Trotzdem - Ferdinand Schirach - E-Book

Trotzdem E-Book

Ferdinand Schirach

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Beschreibung

Das Corona-Virus hat uns an eine Zeitenwende gebracht. Beides ist jetzt möglich, das Strahlende und das Schreckliche.

Ist der aktuelle Shutdown unserer Gesellschaft auch ein Shutdown unserer Grundrechte? Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge gehen der Frage nach, was die Corona-Pandemie für unsere Gesellschaftsordnung und unsere bürgerliche Freiheit bedeutet.

„Niemand hätte sich vor zwei Monaten vorstellen können, dass wir diesen Ausnahmezustand erleben. Es wird heute von manchen behauptet, das sei die Zeit der Exekutive. Aber das ist falsch. Wir leben in Demokratien, wir haben eine Gewaltenteilung. Noch immer muss das Parlament entscheiden, und daran darf sich auch nichts ändern. Noch scheint unsere Demokratie nicht gefährdet. Aber die Dinge können kippen. Autoritäre Strukturen können sich verfestigen, die Menschen gewöhnen sich daran. Erosionen sind langsame Abtragungen, keine plötzlichen Ereignisse.“

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Buch

Ist der aktuelle Shutdown unserer Gesellschaft auch ein Shutdown unserer Grundrechte? Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge gehen der Frage nach, was die Corona-Pandemie für unsere Gesellschaftsordnung und unsere bürgerliche Freiheit bedeutet.

»Niemand hätte sich vor zwei Monaten vorstellen können, dass wir diesen Ausnahmezustand erleben. Es wird heute von manchen behauptet, das sei die Zeit der Exekutive. Aber das ist falsch. Wir leben in Demokratien, wir haben eine Gewaltenteilung. Noch immer muss das Parlament entscheiden, und daran darf sich auch nichts ändern. Noch scheint unsere Demokratie nicht gefährdet. Aber die Dinge können kippen. Autoritäre Strukturen können sich verfestigen, die Menschen gewöhnen sich daran. Erosionen sind langsame Abtragungen, keine plötzlichen Ereignisse.«

Autoren

Ferdinand von Schirach, geboren 1964 in München, Jurist, Dramatiker und Schriftsteller. Er lebt in Berlin. Seine letzten Bücher: »Strafe« und »Kaffee und Zigaretten«.

Alexander Kluge, geboren 1932 in Halberstadt, Jurist, Filmemacher und Schriftsteller. Er lebt in München. Von Alexander Kluge ist zuletzt erschienen das Buch »Russland-Kontainer«.

Von Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge ist bei Luchterhand außerdem erschienen: »Die Herzlichkeit der Vernunft«.

Ferdinand von SchirachAlexander Kluge

TROTZDEM

Luchterhand

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Originalausgabe April 2020

Copyright © 2020 Luchterhand Literaturverlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: buxdesign / Ruth Botzenhardt

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-641-27116-9V001 www.luchterhand-literaturverlag.dewww.facebook.com/luchterhandverlagwww.twitter.com/luchterhandlit

Aschenbach hatte es einmal an wenig sichtbarer Stelle unmittelbar ausgesprochen, daß beinahe alles Große, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, Körperschwäche, Laster, Leidenschaft und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei. Aber das war mehr als eine Bemerkung, es war eine Erfahrung, war geradezu die Formel seines Lebens …

Thomas Mann, »Der Tod in Venedig«

Am 30. März 2020, 19 Tage nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausbreitung eines neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) zu einer Pandemie erklärt hatte, führten Alexander Kluge (München) und Ferdinand von Schirach (Berlin) zwei Gespräche über einen Instant-Messaging-Dienst.

München und Berlin, Montag, der 30.03.2020 – vormittags –

KLUGE

Ein Mann in Wuhan, einer Stadt in der Hubei-Provinz in China, verzehrt ein Schuppentier oder eine Fledermaus. So springt das Virus auf den Menschen über.

SCHIRACH

Vermutlich auf einem »wet market«, also einem »feuchten« oder »nassen Markt«. Das sind traditionelle Märkte, auf denen Tiere frisch geschlachtet werden: Schlangen, Ratten, Schildkröten, Igel, Otter und so weiter. Oder eben auch Schuppentiere. Der Begriff »nasser Markt« kommt übrigens nicht vom Blut oder dem organischen Material, sondern daher, dass der Boden immer nass ist. Die Fische, Vögel und Wildtiere werden mit dünnen Gummischläuchen abgespritzt, damit sie frisch aussehen. Eis, mit dem die Händler ihre Ware kühlen, tropft zu Boden. Wenn dann die Luft warm ist, dampft der Markt fast. Natürlich erhöhen die schlechten hygienischen Bedingungen die Gefahr für die Verbreitung von Krankheiten. Andererseits: Es ist gar nicht sicher, ob das Virus durch den Verzehr eines Tieres übertragen wurde. Die Fledermaus scheidet wohl aus, zwischen ihren Viren und dem heutigen Sars-CoV-2 sollen etwa 1.000 Mutationen liegen. Das Schuppentier ist als Überträger wahrscheinlicher, aber auch das ist nicht sicher. Das Einzige, was man weiß: Die Ursache solcher Ansteckungen liegt fast immer in einer zu großen Nähe des Menschen zum Tier, ganz gleich in welcher Region der Welt. Bei der Schweinegrippe 2009 sprang das Virus vom Schwein auf den Menschen über. Ebenso wohl bei der Spanischen Grippe. Sie hatte ihren Anfang 1918, vermutlich in den USA bei einem Bauern auf dem Land in Kansas. Auch dort wurde der Erreger wahrscheinlich vom Schwein übertragen. Am Ende verursachte das Virus 50 Millionen Tote.

KLUGE

Immer seltener sind an die Elektronenmikroskope, mit denen Wissenschaftler die Viren direkt untersuchen, Fotoapparate angeschlossen. Um ein Virus zu »sehen« oder zu fotografieren, müsste man es zuvor negativ färben. Meist sehen die Forscher sich Querschnitte des Virus an, es sieht dann aus wie eine halbierte Flasche mit winzigen Fransen. »Der Tennisball mit Tulpen«, den wir als Abbild des Corona-Virus im Fernsehen sehen, ist ein Funktionsbild. Nach Angaben von Forschern haben Künstler dieses Modell gemalt. Ein Virus, das dieses Bild im Spiegel »sähe«, würde sich darin nicht wiedererkennen. Tatsächlich bevorzugen die Viren, ähnlich den Kristallen, eine geometrisch robuste Gestalt. Sie entspricht am ehesten dem fünften unter den fünf platonischen Körpern, welche die Idealgebilde der Regelmäßigkeit verkörpern. Ein schwedischer Forscher bezeichnete die Gestalt als Dodekaeder mit winzigen Fransen (keine Tulpen oder Stulpen). Mit zwanzig Ecken, dreißig Kanten, Flächenwinkel 118 Grad. Diese »Idealform« des Virus verliert sich rasch, wenn es Zellmaterial in sich aufnimmt oder mit sich schleppt. Dann sieht es wie ein »Fetzen« aus, unplatonisch.

SCHIRACH

Das Corona-Virus ist in der Lage, mit der Börse umzuspringen. Und es ist klassenlos. Es unterscheidet nicht zwischen den Hautfarben, Geschlechtern, zwischen Alter oder Herkunft und infiziert den Hollywood-Star Tom Hanks oder die Frau des kanadischen Premiers ebenso wie Menschen in Flüchtlingslagern. Reichtum und Macht bieten keinen Schutz vor dem Virus, nur seine Folgen sind ungleich brutaler ohne medizinische Versorgung. Die Armen und Alten sind ihm ausgeliefert, in ärmeren Ländern sterben sie auf Krankenhausfluren und in Behelfslagern. Das Virus zwingt ganze Staaten in die Knie, ob die Regierenden das wollen oder nicht. Manchmal gibt es dabei merkwürdige Zufälle. Am 30. Mai 1918 stirbt ein Deutscher in New York an der Spanischen Grippe. Seine Witwe investiert das Erbe in Grundstücke in Queens. Der Enkel des Deutschen wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten: Donald Trump. Lange glaubt er, das Virus sei ausländisch und deshalb unwichtig. Dann wird auch dort das öffentliche Leben »heruntergefahren«, wie man das heute nennt.

KLUGE

Der Shutdown der Gesellschaft.

SCHIRACH

Es ist auch ein Shutdown unserer Grundrechte. Stellen Sie sich mal vor, lieber Herr Kluge, wir beide wollten gegen die Ausgangsbeschränkung demonstrieren.

KLUGE