Tyr der Göttervater - Harry Eilenstein - E-Book

Tyr der Göttervater E-Book

Harry Eilenstein

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Beschreibung

Die Reihe Die achtzigbändige Reihe 'Die Götter der Germanen' stellt die Gottheiten und jeden Aspekt der Religion der Germanen anhand der schriftlichen Überlieferung und der archäologischen Funde detailliert dar. Dabei werden zu jeder Gottheit und zu jedem Thema außer den germanischen Quellen auch die Zusammenhänge zu den anderen indogermanischen Religionen dargestellt und, wenn möglich, deren Wurzeln in der Jungsteinzeit und Altsteinzeit. Daneben werden auch jeweils Möglichkeiten gezeigt, was eine solche alte Religion für die heutige Zeit bedeuten kann - schließlich ist eine Religion zu einem großen Teil stets der Versuch, die Welt und die Möglichkeit der Menschen in ihr zu beschreiben. Das Buch Tyr ist der ursprüngliche Göttervater der Germanen gewesen, der dem keltischen Dagda, dem römischen Jupiter, dem griechischen Zeus, dem hethitischen Shiun usw. entspricht, die alle von dem indogermanischen Sonnengott-Göttervater Dhyaus abstammen. Um ca. 500 n.Chr. ist Tyr von Odin als Göttervater abgesetzt worden. Dabei sind die Mythen des Tyr zerfallen und ihre Einzelteile umgedeutet und in neue Mythen eingebaut worden. Daher steht man heute in Bezug auf Tyr sozusagen vor einem 1000-Teile-Puzzle, dessen Teile in der gesamten germanischen Überlieferung weit zerstreut sind. Die früheren Mythen des Tyr lassen sich jedoch weitgehend rekonstruieren, sodass er wieder als Sonnengott, Sommergott, Göttervater, Schwertgott und noch einiges mehr sichtbar wird.

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Bücher von Harry Eilenstein

Astrologie

Astrologie (496 S.)Photo-Astrologie (428 S.)Horoskop und Seele (120 S.)

Magie

Handbuch für Zauberlehrlinge (408 S.)Tarot (104 S.)Physik und Magie (184 S.)Die Magie-Formel (156 S.)Krafttiere – Tiergöttinnen – Tiertänze (112 S.)Schwitzhütten (524 S.)

Meditation

Der Lebenskraftkörper (230 S.)Die Chakren (100 S.)Das Chakren-System mit den Nebenchakren (296 S.)Meditation (140 S.)Drachenfeuer (124 S.)Reinkarnation (156 S.)

Kabbala

Kursus der praktischen Kabbala (150 S.)Eltern der Erde (450 S.)Blüten des Lebensbaumes:
Die Struktur des kabbalistischen Lebensbaumes (370 S.)Der kabbalistische Lebensbaum als Forschungshilfsmittel (580 S.)Der kabbalistische Lebensbaum als spirituelle Landkarte (520 S.)

Religion allgemein

Muttergöttin und Schamanen (168 S.)Göbekli Tepe (472 S.)Totempfähle (440 S.)Christus (60 S.)Dakini (80 S.)Vajra (76 S.)

Ägypten

Hathor und Re 1: Götter und Mythen im Alten Ägypten (432 S.)Hathor und Re 2: Die altägyptische Religion – Ursprünge, Kult und Magie (396 S.)Isis (508 S.)

Indogermanen

Die Entwicklung der indogermanischen Religionen (700 S.)Wurzeln und Zweige der indogermanischen Religion (224 S.)

Germanen

Die Götter der Germanen (Band 1 – 80)Odin (300 S.)

Kelten

Cernunnos (690 S.)Der Kessel von Gundestrup (220 S.)Der Chiemsee-Kessel (76)

Psychologie

Über die Freude (100 S.)Das Geheimnis des inneren Friedens (252 S.)Das Beziehungsmandala (52 S.)Liebe und Eigenständigkeit (S.)Gefühle und ihre Verwandlungen (440 S.)einsgerichtet (140 S.)Liebe und Eigenständigkeit (216 S.)Von innerer Fülle zu äußerem Gedeihen (52 S.)Die Symbolik der Krankheiten (76 S.)

Kunst

Herz des Tanzes – Tanz des Herzens (160 S.)

Drama

König Athelstan (104 S.)

für Tyr

Danke!

Inhaltsverzeichnis

Tyr in der germanischen Überlieferung

Der Name „Tyr“

Der Wortschatz „Tyr“

„jörmung“ und „fimbul“

a) „jörmun“ und „fimbul“

b) Jakob Grimm: Deutsche Mythologie

c) Zusammenfassung

Der Ase Tyr in den Schriften der Römer

a) Tacitus: Germania

b) Tacitus: Germania

c) Tacitus: Historiae

d) Tacitus

e) „Dienstag“

f) Steinaltar von Housesteads

g) Procopius

h) Jordanes

i) Zusammenfassung

Der Ase Tyr in den Schriften der Germanen

a) Historia Regum Britanniae

b) Asen-Heitis

c) Des Hohen Lied

d) Odins Rabenzauber

e) Grimnir-Lied

f) Die Vision der Seherin

g) Skaldskaparmal

h) Atli-Saga

i) Die Hakon-Saga

j) Völsungen-Saga

k) Der Brakteat von Austad

l) Die Zauberformel „salusalu“

m) Das Medaillon von Svarteborg

n) Das Amulett von Lindholmen

o) Die Fibel von Nordendorf

p) Der Schädel von Ribe

q) Der Runenstein von Ledberg

r) Bronzeplatte von Galsted

s) Der Runenstein von Einang

t) Thorsdrapa

u) Grimnir-Lied

v) Zauberspruch von Canterbury

w) Galdrabok

x) Zusammenfassung

Die Rune „Tyr“

a) Die Tyr-Rune

b) Odins Runenlied: die Rune „Tyr“

c) Sigrdrifa-Lied

d) Odins Runenlied: die Rune „Man“

e) Norwegisches Runengedicht

f) Isländisches Runengedicht

g) Angelsächsisches Runengedicht

h) Die zu den Mythen des Tyr gehörende Runen

i) Angelsächsische Graburnen

j) Die Vision der Seherin

k) Sigdrifa-Lied

l) Das Lied des Rigr

m) Brakteat von Seeland

n) Zitat aus der Edda

o) Zusammenfassung

Tyr der Einarmige

a) Skaldskaparmal

b) Gylfis Vision

c) Lokasenna

d) Skaldskaparmal

e) Odins Rabenzauber

f) Gylfis Vision

g) Gylfis Vision

h) Die Saga über Halfdan Eysteinn-Sohn

i) Zusammenfassung

Der Schwertgott Tyr

a) Die Hervor-Saga

b) Die Huldar-Saga

c) Die Grettir-Saga

d) Die Saga über Hromund Greipsson

e) Die Saga über Gunnlaug Schlangenzunge

f) Die Saga über Gunnlaug Schlangenzunge

g) Die Saga über Asmund Berserker-Töter

h) Die Saga über die Leute vom Lachstal

j) Die Gisli-Saga

k) Die Saga über Egil Skallagrimson

l) Die Cormac-Saga

m) Die Thorda-Saga

n) Die Horvard-Saga

o) Die Saga über An Bogen-Bieger

p) Die Saga über Thorstein Vikingsson

q) Die Völsungen-Saga

r) Das Nibelungen-Lied

s) Die Gesta danorum des Saxo grammaticus

t) Das Beowulf-Epos

u) Die Saga über König Hrolf Kraki und seine Berserker

v) Kormak-Saga

w) Saga über Egil Skallagrimsson

x) Das Opfermoor von Oberdorla

y) Zusammenfassung

Tyr und die Sonne

a) Die germanischen Felsritzungen

b) Der Sonnenwagen von Trundholm

c) Das Fürstengrab von Kivik

d) Gylfis Vision

e) Gylfis Vision

f) Skaldskaparmal

g) Lokasenna

h) Skaldskaparmal

i) Gylfis Vision

j) Skaldskaparmal

k) Gylfis Vision

l) Skaldskaparmal

m) Skaldskaparmal

n) Die Schilde der Germanen

o) Gylfis Vision

p) Skirnir-Lied

q) Gylfis Vision

t) Sigdrifa-Lied

u) Fjölswin-Lied

w) Gylfis Vision

x) Sonnenlied

y) Gylfis Vision

z) Der Ausspruch der Seherin

aa) Der Name „Heid“

ab) Isländer-Buch

ac) Brakteaten

ad) Völuspa

ae) Zusammenfassung

Der Adler-Seelenvogel des Tyr

a) Thiazi

b) Hraesvelgr

c) Odin

d) Adler auf den Runensteinen

e) Zusammenfassung

Der Tyr-Drache

a) Der Bildstein von Austers

b) Der Bildstein von Bro Kyrka

c) Der Bildstein von Bro Kyrka

d) Der Bildstein von Havor

e) Der Bildstein von Sanda

f) Der Bildstein von Gotland 1

g) Der Bildstein von Gotland 2

h) Der Bildstein von Uppland

i) Der Bildstein von Sandegard

j) Das Schnitzwerk von Hylestad

k) Der Runenstein von Gök

l) Der Runenstein von Ramsundberg

m) Der Runenstein von Drävle

n) Der Runenstein von Aspö

o) Der Runenstein von Lingsbö

p) Der Runenstein von Norumfunten

q) Der Runenstein von Ardre

r) Drachen auf den Brakteaten

s) Drachenfibeln

t) Waffen aus der Vendelzeit

g) Zusammenfassung

Tyr und der Sonnenhirsch

a) Die beiden Alcis

b) Das Sonnenlied

c) Die Huldar-Saga

d) Hirsche auf archäologischen Funden

e) Zusammenfassung

Tyr und der Sonnen-Eber

Tyr und der Hengst

Tyr und der Widder

Tyr und der Stier

Tyr und der Ziegenbock

Tyr und das Julfest

a) Heimskringla

b) Zusammenfassung

der junge, wiedergeborene Tyr

a) Sigdrifa-Lied

b) Die Geschichte über Norna-Gest

c) Grimnir-Lied

e) Hymir-Lied

f) Gylfis Vision

g) Sigurd

h) Zusammenfassung

Der Tempel des Tyr

a) Der Tempel von Tissö

b) Landnahme-Buch

c) Zusammenfassung

Die Priester des Tyr

Tyr auf den Runensteinen

a) Der Runenstein von Lärbrø (Bunge)

b) Das Hrungnir-Herz auf den Runensteinen

c) Der Ring Draupnir auf den Runensteinen

d) Der Runenstein von Tängelgärda

e) Zusammenfassung

Die „Totempfähle“ des Tyr

a) Ragnar-Saga

b) Der Runenstein von Kjule

c) Der Pfeiler in der Stabkirche von Gol

d) Der Pfeiler aus der Stabkirche von Tönjum

e) Die Stabkirche von Vang

f) Die Stabkirche von Garmo

g) Die Stabkriche von Ghurum

h) Zwei Tyr-Gesichter

i) Das Tor von Numedal

j) Ein Goten-Stab

k) Der Thron-Stuhl von Dänemark

l) Das Gesicht des Gottes

m) Das Gesicht auf den „Kleeblättern“

n) Statuetten und Reliefs des Gottes Tyr

o) Germanische Goldbrakteaten

p) Zusammenfassung

Tyr und Heimdall

a) Hyndla-Lied

b) Sigdrifa-Lied

c) Zusammenfassung

Tyr und Saxnot

a) Sächsisches Taufgelöbnis

b) Zusammenfassung

Tyr und Baldur

Tyr und Wali

Tyr und Widar

Tyr und Delling/Dag

Tyr und Svipdag

Tyr und Ullr

Tyr und Ägir

Tyr und Hler/Gymir

Tyr und Njörd

Tyr und Freyr

Tyr und Hödur

Tyr und Bragi

Tyr und Forseti

Tyr und Mannus

Tyr und Tuisto

Tyr und Fiölnir

Tyr und Sceaf

Tyr und Hildolf

Tyr und Itreksjod

Tyr und Loricus

Tyr und Thiazi

a) Skaldskaparmal

b) Zusammenfassung

Tyr und Wieland

Tyr und Hymir/Ymir

a) Das Hymir-Lied

b) Germanische Kessel

c) Zusammenfassung

Tyr der Riesenkönig

Tyr der Zwergenkönig

Tyr-Helden

Tyr-Könige

Die „Tyr“-Göttin

Die Sippe des Tyr

Die Goldhörner von Gallehus

a) Das kleinere Horn von Gallehus

b) Zusammenfassung

Die berühmte Vision des Bölthorn

a) Die Vision des Böthorn im Havamal

b) Die fünfzehnte Strophe des Runenliedes des Odin

c) Die Sonnen-Hymne im Sigdrifa-Lied

d) Die Runen

e) Odins Runenlied

f) Die Menglöd-Strophen im Havamal

g) Die Goldhörner von Gallehus

h) Das Sonnenlied

i) Das Zauberlied der Groa

j) Die Krönungs-Formel

k) Der Sonnengott-Göttervater Tyr

l) Zusammenfassung

Tyr-Kenningar

a) Kenningar

b) Zusammenfassung

„Tyr“ in Ortsnamen

„Tyr“ in Personennamen

„Tyr“ in Wochentagsnamen

„Tyr“ in Pflanzennamen

Die Verteilung der Beute nach dem Sturz des Tyr

a) Die Herrschaft in Asgard

b) Der Kult des Göttervaters

c) Der goldene Tempel

d) Die Säule des Tempels

e) Der Weltenbaum

f) Der Ritual-Kessel

g) Der Ritual-Met

h) Asgard

i) Das magische Sonnen-Schwert

j) Der Sonnen-Schild

k) Der Goldhelm

l) Der magische Goldring

m) Das Goldhorn

n) Die goldenen Zähne

o) Der Streitwagen

p) Die Schmiedekunst

q) Der Wetzstein

r) Der Unsichtbarkeits-Umhang

s) Der Königsmacher

t) Die Wunde

u) Die Göttin Frigg

v) Die Göttin Freya

w) Die Göttin Idun

x) Die Göttin Thrudr

y) Die Göttin Sif

z) Die beiden Pferde-Söhne des Tyr

aa) Der Adler

ab) Die beiden Raben

ac) Die beiden Wölfe

ad) Der Große Wolf

ae) Die beiden Rosse

af) Die drei Brüder

ag) Der Titel „Himmelskönig“

ah) Der Name „Tyr“

ai) Die Allwissenheit

aj) Die Sonne

ak) Der Mond

al) Die Jahreszeiten

am) Die beiden Blutsbrüder

an) Göttervater und Donnergott

ao) Zusammenfassung

ap) Die Mythen des Tyr

Jakob Grimm: Deutsche Mythologie

Zusammenfassung

Der Gott Tyr bei den Indogermanen

Tyr, der einarmige Schwertgott

a) Kelten

b) Römer

c) Etrusker

d) Germanen

e) Slawen

f) Balten

g) Hethiter

h) Skythen

i) Narten

j) Griechen

k) Griechen und Römer

k) Inder

l) Indogermanen

Tyr der Schmied

Tyr und der Wolf

Der Göttermet

Die Feuer des Sonnengottes

Tyr der Sonnengott

Der Sonnenhirsch des Tyr

Tyr der Göttervater

Tyr-Vater und Helden-Sohn

Der Adler des Göttervaters

Tyr und der Drache

Tyr der Königs-Vater

Tyr und Ymir bei den Indogermanen

Zusammenfassung

Mysterienkulte
Die Wurzeln des Tyr in der Jungsteinzeit
Die Wurzeln des Tyr in der Altsteinzeit
Der verletzte Gott
Die morgendliche Anrufung der Sonne

Germanen: Edda

Inder: Rig-Veda

Perser: Avesta

Hethiter: Ritualtexte

Griechen/Thraker/Römer: orphische Hymne an die Sonne

Kelten: Mabinogion

Das Aussehen des Gottes Tyr
Der Gott Tyr in der Fantasy-Literatur
Die Biographie des Gottes Tyr
Meditationen und Rituale
Hymnen an Tyr

Anrufung des Tyr

An Tyr

Tyrs Hymne an sich selber

Traumreisen zu dem Gott Tyr

Erste Traumreise zu Tyr

Zweite Traumreise zu Tyr

Dritte Traumreise zu Tyr

Der Gott Tyr heute

Themenverzeichnis

I Tyr in der germanischen Überlieferung

Die Überlieferung der Vorstellungen der Germanen über den Gott Tyr hat einige Besonderheiten, die dadurch entstanden sind, daß Tyr um ca. 500 n.Chr. als nordgermanischer Göttervater von Odin abgesetzt worden ist.

Dabei sind die alten, Tyr-zentrierten Mythen von der damaligen Priesterschaft verdrängt worden, wozu sie diese alten Mythen in ihre Einzelteile zerlegt haben und diese einzelnen Elemente dann in die neuen, Odin-zentrierten Mythen eingebaut haben. Dabei sind sie oft umgedeutet und „zweckentfremdet“ worden.

Gleichzeitig sind auch viele der früheren Beinamen und Titel des Tyr auf Odin übertragen worden.

Weiterhin ist der Aufbau der Tyr-Mythen in den Bereich der Sage verschoben worden, sodaß sich die frühere Dynamik der Tyr-Mythen anschließend in den Lebensläufen von Helden und Königen wiedergefunden hat.

Schließlich sind die Funktionen des Tyr in den früheren Mythen umgedeutet und verdrängt worden, d.h. aus dem „guten Göttervater Tyr“ ist der „böse Riesenkönig Tyr“ geworden. Manchmal sind dabei auch zwei Elemente aus den Tyr-Mythen gegeneinander gestellt worden, damit sie sich gegenseitig neutralisieren – „teile und herrsche“, wie die Römer zu sagen pflegten …

Man steht also in Bezug auf den Gott Tyr in der germanischen Überlieferung vor einem riesigen Puzzle, das sich in alle Bereiche der Überlieferung hinein verzweigt – es gibt kaum ein Thema, in dem sich nicht Spuren des früheren Göttervaters Tyr wiederfinden lassen.

Dadurch ist Tyr die germanische Gottheit, die man als letztes in ihrer ganzen Vielfalt und ihrer komplexen Geschichte erfassen kann. Im Grunde ist dafür die Kenntnis der gesamten Mythologie und aller Themen notwendig. Daher finden sich in dieser Darstellung des Gottes Tyr sehr viele Hinweise auf andere Bände aus dieser Reihe, in der ein Thema, das für die ehemaligen Tyr-Mythen wichtig gewesen ist, ausführlich betrachtet wird.

Dieser Band über den Gott Tyr ist also noch stärker als die anderen Bände über die einzelnen Gottheit vor allem ein „roter Faden“, der viele Verbindungen zu den anderen Göttern, Mythen und Themen in den anderen Bänden dieser Reihe hat. Da Tyr bis 500 n.Chr. der Göttervater der Nordgermanen und bis ca. 500 v.Chr. auch der Göttervater der Südgermanen gewesen ist, ist er ein prägendes Element in den früheren Mythen gewesen.

In den neuen Mythen, die schriftlich überliefert worden sind, finden sich die Bruchstücke der alten Tyr-Mythen an tausend verschiedenen Stellen wieder. Daher ist der vorliegende Band auch ein großes Puzzle-Spiel mit tausend Teilen, dessen Gesamtbild erst deutlich wird, wenn man alle seine Teile wieder zusammengefügt hat …

I 1. Der Name „Tyr“

Der Name „Tyr“ stammt von dem indogermanischen Sonnengott-Göttervater „Dhyaus“ ab, dessen Name „Strahlender“ bedeutet und ursprünglich die Sonne bezeichnet hat. Er wurde als der Vater der Götter angesehen und in dieser Funktion „Dhyaus-pater“ genannt.

Der Name „Dhyaus“ ist wie das Wort „dye“ für „Tag“ (lateinisch: „dies“) eine Ableitung von dem indogermanischen Verb „dei“ für „scheinen“. Dhyaus ist somit der „leuchtende Gott des Tages“. Ein solcher Name kann nur zu einem Sonnengott oder zu einem sehr eng mit der Sonne verbundenen Gott passen.

Diese Herkunft des Namens „Tyr“ bestätigt die Deutung des Gottes Tyr, die sich aus den Texten der Edda ergeben hat. Fast alle „Dhyaus“-Götter waren bei den Indogermanen die Götterväter, deren Ursprung als Sonnengott teilweise noch erkennbar ist.

Der Name „Dhyaus“ (mittlere Spalte in der folgenden Tabelle) wurde oft mit dem Wort „pater“ für „Vater“ zu „Vater Sonne“ (linke Spalte in der Tabelle) oder zu „Sonnenvater“ (rechte Spalte in der Tabelle) verbunden.

Der indogermanische „Dhyaus“-Göttervater

Volk

Name

Vater-

-Sonne-

-Vater

Indogermanen

Dhyaus-

-pater

Inder

Deva

Dyauh-

-pita

Griechen

Zeus

Zeus-

-pater

Illyrer

Dei-

-patyros

Thraker

Saba-

-zius

Skythen

Papaios

Phrygier

Tios, Deos

Papas

Hethiter

Shiun

Palaier

Tiyaz

Luwier

Tiwat

Litauer

Dievas

Römer

Divus

Dies-

-pater

Ju-

-piter

Kelten

Dag- („gut“)

-da

Nua- („Wasser“)

-da

Urgermanen

Teiwaz, Tiwaz

altnordisch

Tyr

Tivar („Götter“)

altenglisch

Tiu, Tig

althochdeutsch

Ziu, Tiu, Tiuz, Cyo

Goten

Teiws

Schweden

Tys, Ti

Der Gottesname „Tyr“ hat sich innerhalb des indogermanischen Stammbaumes wie in der folgenden Tabelle dargestellt entwickelt. In ihr sind der Übersichtlichkeit halber nur die indogermanischen Stämme aufgeführt, von denen eine Form des Namens „Dhyaus“ bekannt ist.

Die Namen „Vater Sonne“ und „Sonnenvater“ sind in der Übersicht kursiv geschrieben.

Das indogermanische Wort „deiu“, von dem sich der Name „Dhyaus“ des Göttervaters ableitet, stammt von dem nostratischen Wort „dwujwu“ für „Tag, scheinen“ ab. Als „Nostratisch“ („unsere Sprache“) wird die rekonstruierte Sprache der Jäger und Bauern in der frühen Jungsteinzeit in Mesopotamien bezeichnet, die dort von ungefähr 10.000-7000 v.Chr. gelebt haben.

Dieses Wort stammt wiederum von dem Wort „tuwu“ für „Licht, Tag“ aus dem Borealischen („Nordsprache“) der Rentierjäger der späten Eiszeit/Altsteinzeit ab.

Sowohl das nostratische Wort „dwujwu“ als auch das borealische Wort „tuwu“ werden eng mit der Sonne assoziiert gewesen sein.

I 2. Der Wortschatz „Tyr“

Nach seiner Absetzung als Göttervater um 500 n.Chr. durch Odin und Thor ist „Tyr“ zu einer allgemeinen Bezeichnung für „Gott“ geworden:

I 3. „jörmun“ und „fimbul“

I 3. a) „jörmun“ und „fimbul“

Die beiden Adjektive „jörmun/erman“ und „fimbul“ treten nur im Zusammenhang mit Begriffen auf, die ein Teil des mythologischen Weltbildes vor der Völkerwanderungszeit (375-568 n.Chr.) gewesen sind.

Das Adjektiv „jörmun“ bedeutet stets „groß, mächtig“. Es hat den Anschein, als ob die Elemente der Mythen zur Unterscheidung von den Dingen des Alltags alle als „groß“ bezeichnet worden wären – die Mythen waren das Urbild und die Quelle der Dinge im Alltag.

Die Version „Irmin“ für „Jörmun“ ist auch der Name eines Gottes gewesen, der bereits von Tacitus um 100 n.Chr. unter dem Namen „Hermin“ als einer der drei Söhne des Urgottes Mannus genannt wird. Irmin ist mit dem Adler, der Irminsäule, dem Kampf und der Sonne assoziiert worden und er wurde von den Christen dem Mars gleichgesetzt – Hermin/Irmin ist also deutlich als der Göttervater Tyr erkennbar.

„Fimbul“ ist ein altnordisches Adjektiv, das z.T. einfach als Superlativ benutzt wurde und dann ebenfalls die unscharfe Bedeutung „groß, mächtig“ hat. Das germanische Substantiv „femfila, fembula“ bedeutet „Riese“. Dem liegt das indogermanische Wort „bamb“ für „anschwellen, sich öffnen, Knospe, Knolle“ zugrunde. Ein „fimbul“ ist also etwas, das groß geworden ist. Im Altnordischen hatte das Adjektiv/Substantiv „fimbul“ möglicherweise auch den Beiklang von „Magie, zauberkundig“.

Die mit „fimbul“ und „jörmun, hermin, ermin, irmin“ gebildeten Begriffe und Personennamen ergeben eine recht vollständige Darstellung der Elemente der ehemaligen Tyr-Mythen:

Die mit „jörmun“ und „fimbul“ gebildeten Worte in dieser Liste zeigen, daß „jörmun“ einfach die Bedeutung „groß“ gehabt zu haben scheint, während „fimbul“ sich anscheinend stärker auf den zyklischen Tod des Tyr zum Winterbeginn, den Kult und die Magie bezogen hat. „Jörmun“ ist somit eher statisch und „fimbul“ eher dynamisch.

Aus der Liste der Substantiv-Kombinationen mit „jörmun“ und „fimbul“ ergibt sich folgendes rekonstruiertes Weltbild für die Zeit vor 500 n.Chr.:

In der Mitte der „Großen Erde“ (Jörmun-grund) steht die „Große Säule“ (Irmin-sul), die die Menschen mit den Göttern verbindet.

Rings um die „Große Erde“ liegt im Weltmeer (evtl. Irmin-Gymir?) wie ein Gürtel die Riesenschlange „Großer-Gürtel“ (Jörmun-gandr).

Der „Große Tyr“ (Fimbul-Tyr) ist der „Mächtige König“ (Jörmun-rek) der Götter und Menschen – er ist der „Mächtige“ (Jörmun). Er wird als Sonne „Mächtiges Licht“ (Erman-berth) und „Mächtiger Goldener“ (Ermene-gild) genannt. Die Verbindung des Tyr zu der Sonne ist dadurch entstanden, daß Tyr in jedem „Großen Winter“ (Fimbulvetr) wie die Sonne „stirbt“.

Um dem Tyr seine Wiederzeugung zusammen mit der Göttin, die den Namen „Große Beschützerin“ (Irmin-gard) trägt, zu ermöglichen, wird ihm ein „Stier“ (Jörmuni) oder ein „Hengst“ (Jörmuni) geopfert, dessen Zeugungskraft magisch auf ihn übertragen wird. „Jörmuni“ könnte auch seine beiden Pferde-Söhne („Alcis“) bezeichnet haben, die auch als Hengste oder Stiere erscheinen konnten (und als Wölfe und Raben).

Durch seine Kenntnis des Diesseits und des Jenseits ist Tyr der „Große Weise“ (Fimbul-thulr) geworden, der alle „Großen Zauberlieder“ (Fimbul-ljod) kennt und daher auch der oberste Kult-Herr ist. Er ist der „Mächtige Alte“ (Ermen-eldes), dem man vertrauen kann.

Tyr ist für die Menschen ein „Mächtiger Freund“ (Irmin-fried).

Tyr besitzt in seinem Schwert eine „Mächtige Waffe“ (Erm-vipa) und er ist der „Mächtige Kämpfer“ (Erme-gundis) und der „Berühmte Kämpfer“ (Irmin-mar). Er ist als Gott der Wolfs-Krieger („Ulfhedinn“) selber der „Mächtige Wolf“ (Erm-ulf), der dem Namen „Fenrir“ trug, und er ist auch der „Große Mutige“ (Ermun-duri).

I 3. b) Jakob Grimm: Deutsche Mythologie

Und Dietmar von Merseburg erzählt noch bei gelegenheit späterer begebenheiten: „sed exercitus capta urbe (Eresburch) ingressus juvenem praefatum usque in ecclesiam sankt Petri, ubi prius ab antiquis Irminsul colebatur, bello defatigatum depulit.“

Irminsûl heißt also in allen diesen stellen, ganz nach den im vierten capitel entwickelten übergängen der bedeutung, bald 'fanum', bald 'lucus', bald 'idolum' selbst; es ist kaum zu zweifeln, daß sich in dieser gegend mächtige waldungen ausbreiteten: wie wenn der bergwald Osning, in dem die seule stand, einen heiligen wald anzeigte? der gold und silberschatz, dessen sich Carl da bemächtigt habe, mag sagenhafte ausschmückung sein.

Näher läßt sich über die Irminsul Ruodolf von Fuld aus; nach seiner allgemeineren äußerung über die heidnischen Sachsen: „frondosis arboribus fontibusque venerationem exhibebant, fährt er fort: truncum quoque ligni non parvae magnitudinis in altum erectum sub divo colebant, patria eum lingua Irminsul appellantes, quod latine dicitur universalis columna, quasi sustinens omnia.“

Es war eine große hölzerne seule aufgerichtet, unter freiem himmel verehrt, ihr name sagt aus: allgemeine, alles tragende seule.

Diese deutung scheint untadelhaft, wenn wir andere wörter hinzunehmen, deren begrif durch die zusammensetzung mit 'irmin' gesteigert wird. 'irmingot', der höchste gott, der gott aller, im Hildebrand lied, kein besonderer, in der bedeutung nicht verschieden von dem durch ein anderes praefix verstärkten 'thiodgod irminman', erhöhter ausdruck für mensch. 'irminthiod' und Hild für menschengeschlecht. ebenso erkläre ich andere mit 'irman, irmin' componierte eigennamen und 'irmansûl, irminsul' ist die große, hohe göttlichverehrte bildseule; daß sie einem einzelnen gott geweiht war, liegt nicht in dem ausdruck selbst. auf gleiche weise wird im angelsächischen gesagt 'eormencyn' (genus humanum), 'eormengrund' (terra) (seltsam ist die adjectiv form: ofer ealne yrmenne grund cod. exon.) 'eormenstrŷnd' (progenies), altnordisch 'iörmungrund' (terra) 'iörmungandr' (anguis maximus) 'iörmunrekr' (taurus maximus), woraus sich das hohe, mythische alter, und die verbreitung dieser benennungen unter allen deutschen volksstämmen ergibt. denn auch den Gothen können sie nicht fremd gewesen sein, wie ihr berühmter königsname Ermanaricus (Aírmanareiks) altnordisch Iörmunrekr darthut, und unbedenklich sind die 'Hermunduri' eigentlich 'Ermunduri', wie das H in allen solchen formen häufig vorschlägt.

Was nun der wahrscheinliche sinn des wortes 'irman, iörmun, eormen' war, auf den ich im verfolg zurückkommen werde, das springt in die augen, daß die 'Irmanseul' in noch spät gefühltem bezug auf Mercur stand, dem das griechische alterthum ähnliche seulen und pfäle errichtete, die nach dem gott selbst 'Hermen' hießen und an den deutschen namen gemahnen.

Die Sachsen mögen mehr davon gewust haben; unter den Franken, in Hochdeutschland verband man, vom achten bis in das dreizehnte jahrhubdert mit 'irmansûl, irminsul' die allgemeine vorstellung eines heidnischen, auf einer seule errichteten bildes. unter 'truncus ligni' dachte sich Ruodolf wahrscheinlicher einen auserlesenen, heilig gehaltenen baumstamm (mit oder ohne götterbild?), als eine von menschenhand gezimmerte seule; jenes stimmt auch zu der verehrung 'sub divo', zu dem von einigen chronisten gebrauchten ausdruck 'lucus' und der einfachheit des ältesten walddienstes. wie sich das bild in den begrif des baums verliert, geht der baum in den des bildes über, und der westfälischen Irmenseule liegt die vorstellung von der hessischen Donnereiche sicher ganz nahe, beide verwandelten die bekehrer in Peterskirchen.

Ich vermute näheren zusammenhang zwischen den Irmanseulen und den im späteren mittelalter, zumal im nördlichen Deutschland aufgerichteten Rolandseulen; in Schweden gab es Thorsseulen, bei den Angelsachsen Äthelstânseulen.

Zuletzt noch die nachricht von einem heiligen stock in Neustrien, wie sie in der vita Walarici abbatis leuconensis († 622) enthalten ist, die aufzeichnung soll im 8. jahrhundert geschehen sein: „et juxta ripam ipsius fluminis stips erat magnus, diversis imaginibus figuratus, atque ibi in terram magna virtute immissus, qui nimio cultu morem gentilium a rusticis colebatur.“

Walaricus läßt den klotz umwerfen: „et his quidem rusticis habitantibus in locis non parvum tam moerorem quam et stuporem omnibus praebuit. sed undique illis certatim concurrentibus cum armis et fustibus, indigne hoc ferentes invicem, ut quasi injuriam dei sui vindicarent.“ der ort hieß Augusta (bourg d'Augst, unweit der stadt Eu), es wurde hernach an der stätte eine kirche errichtet.

Ich glaube nachgewiesen zu haben, daß es götter und bildseulen im ältesten Deutschland gab.

I 3. c) Zusammenfassung

Die Elemente der früheren Tyr-Mythen wurden durch die Vorsilbe „Jörmun-“ und manchmal auch durch die Vorsilbe „Fimbul-“, die beide „groß, mächtig“ bedeuten, von den Wesen und Gegenständen des Alltags unterschieden.

I 4. Der Ase Tyr in den Schriften der Römer

Da die germanische Überlieferung abgesehen von einigen wenigen Runen-Inschriften erst um ca. 700 n.Chr. mit dem Beowulf-Epos beginnt, stammen die frühesten Hinweise auf den Gott Tyr aus den Berichten der Römern über die Germanen.

I 4. a) Tacitus: Germania

Von allen Göttern verehren sie Merkur (Odin) am meisten. An bestimmten festgelegten Tagen ist es sogar erlaubt, ihm Menschenopfer darzubringen.

Hercules (Thor) und Mars (Tyr) befrieden sie normalerweise mit den Tieren, die für sie als Opfer erlaubt sind.

Odin erscheint hier schon als wichtigster Gott und daher vermutlich auch als Göttervater, aber er ist noch der Seelenführer (Merkur) und noch nicht der Kriegsgott wie in der späteren Überlieferung ab 800 n.Chr.

Thor wird hier nicht dem Jupiter, sondern dem Herkules gleichgesetzt – es wird also seine Kraft betont und nicht sein Donner.

Tyr wird als der Kriegsgott angesehen (Mars).

I 4. b) Tacitus: Germania

Niemand anderem als den Priester ist Tadel erlaubt oder das Legen eines Menschen in Fesseln und Schnüren. Wenn die Priester dies tun, wird das nicht als eine Strafe angesehen, die von der Gemeinschaft ausgeht, sondern von den Göttern befohlen wird, von denen sie glauben, daß sie sie im Krieg begleiten.

Dieser Gott, der die Germanen im Krieg begleitet hat, wird der damalige Kriegsgott Tyr gewesen sein.

I 4. c) Tacitus: Historiae

Diesen Auftrag erläuterte der Bote mit dem kühnsten Geist solcherart: „Für eure Rückkehr in das germanische Volk und den germanischen Namen danken wir den Göttern, die wir gemeinsam verehren und dem Mars, der obersten unserer Gottheiten, und wir gratulieren euch dazu, daß ihr endlich wieder als freie Männer unter den Freien leben werdet.“

Hier ist noch Tyr (Mars) der oberste Gott. Anscheinend stammen die Berichte des Tacitus aus der Zeit (ca. 100 n.Chr.), in der Odin bei den Südgermanen allmählich den Tyr als wichtigste Gottheit abgelöst hat.

I 4. d) Tacitus

Der römische Geschichtsschreiber berichtet weiter, daß die Kriegsbeute den Göttern Mars (Tyr) und Merkur (Odin) geopfert wurde. Diese Sitte ist von den Germanen aus der Zeit von 350 v.Chr. bis 550 n.Chr. auch archäologisch gut bekannt.

Auch dieses Nebeneinander von Tyr und Odin zeigt, daß sie damals in etwa gleich wichtig gewesen sein müssen.

I 4. e) „Dienstag“

Nicht nur Tacitus hat den „Tyr“ als den Gott „Mars“ angesehen, wie die Übersetzung des lateinischen Namens „Mars-Tag“ („Dienstag“) als „Tyr-Tag“ (englisch: „Tuesday“) in den meisten germanischen Sprachen zeigt.

I 4. f) Steinaltar von Housesteads

Auf einem Steinaltar aus Housesteads in Northhumberland (Nordostengland) wird ein Gott mit dem Namen „Mars Thingsus“ angerufen. Diesen Namen kann man mit „Tyr, Gott des Things“ übersetzen. Tyr wurde offensichtlich als der Beschützer der Thing-Treffen angesehen, d.h. er war der oberste Gott und der Bewahrer der richtigen Ordnung. Dieser Altar wurde um ca. 250 n.Chr. von einem friesischen Söldner im römischen Heer errichtet.

Der Gott Tyr wurde auch noch in den kirchlichen Schriften des frühen Mittelalters, in dem Latein die Hauptsprache war, „Mars“ genannt.

I 4. g) Procopius

Der gotisch-römische Historiker Procopius schrieb um 550 n.Chr. über den Goten-Krieg:

Die Auseinandersetzung zwischen Tyr und Odin um die Position des Göttervaters scheint auch bei den Nordgermanen längere Zeit angehalten zu haben. Vermutlich ist sie auch nicht bei allen Germanen-Stämmen genau gleich verlaufen.

I 4. h) Jordanes

Der folgende Bericht über ein Menschenopfer bei den Nordgermanen ist um ca. 590 n.Chr. von dem römisch-gotischen Geschichtsschreibers Jordanes verfaßt worden:

„Mars ist schon immer von den Goten mit grausamen Ritualen verehrt worden. Sie glaubten, daß der, der Herr des Krieges ist, mit dem Vergießen von menschlichem Blut befriedet werden muß. Ihm opferten sie den ersten Teil der Beute und ihm zu Ehren wurden die Arme, die den Feinden abgerissen wurden, an die Bäume gehangen. Sie hatten mehr als alle anderen Völker einen tiefen religiöse Geist, denn die Verehrung dieses Gottes scheint wirklich ihren Ahnen gegeben worden zu sein.“

Der Brauch der abgerissenen Arme der Feinde steht sicherlich mit dem Arm, der dem Tyr in den späteren Mythen von dem Fenris-Wolf abgebissen wird, in Zusammenhang. Dieser Brauch muß alt sein, da er auch von den ebenfalls zu den Indogermanen gehörenden Skythen bekannt ist.

… … …

„Weiterhin priesen die Goten diesen Mars, den die Lügen der Dichter den Gott des Krieges nennen, so hoch, daß über ihn gesagt wurde, daß er unter ihnen geboren worden sei.“

Tyr ist offenbar auch als der Urahn aller Menschen oder zumindestens aller Germanen angesehen worden.

Diese Auffassung findet sich auch noch in späteren Texten.

I 4. i) Zusammenfassung

Tyr ist bei den Südgermanen in der Zeit von 100-500 n.Chr. und vermutlich auch schon zuvor und auch noch danach der Kriegsgott („Mars“, „Ares“) gewesen.

In dieser Zeit und vermutlich auch schon vorher hat es bei den Südgermanen eine Auseinandersetzung zwischen Tyr und Odin um die Stellung des Göttervaters gegeben, die schließlich Odin für sich entschieden hat.

Bei den nordgermanischen Stämmen wie z.B. den Goten ist zu dieser Zeit noch Tyr der Göttervater gewesen.

Tyr ist auch der erste Mensch bzw. der erste Germane gewesen.

I 5. Der Ase Tyr in den Schriften der Germanen

I 5. a) Historia Regum Britanniae

Geoffrey von Monmouth berichtet 1136 n.Chr. darüber, wie die drei Langschiffe der beiden Sachsen-Anführer Hengist und Horsa um 449 n.Chr. in Südost-England gelandet sind, was damals die Invasion der Angelsachsen in England eingeleitet hat.

Geoffrey greift dabei auf ältere schriftliche Quellen wie z.B. Beda (672-735 n.Chr.) und Gildas (500-570 n.Chr.) zurück, aber es darf doch bezweifelt werden, daß die überlieferte wörtliche Rede tatsächlich in dieser Form stattgefunden hat.

Hengist und Horsa sagen zu dem damaligen englischen König Vortigern, in dessen Heer sie eintreten, daß sie „unter der guten Führung des Merkur“ nach England gelangt sind. „Merkur“ ist die übliche lateinische Übersetzung für „Odin“.

Nachdem Hengist Merkur erwähnt hat, fragt Vortigern nach ihrer Religion, woraufhin Hengist antwortet:

„Wir verehren in unserem Land Saturn und Jupiter und die anderen Götter, die die Welt beherrschen, aber ganz besonders Merkur, den wir in unserer Sprache Woden nennen und dem unsere Vorfahren den vierten Tag der Woche geweiht haben und den wir noch immer nach ihm 'Wodens-Tag' nennen.“

Merkwürdigerweise ist hier der Mittwoch (englisch: „wednesday“) der vierte und nicht der dritte Tag der Woche, obwohl die christliche Woche mit dem Montag beginnt und mit dem Sonntag endet. Sollten die Germanen die Woche mit dem Tag der Sonne begonnen haben, könnte das bedeuten, daß für sie die Sonne bzw. Tyr der höchste Gott gewesen ist. Dann müßte diese Namensgebung der Wochentage recht weit bis in die Tyr-zentrierte Religion bei den Südgermanen (die zuerst Kontakt zu den Römern und ihrer Woche hatten) zurückreichen.

Welche Gottheit dem Saturn gleichgesetzt worden ist, ist unklar – es kann weder Odin (Merkur), Thor (Jupiter) noch Tyr (Mars) sein. Es sollte ein alter Gott sein – vielleicht Tyr als Riese im Jenseits?

„Als wichtigste nach ihm verehren wir die machtvolle Göttin Frea (Freya), der wir den sechsten Tag der Woche geweiht haben, den wir nach ihr Freitag nennen.“

I 5. b) Asen-Heitis

Der Verfasser der folgenden Liste („Thulur“) von Asen-Namen ist unbekannt. Da Tyr in dieser Liste aufgeführt wird, muß er zu den wichtigeren Göttern gehört haben.

Ich werde euch

die Asen-Heitis sagen:

Dies sind Yggr und Thor

und Yngvi-Freyr,

Vidar und Baldur,

Vali und Heimdall,

das sind Tyr und Njörd,

weiterhin Bragi,

Hödur, Forseti,

und schließlich ist da noch Loki.

I 5. c) Des Hohen Lied

Im „Havamal“ wird Odin als „Hangatyr“ und als „Hangagud“ bezeichnet. Diese Namen bedeuten „Hänge-Tyr“ und „Hänge-Gott“ und beziehen sich darauf, daß Odin am Weltenbaum hing, um die Geheimnisse des Jenseits zu erfahren.

Es ist denkbar, daß auch Tyr einst ein „hängender Gott“ gewesen ist, da dieses „Hängen“ am Weltenbaum bei Odin ein Vorgang im Zusammenhang mit der Jenseitsreise gewesen ist und Tyr ein am Abend sterbender und Morgen wiedergeborener Sonnengott gewesen zu sein scheint.

Insbesondere der Name „Hangatyr“ klingt, als ob es einer der vielen Beinamen des Tyr sei, die Odin um 500 n.Chr. vor seinem Vorgänger auf dem Thron Asgards übernommen hat.

Ich weiß, daß ich hing am windigen Baum

Neun lange Nächte,

Vom Speer verwundet, dem Hangatyr geweiht,

Ich selber mir selbst,

Am Ast des Baums, dem man nicht anseh'n kann

Aus welcher Wurzel er sproß.

I 5. d) Odins Rabenzauber

Auch hier erscheint „Hangatyr“:

„Heil Dir, Hangatyr, glücklichster Ase,

Mögest Du auf dem Hochsitz des Mets walten!“ –

„Setzt euch in Freuden, ihr Götter, zum Trink-Fest,

Mögt ihr zusammen mit Yggjungur ewigen Segen genießen.“

I 5. e) Grimnir-Lied

Im Grimnir-Lied wird Odin als „Sigtyr“, also als „Sieg-Tyr“ bezeichnet. Dies ist sicherlich auch ein Name, den Odin von dem früheren Göttervater Tyr übernommen hat, der u.a. auch ein Schwert- und Kriegsgott gewesen ist. In der folgenden Strophe erscheint Sigtyr als Plural, d.h. „Sig-Tyr“ ist bereits zu einer allgemeinen Bezeichnung für „Götter“ geworden.

Mein Antlitz sahen nun der Sigtyr-Götter Söhne,

So wird mein Heil erwachen:

Alle Asen werden Einzug halten

Zu des Wütrichs Saal,

Zu des Wütrichs Mahl.

Tyr-Rune

Sig-Rune

ea-Rune („Sigtyr“)

neuzeitliche Deutung der Ea-Rune als Kombination von Sig und Tyr zu Sigtyr

Der Name Sigtyr bezeichnet oft auch eine Rune, die ursprünglich den Lautwert „ea“ gehabt hat. Da sie sich aus der Tyr-Rune und zwei Sig-Runen zusammensetzen läßt, wird sie heute oft auch als Sigtyr-Rune bezeichnet. Dies ist aber keine ursprünglich germanische, sondern eine neuzeitliche Auffassung dieser Rune.

I 5. f) Die Vision der Seherin

Der Name „Sigtyr“ findet sich auch in der Völuspa („Vision der Seherin“). Er scheint demnach ein beliebter Name gewesen zu sein – zunächst für Tyr und später dann wie hier in der Völuspa für Odin. Diese Beliebtheit ist bei der eher kriegerischen Lebensführung der Germanen und der Indogermanen allgemein nicht verwunderlich. „Hwedrung“ („Kind des Riesenweibes“) ist Loki, da dieser der Vater des Fenris-Wolfes ist.

Nicht säumt Sigtyrs erhabener Sohn,

Widar, mit dem Leichenwolf zu fechten:

Er stößt dem Hwedrungs-Sohn den Stahl ins Herz

Durch gähnenden Rachen: So rächt er den Vater.

I 5. g) Skaldskaparmal

Auch in diesem „Lehrbuch der Dichtkunst“ findet sich der Name „Sigtyr“, der hier ein Name des Odin ist. „Glasir“ bedeutet „der Leuchtende“.

Das Gold wird auch „Glasirs Laub“ genannt, weil in Asgard vor Walhall ein Hain steht, Glasir genannt, dessen Laub ganz aus rotem Golde besteht, wie diese Zeilen bezeugen:

Glasir steht mit goldnem Laub

Vor Sigtyrs Saal.

Dies ist das schönste Holz bei Göttern und Menschen.

I 5. h) Atli-Saga

Auf mutger Mähre fuhr der mächtige Atli,

Von Schwertern bewacht sein Schwager daher.

Mit Harm sah Gudrun der Helden Leid:

Den Tränen wehrend trat sie in die tosende Menge:

„So ergeh es Dir, Atli, wie Du Gunnarn hältst

Oft geschworen Eide, die ihr einst gelobt

Bei der südlichen Sonne, bei Sigtyrs Burg,

Bei des Ehebetts Frieden, bei Ullers Ring.“

Doch führte zum Tode den Führer der Kampfschar,

Den Hüter des Hortes ein knirschender Hengst.

Auch in diesem alten Lied wird „Sigtyr“ genannt.

Die „südliche Sonne“ ist Tyr als starker Sonnengott am Mittag, da die Sonne zu dieser Tageszeit am stärksten ist. „Sigtyrs Burg“ ist das Hügelgrab des Tyr (Sonnenuntergang im Westen). Der „Friede des Ehebetts“ bezieht sich auf die Wiederzeugung des Tyr in seinem Hügelgrab, d.h. im Jenseits zusammen mit der Jenseitsgöttin (Unterwelt im Norden). „Ullr“ ist Tyr im winterlichen Jenseits – sein „Ring“ ist die Sonne (Osten).

Diese vierteilige Eid-Formel ist also ein Eid „bei Tyr“, der anscheinend in die vier Himmelsrichtungen hin gesprochen worden ist.

I 5. i) Die Hakon-Saga

Im Hakonarmal, die ein Teil der Heimskringla-Saga ist, wird Odin „Gautatyr“ genannt, was „Goten-Tyr“ bedeutet. Das Hakonarmal wurde 260 Jahre vor der Edda um 960 n.Chr. verfaßt. Zu dieser Zeit war der Göttername „Tyr“ offensichtlich schon zu einem allgemeinen Begriff für „Gott“ geworden, woraus man schließen kann, daß Tyr nicht mehr die wichtigste Gottheit gewesen sein wird.

Der Übergang der Göttervater-Rolle von Tyr zu Odin muß bei den Nordgermanen also zwischen 200 n.Chr. (zur Zeit der Erfindung der Runen war Tyr noch der wichtigste Gott, da „Tyr“ die einzige nach einem Gott benannte Rune ist) und 960 n.Chr. (Hakonarmal) stattgefunden haben.

Der Name „Gautatyr“ enthält keine neuen Informationen zu dem Gott Tyr.

I 5. j) Völsungen-Saga

Hier beginnt die Geschichte und erzählt von einem Mann, der Sigi genannt wurde und von dem die Leute sagten, daß er der Sohn des Odin sei. Es wird in der Geschichte auch von einem zweiten Mann berichtet, der Skadi heißt, ein großer Mann mit mächtigen Händen. Sigi war jedoch dem zufolge, was die Menschen zu seiner Zeit erzählten, der mächtigere und von edlerer Abstammung.

Nun hatte Skadi einen Leibeigenen, von dem die Geschichte auch etwas erzählen muß, Bredi mit Namen, der nach der Arbeit, die er verrichten mußte, benannt worden war; was seine Tapferkeit und die Stärke seiner Hände betrifft, war er Männern, die für edler gehalten wurden, ebenbürtig und sogar besser als manche von ihnen.

„Sigi“ bedeutet „Sieger“ – ein passender Name für einen Sohn des Kriegsgottes Odin, der selber oder durch seine Walküren alle Kämpfe entschied. „Sig“ („Sieg“) ist ein Bestandteil vieler Beinamen des Tyr gewesen der um 500 n.Chr. von Thor und Odin als nordgermanischer Göttervater abgesetzt worden war – er wurde auch „Sig-Tyr“ genannt“.

I 5. k) Der Brakteat von Austad

Auf diesem Gold-Amulett findet sich die Inschrift „gebo tiwaz“, die „Geschenk an Tyr“ oder „Geschenk des Tyr“ bedeutet.

I 5. l) Die Zauberformel „salusalu“

Diese Formel läßt sich als S-Rune („Sieg“ oder „Sonne“) und die Formel „alu“ („heilig, Magie“) auffassen, die dann, so wie es bei Zaubersprüchen häufig der Fall ist, verdoppelt wurde. Diese Formel würde aufgeschlüsselt somit wie folgt aussehen: „ s·alu-s·alu “.

Da die Rune „S“ entweder „Sonne“ oder „Sieg“ bedeuten kann, ergeben sich die beiden folgenden Übersetzungs-Möglichkeiten: „Sieg-Magie, Sieg-Magie“ oder „Magie der Sonne, Magie der Sonne“.

Da Tyr bis 500 n.Chr. sowohl der Sonnengott-Göttervater als auch der Schwert- und Sieggott gewesen ist, bedeuten beide Interpretationen, daß es sich um einen Segen durch Tyr handelt.

I 5. m) Das Medaillon von Svarteborg

Auf diesem Amulett steht eine Rune und ein Männername: „S Sigaduz“. „Sigaduz“ ist entweder ein Männername mit der Bedeutung „Sieg-Kampf“ oder der Wunsch „Sieg im Kampf!“. Die Rune „S“ bedeutet entweder „Sonne“ oder „Sieg“.

Da dieses Medaillon um ca. 450 n.Chr., also zu einer Zeit angefertigt worden ist, in der Tyr noch der nordgermanische Sonnengott-Göttervater gewesen ist, könnte man das „S“ für „Sonne“ auch als einen Aspekt des Tyr, der u.a. auch der damalige Kriegsgott gewesen ist, auffassen.

Die Übersetzung würde dann lauten:

Möge der Sonnen-gleiche Tyr mir den Sieg geben!

I 5. n) Das Amulett von Lindholmen

Um ca. 450 n.Chr. ist in Dänemark ein Amulett aus Knochen in der Form eines Mondsichel-förmigen Fisches hergestellt worden, auf dem die folgende Runen-Inschrift angebracht worden ist:

ek erilaz sawilagaz hateka.

aaaaaaaazzznnnbmuttt. alu.

Die erste Zeile läßt sich leicht übersetzen:

Ich heiße Jarl Sonne.

Die Zahl „8“ hat die Bedeutung „vollkommen“ (8x „a“); die Zahl „3“ hat die Bedeutung „Zyklus, Wiedergeburt“ (3x „z“). Die Z-Rune „algiz“ bedeutet „Hirsch“; die „naudiz“-Rune bedeutet „Not“. Das Wort „bmutt“ ist unbekannt. „Alu“ bedeutet „Zauber, Magie, Weihung“.

Daraus ergibt sich für die zweite Zeile:

Vollkommener Ase, wiedergeborener Hirsch, drei Nöte, bmutt. Dies ist magisch wirksam!

Der Besitzer dieses Amuletts hieß „Sonne“ und war ein Jarl. Der „vollkommene Ase“ ist um 450 n.Chr. der Sonnengott-Göttervater Tyr gewesen. Tyrs Opfertiere sind der Stier und der Hirsch gewesen. Sie wurden ihm geopfert, um seine Wiederzeugung im Jenseits magisch abzusichern (siehe „Wiederzeugung“ in Band 51).

Der „zyklische Hirsch“ und die „zyklische Not“ könnten der zyklische Tod und die anschließende Wiedergeburt des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr sein. Für diese Deutung spricht auch, daß der Fisch ein Symbol (Form des Runen-Knochens) für die Seele in der Wasserunterwelt gewesen ist.

Die magische „Aktivierungs-Formel“ „Alu“ bedeutet in diesem Zusammenhang, daß der durch die Runen beschriebene Wunsch wirksam wird.

Daraus ergibt sich nun:

Ich heiße Jarl Sonne.

Vollkommener Ase, wiedergeborener Hirsch, drei Nöte, bmutt. Dies ist magisch wirksam!

Etwas weniger „stenographisch“ formuliert, würde diese Inschrift dann wie folgt lauten:

Ich heiße Jarl Sonne.

Vollkommener Tyr – Du stirbst und wirst wiedergeboren. bmutt.

So werde auch ich wiedergeboren werden!

Vermutlich ist mit Tyr an dieser Stelle auch noch der Sieg des Tyr über seine Feinde assoziiert worden.

I 5. o) Die Fibel von Nordendorf

Fibel von Nordendorf

Auf der Rückseite dieser Fibel, die um ca. 550 n.Chr. hergestellt worden ist, ist die folgende Runen-Inschrift eingeritzt worden:

Logathore

Wodan

Wigithonar

Awa Leubwinie

„Wodan“ („Wotan“) ist Odin.

„Wigithonar“ bedeutet entweder „Weihe-Donar“ oder „Kampf-Donar“.

„Logathore“ ist hingegen schwierig zu deuten. Die Deutung als „Loki“ ist unwahrscheinlich, weil dies sprachlich nicht paßt und Odin, Thor und Loki in den Mythen auch nirgendwo als Dreiheit auftreten.

In den altenglischen Texten wird das griechisch-lateinische „cacomicanos“ („Unruhestifter“) und auch das lateinische „marsius“ („Schlangenzauberer“) mit „logther, logether“ übersetzt. Beides klingt nach einer Grundbedeutung „Zauberkundiger“ für „logathore“. Das lateinische Wort „marsius“ könnte auch mit „mars“ verwechselt worden sein, wodurch dann der ehemalige Göttervater Tyr („Mars“) als „logathore“ umschrieben worden sein könnte.

Für eine christliche Interpretation dieses Namens im Sinne von „übler heidnischer Zauberer“ ist 550 n.Chr. deutlich zu früh. Es würde zwar passen, Odin als „Zauberer“ zu bezeichnen, aber Thor erscheint nirgendwo in seinen Mythen als Magier – er löst seine Probleme normalerweise mit seinem Hammer …

Der ehemalige Göttervater Tyr ist in der Völkerwanderungszeit, in der diese Fibel hergestellt worden ist, durch Odin und Thor abgelöst worden. Es wäre also denkbar, daß in dieser Inschrift der ehemalige Göttervater zusammen mit den beiden neuen Herren in Asgard angerufen worden ist.

„Awa“ („kleine Mächtige“) ist ein Frauenname und ebenso „Leubwini“ („liebe Freundin“). Falls das „e“ am Ende von „Leubwinie“ eine lateinische Genitiv-Endung („-i“) sein sollte, könnte Awa die Tochter von Leubwini sein – das ist jedoch ungewiß. Die Inschrift lautet diesen Betrachtungen zufolge dann übersetzt:

Tyr, Wotan, Kampf-Donar – (helft, beschützt) Awa, die Tochter der Leubwini!

I 5. p) Der Schädel von Ribe

Ribe liegt im Südosten Dänemarks und ist die älteste Stadt dieses Landes und war lange Zeit der wichtigste dänische Nordseehafen. Dort wurde ein Schädel gefunden, auf den um ca. 800 n.Chr. eine Inschrift eingeritzt worden ist.

Diese Runen-Inschrift lautet:

ulfur auk uthin auk hutiur

hialb buris uithr

thaima uiarki auk tuir kuniu

buur

Diese Inschrift kann man mit einiger Sicherheit wie folgt übersetzen:

Wolf(-sgott) und Odin und Hutiur

möge dem Buris helfen gegen

diesen Schmerz und Zwergen-Schlag!

Buur

Da „möge“ im Singular und nicht im Plural („mögen“) steht, sind die drei Götter offensichtlich als eine dreiteilige Einheit aufgefaßt worden, die man stets als Gesamtheit anrief.

Mit „Zwergenschlag“ ist wahrscheinlich ein Hexenschuß gemeint.

„Buur“ ist die Unterschrift des Runenmeisters.

Die beiden Götter „Ulfur“ und „Huitur“ sind unbekannt, doch könnte mit „Ulfur“, also „Wolfsgott“ Tyr gemeint sein, da dieser Gott sowohl der Gott der Wolfskrieger (Fenris-Wolf) ist als auch der Vater der beiden Alcis-Zwillinge war, die als Krieger des öfteren auch die Gestalt von zwei Wölfen annehmen konnten.

Hutiur könnte evtl. der Gott Hödur sein – aber das ist sehr ungewiß.

I 5. q) Der Runenstein von Ledberg

Runenstein von Ledberg

Auf diesem Runenstein aus Südost-Schweden sind zwei bärtige Krieger mit Helm und ein Wolf zu sehen. Da der obere der beiden Krieger mit seinem Fuß im Maul des Wolfes steht, wird dies Widar sein, der Fenrir tötet.

Es wäre denkbar, daß der untere Krieger der zuvor von Fenrir getötet Odin, der Vater des Widar, ist – aber das ist sehr unsicher.

Dieser untere Krieger hat keine Beine – ob dies Absicht ist oder ob sie von dem Steinmetz für unwichtig erachtet worden sind, ist nicht ganz sicher. Falls es sich hier um ein beabsichtigtes Detail handeln sollte, könnte die untere Gestalt auch Tyr sein, da fehlende Gliedmaßen zu den Mythen dieses Gottes gehören (siehe dazu auch die Kapitel über „Hand“ und „Fuß“ in Band 63).

I 5. r) Bronzeplatte von Galsted

Bronzeplatte von Galstedt

Diese um ca. 500 n.Chr. hergestellte Bronzeplatte wurde in Galsted bei Hadeslev in Süddänemark gefunden.

Auf ihr sind vier Lebewesen zu sehen:

der Kopf eines Mannes,

zwei stilisierte Wölfe neben ihm, und

ein Männerkopf in einem Kreis.

Um ca. 500 n.Chr. begann der Wechsel von der Tyr-zentrierten zur Odin-zentrierten Mythologie. Es ist daher wahrscheinlich, daß der dargestellte Männerkopf der Gott Tyr ist. Die beiden Wölfe wären dann seine beiden Alcis-Söhne in Wolfskrieger-Gestalt.

Der „Kopf in der Scheibe“ könnte evtl. Tyr als Sonnenscheibe sein. Evtl. ist auch das gesamte Arrangement ein stilisierter Mensch – dann hätte Tyr ähnlich seiner Darstellung auf den Goldhörnern von Gallehus (siehe „Trinkhörner“ in Band 57) eine Sonnenscheibe auf seinem Leib. Schließlich könnte es sich bei dieser „Kopf-Scheibe“ auch noch um den Sonnenschild des Tyr handeln.

I 5. s) Der Runenstein von Einang

Auf diesem Runenstein, der ungefähr um 370 n.Chr. errichtet worden ist, findet sich noch der alte Name „da“ für „Götter“, der mit lateinisch „deus“, keltisch „da“, griechisch „Zeus“ und natürlich auch mit altnordisch „Tyr“ verwandt ist.

Ich, Dagastir, habe die Runen gemacht.

Der Name „Dagastir“ bedeutet „Gast des Da“, d.h. „Freund des Tyr“.

I 5. t) Thorsdrapa

In der Thorsdrapa, die über den Kampf zwischen Thor und Jörmungandr berichtet, wird der Schleifstein zur Bildung einer Thor-Kenning benutzt:

Förderer des Schleifstein-Landes

Die Schleifsteine wurden vor allem zum Schärfen von Waffen benutzt. Wenn viele Schleifsteine benötigt wurden, waren offenbar viele Waffen in Gebrauch. Daraus ergibt sich, daß der „Förderer des Schleifstein-Landes“ ein Kämpfer ist – was eine passende Umschreibung für Thor darstellt. Vermutlich ist die Assoziation zu dem Schleifstein-Splitter in Thors Kopf durchaus beabsichtigt – die Wikinger schätzen diese Art von „feinem Humor“ …

Da Thors Waffe jedoch der Hammer ist, muß diese Kenning ursprünglich zu dem Schwertkämpfer Tyr gehört haben.

I 5. u) Grimnir-Lied

König Hraudung hatte zwei Söhne: der eine hieß Agnar, der andere Geirröd. Agnar war zehn Winter, Geirröd acht Winter alt. Da ruderten beide auf einem Boot mit ihren Angeln zum Kleinfischfang. Der Wind trieb sie in die See hinaus. Sie scheiterten in dunkler Nacht an einem Strand, stiegen hinauf und fanden einen Hüttenbewohner, bei dem sie überwinterten.

Die Seefahrt der beiden Brüder ist eine Reise durch die Wasserunterwelt, wie der noch folgende Text zeigt: Der Mann ist Odin und die Frau ist Frigg. Das weltweit verbreitete Motiv der Umschreibung einer Reise ins Jenseits und zurück als eine Wasserreise ist heute sicherlich von Moses Ausgesetztwerden auf dem Nil am bekanntesten.

Die Frau pflegte Agnars, der Mann Geirröds und lehrte ihn schlauen Rat. Im Frühjahr gab ihnen der Bauer ein Schiff, und als er sie mit der Frau an den Strand begleitete, sprach er mit Geirröd allein.

Sie hatten guten Wind und kamen zu dem Wohnsitz ihres Vaters. Geirröd, der vorn im Schiffe war, sprang ans Land, stieß das Schiff zurück und sprach: Fahr nun hin in böser Geister Gewalt.

Offenbar hat Odin dem Geirröd geraten, seinen älteren Bruder Agnar wieder ins Meer zurückzustoßen, damit er selber König wird.

Das Schiff trieb in die See, aber Geirröd ging hinauf in die Burg und ward da wohl empfangen. Sein Vater war eben gestorben, Geirröd ward also zum König eingesetzt und gewann große Macht.

Odin und Frigg saßen auf Hlidskialf und überschauten die Welt.

Da sprach Odin: ,,Siehst Du Agnar, Deinen Pflegling, wie er in der Höhle mit einem Riesenweibe Kinder zeugt; aber Geirröd, mein Pflegling, ist König und beherrscht sein Land.“

Die Vereinigung mit einer Riesin ist ein weitverbreitetes Motiv in den germanischen Mythen. Es ist dadurch entstanden, daß die Jenseitsgöttin, die die Geliebte bei der Wiederzeugung war, auch als Riesin, d.h. als „Göttin der früheren Zeiten“ aufgefaßt wurde. Auch Odin selber hat sich mehrfach mit Riesinnen vereint.

Diese Riesin-Symbolik bedeutet, daß sich Agnar in einer Höhle im Jenseits bei einer Riesin befindet: in der Halle der Riesin Hel.

Die Jenseitsreise war auch das wesentliche Element der Krönung eines Fürsten, da dieser dadurch den Kontakt zu dem Göttervater erhält. Daher verwundert es nicht, daß der Vater der beiden Brüder gestorben ist und nun Geirröd König wird.

„Geirröd“ ist einer der vielen Namen des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr in der Unterwelt. Das Bruderpaar Agnar und Geirröd wird daher wohl auf das Brüderpaar Tyr und Loki in den alten, Tyr-zentrierten Mythen zurückgehen.

Auch „Agnar“ ist eng mit den früheren Tyr-Mythen verbunden. Anscheinend sind hier zwei ehemalige Tyr-Beinamen als Feinde gegeneinander gesetzt worden – wie gesagt: „Teile und herrsche.“

Frigg sprach: ,,Er ist aber solch ein Neidling, daß er seine Gäste quält, weil er fürchtet, es möchten zu viele kommen.“

Odin sagte, das sei eine große Lüge; da wetteten die beiden hierüber.

Dies ist wohl eine Verkleinerung des älteren Motivs, in dem Odin und Freya um den Sieg eines Stammes gegen einen anderen streiten.

Frigg sandte ihr Schmuckmädchen Fulla zu Geirröd und trug ihr auf, den König zu warnen, daß er sich vor einem Zauberer hüte, der in sein Land gekommen sei, und gab zum Wahrzeichen an, daß kein Hund so böse sei, daß er ihn angreifen möge.

Die Hunde spüren offenbar die große magische Kraft in Odin.

Es war aber eine große Unwahrheit, daß König Geirröd seine Gäste so ungern speiste; doch ließ er Hand an den Mann legen, den die Hunde nicht angreifen wollten. Er trug einen blauen Mantel und nannte sich Grimnir, sagte aber nicht mehr von sich, auch wenn man ihn fragte.

Durch die List der Frigg verleitete sie Geirröd zu einem Verhalten, das wiederum den Odin gegen seinen eigenen Schützling erboste – was auch das Ziel der Frigg gewesen ist.

Odins Umhang wird des öfteren als „blauer Mantel“ beschrieben.

Der König ließ ihn zur Rede peinigen und setzte ihn zwischen zwei Feuer, und da saß er acht Nächte.

Dies ist wohl ein Symbol für die Waberlohe, die Diesseits und Jenseits trennt. Diese Symbolik stammt aus der Brandbestattung, durch die die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits zu einem großen Feuer bzw. einer Feuerwand wurde. Man stellte sich auch vor, daß des Nachts aus den Hügelgräbern Flammen schlugen, wenn die Toten in ihnen erwachten.

Die „8“ stammt aus den Tyr-Mythen, da sie vor allem die Vollkommenheit der Sonne symbolisiert hat.

König Geirröd hatte einen Sohn, der zehn Winter alt war und Agnar hieß nach des Königs Bruder. Agnar ging zu Grimnir, gab ihm ein volles Horn zu trinken, und sagte, der König täte übel, daß er ihn schuldlos peinigen ließe. Grimnir trank es aus; da war das Feuer so weit gekommen, daß Grimnirs Mantel brannte.

Im weiteren Verlauf stirbt Geirröd und Odin macht Agnar zum König:

König Geirröd saß und hatte das Schwert auf den Knien halb aus der Scheide gezogen. Als er aber vernahm, daß Odin gekommen sei, sprang er auf und wollte ihn aus den Feuern führen. Da glitt ihm das Schwert aus den Händen, der Griff nach unten gekehrt. Der König strauchelte und durch das Schwert, das ihm entgegenstand, fand er den Tod. Da verschwand Odin und Agnar war da König lange Zeit.

Das Getötetwerden durch das eigene Schwert ist ein Motiv aus den alten Tyr-Mythe – als Schwertgott, Kriegsgott, Sonnengott und Göttervater war Tyr so gut wie unverwundbar. Er konnte nur auf eine ganz besondere Weise getötet werden – in vielen Fällen ist sein eigenes Schwert die einzige Waffe, die ihn verwunden kann (siehe „Schwert“ in Band 66a).

Die Umdeutung des Agnar zum Sohn statt zum Bruder des Königs ist vermutlich eine spätere rationalisierende Umdeutung. Sie geht auf die abwechselnde Herrschaft des Sommergottes Tyr und des Wintergottes Loki zurück (siehe dazu auch „Geirröd“ in Band 5).

Der Name „Grimnir“, der in diesem Lied Odin bezeichnet, ist einst ein Beiname des Tyr als Träger des goldenen Maskenhelms („grimr“) gewesen (siehe „Helm“ in Band 66b).

I 5. v) Zauberspruch von Canterbury

Nach 500 n.Chr. ist Tyr durch die Priester des Odin und des Thor zunehmend als der Verursacher aller Krankheiten angesehen worden.

Kuril, Du Wunden-Verursacher, geht jetzt, Du bist gefunden worden!

Thor weihe Dich, Herr der Trolle, Kuril Wunden-Verursacher!

Gegen Blutader-Bläschen.

I 5. w) Galdrabok

(Island, ca. 1600 n.Chr.)

In diesem Grimoire (Zauberbuch) finden sich u.a. Runen-ähnliche Namenszeichen für die „Väter des Galdr“ („Väter der Zauberkunst), die z.T. den germanischen Göttern entsprechen.

Es ist schwer zu sagen, wie weit die Tradition dieser Symbole zurückreicht – sie könnten sich evtl. aus den Inschriften auf den Runenstäben entwickelt haben.

I 5. x) Zusammenfassung

I 6. Die Rune „Tyr“

I 6. a) Die Tyr-Rune

Die 12. Rune des Futhark-Alphabetes ist nach dem Gott Tyr benannt. Da sie die einzige nach einer Gottheit benannte Rune ist, liegt der Verdacht nahe, daß Tyr zu der Zeit der Ableitung der Runenschrift von den norditalischen Buchstaben zwischen 100 v.Chr. und 100 n.Chr. der wichtigste nordgermanische Gott gewesen ist.

die Rune „Tyr“

Die Rune hat den Lautwert „T“ und könnte von ihrem Bild her einen Menschen oder einen Baum darstellen – beides wurde in der germanischen Mythologie eng miteinander assoziiert.

Es gibt in der Edda zwei Strophen zu dieser Rune – die eine in Odins Runenlied im Havamal, das andere im Sigrdrifa-Lied. Sie werden durch drei weitere Strophen aus Norwegen, aus Island und von den Angelsachsen ergänzt.

I 6. b) Odins Runenlied: die Rune „Tyr“

Ein zwölftes kann ich, wenn am Zweige hängt

zitternd am Strick ein Toter,

ich ritze und färbe das Runenzeichen,

daß der Recke zu mir kommt und reden kann.

Diese Verse können sich entweder auf eine tatsächliche Wiederbelebung eines Toten beziehen, so wie sie z.B. von Christus, Elias und einigen indischen Yogis bekannt ist, oder auf die Beschwörung eines Toten, mit dem der Beschwörer (hier Odin) dann reden kann. Dieser Kontakt mit den Toten ist in allen alten Religionen ein wesentliches Element, da die eigenen Eltern der hauptsächliche Halt und die allgemeine Orientierung der Menschen waren.

Die ausgesprochen negativen und gruseligen Assoziationen, die „Totenbeschwörungen“ heutzutage wecken, sind eine Entwicklung der neueren Zeit, in der die Angst vor den Toten stärker als das Vertrauen in sie geworden ist. Diese Veränderung ist zu einem guten Teil auch durch die Verteufelung der „Ahnengespräche“ durch die Kirche zustandegekommen.

Die Rune Tyr und auch der Gott Tyr haben, wie es scheint, mit der Jenseitsreise und der Totenbeschwörung zu tun.

I 6. c) Sigrdrifa-Lied

Siegrunen lerne, willst Sieg Du haben!

Auf den Schwertknauf schneide sie,

auf die Blutrinne und des Rückens Breite

und rufe zweimal zu Tyr!

Dieses Runen-Lied bezieht sich ausschließlich auf Tyr als den Kriegs- und Schwertgott.

Der Hinweis, daß man Tyr zweimal anrufen soll, könnte ein Indiz dafür sein, daß Tyr zwei wesentliche Aspekte hat. Dies werden vermutlich „Tyr im Diesseits“ (Tag-Sonne) und „Tyr im Jenseits“ (Nacht-Sonne) sein. Diese Zweiseitigkeit findet sich auch bei Tyrs Nachfolger Odin wieder: Er hat ein sehendes (lebendiges) und ein blindes (totes) Auge, er wird von zwei Wölfen und von zwei Raben begleitet und er reitet ein achtbeiniges „Doppelpferd“. Im Fiölswin-Lied wird gesagt, daß einer der beiden Wölfe am Tag und der andere in der Nacht wacht.

I 6. d) Odins Runenlied: die Rune „Man“

In Odins Runenlied findet sich noch ein recht interessanter Hinweis auf den Gott Tyr:

Ein fünfzehntes kann ich, das Volkrast der Zwerg

sang vor der Schwelle des Tages:

Den Asen zur Stärkung, den Alfen zur Kraft,

Hohe Weisheit dem Hroptatyr.

Die letzte Zeile kann man auch in einer wörtlicheren Form übersetzen, wenn man davon ausgeht, daß der hier „Hroptartyr“ („weiser Tyr“) genannte Odin an die Stelle des Gottes Tyr getreten ist:

Hohes Wissen dem weisen Tyr.

die Rune "Man"

Die Man-Rune, die die 15. Rune des Futhark-Alphabetes ist, wurde von dem Zwerg Volkrast am Morgen gesungen. Der Name dieses Zwerges bedeutet vermutlich „Ruhe(-stätte) des Volkes“, also „Gräberfeld“ oder „Hügelgrab“ und kennzeichnet ihn als einen Ahn im Jenseits. Das Wort „Zwerg“, das von germanisch „dwergaz“ abstammt, bedeutet „Totengeist“.

Man kann daher mit einiger Berechtigung vermuten, daß der Zwerg sein Morgenlied für die Alben und die Asen auf einem Hügelgrab sang.

„Hroptr“ bedeutet „Weisheit“ und „Tyr“ ist der Gott Tyr. Mit „Hroptr“ und mit „Hroptatyr“ wurde jedoch zur Zeit der Niederschrift dieser Verse nicht der Gott Tyr, sondern Odin bezeichnet. Das Wort „Hroptatyr“ ist anscheinend zu einer Art feststehendem Begriff mit der Bedeutung „Weisheitsgott“ geworden. Dadurch, daß Odin als „Weisheits-Tyr“ bezeichnet wurde, wird deutlich, daß der Göttervater Odin anscheinend an die Stelle des Tyr als Göttervater getreten ist. Die Stellung des Odin bzw. früher des Tyr als oberster Gottheit würde auch erklären, warum „Hroptatyr“ neben dem Kollektiv „Asen“ noch einmal gesondert genannt wird. Wenn man zudem die anscheinend enge Bindung zwischen dem Gott Tyr und der Sonne bedenkt, wird die hervorgehobene Stellung des Tyr/Odin in dieser Strophe noch verständlicher.