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„Ein Sturm zieht auf ... Ein Sturm des Blutes ...“
Nach Shadows spektakulärem Auftritt beim Bushin-Festival ist in der Königlichen Hauptstadt wieder Ruhe eingekehrt. Nun ruft ihn die sogenannte Müllhalde der Welt, in der sich die Bösen, die Reichen und die Starken tummeln – die Stadt der Gesetzlosen. Über sie regieren von gewaltigen Türmen aus drei große Herrscher: Juggernaut der Tyrann, Yukime die Füchsin und Elisabeth die Königin des Blutes. Shadow hat es auf Letztere abgesehen, doch mit dem Unheil, das sich in ihrem Schloss, dem Scharlachroten Turm, zusammenbraut, rechnet niemand. Der Rotmond erhebt sich, die Auferstehung eines legendären Urvampirs naht und der Welt droht eine verheerende Katastrophe wie jene vor einem Jahrtausend …
Obendrein bricht zwischen der Mitsugoshi-Handelsgesellschaft und der Großen Handelsallianz ein gnadenloser Kampf aus und Shadow stürzt sich mit ins Getümmel. Aber wer hätte gedacht, dass er sich gegen Mitsugoshi stellen würde? Was um alles in der Welt hat er nur vor?!
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Seitenzahl: 280
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Farbseiten
Prolog: Herbstferien in der Stadt der Gesetzlosen!
Kapitel 1: Banditenjagd in der Stadt der Gesetzlosen!
Kapitel 2: Dringen wir in den Scharlachroten Turm ein!
Kapitel 3: Die Königin des Blutes ist dran!
Kapitel 4: Ich mach alles dem Erdboden gleich und bau es wieder auf!
Kapitel 5: Lasst uns im Schatten des Kampfes ein bisschen Geld fälschen!
Kapitel 6: Lasst uns etwas Falschgeld in Umlauf bringen!
Epilog: Jener, der mit Falschgeld alles niederreißen und dann wieder aufbauen wird!
Charaktere
Legenden von Lord Shadow
Nachwort
Über JNC Nina
Impressum
Farbseiten
Inhaltsverzeichnis
Meine Schwester gewann schließlich das Bushin-Festival.
Als Rose plötzlich auftauchte, war ich mir nicht sicher, wie alles enden würde, aber mit etwas Improvisation haute das Ganze dann doch irgendwie hin.
Zuerst stahl sie mir zwar etwas die Show, doch dann erkannte ich darin eine unglaubliche Gelegenheit für mich und beschloss einfach mitzumachen.
Ich bin echt cool.
Die Welt ist ständig in Bewegung, genau wie die Gedanken der Menschen, und die Bühne wird sich nicht immer nach mir richten. Ich werde von nun an versuchen, flexibler zu sein und meine Improvisationskünste zu verbessern.
Na ja, nach dem Bushin-Festival kehrte in der Königlichen Hauptstadt wieder der stinknormale Alltag ein.
Wegen der Unruhen im Königreich Oriana waren anscheinend einige besorgt, aber als Mitglied des niederen Adels brauchte mich das nur wenig zu interessieren. So begann problemlos das zweite Semester.
Angeblich hatten sich in Oriana irgendwelche Fraktionen gespalten und standen jetzt miteinander im Konflikt. Es ging das Gerücht um, dass es bis zum Ende des Jahres noch zu einem Bürgerkrieg kommen könnte.
Aber wenn es wirklich einen gibt, will ich unbedingt dabei sein. Oh Mann, da freu ich mich drauf.
Und auch ohne Rose war die Akademie immer noch dieselbe.
Tut mir leid, aber so ist es nun mal.
Es wurde gelästert, dass es bei dem Vorfall mit ihr in Wirklichkeit um eine Affäre oder den Kampf um den Thron ging, doch eigentlich wusste das keiner so genau. So oder so stand ich hinter Roses Entscheidung und hoffte, dass sie es sicher rausgeschafft hatte.
Meine Schwester war seit ihrem Sieg ziemlich beschäftigt gewesen und ging wie ein echter Promi dauernd zu irgendwelchen Treffen oder Feiern, aber kurz vor den Herbstferien war das auch schon vorbei und sie kehrte an die Akademie zurück.
Sie war wohl echt nur die Frau der Stunde gewesen.
Doch jetzt, da sie endlich mehr Freizeit hatte, nervte sie mich jeden Tag, bis ich gar keine Wahl mehr hatte, als ihr eine Siegesfeier zu schmeißen.
Deshalb saß ich nun mit Claire in einem Restaurant der Mitsugoshi-Handelsgesellschaft. Ich dachte eigentlich, ich hätte das superbillige Segen für Arme-Menü bestellt, aber irgendwie war das Essen viel zu extravagant. Wie komisch.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du mich zu so einem schicken Essen einladen würdest. Nicht mal auf den Feiern im Schloss war das Essen so gut“, sagte Claire, als sie ihren Teller betrachtete.
Darüber hinaus waren wir auch noch in einem privaten Raum für VIPs. Ich dachte, sie hätten mich mit jemandem verwechselt, und hatte daher auf dem Weg zur Toilette eine Angestellte gefragt, aber anscheinend gab es kein Problem.
Nicht dass sie mir danach noch eine exorbitante Rechnung auftischen ...
Ah, vielleicht war das ja ein Geschenk von Gamma oder so. Das Restaurant gehörte ja immerhin zu Mitsugoshi.
„Ich kenne den Chef von Mitsugoshi“, sagte ich.
„Du Lügner“, erwiderte Claire prompt.
„Gar nicht. Ich bin mir sicher, dass wir deshalb so guten Service bekommen“, erklärte ich.
„Komm schon, lass dir was Besseres einfallen, wenn du Witze machen willst. Keine Sorge, ich versteh das schon. Du hast dich offensichtlich echt für mich ins Zeug gelegt“, sagte Claire mit einem Lächeln.
So gut gelaunt hab ich sie schon lange nicht mehr erlebt. Ach na ja, was soll’s.
„Ich liebe das Essen in den Mitsugoshi-Restaurants, es ist immer so innovativ und lecker. Roastbeef hab ich noch nie gegessen“, bemerkte Claire glücklich.
„Ohaa“, heuchelte ich Erstaunen und so in etwa verlief auch der Rest unseres gemeinsamen Essens.
„Annerose ist ausgeschieden, Prinzessin Iris hat sich zurückgezogen und dieser Norma oder wer auch immer das war wurde disqualifiziert. Es war einfach nur Glück, dass ich gewonnen habe“, erklärte Claire.
„Da hast du wohl recht“, antwortete ich.
„Leugne es gefälligst“, befahl Claire.
„Sag doch so was nicht, Schwesterherz. Du hast gewonnen, weil du hart gearbeitet hast!“, korrigierte ich mich.
„Genau, ganz meine Rede. Nur leider sieht das sonst keiner so“, meinte Claire.
„Na ja, das kann man wohl verstehen“, sagte ich trocken.
„Versuch’s noch mal“, befahl Claire erneut.
„Wie können alle nur so blind sein, dein unglaubliches Talent nicht anzuerkennen!“, verbesserte ich mich erneut.
„Versteh ich auch nicht. So ist das nun mal mit dem Pöbel. Aber ich bin keine Frau, die das einfach so hinnimmt“, sagte Claire.
„Vielleicht solltest du dich etwas damenhafter benehmen“, schlug ich vor.
„So langsam werd ich sauer“, warnte Claire.
„Dieser verdammte Pöbel! Ich werd ihm zeigen, wie stark und wunderschön meine Schwester ist!“, protestierte ich.
„Genau das ist mein Plan. Und du wirst mir dabei helfen“, sprach Claire.
„Nö“, antwortete ich knapp.
„Nichts da. Das ist auch zu deinem Besten“, erwiderte Claire.
„Zu meinem Besten?“, fragte ich.
„Exakt. Weißt du denn schon, was du nach deinem Abschluss machen willst? Mit deinen mittelmäßigen Noten wirst du keinen halbwegs guten Job bekommen“, sagte Claire.
„So spontan kann ich dir das nicht sagen ...“, entgegnete ich.
Ich dachte nach, denn ich hatte mir noch nie wirklich überlegt, was ich nach meinem Abschluss machen würde. Claire war die Erbin unseres Hauses, also würde ich mir wohl irgendeinen Job suchen müssen.
So was Aufrichtiges wie der Ritterorden liegt mir eher weniger ... Ich hätte lieber einen schönen Nebencharakterjob. So was wie ... Oh, ich hab’s!
„Ich werde Torwächter A!“, verkündete ich.
Das ist der Charakter, der dem Protagonisten sagt, dass er eine Gebühr zahlen muss, um durchs Tor zu kommen.
„Torwächter A? Was soll denn bitte A heißen?“, fragte Claire verwirrt.
„Na ja, ein normaler Torwächter halt?“, antwortete ich.
„Hör mal. Torwächter ist echt kein Job für einen Adligen. Außerdem hat man da nur schlecht bezahlte Schichtarbeit und so gut wie keinen Urlaub“, erklärte Claire.
„Ah, so ist das also ...“, sagte ich enttäuscht.
Ich hätte wirklich lieber Urlaub. Sonst kann ich meinem Leben als Eminenz gar nicht nachgehen.
„Wie wäre es mit Gefängniswärter?“, schlug ich vor.
„Das ist noch schlimmer. Da musst du dich mit dem ganzen Abschaum rumschlagen“, antwortete Claire.
„Hmm ... Na ja, ich kann mich ja einfach entscheiden, sobald es so weit ist. Solange ich machen kann, was ich will, ist mir alles recht“, sagte ich.
„Und was willst du machen?“, fragte Claire.
„Das ist ein Geheimnis. Ich erzähle niemandem von den Dingen, die mir wirklich wichtig sind“, erklärte ich.
„Na klar. Du hast bestimmt einfach gar nichts, was du tun willst. Und jetzt hör auf, deine Probleme vor dir herzuschieben“, sagte Claire.
„Wieso denkst du das denn?“, fragte ich.
„Denk mal genau darüber nach, was du bis jetzt so gemacht hast“, antwortete Claire.
„Was? Ach egal“, gab ich nach.
„Ist es nicht. Es geht hier um deine Zukunft. Halt dir gefälligst deine Herbstferien frei. Tu genau, was ich dir sage, und ich bring dich in den Ritterorden rein“, sagte Claire.
„Was hast du denn vor?“, fragte ich.
Claire kicherte kurz und meinte dann mit einem verstohlenen Lächeln: „Der Kampf gegen die Urvampirin, die Königin des Blutes, wird bald beginnen. Du musst einfach nur hinter mir stehen.“
***
Nach dem Essen schlenderten wir durch die nächtliche Königliche Hauptstadt.
Als ich im Restaurant hatte bezahlen wollen, hatte man mir plötzlich gesagt, das sei nicht nötig.
Dann ist es wohl ein Geschenk von Gamma. Oder vielleicht ist es auch eins an Claire, weil sie die Siegerin des Bushin-Festivals war. Wer kann das schon wissen?
„Gilt nicht schon die Ausgangssperre vom Wohnheim?“, fragte ich Claire.
„Ich habe Bescheid gegeben, dass wir auf eine Feier gehen, also ist das kein Problem.“
„Nicht schlecht“, sagte ich.
Die Nacht und die Straße waren seltsam ruhig.
Ich sah zum Mond auf, der am Himmel leuchtete und eine Sichel formte. Bildete ich mir das ein oder war er irgendwie rötlicher ...?
„Ist was?“, fragte mich Claire.
„Der Mond scheint irgendwie rötlicher“, erklärte ich.
„Wirklich? Für mich sieht er ganz normal aus“, antwortete Claire.
„Kann sein. An sich kann es mir ja egal sein, ob der Mond rot oder blau ist“, sagte ich.
Rot wär definitiv cooler.
„Wir wollten gerade über die Königin des Blutes reden, nicht wahr?“, erinnerte mich Claire.
„Ach so, stimmt.“
„Du hast sicher gehört, dass es mit den Untergebenen der Königin des Blutes in letzter Zeit auch außerhalb der Stadt der Gesetzlosen Vorfälle gab“, setzte Claire an.
Ach so? Absolut keine Ahnung.
„Die umliegenden Länder haben das sehr ernst genommen und die Magierittergilde damit beauftragt, die Königin des Blutes zur Strecke zu bringen“, fuhr sie fort.
„Ach so, aha.“
„Dafür wird gerade ein Team aus erstklassigen Magierittern zusammengestellt. Ich nenne es zwar Team, aber mit so vielen starken Leuten auf einem Haufen wird sich wohl kaum zusammenarbeiten lassen.“
„Mhm, mhm.“
„Und genau deshalb kann ich dich auch mitnehmen. Keine Sorge, du darfst ruhig aus sicherer Entfernung zusehen, ich kümmere mich um den Rest. Du bekommst dann einfach nur Anerkennung, weil du mit dabei warst“, erklärte sie.
„Verstehe.“
„Und wenn du die erst hast, wird es ein Leichtes sein, dich in den Ritterorden zu bekommen. Ich hab mich auf der letzten Feier sogar mit dem Hauptmann der Königsgarde angefreundet. Wenn du willst, könnte ich bei ihm auch ein gutes Wort für dich einlegen“, sagte Claire.
„Aaaha.“
„Das Ganze soll in den Herbstferien stattfinden. Es gibt bestimmt ein paar Voreilige, die sich jetzt schon auf den Weg gemacht haben, aber es gibt keinen Grund zur Eile“, fuhr Claire fort.
Dann, mit einem Windhauch, erreichte uns Blutgeruch. Er war stark, als wäre irgendjemand gestorben.
Claire bemerkte ihn kurz nach mir.
„Es riecht nach Blut. Gar nicht weit weg von hier“, sagte sie und blieb stehen. Sie blickte in eine dunkle Gasse. „Bleib dicht hinter mir.“
„Geht klar.“
Mit einer Hand am Schwert an ihrer Hüfte betrat Claire die Gasse und ich folgte ihr dicht auf den Fersen.
Nach einer Weile entdeckten wir eine dunkle Gestalt, die in einer Ecke kauerte. Es hörte sich an, als würde sie auf etwas herumkauen.
Wusste ich’s doch, da ist jemand gestorben.
Claire unterdrückte einen überraschten Schrei und zog ihr Schwert.
Die dunkle Gestalt bemerkte uns und drehte sich langsam um.
Es war ein blutüberströmter Mensch.
Nein, vielleicht auch nicht.
Die Augen dieses Wesens waren blutrot und aus seinem halb offenen Mund ragten scharfe Fangzähne. Roter Sabber tropfte heraus und landete auf dem Kopfsteinpflaster. Zu seinen Füßen lagen die Überreste einer fast völlig verschlungenen menschlichen Leiche.
„Lass die Waffe fallen und ergib dich ...!“, befahl Claire.
Doch das Wesen schrie nur bestialisch und stürzte sich mit gebleckten Fangzähnen auf sie. Es bewegte sich nicht wie ein Mensch, sondern eher wie ein wildes Tier. Claires Schwert blitzte im Mondlicht auf und spaltete das Wesen entzwei.
„Ich hab dich gewarnt!“ Aber dann stutzte sie. „D-Du lebst noch ...?!“, fragte sie das in zwei Hälften geteilte Wesen verstört. Das Geschöpf kroch ohne Unterkörper über den Boden, streckte seine Hand aus und griff stöhnend nach dem Bein meiner Schwester. „Du bist ja hartnäckig!“, meinte sie und schlug ihm den Kopf ab.
Sein Kopf rollte über das Kopfsteinpflaster und biss einige Male wild in die Luft. Seine roten Augen starrten schwach auf Claire, dann rührte es sich nicht mehr. Ein überwältigender Blutgeruch breitete sich in der Gasse aus.
„War das etwa ein Ghul ...? Doch nicht etwa einer der Königin des Blutes ...?!“, fragte Claire überrascht.
Es sah zwar aus wie ein Mensch, aber seine Haut war blass und blutleer. Dazu hatte es rote Augen und scharfe Fangzähne. Es hatte sich wie ein Tier bewegt und war ziemlich zäh gewesen, doch anscheinend ohne jede Intelligenz.
„Sind Ghule nicht die Diener von Vampiren?“, fragte ich Claire.
Ghule interessierten mich nicht wirklich, doch ich fragte mich, wie stark wohl Vampire waren.
„Ein Monster ...“, murmelte Claire, ohne mir zu antworten.
„Claire ...?“, versuchte ich ihre Aufmerksamkeit zu wecken.
„Ghule waren auch mal Menschen, oder ...?“, fragte sie.
„Ich denk schon“, erwiderte ich.
„In letzter Zeit mach ich mir Sorgen. Ich hab Angst, dass ich auch eines Tages so enden werde. Ein Monster, das seinen Verstand verloren hat ...“, erklärte sie.
„Du bist doch sowieso schon nicht richtig im Kopf“, versetzte ich trocken.
„Klappe. Ich hab gehört, dass Prinzessin Rose eine Besessene gewesen sein soll ... Auch wenn das wahrscheinlich nur ein Gerücht ist. Aber ... Ich hab das noch nie jemandem erzählt, nur könnte auch ich eine Besessene sein ...“, beichtete Claire.
„Was? Eine Besessene?“, fragte ich.
Das hab ich doch schon vor langer Zeit geheilt.
„Damals erschien plötzlich ein schwarzer Fleck auf meinem Rücken, der sich immer weiter ausbreitete, und ich hatte zu große Angst, jemandem davon zu erzählen. Doch dann wurde er auf einmal immer kleiner und verschwand einfach, als hätte es ihn nie gegeben. Ich war damals so glücklich, dass er weg war, aber in letzter Zeit habe ich Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass Besessenheit eigentlich gar nicht heilbar sein sollte. Wenn dieser Fleck wirklich ein Zeichen von Besessenheit war, werde ich vielleicht auch irgendwann so enden ...“, erklärte Claire bestürzt.
„Ich glaube nicht, dass du dir allzu viele Sorgen machen musst“, versicherte ich ihr.
Ich hatte sie ja immerhin schon vor langer Zeit geheilt.
„Du Idiot, das war sowieso bloß ein dummer Witz. Ich könnte niemals eine Besessene sein“, sagte Claire und schaute in den Nachthimmel. „Aber du wirst nicht immer auf mich zählen können, also halt dir gefälligst die Herbstferien frei.“
„Hmm ...“
„Keine Widerrede. Lass uns jetzt die Ritter informieren“, befahl Claire und verließ die Gasse.
Ich blickte ebenfalls in den Nachthimmel und bemerkte, dass der Mond heute wirklich ein kleines bisschen rötlich war.
Vampire und die Stadt der Gesetzlosen klingen gar nicht mal so schlecht.
***
Es war spät am Abend nach dem Unterricht, ich saß in meinem Zimmer und hörte mir Betas regulären Bericht über Shadow Garden an.
„Nach dem Vorfall beim Bushin-Festival ist Dummes Stellung ...“, erzählte sie und ich gab immer mal wieder ein einfaches „Hm“ von mir.
Ich hatte viel darüber nachgedacht, was mir meine Schwester gesagt hatte, und war zu dem Schluss gelangt, dass die Stadt der Gesetzlosen echt der Hammer war.
Es ist sowieso schon viel zu lange her, dass ich Jagd auf Banditen gemacht habe, und die Stadt der Gesetzlosen ist bestimmt voll von denen. Außerdem bin ich mir sicher, dass es dort einiges an Beute zu holen gibt.
„Epsilon hat es ebenfalls sehr viel einfacher im Königreich Oriana ...“, fuhr Beta fort.
„Hm.“
Ich hatte mir auch über die Sache mit meinem zukünftigen Job Gedanken gemacht.
Solange ich genug Kohle habe, sollte das doch eigentlich kein Problem sein, oder? Denn mit Kohle kann man alles machen.
Wenn die Stadt der Gesetzlosen voller Banditen war, verdienten deren Anführer mit ihren Verbrechen bestimmt jede Menge ...
Und wenn ich sie alle fertigmache und mir ihre ganze Beute schnappe, sollte es ja eigentlich keine Probleme geben. Wirklich ein toller Plan.
„Shadow Garden wird immer stärker und in Alexandria haben wir mit der Forschung an einer Dampfmaschine begonnen ...“, berichtete Beta.
„Hm.“
Solange man genug Schotter hat, um den Rest seines Lebens damit auszukommen, muss man sich um so was wie einen Job keine Sorgen machen.
Oder ich könnte nach Belieben einfach jeden Nebencharakterjob durchprobieren. Egal ob Torwächter, Leibwache, Bäcker oder eben einfach als Arbeitsloser.
Ich könnte ein von Geld unabhängiges Leben führen! Klingt doch super.
Also, die Stadt der Gesetzlosen hatte drei Machthaber, von denen einer leider bald ausgelöscht werden würde.
Wer wäre wohl am besten ...
Ich könnte mich einfach auf alle drei stürzen, aber dann hätte ich niemanden mehr für später übrig. Diese Königin des Blutes klang am spannendsten und mir fielen unglaublich viele coole Klischees mit Urvampiren ein, bloß würde ich mir das Beste eigentlich auch gerne zum Schluss aufheben. Das war keine einfache Entscheidung ... Allerdings würde die Königin des Blutes ja sowieso bald vernichtet werden.
„Das war alles“, beendete Beta nebenbei ihren Bericht.
„Hm“, machte ich ein letztes Mal.
„Falls es etwas gibt, was verbessert werden sollte ...“, setzte Beta an, doch ich unterbrach sie.
„Es stinkt ...“, bemerkte ich und Beta, die mit gesenktem Kopf vor mir kniete, begann langsam zu zittern. „Die Stadt der Gesetzlosen stinkt nach Blut ...“, beendete ich meinen Satz dramatisch.
„Was für ein Glück. Ich dachte, er meint mich ...“, murmelte Beta.
„Die Königin des Blutes ist auf dem Vormarsch ...“, fügte ich hinzu.
„So scheint es, aber zwischen der Königin und dem Kult gibt es kaum eine Verbindung, deshalb haben wir uns bis jetzt nicht mit ihr befasst ...“, antwortete Beta.
„Ein Sturm zieht auf ... Ein Sturm des Blutes ...“, sprach ich.
„Ein Sturm des Blutes ...?“, fragte Beta.
„Guck zum Mond, Beta.“
„Zum Mond ...?“
Ich zeigte aus dem Fenster auf den Mond, der mir immer noch rötlich vorkam.
„Ah, er ist rötlich ...?“, merkte Beta fragend an.
„Du hast es also auch bemerkt ... Den Rotmond ...“, sagte ich.
Beta war überrascht: „Ihr meint doch nicht etwa den legendären Rotmond ...?!“, fragte sie.
„Und wenn ja ...?“, erwiderte ich.
Beta blickte erstaunt auf den Mond und ich nippte an einem Glas blutroten Weins.
Der legendäre Rotmond also.
Wenn man so was als legendärbezeichnete, klang es gleich viel imposanter.
„W-Wenn das wirklich stimmt, wird die Stadt der Gesetzlosen ... Nein, auch alle umliegenden Länder werden dem Erdboden gleichgemacht ...!“, sagte Beta.
„Kein Grund zur Sorge“, versicherte ich.
„A-Aber das können wir nicht zulassen! Ich werde sofort Shadow Garden mobilisieren!“
„Sagte ich nicht eben, dass kein Grund zur Sorge besteht ...?“
Beta erschrak: „B-Bitte vergebt mir ...“
Ich schaute auf die zitternde Beta vor mir hinunter und schlug meine Beine übereinander.
„Überlasst das mir“, sagte ich dann.
„Habt Ihr etwa vor, Euch ganz alleine darum zu kümmern, Lord Shadow?!“, fragte Beta.
„Bist du nicht einverstanden ...?“
„Ganz gewiss wäre dies die sicherste Lösung, aber wenn Euch etwas zustoßen sollte ...“
„Kein Grund zur Sorge“, fiel ich Beta mit einem leichten Lächeln auf den Lippen erneut ins Wort. „Schließlich ist es einfach nur ein roter Mond, nicht wahr?“
Beta sah mich mit großen Augen an. Zuerst war sie verwirrt, doch dann breitete sich auf ihrem Gesicht ein weiches Lächeln aus.
„Bitte vergebt mir meine Torheit“, sagte sie und verbeugte sich einmal tief. „Nur ein roter Mond ... Der legendäre Rotmond ist nichts im Vergleich zu Lord Shadow. Ich wünsche Euch viel Glück.“
Na ja, also der Mond ist ja wirklich nur leicht rötlich. Es war Beta, die ihn zum legendären Rotmond gemacht hat. Nicht schlecht, das muss ich ihr lassen.
„Ist der Rotmond nicht auch wunderschön ...?“, fragte ich.
Beta kicherte leise. „Das stimmt. Doch nur wegen Euch konnte ich seine Schönheit erkennen.“
„Möchtest du auch ein Glas ...?“, fragte ich.
„Natürlich! Sehr gerne“, antwortete sie postwendend.
In die Betrachtung des Mondes versunken genossen wir zusammen den Wein.
Ich werde es in den Herbstferien so was von krachen lassen in der Stadt der Gesetzlosen!
***
Kurz gesagt war die Stadt der Gesetzlosen ein riesiger Slum.
Auf den Straßen tummelten sich Obdachlose, die Häuser waren nicht mehr als schäbige Hütten und die ganze Stadt stank nach Verwesung.
Aber das allein machte die Stadt der Gesetzlosen längst nicht aus.
Schließlich gab es darin noch drei Wolkenkratzer.
„Das ist also das Schloss der Königin des Blutes. Der Scharlachrote Turm.“
Dies sprach ein Mann, der wie ein missratener Pro-Wrestler aussah und den blutroten, in den Abendhimmel ragenden Turm anblickte.
„Was ist denn los, Quinton? Hast du etwa Angst?“, fragte ein blonder Schönling.
„Als hätte ich Angst, Goldoh. Ich hab nur noch nie so einen verdammt hohen Turm gesehen.“
„Na gut ... Ich habe schon in der ganzen Welt gekämpft und auch noch nie so einen Turm gesehen. Es dauert bestimmt einen ganzen Tag, den zu erklimmen“, sagte der blonde Schönling namens Goldoh.
Die beiden blickten auf den sogenannten Scharlachroten Turm und seufzten. Wie eine gewaltige Spirale aus Blut erhob er sich in den Himmel. Die beiden konnten sich gar nicht vorstellen, wie so ein Turm überhaupt erbaut wurde.
„Nur weil der Turm beeindruckend ist, heißt das noch lange nicht, dass die Leute darin stark sind. Komm, lass uns reingehen“, sagte Quinton.
„Das ist sowieso bloß ein Haufen Schurken. Wir holen uns den Kopf der Königin des Blutes“, gab Goldoh zurück.
Quinton und Goldoh waren sich äußerlich kein bisschen ähnlich, doch von ihrem ersten Gespräch an kamen sie überraschend gut miteinander aus. Vielleicht lag es auch daran, dass sie beim Bushin-Festival gegen denselben Kontrahenten verloren hatten, denn seither waren sie Freunde.
Die beiden erkundeten also in der Abenddämmerung die Stadt der Gesetzlosen. Je näher sie dem Zentrum kamen, umso mehr verwandelte sich die Stadt von einem heruntergekommenen Slum zu einer vielseitigen Stadt, in der ein buntes Durcheinander der Kulturen herrschte.
„Überraschend ...“, staunte Goldoh.
„Stimmt, aber sieh dich vor“, warnte Quinton.
Sie befanden sich im Zentrum der Stadt der Gesetzlosen, das man sich von außen nie hätte vorstellen können. Doch nicht nur die Gebäude waren ungewöhnlich, sondern auch die Menschen, die auf den Straßen unterwegs waren. Sie blickten Quinton und Goldoh mit Augen an, als hätten sie frische Beute entdeckt, und niemand war ein Schwächling.
Quinton und Goldoh schritten mit diesem Bewusstsein voran, bereit jeden Moment ihre Schwerter zu ziehen. Die Bewohner vermittelten zunehmend den Eindruck düsterer Einigkeit.
Augenscheinlich waren sie in das Gebiet der Königin des Blutes eingedrungen.
Allmählich bemerkten die beiden auch, dass sich die Atmosphäre verändert hatte.
„Wir sind nahe dran.“
Die Stadtbewohner waren plötzlich nirgends mehr zu sehen, aber sie spürten beunruhigende Präsenzen in den Häusern. Der Scharlachrote Turm war nicht mehr weit. Sie fassten sich ein Herz und gingen weiter.
Sie erreichten den Turm.
„Das hier muss der Eingang sein ...!“, rief Quinton und näherte sich einer riesigen Tür.
Darin war fein, aber gleichzeitig unheilvoll ein Wesen hineingeschnitzt, das kaum einem Menschen ähnelte.
„Gehen wir“, sagte Quinton und legte seine Hand auf die Tür.
Auf einmal ertönte ein hohes Kichern.
„Wartet ...“, raunte eine Stimme schrecklich heiser und kaum hörbar.
Quinton zog seine Hand zurück, sah sich um und entdeckte neben der Tür einen dreckigen Lumpen liegen. Doch der Lumpen bewegte sich – darunter war ein Mensch.
„Ihr habt nicht das Recht, diese Tür zu öffnen“, sprach dieser und erhob sich.
Es war ein schrecklich ausgemergelter Mann mit eingesunkenen Augen. Er bestand praktisch nur noch aus Haut und Knochen, war aber größer als Quinton. Sein trockenes, schmutzig weißes Haar reichte ihm bis zu den Schultern.
Ein lebendiger Leichnam wäre wahrscheinlich die passendste Beschreibung für ihn gewesen.
„Wir sollen nicht das Recht haben?“, fragte Quinton.
„Nur Diener, Gäste und die Mächtigen dürfen durch diese Tür ...“, sprach der Mann.
„Verstehe ... Diener oder Gäste sind wir tatsächlich nicht. Aber mächtig sind wir und wir wollen den Kopf der Königin des Blutes“, erwiderte Quinton mit einem selbstsicheren Lächeln.
Der dürre Mann blickte auf Quinton hinab und lachte mit seiner fürchterlich heiseren Stimme.
„Was gibt’s da zu lachen?!“, fragte Quinton wütend.
„Ich weiß, dass ich selbst ein Narr bin, aber jemanden zu treffen, der noch dümmer ist als ich, ist einfach zu lustig ...“
„Sag das noch mal!“, schrie Quinton.
„Hehe ... Kenne deinen Platz. Wenn du so endest wie ich, ist es bereits zu spät ...“, sprach der Mann und zog den Teil des Lumpens zurück, der seine rechte Körperhälfte bedeckte.
Quinton und Goldoh sahen, dass von seiner rechten Schulter abwärts nichts mehr da war.
„So erging es dem Narren, der vor vier Jahren die Königin des Blutes herausforderte ... Er verlor seinen dominanten Arm und wird nun als Wachhund hier festgehalten ...“
Die beiden sahen, dass der dürre Mann am Hals eine stabile Fessel trug.
„Dass ich nicht lache. Ich bin Quinton, Veteran des Bushin-Festivals. Und das hier ist der Unbesiegbare Golddrache Goldoh. Vergleich uns nicht mit Schwächlingen wie dir!“, verkündete Quinton.
Der dürre Mann kicherte. „Noch nie von euch gehört ... Ich erinnere mich aber auch nicht an die Namen von Schwächeren ...“
„Was? Und wer sollst du bitte sein?“, fragte Quinton.
„Jetzt bin ich nur ein einfacher Wachhund ... Doch früher nannte man mich den Weißen Teufel ...“, erwiderte der Mann.
„Der Weiße Teufel? Sagt mir nichts. Kennst du ihn, Goldoh?“, fragte Quinton.
„Ich glaub, ich hab den Namen schon mal irgendwo gehört, ich weiß nur nicht genau wo ...“, antwortete Goldoh mit einem Kopfschütteln, ohne seine Augen von dem Mann abzuwenden.
„Also doch nur ein unbekannter Schwächling“, sagte Quinton.
„Hehe, das ist schon in Ordnung. Die Namen von Narren sollte man lieber vergessen ...“, sprach der dürre Mann.
„Dann wirst du uns jetzt durchlassen“, befahl Quinton.
„Ich bin ein Wachhund. Ich kann euch nicht einfach so durchlassen ...“
„Dann lässt du uns keine andere Wahl“, sagte Quinton und zog sein Großschwert.
Der dürre Wachhund zog mit seiner linken Hand ein langes, dünnes einschneidiges Schwert, das mehr maß als er selbst. Es war wunderschön.
„Pass auf, Quinton ...“, warnte Goldoh und zog ebenfalls sein Schwert.
„Wovor denn bitte?“, fragte Quinton.
„Ich kann nicht einschätzen, wie stark er ist ...“
„Was? Dieses einarmige Gerippe? Verarsch mich nicht!“ Quinton ignorierte die Warnung und griff an. Sein Großschwert glänzte in der untergehenden Sonne und im nächsten Moment spritzte Blut. „Was ...?“, staunte er.
Die vordere Hälfte seines Großschwerts fiel zu Boden und landete mit einem dumpfen Geräusch.
„Qui-Quinton!!!“, schrie Goldoh auf.
Gleichzeitig fiel Quinton mit einer klaffenden Wunde im Bauch zu Boden.
„Dann bist du wohl als Nächstes dran ...?“, sagte der blutverschmierte dürre Kerl und stellte sich vor Goldoh.
„D-Du Bastard!“, schrie Goldoh. Den Schlag, der Quinton niederstreckte, hatte er gar nicht mitbekommen. Er hatte lediglich gesehen, wie das Blut spritzte, und am Ende das zerbrochene Großschwert.
Dieser ausgemergelte Mann war ein außergewöhnlicher Kämpfer. Obwohl er vollkommen abgemagert war und seinen dominanten Arm verloren hatte, verstand Goldoh, dass dieser Wachhund immer noch unglaublich stark war.
Trotzdem hob er nun sein Schwert.
Er reiste zwar noch nicht lange mit Quinton, aber sie waren Kameraden und wollten sich zusammen von ihrer Niederlage erholen.
„Keine Sorge, er ist nicht tot. Sonst wäre er nutzlos für uns ...“, sagte der dürre Mann.
„Wie kannst du es wagen!!!“, schrie Goldoh, bündelte in seinem Schwert Magie und entfesselte die Blitzschnelle Golddrachenklinge des bösen Gottes!!!,seinen mächtigsten Angriff.
In dem Moment, als er seinen Angriff entfesselte, traf sein Blick den des Mannes.
Als er diese unergründlichen, abscheulichen blutunterlaufenen Augen sah, erinnerte er sich an den Weißen Teufel.
„D-Du bist doch nicht etwa ...“, sagte er und die Lippen des Einarmigen formten sich zu einem Grinsen.
Sollte dieser Mann wirklich der Weiße Teufel sein, war es unmöglich ...
Goldoh begriff den immensen Unterschied zwischen ihnen und lenkte seinen Angriff daher auf den Boden.
„Hm ...?“, fragte der dürre Mann verwirrt, als sich vor ihm nun eine riesige Staubwolke erhob.
„Quinton!!! Ich werd dich auf jeden Fall retten!!!“, schrie Goldoh und rannte davon.
„Er ist weggelaufen ... Tja, kann ihn leider nicht verfolgen, ich bin ja ein Wachhund ...“, sagte Selbiger. Dann blies er die Staubwolke mit einem einzelnen Schwertstreich fort und sah dem fliehenden Goldoh hinterher. „Ob er es wirklich hier rausschaffen wird ...?“
Der Blick des Mannes fiel auf die sich öffnenden Türen der Häuser. Daraufhin stürzten sie sich auf Goldoh.
Er stimmte ein heiseres Gelächter an und blickte zu dem in den Himmel ragenden Turm hinauf.
Der Ort, an dem drei Türme in die Höhe ragten und drei Herrscher regierten: die Müllhalde der Welt – die Stadt der Gesetzlosen. Hier versammelten sich die Bösen, die Reichen und die Starken – hier herrschte das Gesetz des Dschungels.
Weder Könige noch Ritter oder Dämonen hatten hier das Sagen.
Das war die Stadt der Gesetzlosen und Macht galt alles.
Die Herbstferien waren angebrochen und meine Schwester und ich machten uns in die Stadt der Gesetzlosen auf.
„Das ist also die Stadt der Gesetzlosen. Das stinkt ja hier“, sagte ich.
„Was hast du erwartet? Das hier sind immerhin Slums“, antwortete Claire, die die Obdachlosen mit ihrem Blick einschüchterte.
In der Ferne ragten drei Türme in den Himmel. Es könnte lustig sein, sie wie Bowlingkegel umzustoßen.
„Also müssen wir einfach zu diesen Türmen da?“, fragte ich Claire.
„Jetzt hör mal ... Wir können nicht einfach so in die Basis der Feinde reinplatzen. Die Magierittervereinigung hat hier einen Stützpunkt errichtet, also werden wir zuerst dahin gehen und Informationen sammeln“, antwortete Claire.
„Aha“, meinte ich und folgte meiner Schwester durch die Slums.
Nach einer Weile kamen wir an einen hektischen Ort mit vielen Verkaufsständen. Es gab seltsames Essen, verdächtige Medizin, Diebesgut und sogar Haustiere zu kaufen.
„Hey, wunderschönes Fräulein, schau dir mal unser Angebot an! Wir haben ein paar klasse Haustiere auf Lager!“, rief einer der Händler.
„Meinst du mich?“, fragte Claire.
„Ja, genau. Ich meine dich, das wunderschönste Fräulein der Welt!“
„Hm, gut erkannt. Ein Blick kann wohl nicht schaden“, erwiderte meine Schwester.
„Claire, er will dir doch bloß was verkaufen“, beschwichtigte ich, doch sie wollte es nicht hören.
„Sei still“, sagte sie und schleifte mich mit zum Stand.
„Wie wäre es mit dem hier, den hab ich grad erst reinbekommen!“, rief der Händler und zerrte einen jungen blonden Schönling an einem Sklavenhalsband her. „Das ist der Magieritter Goldoh! Passt er nicht perfekt zu einem wunderschönen Fräulein wie dir?“
Goldohs Gesicht war voller Beulen und Schrammen, als wäre er von einer ganzen Bande zusammengeschlagen worden, und er gab merkwürdige stöhnende Laute von sich.
„Ist der nicht ziemlich ramponiert?“, fragte Claire.
„Ich glaub, den hab ich schon mal irgendwo gesehen ...“, sagte ich und musterte Goldoh.
Der Standbesitzer gab ein übertriebenes Lachen von sich. „Der ist wohl beim Transport etwas beschädigt worden. Na gut, dann bekommst du ihn für starke siebenundzwanzig Millionen Zenni statt den eigentlichen dreißig!“
„Ziemlich teuer“, fand Claire.
„Ach was, liebes Fräulein. Ein Magieritter seines Kalibers würde draußen mindestens das Doppelte kosten! Das ist ein Sonderpreis der Stadt der Gesetzlosen!!!“, erklärte der Händler.
„Ich brauche es aber nicht“, sagte Claire.
„Da kann aber jemand feilschen! Na schön, wenn es dir nicht reicht, leg ich noch eins drauf!“
„Habt ihr ihn gerade beide Es genannt?“, fragte ich.
„Schau an, schau an! Das hier ist Quinton, ein besonders lebhafter Magieritter!!!“, sagte der Standbesitzer und zeigte uns einen Mann, der wie ein missratener Pro-Wrestler aussah und eine große Wunde am Bauch hatte. Anscheinend hatte er im letzten Moment Erste Hilfe erhalten.
Quinton gab ebenfalls komische Stöhner von sich, als würde er uns irgendwas sagen wollen.
Der kam mir auch irgendwie bekannt vor ...
„Du bekommst Goldoh und Quinton für schlappe vierzig Millionen Zenni! So ein Angebot wirst du außerhalb der Stadt der Gesetzlosen nie bekommen!“, verkündete der Händler.
„Und wieso ist sein Bauch aufgeschlitzt?“, fragte Claire.
„Oha, dieser hat wohl beim Transport auch ein paar Kratzer abbekommen?! Ich versteh schon, wie wäre es mit siebenunddreißig Millionen für beide! Noch niedriger kann ich wirklich nicht gehen!!!“
„Ich glaub, ich passe“, sagte Claire.
„Wirklich?! Komm schon, junges Fräulein!“
„Ich hab schon alles, was ich brauche“, gab Claire zurück und tätschelte mir den Kopf.
„Verstehe, dann ist dieser Junge wohl schon dein Skla...“, setzte der Standbesitzer an.
„Nein, bin ich nicht“, schnitt ich ihm das Wort ab.
„Gehen wir“, sagte Claire und packte mich am Kragen, um mich mit sich fortzuschleifen.
Da rief eine Stimme nach dem Standbesitzer: „Wenn ich wirklich beide für siebenunddreißig Millionen bekomme, kaufe ich sie.“
„Oho! Vielen Dank für den Einkauf! Warte mal, bist du nicht ...“, sagte der Standbesitzer und man hörte Goldoh und Quinton wie aus einem Mund stöhnen.
Anscheinend wurden die beiden doch noch verkauft.
Ich sorgte mich ein bisschen um sie, weil sie mir irgendwie bekannt vorkamen, aber jetzt sollten sie ja ein neues Zuhause haben.
Warte mal ... Wenn sie gerade verkauft wurden, hat dieser Mann ja gerade mindestens siebenunddreißig Millionen Zenni bei sich. Wenn ich ihn jetzt ausrauben würde ... Nein, nein, mit so was sollte ich mich nicht zufriedengeben. Ich muss viel größer denken.
„Komm schon, jetzt lauf doch selber“, raunzte mich Claire an.
„Ich würd’s ja versuchen, wenn du nicht so an mir zerren würdest.“
„Wenn ich nicht an dir zerre, verläufst du dich bloß.“
„Von wegen“, konterte ich und blickte zu den drei Türmen in der Ferne.
Ein roter, ein weißer und ein schwarzer.
Für welchen sollte ich mich entscheiden?
***
Sobald wir den Stützpunkt der Magierittervereinigung erreichten, wurde meine Schwester zu irgendeiner Versammlung oder so gerufen. Offenbar wurden dort nur wichtige Magieritter einbestellt, denn ich war nicht eingeladen. Meine Schwester versuchte mich sogar irgendwie reinzuschleusen, aber das klappte wohl nicht. Ehe sie zur Versammlung ging, sagte sie, ich solle „ruhig bleiben und auf sie warten“.
Deshalb beschloss ich, einen ruhigen Spaziergang durch die Stadt der Gesetzlosen zu unternehmen.
Als ich nach draußen ging, war die Sonne bereits untergegangen und der Himmel schimmerte noch etwas, aber im Osten war bereits der rötliche Mond zu sehen.
Es war bestimmt keine Einbildung, dass der Mond von Tag zu Tag rötlicher wurde. Vielleicht unterschied sich der dieser Welt einfach von dem in meiner, denn die Bewohner der Stadt der Gesetzlosen liefen herum, ohne den Mond weiter zu beachten. Alle wollten einfach nur den Tag überleben und konzentrierten sich einfach auf die Kunden – oder Beute – vor ihnen.