Tattoo Krause - Daniel Krause - E-Book

Tattoo Krause E-Book

Daniel Krause

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Beschreibung

Daniel Krause betreibt in Berlin-Mitte das angesagteste Tattoo-Studio Deutschlands. Seine Kunden sind Rocker, Promis, hippe Kreative – und viele Normalos, die einfach mit einem Tattoo einen Lebensabschnitt markieren wollen. Hier gibt Krause frei Schnauze Einblick in seinen Alltag als Tätowierer: »Eine Metallmaschine, 15 Nadeln, 2.000 Stöße in der Minute. Noch Fragen?«

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Seitenzahl: 288

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Daniel Krause / Ulf Meyer zu Kueingdorf

Tattoo Krause

Deutschlands prominentester Tätowierer sticht zu

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Für alle toleranten, offenen [...]EinleitungICH, KRAUSE»Bestehen, Gegenhalten, Argumente finden und alle Kritiker Lügen zu strafen, das ist mein Motor.«SPUCKT NOCH DRAUF!»Ich war 16, ich hatte noch nichts von der Welt gesehen, ich hatte noch keinen Sex gehabt, aber ich hatte ein Tattoo: eine kleine hässliche Rose aus Punkten.«WELCHES BETT KANN ICH DENN NEHMEN?»Im Knast sah ich das erste Mal, dass es so was wie Tattoomaschinen überhaupt gibt.«MEINE WENDE»Mir wäre nicht im Traum eingefallen, zu einem Tattootermin zu spät zu kommen oder keine Kohle dabeizuhaben. Für so was gab’s knallhart aufs Maul.«MEIN ERSTER TATTOOLADEN»Da saßen wir: ein Grufti, ein Lehrling, mein kiffender Tätowiererkumpel und ich, der keine Ahnung hatte. Und es passierte gar nichts.«BOSS IN DER LEHRE»Von neun bis zwölf hab ich geputzt, und nachmittags war ich der Chef. Das musst du erst mal gebogen kriegen.«ENDLICH TÄTOWIERER»Ich weiß, dass meine ehemaligen Kollegen sich gefreut hätten, wenn ich baden gegangen wäre. Aber den Gefallen habe ich ihnen nicht getan.«FRAUEN»Ein Tätowierer, der nicht hässlich ist wie die Kotte, kann jede zweite Frau in seinem Laden haben.«DAS EXPERIMENTDIE TÄNZERINDIE HOBBYNUTTEDIE SCREAM-QUEENMÄNNER»Manche Männerkörper machen mich neidisch. Aber wenn du einen fremden durchtrainierten Body mit deinem Tattoo verschönert hast, ist der gleich auch ein Teil von dir selbst.«DER PIRATDER ACHTERBAHNFAHRERDIE ITALIENISCHEN WELTMEISTERDER PORNO-OPATÄTOWIERENDER PSYCHOLOGE»So ein Vogel wie ich kommt mit Weiberlogik? Da sind viele ganz überrumpelt.«AC/DCDER KLEINE DANIELSAMMELBEIN I – DIE BERLIN-TATTOOS»Das Sammelbein widerspricht allem, worüber Kunden sich beim Tätowieren Gedanken machen sollten, aber es führt auch zurück zum Ursprung jeden Tattoos.«OSTPUNKFÜNF MÖWENBERLIN HARDCOREMARATHONGENERATION TATTOO»Die Kids von heute sind gnadenlos. Die sagen: Ich bin Tattoo, und ich will Tattoo sein, und wenn das irgendeine Branche nicht duldet, dann mach ich da nicht mit.«DER 1. FEBRUARJESSIEDIE ENKELINSTAMMSTICH»Irgendwann hat jeder seinen Stammtätowierer. Meiner ist Alex. Wenn ich mich fremdtätowieren lasse, wird er zickig.«TUPPER-MONIDIE POLITESSEDIE KÄMPFERINDEUTSCHLAND SUCHT DEN TATTOOSTAR»Dass ich mittlerweile zu den C-, D- oder Z-Promis dieses Landes gehöre, finde ich selbst ziemlich unglaublich.«BERLIN STICHT ZU»Die ganze Classic-Tattoo-Crew stand in einer Reihe. Wir haben uns alle angefasst. Und dann lief auf einmal der Vorspann zu unserer Sendung. Da haben wir nur noch geschrien.«MEINE PROMIS»Die meisten Promis zeigen ihre Tattoos nicht. Das ist wie in Disney World. Da dürfen die Figuren auch nicht sprechen, weil die Kinder einen Schreck bekämen, wenn Micky Maus mit einer fiesen Brummstimme losquatschen würde.«MIEZEJÖRN SCHLÖNVOIGTSARAH CONNORRUTH MOSCHNERSAMMELBEIN II – DIE REISE-TATTOOS»Reisen verarbeite ich nicht, indem ich in den Souvenirshop renne und mir ’nen Porzellanteller in den Nationalfarben des Landes kaufe, sondern indem ich mir ein Erinnerungstattoo mache.«MEXIKOFLORIDAAMAZONASBALIPERUKAPSTADTZURÜCK IM KIEZ»Ich bin halt Kiezbewohner. Ich liebe meine Opis hier, ich liebe meinen Supermarkt und mein Mini-Café, und ich kenne die Probleme der Leute hier.«SCHNAUZE HALTEN»Ich weiß, wann Schluss ist mit Blödeln, und ich weiß, wann die Leute etwas ernst meinen. Aber immer, wenn Tod beim Tätowieren eine Rolle spielt, stößt du an deine Grenzen.«VERMÄCHTNISKONTAKTAUFNAHMEVORREITER»Ich hab mir Ami James geschnappt, und wir sind erst mal vier Wodka saufen gegangen. Da taute er auf, nach dem fünften wollte er auch noch was zu kiffen haben, und ich dachte: Bitte, geht doch.«KRAUSE-STYLE»Ich habe mir aus all diesen Versatzstücken von Religion, Esoterik, Erfahrungen und Erkenntnissen meinen eigenen kleinen Mini-Buddhismus zusammengebaut: den Krauseismus.«DER SKINDIE KRANKENSCHWESTERDAS KLOPAPIERENDSPURT»Mit dem Niedergang des Arschgeweihs vor fünf Jahren wurde immer wieder das Ende des Tattoohypes heraufbeschworen. Und was ist seitdem passiert? Die Tattoobranche ist explodiert.«DankBildnachweis

 

 

 

 

 

Für alle toleranten, offenen Menschen, die verstanden haben, dass Anderssein nichts Schlechtes ist. Wir sind alle auf unsere eigene wunderbare Art einzigartig und wollen es auch sein …

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Einleitung

Hey Leute,

 

ich weiß genau, dass jetzt manche denken: Ach du Schreck, der Typ mit der Glatze, den Tattoos und dem komischen Zopf im Nacken, jetzt schreibt der auch noch ein Buch! Ich kann’s verstehen. Wenn mir vor zwanzig Jahren jemand erzählt hätte, dass ich mal Tätowierer werde, im Fernsehen auftrete und ein Buch schreibe, hätte ich auch gesagt, der spinnt. Aber seit ich vor zwölf Jahren meinen ersten Tattooladen in Berlin eröffnet habe, sind viele Geschichten in mein Leben geknallt, die ziemlich unglaublich sind. Manche habe ich selbst erlebt, manche wurden mir von meinen Kunden erzählt, aber irgendwie haben sie alle mit Tattoos zu tun. Da bin ich irgendwann von Daniel Krause zu Daniel Grimm geworden, der all diese Geschichten sammelt und wiedergibt.

Glaubt mir, ich habe viel über dieses Projekt nachgedacht, hab auch recherchiert, was es schon für Tattoobücher gibt. Da findet man meistens Selbstdarstellungen von Spitzentätowierern, die versuchen, die tolle Tattoowelt zu erklären. Für meinen Geschmack kommt dabei aber immer zu kurz, dass Tattoos mit Emotionen verbunden sind. Und zwar nicht nur für die großen Tattoogötter, die zugeschwartet sind bis zum Get-no, sondern besonders für die ganz normalen Kunden, die täglich zu mir in den Laden kommen.

Es ist doch so: Tattoos sind in den letzten Jahren zum Mainstream geworden. Auf meinem Stuhl sitzen Anwälte, Ganoven, Nutten, Makler, Promis und Normalos – Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten also. Aber wenn die Nadel erst mal in der Haut steckt, sind sie alle gleich. Und sie fangen an, ihre Geschichten zu erzählen. Okay, sie machen auch noch ganz andere Sachen, aber dazu komme ich später. Fakt ist: Als Tätowierer bist du Psychologe, Heilpraktiker, Krankenschwester, Maschinenbauer und Künstler in einem. Du musst sensibel mit den Problemen der Kunden umgehen, du musst ihnen erklären, wie sie die Tattoowunde nach der Sitzung pflegen, du musst sie versorgen, wenn sie dir vom Stuhl kippen, du musst dein Handwerk beherrschen und vor allem Kunst auf die Haut bringen, die die Kunden auch in zehn Jahren noch schön finden. Da steckt viel Verantwortung drin, die gerade von Leuten, die Tattoos ablehnen, gar nicht gesehen wird. Die stempeln uns Tätowierer als Assis und Gangster ab und denken, wir sitzen den ganzen Tag saufend und vögelnd in unseren Läden und kratzen den Kunden nebenbei rülpsend irgendwelche Bildchen in die Haut. Diese Klischees haben Tradition und teilweise auch einen wahren Kern, aber sie passen nicht mehr in die heutige Zeit. Das ist mein eigentlicher Antrieb, dieses Buch zu schreiben. Ich will klarstellen, dass Tattoos nichts mit Asozialität zu tun haben und dass sie als Ausdruck von Individualität Respekt verdienen. Nicht umsonst ist die Branche in der letzten Zeit explodiert. In Deutschland hat sich die Anzahl der Tattooläden in den vergangenen fünf Jahren verzehnfacht, 37 Prozent aller 15- bis 35-Jährigen sind tätowiert, und 65 Prozent der Leute, die sich einmal unter die Nadel legen, tun es auch ein zweites Mal.

Auch das Fernsehen hat die Branche für sich entdeckt und bietet mir mittlerweile die Gelegenheit, ihr Botschafter zu sein. In der Tattooszene ist das nicht unumstritten. Da gibt es viele, die sagen: »Was spielt sich der Vogel denn jetzt hier als Top-Tätowierer auf?« Totaler Quatsch. Ich habe nie von mir behauptet, dass ich der beste Tätowierer Deutschlands bin. Dass ich mittlerweile der bekannteste bin, ist eine andere Geschichte und hat damit zu tun, dass ich mein Ding konsequent durchziehe und dabei trotzdem den Mut habe, neue Wege zu beschreiten. Jetzt also mit einem Buch – so kurios ich es selber finde.

Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich bei wichtigen Geschäftsterminen versucht, meine Tätowierungen zu verstecken. Ich hab darauf geachtet, um jeden Preis Hochdeutsch zu sprechen, und es wäre mir im Traum nicht eingefallen, irgendjemandem außer meinen engsten Freunden etwas aus meinem Leben zu erzählen. Heute sitze ich hier und ballere 200 Seiten voll.

Manchmal hab ich das Gefühl, dass ich von allen Göttern und Übervätern, die in irgendwelchen Bibeln stehen, ein Experiment bin. Vielleicht sitzen im Himmel drei Opas mit ’ner Pulle Bier zusammen auf ’ner Wolke, lachen sich tot über mich und schließen Wetten ab, wie weit sie es mit einem Assi wie mir noch treiben können. Ich mache mir einen Spaß daraus. Und wenn ich dabei noch die Möglichkeit habe, Oma Hilde von nebenan ein paar ihrer Vorurteile gegen Tattoos zu nehmen, oder dem Firmenboss aus der Chefetage klarmache, dass vielleicht sogar seine zuverlässigsten Angestellten tätowiert sind, hat es sich schon gelohnt. Wenn sie dann auch noch verstehen, dass Tattoos ein Zeichen von Emotionalität, Kunstverständnis und Charakterstärke sind, hab ich mein Ziel erreicht. Und wenn Oma Hilde und der Firmenboss erst nebeneinander in meinem Laden auf der Couch sitzen und auf ihren Tattootermin warten, sag ich nur: Willkommen in der Zukunft. Denn so viel steht fest: Tattoos sind mehr als nur ein Trend. Sie sind eine Lebensform. Um das mit dieser Sicherheit sagen zu können, hab auch ich ein paar Jährchen gebraucht. Also, keinen Stress. Macht’s einfach wie die Opas auf der Wolke: Pulle auf, umblättern und Wetten abschließen, ob der Typ mit der Glatze und den Tattoos wirklich so viel zu erzählen hat, dass er es bis auf Seite 200 schafft. Ihr werdet euch wundern.

 

Euer Tattoo-Krause

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ICH, KRAUSE

»Bestehen, Gegenhalten, Argumente finden und alle Kritiker Lügen zu strafen, das ist mein Motor.«

Für alle, die es nicht wissen: Mein Laden heißt »Classic Tattoo«, und er liegt in der Mitte von Berlin in der Torstraße, Ecke Straßburger Straße. Ich sehe von hier aus den Fernsehturm, ich habe meine Wohnung um die Ecke, der Laden ist mein zweites Zuhause. Und dadurch, dass der Standort seit zwölf Jahren immer der gleiche geblieben ist, bin ich mittlerweile so was wie der Dinosaurier im Kiez. Ich hab hier meinen Kaffeeladen, wo ich meine Zeitung hole; wenn ich zum Supermarkt gehe, macht die Verkäuferin, die wir auch tätowieren, ’ne neue Kasse für mich auf; und bevor die Leute vom Ordnungsamt mir einen Zettel ans Auto kleben, kommen sie erst zu uns rein und fragen, was los ist.

Vor dem Laden steht seit Jahren eine Holzbank, die mittlerweile unser Maskottchen geworden ist. Diese Bank wollten wir irgendwann mal zerkloppen, weil sie eigentlich längst Schrott war.

Wir haben sie hinten in den Hof gestellt und uns nichts weiter dabei gedacht, da kamen auf einmal die Leute aus der Gegend in den Laden und fragten: »Hey, seid ihr pleite?«

Ich sag: »Nee, wieso denn?«

»Na, die Bank steht nicht mehr draußen.«

Das führte schließlich dazu, dass wir das Ding mit allen möglichen Schrauben und Nägeln repariert haben, damit wir es wieder rausstellen konnten. Warum ich das erzähle? Weil es zeigt, dass es hier im Kiez für niemanden mehr ein Problem ist, dass wir Tätowierer sind. Nicht für die Verkäuferinnen im Supermarkt und auch nicht für die Leute aus dem Altersheim zwei Straßen weiter. Bei uns muss keiner Angst haben reinzukommen, nur weil hier tätowierte Burschen hinterm Tresen stehen, die auf den ersten Blick gefährlich aussehen. Wenn’s der Terminplan zulässt, nehm ich mir auch die Zeit, mich mit den Leuten hinzusetzen und ’nen Kaffee zu saufen. Ich bin ein Typ aus dem Volk, der da voll dranklebt und das gerne macht. Das ist nicht nur mein Feeling, sondern das von allen bei Classic Tattoo.

Es gibt ja viele Tätowierer, die sich immer noch in dieser Rebellen-, Assi- und Punkrolle wohl fühlen. Die wollen die großen, geheimnisumwitterten Typen sein, die in einer Stadt wie Berlin durchdrehen und an der Steuer vorbei ein paar Scheine kassieren. Ich komme selber aus dieser Ecke. Klar war ich Punk, klar war ich Türsteher, und natürlich hab ich mich rumgeprügelt und saß im Knast. Ich hab dieses Rock-’n’-Roll-Ding eine Zeitlang voll durchgezogen. Das steckt in mir drin und musste sein. Du kannst nicht zu etwas Nein sagen, das du nie ausgelebt hast. Ich hab als Halbgangster Geld eingetrieben und dubiose Geschäftchen gemacht, ich hatte es mit zwei Weibern, mit drei Weibern, mit drei Kumpels und einer Alten, mit Anblasen und weitertätowieren … Hat alles stattgefunden. In der Tattoobranche stehst du immer mit einem Fuß in der Hölle. Der Alkohol, die Drogen und die Frauen, all diese Dinge, die Männer schon immer in den Ruin getrieben haben, sind ständig in Reichweite.

Tätowierer sind zu 80 Prozent Machos. Und sie bekommen jeden Tag eimerweise Selbstbestätigung und das Gefühl, sich nehmen zu können, was sie wollen. Es gibt viele gute Tätowierer, die heute nicht mehr arbeiten, weil sie daran kaputtgegangen sind. Der eine hat sich weggekokst und ’nen Gehirnschlag gekriegt, dem Nächsten haben sie den Magen rausgenommen und so weiter. Die konnten irgendwann einfach nicht mehr. Dabei hätten sie bis ins hohe Alter tolle Tattoos machen können, wenn sie gelernt hätten, Nein zu sagen. Ich meine das gar nicht oberlehrerhaft. Bei mir hat es auch lange gedauert, bis ich Nein sagen konnte. Du ziehst dieses Exzessding halt immer wieder und immer wieder durch, und es ist irgendwie auch immer wieder lustig. Da kommt der Freund und streut Drogen, der Nächste hat drei Weiber dabei, diesmal ist die eine blond, die andere hat noch größere Titten als die von neulich, und deine coolen Sprüche vom letzten Mal ziehen auch immer noch. Aber bei mir war es irgendwann so, dass ich mittendrin gemerkt habe, dass ich keinen Bock mehr hatte, denselben Scheiß zum tausendsten Mal zu labern. Ich wollte auch keine Drogen mehr, weil ich wusste, dass ich mich danach drei Tage scheiße fühle. Selbst die geilste Alte fand ich nach dem dritten Fick nicht mehr spannend. Ich bin nachts verschwitzt aufgewacht in diesem Mix aus Alkohol- und Exzessnachglühen, und ich bin hinterher immer wieder in ein großes Loch gefallen. Drei Tage später, wenn’s mir wieder besserging, habe ich dann gemerkt, dass ich wieder richtig Lust hatte zu arbeiten. Dieses Gefühl habe ich irgendwann zu schätzen gelernt. Und dann sitzt du das nächste Mal wieder mit den Jungs zusammen und merkst: Du willst dieses Bier vor deiner Nase eigentlich gar nicht trinken. Dann musst du dich entscheiden: Entweder du trinkst es trotzdem, oder du formst deinen Charakter und lernst, Nein zu sagen.

Mir hat dieses Neinsagen meine Existenz gesichert. Ich hab mir eine neue Droge gesucht. Das war der Drang zu bestehen, der Drang weiterzukommen und der Drang, mich selbst zu einem Experiment zu machen. Ich wollte wissen: Wie groß kann das eigentlich werden, was du hier angefangen hast? Dazu muss man wissen: Noch vor zwanzig Jahren wollte die Gesellschaft uns Tätowierer partout nicht unter sich haben. Wir waren Dreck, wir waren Randgruppe, wir waren Gangster, wir wurden belächelt. Am liebsten hätte man uns aussortiert. In diese Kiste von Vorurteilen werden diese ganzen Dinger – Drogen, Alkohol, Fickerei – reingepackt. Aber genau gegen diese Vorurteile, die ich selber lange genug gelebt hatte, wollte ich nun bestehen. Bestehen, Gegenhalten, Argumente finden und alle Kritiker Lügen zu strafen, das ist mein Motor geworden. Ich habe das eine Zeitlang richtig doll gebraucht, um weiterzumachen. Ob das die Tattoos waren, die immer besser geworden sind, ob das ein neuer Laden war oder ob es mit Mitte dreißig einfach das Gefühl war, dass ich für andere Leute da sein konnte. Ich hatte jüngere Tätowierer als Lehrlinge im Laden, denen ich helfen konnte. Der eine hat seine Lehre geschmissen, weil er jeden zweiten Tag besoffen war. Der hat Blut gekotzt und konnte nicht mehr arbeiten. Den habe ich in den Arm genommen und aufgefangen wie ’nen Sohn. Das ist dieses Familiending. Das Team bei Classic Tattoo ist meine zweite Familie.

Dazu kommen die Erlebnisse mit den Kunden. Als Tätowierer hab ich die Möglichkeit, tiefer, doller und länger in die Köpfe der Menschen reinzugucken als irgendjemand sonst. Die Leute müssen bei uns im Rekordtempo ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Sie müssen sich vor uns ausziehen und sich von uns berühren lassen. Ähnlich wie beim Arzt. Aber wir sind eben keine Ärzte. Zum Arzt will keiner hin, zu uns kommen die Leute freiwillig. Wir sind die groben Typen, die diesen Rock-’n’-Roll-Lifestyle verkörpern, deshalb begegnet man uns anders. Die Kerle machen einen auf Kumpel, die Frauen spielen mit ihren Reizen, vor allem aber öffnen sich die meisten sehr schnell und bauen ein Verhältnis auf. Es gibt natürlich auch Kunden, die reden überhaupt nicht. Da versuchst du drei-, viermal erfolglos, ’nen Smalltalk anzufangen, und hast danach drei, vier Stunden die Qual deines Lebens, weil die nicht drauf eingehen. Die sitzen nur da und starren vor sich hin. Am Ende stehen sie auf, du selbst freust dich, weil du meinst, das Tattoo ist gut geworden, und die stellen sich vor den Spiegel und pressen sich ein gequältes »Ja, schön. Was kriegst du noch für Geld?« ab. Andersrum gibt es die, die vor Freude anfangen zu heulen und dich umarmen. Das ist dann wie eine Extrabezahlung.

Mir ist jedenfalls irgendwann klargeworden, dass ich auch ohne Exzesse den besten Job der Welt habe. Ich kann das tun, was ich liebe, ich bin Botschafter zwischen den sozialen Schichten, und ich arbeite mit Leuten zusammen, die meine Freunde sind. Aber bevor’s allzu romantisch wird, erzähl ich erst mal, wie ich überhaupt zum Tätowieren gekommen bin. Zwischendurch ist ja auch viel Scheiße passiert – angefangen bei dem ersten Tattoo, das ich selber bekommen habe: eine ganz schlimm von Hand gestochene Rose. Das Ding war ein Witz. Ihr bekommt also was zu lachen.

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SPUCKT NOCH DRAUF!

»Ich war 16, ich hatte noch nichts von der Welt gesehen, ich hatte noch keinen Sex gehabt, aber ich hatte ein Tattoo: eine kleine hässliche Rose aus Punkten.«

Ich komme aus dem Osten, also aus der DDR. Als die Mauer gefallen ist, war ich 18. Ich habe meine prägenden Jahre also in diesem Land verbracht, in dem irgendwie alles verboten war. Tattoos sowieso. Die standen in der DDR unter Strafe, und offiziell gab es sie gar nicht. Hatte man allerdings mit Punkern oder Künstlern oder Leuten, die im Knast gesessen hatten, zu tun, kam man doch irgendwann damit in Berührung.

In gewisser Weise war klar, dass ich früher oder später beim Tattoo landen musste. Ich war immer Rebell und wollte immer anders sein. Das musste erst mit bunten Haaren, dann mit zerfetzten Klamotten und irgendwann auch durch ein Tattoo unterstrichen werden.

Aber eins nach dem anderen: Aufgewachsen bin ich ziemlich behütet, in Blankenfelde, hinter Pankow. Wir wohnten in einer Siedlung mit Einfamilienhäusern, ich hatte einen drei Jahre älteren Bruder und eine fünf Jahre jüngere Schwester, und alles lief ganz okay. Bis ich acht oder neun war und meine Eltern anfingen, sich zu trennen. Ein Prozess, der sich über drei Jahre hinzog und für uns Kinder ziemlich schlimm war. Es war der klassische Scheidungsmist: Meine Mutter ging fremd, mein Vater fing an zu saufen. Ich hab immer noch die Bilder im Kopf, wie er auf sie losging. Wenn so eine Beziehung auseinanderbricht, und die Kinder müssen zugucken, ist das scheiße. So was sollte nicht zum Problem der Kinder werden, sondern das Problem der Eltern bleiben. Bei uns hat das nicht geklappt. Nach der Scheidung durften wir Kinder unseren Vater nicht mehr sehen, die Verbindung wurde komplett gekappt. Ich habe später ganz viele Briefe gefunden, die er an uns geschrieben hat, die uns aber nie erreicht haben. Ich liebe meine Mutter, aber das ist das Einzige, was ich ihr vorwerfe. Sie hat uns Kinder zum Spielball ihrer zerrütteten Beziehung gemacht. Andererseits: Wir machen alle Fehler, und meine Mutter ist eben auch nicht das heilige Wesen, für das ich sie immer gehalten hatte, bis ich sie im Alter von fünf aus Versehen beim Vögeln mit meinem Vater überraschte. Spätestens da wusste ich: Okay, meine Eltern sind auch nur Menschen.

Ich glaube im Nachhinein, dass ich eine Menge von meinem Vater geerbt habe. Der hatte viel mit Kunst am Hut, hat Bilder gemalt und war sehr emotional. Er war Musiker und ist zu DDR-Zeiten mit der Handelsmarine um die ganze Welt gefahren, im Osten ein Privileg. Aber die Trennung von meiner Mutter hat ihn kaputtgemacht. Ich habe Jahre später zum Glück noch mal mit ihm sprechen können. Mittlerweile ist er gestorben. Erst nach seinem Tod habe ich von meiner Tante erfahren, dass er nie verwunden hat, dass ihm seine Kinder weggenommen wurden. Der hat uns über alles geliebt. Krasses Schicksal. Ich habe meiner Schwester neulich eine Gitarre mit Flügeln dran auf die rechte Wade tätowiert. Das ist unser gemeinsames Andenken an ihn.

Na gut, aber meine damalige Reaktion auf den Ärger zu Hause war erst mal, den Rebellen in mir zu entdecken und mir Stück für Stück eine Ersatzfamilie aus Freunden zu suchen. Ich fing an, mein Umfeld zu beobachten. Ich merkte, wie sich alles dahinschleppte, und mich kotzte die Struktur, nach der der Osten funktionierte, an – mit den FDJlern und den strammen Sozis und diesem unterschwelligen Stasiding. Irgendwas brodelte in mir und wollte raus. Das erste Ventil war die Musik. Damit fing mein Rebellentum an. Mit 15 oder 16 hab ich angefangen, mir selbst Englisch beizubringen. Mit Wörterbüchern hab ich Liedtexte von Depeche Mode übersetzt. In diesen Texten steckte so viel Tiefe drin. Wenn ich bei einigen Songs die Augen zugemacht hab, hab ich mehr gespürt als bei irgendeinem Kuss mit ’nem Mädel an der Bushaltestelle.

Es gab damals im Westfernsehen die Sendung »Formel Eins«, wo immer Samstagnachmittag um 15 Uhr eine Dreiviertelstunde lang neue Musikvideos liefen. Das war für mich Pflichtprogramm, bevor ich mich abends mit meinen Kumpels auf dem Alex getroffen habe. Krasse Eighties-Geschichten waren dabei: King, Dead Kennedys, Sisters of Mercy. Bei diesen Leuten hab ich mir abgeguckt, wie man tanzt, und ich hab mich von ihren Klamotten inspirieren lassen.

 

Abbildung 1: Passbild mit 17. Coole Kopfhörer, wa? Und die Frisur erst!

Allerdings musste ich meinen eigenen Stil entwickeln. Ich befand mich ja in einem Land, wo es keine tollen Springerstiefel und keine Nietengürtel und keine Lederjacken, die schon vorbeschmiert waren, zu kaufen gab. Es gab nur das, was jeder anhatte, und damit musstest du klarkommen. Wenn du also anders aussehen wolltest als alle anderen, hieß es umstylen. Ich hab meine Hose mit Kugelschreiber vollgeschmiert und ein Bein abgeschnitten, im Keller hab ich eine alte Lederjacke von meinem Opa gefunden und die auf dem Rücken bemalt, dazu kamen die Haare, die immer abstehen und bunt sein mussten. Schon sah ich tatsächlich anders aus – und bin deswegen ständig angeeckt. Ich war auf einer ziemlich kleinen Schule. Da war ich der Einzige, der über den Hof lief und aussah wie Pumuckl, deshalb haben die Lehrer immer versucht, mich anzugreifen. Über schlechte Zensuren, über Leistungskontrollen und, und, und. Ich war immer der Erste, der zur Tafel musste. Aber ich war nicht dumm. Das hatte mir schon mein Opa eingebleut: Du darfst jeden Scheiß machen, aber du darfst dabei niemals dumm sein. Also hab ich die Lehrer mundtot gemacht. Meine Staatsbürgerkundelehrerin hab ich irgendwann gefragt: »Wenn die Mauer ein antiimperialistischer Schutzwall ist, warum zeigen die Stacheldrahtecken dann eigentlich in unsere Richtung und nicht in die Richtung des Feindes, den wir abwehren wollen?«

Sie hatte keine Antwort. Aber die Geschichte führte dazu, dass ich mich anschließend jede Woche einmal beim Direktor melden musste. War mir egal. Die Provokation gehörte dazu. Ein paar Wochen später hab ich die gleiche Lehrerin gefragt: »Eine Diktatur und eine Demokratie können doch nie zusammen funktionieren, oder?«

Sie nickte und meinte: »Natürlich nicht. Aber wie meinen Sie denn das?«

»Na, ich denke, wir leben hier in der Deutschen Demokratischen Republik. Aber in unseren Büchern steht, dass wir unter der Diktatur des Proletariats leben. Da komme ich jetzt aber durcheinander.«

 

Abbildung 2: Im Osten geht die Sonne auf. Ich mit 19 am S-Bahnhof Schönhauser Allee.

Diese ganzen Dinger führten dazu, dass ich schon mit 15 eine Stasiakte bekam. Ich hatte ja zusätzlich auch noch Freunde aus der Ostberliner Künstlerszene. Dafür gab’s einen Extravermerk, weil Leute, die mit Künstlern zu tun hatten, genau wie die Künstler selber, einer verstärkten Überprüfung durch die Stasi unterlagen. Wir wussten das. Aber wenn du in diesem Rebellenalter bist, freust du dich darüber, dass die Bullen dich abführen.

Ich stand teilweise 24 Stunden mit zwei Kumpels im Innenhof vom Stasiknast Hohenschönhausen an der Mauer und hab darauf gewartet, meine Lederjacke wiederzubekommen. Das war so üblich da. Wenn keine Zellen mehr frei waren, wurden Leute wie wir zum Ausnüchtern nach draußen verfrachtet. Am besten noch im Regen. Aber wir fanden das geil. Wir fanden’s geil, an dieser Mauer zu stehen und uns von der Stasi anbrüllen zu lassen, weil wir dadurch klarmachen konnten: Wir sind Rebellen, und wir lassen uns nicht brechen! Irgendwann ist das wie ein Job. Es war Pflicht, jeden Tag einmal dieses Gefühl zu haben gegenzuhalten. Du zelebrierst dieses Anderssein und merkst irgendwann auch, dass die Mädels darauf abfahren. Dann hängst du auf einmal in einer Clique von fünf Leuten und machst mit denen Musik. Hatte ich irgendeine Ahnung von Musik? Natürlich nicht. Ich konnte vier Akkorde auf der Bassgitarre spielen, das war’s. Aber darum ging’s nicht. Wichtig war, dass wir auf der Bühne standen, »Yeah« gebrüllt haben und danach saufen konnten. Unsere Band hieß »Die Schmutzels«. Unser Logo war ein Kreis, in den wir einen Comicpunk mit Knubbelnase, Iro und einem Riesenohrring mit Anarchiezeichen reingemalt hatten. Wir waren halt Punks. Aber nicht solche Punks, die nur rumhängen und rumschnorren, sondern einfach eine Gruppe von Leuten, die gegenhalten wollten und auf einer Ebene waren. Das war Liebe. Ich habe teilweise lieber mit den Jungs im Park geschlafen als bei mir zu Hause. Es gab damals nichts Schlimmeres für mich als den Sonntagabend, wo das Wochenende mit meinen Freunden vorbei war, und nichts Schöneres als den Mittwoch, wo es für uns schon wieder anfing.

Einmal im Jahr gab’s das »Fest an der Panke« in Pankow. Das war unser Fest. Wir haben uns gesammelt, noch ein paar Leute aus Potsdam angerufen, und schon waren wir 50 Mann. Wir lagen besoffen auf der Wiese und fanden nichts geiler, als die angewiderten Blicke von den normalen Sozis zu beobachten, die an uns vorbeiliefen. »Ja, spuckt noch drauf!«, haben wir gerufen und uns totgelacht. Es gab immer ’ne Aktion, hier wurde ein Transparent gebastelt, und da musste jemand geärgert werden. Trotzdem hatte das Ganze immer Geist.

Der eine von den »Schmutzels« hat heute ’ne Fabrik und baut Jachten, der andere ist Chemieprofessor, der dritte ist Arzt im Unfallkrankenhaus Marzahn, und der vierte lebt in Singapur und hat ’ne Schule für Diplomatenkinder. Nur um mal zu zeigen, dass das keine dummen Leute waren. Wir haben einfach die Provokation gebraucht wie eine Droge. Und da jede Droge gesteigert werden muss, war klar, dass irgendwann mit Nadeln gespielt wurde.

An meine wirklich erste Begegnung mit dem Thema Tattoo kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Irgendwie muss mal wieder einer unserer älteren Rebellenkumpels aus dem Knast gekommen sein und sein erstes Ding vorgezeigt haben. Das hat uns alle fasziniert, und insgeheim war klar: Das wird die nächste Aktion. Ich hab nie darüber nachgedacht, was ich meiner Mutter antue oder ob es Ärger gibt. Es stand überhaupt nicht zur Debatte, jemanden zu fragen. Wie bei allen anderen Dingen hast du die Schelle, die du hinterher kriegst, regelrecht eingeplant. Ohne war es gar nicht das, was es sein sollte. So wurde erst ein bisschen rumprobiert, und schon fand ich mich bei einer der nächsten Partys im Keller auf einem Schlitten wieder und bekam eine kleine hässliche Rose auf den Oberarm tätowiert. Richtig klassisch mit einer alten Nadel, die mit Bindfaden umwickelt war. Da war keine Spur von Hygiene, aber das war scheißegal. Selbst wenn diese Nadel vorher schon fünfmal benutzt gewesen wäre und ich mir davon die schlimmsten Krankheiten geholt hätte – diese Rose musste auf die Haut. Jeder Punkt wurde einzeln gestochen, wie wenn man mit einem Stift Linien punktet. Es hat wehgetan wie Sau, es hat geblutet, zwischendurch gab’s ein Bier und noch ein Bier und noch ein Bier.

Insgesamt hat die Prozedur drei Stunden gedauert. Ich würde für das gleiche Motiv heute fünf Minuten brauchen, aber das kann man nicht vergleichen. Damals wollten wir einfach die Faszination für Tattoos leben, wir wollten cool sein, und die ganze Atmosphäre war aufgeladen mit Emotionen. Am Ende saß ich da, mit einem halbfertigen Scheißding, bei dem jeder Punkt unterschiedlich intensiv getroffen war. Aber ich war stolz wie Bolle. Ich war 16, ich hatte noch nichts von der Welt gesehen, ich hatte noch keinen Sex gehabt, aber ich hatte ein Tattoo: eine kleine hässliche Rose aus Punkten.

Wir wollten das Ding eigentlich später noch fertigstechen, aber bevor es dazu kommen konnte, haben sie den Typen, der das machen sollte, schon wieder in den Knast gesteckt. Das Ding hatte aber auch im halbfertigen Zustand seine Bedeutung. Es erzählte von Zusammenhalt, von Rebellion und Freundschaft. Das können einige tätowierte Leute vielleicht nachvollziehen.

Für mich beginnt mit dieser Rose meine persönliche Tattoogeschichte. Ich glaube auch, dass die tiefe Verbindung, die ich heute mit der ganzen Thematik habe, mit dieser Ostvergangenheit zu tun hat. Für mich bedeuten Tattoos bis heute Verarbeitung, Kontra und Emotion. Dieses Verständnis hat damals auf diesem beschissenen Schlitten angefangen.

Wenn ich heute in meinem Laden einen halbwegs pädagogischen Auftrag wahrnehme und Kids davor bewahre, beim Tätowieren Fehler zu machen, ist das gar kein Widerspruch. Ich bin im Nachhinein für mich selber froh, dass es im Osten keine Tattooläden gab. Ich würde heute wahrscheinlich aussehen wie der Vollassi. Die Rose hab ich mir später übrigens abdecken lassen, man sieht sie nicht mehr. Ich ärgere mich mittlerweile darüber. Ich hätte sie lassen und am besten noch einen kleinen Rahmen drum herumbauen sollen. Schließlich stand sie, Verbote hin oder her, für die schönste Zeit in meinem Leben.

Leider existieren auch die meisten Stümpertattoos meiner Kumpels von damals nicht mehr. All der üble Schrums, die Blumen, die Peace-Zeichen, die Rolling-Stones-Zungen ist irgendwann übertätowiert worden. Trotzdem erinnert sich noch jeder, was das erste Tattoo bei ihm war. Wenn ich heute mit diesen Leuten spreche, haben die über ihre alten Tattoos oft mehr zu erzählen als über die schönen neuen Bilder, die sie sich jetzt machen lassen. Ich selber knüpfe an die Intensität von damals an, indem ich mein rechtes Bein vor fünf Jahren zum »Sammelbein« erklärt habe. Darauf verarbeite ich schnelle und heftige Erlebnisse auf Reisen und aus meinem Tätowiererleben mit kleinen, ganz unterschiedlichen Tattoos. Angefangen hat dieses Projekt sogar mit einem »Ostpunk«-Tattoo. Aber dazu komme ich später. Jetzt muss ich erst mal in den Knast.

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WELCHES BETT KANN ICH DENN NEHMEN?

»Im Knast sah ich das erste Mal, dass es so was wie Tattoomaschinen überhaupt gibt.«

Während wir Jugendlichen uns einer nach dem anderen unsere schlechten Tätowierungen verpassten, hab ich mit einem Kumpel eine Lehre als Facharbeiter für chemische Produktion angefangen. Auch die haben wir nicht wirklich ernst genommen. Mein Kumpel hat auf der Arbeit sogar alle möglichen Chemikalien mitgehen lassen.

Als wir dann Urlaub hatten, sind wir zusammen mit noch einem Kollegen an die Ostsee gefahren. Unser erster eigener Urlaub! Viel haben wir nicht mitgenommen. Ein Zelt, Decken, 100 Ostmark und ein paar Fläschchen von dem Diebesgut aus dem Betrieb – unter anderem Chloroform und Morphium. Wir also rein in den Zug Richtung Ostsee, mit nur einer Fahrkarte für alle Mann. Ganz klassisch haben wir uns zu dritt auf dem Klo eingeschlossen, und als der Schaffner kam, hat einer mit runtergelassenen Hosen den Kopf aus der Tür gesteckt und gesagt: »Ey, ich kacke gerade, hier ist meine Fahrkarte.« Damit war der Rest der Fahrt geritzt.

 

Abbildung 3: Beach Boys Ost, 1986. Ich bin der Dritte von links.

Wir haben in diesem Urlaub die krassesten Dinger erlebt. Mit unseren 100 Ostmark sind wir auf ’nen Zeltplatz. Da haben wir im Wechsel im Zwei-Mann-Zelt geschlafen, weil wir zu dritt nicht reingepasst haben. Und dann musste natürlich das Chloroform ausprobiert werden. An einem Nachmittag, als es mal wieder geregnet hat, sind wir in ein Kino gegangen, wo gerade ein DEFA-Indianerfilm lief, und haben uns da einen weggeschnüffelt. Wir saßen fett wie die Nattern auf unseren Sitzen und haben Tränen gelacht über »Die Söhne der großen Bärin« mit Gojko Mitic. Dieser Film war so beschissen. Die Indianer hatten Turnschuhe an, und auf dem Acker, über den sie ritten, hat man noch Treckerspuren gesehen. In unserer Fettness haben wir jedes winzige Detail erkannt, das nicht gestimmt hat. Das war wie »Finde die Fehler« in der BZ. Ein unglaubliches Schauspiel. Abends sind wir mit dickem Schädel in unser Zelt und haben Paranoia geschoben. Neben uns kampierte gerade eine Truppe mit zwanzig Heavy-Metal-Typen. Irgendwann kam mein Kumpel vom Pissen zurück und sagte: »Du, die wollen uns aufs Maul hauen. Wir sind für die die Bürsten, die machen uns jetzt richtig platt.«

Ein dreifaches »Kacke« ging durchs Zelt, aber da wir in der Falle saßen, waren wir uns einig: Gemeinsam stehen, gemeinsam sterben! Aber nicht nüchtern. Wir haben uns mit vier Flaschen »Berliner Luft«, so einem ganz miesen Likörfusel, den Helm weggedroschen, bis wir komplett besoffen waren, und mein Kumpel lallte: »Passstauf! Angriff-issie-besse-Verdeidijung.«

Bevor wir aus dem Zelt gekrochen sind, haben wir noch jeder zehn Tropfen Morphium genommen, dann ging’s los, schwankend und taumelnd ins Freie. Aus dem Bild hättest du eine Karikatur machen können. Da standen drei verpeilte Punks auf Alkohol und Morphium im Wald und wollten eine Gang Metaller angreifen – nur dass diese Metaller mittlerweile längst ihre Sachen gepackt hatten und weitergezogen waren.

»Wo sinssie denn?«, hab ich gefragt und mich umgeguckt. Da Morphium neben der schmerzlindernden Wirkung auch die Reaktionen verlangsamt, kamen die Bäume meinem Blick immer nur zeitverzögert hinterher. Und dann sind wir durch diesen Wald gestolpert und haben die Typen gesucht. Es muss ein Anblick für die Götter gewesen sein. Völlig lebensmüde.