Trauernde Jugendliche in der Familie - Stephanie Witt-Loers - E-Book

Trauernde Jugendliche in der Familie E-Book

Stephanie Witt-Loers

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Beschreibung

Jugendliche, die einen nahe stehenden Menschen durch den Tod verlieren, brauchen sensible Unterstützung. Sie sollten mit ihren Gefühlen, Gedanken und Sorgen nicht allein gelassen werden. Im Alltag finden Jugendliche häufig wenige Möglichkeiten zu trauern. Zudem fühlen sie sich von Gleichaltrigen oder in der Familie oft nicht richtig verstanden. Sie ziehen sich zurück, können oder möchten ihre Trauer nicht zeigen, obwohl sie sich Trost und Beistand wünschen. Eltern und andere Bezugspersonen sind hilflos, unsicher und überfordert im Umgang mit trauernden Jugendlichen. So gestaltet sich das Leben miteinander, zusätzlich zum erlebten Verlust, für beide Seiten schwierig.Stephanie Witt-Loers greift diesen Konflikt auf und informiert über wesentliche Aspekte von Trauerprozessen. Dabei werden besonders Jugendliche in ihrer Entwicklungsphase mit ihren Bedürfnissen und Anliegen in den Blick genommen, denn sie trauern anders als Kinder oder Erwachsene und benötigen dementsprechende Unterstützung. Ziel ist es, ein gegenseitiges Verständnis in der Familie zu fördern das Trauern für alle zu erleichtern. Zudem geben Erfahrungsberichte Jugendlicher sowie ihrer Bezugspersoneneinen eindrücklichen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt betroffener Familien.

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Seitenzahl: 245

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Dieses Buch möchte ich ganz besondersden Verstorbenen Jan, Lars, Birgit, Max,Winfried, Vanessa, Tim, Alex, Stefan undden Menschen, die um sie trauern, sowieallen Familien, die den Tod eines geliebtenMenschen aushalten müssen, widmen.

Stephanie Witt-Loers

Trauernde Jugendlichein der Familie

Vandenhoeck & Ruprecht

Die Hinweise in diesem Buch sind von der Autorin und vom Verlag sorgfältig geprüft. Autorin und Verlag können jedoch keine Garantie übernehmen und schließen jede Haftung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden aus.

Das Autorenhonorar fließt in das Projekt »Leben mit dem Tod«, ein Kooperationsprojekt des Instituts »Dellanima« und des DRK für trauernde Kinder, Jugendliche und ihre Bezugspersonen. Hier finden Betroffene professionelle, qualifizierte und kostenlose Unterstützung. Mit dem Kauf dieses Buches unterstützen Sie das Projekt. Wir freuen uns über jede weitere Spende unter: Kreissparkasse Köln, IBAN: DE84 3705 0299 0311 0016 59, COKSDE33XXX Stichwort: »Leben mit dem Tod«. Weitere Informationen zum Projekt, zu Unterstützungsangeboten, Trauerbegleitung, Seminaren, Fortbildungen und Vorträgen finden Sie beim Institut Dellanima: www.dellanima.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99837-4

Umschlagabbildung: © Gina Sanders/Fotolia.com

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/

Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlichgeschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällenbedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Worum es in diesem Buch geht

Grundsätzliches zu Trauer und Verlust

Die besondere Lebenszeit: die Jugend

Jugendliche trauern – aber wie?

Jugendliche trauern

Trauer vor dem Hintergrund der Pubertät

Mögliche Trauerreaktionen

Wem und wo zeigen Jugendliche ihre Trauer?

Feiern und trauern – wie passt das zusammen?

Wohin mit der Trauer? – Ausdruck und Orte der Trauer

Was wünschen sich Jugendliche in ihrer Trauer?

Jugendliche erzählen von ihrer Trauer

Meine Trauer – das ist so eine Sache! – Ines (16 Jahre)

Ein Leben nach dem Tod meines Bruders – sinnlos? – Mareike (23 Jahre)

»Sei der Autor deiner Lebensgeschichte und schreibe einen Bestseller« (Slimani, 2014) – Luisa (14 Jahre)

Plötzlich ist alles anders – Sebastian (21 Jahre)

Trauer in der Familie

Nach dem Tod eines Familienmitglieds – vorweg Grundsätzliches

Wer trauert? Und um wen wird getrauert?

Wichtige Trauerthemen in der Familie

Rituale

Warum zeigen wir in der Familie unsere Trauer nicht?

Wenn Eltern und Bezugspersonen trauern

Zwischen Leid und Verantwortung

Vom Schmerz im Schmerz

Nicht hilflos ausgeliefert, sondern handlungsfähig

Trauernde Eltern erzählen

Alles war gut – Andreas

Unsere Kinder sind nicht unsere Kinder – RomyOder: was ich beim Tod unseres Sohnes über Freundschaft unter Jugendlichen lernen durfte

Plötzlich alleinstehend und alleinerziehend – Elke

Vom Weg ins Leben – Johanna Maria

Weiterleben – aber wie?

Persönliche Kraftquellen und Ressourcen

Jeder ist anders – vielfältige Unterstützungsangebote

Bestimmte Trauersituationen

Plötzlich alleinerziehend – nach dem Tod des Partners

Trauer in getrennten Familien

Trauer nach plötzlichem Tod

Trauer nach Suizid

Wünsche

Literatur

Broschüren/Zeitschriften

Bücher zum Thema Suizid

Broschüren zum Thema Suizid

Bücher zum Thema Trauma

Jugendbücher

Spielfilme

Musikstücke für Jugendliche

Internetadressen

Telefonische Seelsorge

Dank

Worum es in diesem Buch geht

»Als ob es nicht genug ist, dass Marvin bei diesem grausamen Verkehrsunfall gestorben ist. Er ist tot! Er fehlt uns allen schrecklich! Ich kann den Schmerz kaum aushalten. Jetzt bricht auch noch der Rest unserer Familie auseinander. Lucy [17 Jahre] zieht sich total zurück, sie redet und isst kaum noch. Stefan, mein Mann, arbeitet seit Marvins Tod wie verrückt. Was hat denn das alles noch für einen Sinn?« (Mutter von Marvin)

Der Tod eines geliebten Menschen ist ein folgenschweres, schmerzliches Ereignis. Menschen werden gezwungen, sich mit intensiven Gefühlen, neuen Aufgaben und Rollen auseinanderzusetzen. Die Worte der Mutter von Marvin des vorangestellten Fallbeispiels aus meiner Praxis zeigen deutlich, dass der Tod des nahestehenden Menschen nicht nur für den Einzelnen schmerzhaft ist. Die gesamte Familie trauert ‒ und dennoch ist die Situation für jeden Einzelnen aus der Familie in anderer Weise schwer. Eltern, nahe Bezugspersonen, Kinder und Jugendliche fühlen sich in der Familie oft sehr allein mit ihren Fragen, Sorgen und Unsicherheiten. Familiengefüge brechen nach dem Tod eines Angehörigen auseinander, weil jeder auf seine Art trauert und die Trauer des anderen nicht versteht. Auch der Tod eines dem Jugendlichen nahestehenden Menschen außerhalb des familiären Umkreises kann für den Jugendlichen sehr schmerzhaft sein und die gesamte Familie belasten. In beiden Fällen haben Bezugspersonen viele Fragen zum Umgang mit trauernden Jugendlichen.

Trauernde Jugendliche sollten mit ihren Gefühlen, Gedanken und Sorgen nicht alleingelassen werden. Im Alltag finden gerade Jugendliche wenige Möglichkeiten zu trauern. Zudem fühlen sie sich von Gleichaltrigen oder in der Familie oft nicht richtig verstanden. Sie ziehen sich zurück, können oder möchten ihre Trauer nicht zeigen, obwohl sie sich Trost und Unterstützung wünschen. Eltern sind häufig überfordert und wissen nicht, wie sie mit dem trauernden Jugendlichen umgehen sollen. Das Leben miteinander gestaltet sich für beide Seiten schwierig. In einer trauernden Familie belastet diese Situation zusätzlich zum erlebten Verlust.

Im Fokus dieses Buches stehen trauernde Jugendliche. Aufmerksamkeit und Fürsorge sollten aber, wie in den Ausführungen und Hinweisen deutlich werden wird, überdies auf andere trauernde Kinder und Erwachsene in der Familie gerichtet werden. Verlieren Jugendliche in ihrer besonderen Entwicklungsphase einen nahestehenden Menschen, ist es nicht einfach, den jungen Erwachsenen zu unterstützen. Was fühlen und denken Jugendliche nach einem Verlust? Welche Sorgen und Ängste belasten sie und welche Wünsche haben sie in ihrer Trauer im Hinblick auf ihr soziales Umfeld? Ich möchte diese und andere Fragen aufgreifen. Nicht alle Aspekte zum Thema konnte ich vertiefen oder ansprechen, weil dies den Rahmen des Buches sprengen würde.

Ich möchte Ihnen Grundhaltungen vorstellen, die eine Unterstützung von trauernden Jugendlichen erleichtern können. Im Buch finden Sie praxisorientiertes Wissen zur Entwicklungsphase Jugendlicher, wobei der Schwerpunkt auf den Themen Trauer und Kommunikation liegt, sowie Hinweise zum Umgang mit trauernden Jugendlichen. Ich möchte Ihnen Impulse geben, eigene Bedürfnisse und Ressourcen aufzudecken. Darüber hinaus berichten Jugendliche, wie sie mit ihrer persönlichen Trauer umgehen, wie sie diese erleben. Trauernde Eltern erzählen über das Leben mit trauernden Jugendlichen und beschreiben, welche Sorgen sowohl sie, die Eltern, als auch ihre Kinder quälen. Gleichzeitig fließen Erfahrungen ein, die ich in den Begleitungen von trauernden Jugendlichen und ihren Familien machen durfte, sowie Einsichten, die ich im Austausch mit Fachkollegen gewinnen konnte. (Namen und Einzelheiten wurden zum Schutz der Betroffenen verändert.)

Von ganzem Herzen möchte ich mich bei den Menschen, den Eltern und Jugendlichen, bedanken, die mit dem, was sie über ihren Verlust geschrieben haben, zu diesem Buch beigetragen haben, und bei all denen, die ich ein Stück auf ihrem Weg begleiten durfte. Ohne sie gäbe es das Buch nicht. Ich danke allen für den Mut, anderen Menschen einen Einblick in sehr persönliche, intime Erfahrungen zu gewähren. Es berührt mich immer wieder zutiefst, wie trauernde Menschen es schaffen, mit ihrem schmerzhaften Verlust leben zu lernen, welche Kräfte sie entfalten und welche Zukunftsperspektiven sie für sich entwickeln.

In meinen Ausführungen orientiere ich mich an Erkenntnissen verschiedener Trauerforscher, wie zum Beispiel William Worden, Dennis Klass, David Trickey, Hansjörg Znoj, Margret Stroebe und Henk Schut. Zur besseren Lesbarkeit habe ich im Folgenden die männliche Form »Jugendlicher« gewählt, auch wenn gleichzeitig weibliche Jugendliche gemeint sind, und mich durchweg dafür entschieden, die männlichen Formen geschlechterübergreifend zu verwenden.

Mit meinen Informationen und Orientierungshilfen möchte ich im Umgang mit Trauer und Verlust Verständnis füreinander schaffen, zur Überwindung von Sprachlosigkeit und Ohnmacht beitragen und zur Kommunikation in der Familie anregen. Das Buch kann in der Klein- und Großfamilie hilfreich sein. Stellen Sie es darum möglichst vielen Menschen zur Verfügung, aber drängen Sie bitte niemanden, es zu lesen. Sie können sich mit anderen zu Vorschlägen und Impulsen dieses Buches austauschen (auch ohne dass alle es gelesen haben), sie verwerfen oder ergänzen und zusammen dafür sorgen, dass Jugendliche gut begleitet werden. Ich möchte Sie und Ihre Familie mit diesem Buch ermutigen, Trauer in der Familie nicht zu verdrängen, sondern sie als Möglichkeit zu verstehen, trotz des Schmerzes eigene, aber auch gemeinsame neue Wege und Perspektiven zu entwickeln. Denn: Trauer kann individuell und gemeinschaftlich aktiv gestaltet werden.

Was Sie nicht im Buch finden, sind allgemeingültige Methoden im Umgang mit Trauernden, denn jeder Mensch, jede Lebenssituation und jede Familie ist anders. Vielmehr möchte ich Sie ermutigen, in einer Ihnen entsprechenden Weise auf Ihre individuelle Familiensituation und die Persönlichkeit des Jugendlichen einzugehen. Die Familie kann viel dazu beitragen, dass der Trauerprozess des Jugendlichen nicht durch Unsicherheit, fehlende Informationen und verletzende Erfahrungen erschwert und belastet wird. Eine hilfreiche Begleitung kann gelingen, auch wenn Sie im Augenblick vielleicht den Eindruck haben, vor unüberwindbaren Hürden zu stehen.

Grundsätzliches zu Trauer und Verlust

Fragen und Unsicherheiten im Zusammenhang mit Trauer sind normal. Hilfreich sind deshalb zunächst allgemeine Informationen, wie sie dieses Kapitel zusammenstellt. Sie erleichtern meist den Umgang sowohl mit der eigenen als auch mit der Trauer der anderen.

Trauer ist ein Lebensthema

Sie ist Bestandteil unseres Lebens. Wir alle, Kinder, Jugendliche und Erwachsene, machen zwangsläufig Verlusterfahrungen im Leben. Unser aller Lebensweg ist geprägt von kleinen und großen Abschieden. Der Verlust eines nahestehenden Menschen ist ein einschneidendes und sehr schmerzvolles Erlebnis.

Trauern ist eine normale Reaktion

Trauern ist keine Krankheit, sondern eine natürliche Reaktion auf einen Verlust. Trauerprozesse werden durch Verluste ausgelöst. Nach dem Tod eines nahestehenden Menschen reagieren wir mit unserem Körper und unserer Seele auf den Verlust. Ist der Tod absehbar, zum Beispiel durch eine unheilbare Krankheit, setzt der Trauerprozess schon vor dem Tod ein.

Intensive Gefühle

Trauernde Menschen, auch Kinder und Jugendliche, sind vielen unterschiedlichen, sehr intensiven und oft widersprüchlichen Gefühlen, wie Schmerz, Weinen, Lachen, Kummer, Verzweiflung, Liebe, Neid, Ohnmacht, Wut, Scham, Panik, Freudlosigkeit, Angst, Trauer, Sehnsucht, Dankbarkeit, ausgesetzt. Das Erleben dieser gewaltigen, gegensätzlichen Gefühle kann verwirrend und beängstigend sein. Vielfach spielt die Auseinandersetzung mit Gedanken, schuldig zu sein, eine belastende Rolle. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung, auch Wut, Neid und Hass.

Trauer ist ein Prozess

Trauer ist nicht, wie früher vermutet, eine chronologische Abfolge von verschiedenen Phasen, die durchlebt werden müssen. Trauer ist ein langer, sehr komplexer Prozess, der sich wandelt und notwendig ist, um ohne den Verstorbenen leben zu lernen. Trauer ist nicht unser Feind. Sie hilft dabei, den Verlust in unser Leben zu integrieren. Trauerprozesse sind von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig. Manchmal können frühere Verluste oder alte Lebensthemen im Trauerprozess wieder auftauchen.

Trauer ist schmerzvoll

Trauern bedeutet leiden. Trauerprozesse kosten unendlich viel Kraft und können an seelische und körperliche Grenzen führen. Die Dauer der Beziehung zum Verstorbenen ist nicht unbedingt ein Maßstab für die Intensität der Trauer. Wir können intensiv und schmerzvoll trauern, auch wenn wir den Verstorbenen noch nicht lange gekannt haben. Wesentlich ist unsere innere Verbundenheit zum Verstorbenen. Den Schmerz um die verstorbene Person kann uns niemand abnehmen. Trauerprozesse müssen durchlebt werden. Wir können unsere Trauer nicht dauerhaft verdrängen. Irgendwann wird sie wieder auftauchen und sich ihren Weg bahnen.

Trauer ist individuell

Trauerprozesse verlaufen bei jedem Menschen anders. Es gibt so viele verschiedene Trauerwege wie Menschen. Jeder hat andere Bedürfnisse und Sorgen in seiner Trauer. Manchmal ist es hilfreich zu schauen, wie andere mit ihrer Trauer umgehen, um Impulse für den eigenen Trauerweg zu bekommen. Der Trauernde selbst ist der einzige Mensch, der weiß, wie sich seine Trauer anfühlt. Ein richtiges oder falsches Trauern gibt es nicht.

Trauer braucht Zeit

Trauern lässt sich nicht in zeitliche Gesetzmäßigkeiten zwängen. Oft fragen Menschen: »Wann ist die Trauer endlich zu Ende?« Vier Wochen, drei Monate, ein Jahr sind keine lange Zeit für einen Trauerprozess. Trauer braucht viel Zeit und wird immer ein Teil unseres Lebens sein. Sie hört nie ganz auf, ist nie wirklich abgeschlossen. Immer wieder wird es Augenblicke und Zeiten in unserem Leben geben, in denen wir die Sehnsucht nach dem geliebten Menschen schmerzlich spüren. Trauer um das, was wir mit diesem Menschen nicht erleben konnten, kann uns ebenso auf unserem weiteren Lebensweg begleiten. Es kommt vor, dass Menschen erst nach langer Zeit beginnen den Trauerschmerz zu spüren. Trauer wandelt sich und es ist möglich, damit leben zu lernen, wieder Glück und Freude zu empfinden. Wir müssen nicht, auch wenn uns dies zunächst so erscheinen mag, daran zerbrechen.

Trauer braucht Ausdruck

Trauer braucht Raum und Ausdruck. Trauernde brauchen die Möglichkeit, die mit dem Verlust verbundenen Gefühle, Gedanken und Sorgen verbal oder nonverbal auszudrücken. Der Verlust muss als solcher gewürdigt und in das neue Lebensgefüge integriert werden. Der Ausdruck, den Menschen für ihre persönliche Trauer finden, ist vielfältig und verdient Respekt.

Themen der Trauer

Bei aller Individualität tauchen in Trauerprozessen sich ähnelnde Themen auf, mit denen sich Trauernde auseinandersetzen. Der amerikanische Trauerforscher William Worden (2010) unterscheidet vier Themen bzw. Aufgaben der Trauer: 1. den Verlust als Realität akzeptieren, 2. den Schmerz erfahren, 3. sich an eine Welt ohne den Verstorbenen anpassen und Neuorientierung finden, 4. eine dauerhafte, neue Bindung zum Verstorbenen finden und sich dabei auf ein neues Leben einlassen. Die Themen der Trauer können wiederholt auftauchen und unter anderen Aspekten und Sichtweisen angegangen werden. Der Verlust wird so immer wieder neu in die eigene Lebensbiografie eingeordnet.

Faktoren, die Trauerprozesse beeinflussen

Warum trauert jeder anders, obwohl die Themen, die die meisten während des Trauerprozesses beschäftigen, ähnlich zu sein scheinen? Wie Menschen lernen mit dem erlittenen Verlust zu leben, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. So erklärt sich, dass jeder individuell trauert und andere Bedürfnisse und Sorgen in seiner Trauer hat. Jeder Mensch ist einzigartig und bringt seine persönliche Lebensgeschichte, seine individuellen Lebenserfahrungen und besonderen Fähigkeiten mit in den Trauerprozess. Weitere Faktoren, die den Trauerprozess beeinflussen, sind zum Beispiel die Art der Beziehung zum Verstorbenen, Erfahrungen von Bindung, der persönliche Entwicklungsstand, das Erfahren der Todesnachricht oder die Todesumstände. Zudem spielen Aspekte wie die Lebensumstände (Familiensituation, Vorverluste, eigene Gesundheit), zusätzliche Belastungen (Umzug, Schulwechsel, Arbeitslosigkeit, finanzielle Unsicherheit), das soziale Umfeld und die darin erfahrene und als hilfreich empfundene Unterstützung sowie die eigenen Ressourcen (Selbstwertgefühl, Bewältigungsstrategien, Selbstwirksamkeit) eine wichtige Rolle im Trauerprozess. Daneben haben Kultur, Religion, Geschlecht sowie Erfahrungen und Wissen in Bezug auf den Themenkomplex Sterben, Tod und Trauer, die Gesamtstruktur der Familie sowie die Art des Umgangs mit Krisen und Verlust in der Familie Einfluss auf den Trauerprozess. In der Begleitung sollten diese Faktoren berücksichtigt und die Unterstützung dementsprechend ausgerichtet werden. Achten Sie deshalb auch darauf, in welchen der oben genannten Kontexte der Jugendliche trauert.

Trauer aktiv gestalten

Menschen, die uns nahestehen, sterben. Wir können das nicht verhindern. Aber wir können den schmerzhaften Trauerprozess um den verstorbenen Menschen selbst aktiv gestalten. Wir sind unserer Trauer nicht ohnmächtig ausgeliefert. Wir können akzeptieren, dass der Tod unausweichlich zu unserem Leben gehört. Es ist unsere Entscheidung, uns unsere Trauer zu erlauben und die damit verbundenen Gefühle zuzulassen. Wir können lernen, unsere Trauer und unser Schicksal anzunehmen und belastende Bilder loszulassen. Es liegt in unserem Ermessen, Lebensentwürfe neu zu gestalten und neue Beziehungen zu knüpfen. Dabei müssen wir den Verstorbenen nicht loslassen, wir können uns weiter mit ihm verbunden fühlen und ihm einen neuen Platz in unserem Leben geben.

Nie wieder

Vielleicht haben Sie den Eindruck, dass es Ihnen niemals möglich sein wird, mit dem Verlust leben zu können. »Wie kann ich überhaupt weiterleben?« »Nie wieder werde ich glücklich sein.« Möglicherweise kennen Sie solche Gedanken von sich oder dem Ihnen verbundenen Jugendlichen. Bitte vertrauen Sie darauf, dass es möglich ist. Wir können zum Beispiel die meist negativ gedeutete Tatsache, dass nichts bleibt, wie es war, aus positiver Sicht betrachten. Alles ist im Wandel, alles verändert sich. Somit auch unsere Trauer. Vielleicht können Sie es jetzt noch nicht glauben. Menschen können lernen mit ihrer Trauer zu leben und dabei wieder glücklich zu sein, neue Lebenswege zu gehen und zu einem erfüllten, zufriedenen Leben zu finden. Dabei ist der Verstorbene nicht vergessen und die Trauer nicht verschwunden. Sie gehören zu unserem Leben wie so vieles andere auch.

Die besondere Lebenszeit: die Jugend

Jugendliche sind keine Kinder mehr. Sie haben andere Fragen und Anliegen in ihrer Trauer als Kinder. Die Frage nach einem sachlichen Verständnis von Sterben und Tod steht zum Beispiel nicht mehr so im Vordergrund. Auch wenn es die gleichen Aufgaben in der Trauer sind, mit denen Trauernde, ob jünger oder älter, sich beschäftigen, haben Jugendliche ihrer Entwicklung entsprechende Wünsche und Sorgen sowie ihren eigenen Ausdruck. Dementsprechend sollten wir sie ansprechen und begleiten. In diesem Kapitel wird deshalb beschrieben, mit welchen Entwicklungsaufgaben Jugendliche sich allgemein in der Pubertät beschäftigen. (Ich beziehe Erkenntnisse und Hinweise der Entwicklungspsychologen Rolf Oerter und Leo Montada, 2008, in meine Darstellung ein.) Vor diesem Hintergrund fällt es oft leichter, trauernde Jugendliche zu verstehen und sie zu unterstützen. Missverständnisse und Verurteilungen können eher vermieden werden.

Nicht nur für Jugendliche ist die Pubertät eine anstrengende Lebenszeit. Eltern, Geschwister und nahe Bezugspersonen erleben die körperlichen und seelischen Veränderungen Jugendlicher, die mit Ablösungsprozessen und Konflikten im Alltag einhergehen, oft als sehr belastend und verunsichernd. Die Pubertät ist eine Zeit mit manchmal schmerzhaften Erfahrungen für beide Seiten. Jugendliche verhalten sich häufig ambivalent. Sie rebellieren, möchten sich von den Eltern lösen und brauchen zugleich deren Schutz. Schroffe Antworten und Ablehnung stehen neben dem Bedürfnis nach Nähe und Sicherheit. Die sensible Entwicklungsphase der Pubertät ist für Jugendliche eine von Umbruch und Unsicherheit geprägte Zeit. Entwicklung kann unter zwei Aspekten erlebt werden: einerseits als eine Situation, in der es nötig ist, Bekanntes zu verlassen, als Verlust von Sicherheit, als Risiko, andererseits als Fortschritt mit neuen Möglichkeiten und Freiheiten. Damit sind Abschied und Neubeginn grundsätzliche Themen der Pubertät.

Vorhandene Gewohnheiten und Handlungsmuster verlieren an Bedeutung. So treten Spiele mit Autos oder Barbies in den Hintergrund, Abschiedsküsse der Mutter in der Öffentlichkeit werden peinlich und für den Weg zur Schule wird lieber der Bus als weiterhin das Auto des Vaters gewählt. Kleidungsstil, Musikgeschmack, Essgewohnheiten, das Verhalten gegenüber Bezugspersonen und vieles andere verändern sich. Heranwachsende möchten nicht »kindisch« erscheinen, wollen selbstständig sein, vermissen gleichzeitig aber die »alten Zeiten«. Diese gegensätzlichen Gefühle verwirren. Jugendliche sind zwischen Kind zu sein und erwachsen zu werden hin und her gerissen. Einerseits brauchen sie die sicheren Strukturen und den Schutz ihrer Familie, andererseits möchten sie aufbrechen in neue Welten. Vieles ist im Umbruch und häufig bestehen noch keine entsprechenden Strategien, um mit den neuen Anforderungen zurechtzukommen.

Zudem müssen Heranwachsende lernen, mit den körperlichen Entwicklungen und damit einhergehenden neuen Erfahrungen umzugehen. Dabei erleben sie Gefühle von Scham, aber auch Ängste. So sind Jugendliche emotional auf vielfache Weise gefordert. Sie möchten die Welt entdecken und ihren Platz darin finden, erleben dabei aber oft ein Gefühlschaos. Freude und Leid sind eng miteinander verbunden. »Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt« sind nicht umsonst Begriffe, die in diesem Zusammenhang häufig fallen. Jugendliche erleben die Pubertät als eine Zeit mit intensiven, emotionalen Erlebnissen und Schwankungen. Sie möchten »cool sein, cool bleiben«, das heißt, die Kontrolle über extreme Emotionen behalten. Eine wesentliche Aufgabe in der Pubertät ist es, zu lernen starke Emotionen zu kanalisieren, sich selbst zu beruhigen und Emotionen anderer wahrzunehmen, ohne selbst davon überwältigt zu werden. Die Angst, eigene Gefühle nicht mehr kontrollieren zu können, ist deshalb häufig die Ursache für Rückzug, Ignoranz oder sogar aggressives Verhalten.

Jugendliche sind auf der Suche nach ihrer Identität, eigenen Werten und Lebenszielen. Gesellschaftliche Normen, Werte und Erwartungen an die Rolle als Frau oder Mann beeinflussen diese Suche. Die vielfältigen Aufgaben in der Entwicklung werden von Jugendlichen häufig als starke Belastung empfunden. Verunsicherung, Gefühle von Überforderung und Selbstwertverlust treten darum häufig in dieser Entwicklungsphase auf. Konflikte im persönlichen, familiären oder schulischen Umfeld sind nicht selten. Pubertiert ein Jugendlicher, fordert dies von ihm selbst enorme Kraft und Anstrengung, aber auch die gesamte Familie braucht Geduld und Verständnis. Erfahren Jugendliche und ihre Familie in dieser sensiblen Entwicklungsphase den Verlust eines nahen Menschen, ist leicht zu verstehen, wie unglaublich anstrengend es für alle ist, sich in der durch Verlust und Trauer veränderten Lebenssituation zurechtzufinden und verständnisvoll miteinander umzugehen und zu kommunizieren.

Jugendliche trauern – aber wie?

Zunächst möchte ich mich dem Erleben trauernder Jugendlicher annähern, indem ich den Fragen nachgehe: »Wie wirkt sich die Entwicklungsphase der Pubertät auf die Trauer aus?«, »Wem können Jugendliche ihre Trauer zeigen?«, »Welche Ausdrucksmöglichkeiten finden Jugendliche für sich?« und »Was wünschen sich Jugendliche in ihrer Trauer und was nicht?« Die Antworten, die in diesem Kapitel aufgezeigt werden und die sich allgemein auf das Trauern Jugendlicher beziehen, können Sie dann im Hinblick auf Ihre persönliche Lebenssituation und die des trauernden Jugendlichen ergänzen.

Jugendliche trauern

Jugendliche können nicht von den vielfältigen Auswirkungen, die durch den Tod einer nahestehenden Person entstehen, ferngehalten werden. Für Kinder und Jugendliche jeden Alters ist der Tod eines nahestehenden Menschen ein nicht nur emotional folgenschweres Ereignis. Jugendliche erleben nach dem Verlust zum einen die Veränderungen ihres eigenen Empfindens. Sie nehmen zum anderen darüber hinaus psychische Reaktionen (Trauer, Angst, Verzweiflung, Aggression) und veränderte Verhaltensweisen von Bezugspersonen (zum Beispiel den Verlust an Zuwendung) sensibel wahr und spüren zusätzliche Belastungen (wie Trennungen, einen Umzug, Hobbys, die aufgegeben werden müssen) und Veränderungen (wie die Auflösung verlässlicher Strukturen oder das Zerbrechen familiärer Zukunftsentwürfe) im gewohnten Alltag (zum Beispiel bei der täglichen Versorgung) oft sehr schmerzlich. Die Situation verlangt von allen Familienmitgliedern, das heißt auch von den Jugendlichen, auf vielen Ebenen große Anpassungsleistungen an die neue Lebenssituation. Dieser Prozess ist gerade für junge Menschen enorm anstrengend.

Trauer vor dem Hintergrund der Pubertät

Gerade die sensible Entwicklungsphase der Pubertät macht es Jugendlichen schwer, ihren Weg und einen Ausdruck für ihre Trauer zu finden. Jugendliche drücken ihre Trauer oft anders aus, als Erwachsene es erwarten oder vermuten. Manche Jugendliche verhalten sich in ihrer Trauer ihrer Entwicklung entsprechend und grenzen sich von Bezugspersonen ab. Sie wehren sich gegen Annäherung, lehnen Zuwendung ab und greifen Ansichten ihrer Bezugspersonen an. Sie suchen nach individuellen Ausdrucksformen und möchten keine Verhaltensvorschriften von Erwachsenen. Es ist möglich, dass Jugendliche nach dem Tod eines nahen Menschen keine oder wenig Emotionen zeigen, obwohl sie trauern. Sie wirken »cool«, unnahbar und tun so, als sei nichts geschehen. »Cool zu bleiben« ist nach außen hin zu diesem Zeitpunkt häufig zunächst die einzige Strategie, mit intensiven Gefühlen umzugehen. Andere Jugendliche werden von extremen Gefühlen überwältigt. Zudem erleben Jugendliche, wie auch Erwachsene, starke Stimmungsschwankungen sowie widersprüchliche und intensive Gefühle in der Trauer, die zusätzlich zu den normalen Entwicklungsprozessen und Stimmungen der Pubertät zu Ängsten, Verwirrung und Aggressionen führen können.

Allein auf Grund ihrer Entwicklung befassen Jugendliche sich mit existenziellen Fragen des Lebens: Fragen nach Leben, Sterben, Tod und Lebenssinn. Durch den Tod eines nahestehenden Menschen bekommt diese Auseinandersetzung noch einmal mehr Gewicht und sorgt zugleich für Verunsicherung auf der Suche nach Antworten. Frühere Lösungen werden durch den erlebten Tod plötzlich sinnlos. Mit dem Tod und dadurch mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert, wird die Sinnhaftigkeit des Lebens und vieles andere hinterfragt. Vor dem Hintergrund der Verlusterfahrung eigene tragfähige Antworten zu finden und sich auf neue Erfahrungen einzulassen, kann für Jugendliche eine große Herausforderung sein. Dementsprechend kann ein Verlust bei Jugendlichen eine tiefe Sinn- oder Identitätskrise bewirken sowie autodestruktive Verhaltensweisen oder Suizidgedanken verstärken. Mit seinen gewaltigen Auswirkungen auf die Seele, den Körper und oft auf den Lebensalltag löst der Tod bei Jugendlichen starke Unsicherheit und den Verlust von Selbstvertrauen aus. Damit wird die Suche nach der eigenen Identität, nach Lebenszielen und Werten erschwert. Es fällt schwer, an eine persönliche Zukunft zu glauben, wenn der Tod so schnell alles zerstören kann. Jugendlichen fehlt nach dem Erleben eines schweren Verlusts häufig der Mut, sich auf neue Erfahrungen und Beziehungen, auf Anforderungen und Veränderungen der persönlichen Entwicklung sowie innerhalb und außerhalb der Familie einzulassen. Sie brauchen in ihrer sensiblen Entwicklungsphase viel Zuspruch, um eigene Lebensperspektiven zu entwickeln, eine neue innere Stabilität und Sicherheit zu finden und das Erlebte in die eigene Lebensbiografie zu integrieren.

Mögliche Trauerreaktionen

Der Tod eines geliebten Menschen wirkt sich auf unser ganzes Sein aus. Die Erfahrung, dass dieser Mensch endgültig nicht wiederkommt, wird als grundlegender Einschnitt im Leben jedes Menschen erlebt. Sie überflutet uns mit intensiven, oft bisher nicht gekannten Gefühlen, Gedanken und Fragen. Lebensplanungen und Gewohnheiten müssen aufgegeben, vieles muss neu geordnet werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir erwachsen oder jugendlich sind. Viele Trauernde kommen an ihre physischen und psychischen Grenzen und wissen manchmal nicht mehr, ob sie überhaupt noch genügend Kraft haben, mit all den Veränderungen, die in ihr Leben einbrechen, zurechtzukommen.

Körperliche Reaktionen

Nicht nur die Seele reagiert auf einen schweren Verlust. Auch der Körper antwortet darauf. Kopf- oder Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfung, Übelkeit oder ein anfälliges Immunsystem können Reaktionen auf den Tod eines nahestehenden Menschen sein.

Gefühle und andere Reaktionen

Trauer hat sehr viele unterschiedliche Gesichter. Menschen brechen in ihrer Trauer zusammen, weinen, schreien, sind traurig und verzweifelt. Sehr intensive, wechselnde und widersprüchliche Gefühle gehören zum Trauerprozess. Trauernde erleben Gefühle von Haltlosigkeit, als ob der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Die Reaktionen auf das Schicksal können verwirrend sein. Wut, Aggression, Angst, Albernheit, Lachen, Hass und Schuldgedanken können ebenso dazu gehören wie Schock, Panik, permanente Verdrängung, Niedergeschlagenheit, Ratlosigkeit, Scham, Leere, Enttäuschung, Hilflosigkeit, Schmerz oder auch Gefühle wie Dankbarkeit, Freude, Liebe, Erleichterung. Sätze, die ich in diesem Zusammenhang immer wieder höre, sind: »Ich kenne mich selbst gar nicht wieder«, »Es macht mir Angst, so extreme Gefühle zu haben.« Gewohntes und Vertrautes ist weggebrochen. Vieles zeigt sich plötzlich aus einem anderen Blickwinkel und erschüttert das Selbst- und Weltbild bis ins Tiefste. Selbstsicherheit und das Vertrauen in das Gute, das Positive in der Welt sind häufig verloren. Weil sich durch den Tod so vieles geändert hat, entstehen oft Gefühle von Überforderung und Resignation. Trauernde ziehen sich manchmal aus ihrem sozialen Umfeld zurück, weisen Freunde ab oder geben Hobbys und Lebensträume auf.

Trauernde Jugendliche haben ebenso wie trauernde Erwachsene manchmal verwirrende Wahrnehmungen. Sie glauben, den Verstorbenen gesehen, gehört oder gespürt zu haben. Trauernde fürchten dann, dass sie verrückt würden, weil sie nicht wissen, dass dies normale Reaktionen auf einen Verlust sind. Nicht immer haben Jugendliche den Mut, über verwirrende Erlebnisse oder erschreckende Veränderungen, die sie an sich feststellen, zu sprechen.

Hinweis: Informieren Sie trauernde Jugendliche darüber, dass es körperliche und seelische Trauerreaktionen gibt, die zum Trauerprozess gehören.

Träume

Intensive Träume können eine Reaktion auf einen schweren Verlust sein. Schreckliche oder schöne, tröstliche Träume können auftreten. Träume können wichtige Hinweise für die Trauerarbeit geben.

Hinweis: Fragen Sie Jugendliche nach ihren Träumen. Weisen Sie darauf hin, dass Träume im Zusammenhang mit dem Verstorbenen Ausdruck des Trauerprozesses sind. Es kann eine wertvolle Auskunft sein, dass das Aufschreiben der Träume entlastend und klärend wirken kann.

Fragen

Trauernde Menschen befassen sich mit vielen Fragen und sind auf der Suche nach Antworten. Fragen zum Sinn des eigenen Lebens, zum Ereignis, zu eigener oder fremder Schuld am Geschehen beschäftigen den trauernden Menschen. Viele dieser Fragen können sehr quälend sein und belastende Bilder und Fantasien auslösen. Jugendliche und Erwachsene fragen sich: »Warum gerade er?«, »Warum schon jetzt?«, »Hätte ich das nicht verhindern können?«, »Haben die Ärzte auch alles getan?«, »Warum muss ich das erleben?«, »Wie soll ich je wieder glücklich sein?«, »Was hat mein Leben noch für einen Sinn?« Lebensfreude, Lebenssinn und manchmal auch der Lebenswille gehen durch den Tod eines nahestehenden Menschen verloren. Es erscheint unmöglich, jemals wieder ein erfülltes Leben führen zu können, weil Lebensmut und Perspektiven fehlen.

Trauer verändert das Verständnis, das wir von uns selbst, von unserer Umwelt, gegenüber bestimmten Werten, Normen und Lebensentwürfen hatten. Vieles wird hinterfragt und muss neu definiert werden. Das kostet Kraft und braucht Zeit. Aber: Trauer ermöglicht ebenso, zu einem neuen Selbstverständnis und Lebenskonzept zu finden.

Hinweise: Versuchen Sie nicht, Jugendlichen Antworten auf Fragen zu geben, auf die es keine sachliche Antwort geben kann. Lassen Sie sie ihre eigenen Antworten finden, die sie in ihrem Kummer trösten. Akzeptieren Sie, dass wir alle mit offenen Fragen leben müssen. Bieten Sie eher Halt durch Ihre Anwesenheit, Nähe und Ehrlichkeit. Es tut gut, Anerkennung des Leids zu erfahren. Bestätigen Sie deshalb, dass es schlimm ist, was dem Jugendlichen zugestoßen ist. So hat er das Gefühl, in seinem Kummer ernst genommen und verstanden zu werden.

Jugendliche erwarten meist keine fertigen Antworten und Lösungen. Sie sind daran interessiert, ihre persönliche Weltsicht zu entwickeln. Tauschen Sie sich deshalb mit Jugendlichen zu Warum-Fragen oder Vorstellungen, was nach dem Tod sein wird, aus. Suchen Sie nach gemeinsamen Antworten und erlauben Sie sich unterschiedliche Antworten auf die gleichen Fragen. Sich aus dieser Haltung heraus auf Augenhöhe zu begegnen, verbindet, schafft Vertrauen und ist eine gute Basis für die weitere Beziehung zueinander.

Existenzfragen

Sorgen um die eigene Existenz oder die Angehöriger können Trauernde zusätzlich zum Schmerz des Verlusts belasten. Jugendliche fühlen sich häufig existenziell bedroht und orientierungslos. Sie fragen sich: »Wer wird jetzt den Lebensunterhalt verdienen?«, »Was ist, wenn Mama jetzt auch krank wird?«, »Wann und wie sterbe ich selbst?«, »Wie können wir unseren Lebensstandard erhalten?«, »Kann ich meine Schule, meine Ausbildung oder mein Studium unter diesen Umständen noch beenden?«, »Muss ich jetzt meinen jüngeren Bruder versorgen?«, »Müssen wir umziehen?«

Hinweis: Entlasten Sie den Jugendlichen, indem Sie ihn auf mögliche Unsicherheiten ansprechen und gemeinsam mit ihm realisierbare Lösungen in den Blick nehmen. Informieren Sie sich zu Fragen, auf die es eine sachliche Antwort gibt.

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