Traditionelle Chinesische Medizin - Behandlungsmethoden - Ernst Urschitz - E-Book

Traditionelle Chinesische Medizin - Behandlungsmethoden E-Book

Ernst Urschitz

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Beschreibung

Das Buch beschreibt die wichtigsten Behandlungsmethoden der Traditionellen Chinesischen Medizin. Besondere Schwerpunkte liegen dabei bei der Akupunktur, Tuina und der Kräuterheilkunde. Dabei geht es in diesem Buch immer um die Frage: wie stellt man das Gleichgewicht wieder her? Die beschriebenen Therapievorschläge geben auch einen guten Einblick in die über Jahrtausende gewachsenen chinesischen Behandlungsmethoden.

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Die Zehntausend Dinge stützen sich auf Yīn und tragen Yáng in sich. Die hervorquellende treibende Kraft Qì bringt beide in Übereinstimmung.

Wàn wù fù yīn ér bào yáng, chōng qì y wéi hé.

Loz, , 6. Jhdt. v. Chr.

1 Inhalt

Einführung

Akupunktur

2.1 Grundlagen und Historisches

2.2 TCM-Akupunktur

2.2.1 Die Meridianregeln

2.2.2 Basistherapie für die

Zang Fu

– Organe

2.2.3 Akupunkturpunkte zur Basistherapie

2.2.4 Die Klimafaktoren und betroffene Körperbereiche

2.2.5 Kombinationen von Akupunkturpunkten

2.2.6 Akupunkturpunkte, eine Auswahl wichtiger Punkte

2.2.7 Welche Art von Nadeln soll man verwenden?

2.2.8 Das Einstechen der Akupunkturnadel

2.2.9 Reihenfolge des Setzens und Nadelmanipulation

2.2.10 Wie lange soll eine Akupunktur dauern und wie oft?

2.2.11 Auf welcher Körperseite wird akupunktiert?

2.2.12 Vorsichtsmaßnahmen und Kontraindikationen

Moxibustion und Schröpfen

3.1 Moxibustion

3.1.1

Yin

und

Yang

beim Moxen

3.1.2 Kontraindikationen

3.1.3 Techniken der Moxibustion

3.2 Schröpfen

3.3 Pflaumenblütenhämmerchen

3.4 Schaben

Tuina

4.1 Behandlungsprinzipien in Tuina

4.2 Chinesische Überlegungen

4.3 Tuina-Grundtechniken

Kräutermedizin

5.1 Wie werden die Heilkräuter eingeteilt?

5.2 Rezepturerstellung

5.3 Die Rezepturklassen

Resumee und Zusammenfassung

Anhang

7.1 Glossar chinesischer Begriffe

7.2 Ausgewählte Akupunkturpunkte

7.3 Akupunkturpunkte mit Beschreibungen

7.4 Ausgewählte Rezepte, Deutsch – Pinyin

7.5 Abbildungsverzeichnis

7.6 Literaturverzeichnis/Empfehlungen

Der Autor

1 Einführung

Gesundheit ist Gleichgewicht und Harmonie, sowohl den Körper betreffend, als auch zwischen Mensch und Umwelt. Kommt diese Harmonie aus dem Gleichgewicht, entsteht Krankheit. In meinem ersten Buch bin ich der Frage nachgegangen: „Was ist aus dem Gleichgewicht?“. In diesem Buch geht es vorwiegend um die Frage:

„Wie stellt man das Gleichgewicht wieder her?“

In der Traditionellen Chinesischen Medizin gibt es verschiedene erprobte Behandlungsmethoden, um dieses Gleichgewicht wieder herzustellen.

Wie wichtig dieses Gleichgewicht ist, hat Sun Simiao in seinem taoistischen Text Cunshen Liangqi Ming (Visualisierung von Geist und Veredelung des Qi) erläutert1:

„Der Körper ist die Wohnstatt von Geist – Shen und Qi. Solange Geist und Qi anwesend sind, ist der Körper gesund und stark. Sobald Geist und Qi sich zerstreuen, stirbt der Körper. Daher, wenn Du wünscht, Dich unversehrt zu halten, beruhige als Erstes Geist und Qi. Verstehe: Qi ist die Mutter des Geistes; Der Geist ist der Sohn des Qi. Nur wenn Qi und Geist beisammen sind, kannst Du lange leben, ohne zu sterben.“

Um das Gleichgewicht wieder herzustellen, ist schon im Huang Di Nei Jing Su Wen, Kap. 74 aus dem 3. Jhdt. v. Chr. folgendes Prinzip aufgeführt:

„Kaltes sollst du erhitzen – heißes sollst du kühlen, fiebriges sollst du erfrischen – kühles sollst du erwärmen, zerstreutes sollst du sammeln – zusammengeballtes sollst du zerstreuen, trockenes sollst du befeuchten – feuchtes sollst du trocknen, akutes sollst du beruhigen, verhärtetes sollst du auflösen, zerbrechliches sollst du festigen, schwaches sollst du tonisieren, übermächtiges sollst du ausleiten; jede Krankheit nach ihrer Art. Es herrsche Klarheit und Ruhe, so dass die pathogenen Energien zurückgehen zu ihrem Ursprung. Dies ist die Grundlage aller Therapie.“

Nach ausführlicher „chinesischer Diagnose“ mittels Pulstasten und Zungendiagnose im Kontext mit den Betrachtungen nach den Acht Leitkriterien - Bā Gāng, nämlich Yīn/Yáng, Innen/Außen, Fülle/Leere und Hitze/Kälte, werden die Behandlungsprinzipien festgelegt und die Behandlungsmethoden ermittelt. Dabei sind die fünf Säulen der TCM im Fokus: Akupunktur und Moxibustion, Tuīná, Kräutermedizin, Körperübungssysteme wie Qìgōng, Nèiynggōng, Tàijiquán und die Ernährung. Die individuelle Lebensführung trägt ebenfalls zur Findung des eigenen Gleichgewichts und damit zur Gesundung bei. Selbstverständlich müssen bei uns Diagnose und Behandlungen nach unseren Gesetzen und Vorschriften erfolgen.

Im vorliegenden Buch werden Teile dieser fünf Säulen so dargestellt, dass sie dem interessierten Therapeuten als praktisch umsetzbare Werkzeuge die Grundlage für seine Behandlungen darstellen. Auf eine breite und tiefe Beschreibung wurde zugunsten der praktischen Anwendbarkeit verzichtet, zumal es schon ausreichend gute und detaillierte Beschreibungen z.B. der Akupunkturpunkte, Heilkräuter und Bewegungsübungen am Markt gibt. Ich beschreibe auch diese Methoden so, wie sie sich mir erschlossen haben und entlang meiner persönlichen Erfahrungen und Eindrücke in China.

Um den Leser dieses Buches näher an die Denkweise in der Traditionellen Chinesischen Medizin heranzuführen und auch eine eindeutige Zuordnung der Begriffe innerhalb der TCM sicherzustellen, ist die Verbindung zur chinesischen Sprache Hàny aus meiner Sicht erforderlich.

Soweit es möglich war, sind die chinesischen Begriffe schräg gestellt in Pīnyīn, der seit 1957 offiziell in der Volksrepublik China eingeführten romanisierten chinesischen Sprache in modernem Hochchinesisch aufgeführt. Im Glossar sind die in diesem Buch vorkommenden chinesischen Begriffe in Pīnyīn und mit den chinesischen Schriftzeichen Hànzì ersichtlich. Die chinesischen Schriftzeichen sind wiederum, soweit es möglich war, in modernem Hochchinesisch, also mit den vereinfachten Zeichen, dargestellt.

Abbildung 1: Wegweiser am Strand des Gelben Meeres mit aktuellem Standort und Plätzen entlang der Küste in Chinesisch und Kyrillisch, zur Positionsbestimmung und Orientierung.

Dieses Buch soll Ihnen ein Wegweiser dafür sein, welche Wege Sie bei Ihren Therapien einschlagen können. Es soll aber auch anregen, sich mit den über Jahrhunderte gewachsenen chinesischen Behandlungsmethoden auseinanderzusetzen und diese praktisch, Schritt für Schritt, erfolgreich anzuwenden.

Meinen zahlreichen Lehrern in der TCM, der Akupunktur und in der Naturheilkunde möchte ich danken. Ganz besonders dem Arzt und Leiter des Medicol Lehrinstituts in München, Herrn Arnold Schimscha, meinen Lehrern in Beidahe, China, Frau Liu Yafei und Herrn Xiao Yuande, meinem Lehrer in Kötzting, Herrn Dr. Gunter R. Neeb, Herrn Toshikatsu Yamamoto als Seminarleiter an der Universität Graz, Österreich, sowie Herrn Robert Pfrogner, Bad Aibling, Bayern, für seine Unterstützung zum Erstellen dieses Buches.

1 ZTCM 1/2004, Dr. Subhuti Dharmananda, Direktor des Instituts for Traditional Medicin, Portland, Oregon, USA: SUN SIMIAO – Autor der ersten chinesischen Enzyklopädie für die klinische Praxis

2 Akupunktur

2.1 Grundlagen und Historisches

Jesuitische Mönche brachten im Mittelalter Berichte und Aufzeichnungen aus Ostasien mit nach Europa. Sie beschrieben ihre Beobachtungen in lateinischer Schrift. Das Einstechen von Nadeln in den Körper beschrieben sie mit den beiden Worten „acus“ (Nadel) und „pungere“ (stechen). Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit bei uns der Begriff „Akupunktur“. Das Abbrennen von getrocknetem Beifußkraut, wie es in China und Japan üblich war, beschrieben sie mit Moxibustion, da Beifußkraut auf Japanisch als „Mogusa“ bezeichnet wird und das lateinische „combustion“ für Verbrennung steht. In China gibt es einen Begriff dafür, nämlich Zhēn Ji, wobei Zhēn für Nadel steht und Ji für abbrennen.

Die älteste bekannte schriftliche Erwähnung stammt aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus. Der chinesische Historiker Sīm Qiān erwähnt in seinen Aufzeichnungen erstmals Steinnadeln.

Die älteste Sammlung chinesischer medizinischer Schriften „Innere Klassiker des Gelben Kaisers“ Huángdì Nèijīng, die um ca. 200 Jahre vor unserer Zeitenwende, aus vermutlich mündlichen Überlieferungen, erstmals niedergeschrieben wurde, integriert diese Form der Therapie in die damalige Medizin und beschreibt verschiedene Nadeln (aus Metall), Stichtechniken und Indikationen für die Anwendung bestimmter Punkte. In diesem Werk wurden bereits 160 klassische Punkte beschrieben.

Seit der Bronzezeit gab es relativ dicke Bronzenadeln und ab der Eisenzeit dünnere Nadeln aus Eisen und später aus Stahl. Die Chinesen hatten weltweit den ersten Stahl hergestellt.

Die heutigen Akupunkturnadeln bestehen aus chirurgischen Stahllegierungen, sind rostfrei, biegsam und knickfest, trotz Ihrer Länge und dem sehr kleinen Durchmesser. Sie kommen sterilisiert und meistens einzeln verpackt auf den Markt. Bei uns ist die Anwendung von einmal zu verwendenden Nadeln üblich.

Die Akupunktur wurde während der Jin-Dynastie weiter systematisiert. Der Arzt Huang Fumi (215-282 n.Chr.) beschrieb 259 n.Chr. in seinem Werk Zhen Jiu Jia Yi Jing, dem Klassiker über Stechen und Brennen, erstmals 349 Punkte. Es ist nach dem Huángdì Nèijīng der zweite wichtige Klassiker.

Sūn Sīmio2, (581-682), war zu seinen Lebzeiten bereits ein berühmter Arzt. Er beeinflusste die Akupunktur und die Pulsdiagnose. Die 13 Geisterpunkte in der Akupunktur zur Behandlung psychischer Erkrankungen gehen auf ihn zurück. Sie werden auch heute noch verwendet. Er verfasste ein dreißigbändiges Werk über die Kräutermedizin und wurde als „Kräutergott“ oder „König der Medizin“ - Yàowáng, verehrt. Seine Kräuterrezepturen haben bis heute ihren Einfluss.

1220 veröffentlicht Wang Zhizhong das Zhenjiu Zishengjing (Klassiker der Abhandlung mit Akupunktur und Moxibustion). Darin fasst er das bis dahin bekannte Wissen über Akupunktur und Moxibustion zusammen. Hua Boren veröffentlichte 1341 das Werk Shi Si Jing Fa Hui (Erweiterung der vierzehn Meridiane), in dem er den Verlauf der 12 Hauptmeridiane sowie des Rén Mài und des Dū Mài beschreibt und Information zu Akupunkturpunkten gibt.

Der Arzt Zhāng Jiè-Bīn (1563-1640) beschreibt in seinem Werk Jing Yue Quan Shu (1624) seine Theorien nach dem Bīn Hú Mài Xué, dass die Pulse der rechten Seite den Zàng F entsprechen, die für die Erzeugung und Transformation von Yáng Qì zuständig sind. Die Pulse der linken Seite hingegen gehören zu den Organen, die mit der Erzeugung und Speicherung von Yīn Blut zu tun haben. Dies entspricht dem heute verwendeten System! Allerdings steht dies in Widerspruch zur Theorie im Bīn Hú Mài Xué, nämlich dass links die Yáng-Seite und rechts die Yīn-Seite sind.

Li Shizhen3 (1518-1593) hat in seinem Werk Běnco Gāngmù die Grundlagen für die Evolutionstheorie gelegt, indem er die in der Natur vorkommenden Dinge und Lebewesen nach ihrer Entwicklungsstufe eingeteilt hat:

„Wasser und Feuer kommen zuerst, dann folgt Erde. Dies, weil Wasser und Feuer als erste Elemente die Erzeuger für alle anderen Dinge auf der Welt sind, während Erde die Mutter aller Dinge ist. Als nächstes kommen die Metalle und Steine, da sie zur Erde gehören. Dann kommen die Kräuter, die Getreide, die Gemüsesorten, die Früchte und Hölzer, da sie die Entwicklung vom Kleineren zum Größeren ausdrücken. Dann folgen die brauchbaren Dinge aus den Kräutern und Hölzern, dann geht die Evolution zu den Insekten, Geschuppten, Gepanzerten, Vögeln, Säugetieren und schließlich zu den Menschen, in der Reihenfolge der weniger Entwickelten zu den am höchsten Entwickelten“.

Charles Darwin (1809-1882) veröffentlichte 1858 sein Werk über die Evolutionstheorie „On the Origin of Species“ (Über die Entstehung der Arten).

Heute gibt es mehrere Formen der Akupunktur. Die wichtigsten und gebräuchlichsten werden wir uns näher ansehen. Die Akupunktur nach TCM und nach Master Tong aus Taiwan sind sogenannte Formen von Körperakupunktur. Die Ohrakupunktur mit ihrer französischen und chinesischen Prägung behandelt den Körper über den Somatotop Ohr. Die Schädelakupunktur nach Yamamoto YNSA stammt aus Japan und wird aufgrund ihrer praktischen Relevanz hier mit aufgeführt.

Wie wirkt Akupunktur?

Sie wird bei uns als eine Art Reiztherapie gesehen, die im Körper Heilungsreize erzeugt. Es gibt ein paar Betrachtungsweisen zur Wirkung. Diese gehen von Reizen, die über Nervenbahnen laufen, aus. Ähnlich wie das Sekundenphänomän in der Neuraltherapie, bei dem die Wirkung schneller eintreten kann als eine nervale Reizweiterleitung, könnte man hier den Pischinger-Raum bemühen, der einen anderen physikalischen Mechanismus aufweisen dürfte. Kurz gesagt, man weiß es einfach nicht genau. Ebensowenig konnte man weder mit unseren wissenschaftlichen Methoden noch mit chirurgischen Maßnahmen diese Meridiane oder Leitbahnen erkennbar machen. Wissenschaftliche Forschungen werden weitergehen, um den Geheimnissen der Meridiane und der Wirkung der Akupunktur auf die Spur zu kommen.

In einer diesbezüglichen Diskussion mit meinen Lehrern in China meinten sie lächelnd: „Wir wissen seit über 5000 Jahren, dass das funktioniert!“. Sie halten sich einfach an das überlieferte Wissen und handeln danach. Die Wirkungen stellen sich ein.

Die Vorteile der Akupunktur liegen auf der Hand. Bei fachgerechter richtiger Anwendung ist sie eine nebenwirkungsfreie Methode. Es werden keine Substanzen zugeführt, wie das bei Injektionen der Fall ist.

Vor jeder Behandlung ist eine klare Diagnose in der jeweiligen Art die Voraussetzung für eine ordentliche Akupunktur. Z.B. ist für die TCM-Akupunktur eine TCM-Diagnose wichtig, auch wenn sie zusätzlich zu unserer gesetzlich vorgeschriebenen landesüblichen Diagnose erfolgt. Dann wird die Behandlungsstrategie erstellt und die benötigten Akupunkturpunkte werden definiert. Dabei sind die Kontraindikationen zu beachten! Wenn die zu behandelnde Person sehr schwach ist und der Körper kaum Reserven hat, dann ist von einer Akupunktur abzusehen. Gleiches gilt, wenn eine andere Behandlungsmethode anerkanntermaßen wirksamer ist.

Die Akupunkturpunkte der jeweiligen Akupunkturart und das Erstellen der diagnosebedingten Punktkombinationen für die Behandlung sind spezifisch für jede Akupunkturart.

Bei der Akupunktur wird wie folgt vorgegangen: Die Einstichstellen werden desinfiziert, die Akupunkturnadeln eingestochen und je nach Akupunkturart manipuliert oder auch nicht. Eine sichere Kenntnis der anatomischen Gegebenheiten im Stichgebiet und darunter ist Voraussetzung!

Bei manchen Akupunkturarten kann die Haut zum leichteren Einstechen mit den Fingern gespannt oder zu einem Wulst zusammengeschoben werden. Das Einstechen durch die Haut sollte rasch erfolgen um den Einstichschmerz zu reduzieren Zum Vorgehen beim Setzen der Nadel hat mir mein Lehrer in China den Satz gesagt:

“Halte die Nadel, als würdest Du einen Tiger halten!”

Er meinte damit, die volle Aufmerksamkeit und Konzentration auf das Setzen der Nadel richten.

Ist die Nadel durch die Haut eingedrungen, wird sie weitergeführt, und zwar wieder je nach Akupunkturart: bei der TCM-Körperakupunktur wird sie dabei manipuliert oder auch nicht, das Ein- und Ausatmen des Patienten berücksichtigt und bis zur gewählten Stichtiefe vorgeschoben.

Für die Master-Tong-Akupunktur gilt das Gleiche, die Nadeln werden meist tiefer und in Knochennähe gesetzt. Die Knochen stellen die tiefste Körperschicht dar und sind der Niere zugeordnet. Mit dieser Vorgehensweise erreicht man eine stärkere Wirkung.

Bei der YNSA sticht man die Nadel in den ausgewählten Punkt in die jeweilige sehr kleine, aber auch sehr schmerzempfindliche Stelle unter der Haut ein. In der Regel erfolgt keine Nadelmanipulation.

Gleiches gilt für die Ohrakupunktur, wobei noch vorsichtiger vorzugehen ist, da zwischen der Ohrhaut und dem Knorpel kaum Gewebe ist und es zu Entzündungen und Mazerationen kommen kann, vor allem bei der Anwendung von Dauernadeln. Gutes Desinfizieren und vorsichtiges aber sehr genaues Arbeiten sind hier notwendig.

Was die Stichtechniken betrifft, so sind sie in jeder einzelnen Akupunkturart unterschiedlich. Ebenso ist vorher zu klären, ob und wie im einzelnen Fall eine Nadelmanipulation erfolgt und wie lange die Verweildauer der Nadel im Körper ist. Diese Aspekte richten sich individuell nach dem Patienten, dem Krankheitsbild, der Diagnose und dem daraus resultierenden Vorgehen. Die Akupunktur am Ohr oder am Schädel ist anders als jene am Körper. Die Reihenfolge des Setzens und des Herausnehmens der Nadeln ist bei manchen Akupunkturformen wichtig.

Die eingesetzten Nadeln sind in den einzelnen Akupunkturformen von unterschiedlicher Spezifikation, was Beschaffenheit, Länge, Durchmesser und Griffart betrifft. Zu berücksichtigen sind u. A. das Stichareal, die Stichtiefe, die Sichtbarkeit der gesetzten Nadeln und ob Moxakraut aufgebracht werden soll, wie das bei der sog. „heißen Nadel“ der Fall wäre.

Beim Setzen und beim Herausnehmen der Nadeln ist die Reihenfolge zu beachten. Weiters achtet man z.B. bei der Körperakupunktur darauf, ob der Akupunkturpunkt beim Herausnehmen der Nadel sofort mit einem Tupfer abgedeckt werden muss, um das Qì im Körper zu lassen, oder eben nicht, um das „schlechte“ Qì – Shā Qì herauszulassen.

Und nun wenden wir uns der sehr wichtigen und weit verbreiteten Akupunkturform zu, nämlich der Körperakupunktur der TCM.

2.2 TCM-Akupunktur

Bei dieser, in ihren Ursprüngen sehr alten Methode, werden Akupunkturnadeln nach genauen Regeln in definierte Akupunkturpunkte eingestochen. Dabei wird das Qì mittels verschiedener Nadeltechniken und Punktkombinationen beeinflusst und Blockaden des Flusses von Qì und/oder Blut –Xuè werden gelöst mit dem Ziel, das Ungleichgewicht im Körper wieder einzuregeln.

Über den Körper verteilt sind ca. 360 Akupunkturpunkte und noch mehrere Dutzend Extrapunkte (die meist nicht auf Meridianen liegen). Darüber hinaus bezeichnet man schmerzhafte Punkte, die weder auf Meridianen liegen, noch Extrapunkte sind als Ā Shì-Punkte. Bei uns würde man sagen: „da wo´s weh tut!“, also Schmerzpunkte.

Akupunktur wird hauptsächlich angewendet bei Schmerzen am Bewegungsapparat, Kopfschmerzen, Migräne und anderen Krankheitsbildern wie z.B. Nervosität, Stress, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände, Blutdruck- und Verdauungsbeschwerden, rheumatische Erkrankungen, u.v.m. Zur TCM-Körperakupunktur gehören die Moxibustion und das Schröpfen als integrale Bestandteile dazu.

Bei der Moxibustion werden Akupunkturpunkte oder Meridianverläufe mit abglimmendem Beifußkraut erwärmt. Dabei geht es nicht nur um die Wärmezufuhr selbst, sondern auch um die Qualität des glimmenden Moxakrautes und möglicherweise um sein spezifisches Strahlungsspektrum. Doch auch hier könnte die Wissenschaften noch Klärung bringen.

Abbildung 2: Akkupunktur (links) und Moxa auf Ingwerscheibe (rechts)

Moxa wird hauptsächlich bei chronischen Erkrankungen und zur Stärkung der Immunabwehr eingesetzt, aber auch bei „Kälte/Leere-Zuständen“, wie z.B. bei niedrigem Blutdruck, Kältegefühl, Asthma, Durchfall, depressiven Verstimmungen, Schwindel, Erschöpfung, Energiemangel. Moxa setzt einen Wärmereiz und stärkt über die Wärmezufuhr die Yáng-Energie. Moxa beseitigt Blut- und Energiestauungen, vertreibt auch Kälte und Feuchtigkeit aus den Meridianen und fördert die Bewegung von Blut-Xuè und Qì.

Vorsicht ist beim Moxen geboten, wenn „Hitze“ im Körper ist, z.B. durch Entzündungen. Das würde den bereits bestehenden Hitzezustand eher noch fördern! Es gibt Anwendungen, bei denen Moxa gezielt auf bestimmten „feuchten“ Stellen wie Herpesausschlägen zum Trocknen der Feuchte vorsichtig angewendet wird. Das sollte man jedoch ganz gezielt erlernen.

Schröpfen gehört ebenfalls zum Bereich der Akupunktur-Verfahren. Es wird bei „Fülle-Zuständen“ angewendet, um pathogenen „Wind“ herauszuziehen. Das Schröpfen fördert auch die Durchblutung in den darunterliegenden Geweben. „Trockenes“ Schröpfen wird über Akupunktur-Punkten oder an ganzen Körperzonen wie z.B. seitlich entlang der Wirbelsäule angewendet. Die Schröpfgläser werden mit Unterdruck auf der Haut statisch angesetzt oder auch bewegt. Das regt die Durchblutung und die Entgiftung im Unterhautbindegewebe an. Diese Methode wird gerne bei Rückenbeschwerden, rheumatischen Erkrankungen und Erkältungen eingesetzt. Beim „blutigen“ Schröpfen hingegen wird das zu schröpfende Oberflächenareal an der Haut eingeritzt. Beim Aufsetzen des Schröpfkopfes mit Unterdruck tritt Blut aus der Haut aus. Diese Methode wirkt ableitend auf pathogene Faktoren im betroffenen Bereich.

Doch bevor wir uns der reinen TCM-Akupunktur widmen, sind noch ein paar Grundlagen zu erwähnen. Gleich vorweg sehen wir uns die chinesische Maßeinheit Cùn (gesprochen: Tsun) an. Sie ist wichtig, weil mit ihr Körpermaße beschrieben und die Lage von Akupunkturpunkten relativ genau dargestellt werden kann. Die Stichtiefe wird ebenfalls in Cùn angegeben.

1 Cùn entspricht der Daumenbreite, Zeige- und Mittelfinger nebeneinander stellen 1,5 Cùn dar. Zeige-, Mittel- und Ringfinger nebeneinander gelegt, entsprechen 2 Cùn. 3 Cùn entsprechen der Breite von Zeige-, Mittel-, Ringfinger und kleinem Finger aneinandergelegt.

Es gibt ein paar Faustregeln für das Vorgehen bei der Akupunktur: Man soll jene Punkte auswählen, die aufgrund der chinesischen Diagnose richtig sind. Außerdem soll man so wenige Nadeln wie möglich und so viele wie nötig anwenden, und das in Abstimmung mit der chinesischen Diagnose.

Bei Störungen am Bewegungsapparat akupunktiert man meist nur eine Seite, bei der Behandlung innerer Organe beide Seiten.

Meinen chinesischen Lehrern zufolge kann man ein bestehendes Ungleichgewicht zwischen links und rechts wieder ins Gleichgewicht bringen indem man die gleichen Punkte auf beiden Seiten gleichzeitig akupunktiert, wie z.B. Ma 36 – Zúsānl und Le 3 – Tàichōng.

Akut bedeutet Fülle, chronisch zeigt Leere an. Je akuter eine Erkrankung, d.h. je größer der Fülle-Zustand ist, desto weiter weg wird der beeinflussende Fernpunkt gewählt, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Kurz zusammengefasst kann man sagen:

Je akuter, desto ferner, je chronischer, desto näher!

In China hatte man mir noch ein paar weitere Aspekte erklärt. Nach dem Essen sollte man ca. 1 ½ bis 2 Stunden warten, bevor man akupunktiert. Dies gilt sowohl für den Patienten, als auch für den Akupunkteur. Man sollte auch nicht knapp vor dem Essen behandeln, weil das Qì dann stark in Bewegung ist.

Weiters sind Ernährung und Lebensweise wichtig, genauso wie Atmen und Schlafen. Idealerweise übt man als Akupunkteur über den Tag verteilt mehrfach Qìgōng, um die eigene Energie gut fließen zu lassen. Es ist wichtig, auf die eigene Energie zu achten! Erfahrene Therapeuten haben mir in China erzählt, dass sie ab etwa fünf Patienten pro Tag den Energieverlust deutlich merken.

Die Diagnose ist auch eine Feststellung der Qi-Verteilung.

Beim ersten Eindruck achtet man auf Aussehen, Händedruck, Stimme, trockene oder feuchte Hand, sind die Augen wach und lebendig oder getrübt? Letzteres gibt einen Hinweis auf den Zustand des Geistes – Shén. Was ist im Gesicht zu erkennen, u.v.m.

Bei der Anamnese verfährt man wie im Westen, man versucht jedoch herausfinden, was im Ungleichgewicht ist. Handelt es sich um einen eher starken oder schwachen Typ? Überwiegt Yīn oder Yáng beim ersten Eindruck? Was kann ich dem Patienten bei der Therapie zumuten?

Über das Tasten des Pulses und die Zungendiagnose lassen sich die bis jetzt gefundenen Parameter verifizieren oder falsifizieren und zusätzlich weitere Erkenntnisse gewinnen.

Um die diagnostizierten Symptome einzuordnen, wird die Einteilung nach den Acht Leitkriterien – Bā Gāng angewendet. Dabei steht die Frage im Fokus „Was ist aus dem Gleichgewicht?“ Yīn ist alles, was innen ist, ebenso Mangel oder Leere und Kälte. Yáng ist alles, was außen ist, wie auch Fülle oder Überschuss und Hitze. Darüber stehen nochmals Yīn und Yáng, aber in der Form als übergeordnete Begriffe.

Das Meridiansystem - Jīng Luò verbindet außen und innen, wie auch die Yīn- Speicherorgane Zàng und die Yáng- Hohlorgane F. Die jeweiligen Organpaare sind über die Meridiane miteinander verbunden, ebenso wie die Meridiane untereinander.

Abbildung 3: Die 12 Hauptmeridiane und der Fluss von Qì

Im obigen Bild sind die sechs langen Meridiane zu sehen, je drei Yīn (Tài Yīn, Shào Yīn, Jué Yīn) und je drei Yáng (Yáng Míng, Tài Yáng, Shào Yáng). Sie bestehen jeweils aus zwei Meridianen. Zur Erläuterung: der erste lange Yin-Meridian wird als Tài Yīn bezeichnet. Er besteht aus dem Lungen- und Milzmeridian, beide Yīn. Auf der Yáng- Seite gibt es den langen Meridian Yáng Míng, der wiederum aus dem Dickdarm- und Magenmeridian besteht.

Abbildung 3 zeigt den Fluss von Qì während eines Tages durch die zwölf Hauptmeridiane. Das Qì fließt von Meridian zu Meridian, so wie es durch die Pfeile dargestellt ist. Vom Lebermeridian fließt das Qì weiter in den Lungenmeridian und der Zyklus setzt sich fort.

Mit der Akupunktur beeinflussen wir den Fluss von Qì und Blut – Xuè mit dem Ziel, die Harmonie im Körper wieder herzustellen. Um diesen Prozess so wirkungsvoll zu gestalten, ist es einerseits notwendig, die richtigen Punkte und Punktkombinationen zu berücksichtigen und andererseits ein paar Meridianregeln zu beachten.

2.2.1 Die Meridianregeln

Welcher Meridian ist am meisten von der vorliegenden Symptomatik betroffen? Wie stärke ich ihn, besonders bei Leere und Kälte im Meridian?

Dazu kann man den Partner-Meridian und den korrespondierenden Meridian heranziehen. Im Bild sind die Partner-Meridiane in waagrechter Ebene zu sehen, wie z.B. Lunge – Dickdarm oder Magen – Milz/Pankreas. Die korrespondierenden Meridiane sind in der senkrechten Ebene zu erkennen, wie z.B. Dickdarm – Magen oder Milz/Pankreas – Herz.

Indem man zusätzlich das Qì über Partner- bzw. korrespondierenden Meridian in den geschwächten Meridian herüberholt, wird dieser gestärkt. Dies kann man durch nadeln des Passage – Luó – Punktes des gekoppelten Meridians erreichen. Und am betroffenen Meridian selbst akupunktiert man den Quell – Yuán –Punkt. Über die Quellpunkte wird die Energie des betroffenen Meridians verstärkt.

Diese Methode wird als Innen-Außen-Regel bezeichnet. Sie trifft bei Leere-Zuständen, also bei Qì-Mangel im betroffenen Meridian zu.

Um das exemplarisch darzustellen, nehmen wir an, der Patient hat eine Erkältung mit Schnupfen. Betroffen ist der Dickdarm-Meridian und es gilt, diesen zu stärken. In diesem Fall sticht man zuerst den Quell – Yuán –Punkt des betroffenen Meridians, also Di 4 – Hég und kann dann durch stechen des Passage – Luó – Punktes des Partner-Meridians, also Lu 7 – Lièquē das Qì vom Lungen-Meridian herüberholen. Wir haben zuerst den Yáng-Punkt Di 4 – Hég gestochen und dann den Yīn-Punkt Lu 7 – Lièquē dazu genommen. In diesem Fall hilft das zusätzliche Qì des Lungen-Meridians mit, die Kälte im Dickdarm-Meridian zu vertreiben. Der Passage – Luó – Punkt kommt immer nach dem Quell – Yuán –Punkt.

Man kann auch den Magen-Meridian als Korrespondierenden Meridian über den Punkt Ma 36 – Zúsānl dazu nehmen, um dessen Qì zur weiteren Stärkung heranzuziehen. Damit findet auch ein gewisser Ausgleich zwischen oberer und unterer Körperhälfte statt, was sich in der Oben-Unten-Regel ausdrückt.

Bei der Therapie von akuten, also Fülle-Zuständen können die korrespondierenden Meridiane herangezogen werden. Die Fernpunkte für akute Beschwerden, also Fülle-Zuständen liegen auf dem korrespondierenden Meridian. Grundsätzlich gilt bei Fülle, dass, je akuter ein Fülle-Zustand ist, der zu wählende richtige Akupunkturpunkt umso weiter entfernt ist. Es gilt dann der bereits weiter oben erwähnte Satz: „Je akuter, desto ferner und je chronischer desto näher.“

Dies bedeutet eben auch, dass man bei chronischen Beschwerden direkt an den betroffenen Bereich geht.

Ein Beispiel für die Anwendung von Fernpunkten in akuten Fällen von Schmerzen am Rücken ist die Verwendung von Akupunkturpunkten des Dünndarm-Meridians. Bei Schmerzen im Nacken oder am Rücken am inneren Ast des Blasenmeridians ist der Fernpunkt Dü 3 – Hòuxī indiziert. Bei Schmerzen am äußeren Ast des Blasenmeridians, oder auch darüber hinaus, wählt man Dü 6 – Ynglo.

2.2.2 Basistherapie für die Zang Fu – Organe

Für die Basistherapie für die Zàng F – Organe gilt die folgende Regel:

Yin:Zàng-Organe: Quell-Yuán-Punkt + Zustimmungs-Shū-Punkt;

Yang:F-Organe: Alarm-Mù