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Emilia steht vor der größten Herausforderung ihres Lebens. Nach einem schrecklichen Unfall hat sie ihr Gedächtnis verloren. Als die Weihnachtszeit immer näher rückt, wird ihr alles zu viel. In dieser stressigen Zeit vor Weihnachten, flüchtet sie nach Lappland, Finnland, um sich selbst wieder zu erden. Doch das Schicksal hat andere Pläne, als sie ihren Ex-Freund trifft, ohne zu wissen wer er ist. In der magischen Winterlandschaft entwickelt sich eine unerwartete Verbindung zwischen den beiden. Dabei bringt der süße Geschmack von Tiramisu nicht nur Erinnerungen, sondern auch vergessene Gefühle zurück.
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Seitenzahl: 223
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Für meine Mama, die das Tiramisu in unser Leben und Weihnachten in unsere Herzen gebracht hat. Du Mama bist das wahre Weihnachten – warm wie Kerzenlicht, voller Liebe verpackt und immer da, wenn man dich am meisten braucht.
Für meinen Mann, der mich in meiner Liebe zu Weihnachten immer unterstützt.
Solange du da bist, ist jeder Tag ein kleines Fest – du bist mein Zuhause, mein Frieden, mein Weihnachten.
Hinweis: Dieser Roman enthält fiktive Personen, Handlungen und Orte. Jegliche Ähnlichkeiten mit realen Personen, lebendig oder verstorben, sind rein zufällig. Die Ereignisse und Situationen, die im Buch beschrieben werden, sind reine Produkte der Fantasie des Autors/der Autorin. Die Verwendung von realen Ortsnamen oder historischen Referenzen dient lediglich dem Zweck der atmosphärischen Gestaltung und sollte nicht als Verbindung zu tatsächlichen Ereignissen oder Orten betrachtet werden.
Weihnachtsplaylist
Wham- Last Christmas
HomeAlone Soundtrack- Somewhere in my memory
HomeAloneSoundtrack- Carol oft he Bells
Bing Crospy- Deck the Halls
Michael Bublé- Winter Wonderland
The Drifters- Dreaming of a white christmas
Let it snow – Dean Martin
Bing Crosby – White Christmas
Nat King Cole – The Christmas Song (Chestnuts Roasting on an Open Fire)
Frank Sinatra – Have Yourself a Merry Little
Christmas
Michael Bublé – It’s Beginning to Look a Lot Like Christmas
Shakin' Stevens – Merry Christmas Everyone
The Ronettes – Sleigh Ride
Bing Crosby & The Andrews Sisters- Jingle Bells
Liam Payne- All i want (for christmas)
Josh Groban- Believe
Prolog: Weihnachten vor einem Jahr
Kapitel 1: Vorweihnachtszeit ein Jahr später
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Meine Herzens-Weihnachts-Bucket-List
Aktivitäten in Rovaniemi
Weihnachtsbegriffe auf Finnisch
Auf den folgenden Seiten findet ihr leckere Rezepte, passend zur Weihnachtszeit.
Tiramisu-Plätzchen
Tiramisu Schüsselchen
Vanille Kipferl
Lebkuchenmännchen
Tiramisu-Zimtschnecken
Der Duft des Weihnachtsbaumes ist dieses Jahr ein ganz besonderer. Wie jedes Jahr, gibt es auch diesmal natürlich eine Nordmanntanne. Ich sitze, direkt neben dem Baum, auf unserem uralten Sessel und bin erfüllt von Glückseligkeit. Um mich herum wuselt meine Mama und räumt das Geschirr aus der Küche ins Esszimmer. Ab da übernimmt mein Papa und deckt den Weihnachtstisch für abends.
Mit all meinen Sinnen versuche ich alles um mich herum einzusaugen. Ich liebe Weihnachten. Diese besinnliche und heilige Zeit, die zum Glück jedes Jahr wiederkehrt, ist seit meiner Kindheit das Schönste das ich erleben darf. Alles an dieser Zeit macht mich glücklich. Ich fühle jeden Tag die Magie um mich herum und dieser Zauber beflügelt meine Seele. Jeden Morgen starte ich motiviert in den Tag und genieße jede Sekunde.
Als ich mit Marlon zusammengekommen bin, gab es zu meinem Glück nie eine Diskussion, wie und wo wir Weihnachten feiern werden. Da er selbst keine Weihnachtstradition mit in die Beziehung brachte, war er sehr offen für meine. In seiner Familie wurde jedes Jahr anders gefeiert. Ein Weihnachtsfest haben sie sogar mal unter Palmen gefeiert. Ich meine, das ist doch eigentlich verboten oder? Also, wenn wir mal ehrlich sind, ist Weihnachten in der Sonne, unter Palmen und am Strand einfach falsch.
Marlon und ich haben schnell gemerkt, dass wir beide gleicher Meinung sind. Daher war er sehr dankbar für all die Weihnachtsfeste, die er mit meiner Familie und mir unter einem geschmückten Tannenbaum, mit Raclette als Weihnachtsessen und unendlich vielen Lichterketten als Dekoration, verbringen durfte.
Doch das Schönste kommt immer nach der Bescherung, nach dem Lichtergucken und nach dem Hauptgang. Unser Tiramisu nach altem Familienrezept. Meine Mama hat diese Tradition mit in die Familie gebracht. Mein Bruder Jonas und ich sind die einzigen, die das Rezept erfahren durften. Wir mussten schwören, es niemals an jemanden weiterzugeben. Selbst Freunden und Verwandten durften wir es nicht zeigen. Warum sie bei Marlon eine Ausnahme machte, ist mir bis heute ein Rätsel. Wir sind bereits fünf Jahre zusammen, aber es könnte doch passieren, dass wir uns trennen würden. Anscheinend glaubte meine Mutter fest an diese Beziehung. Wie auch immer, das Tiramisu ist das Beste an Weihnachten. Es schmeckt wie ein Geschenk des Himmels. Jedes Mal, wenn ich mir einen Löffel Tiramisu in den Mund schiebe, schießen mir unendlich viele Erinnerungen in den Kopf. Mein Herz füllt sich mit einem warmen Gefühl. Das Gefühl von Geborgenheit, Kindheit und absoluter Glückseligkeit. Dieses Tiramisu ist die Heilung für alles.
Als Marlon das erste Mal von diesem Geschenk des Himmels kostete, war er hin und weg.
Ich hätte schwören können, dass sein Herz schneller schlug. Auch für ihn ist es definitiv nicht mehr wegzudenken.
,,Kommst du, Schatz? Wir wollen los.‘‘ rief Marlon aus dem Flur und riss mich damit aus meinen Gedanken. ,,Ja, ich ziehe mir noch was anderes an.‘‘ antwortete ich.
Daraufhin ging ich ins Zimmer und zog mein Weihnachtsoutfit für den Abend an.
Bevor wir den Heiligabend einläuten, fahren wir immer nochmal gemeinsam rum und schauen uns die Weihnachtslichter an. An Heiligabend ist wirklich jedes Haus beleuchtet in unserem kleinen Dorf.
Aus den Kirchen ertönte Weihnachtsmusik und in einigen Häusern sah man Familien beim Essen oder während ihrer Bescherung. Das machte meine Vorfreude auf unseren Abend noch größer und ich konnte es nicht erwarten, bis unser Weihnachtsfest startete. Ich machte die Weihnachtsmusik im Auto an und sang lautstark mit. Marlon stieg automatisch mit ein und der Rest der Familie folgte unserem Beispiel.
Nach etwa einer Stunde ging es nach Hause. In mir kribbelte es und meine Vorfreude stieg aufs Unermessliche. Als wir zuhause ankamen, stieg ich so schnell wie möglich aus und rannte schonmal zur Tür. Das habe ich schon als Kind so gemacht und habe nicht vor das jemals zu ändern.
Nach gefühlten 20 Minuten war der Rest dann auch endlich da und wir gingen ins Haus. Marlon gab mir freudestrahlend einen Kuss auf die Stirn. ,,Ich liebe es, wie sehr du Weihnachten liebst. Das darfst du niemals verlieren, es ist so schön mit anzuschauen.‘‘ Ich lächelte ihn verliebt an und sage ,,Versprochen.‘‘
,,So alle, nach oben, gleich gibt’s Bescherung.‘‘ sagte mein Bruder.
Traditionell mussten wir alle in die erste Etage gehen und dort auf das Zeichen warten, dass uns zeigt, dass nun Bescherung ist und der Heiligabend endlich beginnt. Das Zeichen war das Weihnachtslied Last Christmas von Wham. Sobald wir das Lied hörten durften wir ins Wohnzimmer.
Meine Mutter verschwand immer im Wohnzimmer und schloss hinter ihr die Tür. Der Rest der Familie wartete oben.
Nach ein paar Minuten hörte ich das beste Weihnachtslied der Welt und schrie vor Freude.
,,Los, wir dürfen runter.‘‘ schrie ich und die anderen waren genauso aufgeregt wie ich. Wir gingen nach unten, die Wohnzimmertür war wieder offen und meine Mutter wartete auf uns mit einem Punsch in der Hand. ,,Frohe Weihnachten‘‘ rief Marlon und wir stimmten alle mit ein. Nach unendlich vielen Umarmungen und Küssen ging es an die Bescherung. Ich liebte diesen Moment, wenn sich die monatelange Vorbereitung auszahlte und jeder freudestrahlend auf seine Geschenke blickte. Ich fand es so schön, andere zu beschenken. Nach der Bescherung gab es Raclette. Ich wusste, ich war ein bisschen seltsam, aber ich aß seit Jahren dasselbe. Ich machte mir immer Champignons in Kräuterbutter, Mais, schwarze Oliven und geraspelten Käse in meine Pfanne. Marlon machte sich immer Pizzateig mit Tomatensoße und Salami in seine Pfanne. Er aß also Pizza an Heiligabend. Aber jeder so, wie er wollte. Vollgefuttert und rundum glücklich deckten wir alle gemeinsam den Tisch ab – bis auf meine Mutter. Sie war die Tiramisu-Königin und hatte die Aufgabe, das Tiramisu zu verteilen. Mit unseren gefüllten Schüsseln gingen wir auf die Couch und schauten einen Weihnachtsfilm nach dem anderen. Traditionell begannen wir immer mit Kevin – Allein Zuhause und Santa Clause mit dem Schauspieler Tim Allen. Der absolute Höhepunkt an Heiligabend und damit der schönste Moment im ganzen Jahr war der erste Löffel Tiramisu.
Dieses Dessert schmeckte so himmlisch und hätte eigentlich verboten sein sollen. Denn egal wie voll wir vom Hauptgang waren, Tiramisu ging immer. Und zwar in Massen. Ich war bereits bei meiner dritten Schüssel, als Marlon aus der Küche rief: „So, ich nehme jetzt die letzte Schüssel.“
Damit war Heiligabend so gut wie vorbei, und eine melancholische Stimmung machte sich breit. Marlon setzte sich neben mich auf die Couch, und in dem Moment war ich einfach nur glücklich und dankbar. Für meinen Freund, meine wundervolle Familie und dafür, in einer Welt leben zu dürfen, in der es Weihnachten gab. Dieses Weihnachtsfest war so wunderschön und harmonisch. Es war eines der schönsten Feste, das wir jemals gehabt hatten. Hätte ich gewusst, wie sich das nächste Jahr entwickeln würde, hätte ich alles daran getan, für immer in diesem Moment zu bleiben. Für immer dieses Weihnachtsfest zu erleben.
Zwei Monate sind seit der Trennung von Marlon vergangen.
Das war der schlimmste Streit, den wir je hatten. Es war klar, dass es keinen anderen Ausweg als eine Trennung gab. Nach so einer Auseinandersetzung, in der wir Dinge zueinander gesagt hatten, die unverzeihlich waren, hatten wir keine andere Wahl, als getrennte Wege zu gehen. So sehr es mich auch schmerzte.
Die Trennung war hart. Grade jetzt, in der schönsten Zeit des Jahres, ist es besonders schwer. Das würde das erste Weihnachten seit sechs Jahren ohne Marlon sein.
Um diesem Schmerz zu entfliehen, beschloss ich mich in die Arbeit zu stürzen. Ich hatte viel zu viel Angst, mich mit der Trennung zu beschäftigen, denn das würde mich zerstören. Ich vermisste Marlon, aber ich musste jetzt irgendwie weitermachen. Ohne dass ich es merkte, zog ich mich zurück. Sogar von meiner Familie.
Nachdem ich heute mal wieder Überstunden gemacht habe und nicht mal dazu kam etwas zu essen, klingelte mein Handy. Es war mein Bruder.
,,Hey Em, bist du fertig mit der Arbeit? Ich wollte fragen, ob du Lust hast mit mir auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Wir haben uns schließlich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und du fehlst mir.‘‘ Seine Worte versetzten mir einen Stich. Er hatte Recht, denn ich habe mich in der letzten Zeit wirklich überhaupt nicht um meine Familie gekümmert, geschweige denn um mich selbst. Noch bevor ich antworten konnte, grummelte mein Magen so laut, dass ich mich erschrak.
,,Auf jeden Fall, ich bin dabei. Soll ich zu dir kommen und wir fahren zusammen hin?‘‘ schlug ich vor. Am anderen Ende konnte ich seine Freude hören. Nachdem ich auflegte, packte ich alle meine Sachen zusammen und ging zum Auto.
Als ich bei Jonas ankam, überkam mich ein warmes und wohliges Gefühl. Ich habe meinen Bruder schon viel zu lange nicht gesehen und bin grade einfach nur glücklich, dass ich jetzt vor seinem Haus stehe, welches dazu auch noch wunderschön weihnachtlich geschmückt ist. Meine Familie lebt und atmet Weihnachten.
Nachdem Jonas und ich uns erstmal eine Stunde verquatscht haben, machen wir uns endlich auf den Weg zum Weihnachtsmarkt. Je näher wir den Lichtern und dem Duft nach Bratapfel kamen, desto mehr wuchs meine Vorfreude auf Weihnachten. Ich wollte mich mit gebrannten Mandeln und Champignons in Kräutersoße vollstopfen. Ich wollte Schlittschuh laufen und mich dann mit einer heißen Tasse Punsch aufwärmen. Ich nahm mir vor ganz viel Spaß zu haben. Vollgefuttert und kugelrund setzten wir uns auf eine Bank mit Blick auf die Eisfläche. Ich beobachtete, wie ein Mädchen hinfiel und sofort anfing zu weinen. Die Mutter rannte zu ihr, nahm sie in den Arm und tröstete sie. Als ich das sah, wünschte ich mir, mit dem kleinen Mädchen tauschen zu können. Wie sehr ich mir ein sorgenfreies Leben wünschte, in dem mein größter Schmerz eine Schürfwunde vom Eislaufen gewesen wäre. „Na, willst du auch ’ne Runde Eislaufen?“, fragte Jonas und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Oh, lieber nicht, sonst müsste ich mich vermutlich übergeben. So viel, wie wir gegessen hatten“, lachte ich. Auch Jonas musste laut loslachen. Nach ein paar Sekunden verstummte er und fragte mich ernst: „Sag mal ganz ehrlich, wie geht es dir? Du hast dich ja total verschlossen.“ Sofort verging mir die gute Laune. Wieso musste er genau jetzt danach fragen? Gerade jetzt, wo ich endlich mal lachen und all meinen Schmerz verdrängen konnte. Ich wusste, dass er sich vermutlich nur Sorgen machte, aber ich spürte eine enorme Wut in mir aufsteigen. Ich konnte sie nicht kontrollieren. Ich stand auf, und es platzte nur so aus mir heraus: „Danke, dass du mir genau jetzt die Stimmung verderben willst. Musste das sein? Darf ich nicht einmal Spaß haben?“ Jonas starrte mich ungläubig an. Wutentbrannt lief ich davon. Ich bemerkte nicht, ob er mir hinterherlief, und es kümmerte mich auch nicht. Meine Reaktion schockierte mich selbst, aber ich konnte nicht anders. Ich wollte weg, fliehen. Ich lief einfach so weit, wie ich konnte. Ich schaute mich nicht um, wusste nicht einmal, wohin ich ging, und wollte einfach nur so weit weg wie möglich. Ich rannte nicht vor Jonas davon, sondern vor meinen eigenen Gefühlen.
Ohne es zu merken, lief ich auf eine stark befahrene Straße. Noch bevor ich realisierte, was ich tat, hörte ich ein lautes Hupen, gefolgt von Geschrei und Rufen. In der Sekunde, in der ich mich drehte, sah ich große Scheinwerfer auf mich zukommen. In nur einer Sekunde konnte sich alles ändern. In nur einer Sekunde war ich nicht mehr die, die ich gewesen war. In nur einer Sekunde verlor alles seine Bedeutung. Ein mächtiges, drängendes Gefühl machte sich in mir breit: der tiefe Wunsch zu überleben. Dann wurde alles um mich herum schwarz, und ich verlor das Bewusstsein.
Ich öffne die Augen.
Was passiert hier? Wo bin ich, wer sind diese Menschen, die mich freudestrahlend und mit Tränen in den Augen anstarren? Doch viel wichtiger, wer bin ich überhaupt?
Ungläubig schaue ich mich um. Ich bin definitiv in einem Krankenhaus. Ein Mann in einem weißen Kittel kommt auf mich zu. Das muss der Arzt sein. Ich versuche mich zu fokussieren, aber ich spüre wie ich das Bewusstsein verliere. Da war es auch schon passiert. Ich wurde ohnmächtig. Piepen des Monitors neben meinem Bett. Stimmen dringen nur gedämpft an mein Ohr, als kämen sie von weit her. Ich kann sie nicht zuordnen, nicht verstehen. Mein Körper fühlt sich schwer an, wie aus Blei gegossen. Jeder Versuch, die Augen länger offen zu halten oder meine Glieder zu bewegen, kostet unendlich viel Kraft.
Immer wieder gleite ich in einen traumähnlichen Zustand – eine Zwischenwelt aus Erinnerungen, Fragmenten und Fantasie. Ich sehe Gesichter, höre Lachen, dann wieder Stille. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht. Tage? Stunden? Vielleicht Wochen?
Doch irgendwann lichtet sich der Nebel ein wenig. Eine sanfte Stimme spricht mich mit meinem Namen an. Ich öffne die Augen – mühsam, blinzelnd – und sehe ein Gesicht, das sich über mich beugt. Es ist warm, freundlich, vertraut. Zum ersten Mal seit Langem spüre ich: Ich bin noch da.
Die ersten Tage im Krankenhaus erlebe ich wie durch einen dichten Nebel, der mich von der Welt außerhalb meines Zimmers trennt. Alles wirkt fremd und verschwommen – das grelle, weiße Licht, die sterile Kühle des Raums, das gleichmäßige Summen der Maschinen und das unaufhörliche Piepen der Monitore.
Es fühlt sich an, als bestünde meine Realität nur aus diesen Geräuschen und dem dumpfen Dröhnen in meinem Kopf. Der Schmerz ist tief, aber nicht überwältigend. Und doch wirkt jede Bewegung, jeder Versuch, mich zu erinnern, wie ein unbezwingbarer Berg.
Die ersten Stunden nach meinem Erwachen sind die Verwirrendsten. Ich habe das Gefühl, in einem fremden Körper gefangen zu sein – als sei meine Seele noch nicht ganz zurückgekehrt. Ich betrachte mich selbst wie aus der Distanz, als wäre ich nur Zuschauerin meines eigenen Lebens. Alles erscheint mir seltsam entrückt, ohne dass ich begreifen kann, warum.
Jonas, anscheinend mein Bruder, ist ständig an meiner Seite. Unermüdlich versucht er, mir Sicherheit zu geben, mich zu beruhigen, mir Geduld entgegenzubringen. Doch auch er wirkt gezeichnet – von dem, was geschehen ist, von einer Last, die ich noch nicht greifen kann.
„Du musst dir keine Sorgen machen“, sagt er immer wieder. „Du wirst dich erinnern. Es braucht nur Zeit.“ Aber die Tage vergehen, und mit jedem davon wächst eine Leere in mir, die sich nicht mit Erinnerungen füllen lässt.
Ich bemühe mich, mich an einfache Dinge zu erinnern – den Geschmack meines Lieblingskaffees, den Geruch von Regen auf heißem Asphalt, das Lächeln eines vertrauten Gesichts. Doch mein Gedächtnis bleibt stumm, baut eine undurchdringliche Wand auf. Alles, was mir bleibt, ist ein Gefühl des Verlusts – diffus, aber allgegenwärtig.
Ich frage mich oft, wer ich eigentlich bin – jenseits der Bruchstücke, die mir Jonas und meine Eltern erzählen. Das Bild, das sich in meinem Inneren formt, bleibt schemenhaft. Ich weiß, dass ich eine Schwester bin, dass ich Freunde habe, aber die dazugehörigen Gesichter bleiben im Dunkeln. Am quälendsten ist jedoch der Name Marlon. Jonas erwähnt ihn oft, spricht von seiner Bedeutung in meinem Leben. Aber für mich klingt er wie ein leeres Echo. Wie kann jemand, der mir angeblich so nahestand, mir nun so fremd erscheinen?
Täglich kommen Ärzte und Pflegekräfte. Sie überprüfen meine Vitalwerte, reichen mir Medikamente, die mich benebeln und erschöpfen, stellen immer wieder dieselben Fragen: „Wie fühlen Sie sich heute? Erinnern Sie sich an etwas?“
Ich kann ihnen nur sagen, was ich sicher weiß: dass der Schmerz real ist. Er ist mein einziger Anker, mein ständiger Begleiter – eine Erinnerung daran, dass ich nicht mehr dieselbe bin. Ich fühle mich eingefroren in der Zeit, während draußen das Leben weitergeht. Wie eine Figur in einer Geschichte, deren Kapitel unvermittelt abgebrochen wurde.
Jonas’ Besuche sind das Einzige, was bleibt – mein einziger Halt. Er bringt mir frische Blumen, ein sanftes Lächeln und eine Geduld, die ich bewundere. Ich frage mich, wie er so stark bleiben kann, so ruhig, so verlässlich, während ich mich in einer Dunkelheit verliere, die ich selbst nicht begreife. Ich wünschte, ich könnte ihm mehr zurückgeben. Doch im Moment bin ich nur ein Schatten meiner selbst – auf der Suche nach dem Weg zurück ins Leben.
„Du musst dir keine Sorgen machen“, sagt Jonas jeden Tag. „Du bist nicht allein. Ich bin hier. Wir schaffen das zusammen.“
Doch seine Worte spenden mir nur wenig Trost. In den stillen Momenten, wenn er nicht bei mir ist, wenn das Licht der untergehenden Sonne die Wände meines Krankenzimmers in einen warmen Schein taucht, spüre ich, wie mich die Einsamkeit langsam einhüllt. Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen, nach einem Halt in meinem Inneren zu suchen – doch es ist, als wäre der Faden, der mich mit meiner Vergangenheit verbindet, brüchig und zart. Jeder Versuch, ihn zu greifen, scheint ihn weiter reißen zu lassen.
Manchmal schließe ich in der Stille die Augen. Ich versuche, mich an etwas zu erinnern, das mich einmal glücklich gemacht hat – den Duft von Weihnachtsgebäck, die Wärme vertrauter Hände, die meine gehalten haben.
Aber diese Erinnerungen sind flüchtig, wie Nebel, der sich auflöst, sobald ich ihn berühren will.
Die Zeit hier fühlt sich an wie ein endloses Warten. Die Tage verlaufen monoton, die Stunden dehnen sich zu einer formlosen Leere. Irgendwann beginne ich zu begreifen, dass Zeit allein nicht reicht. Ich brauche mehr – einen Schlüssel zu mir selbst. Etwas, das mir hilft, wieder Zugang zu meinen Erinnerungen zu finden, zu dem Menschen, der ich einmal war.
Immer wieder versuche ich es. Wenn der Raum leer ist, wenn die Welt draußen verstummt, durchforste ich mein Innerstes nach Antworten. Aber je tiefer ich suche, desto dichter wird die Wand, die sich zwischen mir und meinem früheren Ich aufbaut. Die Fragen werden drängender: Wer war ich? Was habe ich verloren? Und wer ist dieser Marlon, von dem Jonas so oft spricht?
Bald fasse ich den Mut, die Stille zu durchbrechen. Jonas sitzt wie so oft neben meinem Bett. Ich sehe ihn an.
„Was ist mit ihm?“, frage ich leise. Meine Stimme zittert.
Er sieht mich lange an, als müsste er seine Antwort gegen einen inneren Widerstand abwägen. „Er …“ Er stockt.
„Er war alles für dich, Emilia. Aber du hast ihn verloren.
Du hast alles verloren.“
Ich spüre, wie sich mein Herz zusammenzieht. „Was meinst du?“
Sein Blick ist voller Schmerz, seine Stimme brüchig. „Du erinnerst dich nicht, aber er hat dich nie aufgegeben. Du hast ihn verlassen, doch er hat dich nicht losgelassen.
Trotzdem … das liegt jetzt hinter dir. Es geht nicht mehr um ihn. Es geht darum, dass du wieder herausfindest, wer du bist.“
Ich starre ihn an. Mein Kopf ist voller Fragen, und doch verstehe ich zum ersten Mal, worum es eigentlich geht.
Es geht nicht nur um das Erinnern – es geht darum, mich selbst wiederzufinden.
Ich muss einen neuen Weg gehen, Schritt für Schritt.
Einen Weg zurück in eine Welt, die ich nicht mehr erkenne, und doch zu der ich gehören möchte. Der Schmerz wird mich begleiten. Aber vielleicht – so hoffe ich – kann ich lernen, mit ihm zu leben, ihn zu akzeptieren.
Es gibt so vieles, das ich nicht weiß. So vieles, das ich neu entdecken muss. Aber ich bin bereit. Nicht alles auf einmal, nicht sofort. Doch ich werde es tun. Einen Schritt nach dem anderen.
Die Tage im Krankenhaus ziehen an mir vorbei, und mit jedem einzelnen wächst der Druck – das Gefühl, dass etwas, irgendetwas, meine Erinnerungen zurückbringen muss. Es ist, als würde mein eigenes Leben an mir vorbeigleiten, während ich gefangen bin in einem Moment der Leere, der mich von meiner Vergangenheit trennt.
Ich fühle mich wie eine Fremde in meinem eigenen Körper. Ich weiß, dass ich meine Familie liebe, dass mir Menschen fehlen – doch was es wirklich bedeutet, ich selbst zu sein, ist verschwunden. All das, was mich früher einmal ausgemacht hat, liegt hinter einer dichten, undurchdringlichen Wand. Ich kann es nicht erreichen.
Ganz gleich, wie sehr ich es versuche.
Meine Eltern besuchen mich regelmäßig. Ich spüre ihre Liebe – ihre Mühe, ihre Geduld. Besonders meine Mutter, mit ihrem sanften Blick und der beruhigenden Stimme. Alles an ihr wirkt vertraut, und doch bleibt sie mir fremd. Ich erkenne sie, aber ich fühle es nicht. Es ist, als wäre sie ein Teil einer Geschichte, die mir jemand anderes erzählt hat.
„Emilia, es wird besser“, sagt sie immer wieder, mit dieser Hoffnung in der Stimme, die sich nicht in meinem Herzen verankern will.
„Du wirst dich wieder an uns erinnern. Du bist nicht allein.“
„Ich weiß nicht, wie…“, flüstere ich oft zurück. Meine Stimme bricht. „Es fühlt sich an, als wäre das alles nie passiert. Als wäre ich in einem neuen Leben aufgewacht.“
Mein Vater, der, wie mir erzählt wird, immer die Stütze unserer Familie war, wirkt plötzlich verletzlicher als je zuvor. „Du hast uns immer vertraut, Emilia. Du wirst uns wieder erkennen. Du wirst dich erinnern. Wir stehen das gemeinsam durch.“
Im Krankenhaus sitze ich still im Zimmer, während Jonas mit meinen Eltern spricht, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Er erzählt mir wieder von Marlon, meinem Exfreund, von dem ich nichts mehr weiß.
Meine Mutter schaut weg, ihre Stimme klingt traurig, als sie sagt: „Wir sollten Emilia nicht mit ihm belasten. Die Trennung war damals so schmerzhaft, wir wollten sie schützen.“
Mein Vater nickt zustimmend. „Sie erinnert sich nicht an ihn. Vielleicht ist das ein Geschenk – die Chance, ohne den Schmerz neu zu beginnen.“ Auch wenn sie das eher zu einander sagen, höre ich es.
Ich höre das und denke: Vielleicht ist dieses Vergessen wirklich eine Chance, frei zu sein und ohne alte Wunden weiterzugehen.
Egal was ich tue, meine Erinnerung kommt nicht zurück.
Meine Familie tut wirklich alles. Aber wie oft sie es auch versuchen, wie viele Geschichten sie mir erzählen, wie viele Fotos sie mir zeigen – nichts dringt durch. Sie zeigen mir Bilder von unserer Kindheit, von unserem ersten Urlaub, von Geburtstagen, von Schulfreunden. Sie blättern mit mir durch Alben, erzählen mir die Geschichten hinter jedem einzelnen Bild. Doch für mich bleiben es bloß Abbildungen eines Lebens, das ich nicht kenne. Wie ein Film, den ich nie gesehen habe.
„Das bist du, Emilia“, sagt meine Mutter, während wir ein Bild betrachten, das uns in den Bergen zeigt. Ich bin jung, lachend, von Menschen umgeben, die mir nahe sein müssten.
„Erinnerst du dich? Du wirst all das wiederfinden.“
Aber ich spüre nichts. Nur Leere. Es ist, als wären diese Erinnerungen hohl – gefüllt mit Bedeutung, aber leer an Gefühl.
Mein Vater, meine Mutter, Jonas – sie sind mir vertraut und doch so fern. Ich sehe die Liebe in ihren Augen, spüre ihre Sorge – aber ich kann sie nicht zurückgeben.
Nicht so, wie ich es sollte.
Ich versuche, meine Vergangenheit zu rekonstruieren, aber jeder Versuch scheitert. Ich bin wie ein zerbrechliches Netz, dessen Fäden sich bei jeder Berührung auflösen. Wenn ich mich frage, was ich früher mochte, was mich ausmachte, ist da nur eine weiße Fläche. Keine Farben, keine Worte – nur Stille.
Manchmal flüstere ich in die Dunkelheit: „Marlon…“ Der Name klingt wie ein Echo aus einer anderen Zeit.
Fremd, aber nicht bedeutungslos. Jonas erwähnt ihn oft.
Warum? Wer war er? Und warum bleibt in meinem Kopf nur ein leeres Bild?
Die Nächte sind besonders schwer. Wenn das Zimmer still wird, die Tür ins Schloss fällt und niemand mehr spricht, bleibe ich mit meinen Gedanken allein. Ich sitze da, versuche, die Bruchstücke meines Selbst zu ordnen – doch nichts fügt sich zusammen. Jede Erinnerung ist wie ein Schatten, der sich verzieht, sobald ich ihn greifen will.
Aber dann, an einem dieser stillen Abende, als ich wieder allein am Fenster sitze, geschieht etwas.
Ich schließe die Augen und flüstere zum ersten Mal laut aus, was ich so lange in mir getragen habe:
„Ich will mich erinnern. Ich will wissen, wer ich war.“
Und obwohl keine Antwort kommt, spüre ich etwas – ein leiser Impuls, ein Flackern von Hoffnung. Vielleicht wird nicht alles zurückkehren. Vielleicht wird es nicht mehr so sein wie früher. Aber vielleicht – nur vielleicht – kann ich einen Teil von mir wiederfinden.
Bis dahin bleibt mir nur eines:
Mich selbst neu entdecken. Schritt für Schritt.
Und die Zeit – sie wird mir vielleicht irgendwann die Antworten geben, die ich jetzt noch nicht kenne.
Dezember ein weiteres Jahr später
Es ist Dezember. Das Weihnachtsfest letztes Jahr direkt nach meinem Unfall ist ausgefallen. Weihnachten wurde unwichtig für jeden von uns. Somit steht jetzt das erste richtige Fest seit meinem Unfall an.