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„Im Heiligtum schlummern uralte Erinnerungen und heute Nacht werden wir sie freisetzen ...“
Auf eine Einladung von Alpha hin reist Cid in das Heilige Land Lindwurm – eine heilige Stätte, in der der linke Arm des Dämons Diabolos versiegelt liegen soll. Es ist außerdem der Ort, an dem die Prüfung der Göttin stattfindet, ein Turnier, bei dem sich die Türen des Heiligtums öffnen und Herausforderer gegen die Erinnerungen uralter Krieger antreten. Doch der Kult ist tief in Lindwurm verwurzelt und hinter der Prüfung der Göttin und dem Heiligtum steckt mehr als ein simples Turnier. Hinter der Fassade aus Verschwörungen und Lügen verbirgt sich die Wahrheit über Shadow Gardens Widersacher: den Dämon Diabolos, den Helden Olivier und Aurora, die Hexe des Unheils.
Auch das lang erwartete Bushin-Festival steht am Horizont und ein mysteriöser Herausforderer mischt sich unter die Teilnehmer. Wer könnte er bloß sein und woher stammt nur seine Macht?
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Seitenzahl: 289
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Farbseiten
Prolog: Auf geht’s zum Heiligen Land Lindwurm!
Kapitel 1: Lasst uns die Prüfung der Göttin genießen!
Kapitel 2: Auf geht’s ins Heiligtum!
Kapitel 3: Das nervt, also jag ich es einfach in die Luft!
Kapitel 4: Ich will die Leute sagen hören: „Wer zum Teufel ist das?!“
Kapitel 5: Zeit für einen Kampf, den nur die Starken mitbekommen!
Kapitel 6: Eine echte Eminenz spielt Klavier im Mondlicht!
Kapitel 7: Ich will einen Funken meiner wahren Macht zeigen!
Kapitel 8: Ich will meine wahre Stärke zeigen!
Epilog: Wer ist bloß diese mysteriöse Eminenz?!
Charaktere
Legenden von Lord Shadow
Nachwort
Über JNC Nina
Impressum
Farbseiten
Inhaltsverzeichnis
Alles fing mit einem Brief von Alpha an, der nur einen einzigen Satz enthielt.
„Wenn du Zeit hast, komm ins Heilige Land.“
Mehr stand dort nicht.
Wegen des halb abgefackelten Zustands der Akademie hatten die Sommerferien früher als geplant begonnen und ich hatte nichts zu tun. Außerdem erwarteten mich erfahrungsgemäß immer gute Szenarien, wenn mich Alpha einlud, also machte ich mich sofort in Richtung Heiliges Land auf.
Das Heilige Land Lindwurm.
Tatsächlich war ich schon einmal dort gewesen. Es war eine der heiligen Stätten der meistverbreiteten Religion der Welt: der Heiligen Lehren. Deren Anhänger glaubten an die einzig wahre Göttin Beatrix, die einst den Helden ihre Macht schenkte.
Mit der Kutsche brauchte man von der Akademie aus etwa vier Tage, um das Heilige Land zu erreichen. Da sie sich im gleichen Land wie Lindwurm befand, war der Weg gar nicht mal so weit.
Ich überlegte, entweder mit voller Geschwindigkeit loszusprinten oder wie ein Nebencharakter eine Kutsche zu nehmen, und entschied mich schließlich für die Kutsche. Ich dachte mir, dass ich hin und wieder auch mal ein paar normale Dinge tun sollte, und ließ mich hinreißen, aber ...
Jetzt würde ich gerne meinem Ich in jenem Moment ins Gesicht schlagen. Ich hätte nämlich einfach sprinten sollen. Wäre ich mitten in der Nacht losgerannt, wäre ich im Nullkommanichts angekommen. Weil ich genau das nicht getan hatte, saß ich jetzt in der gleichen Kutsche wie Rose Oriana.
Nur Rose und ich in einer luxuriösen, geräumigen, komfortablen Kutsche der Spitzenklasse. Nachdem ich mit einer billigen Kutsche eine nahe gelegene Stadt erreicht hatte, hatte ich sie dort zufällig getroffen und sie mich in ihre Kutsche eingeladen.
Ich hatte natürlich abgelehnt.
Vor ihrer königlichen Power hatte ich jedoch am Ende klein beigegeben und jetzt fuhren wir zusammen gen Heiliges Land.
Laut Rose gab es hier gerade eine Veranstaltung namens Die Prüfung der Göttin, zu der sie als Ehrengast geladen worden war.
Während ich ihrer Erklärung zuhörte, dachte ich mir, dass Alpha mich bestimmt auch wegen dieser Prüfung der Göttin eingeladen hatte.
Nach einiger Zeit verstand ich aber gar nicht mehr, was Rose da erzählte.
„Es wäre wirklich schrecklich gewesen, wenn so ein heroischer Junge wie du bei dem Vorfall sein Leben verloren hätte“, meinte Rose mit einem sanften Lächeln.
Aha. Als Nebencharakter kann ich gar nicht heroisch sein und wieso sieht sie mich denn so an? Na ja, egal, immerhin verstehe ich noch, was sie sagt.
„An jenem Tag, an dem ich erfuhr, dass du noch lebst, hatte ich das Gefühl, dass dies Schicksal war. Allein die Tatsache, dass wir beide hier sitzen und reden können, bedeutet, dass die Welt uns ihren Segen gegeben hat.“
Ab hier komm ich gar nicht mehr mit. Ich glaube sowieso nicht an Schicksal und ich weiß auch nicht, von welchem Segen sie spricht. Ich gehöre eher zu der Art Mensch, die der Welt den Mittelfinger zeigt.
„Vor uns liegt ein steiniger Weg. Niemand wird uns seinen Segen geben und sie werden versuchen, uns zu entzweien.“
Ich dachte, die Welt gibt uns schon ihren Segen.
„Doch die Legende besagt, dass der legendäre Held mit der Kraft der Göttin vom einfachen Mann zu Reichtum und Ruhm aufstieg und schließlich die Prinzessin eines großen Königreiches heiratete. Der Weg wird hart und schmerzhaft sein, aber ich bin mir sicher, dass uns eine glückliche Zukunft erwartet, wenn wir am Ende ankommen.“
Ist das etwa was aus den Heiligen Lehren oder so? Irgendwelche Ausnahmen für Helden zu machen, um die normalen Leute in die Irre zu führen, klingt mir schon sehr nach einer Religion.
„Wenn wir die Prüfung der Göttin bestehen, werden wir einen weiteren Schritt auf unserem Weg zurücklegen. Dann werde ich meinem Vater die Geschichte dieses tapferen jungen Mannes erzählen.“
Dieser tapfere junge Mann, der die Prüfung besteht, muss wohl ein echter Glückspilz sein.
„Lass uns somit gemeinsam diesen steinigen Weg gehen, einen Schritt nach dem anderen. Jeder Schritt wird unsere Liebe füreinander nur vertiefen.“
Also wie beim Dreibeinlauf? Das Ganze klingt immer mehr wie eine religiöse Doktrin.
„Fürs Erste müssen wir es geheim halten, aber lass uns hart an unserer glücklichen Zukunft arbeiten.“
„Klar“, antwortete ich.
Rose hielt mir ihre Hand hin, also schüttelte ich sie einfach. Ich hatte keine Ahnung von diesen religiösen Ideen oder Lehren, aber gegen eine glückliche Zukunft hatte ich nichts einzuwenden.
Glück ist wichtig. Und damit meine ich mein Glück und nicht das von anderen.
Ich spürte Roses leidenschaftlichen Blick und ihre verschwitzte Hand und überlegte, ob ich nicht lieber etwas Abstand von diesem Mädchen nehmen sollte. Ich wollte zwar nicht ihre Religion verleugnen, aber ihr Enthusiasmus war mir doch etwas zu viel. Die Fanatiker unter uns sollten sich lieber mit den anderen Fanatikern abgeben.
„Schönes Wetter heute, nicht wahr?“, fragte ich und schaute aus dem Fenster der Kutsche auf den klaren Himmel und die grünen Wiesen.
Wenn man ein lästiges Thema wechseln will, sollte man immer erst einmal über das Wetter reden.
„Da hast du recht. Es muss ziemlich heiß draußen sein, so wie die Sonne heute knallt“, sagte Rose, die ebenfalls aus dem Fenster schaute.
Das Innere der Kutsche war zwar schattig, aber besonders kühl war es hier auch nicht. Der Schweiß glänzte auf Roses bleichem Hals, ihr elegant gelocktes honigfarbenes Haar wiegte sich im Wind und ihre hellen Pupillen verengten sich durch das Licht, wenn sie nach draußen sah.
Wir unterhielten uns noch eine Weile über das Wetter und die Akademie, bis wir schließlich beide schweigend nach dem nächsten Gesprächsthema suchten.
Es gibt viele Arten von Schweigen, die man grob in angenehmes und unangenehmes Schweigen unterteilen kann.
Das Schweigen von uns beiden, wie wir nach einem Thema suchten, würden die meisten vielleicht als unangenehm empfinden, aber mir ging es gar nicht so. Allein der Fakt, dass wir beide nach einem Gesprächsthema suchten, machte die Situation sogar um einiges angenehmer.
So oder so war es nur natürlich, dass uns irgendwann die Gesprächsthemen ausgehen würden, wenn wir so lange allein in einer Kutsche saßen. Dieses vergebliche Bemühen, sich dem zu widersetzen, war das Angenehmste.
Nach vielen weiteren Gesprächspausen kam Rose auf ein neues Thema.
Die Nachmittagssonne ging schon langsam unter und die Farbe des Lichts nahm langsam einen leichten Rotton an.
„Der Vorfall in der Akademie hat wahrscheinlich noch eine Schattenseite.“
„Hm?“
In Roses Augen spiegelte sich die Sonne, die in der Ferne unterging.
„Die Männer in Schwarz, die sich selbst Shadow Garden nannten, und der Mann namens Shadow gehörten höchstwahrscheinlich nicht zusammen.“
„Wie kommst du denn darauf?“, fragte ich sie.
„Ihre Kampfstile waren sehr unterschiedlich. Die Männer in Schwarz verwendeten alle gewöhnliche, bekannte Schwertkunst-Stile, doch der von Shadow und den Frauen, die ihm gehorchten, war komplett anders. Es war ein völlig neuer Stil, den ich noch nie gesehen habe“, erklärte Rose.
„Verstehe.“
„Genau das habe ich auch dem Ritterorden von Midgar mitgeteilt. Ich habe ihnen auch von dem Konflikt zwischen den Männern in Schwarz und Shadow erzählt, aber in dem vom Orden veröffentlichten Bericht wurden die Männer in Schwarz und Shadow als ein und dieselbe Gruppe dargestellt, ohne dafür irgendwelche stichhaltigen Beweise vorzubringen. Es muss noch etwas hinter diesem Vorfall stecken.“
„Interpretierst du da nicht bisschen zu viel rein?“
„Falls ich mich täusche, geb ich’s gern zu. Doch wenn nicht – wenn sich das Königreich Midgar über seinen eigentlichen Feind irrt, könnte uns ein großes Unglück bevorstehen. Das Königreich Oriana wird die Sache untersuchen, aber du musst auf dich aufpassen, Cid.“
Ich nickte einmal zustimmend.
Rose lächelte sanft und nickte zurück.
„Wir kommen bald in der nächsten Stadt an. Ich werde dir ein Zimmer direkt neben meinem buchen.“
„Nein danke, schon gut. Ich werde mir einfach selbst ein billiges Zimmer suchen.“
„Das wäre viel zu gefährlich. Keine Sorge, ich werde natürlich auch für dein Zimmer bezahlen.“
„Das ist wirklich kein Problem. Ich will dir doch keine Umstände machen.“
„Ach was. Zwischen uns beiden gibt es so etwas wie Umstände gar nicht.“
Schließlich übernachtete ich in einem Luxuszimmer für 300.000 Zenni pro Nacht (wobei ein Zenni ungefähr einem Yen entspricht). Wir aßen gemeinsam in einem feinen Restaurant zu Abend, machten einen Schaufensterbummel, wobei mir gegen meinen Willen ein Outfit zusammengestellt wurde, und spielten ein paar Runden im Casino, bevor wir irgendwann in unsere Bleibe zurückkehrten. Wir wurden überall wie Könige behandelt und mein Zimmer hatte ein weiches flauschiges Bett und sogar eine Dusche.
Am Ende des Tages lagen meine Ausgaben bei null Zenni. Vielleicht war das Leben als Parasit-Nebencharakter gar nicht mal so schlecht. Natürlich nur, solang man das religiöse Zeug ignorieren konnte.
***
Zwei Tage später kamen wir gegen Mittag im Heiligen Land Lindwurm an.
Das Herzstück von Lindwurm war eine prächtige Kathedrale, die aussah, als wäre sie aus einem Berg gemeißelt worden. Zu ihren Füßen breitete sich das weiße Stadtbild aus. Die Hauptstraße im Stadtzentrum mündete in einer langen Treppe, die zur Kathedrale hinaufführte, und alles war voller Touristen.
Wie gewohnt aßen wir in einem teuren Restaurant zu Mittag. Danach schlenderten wir die Hauptstraße entlang, wo wir uns ein paar Verkaufsstände ansahen.
Ich bemerkte ein kleines Souvenir, das mich an den Krimskrams erinnerte, den man auch oft in Touristenspots in Japan kaufen konnte. So was wie ein Drache, der sich um ein Schwer schlingt.
So was gibt es wohl in jeder Welt.
Doch aus irgendeinem Grund war es hier kein Drache, sondern ein unheimlicher linker Arm, der um ein Schwert geschlungen war. Ich nahm es mit großem Interesse in die Hand.
„Gefällt es dir?“, erkundigte sich Rose.
„Ich war nur neugierig. Wieso ist da ein linker Arm?“, fragte ich.
Rose blickte auf das Souvenir in meinen Händen. Sie stellte sich trotz der Hitze viel zu dicht an mich, sodass sich unsere Schultern berührten. Hier im Hochland war es zwar etwas kühler, aber es war immer noch Sommer.
„Das ist das Schwert des Helden Olivier und der linke Arm des Dämons Diabolos. Es heißt, dass Olivier hier einst den linken Arm von Diabolos abgetrennt und versiegelt hat. Da hinten“, sagte sie und wies auf einen Ort, der noch hinter der langen Treppe und der massiven Kathedrale lag. „Dort hinten auf diesen steilen Bergen befinden sich Ruinen, die man auch Das Heiligtum nennt, wo Diabolos’ linker Arm versiegelt liegen soll. Auch wenn es nur ein Märchen ist.“ Rose lächelte und fuhr fort. „Es ist besonders bei Männern ein beliebtes Souvenir.“
„Kann ich mir vorstellen“, erwiderte ich und wandte mich an den Verkäufer. „Entschuldigung! Ich hätte gerne eins davon.“
Ich kaufte eins als Mitbringsel für Lu. Es kostete ganze dreitausend Zenni, die ich diesmal aber selbst bezahlte. Kar hatte mir sogar eine ganze Liste an Souvenirwünschen gegeben, die ich genau aus diesem Grund noch nicht gelesen hatte. Ich steckte das Souvenir in meine Tasche und wir schlenderten weiter. Die vorbeiziehenden Touristen und das geschäftige Treiben an den Ständen ließen mich nostalgisch werden.
In diesem Moment zog mich Rose an der Hand.
„Sie veranstalten eine Autogrammstunde mit Natsume Kafka! Ich bin ein großer Fan von ihr!“
Dort, wo sie mich hinzog, hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Es schien vor einer Buchhandlung zu sein, doch ich konnte nicht einmal das Aushängeschild lesen.
„Ähm, wäre es in Ordnung, wenn ich mich mit anstelle? Es könnte ein wenig dauern ...“, bat Rose und sah zu mir hoch.
„Geh ruhig. Ich warte hier.“
„Danke! Willst du auch ein Autogramm?“
„Nein danke.“
Rose kaufte eines der ausgestellten Bücher und stellte sich in die Schlange.
Mir war langweilig, also nahm ich eines der Bücher und fing an, darin zu blättern.
Gestatten, ich bin ein Drache! Unbenamst bislang hieß das Buch.
Was ist denn das für eine Abzocke?
Nein, nein, das konnte es nicht sein. Wahrscheinlich handelte es sich einfach um einen unglaublichen Zufall, in dem ein literarisches Genie mit der gleichen Ästhetik in dieser Welt geboren wurde. Ich sammelte mich und nahm ein anderes Buch in die Hand.
Romio und Julietta.
Das konnte jetzt aber kein Zufall sein. Und die anderen?
Aschenpudel.
Brotkäppchen.
Und noch viele weitere Bücher, die auf der Handlung von Filmen, Manga und Anime aus meiner alten Welt basierten. Ich verstand endlich, was das zu bedeuten hatte. Außer mir gab es noch jemanden, der in dieser Welt wiedergeboren worden war.
Ich kaufte eines der Bücher und stellte mich in die Schlange für ein Autogramm von dieser Natsume.
Zuerst wollte ich mir ansehen, um was für einen Menschen es sich hier handelte.
Während ich noch überlegte, was ich zu ihr sagen sollte, wurde die Schlange immer kürzer und ich konnte sie langsam sehen. Wegen ihrer Kapuze war sie etwas schwer zu erkennen, aber es war definitiv eine Frau.
Sie hatte schönes silbernes schulterlanges Haar, blaue katzenartige Augen und einen Leberfleck unter dem Auge und trug eine Bluse, die ein tiefes Dekolleté enthüllte.
„Was macht die denn hier?“
Ich kannte die Person, die dort Autogramme verteilte. Ich kannte sie sogar sehr gut. Ich schlug mir eine Hand vor die Augen, schüttelte den Kopf und versuchte, leise aus der Warteschlange zu flüchten.
„Hey, du da! Wo willst du denn hin?“
Ich wurde aufgehalten. Anscheinend hatte sie mich bemerkt, ehe ich das Weite suchen konnte.
Ich wurde geradewegs an den Tisch von Frau Kafka gebracht, wo ich nun der wunderschönen silberhaarigen Elfe gegenüberstand. Einer Elfe, die ich sehr gut kannte.
Es war keine andere als Beta.
„Dein Buch bitte“, sagte sie.
Ich lächelte und reichte Beta mein Buch, als würde ich sie nicht kennen.
„Läuft das Geschäft gut?“, murmelte ich mit leiser Stimme.
„Ganz okay. Ich mache mir einen guten Namen“, antwortete sie.
Verstehe. Sie also auch.
Sogar Beta hat mein Wissen benutzt, um damit Geld zu verdienen.
Ich habe damals Beta ein paar Geschichten aus meiner früheren Welt erzählt. Sie schien sich für Literatur zu interessieren, also erzählte ich ihr ein paar coole Geschichten, die auf denen meiner alten Welt basierten. Aber ich hätte nie erwartet, dass sie sie einfach eins zu eins übernehmen und damit ein Vermögen machen würde.
Komm schon Beta, ich bin echt enttäuscht.
Ich sah Beta mit kalten Augen an und nahm das Buch wieder an mich.
„Ich wurde als Ehrengast eingeladen, also kann ich ein paar Insiderinformationen durchsickern lassen. Die Details zum Plan stehen im Buch“, sagte Beta mit nur einer kleinen Bewegung ihres Mundes und einer Verbeugung, kurz bevor ich ging.
Wir trennten uns, ohne dass sich unsere Blicke getroffen hatten.
Das ist ja wie in einem Spionagefilm. Na gut, Beta. Vielleicht bist du doch nicht so übel.
Ich verließ den Laden und draußen wartete eine glückliche Rose auf mich.
„Du bist also doch ein Fan von ihr, Cid.“
„Na ja, nicht wirklich ...“
„Ich verstehe schon. Sie hat vor allem weibliche Fans, deshalb kann man das schwer zugeben. Auch wenn zu solchen Veranstaltungen nur Frauen kommen, kann ich dir versichern, dass es auch zahlreiche männliche Fans gibt.“
„Aha, okay ...“
„Der Charme von Natsume Kafka liegt schließlich in ihrer Kreativität. Völlig originelle Geschichten, inklusive neuen Weltansichten und faszinierenden Charakteren mit frischen Werten“, fing Rose an zu schwärmen.
Ah ja, alles total originell, neu und frisch.
„Liebesromane, Mystery, Action, Märchen und sogar Belletristik. Sie ist in allen Genres eine Meisterin und ihre Geschichten wirken, als wären sie jeweils von einer anderen Person geschrieben worden. Mit dieser Vielfalt hat sie die Herzen und Köpfe supervieler Menschen erobert“, fuhr sie fort.
Das liegt daran, dass sie wirklich alle von verschiedenen Personen geschrieben wurden.
„Sieh mal, ihr Autogramm. Sie hat sogar meinen Namen hineingeschrieben.“
Rose klappte ihr Buch auf und zeigte mir die Unterschrift von Nachmacher-Natsume sowie ihren eigenen Namen.
Da fiel mir ein, dass Beta irgendwas von einem Plan im Buch erzählt hatte. Ich schlug mein Buch auf und da war er auch.
„Ist das alte Schrift ...?“, fragte Rose und blickte in mein Buch.
„Sieht so aus.“
Ich kann nichts lesen.
„Kannst du das lesen?“, fragte ich Rose.
„Leider nicht. Alte Schrift ist sehr schwer zu lernen und ich kann nur wenig lesen. Außerdem ist das Ganze auch noch in Kurzschrift geschrieben, also würde es sowieso keinen Sinn machen, sogar wenn wir sie lesen könnten.“
„Oha.“
So eine Chiffre ist schon irgendwie cool. Ich hab es selbst schon lange aufgegeben, alte Schrift zu lernen. Ich bin beeindruckt.
„Aber wieso hat sie alte Schrift benutzt?“, überlegte Rose.
„Na weil es cool ist“, antwortete ich.
„Ist das cool?“, fragte Rose verwirrt.
„Ja.“
„So was mögen Männer wohl einfach ...“
Wir checkten in ein erstklassiges Hotel ein und trennten uns.
Rose sagte, sie müsse eine Runde drehen, um ein paar hohe Tiere zu treffen und so. Sie meinte, sie könne mich ihnen nicht vorstellen, weil wir derzeit noch Schulfreunde seien ... Bloß was meinte sie denn mit „noch“? Hatte sie wirklich vor, mich zu ihrer Religion zu konvertieren?
Tut mir leid, aber ich habe beschlossen, mich nicht allzu sehr mit Religion zu befassen. Höchstens wenn ich mal eine Sekte gründe oder so.
***
Persönlich gab es nur wenige Dinge, die ich wirklich mochte beziehungsweise eben nicht mochte. Das lag daran, dass ich die meisten Dinge einfach in die Unwichtig-Kategorie einsortierte.
Aber ich hatte trotzdem Vorlieben und Abneigungen. Ich nahm an, was ich mochte, und ich lehnte ab, was ich nicht mochte, auch wenn es nicht notwendig oder wichtig war. Wie sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich nicht von all meinen Gefühlen trennen.
Deshalb sprach ich von unwichtigen Vorlieben und unwichtigen Abneigungen.
Eine dieser unwichtigen Vorlieben waren beispielsweise heiße Quellen.
In meinem alten Leben hatte es eine Zeit gegeben, in der ich überhaupt nicht gebadet hatte. Damals empfand ich die Zeit, die man im Bad verbrachte, als Zeitverschwendung. Da ich jedoch ein normales Leben als Nebencharakter führen musste, duschte ich mich jeden Tag für genau drei Minuten. Indem ich weniger Zeit mit Baden verbrachte, blieb mir mehr zum Trainieren.
Damals stieß ich an meine menschlichen Grenzen und hatte für so etwas wie Bäder keine Zeit zu verlieren. Ich überlegte ernsthaft, wie ich mit einer geraden Rechten eine Atombombe abfangen könnte.
Nach einiger Zeit merkte ich schließlich, dass ich schon beinah den Verstand verloren hatte, und fing wieder an, Bäder zu nehmen. Der Auslöser dafür waren heiße Quellen. In heißes Wasser einzutauchen, entspannt und befreit den Geist. Dies wiederum stand in direktem Zusammenhang mit der Effektivität des Trainings und ermöglichte es mir, Magie und Auren besser zu spüren.
Genau aus diesem Grund hielt ich mich derzeit in einer heißen Quelle auf. Lindwurm war für seine heißen Quellen bekannt und ich hatte mich schon die ganze Zeit darauf gefreut.
Es war noch sehr früh am Morgen. Persönlich liebte ich es, früh am Morgen in heiße Quellen zu gehen. Ich wäre natürlich auch abends hingegangen, aber morgens war es mir einfach lieber. Dann waren kaum Leute da und manchmal hatte man die ganze Quelle für sich allein.
Auch heute war das mein Plan, doch anscheinend war noch jemand auf dieselbe Idee gekommen. Unglücklicherweise war dieser Jemand Alexia.
Alexia hatte ihre silbernen Haare hochgesteckt und riss einen Moment weit ihre roten Augen auf, als sie mich erblickte. Dann wandte sie sich blitzschnell von mir ab.
Wir taten beide so, als gäbe es den anderen nicht. Diese Quellen waren nur für gehobene Leute und am frühen Morgen, wenn nur wenige Leute da waren, wurden die Trennwände entfernt und das Ganze wurde zu einem Unisexbad. Während ich unter dem Wolkenhimmel in das heiße Wasser eintauchte und den Sonnenaufgang betrachtete, dachte ich darüber nach, wie schön es doch wäre, diese Quelle ganz für mich allein zu haben.
In dieser heißen Quelle mit der besten Aussicht saßen Alexia und ich nun also an verschiedenen Enden des Bads und sahen beide dem Sonnenaufgang zu. Es herrschte eine eher unangenehme Stille.
Alexias blasse Haut schimmerte am Rande meines Blickfeldes und im Wasser breiteten sich kleine Wellen aus.
Es ist zwar etwas schade, aber dann werde ich mein Bad wohl etwas verkürzen müssen.
Gerade als mir dieser Gedanke kam, brach Alexia die Stille: „Wie geht es deinen Verletzungen?“
Ihre Stimme war im Vergleich zu sonst ziemlich leise.
„Alles verheilt“, erwiderte ich und überlegte, über welche Verletzungen sie sprach.
„Ich bin etwas ausgetickt und hab dich fast umgebracht, aber wie schön, dass du überlebt hast.“
„Danke?“
Ah, die Verletzung also.
Da ich Alexia schon eine ganze Weile kannte, vermutete ich, dass sie damit wohl um Verzeihung bitten wollte. Erst dachte ich, ihr hätte einfach nie jemand beigebracht, was eine Entschuldigung ist, aber das war dann wohl ihre Art, sich zu entschuldigen.
„Dann tut’s mir auch leid, dass ich dich für einen Killer gehalten habe“, sagte ich.
Mit einem Platsch traf ein Spritzer heißes Wasser mein Gesicht.
„Ich würde niemals jemanden umbringen“, meinte Alexia.
„Das sagen sie immer. Also, was bringt dich nach Lindwurm?“, fragte ich.
„Ich bin Ehrengast bei der Prüfung der Göttin. Und du?“, erwiderte sie.
„Ein Freund hat mich zu einer interessanten Veranstaltung eingeladen. Ich glaube, er könnte damit diese Prüfung gemeint haben. Weißt du, worum es da geht?“, erkundigte ich mich.
Alexia seufzte tief.
„Du bist wirklich hergekommen, ohne das zu wissen? Die Prüfung der Göttin ist ein Kampf, der nur einmal im Jahr stattfindet. An dem Tag, an dem die Türen des Heiligtums geöffnet werden. Die Erinnerungen uralter Krieger werden aus dem Heiligtum erweckt und herbeigerufen und ihnen muss sich ein Herausforderer stellen. Solange man sich vorher anmeldet, kann jeder Magieritter teilnehmen, aber die Krieger reagieren nicht auf jeden. Hunderte Magieritter nehmen jedes Jahr teil, doch von denen können nur etwa zehn tatsächlich kämpfen.“
Klingt interessant. Vielleicht will Alpha ja daran teilnehmen?
„Und auf wen reagieren sie?“
„Anscheinend ist es davon abhängig, ob der Herausforderer eines uralten Kriegers würdig ist. Meistens erscheinen uralte Krieger, die ein wenig stärker sind als der Herausforderer. Deshalb heißt es auch die Prüfung der Göttin. Vor zehn Jahren hat der wandernde Schwertkämpfer Venom für Schlagzeilen gesorgt, als er den legendären Helden Olivier herbeirief.“
„Oha, hat er gewonnen?“, unterbrach ich sie.
„Angeblich hat er verloren. Ich war nicht dabei, also kann ich dir nicht genau sagen, was passiert ist. Ich kann dir nicht mal verraten, ob es wirklich Olivier war, gegen den er gekämpft hat.“
„Aha ...“
Könnte Alpha einen Helden herbeirufen? Wenn ja, könnte das echt lustig werden.
„Also wirst du nicht teilnehmen?“, fragte ich sie. „Ich hab gehört, du bist in letzter Zeit stärker geworden.“
„Werde ich nicht. Ich habe viel zu tun dieses Jahr. Es gibt viele üble Gerüchte um den Erzbischof, also werde ich mir den mal ansehen“, antwortete sie.
„Üble Gerüchte?“
„Darüber darf ich dir nichts erzählen. Wenn du es wissen willst, tritt dem Scharlachroten Orden bei.“
„Schon gut.“
„Tritt bei, sobald du deinen Abschluss hast.“
„Schon gut.“
„Ich kann die Dokumente für dich ausfüllen.“
„Bitte nicht.“
„Du bist aber stur“, sagte Alexia und es entstand eine Gesprächspause.
Die nächsten Augenblicke verbrachten wir schweigend. Und das war gar nicht mal so unangenehm.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Alexia sich bewegte. Sie streckte ihre langen Beine aus und verursachte damit einige kleine Wellen.
„Ich hatte eigentlich erwartet, dass du die Augen nicht von meinem Körper lassen kannst, aber da lag ich wohl falsch“, meinte Alexia plötzlich.
„Du hast ja echt Selbstvertrauen.“
„Wenn man so schön ist wie ich, hören die lüsternen Blicke nie auf. Es ist wirklich schrecklich.“
Und trotzdem sitzt du nackt neben mir.
„Ich bevorzuge es, niemanden anzuschauen, wenn ich in einer heißen Quelle bin. Dann können sich alle wohlfühlen.“
„Eine gute Einstellung.“
„Und genau deshalb solltest du aufhören, mein Excalibur anzustarren.“
Alexia lachte. Sie lachte aus tiefstem Herzen, als wäre ich ein totaler Vollidiot.
„Das soll ein Excalibur sein? Du verwechselst das wohl mit einem Regenwurm.“
„Von mir aus, nenne es ruhig Regenwurm. Ob Excalibur oder Regenwurm, mir passt beides. Lass mich dir nur einen Rat geben.“
Ich stand auf und platschend kräuselte sich das Wasser.
„Beurteile niemals ein Buch nach seinem Einband. Was du für einen Regenwurm hältst, könnte ebenso gut ein Schwert in seiner Hülle sein.“
Ich drehte ich mich um und stieg aus der Quelle, ohne mich zu bedecken.
„W-Was soll das denn heißen ...“, sagte Alexia, deren Wangen rot angelaufen waren.
„Das heilige Schwert, aus seiner Hülle gezogen, wird seine strahlende Klinge entfesseln und den Weg in den Garten des Chaos weisen ...“, entgegnete ich eindrucksvoll und klatschte mir einmal energisch mein nasses Handtuch zwischen die Beine.
Klatsch.
Das machten alte Männer oft, wenn sie aus heißen Quellen kamen, und irgendwie mochte ich es. Es hatte natürlich absolut keinen Sinn, aber irgendwie fühlte ich mich, als hätte ich nicht richtig gebadet, wenn ich das beim Rausgehen nicht machte. Ich tat es noch dreimal und ging in die Umkleidekabine.
Als ich mich fertig umgezogen hatte, hörte ich es aus Richtung der heißen Quelle zweimal klatschen.
***
Die majestätische Kathedrale wurde von warmem Lampenlicht erhellt, was sie nur noch magischer aussehen ließ.
In der Kathedrale stand eine schöne blonde Elfe in einem pechschwarzen Kleid. Ihre blauen Augen richteten sich auf die steinerne Statue des Helden Olivier.
Wie der leuchtende Mond in der Dunkelheit der Nacht – so stand Alpha dort.
„Wir wollen nur die Wahrheit wissen.“
Es schien, als würde Alpha mit der Statue von Olivier sprechen.
„Olivier, der legendäre Held. Was hast du im Heiligtum getan? Je mehr wir die Dunkelheit der Geschichte erhellen, desto enger verweben sich auch Lügen und Wahrheit miteinander.“
Sie fing an zu laufen und während sie sich einem roten Objekt auf dem Marmorboden näherte, hallte das Geräusch ihrer Absätze durch den Raum.
„Erzbischof Drake. Was hast du versteckt? Wenn du noch sprechen könntest, hätte ich es gerne von dir gehört.“
Bei dem roten Objekt auf dem Boden handelte es sich um ein blutiges Stück Fleisch, das einst der Erzbischof gewesen war. Der korpulente Mann war zerstückelt worden und trug keinen Funken Leben mehr in sich.
Alphas hohe Absätze blieben in der Blutlache stehen und ihre blassen Beine glänzten in der Dunkelheit.
„Wer hat dich getötet? Eine so hohe Position wie deine und doch haben sie dich beseitigt.“ Die toten Augen des Erzbischofs zeugten davon, auf welch brutale Art und Weise er getötet worden war. Die üblen Gerüchte um den Erzbischof hatten sich bis in die Hauptstadt verbreitet und kurz bevor eine Ermittlung gegen ihn gestartet werden konnte, war er beseitigt worden. „Wir werden bis morgen warten, bis sich die Türen des Heiligtums öffnen.“
Damit warf Alpha einen letzten Blick auf die Statue von Olivier und drehte sich um.
Hinter den Türen der Kathedrale näherten sich mehrere Stimmen, die nach dem Erzbischof riefen. Ohne sich darum zu kümmern, öffnete Alpha die Tür und verließ die Kathedrale.
Das Geräusch ihrer Absätze entfernte sich stetig und an ihrer Stelle brach eine Lawine von heiligen Rittern der Kirche herein.
Diese fanden die Leiche des Erzbischofs, doch die blonde Elfe hatte niemand gesehen. Kein einziger Ritter hatte überhaupt bemerkt, dass er an ihr vorbeigegangen war.
Der weiße Marmorboden war mit blutigen Absatzspuren übersät.
***
Von einem Uhrenturm in Lindwurm blickte ich auf das Fest am Vorabend der Prüfung der Göttin hinunter. Es war in vollem Gange, in der Hauptstraße drängten sich die Stände und Lampen erhellten die Straßen.
Rose schien irgendetwas in der Kirche zu feiern, wozu sie mich natürlich nicht eingeladen hatte. Wobei ich sowieso abgelehnt hätte.
Ich ließ mir die nächtliche Brise ums Haar wehen und lächelte.
Ich liebte das Klischee, von weit oben auf die Stadt und die Menschen zu blicken. Noch besser bei Nacht und wenn unter mir irgendeine Veranstaltung stattfand.
„Es hat begonnen ...“, murmelte ich, hingerissen von der Atmosphäre. „Dazu haben sie sich also entschlossen ...“
Bei diesen Worten kniff ich meine Augen zusammen.
„Dann widersetzen wir uns.“ Ich nahm auf der Stelle die Form von Shadow an. „Wir werden es nie zulassen ...“
Mit einem Flattern meines langen pechschwarzen Mantels flog ich durch den Nachthimmel und landete in einer Gasse abseits des Trubels. Nun stand ich vor einem Mann, dessen Gesicht von einer Maske verdeckt war.
Ich hatte ihn mit bloßen Augen verfolgt, nachdem er verdächtigerweise aus der Kathedrale geflohen war. Wahrscheinlich war er ein Dieb oder so.
Nein, er riecht ein bisschen nach Blut.
Also doch ein Überfall?
„Dachtest du wirklich, du könntest fliehen ...?“ Der maskierte Mann machte einen Schritt zurück. „Die Nacht hüllt alles in Schatten. Dies ist unsere Welt ...“, sagte ich. Der maskierte Mann zog sein Schwert. „Niemand kann uns entkommen“, fuhr ich fort und der Mann hob sein Schwert und kam auf mich zu.
Ich zog mein Schwert noch nicht und wartete auf den richtigen Augenblick.
In dem Moment, in dem der maskierte Mann sein Schwert schwingen wollte, flog sein Kopf durch die Luft.
Ich sah schweigend zu und wartete, bis hinter der Leiche eine Frau hervortrat.
„Es ist lange her, mein Lord“, sagte sie und kniete vor mir nieder.
Es war Epsilon, die fünfte der Sieben Schatten.
Sie blickte zu mir auf und enthüllte ihr Gesicht, das zuvor von ihrem Bodysuit verdeckt gewesen war. Sie war eine Elfe mit Haaren, die wie ein kristallklarer See schimmerten, und Augen, deren Farbe nur ein wenig dunkler waren.
Es gibt viele Arten von Schönheiten und sie besaß jene extravagante Art von Schönheit. Ihre Augen, ihre Nase – alles an ihrem Gesicht war extravagant, so wie auch ihr Stil. Immer wenn sie ging, wogte alles an ihr. Egal ob Mann oder Frau, niemand konnte seinen Blick von ihr abwenden. Aber ich kannte ihr Geheimnis.
„Du hast ihn mit einem Streich enthauptet. Gute Arbeit.“
„Eure Worte ehren mich.“
Epsilon lächelte mit leicht roten Wangen. Ihre übermäßig würdevolle Stimme mochte für manche Ohren anmaßend klingen, doch mich erinnerte sie irgendwie an ein Klavier. Und genau deshalb gefiel sie mir.
Unter den Sieben Schatten hatte sie die präziseste Magiekontrolle. Normalerweise wird es schwieriger, Magie zu kontrollieren, sobald sie den Körper verlässt, aber für Epsilon war das kein Problem und sie konnte mühelos Angriffe aus großer Entfernung ausführen.
Deshalb nannte man sie auch Die Präzise.
Sie besaß ein extrem stolzes und anstrengendes Wesen, zu mir war sie allerdings immer meganett. Sie wurde leicht missverstanden, war jedoch eigentlich ein gutes Mädchen, das mir früher jeden Tag Tee gemacht hatte. Sie hielt sich strikt an hierarchische Beziehungen und gehorchte Alpha aufs Wort.
Ich hatte sie schon lange nicht mehr gesehen und wir hatten viel zu besprechen, aber ich hörte an ihrem Ton, dass sie sich gerade im Shadow-Garden-Modus befand.
Das ist schon okay. Dann spiele ich mit.
„Was ist aus dem Plan geworden?“
Epsilon runzelte ein wenig die Stirn. Sie musste sich wahrscheinlich spontan einen Plan ausdenken.
„Das Ziel wurde vom Henker des Kults erledigt. Wir konnten seine Männer fassen, nur der Henker selbst ist entkommen“, sagte sie.
„Oho ...“
Ein Henker also? Gefällt mir.
„Wir wechseln zu Plan Nummer zwei.“
Ah, das klassische Muster. Plan A und Plan B.
„In Ordnung. Aber du weißt, was das bedeutet ...?“, fragte ich sie dramatisch.
„Darauf sind wir vorbereitet. Auch wenn sich so die gesamte Kirche gegen uns stellen oder wir unseren Namen so selbst durch den Dreck ziehen sollten ...“, versicherte sie mir.
„Ich werde auf eigene Faust handeln. Enttäuscht mich nicht ...“, sagte ich.
„Jawohl.“
Als Epsilon den Kopf hängen ließ, bewegte ich mich blitzschnell und verschwand in der Dunkelheit, ohne dass es irgendjemand bemerkte.
Das nervt, murmelte Alexia in Gedanken vor sich hin.
Von ihrem Sitz aus verfolgte sie, wie die Eröffnungszeremonie der Prüfung der Göttin begann. Auf den Plätzen für die Ehrengäste saßen nebeneinander Natsume, Alexia und Rose. Hinter ihnen gab es noch ein paar weitere Gäste, aber dieses Trio waren die wichtigsten. Wegen ihrer Schönheit waren sie drei auf die vordersten Plätze gesetzt worden, nur war das nicht das Problem.
Zwei Dinge störten Alexia.
Zum einen konnte sie den stellvertretenden Erzbischof Nelson nicht leiden, der zurzeit in der Mitte der Arena stand und selbstgefällig das Publikum begrüßte. Sie hatte gestern versucht, mit ihm über den Mord an Erzbischof Drake zu reden, doch er hatte sich hartnäckig gegen eine Untersuchung geweigert.
Er versuchte sie abzuwimmeln, indem er sagte, dass ihr Verdächtiger nun tot sei und sie deshalb nichts mehr zu untersuchen habe. Alexia versuchte diesem Idioten zu erklären, dass die Untersuchung dadurch nur noch notwendiger sei, aber Nelson bestand darauf, dass sie einen Antrag auf eine neue Untersuchung stellen müsse.
Selbst wenn sie sich beeilte, würde sie mindestens drei Tage zurück in die Königliche Hauptstadt brauchen. Dann würde es mindestens eine Woche dauern, um die Erlaubnis für die Untersuchung zu bekommen, und dann müsste sie wieder nach Lindwurm und darauf warten, dass Nelson diese entgegennahm. Abhängig von dessen Stimmung würde das wahrscheinlich auch eine gute Woche beanspruchen. Genug Zeit, um alle Beweise zu beseitigen.
Als Repräsentantin ihres Landes durfte Alexia nicht zu aggressiv vorgehen. Die Religion der Heiligen Lehre wurde nicht nur in diesem Land praktiziert, sondern auch in vielen Nachbarländern. Wenn Alexia zu aggressiv gegen die Kirche vorging, könnte Midgar von den Nachbarländern unter Druck gesetzt werden. Vor allem aber würde sie die Unterstützung der Bevölkerung verlieren. Die Kirche konnte zwar nützlich sein, wenn man sich mit ihr verbündete, aber als Feind auch äußerst lästig.
Alexia starrte auf Erzbischof Nelson, der energisch eine Rede hielt, und dachte sich, dass der alte Glatzkopf ruhig erst mal ein bisschen um seinen Kollegen trauern könnte. Doch der Tod des Erzbischofs wurde der Öffentlichkeit immer noch verschwiegen.
Alexia seufzte und sah dann zu dieser Natsume-wie-auch-immer, die links neben ihr saß.
Sie war nämlich der andere Störfaktor neben Nelson.
Brav und lächelnd saß sie da und empfing den Beifall des Publikums. Sie hatte wunderschönes silbernes Haar, katzenartige blaue Augen und einen Leberfleck unter einem Auge, der ihrem wohlgeformten Gesicht einen gewissen Charme verlieh.
Mit perfekten Manieren lächelte und winkte sie den Zuschauern, sodass sie nur noch mehr Liebe und Bewunderung erhielt.
Alexia konnte sie kein bisschen leiden. Irgendetwas war faul an ihr.