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Zwei Häuser, die in miteinander verfeindeten Ländern stehen, sind durch einen geheimen Tunnel unterirdisch verbunden. Als Nika, eine Bürgerin des sozialistisch-autokratisch geführten Landes diesen Tunnel erkundet, entdeckt sie in der Mitte einen mysteriösen, roten Raum, der wie eine Liebeshöhle ausgestattet ist. Als sie schließlich auf den Mann trifft, der dieses Zimmer eingerichtet hat und Bürger des verfeindeten Landes ist, steht Nika vor der Entscheidung, ob sie ihrer Neugier folgen oder den Tunnel den Behörden melden soll. Da ihre Ehe jedoch jeden Reiz verloren hat und in Nika große Sehnsucht schlummert, lässt sie sich auf das Abenteuer ein ...
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Veröffentlichungsjahr: 2018
von
Asia Aquileo
Zwischen zwei Ländern - irgendwo, irgendwann ...
Nika ging nur sehr ungern in den Keller, doch die unhaltbare häusliche Situation trieb sie immer mehr dazu, sich irgendwie abzulenken, und das möglichst weit entfernt von Tiru, der meist in seinem Arbeitszimmer hockte, Berichte schrieb, Rechnungen bearbeitete und das staatliche Fernsehen verfolgte, in dem in endlosen Schleifen der neuen Regierung gehuldigt wurde.
Zu Zeiten des Krieges waren Nika und Tiru ein recht zufriedenes Paar gewesen. Doch nun, zu Beginn einer neuen Epoche, hatte sich alles gesetzt, und man richtete sich ein in einem System, in dem jeder alles bekam was er brauchte, wo keiner den anderen überflügeln konnte oder sich von seinen Mitmenschen abheben sollte. Jede Frau und jeder Mann trug die gleiche Einheitskleidung, einen geschäftsmäßigen, olivgrünen Zweiteiler, und alle trugen die gleiche Haartracht, einen extrem kurzen Bürstenschnitt. Vielfalt war verpönt, und jede Form der persönlichen Entfaltung wurde unterbunden.
Doch endlich herrschte Frieden, und für alle war gesorgt, sowohl für die ehemaligen, tapferen Kämpfer für das Land, als auch für all die Angehörigen der Opfer, für die Versehrten und Mittellosen. Im neuen System brauchte niemand zu hungern und keiner neidete dem anderen irgendwas. So schien es.
Doch Nika, eine gesunde, attraktive Frau von 31 Jahren, beneidete andere Paare, die es viel besser verstanden hatten, sich an den neuen Frieden anzupassen. Entweder folgten sie eifrig der neuen staattlichen Agenda oder schwelgten noch immer in romantischen Phantasien über Erneuerung und Kampf. Nikas Mann hatte sich mit allem abgefunden und sich völlig in die neue Ruhe eingenistet. Er wirkte beinah glücklich in der Ordnung seiner trockenen Verwaltungsarbeit, nahm die seichte Berieselung durch das Staatsfernsehen an und schien keinerlei Sehnsüchte mehr zu hegen. Zuvor schon war er ein kleiner Opportunist gewesen, doch immerhin hatte Nika mit ihm eine sehr innige Intimität geteilt, die man bei all den Unruhen und den Bedrohungen des Krieges auch dringend gebraucht hatte.
Tiru brauchte nun gar nichts mehr. Nika kam es vor, als brauchte er nicht mal sie, höchstens zum Putzen, Wäschewaschen und Kochen. Dabei war es Nikas größter Wunsch gewesen, nach dem Krieg eine Familie zu gründen und mindestens zwei Kinder zu haben.
Doch Tiru rührte sie nicht mehr an.
Nika war sehr wütend auf ihren Gatten, weil er sich völlig abkapselte. Er tat so, als nehme er nichts mehr wahr, was mit menschlichen Gefühlen zu tun hatte. Aus Nikas Sicht entsprang dieses Verhalten der nackten Angst. Und vielleicht war diese Angst durchaus berechtigt, denn die Gesellschaft sah es nicht mehr so gern, wenn man Emotionen zeigte, schon gar nicht wenn man Wünsche veräußerte. Man hatte dankbar zu sein über diesen sehr fragilen Frieden.
Nika ging also in den Keller und begann, ihn auszumisten. Den alten Krempel, den sie wegschmeißen wollte, warf sie auf einen Haufen. Anderes Zeug wie alte Familienfotos, Sportausrüstungen, Werkzeuge oder noch intakte Möbel reinigte sie oder stellte sie zum Überholen separat.
Als Nika die Ostwand des Kellerraumes freiräumte, entdeckte sie etwas, das sie erschaudern ließ. Dort befand sich, mitten in die Wand gehauen, eine verriegelte Pforte, oval und gerade mal so hoch, dass man gebückt hindurchgehen konnte.
Es kursierten viele Gerüchte, nach denen es in manchen Häusern nahe der Grenzmauer Zugänge für Tunnel gab, die auf die andere Seite der Mauer führten, und zwar in den feindlchen Nachbarstaat. Man erzählte sich, dass diese Tunnel immer zwei Häuser miteinander verbanden, sogenannte konspirative Knotenpunkte, um etwaige Flüchtlinge hindurch zu schicken. Nika und viele andere hielten diesen Mythos von den Tunneln für Unsinn. Doch andererseits, wenn man die lange Feindschaft zwischen beiden Ländern bedachte, ergaben sie durchaus Sinn.
Der Nachbarstaat verfolgte eine gänzlich andere Philosphie. Er förderte die Freiheit des Individuums, zelebrierte die Anbetung des Geldes und des Besitzes, und obendrein pflegte man dort eine Mentalität der Gewalt. Im Krieg war dieser Nachbarstaat überaus brutal vorgegangen und hatte viele Menschen der anderen Seite getötet und keine Rücksicht darauf genommen, ob sich Zivilisten darunter befanden. Die Bewohner jenes Staates galten als Barbaren, als herzlose Ungeheuer, die nur Kapital und Vegnügen im Kopf hatten, auch das Vergnügen am Leid anderer. Im Krieg ist ein Viertel der Bewohner von Nikas Heimatland abgeschlachtet worden. Auf der anderen Seite war es weniger als ein Drittel soviel.
Sie betrachtete diese hölzerne Pforte überaus beunruhigt. Und schließlich sah sie, dass dieses morsche Schloss nur locker angehängt war. Man konnte die Pforte einfach öffnen. Im Schock über diese gruselige Entdeckung verstellte sie die Pforte mit einem kleinen, alten Schrank, den sie leicht bewegen konnte, denn er war leer.
Als sie des Abends mit ihrem Mann beim Essen saß und das Fernsehen jede noch so unbedeutende Leistung der Regierung anpries, erzählte sie Tiru nichts von ihrem Fund. Und weil sie diese Pforte nicht aus ihrem Kopf bekam, konnte sie kaum etwas essen.
Solch ein Zugang zu einer gänzlich anderen Welt hatte etwas sehr Beängstigendes, aber genau so viel Attraktivität für die blanke Neugier.
Nie hatte jemand gesehen, wie die Menschen dort drüben wirklich lebten. Das staatliche Fernsehen zeigte immer wieder entsetzliche Bilder von verwahrlosten Menschen, Gewalttaten auf den Straßen oder ausgebrannten Häusern. Doch viele Bürger waren sich klar darüber, dass dies nur die halbe Wahrheit war, denn es konnte nicht von ungefähr kommen, dass in jenem barbarischen Land viele Ideen entwickelt und alle Arten von Kunst zelebriert wurden. Doch, so sagte man, hatten all diese Errungenshcfaften ihren Preis. Man sagte, dass jeder Mensch auf sich gestellt war und jeder den anderen übervorteilen wollte. Außerdem wusste man, dass die Menschen in diesem Land hinter der Mauer ihre Nachbarn für dumm hielten, für einfältig und feige. Nika dachte an genau diese drei Begriffe und dachte, dass alle drei exakt auf Tiru zutrafen. Ihr eigener Ehemann entsprach genau dem Klischee, das die Nachbarn von ihrem Volk in Umlauf setzten.
Nika lag im kleinen Doppelbett neben ihrem Mann, der einen stillen, tiefen Schlaf hatte, so als wäre er bereits tot. Nie schnarchte er und wälzte sich nur sehr selten. Und beim Weckerklingeln stand er jedes Mal kerzengrade und hellwach im Bett.
Wie jeden Morgen beobachtete sie, wie er sich reinigte, anzog, ein butterloses Toast aß und in die Stadtverwaltung fuhr. Immer stand Nika am Fenster und sah seinem Kleinwagen nach, der langsam in der Weite der einsamen Straße immer kleiner wurde.
Tirus und Nikas Haus lag etwas abseits der Siedlung und sehr nah an der großen Mauer, die bei schlechtem Wetter besonders grimmig und einschüchternd aussah. Manchmal im Sommer saßen Vögel darauf und nisteten. Nika schaute auf das fahle Grau der Mauer und dachte, dass irgendwo dahinter ein Pendant ihres Hauses stand, in dem sich der gegenüberliegende Zugang zum Tunnel befand.
Nika ging unter die Dusche. Sie fühlte sich immer ein wenig besser, wenn sie allein war. Der Vormittag gehörte ihr. Und immer öfter zelebrierte sie unter der Dusche eine ausgiebige Masturbation. Manchmal tat sie ihr gut, aber manchmal weinte sie hinterher, weil es aussichtslos schien, dass ihre Sehnsüchte je wieder gehört werden würden. In diesem neuen Staat waren Scheidungen verboten, und Ehebruch wurde hart bestraft, mit Genickschuss. Es kam selten vor, und deshalb hatte es immer eine sehr abschreckende Wirkung, wenn die Nachrichten berichteten, dass wieder einmal ein untreuer Mann oder eine untreue Frau exekutiert worden war.
Allerdings gab es Ausnahmen. Wenn man sich um besondere Leistungen verdient gemacht hatte, konnte man von gewissen Gesetzesauflagen befreit werden. Es konnte vorkommen, dass einem erlaubt wurde, in ein anderes Land zu reisen, wenn auch nicht in des Feindes Land. Oder man konnte bei diversen Vergehen begnadigt werden und die Erlaubnis erhalten, sich vom Ehepartner scheiden zu lassen.
Nika genoss es, alleine und nackt durchs Haus zu gehen, sich ein bisschen an sich selbst zu erfreuen und alte Platten aufzulegen, aus den Zeiten vor dem Krieg, als man noch verschiedene Musikrichtungen hören durfte. Konsumierte man diese Musik heute, war es zwar nicht illegal, wurde aber sehr ungern gesehen, und man musste es heimnlich tun. Zum Glück hatten Nika und Tiru keine direkten Nachbarn, also konnte sie das Absspielgerät so laut aufdrehen wie sie wollte.
Doch bevor ihr Mann zur späten Mittagszeit heimkommen würde, wollte sie unbedingt noch einmal in den Keller.
Sie schob den leichten Schrank beiseite und besah sich das Schloss an der Pforte genauer. Man konnte es einfach abnehmen, und das tat Nika, obwohl sie sich dafür verfluchte.
Sie musste ein bisschen Kraft aufwenden, um eine der Türhälften zu öffnen, aber sie schaffte es. Ein kühler Wind blies ihr entgegen. Und tiefschwarze Dunkelheit starrte ihr entgegen.
Es gab hier irgendwo im Keller eine Taschenlampe. Als sie sie gefunden hatte, leuchtete sie in den Tunnel hinein. Er war sauber mit Backsteinen ausgebaut, sehr fachmännisch. Das war erstaunlich und zeugte von genauester Organisation. Nicht auszudenken, wenn alle diese Tunnel so aussahen.
Nun wusste Nika, dass sie nicht einfach wieder die Tür schließen konnte. Ihre Neugier zwang sie regelrecht, hinein zu gehen.
Nach ein paar Metern echoten ihre Schritte von den Wänden wider. Sie musste leicht gebückt gehen. Nika war für eine Frau recht groß, etwas über 1,70m, aber viele Männer waren deutlich größer. Sie müssten sich noch viel mehr bücken. Nika wurde etwas nervös, als sie hinter sich blickte und sah, dass der Eingang schon über 20 Meter zurücklag. Bald würde sie die Stelle erreichen, die direkt unter der großen Mauer lag. Die Tachenlampe gab nun endlich eine Ahnung vom Ende des Tunnels preis. Denn irgendwo da hinten befand sich eine zweite Tür. Aber bis dorthin war es noch anderthalb mal so lang wie der Weg, den sie bis jetzt zurückgelegt hatte. Aus irgendeinem Grund hatte sie plötzlich eine Art olfaktorische Wahrnehmung. Sie roch so etwas wie Blumen, oder etwas, das mit Blumenduft bestäubt worden war. Das beunruhigte sie sehr, denn sie hatte davon gehört, dass sich die Bewohner des feindlichen Landes gerne mit diversen Düften benetzten, um ihren wahren Körpergeruch zu überlagern oder somit das andere Geschlecht anzulocken. Da dieser Blumenduft nun sehr deutlich in ihre Nase eindrang, befürchtete sie, dass sich hinter der Pforte am anderen Ende Menschen des feindlichen Landes befanden.
Nika hatte eine Idee. Wenn sie beweisen konnte, dass dieser Tunnel tatsächlich nach drüben führte, konnte sie es melden. Man würde dann kommen und den Tunnel zuschütten, und Nika würde eine Belohnung erhalten. Sie wusste, dass solch eine Entdeckung in einen sehr sensiblen Bereich des Staatsschutzes fiel, und man würde sich ungeheuer dankbar erweisen. Vielleicht würde Nika dann erlaubt werden, sich von Tiru scheiden zu lassen …
Sie beeilte sich. Die andere Pforte war nicht mehr weit entfernt. Aber nun musste sie leise sein, überaus vorsichtig, denn hinter dieser Pforte konnten böse Überraschungen auf sie warten.
Schließlich, mit bebendem Atem und leichtem Zittern, stand sie vor der Pforte. Sie versuchte, durch eventuelle Spalten im Holz irgendetwas davon auszumachen, was dahinter lag, doch sie hatte lediglich den Eindruck eines rötlichen Schimmers. Der Blumenduft war hier besonders intensiv. Nika hielt den Atem an und horchte an der Tür. Es war absolut still. Und schließlich drückte sie sich dagegen, aber zunächst ganz vorsichtig. Bei einem erneuten Rucken konnte sie spüren, dass irgendwas vor der Tür stand, vielleicht ein kleiner Schrank oder eine Kommode, und dieses Etwas schien nachzugeben, wenn Nika gegen die Tür drückte.
Egal, dachte sie, ich muss es wissen …
Sie stieß mit einem kräftigen Stoß die Tür auf und hörte bereits, wie dieses Etwas, tatsächlich eine kleine Kommode, umfiel. Und der Anblick, der sich ihr nun bot, verschlug ihr den Atem.
Die Verblüffung war überwältigend.
Nika stand in einem roten Raum. Die Wände, die Decke und der Boden waren mit einem dunkelroten Teppich ausgelegt und beschlagen. An der linken Wand stand ein großes Bett, aber fast ohne Beine, so als läge die riesige Matratze direkt auf dem Boden. Und was ihr als nächstes auffiel, war eine männliche Figur, wie eine Statue, die in die Wand eingelassen war, als würde jemand aus der Wand herauswachsen. Auch diese Figur war tiefrot. An der gegenüberliegenden Wand sah sie nun auch ein weibliches Pendant aus der Wand ragen. Beide Körper waren nackt und hatten die Arme leicht ausgebreitet. Das Geschlecht der männlichen Figur ragte auf obszöne Weise steil empor. Außerdem sah Nika Nachttische, einen kleinen Schrank und eine Art Minibar.
Und es roch hier sehr stark nach diesen Blumen.