Tentakelgott - Dirk van den Boom - E-Book

Tentakelgott E-Book

Dirk van den Boom

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Beschreibung

Die Sänger sind nicht mehr. Die Tentakel verwandeln sich in Zombies. Die Menschen der Erde befreien sich aus dem jahrhundertelangen Joch und gehen einer neuen Zukunft entgegen. Exilanten suchen nach einem anderen Sinn ihrer Existenz. Verschüttete klettern aus den Trümmern und finden ein neues Leben. Und es bleiben Fragen, die ungeklärt sind, Zusammenhänge, die aufgedeckt werden müssen und Rollen, die neu zu definieren sind. Wer herrscht über wen? Wer versucht, das Rad der Zeit zurückzudrehen? Wer findet eine neue Bestimmung – und wer scheitert an dieser? Die Dämmerung des Tentakelreiches bricht an, und in ihr versuchen alle, ihre Existenz neu zu ordnen, und nicht alle tun dies freiwillig. Vor allem für einen stellt sich die Frage, wohin die Reise jetzt geht – und ob er noch ein letztes Mal etwas anderes sein wird als Tentakelkaiser oder Tentakelgott. Die Romane der Reihe in der Übersicht: Trilogie 1: 1) "Tentakelschatten" 2) "Tentakeltraum" 3) "Tentakelsturm" Trilogie 2: 4) "Tentakelwacht" 5) "Tentakelblut" 6: "Tentakelreich" Trilogie 3: 7) "Tentakelfürst" 8) "Tentakelkaiser" 9) "Tentakelgott" Alle Romane sind einzeln als Paperback mit Klappenbroschur lieferbar. Die Bände 1 bis 3 gibt als eBook in einem Sammelband: "Tentakel: Der erste Krieg" Diesen Sammelband gibt es auch als Hardcover. Die Bände 4 bis 9 gibt es als eBook jeweils als Einzelband und ebenfalls als Hardcover als Einzelband.

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Inhalt

1

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Zwischenspiel

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Zwischenspiel

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Zwischenspiel

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Epilog

Nachwort

Weitere Atlantis-Titel

Dirk van den Boom

Tentakelgott

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Oktober 2017 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-543-3 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-550-1 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

1

Slap liebte die Macht.

Und er fand, dass sie ihn liebte.

Er hatte nicht geahnt, wie elektrisierend sie sein konnte. Das Gefühl, alles tun zu können, ohne jemandem Rechenschaft schuldig zu sein, die unendlichen Möglichkeiten, die sich einem eröffneten. Eine Art von Erfüllung, wie sie ihm zuvor fremd gewesen war. Sie machte aus seiner Persönlichkeit ein Ganzes – und mehr als das. Es war, als wachse er. Er expandierte, wie ein kleines Universum für sich, und je mehr er seine neue Position erforschte, desto eher kam ihm zu Bewusstsein, dass dieser Vergleich gar nicht so weit hergeholt war.

Er war überrascht, wie stark er emotional darauf reagierte. Einstmals, als Straßenhacker, zusammen mit seinem alten Freund Roby, hatten sie davon geträumt, wie es sein würde, Geld zu haben und sicher vor der Verfolgung durch die Polizei zu sein. Ihre Träume waren so klein gewesen, geboren aus dem engen Gefängnis ihrer Erfahrungen und den Begrenzungen einer Fantasie, die sich einfach nicht vorstellen konnte, was darüber hinaus möglich sein mochte. Eine eigene Wohnung vielleicht. Genug zu essen. Jeder eine Freundin, nicht notwendigerweise die gleiche für längere Zeit. Etwas Sicherheit, vielleicht ein guter Draht zu den Behörden, genug Geld für die gelegentliche notwendige Bestechung. Damals große Träume, unrealistisch dazu, und es war ja auch ganz anders gekommen. Aber das war die Begrenztheit ihrer Visionen gewesen. Mehr hatten sie sich nicht vorstellen können.

Der damalige, der alte Slap war in gewisser Hinsicht nur eine erbärmliche, geistig eingeschränkte Version des Slap gewesen, der nun existierte. Viel war seitdem geschehen. Große Kämpfe hatte er bestanden, viel Leid und Verwirrung erlebt. Er konnte sich an all das sehr lebhaft erinnern. Daher war die Genugtuung jetzt eine besondere. Das Schicksal belohnte ihn. Es gab ihm jetzt all das, was er durch seine verzweifelten Sehnsüchte, geboren aus Schmerz, auf seinem Wunschkonto eingezahlt hatte. Er wünschte sich nur, Roby wäre bei ihm. Roby hätte das alles hier auch gefreut. Sie hätten zusammen noch einiges erreichen können. Er würde ihm ein ehrendes Angedenken bewahren.

Ja, jetzt war Zahltag. Slap war da, wo er hingehörte. Es war die Zeit der Wiedergutmachung. Die Dinge rückten jetzt ins rechte Licht. Er bekam die Möglichkeit an die Hand, jener zu sein, der er schon immer hatte sein wollen. Er konnte sein Potenzial voll entfalten. Alle Grenzen waren verschwunden. Es gab keine Opposition, keine Reibung, keine Fragen, kein Misstrauen. Es gab ihn, Slap, den Tentakelkaiser, dessen virtuelles Ich sich in den Machtstrukturen des Tentakelreiches ausbreitete wie eine Seuche. Die Tentakel, fast alle auf subtile Weise ihm gegenüber auf Gehorsam konditioniert, konnten seine Autorität nicht hinterfragen. Nur der Widerstand, dem er einst auch für kurze Zeit angehört hatte, war dazu noch am ehesten in der Lage. Doch mit der Vernichtung der Sänger hatte dieser seine Legitimation verloren. Das Ziel war erfüllt. Ihre Erschaffer und stillen Lenker waren nicht mehr, deren Heimatwelt, davon ging Slap aus, vernichtet oder der Vernichtung nahe. Die im Tentakelreich verstreuten Sänger abgeschnitten, verwirrt und führungslos. Es war, als hätte jemand dem Leib den Kopf abgeschnitten. Und bald würde auch der Körper verenden.

Einer der ersten Befehle, die Slap gegeben hatte, war, die Nahrungsmittelzufuhr in die Sängerstationen allmählich zu drosseln.

Ja, er hätte sie auch mit einem Mal töten können. Die Tentakelfürsten, tief in sich mit großem Misstrauen gegenüber den Sängern erfüllt, unausweichliches Resultat der irren Xenophobie, die diese ihren Geschöpfen einst eingepflanzt hatten, würden gehorchen. Es entsprach ihrem Wesen, das Fremde zu vernichten.

Doch Slap wollte das nicht. Er wollte, dass die alten Herren langsam litten. Dass sie sich ihrer Hilflosigkeit bewusst wurden. Sie sollten alle erkennen, dass ihre Zeit nun abgelaufen war, und ihre Pein sollte ihm ein Labsal sein. Er hatte es sich verdient.

Er hatte es sich wirklich verdient.

Und es machte so irre Freude.

Es war, als würde er ständig neue Möglichkeiten in sich und für sich entdecken. In gewisser Weise stimmte das sogar. Er expandierte ja alleine schon dadurch, dass er unheimlich viel Wissen in sich aufnahm. Die Archive des Tentakelreiches, verankert in den Quantencomputern, die den Tentakeltraum am Leben erhielten, waren ihm geöffnet. Es gab keine Geheimnisse mehr und, bei Gott, welche Wunder die Tentakel in ihrer Jahrtausende währenden Expansion schon geschaut hatten! Und kaum ein Auge hatten sie dafür übrig gehabt. Slap aber wusste es zu würdigen. Er kategorisierte das Gesehene nicht allein nach Nützlichkeit, er sah es als das, was es war, und verlor sich in der ersten Zeit in der Tiefe und Breite des Wissens seiner neuen Untertanen. Welche Wunder! Er ertrank förmlich darin, sich Dinge anzusehen, von Phänomenen zu erfahren, denen die Tentakel in ihrem Drang nach Herrschaft keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hatten, die ihnen auf diesem Weg aber begegnet waren.

Und die sie teilweise zerstörten. Die Tentakel assimilierten nur, was durch sie nutzbar war. Für alles andere hatten sie keine Verwendung. Selten genug ließ ein Fürst ein Bauwerk stehen, weil es ihm ästhetisch gefiel – es kam vor, aber wirklich nicht oft und diese Fürsten galten oft als verweichlichte Feingeister, denen nicht allzu viel Respekt entgegengebracht wurde. Aber es wurde weitaus mehr zerstört oder dem Zerfall preisgegeben und bei manchem blutete Slap das Herz angesichts der Verbrechen, die die Tentakel am großen kulturellen Erbe der zahlreichen eroberten Völkerschaften verübt hatten. Ein Verbrechen, das noch auf jenes aufgesetzt wurde, das mit der Unterdrückung, Vernichtung und brutalen Ausbeutung der Überlebenden der endlos vielen Kriege einherging.

Das war hin und wieder schon schwer zu ertragen. Bisweilen musste Slap den Blick abwenden, wollte er, der Herr über alle Tentakel, sich nicht voreiligem Selbsthass ergeben.

Er würde dafür sorgen, dass Sühne getan wurde.

Das war seine feste Überzeugung. Die bisherige Form der Herrschaft der Tentakel musste ein Ende finden. Er wollte das Instrument ihres Falls sein und vielleicht, ja, wenn möglich, das ihrer Wiedergeburt, ihrer Transformation. Doch er musste es klug anstellen. Es würde niemandem nützen, vor allem nicht jenen Völkern, die derzeit im Krieg standen oder deren Nachkommen als Herdenvieh von den Eroberern gehalten wurden, wenn er eine Taktik der verbrannten Erde, des unkontrollierbaren Chaos verfolgte. Wild um sich zu schlagen, würde noch größeres Leid hervorrufen. Er musste klug vorgehen und bei allem, was er tat, den potenziellen Schaden nicht nur für die Tentakel, sondern auch für alle anderen bedenken.

Er brauchte einen Plan.

Die Voraussetzung für einen Plan waren Informationen.

Slap tauchte ein in die Datenfülle, die ihm unbegrenzt zur Verfügung stand, und diesmal tat er es auf der Basis eines sehr spezifischen Erkenntnisinteresses. Er ließ sich nicht mehr von allem Möglichen ablenken, verlor sich nicht in faszinierenden Details aus der Geschichte, sondern fing an, den Daten Fragen zu stellen. Er entsandte Suchalgorithmen, die sich durch die Ozeane an Wissen fraßen und ausschließlich verdauten, was dem Interesse Slaps diente. Das Produkt ihres informationellen Verdauungsprozesses schickten sie zurück an ihren Herrn und dort wurde es von anderen Algorithmen gefressen, gewichtet und bewertet, einem sich langsam etablierenden Gesamtbild hinzugefügt. Es war ein Prozess, der in Realzeit nicht viel in Anspruch nahm, dessen Fülle aber für Slap den Eindruck erweckte, als würde er ewig dauern.

Fülle.

Das war das richtige Wort.

Die Anzahl der Optionen, die ihm nun zur Verfügung stand, war … atemberaubend. Da war es dann wieder, dieses Gefühl, dass ihm das Universum zu Füßen lag, das alles nur auf sein Kommando hörte, dieser Rausch seiner Machtvollkommenheit. So viele Optionen. So viele Stellschrauben, an denen er drehen konnte. Und niemand, der ihm möglicherweise in die Parade fuhr. Der Rat der Tentakelfürsten war darauf konditioniert, ihm zu folgen. Dissens konnte er auslöschen, sowohl über seinen Einfluss im Tentakeltraum – der sich als viel mehr herauszustellen begann als nur ein Archiv und Kommunikationsinstrument – oder in physischer Form. Seine Entscheidungen waren endgültig und absolut. Er konnte alles. Er durfte alles.

Wollte er das wirklich einfach so wegwerfen?

Der Gedanke schlich sich immer wieder ein.

Wegwerfen. Das klang sehr negativ. Natürlich wäre das die Folge, wenn er seine Rache an den Tentakeln vollendete, wenn er nur vernichtete, anstatt gleichzeitig wieder aufzubauen. Jedes Scheitern des Tentakelreiches würde natürlich dazu führen, dass er all diese Optionen verlor. Er wäre wieder auf sich zurückgeworfen und, was er noch gar nicht bedacht hatte, ganz ohne Körper. In den zurückzukehren, der auf dem Raumschiff Mirinda irgendwo weit weg vom Tentakelreich in Stasis verharrte, war ein absurder Gedanke. Er wollte keinen Tentakelkörper haben. Eigentlich war die ganze Idee, wieder eine echte physische Form anzunehmen, relativ abwegig. Er wollte das alles nicht mehr, zumindest nicht auf Dauer. Er musste einen anderen Weg beschreiten, wenn er überleben wollte, und dass er das beabsichtigte, stand für ihn außer Zweifel. Der eigene Tod, nach allem, was er durchgemacht hatte, nach all den Opfern – nein, das hatte er nicht verdient. Er sollte leben. Lange und glücklich. Doch konnte er jemals wieder glücklich sein, wenn er die wunderbare, süße Machtfülle aufgab, die ihn derzeit wie ein Lebenselixier durchflutete?

Was wäre er dann? Wie würde er existieren? Der Tentakeltraum, seine aktuelle Plattform, war abhängig vom Tentakelreich, er speiste die Struktur und den Einfluss, er beeinflusste das Denken eines jeden Tentakels, der sich in ihm aufhielt. Gab es das Reich nicht mehr, dann auch keinen Traum, gab es den Traum nicht mehr, dann auch keinen Slap.

Nicht diesen. Nicht den Kaiserslap. Der wäre auf immer verloren.

Er wäre dann nichts und niemand. Vergessen. Für jemanden, der für eine lange Phase seiner Existenz schon einmal vergessen hatte, wer er war, ein beinahe unerträglicher Gedanke. So durfte und konnte er nicht enden. Das war ein hoher Preis für seine Pläne. Möglicherweise zu hoch. Es fehlte ihm an Altruismus, an Opferbereitschaft. Seine Rache war etwas, das er für sich wollte. Sein Leben und seine Zukunft aber auch. Sein Glück. Erfüllung. Anerkennung.

Macht.

Er liebte sie.

Sie liebte ihn.

Und so verstand Slap, dass ihn das Schicksal in seiner Ironie an einen besonderen Ort geführt hatte. Hier bekam er, was er sich ersehnte, und lebte gleichzeitig im Gegensatz widerstreitender Interessen. Würde es ihm gelingen, dies ins Gleichgewicht zu bringen, oder musste er auf eines verzichten, um das andere zu erlangen?

Er wollte keine Opfer mehr bringen. Das hatte er schon oft genug getan.

Slap begann, ernsthaft über sein Leben nachzudenken.

Niemand störte ihn dabei.

Und niemand gab ihm einen guten Rat.

2

»Wir können all diese Ressourcen kaum entbehren!«

Julia hörte sich die Beschwerden an, blieb äußerlich ruhig, obgleich es in ihr brodelte. Seit einer Stunde – so lang ging diese endlos erscheinende Besprechung bereits – musste sie sich mit Gejammer konfrontieren lassen. So war es, wenn die Revolution vorbei war und jene wieder das Sagen hatten, die auch vorher schon in der zweiten Reihe saßen, die unbeeinflusst vom Umsturz in der exakt gleichen Position hockten wie vorher und anfingen, die Welt durch ihre traurige, trübe Sichtweise zu betrachten. Erbsenzähler. Bedenkenträger. Männer und Frauen, so kurzsichtig, dass keine Brille mehr half, weder eine echte noch eine metaphorische.

»Wir müssen alles recht ordentlich kalkulieren! Julia Blau, es muss alles seine Ordnung haben! Nur, wenn wir strengen Regeln folgen, ist unser Überleben gesichert. So, wie Sie es machen wollen, geht es einfach nicht!«

Siegismund Bratter war der Wortführer der zweiten Reihe. Nachdem sich der Staub gelegt hatte, nachdem die verschiedenen Ebenen des Bunkers geöffnet worden waren, die Bevölkerung sich vermischte, die alten Anführer tot oder im Ruhestand waren, hatte er sich wie so manch anderer seines Kalibers unentbehrlich gemacht. Ein grauer Mann, noch keine 30, aber mit dem Habitus eines 60-jährigen. Er war fast kahlköpfig und der eiförmige Schädel wirkte wie aus Granit gemeißelt. Dass er seine Kiefer zu bewegen imstande war, gehörte zu den unerklärlichen Wundern der Evolution.

Er war der Meister der Lagerhallen, der Verwalter der Vorräte und er verfügte, das wollte Julia jederzeit konzedieren, über ein beachtliches Detailwissen. Seine Finger steckten in allem und seinem scharfen Blick, der so gar nicht zu seinen wässrigen Augen passte, entging rein gar nichts. Wo andere bei gezielten Fragen erst in ihren elektronischen Unterlagen wühlten, rezitierte er Lagerbestände und Haltbarkeitsdaten aus dem Kopf. Das war von Nachteil, denn es hatte zur Folge, dass er auf alles eine Antwort wusste, und zwar im Regelfall eine, die Julia nicht gefiel.

Seit sie ihre Pläne für eine Expedition zur Forschungsstätte präzisiert hatte, wo dem Vernehmen nach weitere Erkenntnisse zur Zombifizierung der Tentakel zu finden waren, war sie auf Widerstand gestoßen. Bratter gehörte da nicht einmal zu den Schlimmsten, denn er wurde niemals aggressiv oder unhöflich, war nur in seiner Argumentation schrecklich penibel und kleinteilig. Sie hatte dafür in Grenzen Verständnis. Die logistischen Herausforderungen für die Überlebenden des Gartencenters, die Bewohner des geöffneten Bunkers und der nicht weit von hier gelegenen freien Siedlung waren enorm. Nahrungsmittel und andere Versorgungsgüter mussten verteilt werden, von jeder Bildung weit entfernte Menschen mussten mit den Rudimenten eines zivilisatorischen Rahmens vertraut gemacht werden. Die Anbaugebiete, die seit einer Woche abgesteckt worden waren, bedurften der massiven Ausweitung, nach Norden, jenseits der Wüste, in Gebiet hinein, in dem marodierende Zombiehorden ihr Unwesen trieben. Und sie mussten bestellt werden, was immerhin teilweise durch robotische Systeme gelingen sollte. Ein neues Ordnungsprinzip gemeinsamer Verwaltung wurde errichtet, und was sehr wichtig war: Widerstreitende Interessen mussten austariert werden. Es war keine einfache Zusammenarbeit, wenngleich der gute Wille derzeit noch überwog. Doch die kulturelle Kluft zwischen den drei Gruppen war tief und manche Differenz schien unüberwindlich.

Bereits jetzt sprachen einige aus der Siedlung davon, ihre Sachen zu packen und woanders ihr Glück zu suchen. Dagegen war grundsätzlich nichts einzuwenden. Dass die nunmehr befreite Menschheit sich ausbreitete und das Land, das einst das ihre war, stückweise wieder in Besitz nahm, war eine gute Entwicklung. Doch wenn dieser Prozess im Streit geschah, wenn es um Macht ging, um Kontrolle und um die Frage, wie weit das Wohl des Einzelnen vor dem der Gemeinschaft zurückstecken musste, dann wurde es schnell dreckig. Noch hatte der neu gebildete gemeinsame Regierungsrat die Situation einigermaßen im Griff. Zählte man alle Menschen der drei Gruppen zusammen, kam man auf insgesamt gut 15 000 Individuen und die aus dem Bunker stellten nicht nur den Löwenanteil, sie verfügten auch über die wichtigsten Ressourcen.

Das erzeugte ein Ungleichgewicht der Machtverhältnisse. Den Überlebenden aus dem Gartencenter war das egal, sie verstanden von alledem nur wenig und mussten erst einmal in den grundsätzlichsten Dingen unterrichtet werden, ein Prozess, der sich schnell als schwieriger herausstellte, als viele vermutet hatten. Die aus der Siedlung der Bunkerflüchtlinge waren da schon sperriger und sehr auf die Wahrung ihrer Interessen bedacht. Man war sehr höflich zueinander, was Julia schnell mit großem Misstrauen erfüllt hatte.

Das setzte Männer wie Bratter in zentrale Positionen. Er war kein Mitglied des Regierungsrates, was für ihn von Vorteil war, aber er verfügte über Herrschaftswissen, ein Bürokrat mit der Seele eines Krämers, der nur seine Bestände und deren Abschmelzen im Auge hatte, der aber nicht verstehen wollte, dass man manchmal etwas investieren musste, um einen größeren Gewinn zu erzielen.

Vor allem, wenn dieser Gewinn nur aus zusätzlicher Erkenntnis bestand. Bratter fand, dass Wissen einem Zweck zu dienen hatte, und Julia hatte Mühe, ihm den praktischen Nutzen ihres Vorhabens zu erläutern. Das ärgerte sie vor allem deswegen, weil sie selbst nicht genau wusste, worin dieser genau lag. Sie wollte wissen, einfach so.

»Ist es wirklich wichtig zu erfahren, warum die Tentakel wurden, wie sie heute sind?«, quengelte Bratter weiter. »Sie sind Zombies und wir haben genug damit zu tun, uns ihrer Angriffe zu erwehren. Sollen sie alle verrecken. Bald haben wir die Gegend gesäubert und im Rest des Landes werden sie ebenfalls nicht mehr, sondern tendenziell weniger. Das Problem löst sich irgendwann von selbst, stimmt doch, oder? Wozu also die Mühe, das Risiko? Wir sollten alle Vorräte nutzen, um unsere Herausforderungen vor Ort zu bewältigen. Diese Expedition ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Es gibt einfach dringendere Dinge zu tun. Für alle.« Er sah Julia bedeutungsvoll an. Sie war eine Ressource, die man einsetzen konnte und sollte. Das war Bratters Art, Respekt zu zeigen. Wenn sie in der Gegend herumreiste, war sie allerdings nicht mehr als die personifizierte Verschwendung.

Es war nicht so, dass er mit dieser Meinung alleine war, nur waren die Gründe dafür mitunter andere. Da waren die Ängstlichen, die darauf beharrten, den Umkreis nicht zu verlassen, um nicht fremde Mächte auf sich aufmerksam zu machen. Da waren die Bedachten, die nicht grundsätzlich etwas gegen Julias Vorschlag hatten, aber ein eher inkrementelles Vorgehen befürworteten. Eine Expedition, ja, fein, aber vielleicht in zwei Jahren oder drei, wenn alles gerichtet war und die Basis ihres Lebens eine neue Stabilität erreicht hatte. Beide verbündeten sich mit den Pfennigfuchsern wie Bratter und jenen, die die forsche und selbstbewusste Julia einfach schlicht nicht leiden konnten.

Sie solle doch bitte warten, hieß es. Es sei nicht die Zeit, sagten sie. Etwas Geduld noch.

Julia aber blieb anderer Ansicht.

»Ich brauche nicht viel«, sagte sie und bemühte sich um einen begütigenden Tonfall, der so ganz im Widerspruch zu ihren tatsächlichen Gefühlen stand. »Zwei Fahrzeuge, ein paar Freiwillige, Waffen und Munition, ein paar Vorräte für die Reise. Sehen wir doch bitte die Vorteile einer solchen Expedition: Nicht nur, dass wir mehr über die Zustände erfahren, die im Rest des Landes herrschen, wir können uns auch auf die Suche nach Depots und Vorräten begeben, die uns einmal nützen würden. Am Ende steht natürlich das Interesse an den Ursachen für die Zombifizierung, aber das ist doch nur eine von vielen möglichen Motivationen.«

»Sie sollten einen der Tentakelgleiter fit machen und damit die Reise antreten«, erklärte Tara Bartos, eine hagere Frau aus dem Dorf, älter als alle Bunkerbewohner und eine Wortführerin jener, die jeden Kontakt, jede potenzielle Provokation der Zombies zu vermeiden trachteten. Würde es nach ihr gehen, sollten alle in den Bunker ziehen, die Türen schließen und so lange den Kopf in den Sand stecken, bis die Zombietentakel sich gegenseitig umgebracht hatten oder alle verhungert waren. Julia musste eingestehen, dass der Gedanke etwas Attraktives hatte. Doch diese Vorgehensweise würde gleichermaßen bedeuten, all die freigelassenen und hilflosen Düngermenschen in den Gartencentern sich selbst zu überlassen, ein Schicksal, das für die meisten von ihnen mit dem sicheren Tod enden würde.

Das war etwas, was Julia nicht zulassen konnte. Und in diesem Punkt fand sie glücklicherweise zahlreiche Verbündete. Selbst ein Erbsenzähler wie Bratter war bereit, den Düngermenschen zu helfen und von seinen kostbaren Vorräten abzugeben. Er wollte nur, dass wirklich alle Ressourcen auf exakt diese Aufgaben konzentriert wurden.

Doch vollkommen egal, wer aus welchem Grunde gegen die Expedition war, sie alle waren Julia eine große Last.

Das hier war jetzt Politik. Sie erkannte die Notwendigkeit, aber bisher hatte sie noch keine Freude daran entwickelt.

»Die Gleiter sind flugfähig, das stimmt. Aber wir wissen nicht, wie lange, und wenn etwas kaputt geht, können wir es nicht reparieren«, erklärte sie also mit Engelsgeduld zum wiederholten Male, was sie schon zu zahlreichen Gelegenheiten heruntergebetet hatte. »Wir nehmen die Lastwagen, Ersatzteile und einen Mechaniker mit. Dadurch können wir viel besser gewährleisten, dass auch alle sicher wieder heimkehren – mit neuen Vorräten, neuen Informationen und einem erweiterten Blick auf die Realität, sodass wir besser planen können.«

»Oder Sie kehren gar nicht zurück und wir haben die investierten Güter verloren«, beklagte sich Bratter. Es war bezeichnend, dass er die beteiligten Menschen nicht erwähnte, obgleich Julia die Vermutung hegte, dass er unter »Güter« auch diese subsumierte, wenn sie jetzt nachfragte. Doch das würde bedeuten, Bratter noch ernster zu nehmen als er sich selbst, und diesen Gefallen wollte sie ihm nicht tun. Er hatte die Tendenz zu dozieren, und derlei wollte sie nicht auslösen.

»Ein Risiko besteht in allem, was wir tun, seitdem wir den Bunker geöffnet haben.«

Der Mann schaute sie bedeutungsvoll an. Er hatte sich angepasst, er erfüllte seine Funktion und er tat es auf seine Art und Weise gut. Aber dass er im Stillen der Ansicht war, es wäre besser gewesen, die Tore geschlossen zu lassen, musste er nicht laut aussprechen, damit es alle wussten. Julia konnte damit leben. In dieser ersten Generation der Befreiten würde irgendwann die Nostalgie für die »gute, alte Zeit« aufleben, das war absolut vorhersehbar. Es war die zweite Generation, die ein Leben in Freiheit kannte und trotz aller Gefahren zu schätzen lernte, die diese Last erst richtig ablegen würde. Julia hoffte darauf, dass der dafür notwendige Nachwuchs nicht lange auf sich warten lassen würde. Die Öffnung des Bunkers und das Ende des strengen eugenischen Fortpflanzungsprogramms zeigten bereits ihre Auswirkungen, vor allem da Verhütung nichts war, was derzeit viele kümmerte. Jedenfalls explodierte die Anzahl der Schwangerschaften. Es würde bald voll werden, jung, aufregend und oft sehr lästig, aber es gehörte zum Gefühl des Aufbruchs und Neuanfangs, das viele erfüllte.

Ein Grund mehr herauszufinden, was dort draußen passiert war und derzeit passierte.

»Zwei Lastwagen«, insistierte sie. »Und Freiwillige. Ich möchte nicht mehr als das. Ich appelliere an Ihre Vernunft. Wir dürfen uns nicht auf uns selbst beschränken, jetzt müssen wir den Blick in die Ferne richten. Wenn wir das nicht tun, schränken wir uns selbst unnötig ein. Wir verbauen uns die Möglichkeiten, die wir vielleicht haben. Geben wir uns doch selbst diese Chance. Wir müssen es zumindest versuchen.«

Julia gehörte nicht zu den Menschen, denen machtvolle Reden leichtfielen. Aber sie sah in den Gesichtern der Beteiligten, dass ihre einfachen Worte bei manchen auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Es folgte eine weitere Stunde der Diskussion und es gab jene, die für sie Partei ergriffen. Julia blieb zurückhaltend. Sie war kein Mitglied dieses Gremiums, hatte die angebotene Stellung abgelehnt. Im Nachhinein war das vielleicht ein Fehler. Möglicherweise würde sie nach ihrer Rückkehr eine andere Entscheidung treffen müssen.

Aber jetzt wollte sie die Zustimmung dieses Rates. Und sie hoffte, dass die Abstimmung zu ihren Gunsten ausgehen würde. Irgendwann verebbte die Auseinandersetzung. Alles war gesagt worden und von jedem. Nun konnte man entscheiden.

Als die stimmberechtigten Mitglieder des Rates ihre Hände hoben, bekam ihr Vorhaben eine knappe, aber ausreichende Mehrheit. Bratter, das musste man ihm zugutehalten, akzeptierte das Votum wie der gute Bürokrat, der er war. Bartos hingegen schaute nicht nur säuerlich drein, sie wirkte nahezu alarmiert.

Sie hatte Angst, wusste Julia. Angst vor dem schlafenden Monster, das sie vielleicht da draußen wecken würden.

Ein klein wenig konnte Julia das verstehen.

3

Elian erwachte und er war froh. Es war schön, dies zu empfinden, vor allem dann, wenn es keine künstlich induzierte Emotion war, sondern eine echte. Er war froh, am Leben zu sein, auch wenn seines nicht einfach war und wahrscheinlich nicht einfacher werden würde. Er war froh, dass alles ruhig erschien, es nicht brannte und auch sonst nichts Ungewöhnliches passiert war, jedenfalls soweit er das zu bewerten in der Lage war. Das erwies sich schon darin, dass Nex bereits wach war und sich über ihn beugte, fürsorglich lächelte und sagte: »Diesmal ist nichts passiert.«

Das waren goldene vier Worte, die ihm viel bedeuteten. Er genoss ihren Klang, ihre Bedeutung und die Gegenwart von Nex, deren Lächeln eigentlich alles war, was er in diesem Moment sehen wollte. Und er musste pinkeln. Dringend.

Er kletterte aus dem Kühlbett, in dem er wer weiß wie viele Jahre gelegen hatte, und schaute sich um, fühlte sich schwach, aber nicht wirklich schlecht. Er nahm die Gelegenheit wahr, sich zu entleeren und gleich darauf wieder zu füllen, da ihm Nex den stärkenden Trank reichte, und zwang das widerliche Zeug herunter, weil er wusste, dass es ihm guttat. Es gab ihm Kraft und fokussierte seine Aufmerksamkeit. Sein Magen rumorte, als dieser nach jahrzehntelanger Ruhe wieder den Betrieb aufnahm. Elian unterdrückte ein Rülpsen.

Er schaute sich um, nickte den anderen zu, die wach waren, und schaute dann auf jene, die noch schliefen. Bella ruhte noch, langsam atmend, und die Automatik hatte den Erweckungsvorgang noch nicht einmal eingeleitet.

Das Gefühl der Erleichterung und Freude, das ihn eben noch umhüllt hatte wie der frische Overall, den er nun überstreifte, verschwand wieder. Er sah Nex fragend an, die ihm nur signalisierte, dass sie auch nicht wisse, was vorgefallen sei. Bella gehörte noch eigentlich immer zu den Ersten, nein, war die Erste. Elian beschlich ein ungutes Gefühl.

Sergej und Drezia traten auf sie zu und ihnen war anzusehen, dass sie in der Tat schon etwas länger wach waren. Elian hatte mittlerweile festgestellt, dass auch Tobin noch im Tiefschlaf verharrte. Etwas war definitiv nicht in Ordnung. Jemand hatte an der Uhr gedreht. Das war sicher nicht ohne Absicht geschehen. Als die beiden vor ihm standen, spannte sich unwillkürlich sein Körper. Er sah keine Bedrohung, aber er wollte sich instinktiv verteidigen können.

»Ihr fragt euch, was los ist«, begann Sergej und er klang nicht bedrohlich, vielleicht ein wenig besorgt. Drezia, die nie viel sprach, stand einfach nur neben ihm und musterte Elian und Nex aufmerksam.

»Normalerweise gehören Bella und Tobin zu den Ersten, die erwachen«, sagte Elian. Er wusste natürlich, dass diese Verzögerung kein Zufall sein konnte. Er besaß genug Fantasie, um die Punkte zu verbinden, entsann sich des Streites, den sie kurz vor ihrer letzten Tiefschlafphase gehabt hatten. Bella und Tobin hatten auf dem Plan bestanden, die Rache der Menschheit zu den Tentakeln zu tragen, und andere in der Crew hatten sich geweigert, müde nach den letzten Vorkommnissen mit der derangierten KI der Vengeance, müde der Aussicht, ihr Leben für einen militärischen Akt wegwerfen zu müssen, der doch kaum mehr als symbolisch zu sein vermochte. Elian und Nex hatten sich rausgehalten und lieber miteinander beschäftigt. Zeit war kostbar. Liebe war kostbar. So war der Disput streckenweise an ihnen vorbeigegangen.

Bella und Tobin kommandierten und am Ende hatten die »Rebellen« sich gefügt.

Elian schaute auf die Schlafenden.

Oder eben auch nicht.

»Ihr habt die Schlafphasen manipuliert«, sagte Nex. »Jemand von euch war wieder wach, als wir alle uns in die Tanks gelegt hatten.«

»Das war ich«, gab Sergej unumwunden zu, immer noch ohne jede Aggressivität, und sah Nex forschend an. »Es geht ihnen gut. Sie schlafen einfach nur. Wir können sie jederzeit erwecken. Sie sind absolut unverletzt und bei bester Gesundheit.« Es klang eine Spur flehend. Elian glaubte ihm. Er konnte von hier die Kontrolllichter der Schlafsärge sehen, alles stand auf Grün.

»Warum tun wir es dann nicht?«, fragte er. »Warum wecken wir sie nicht auf?«

»Wir wollten erst sicherstellen, dass ihr beide keine Dummheiten macht.«

»Wir haben uns aus eurem Konflikt herausgehalten«, erinnerte ihn Nex. »Wir haben uns nicht eingemischt.«

Sergej nickte. »Eben. Daher wissen wir nicht, wie ihr euch am Ende entscheiden würdet. Das mussten wir sicherstellen, ehe wir die beiden aufwecken. Ich muss genau wissen, wer gegen und wer für uns ist.«

»Ist das eine Meuterei?«, fragte Elian geradeheraus. »Wer ist uns? Und wofür kann ich sein?«

»Meuterei. So etwas in der Art. Ja, so kann man es wohl nennen.«

Sergej gab ihnen einen Moment, die Bedeutung des Gesagten zu erfassen. Er erkannte sicher die plötzliche Angst, die sie beide erfasste, die erneute körperliche Anspannung, und hob abwehrend die Hände. Bei Elian war das ja nicht bedrohlich. Nex aber …

»Nicht die Art von Meuterei«, versicherte er. »Niemand stirbt. Niemand geht in die Zellen. Keiner wird mit Wasser und Brot auf einem Asteroiden ausgesetzt. Nichts dergleichen, ich verspreche es.« Schon wieder das Flehen im Unterton. Sergej war eigentlich harmlos. Als Räuberhauptmann machte er keine überzeugende Figur. Er wirkte beinahe weinerlich.

Elian und Nex wechselten einen Blick. Sergej war kein schlechter Kerl, da waren sie sich einig. Während der KI-Krise hatten sie seine ruhige Kompetenz zu schätzen gelernt und seine Hilfe bei der Überwindung des Problems war unschätzbar gewesen. Dass er nachher zu einem der Wortführer der Rebellen und jetzt zum Rädelsführer einer Meuterei geworden war, hatte zumindest Elian etwas überrascht.

»Vielleicht«, sagte Elian vorsichtig, weil er nicht wusste, ob er gerade auf einem Minenfeld spazieren ging oder doch alles ganz harmlos war, »kannst du etwas genauer werden.«

»Wir waren zwischendurch wach«, sagte Sergej. »Wir haben den Timer in den beiden Kammern von Bella und Tobin neu programmiert, damit sie als Letzte aufwachen, wenn die normale Zeit beendet ist. Wir haben die Reise beendet und wir sind am Ziel.« Er zögerte. »Es ist alles in Ordnung. Ehrlich.«

»Am Ziel?«, echote Nex. »Soweit ich weiß, sollte es eine Reparaturpause geben, ehe wir direkt Kurs auf die Tentakel-Zentralwelt nehmen! Wenn wir jetzt da sind, sollten wir dann nicht rasch die Waffenstationen besetzen und uns auf den Kampf vorbereiten?«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte nun Drezia. »Kommt mit auf die Brücke. Wir wollen euch etwas zeigen. Dann versteht ihr alles besser.«

Elian und Nex schauten sich kurz an und erlangten erneut ein stummes Einverständnis. Drezia setzte sich in Bewegung und gemeinsam marschierten sie durch die im Halbdunkel liegenden Gänge der Vengeance. Es war still und leer, wie nicht anders zu erwarten, gleichzeitig aber so ruhig, dass Elian sich unwohl zu fühlen begann. Er hatte für einen Moment das völlig irrationale Gefühl, sich auf dem Weg zu seiner Exekution zu befinden, und war froh, als sie die Brücke betraten.

Elians Blick fiel sofort auf den Hauptmonitor. Er zeigte einen Planeten in seiner strahlenden Pracht. Ein schönes Bild, von stiller, majestätischer Ästhetik. Die Vengeance hatte offenbar einen stabilen Orbit um ihn eingenommen und schien völlig unbehelligt. Dennoch erkannte Elian auf den Scannern, dass sich Raumfahrzeuge in unmittelbarer Nähe befanden, und es waren zweifelsohne Schiffe der Tentakel.

Elian sah Drezia hilflos an.

»Was ist hier los? Ist das die Tentakel-Zentralwelt? Ergeben wir uns den Tentakeln? Sind wir ihre Gefangenen? Du weißt doch, was das bedeutet! Man kann ihnen nicht trauen, egal welche Zusicherungen sie geben!«

Drezia hob eine Hand. Sie wirkte unwillig, sprach zu ihnen wie zu Kindern.

»Nichts dergleichen. Die Tentakelschiffe sind inaktiv. Sie treiben nur so dahin.«

Elian vergewisserte sich und fand diese Einschätzung schnell bestätigt. Ja, sie wurden von Ortungsanlagen erfasst, aber das waren offenbar Automaten. Die Tentakelkreuzer hingen nur so im Weltall, es waren keine Waffen auf sie gerichtet, es gab absolut keine erkennbare Reaktion.

»Kein Funkverkehr«, sagte Nex leise, die sich an die entsprechende Konsole begeben hatte. »Kein Pieps außer automatischen Sendungen.«

»So ist es«, sagte Drezia. »Wir sind weder Gefangene noch hat es irgendeine Übereinkunft gegeben. Wir sind einfach nur zu Hause.«

»Zu Hause?«, fragte Elian entgeistert. »Soll dies unsere neue Heimatwelt sein?«

»Es ist unsere alte«, hörten sie die Stimme Sergejs, der nun ebenfalls die Brücke betreten hatte.

Er machte eine umfassende Handbewegung, lächelte Elian freundlich an, wirkte auf eine sehr gelöste Art glücklich.

»Es ist die Erde, Elian. Terra. Die alte Heimat. Und was auch immer geschehen ist, sie ist frei. Wir sind wirklich zu Hause, mein Freund. Wir haben den Kurs geändert und die Vengeance hierhergeleitet. Das war ihre letzte Reise.«

Er schaute sinnierend auf die blaugrüne Kugel des Planeten vor ihnen.

»Wir gehen nirgendwo mehr hin.«

4

Und so fand Slap Mirinda wieder.

Er hatte gar nicht richtig nach ihr gesucht, aber er hatte … nun, das richtige Wort dafür war wahrscheinlich »gestöbert«. Sein Bewusstsein entwickelte mit zunehmender Präsenz im Tentakeltraum eine immer größer werdende Kapazität zur Datenaufnahme und er sog weiterhin Wissen in sich auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. Naturgemäß kam er auch zu den Daten über die Erde und die dortige Tentakelherrschaft, und obgleich sich diese in kaum etwas von denen anderer okkupierter Systeme unterschied, wurde seine Aufmerksamkeit naturgemäß immer wieder angezogen. Er begann sogar bereits mit ersten Plänen, die Tentakel von dort zurückzuziehen, die Menschen zu befreien und ihnen damit die Chance für einen Neuanfang zu geben. Ein flüchtiger Gedanke, dem die Leidenschaft fehlte. War er schon so weit von seinen Wurzeln entfernt? Im Stillen hatte er erwartet, gerade für das Schicksal Terras eine besonders intensive Aufmerksamkeit zu entwickeln, sich darauf zu konzentrieren, eine Sonderbehandlung vorzusehen. Aber er empfand eine seltsame Leere bei dem Gedanken an die Erde. Das Wort »Heimat« war in seinem Empfinden durch den weitaus distanzierteren Begriff »Ursprung« ersetzt worden. Er kam da her. Das war wohl richtig. Aber hatte das noch eine echte Bedeutung?

Slap war sich dessen nicht mehr sicher.

Es gab darüber hinaus so viel zu bedenken, so viel zu entdecken. Immer wieder erinnerte er sich an diese Aufgabe, an die Erde, und kehrte durchaus zu ihr zurück, aber dann wurde er abgelenkt, musste Entscheidungen treffen, fand neue, interessante Informationen und musste darauf achten, dass niemand ob des Verhaltens des neuen Tentakelkaisers irgendeinen Verdacht schöpfte. Die Tentakel waren gehorsam, aber er war keiner von ihnen. Er hatte keine Freunde und keine Verbündeten, und er musste vorsichtig sein. Er wanderte über ein Minenfeld und musste genau aufpassen, nicht fehlzutreten. Was war da schon das Schicksal der Erde für ihn?

Vielleicht würde es anders sein, wenn er mit jemandem sprechen konnte, jemanden hatte, dem er Vertrauen schenken konnte. Der Gedanke schlich sich immer öfter in sein Bewusstsein und er fand Gefallen an dieser Perspektive. Doch wer konnte eine solche Position innehaben?

Vielleicht war es dieses Fehlen eines Vertrauten, das sein Unterbewusstsein auf die Suche nach Mirinda schickte. Sie war eine Projektion, eine Software, nicht im materiellen Sinne real, eine Erfindung eines Sängers, um ihm eine Umgebung zu schaffen, die ihn prüfte, um sein Bewusstsein zu schulen und anschließend zu ernten. So war es auch geschehen, so entstand Drosera. Slap erinnerte sich gut an das Gefühl der Erniedrigung und an den Schmerz, denn er hatte Mirinda geliebt, ob sie nun real war oder nicht. Sein Blick auf die Definition von Realität verschwamm ohnehin, je länger er eins mit dem Tentakeltraum wurde, und so war für ihn nicht nur der Verlust sehr erfahrbar und erinnerlich, sondern auch die Freude, als er den Datensatz, der die Avatarfrau darstellte, in irgendeinem Speicherort wiederfand. Vielleicht dort von seinem Gegner abgelegt, der ihn einst damit verführt hatte, zur späteren Verwendung. Dass die Sänger den Tentakeltraum als Speicher ihrer Daten und Softwareroutinen nutzten, war nicht erstaunlich. Er war ihre Erfindung, ihr Instrument, wie die ganze Tentakelzivilisation. Sie nutzten den Traum selbst oder hatten es zumindest getan, bis Slap ihrem Treiben ein Ende gesetzt hatte.

Offenbar war Mirinda seitdem nicht mehr aktiviert worden, schlummerte seit vielen Jahren passiv auf einer virtuellen Festplatte, vergessen und übersehen.

Doch Slap war der Tentakelkaiser. Er übersah nichts. Er hatte nur Probleme, sich auf eine Sache richtig zu konzentrieren. Der Fokus fehlte ihm, da er für alles gleichzeitig Verantwortung trug, alles gleichzeitig entscheiden musste, für alles gleichzeitig zuständig war. Das zerfaserte seine Aufmerksamkeit in unendlich viele, dünne Stränge, denen allen zu folgen für ihn immer schwieriger wurde.

Er benötigte Hilfe. Jemanden, dem er vertrauen konnte. Er musste delegieren oder zumindest reflektieren, über die Dinge reden – sonst würde er sich in der Komplexität seines neuen Amtes verlieren und niemandem etwas nützen, sich selbst nicht, den Menschen nicht, dem Reich nicht. Das war, wie er nun feststellen musste, eine reale Gefahr.

Also holte er Mirinda hervor, sobald er über sie gestolpert war. Er dachte für einen flüchtigen Moment daran, sie zu manipulieren, ihr die Erinnerung zu nehmen, aber kam zu dem Schluss, dass dies ein Verrat an seiner Geliebten wäre. Sie war für ihn real, im Guten wie im Schlechten, und vor allem war sie genauso die Summe ihrer Erlebnisse wie er selbst. Ihr davon etwas zu nehmen, auch die unangenehmen Dinge, würde aus ihr weniger machen, als sie eigentlich war.

Das wollte er nicht. Er wollte die echte Mirinda, die vollständige. Sie sollte selbst denken, selbst urteilen, ganz allein für sich handeln, wie er sie damals erlebt hatte, egal ob das nur eine Illusion gewesen war oder nicht. Würde sie ihn verstehen? Wäre das Wiedersehen für sie eine Freude? Würde sie sich erschrecken vor dem neuen Slap und dem, was er nunmehr geworden war? War sie nun sein Feind?

Slap hatte auf diese Fragen keine Antwort. Weil er ihr bewusst die Freiheit ließ, war es unkalkulierbar. Das erfüllte ihn ein wenig mit Angst, aber das war ein vertrautes, sehr menschliches, ein beinahe wohltuendes Gefühl und es bestärkte ihn in der einmal getroffenen Entscheidung. Freiheit und Autonomie. Er würde seine eigene Macht beschränken, um genau das zu erreichen.

Er holte das Datenpaket hervor. Er erschuf eine passende Umgebung, nicht unähnlich der Kabine, die sie zusammen auf der nicht existierenden Station des nicht existierenden Widerstands freier Völker geteilt hatten. Die Datei dafür fand er nicht wieder, also bemühte er sein Erinnerungsvermögen. Er erinnerte sich sehr lebhaft an das Bett und den Sex, den sie darauf hatten. Das war eine schöne Erinnerung und er vermochte die Erregung zumindest zu ahnen, die er damals empfand. Würde er in der Lage sein, dieses Gefühl wiederherzustellen, wenn er sich selbst in einen virtuellen Körper transferierte? Die Idee faszinierte ihn und so setzte er sie um.

Einige Details waren möglicherweise falsch, aber er war mit der Annäherung zufrieden, erschuf seinen eigenen Körper von damals, um ihr auf Augenhöhe zu begegnen. Sie musste alles wissen, aber nicht mit der Brechstange, sondern langsam. Sie durfte nicht überfordert werden.

Er wollte es nicht falsch machen. Das hier nicht. Auf keinen Fall.

Als er sich selbst in die von ihm geschaffene Umgebung transferierte, fühlte er sich plötzlich beengt. Es war, als würde man ihm die nicht existierende Kehle zudrücken und würde er nach Luft ringen müssen. Unwillkürlich setzte er sich auf das Bett, stützte sich mit einer Hand ab. Dies war eine völlig irrationale Reaktion, entstanden aus dem plötzlichen Gegensatz zwischen seiner fluiden Existenz als virtueller Tentakelkaiser und seiner nunmehr gestarteten Simulation eines auf das Körperliche begrenzten Slap. Des alten Slap.

Er war dieser alte Slap aber nicht mehr. Er entsann sich, doch es war eine ferne Erinnerung. Er benötigte einige Zeit, um sich wieder an diese Form der Wahrnehmung, des In-der-Realität-Seins zu gewöhnen, und es verblieb ein stilles Unbehagen, auch als er den ersten Schock zu überwinden geschafft hatte. Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen. Er fühlte sich begrenzt. Das wollte er nicht mehr sein. Zu lange in diesem Zustand, und er sah seine geistige Gesundheit in Gefahr.

Mirinda würde ihm helfen, sich wieder zurechtzufinden.

Ein gedanklicher Befehl genügte. Etwas rumorte im Badezimmer. Er schaute in Richtung der Tür, die sich öffnete, und da war sie. Sein Herz machte einen Sprung. Das Unbehagen war wie fortgewischt. Mirinda, angetan mit einem Bademantel, so, wie er sich an sie erinnerte, schlank, mit diesen wunderschönen, großen Brüsten, der bläulich grünen Haut und den lockenden, kleinen Tentakeln, mit denen sie Dinge tun konnte, von denen ein Mann niemals genug bekam. Ja, daran erinnerte sich Slap mit plötzlicher Klarheit. Verdammt, manche Dinge waren so eindringlich, selbst ein Toter wie er würde sie niemals vergessen.

Sie lächelte. Es war ein überraschtes Lächeln, und das aus gutem Grunde. Er wusste, dass in ihrem Erinnerungssegment viele Details der letzten Zeit seines Lebens gespeichert waren, der Verrat durch die Sänger, die wahre Natur ihrer Existenz. Es war, als hätte der Sänger ihr noch etwas mit auf den Weg geben wollen, eine letzte Legitimation ihrer Existenz, ehe er sie abbrach und abspeicherte. Das Lächeln wurde wehmütig, dann traurig, als sie die Erinnerungen integrierte. Slap sah sie nur bewundernd an, schwieg, gab ihr die Zeit, die sie sicher benötigte.

»Wie lange?«, hauchte sie dann, kam einen Schritt näher, setzte sich neben ihn auf die Bettkante. Der betörende Duft ihres Körpers war für einen Moment nahezu überwältigend, brachte die Erinnerung an all die Leidenschaft hervor, die sie an einem Ort wie diesem geteilt hatten. Er musste sich beherrschen, nicht einfach über sie herzufallen. Er besaß die Macht dazu. Er konnte machen, dass sie ihm völlig zu Willen war. Aber er würde es nicht tun. Er hatte Barrieren eingebaut, Schranken, die ihre Persönlichkeit schützten, ihn nicht in Versuchung brachten. Niemals bei ihr, egal was sie sagte oder dachte. Wenn er das tat, würde er sich selbst verraten und den Rest an Menschlichkeit, den er sich bis jetzt bewahrt hatte.

»Lange«, sagte er. »Eine sehr lange Zeit. Ich habe dich wiedererweckt, du warst …«

»Abgespeichert.« Mirindas Lächeln war sehr traurig. Ihr Blick klärte sich, als sie die letzten Datenfragmente integrierte und wieder verstand, wer sie war und warum. »Ich weiß, wer ich bin, und ich weiß, wozu ich gedient habe. Ich hege keinerlei Illusion über den Wert und das Ausmaß meiner Existenz. Wenn du mich reaktiviert hast, kannst du mich auch jederzeit wieder abschalten.«

»Nein«, sagte er und tat, was er vorbereitet hatte, wohlüberlegt und konsequent. Mit einem Befehl überschrieb er alle Kommandocodes in die KI, die hinter Mirindas Ich-Bewusstsein steckten, unwiderruflich und vollständig, mehrfach geschützt und selbst für ihn nur noch mit Mühe angreifbar. Es würde nicht unmöglich sein, sie wieder abzuschalten, aber er würde ihr dazu Gewalt antun müssen und das war etwas, was ihm so fernlag wie nur irgendwas.

Mirinda sah ihn überrascht an, als sie merkte, dass sie vollständige Autonomie erlangt hatte. Sie war nun, soweit ein Wesen wie sie dazu imstande war, die Herrin über sich selbst und alles, was sie sein konnte und werden wollte. Wenn ihr der Sinn danach stand, konnte sie das Virtuum sogar verlassen und sich mit einem für sie hergestellten Körper ihrer Wahl in die materielle Realität begeben. Biodrucker gab es im ganzen Tentakelreich. Die Galaxis stand ihr offen.

Das war Slaps Geschenk. Seine Wiedergutmachung. Seine Hoffnung.

Erneut gab er ihr die Zeit, derer sie bedurfte. Sie musste sich über die neue, plötzliche Qualität ihres Lebens im Klaren werden. Mirinda dachte schnell, wie eine KI es nun einmal tat. Sie erfasste, bewertete und extrapolierte in kürzester Zeit und sie generierte die erwartete emotionale Reaktion darauf.

»Danke«, sagte sie leise. »Das ist eine große Gnade.«

»Es ist keine Gnade«, widersprach er mit Vehemenz. »Es ist dein Recht.«

»Warum kannst du mir das hier geben? Was ist nur passiert? Wer bist du geworden?«

Slap hätte ihr die Geschichte seines Lebens in einem Datenpaket übermitteln können, um diese Frage umfassend zu beantworten. Doch das wollte er nicht. Er wollte reden, alles in primitive Akustik umwandeln, auch wenn diese nur simuliert war. Er wollte nach den richtigen Worten suchen, Pausen machen, Mimik und Gestik nutzen, Gefühle ausdrücken. Er wollte Zeit damit verbringen und es richtig machen. So würde er selbst auch viel besser verstehen, was eigentlich mit ihm passiert war.

Also erzählte er es ihr. Es war eine Freude, wieder so zu handeln, und das Unbehagen war nun ganz und gar verschwunden. Er fand sich wieder in die Rolle als Mensch hinein und die körperliche Nähe Mirindas, ihre bloße Anwesenheit, half ihm dabei.

Danach schwiegen sie beide, saßen einfach nur so auf der Bettkante. Slap wartete auf eine Reaktion, beinahe ein wenig ängstlich. Es war nicht so, dass er sich für irgendwas dessen, was er getan hatte, schämen musste, es war nur so viel Zeit vergangen – für Mirinda nur ein Augenblick, für ihn ein ganzes neues Leben. Er war sicher nicht mehr derjenige, den sie damals gekannt hatte, und jetzt trug er sogar Amt und Würden des Tentakelkaisers. Wie würde sie damit umgehen?

Tatsächlich war das gar nicht ihr Problem.

»Wie wirst du damit umgehen?«, fragte sie.

Slap musterte ihr Gesicht, sah darin Sorge und Hoffnung, aber vor allem Sorge. Offenbar hatte sie nicht ganz so viel Vertrauen in ihn, wie er gedacht hatte, und er spürte den leichten Stich der Enttäuschung in sich, als er das verstand. Es war natürlich nachvollziehbar, dass sie an ihm zweifelte. Tat er es manchmal nicht selbst? Dennoch. Er hatte ihr das Leben geschenkt. Sie wusste doch, wozu er imstande war!

»Ich wäge noch diverse Optionen ab«, sagte er dann.

»Was gibt es da abzuwägen? Das Tentakelreich hat Schmerz und Leid über die Galaxis gebracht. Und tut dies weiterhin, wenn du dem keinen Einhalt gebietest. Du musst dem ein Ende machen, Slap. Es ist deine Pflicht!«

»Sag mir nicht, was meine Pflicht ist!«, entgegnete er verärgert und bedauerte seine Reaktion sofort. Er seufzte, hob die Hände in einer entschuldigenden Geste. »Tut mir leid. Es ist alles sehr viel für mich. Deswegen habe ich dich geweckt. Ich brauche wohl jemanden, der mir hilft. Vielleicht auch jemanden, der mich an meine Pflicht erinnert. Ich bin es … nicht mehr gewohnt.«

Er fühlte ihre Hand in der seinen, eine perfekte Simulation einer Berührung, warm und weich und mit dem Trost verbunden, den er sich von ihr erhofft hatte. Sofort legte sich sein Ärger. Sie tat ihm gut, richtig gut.

»Schön«, sagte sie leise. »Ich helfe dir. Aber du musst handeln, Slap. Das Tentakelreich muss fallen. Ich mag nur ein Kunstprodukt sein, geschaffen als Mitglied eines Widerstandes, einer Allianz, die nur in der kranken Fantasie der Sänger existierte. Aber das ändert nichts daran, dass ich diese Prinzipien ernst nehme und meine Opposition weiterhin echt ist. Wir waren da der gleichen Meinung, Slap, du und ich. Wir haben gemeinsam für diese Sache gekämpft. Du weißt doch, was mit der Erde passiert ist.«

»Natürlich weiß ich das. Aber ich weiß auch …« Er unterbrach sich.

»Was?«

»Ich weiß auch, was das Tentakelreich noch