich an »Macbeth« und »Nathan, dem Weisen«, nahmen sich den »Eingebildeten Kranken« von Molière vor, wagten sogar eine moderne Fassung der »Räuber« und erfanden »Faust« neu. Thomas Bernhard blieb ebenso wenig wie Max Frisch von den theaterbegeisterten Krimiautorinnen und -autoren verschont. Aber die Weltliteratur ist nun einmal nicht gerade arm an Verbrechen und daher eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration für uns.

Die »Burg« wird es sicher verkraften, dass wir ihr ein paar Leichen in den Keller gelegt haben.

Ich hoffe, Sie werden sich über einen ganz anderen »Lumpazivagabundus« amüsieren und die kriminalistischen Interpretationen der Stücke zeitgenössischer Autorinnen und Autoren wie Yasmina Reza und Thomas Vinterberg mit großem Vergnügen lesen.

Herzlichst

die Herausgeberin Edith Kneifl

Wien, im September 2015

»Das Stück war ein großer Erfolg.

Nur das Publikum ist durchgefallen.«

Raoul Biltgen

Die Räuber

Ein kleines Stück Theater

Personen im Zuschauerraum:

ANTON

RENÉ

ZUSCHAUER UND BURGTHEATER PERSONAL

Personen auf der Bühne:

KARL VON MOOR

FRANZ VON MOOR

DER ALTE MOOR

AMALIA

RAZMANN

SPIEGELBERG

HERMANN

KOSINSKY

DANIEL

PASTOR MOSER

SCHWEIZER

RÄUBER

Ort:

Zuschauerraum und Bühne des Wiener Burgtheaters

Erster Akt

Anton und René betreten den Zuschauerraum des Wiener Burgtheaters. Um sie herum weitere Zuschauer.

RENÉ auf die Eintrittskarte deutend: Da steht »Parkett«.

ANTON: Ja.

RENÉ: Warum steht da »Parkett«?

ANTON: Das ist, wo wir sitzen.

RENÉ: Am Parkett?

ANTON: Im Parkett.

RENÉ: Warum im Parkett?

ANTON: Wir sitzen ja nicht am Boden.

RENÉ: Na gottseidank.

ANTON: Das sind die besten Plätze im Haus.

RENÉ: Sagt wer?

ANTON: Das ist so.

RENÉ: Aha.

ANTON: Ja.

RENÉ: Die waren sicher nur teuer.

ANTON: Ja.

RENÉ: Wieviel?

ANTON: Egal.

RENÉ: So viel?

ANTON: Ja.

RENÉ: Weil dir die billigen Plätze mal wieder nicht gut genug waren.

ANTON: Weil sie nur da die gleichen Plätze für heute und morgen hatten.

RENÉ: Aha.

ANTON: Ja.

RENÉ: Ja.

ANTON: Moment.

Anton geht zu einer Schließerin und kauft sich ein Programmheft. Er kommt zu René zurück.

RENÉ: Jetzt kauft der auch noch ein Buch.

ANTON: Das ist das Programmheft.

RENÉ: Das ist ein Buch.

ANTON: Ja.

RENÉ: Und?

ANTON: Und was?

RENÉ: Wozu kaufst du dir ein Buch?

ANTON: Als Beweis.

RENÉ: Für dein intellektuelles Gehabe?

ANTON: Dass wir da waren.

RENÉ: Das war sicher auch wieder nur teuer.

ANTON: Ja.

RENÉ: Na super.

ANTON: Und ab morgen können wir uns so viele Bücher leisten, wie wir wollen.

RENÉ: Da freu ich mich aber.

ANTON: Das ist eine Investition.

RENÉ: Aha.

ANTON: In die Zukunft.

RENÉ: Aha.

ANTON: Kannst du mal aufhören mit deinem ewigen »Aha«?

RENÉ: Aha.

Stille.

RENÉ: Und was ist jetzt da drin im Buch?

ANTON: Der Text.

RENÉ: Welcher Text?

ANTON: Vom Stück.

RENÉ: Soll ich jetzt auch noch lesen, oder was?

ANTON: Das ist ein Beweis.

RENÉ: Jaja.

ANTON: Da rein.

RENÉ: Was?

ANTON: Reihe zwei.

RENÉ: Aha.

Anton und René betreten die zweite Reihe im Parterre und drängeln sich an den bereits sitzenden Zuschauern vorbei.

ANTON zu sitzenden Zuschauern: Entschuldigung, Pardon.

RENÉ: Uh, Pardong sagt der feine Herr.

ANTON zu sitzenden Zuschauern: Entschuldigung, aber Sie sitzen auf unseren Plätzen, hier, zweite Reihe, sechs und sieben.

EIN FEINER HERR: Das kann nicht sein.

RENÉ: Und warum soll das nicht sein können?

ANTON: Hier, sehen Sie? Sechs und sieben.

EINE FEINE DAME: Vielleicht sechs und sieben rechts, nicht links?

ANTON: Nein, links, da steht’s. Links.

RENÉ: Sie sitzen auf unseren Plätzen, also bitte, ja.

DER FEINE HERR: Bitte?

RENÉ: Ja.

DIE FEINE DAME: Oh, nein, Sie haben sich geirrt, sehen Sie, Parkett steht da.

RENÉ: Ja, Parkett, wir sitzen ja nicht am Boden.

ANTON: Bitte, René.

DIE FEINE DAME: Aber Parkett ist weiter vorn.

ANTON: Aber das ist doch die zweite Reihe.

RENÉ: Die nervt.

DIE FEINE DAME: Aber zweite Reihe Parterre, nicht zweite Reihe Parkett. Parkett ist weiter vorn, das hier ist Parterre.

RENÉ: Was soll denn das heißen, Parkett, Parterre?

ANTON: Parterre heißt am Boden.

RENÉ: Ich sitz nicht am Boden.

ANTON: Wir sitzen ja auch Parkett.

RENÉ: Ich sitz auch nicht am Parkett.

ANTON: Bitte, René.

RENÉ: Was?

ANTON: Wir sind falsch.

RENÉ: Ich setz mich jetzt einfach da hin und aus.

DER FEINE HERR: Wir sitzen hier.

RENÉ: Mach ich im Kino auch so.

ANTON: Aber wir sind nicht im Kino.

RENÉ: Ich wollte ins Kino.

ANTON: Das haben wir schon durchgekaut und nein. Zur feinen Dame: Entschuldigen Sie. Zu René: Los, geh. Sich an sitzenden Zuschauern vorbeidrängelnd: Pardon, Entschuldigung, eine Verwechslung, dankeschön, sehr nett.

RENÉ: Ich denke, du kennst dich aus?

ANTON: Das tu ich auch.

RENÉ: Man sieht’s.

Anton und René gehen weiter vor und drängeln sich abermals an sitzenden Zuschauern vorbei.

ANTON: Entschuldigung.

RENÉ: Pardong.

Anton und René haben ihre Plätze erreicht und setzen sich.

RENÉ: Parkett, Parterre, Pardong, was soll der Scheiß?

ANTON: René, bitte, wir sind im Theater.

RENÉ: Eben.

ANTON: Eben.

RENÉ: Ja.

Stille.

RENÉ: Was läuft eigentlich?

ANTON: Was wird gespielt.

RENÉ: Wie was wird gespielt?

ANTON: Man sagt: »Was wird gespielt?« Oder: »Was wird gegeben?« Nicht: »Was läuft?«

RENÉ: Aha.

ANTON: Wir sind ja nicht im Kino.

RENÉ: Nein.

ANTON: Sondern im Theater.

RENÉ: Und?

ANTON: Und was?

RENÉ: Was läuft denn jetzt?

ANTON: Die Räuber.

RENÉ: Hä?

ANTON: Die Räuber.

RENÉ: Geht’s noch?

ANTON: Was?

RENÉ: Die Räuber?

ANTON: Ja.

RENÉ: Das Theaterstück, das wir uns jetzt geben …

ANTON: Das gegeben wird.

RENÉ: Ja, verfickt, das gegeben wird, das heißt »Die Räuber«? Da schleppst du uns hin?

ANTON: Das ist ein Klassiker der deutscher Theaterliteratur.

RENÉ: Die Räuber.

ANTON: Ja.

RENÉ: Aha.

ANTON: Und ich kann’s mir ja nicht aussuchen, was läuft, wenn wir’s brauchen.

RENÉ: Die Räuber, echt, ich kann’s nicht fassen, das ist ein schlechter Scherz.

ANTON: Höchstens Ironie.

RENÉ: Von mir aus auch das.

ANTON: Und jetzt halt die Klappe, es geht los.

Der Zuschauerraum verdunkelt sich, die Bühne erhellt sich. Auf der Bühne Karl von Moor und Spiegelberg.

RENÉ: Das ist ja ein Buch.

ANTON: Sei jetzt still.

RENÉ: Das ist ein riesiges Buch, was soll denn das?

ANTON: Das ist die Bühne und jetzt gusch.

KARL: Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum, wenn ich in meinem Plutarch lese von großen Menschen. Der lohe Lichtfunke Prometheus’ ist ausgebrannt …

RENÉ: Hä?

ANTON: Pscht.

RENÉ: Ich versteh kein Wort.

ANTON: Dann hör zu.

RENÉ: Ja, ist ja gut.

KARL: … Da krabbeln sie nun wie die Ratten auf der Keule des Herkules …

RENÉ: Na, das kann was werden.

ANTON: Pscht.

KARL: … aus dem Schädel, was das für ein Ding sei, das er in seinen Hoden geführt hat?

RENÉ: Hoden, der hat Hoden gesagt.

ANTON: Pscht.

EIN MANN HINTER RENÉ: Pscht.

RENÉ: Pscht.

***

Zweiter Akt

Anton und René inmitten der Zuschauer. Auf der Bühne: Amalia, der alte Moor.

AMALIA: … Was ist das?

DER ALTE MOOR: Das ist der Tod. Wo ist Franz?

AMALIA: Er ist geflohen. Gott erbarme sich unser.

DER ALTE MOOR: Geflohen, verlassen? Und all das von zwei Kindern voll Hoffnung. Du hast sie gegeben, hast sie genommen. Dein Name sei …

AMALIA: Tot. Alles tot.

Amalia ab.

RENÉ: Wie jetzt?

ANTON: Was denn?

RENÉ: Ist der jetzt tot?

ANTON: Ja.

RENÉ: Krass.

ANTON: Jetzt sei doch mal still.

RENÉ: Voll krass, einfach tot.

Franz betritt die Bühne.

FRANZ: Tot, schreien sie, tot. Itzt bin ich der Herr …

RENÉ: Itzt?

FRANZ: … Wer wird nun kommen und es wagen, mich vor Gericht zu fordern? …

RENÉ: Der freut sich ja auch noch voll.

ANTON Pscht.

RENÉ: So eine Sau.

ANTON: Kanaille.

RENÉ: Wer?

ANTON: Er.

RENÉ: Warum freut denn der sich so?

ANTON: Der wollte das so.

RENÉ: Dass der Vater stirbt?

ANTON: Ja. Und jetzt sei still.

FRANZ: … Nun sollt ihr den nackten Franz sehen und euch entsetzen …

RENÉ: Zieht der sich jetzt aus?

ANTON: Nein.

RENÉ: Aber er hat gesagt …

ANTON: Nein.

FRANZ: … Ich will euch die zackigen Sporen ins Fleisch hauen und die scharfe Geißel versuchen …

RENÉ: Aber was ich nicht versteh …

ANTON: Das war nur als Metapher.

RENÉ: … warum das Stück »Die Räuber« heißt. Da gibt es keine Räuber, nur das Arschloch da.

ANTON: Die Räuber sind …

RENÉ: Das Stück sollte »Das Arschloch« heißen.

ANTON: … bei seinem Bruder.

RENÉ: Oder »Die Kanalratte«.

ANTON: Kanaille.

RENÉ: Richtig, »Die Kanailie«.

ANTON: Sie sind bei seinem Bruder.

RENÉ: Wer ist bei welchem Bruder?

ANTON: Die Räuber.

RENÉ: Bei welchem Bruder?

ANTON: Karl.

RENÉ: Das ist der, der so viel gelabert hat am Anfang?

ANTON: Ja.

EIN MANN HINTER RENÉ: Pscht.

RENÉ: Ich will’s doch nur verstehen.

DER MANN HINTER RENÉ: Pschscht.

FRANZ: … Blässe der Armut und sklavischen Furcht sind meine Leibfarben: In diese Liverei will ich euch kleiden.

Franz ab.

RENÉ: Und die Räuber sind die, die mit dem Bruder abhängen.

ANTON: Ja.

EIN ANDERER MANN HINTER RENÉ: Ja.

RENÉ: Aha.

Spiegelberg, Razmann und weitere Räuber betreten die Bühne.

RENÉ: Also die da.

ANTON: Ja.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ja.

RENÉ: Aha.

RAZMANN: Moritz, Herzensbruder, willkommen in den böhmischen Wäldern …

RENÉ: Und wo ist der Bruder?

ANTON: Welcher Bruder?

RENÉ: Der bei den Räubern.

ANTON: Karl.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Karl ist der Anführer.

RENÉ: Und wo steckt er?

SPIEGELBERG: … Aber wir führen sie alle am Narrenseil herum …

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Der kommt bald.

RENÉ: Aha.

ANTON: Ja.

RENÉ: Und was sind das für Räuber? Haben die auch einen Juwelier überfallen?

ANTON: Pscht.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Viel schlimmer, das kommt jetzt.

SPIEGELBERG: … Itzt pfeif ich …

RENÉ: Itzt.

SPIEGELBERG: … und meine Kerls draußen mit bestialischem Gepolter in die Zellen der Schwestern …

RENÉ: Sie kennen das Stück?

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ja.

RENÉ: Und Sie schauen es sich trotzdem nochmal an?

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ja.

RENÉ: Dann muss es gut sein.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ist es.

RENÉ: Aber nicht spoilern.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Hören Sie jetzt zu.

ANTON: Bitte.

SPIEGELBERG: … und endlich gar die alte Äbtissin, angezogen wie Eva vor dem Fall …

RENÉ: Uh.

SPIEGELBERG: … Denk dir die schwarzbraune runzligte Vettel vor mir herumtanzen …

RENÉ: Aber warum ist jetzt eigentlich der Bruder bei den Räubern?

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Franz hat den Brief an den Vater gefälscht, damit der denkt, Karl ist böse geworden.

RENÉ: So eine Sau.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Und da hat ihn der Vater verstoßen und Karl bleibt nichts anderes übrig, als wirklich böse zu werden.

RENÉ: Ach so.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Aber noch ist er es nicht ganz.

RENÉ: Nichts verraten.

ANTON: Könnten wir dann vielleicht mal weiter zuschauen, bitteschön.

EINE FRAU WEITER VORN: Ja, bitte, das wär nett.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Natürlich, klar.

RENÉ: Klar, pscht. Und danke schön.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Bitte schön.

RENÉ: Jetzt hab ich’s kapiert.

SPIEGELBERG: … ich sage dir, ich hab aus dem Kloster mehr dann tausend Taler geschleift, und den Spaß obendrein, meine Kerls haben ihnen ein Andenken hinterlassen, sie werden ihre neun Monate dran zu schleppen haben …

RENÉ: Die haben die Nonnen …?

ANTON: Ja.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ja.

RENÉ: Das ist wirklich schlimmer als …

ANTON: Pscht.

RENÉ: Pscht.

***

Dritter Akt

Anton und René inmitten der Zuschauer. Auf der Bühne: Amalia, Franz von Moor.

FRANZ: … Noch weiß ich Mittel, die den Stolz eines Starrkopfs niederbeugen können. Diese ewige Grille von Karl soll dir mein Anblick gleich einer Furie aus dem Kopfe geißeln. An den Haaren will ich dich in die Kapelle schleifen, den Dolch in der Hand, dir den ehelichen Schwur aus der Seele pressen, dein jungfräuliches Bette mit Sturm ersteigen und deine stolze Scham mit noch größerem Stolze besiegen.

Amalia schlägt Franz ins Gesicht.

AMALIA: Nimm erst das zur Aussteuer hin.

RENÉ: Na bumm.

FRANZ: Nicht meine Gemahlin, meine Mätresse sollst du werden. Komm, ich glühe vor Sehnsucht, itzt gleich sollst du mit mir gehn.

RENÉ: Itzt.

AMALIA: Verzeih mir, Franz.

Amalia entreißt Franz seine Waffe und bedroht ihn damit.

RENÉ: Bravo.

AMALIA: Siehst du, was ich jetzt aus dir machen kann?

RENÉ: Stich ihn ab. Los, stich ihn ab.

ANTON: Pscht.

AMALIA: Fleuch auf der Stelle.

Franz ab.

RENÉ: Nicht ihn laufen lassen, jetzt hattest du ihn, wo du ihn haben wolltest.

Amalia schaut verwirrt.

ANTON: Bitte, René, sei jetzt still.

AMALIA: Ah, wie mir wohl ist. Itzt kann ich frei atmen.

RENÉ: Du hättest die geile Sau abstechen sollen, der gibt doch itzt nicht auf.

ANTON: Itzt?

RENÉ: Jetzt.

ANTON: Kannst du nicht einfach deine …

RENÉ: Also wenn du mich so verarschen würdest und mir dann auch noch meine Freundin wegnehmen würdest, ich tät nicht lange wackeln.

ANTON: Fackeln.

RENÉ: Sag ich doch.

ANTON: Sei still.

Hermann tritt auf.

HERMANN: Fräulein Amalia. Fräulein Amalia …

RENÉ: Man kann vieles klauen, aber nicht die Frau von wem.

HERMANN: … Ich habe euch sehr beleidigt, Fräulein Amalia …

RENÉ: Auch unter Räubern gibt es eine Ehre oder so.

ANTON: Jadoch.

HERMANN: … Ihr sollt alles wissen …

RENÉ: Nur weil einer ein Räuber ist, muss er noch lang kein Arschloch sein.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Sehen Sie, und genau darum geht es.

RENÉ: Siehst du, genau darum geht es.

ANTON: Ja, nein, du meinst doch … er meint nicht das Stück, er meint …

RENÉ: Er ist nämlich mein Bruder.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ach.

EINE DAME WEITER HINTEN: Kann da vorne bitte endlich mal Ruhe sein?

ANTON: Jadoch, ja.

AMALIA: Keinen Laut weiter.

ANTON: Sagen Sie das ihm, nicht mir.

AMALIA: Was?

HERMANN: Was?

RENÉ: Das hat die nicht zu dir gesagt, sondern auf Hermann deutend zu ihm.

ANTON: Oh. Ja.

EIN HERR VON GANZ HINTEN: Ruhe.

AMALIA: Wer auf Erden kann mir meine Ruhe wiedergeben?

HERMANN: Ein einziges Wort. Karl lebt noch.

AMALIA: Du lügst.

RENÉ: Das tut er nicht.

HERMANN: Euer Oheim.

AMALIA: Karl lebt noch.

RENÉ: Ja.

HERMANN: Und euer Oheim.

RENÉ: Der auch?

AMALIA: Karl lebt noch?

HERMANN: Auch euer Oheim.

RENÉ: Oheim ist doch der Alte, oder?

HERMANN zu René: Ja. Was? Ehm … Zu Amalia: Verratet mich nicht.

RENÉ: Neinnein.

Hermann ab.

RENÉ: Da geht’s ja ab.

AMALIA: Karl lebt.

RENÉ: Und er ist ein Räuber, ha, aber dafür noch lange kein Arschloch, so. Amalia ab.

***

Vierter Akt

Anton und René betreten nach der Pause den Zuschauerraum des Wiener Burgtheaters und begeben sich zu ihren Plätzen. Um sie herum weitere Zuschauer.

ANTON: Das war jetzt vielleicht peinlich.

RENÉ: Was war denn jetzt peinlich?

ANTON: Die Schließerin.

RENÉ: Schließer kenn ich nur vom Knast.

ANTON: Die Frau, die uns zusammengeschissen hat, herrgott.

RENÉ: Na und?

ANTON: Na und?

RENÉ: Ja, na und?

ANTON: Das ist alles, weil du deine blöde Klappe nicht halten kannst …

RENÉ: Ich …

ANTON: … nicht für eine Minute, nie, nie kannst du einmal deine blöde Klappe halten. Das war immer schon so. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben auch nur einen einzigen Film gesehen, ohne dass du dazwischengequatscht hättest, nie nie nie.

RENÉ: Ich glaube, es gab sehr wohl schon mal Zeiten, da hast du alleine Filme geschaut, ohne mich.

ANTON: Also manchmal könnte ich dich …

RENÉ: Was?

ANTON: Hauen.

RENÉ: Da würden die Leute aber schauen. Die würden denken, das gehört zum Stück, weil es da auch die Brüder sind, die sich voll nicht leiden können.

ANTON: Ich kann den Franz so gut verstehen.

RENÉ: Du bist doch der Ältere von uns.

ANTON: Und du der Dümmere.

RENÉ: Ich bin also der Dümmere?

ANTON: Das habe ich gesagt.

RENÉ: Aber gescheit genug, dass du mich mitnimmst, wenn du wieder etwas planst.

ANTON: Jetzt schrei doch nicht so rum hier.

RENÉ: Gescheit genug, dass ich die Drecksarbeit für dich machen kann.

ANTON: Ja, ist ja gut.

RENÉ: Und dann in den Knast wandern kann.

ANTON: Bitte, René …

RENÉ: Weil ich vorm Safe saß und nicht du.

ANTON: Bitte, René, können wir das bitte nachher …

RENÉ: Weil du ja immer der Denker bist. Uh, ich habe einen Plan, komm mit, mach dies, mach das. Und dann schleppst du mich ins Theater auch noch.

ANTON: Ich habe es dir tausendmal gesagt, das ist unser Alibi, weil wir morgen die gleichen Karten …

RENÉ: Einfach nur die Karten kaufen hätte doch gereicht.

ANTON: Und wenn dich wer gefragt hätte, worum es ging in dem Stück, das du dir morgen angeschaut haben willst, was dann?

RENÉ: Es geht um Räuber, hätte ich gesagt.

ANTON: Es geht um Räuber, hättest du gesagt.

RENÉ: Ja, es geht um Räuber, hätte ich gesagt, und darum, dass der eine Arschlochbruder den anderen Nicht-Arschlochbruder zu einem Räuber gemacht hat, das hätte ich gesagt, und dass mir das irgendwie bekannt vorkommt, das hätte ich denen auch gesagt, dass ich mir nämlich sogar ganz gut vorstellen kann, dass du mich auch verarscht hast und mich zu einem Räuber gemacht hast, weil ich das gar nicht hab haben wollen eigentlich. All das hätte ich gesagt, du Franz, du. Du Kanalratte.

ANTON: Kanaille.

RENÉ: Siehst du, du machst es schon wieder.

ANTON: Was denn jetzt schon wieder?

RENÉ: Es besser wissen.

Der Zuschauerraum wird dunkel, die Bühne wird erhellt. Auf der Bühne: Karl von Moor, Kosinsky.

ANTON: Es geht weiter.

KARL: Geh voraus und melde mich. Du weiß doch noch alles, was du sprechen musst.

KOSINSKY: Ihr seid der Graf von Brand aus Mecklenburg. Sorgt nicht, ich will meine Rolle schon spielen.

Kosinsky ab.

RENÉ: Was? Wo sind die jetzt?

KARL: Sei mir gegrüßt, Vaterlandserde.

RENÉ: Aha, zuhaus.

KARL: Vaterlandshimmel. Vaterlandssonne.

RENÉ: Ah, versteh, er kommt, um sich zu rächen. Laut: Gut so, mach ihn fertig, den falschen Bruder.

EINE DAME IN DER REIHE VOR RENÉ: Geht das schon wie der los?

ANTON: René, halt ’s Maul.

RENÉ zur Dame: Sehen Sie, ich weiß, was es heißt, einen solchen Bruder zu haben, so einen Kanaldeckel.

ANTON: Ratte.

RENÉ: Ailie.

ANTON: Was?

RENÉ: Kanailie.

ANTON: Ja.

***

Fünfter Akt

Anton und René im Zuschauerraum. Auf der Bühne: Franz von Moor und Daniel.

FRANZ: … Plötzlich ein ungeheurer Donner – und da war mirs, da erscholls wie aus ehernen Posaunen: Erde, gib deine Toten her, gib deine Toten, Meer. Und das Gefild begann zu kreißen, und aufzuwerfen Schädel und Rippen und Beine, die sich zusammenzogen in menschliche Leiber, und daherströmten unübersehlich, ein lebendiger Sturm.

DANIEL: Das ist ja das leibhaftige Konterfei vom Jüngsten Tage.

RENÉ: Wow.

FRANZ: Nicht wahr? Das ist tolles Gezeuge? Da trat einer hervor, der hatte in seiner Hand eine eherne Waage, die hielt er zwischen Aufgang und Niedergang und sprach: Tretet herzu, ihr Kinder des Staubes, ich wäge die Gedanken und die Werke.

DANIEL: Gott erbarme sich meiner.

FRANZ: Da war mirs, als hört ich meinen Namen zuerst genannt, und mein Innerstes gefror in mir, und meine Zähne klapperten laut.

RENÉ: Zu Recht.

FRANZ: Schnell begann die Waage zu klingen und die Stunden zogen vorüber, eine nach der anderen an der links hangenden Schale, und eine nach der andern warf eine Todsünde hinein.

DANIEL: O Gott vergeb Euch.

FRANZ: Das tat er nicht.

RENÉ: Sicher nicht.

FRANZ: Die Schale wuchs zu einem Gebirge, aber die andere, voll vom Blut der Versöhnung, hielt sie noch immer hoch in den Lüften. Zuletzt kam ein alter Mann, schwer gebeugt von Gram, ich kannte den Mann …

RENÉ: Das war sicher sein Vater.

FRANZ: … er schnitt eine Locke von seinem silbernen Haar, warf sie in die Schale der Sünden, und siehe, sie sank, sank plötzlich zum Abgrund, und die Schale der Versöhnung flatterte hoch auf.

RENÉ: Ha.

FRANZ: Da hört ich eine Stimme schallen: Gnade, Gnade jedem Sünder der Erde. Du allein bist verworfen. – Nun, warum lachst du nicht?

DANIEL: Kann ich lachen, wenn mir schaudert?

RENÉ: Also ich find’s lustig.

DANIEL: Träume kommen von Gott.

FRANZ: Pfui doch, pfui doch …

RENÉ zu Anton: Und?

FRANZ: Sage das nicht.

RENÉ: Was ist mit dir? Träumst du auch solche Sachen?

FRANZ: Du lügst, sag ich …

RENÉ: Hattest du wenigstens einmal einen bösen Traum, als ich für dich im Knast gesessen bin?

FRANZ: … Ich sage dir, du lügst …

ANTON: Du bist nicht für mich im Knast gesessen.

RENÉ: Aber wegen dir.

FRANZ: … Rächet denn droben über den Sternen einer? …

ANTON: Ich habe dich nie zu etwas gezwungen.

RENÉ: Ach nein?

ANTON: Nein.

Daniel ab.

RENÉ: Nein, du hattest kein schlechtes Gewissen für das, was du mir angetan hast, damals, du nicht. Pastor Moser tritt auf.

ANTON: Was willst du denn jetzt damit?

RENÉ: Hab mich das nur gefragt, weil sogar der Kanalarbeiter da plötzlich miese Träume hat und so.

FRANZ: Itzt will ich’s wissen, itzt, diesen Augenblick. Es ist kein Gott …

RENÉ: Und das erklärt natürlich auch, dass du mich gleich, nachdem ich raus war, wieder für den nächsten Job angeheuert hast.

FRANZ: … Pfaffe, du gefällst mir …

RENÉ: Um mir unter die Arme zu greifen. Haha. Um mir wieder auf die Beine zu helfen. Haha.

FRANZ: … aber er wird betrogen …

RENÉ: Aber beim letzten Mal hast du die ganze Kohle eingesackt, während ich trockenes Brot gekaut hab.

ANTON: Das müssen wir doch wirklich nicht jetzt bereden.

RENÉ: Warum nicht?

ANTON: Wir sind im Theater, herrgott.

RENÉ: Das was deine glorreiche Idee.

ANTON: Ja, um uns ein Alibi für morgen zu verschaffen, damit wir die Karten von morgen herzeigen können und erzählen können, um was es gegangen ist und …

MOSER: … Das ist die Philosophie Eurer Verzweiflung …

ANTON: … Und das heißt doch, dass wir beide ein Alibi haben werden, nicht nur ich, es kann gar nichts passieren.

RENÉ: Das hast du letztes Mal auch schon gesagt.

ANTON: Aber diesmal wird es klappen.

RENÉ: Und warum kommst du dann nicht mit, sondern schiebst Wache?

ANTON: Ist es das, was dich stört? Dass ich Wache schiebe? Und du drinnen bist? Ist es das?

RENÉ: Wenn ich dafür einfahre, ja.

MOSER: … Ich hab ja noch nichts von Beweisen gesagt …

ANTON: Na gut, in Ordnung, dann geh ich mit rein, dann schlag ich dem alten Sack den Hammer aufs Hirn, dann …

RENÉ: Welcher alte Sack?

ANTON: Der Juwelier.

RENÉ: Ich denke, es wird niemand da sein.

ANTON: Ja, nein, ich weiß es nicht.

RENÉ: Aha.

FRANZ: … Was ist die größte Sünde? Vatermord, Brudermord? Ha …

RENÉ: Das ist doch alles ein abgekartetes Spiel.

ANTON: Nein.

RENÉ: Doch.

FRANZ: Geh, sag ich.

Moser ab. Daniel tritt auf.

ANTON: Nein.

RENÉ: Doch.

DANIEL: … Mordjo, Mordjo …

ANTON: Nein.

RENÉ: Doch.

FRANZ: … lass alle Glocken läuten …

ANTON: Nein.

RENÉ: Doch.

FRANZ: Es wird zu spät.

ANTON laut schreiend: Du nervst.

Stille.

ANTON zu Franz: Entschuldigung, ich meinte ihn, nicht Sie, es … es tut mir leid.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ VON VORHIN: Nein, ich fand das grad sehr spannend.

ANTON: Was?

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Sie planen also für morgen einen Raubzug, ja?

ANTON: Was?

FRANZ: Entschuldigung, aber wir sind hier im Theater.

ANTON: Ja.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ja, aber wir wissen ja, wie’s ausgeht bei Ihnen, nicht? Sie bringen sich jetzt um.

RENÉ: Nicht. Jetzt haben Sie mich gespoilert.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Tut mir leid. Am Ende sind alle tot. Aber was passiert morgen?

DANIEL: Morgen auch. Das Stück bleibt, so wie es ist.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Nicht doch Sie, die beiden hier.

DANIEL: Was ist mit den beiden?

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Der eine plant, einen Juwelier zu überfallen, und die sind nur hier, um das morgen als Alibi zu nutzen, weil, wie Sie gesagt haben, morgen eh genau das Gleiche hier passiert. Aber der eine denkt, der andere will ihn reinlegen, weil er das schon mal gemacht hat. Nicht?

RENÉ: Genau.

ANTON: Nein.

RENÉ: Aha?

ANTON: Bitte, spielen Sie doch weiter.

FRANZ: Und Sie sind Brüder?

RENÉ: Eben.

ANTON: Immerhin habe ich meinen Bruder nicht umgebracht.

FRANZ: Das hab ich auch nicht.

DANIEL: Aber du hast mich dazu angestiftet.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Stimmt.

FRANZ: Das ist Theater.

DANIEL: Stimmt.

RENÉ: Aber nicht bei mir, ich war wirklich im Knast.

DANIEL: Und Sie nicht?

ANTON: Nein …

DANIEL: Aha.

ANTON: Jetzt fängt der auch noch zu ahaen an.

RENÉ: Und erzähl, warum du nicht im Knast warst. Sag’s. Sag, dass du weggelaufen bist, als du die Sirenen gehört hast, auf deinem Wachposten, statt mich zu warnen.

ANTON: Dafür blieb doch keine Zeit.

RENÉ: Das war doch von Anfang an dein verfickter Plan.

FRANZ: Nanana, nicht solche Wort, bitte.

RENÉ: Dein ver … blödeter Plan.

ANTON: Ja. Genau, das war mein Plan. Weißt du was? Ich war gar nicht da, auf dem Wachposten, ich hab dich reingeschickt und bin abgehauen, da waren noch keine Sirenen weit und breit zu hören, weil ich mir gedacht habe: Entweder du schaffst es und wir teilen uns das Geld, hurra, oder du schaffst es nicht, wirst erwischt und kommst nach Stein für ein paar Jahre und ich bin dich los für ein paar Jahre, ich habe endlich mal meine Ruhe, wenigstens die paar Jahre meine Ruhe, endlich, auch hurra. Aber kaum bist du draußen, quartierst du dich wieder bei mir ein und laberst mir die Ohren voll und schaffst es nicht, dein Leben auf die Reihe zu kriegen, und da hab ich mir gedacht, was einmal geklappt hat, klappt auch ein zweites Mal, und weil du ja noch mitten in deiner Bewährungszeit bist, wird es sich diesmal lohnen, echt lohnen, und weil der alte Juwelier noch da rumwuselt, wirst du doch sicher den umhauen, das verschlimmert die Sache, und mit ein wenig Glück ist der tot, weil dann seh ich dich nie wieder, nie nie mehr. Ist es das, was du hören wolltest?

Schweizer tritt auf.

SCHWEIZER: Mordkanaille, wo bist du?

DANIEL: Nicht jetzt.

ANTON: Ist es das, was du hören wolltest?

RENÉ: Nein.

SCHWEIZER: Worum geht es denn?

DANIEL: Pscht.

FRANZ: Pscht.

ANTON: Warum hast du dann gefragt?

RENÉ: Weil ich gehofft habe, dass es nicht so ist. Stille.

ANTON: Aber so ist es nun mal. So. Können wir jetzt endlich das Stück zu Ende schauen?

FRANZ: So einen Bruder wünsch ich nicht einmal meinem ärgsten Feind.

ANTON: Sparen Sie sich Ihre müden Kommentare. Spielen Sie Theater. Los, ich habe für diese Karten gezahlt. Viel gezahlt. Doppelt gezahlt.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ja, warum haben Sie das eigentlich getan, wenn Sie Ihren Bruder eh draufgehen lassen wollten?

ANTON: Weil … Ich …

RENÉ: Ein letztes Mal nerven wolltest du mich, ja?

ANTON: Weil ich dir eine letzte Chance geben wollte. Du hättest mich ja überraschen können. Positiv überraschen. Einmal in deinem verschissenen Leben. Hättest du dich heute Abend einfach nur wie ein ganz normaler Mensch benommen, ruhig, gesittet, normal eben, dann hätte ich es mir ja überlegen können.

RENÉ: Was überlegen?

ANTON: Den Coup ernsthaft durchzuziehen.

RENÉ: Du bist das Allerletzte, echt.

Stille.

DANIEL: Ist das jetzt eigentlich schon strafbar?

SCHWEIZER: Was?

DANIEL: Der Plan an sich?

FRANZ: Warum?

DANIEL: Dann müssten wir vielleicht die Polizei rufen?

FRANZ: Stimmt.

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ist schon passiert.

ANTON: Oh Mann.

Stille.

FRANZ: Und jetzt?

DANIEL: Auf die Polizei warten?

FRANZ: Na gut.

Stille.

RENÉ: Also, wenn ich da vielleicht was vorschlagen dürfte …

FRANZ: Bitte.

RENÉ: Ich würd jetzt schon ganz gern das Ende sehen. Und so lange wir warten, ich mein …

FRANZ: Naja …

DANIEL: Also …

FRANZ: Warum nicht?

RENÉ: Und könnten Sie dann nochmal da anfangen, wo Sie das mit dem Traum und den Sünden und der Waage erzählen? Das war echt mega.

FRANZ: Danke. Klar.

RENÉ: Super. Und dann sterben Sie?

FRANZ: Naja …

DER ANDERE MANN HINTER RENÉ: Ich hab es schon verraten.

FRANZ: Ja.

RENÉ: Das haben Sie auch verdient.

Gerhard Loibelsberger

Das Phantom des Burgtheaters

Eine Kriminalgeschichte aus dem Jahr 1888

»Himmel, Herrgott! Jetzt hab ich da oben meine Augengläser liegen lassen!«, seufzte Tischlermeister Hans Söllwarther, als er nach einem langen, harten Arbeitstag durch einen Seitenausgang das Hofburgtheater verließ. Nach einem kurzen Moment der Verzagtheit wandte er sich an seinen Gesellen Wenzel Irzalek: